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Zahlentheoretische Kostproben von Theo Kempermann 3., aktual. Aufl. Zahlentheoretische Kostproben – Kempermann schnell und portofrei erhältlich bei beck-shop.de DIE FACHBUCHHANDLUNG Thematische Gliederung: Zahlentheorie Harri Deutsch 2011 Verlag C.H. Beck im Internet: www.beck.de ISBN 978 3 8171 1877 9

Zahlentheoretische Kostproben - Kempermann, …€¦ · 3 Die Primzahlen Thema seit 2300 Jahren ... zum Logarithmieren und ... und zusieht, was sich über die Zahlen als solche

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Zahlentheoretische Kostproben

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Für Gerd

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Theo Kempermann

ZahlentheoretischeKostproben

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Der Autor

Dr. T. Kempermann war in leitenden Funktionen bei der Bayer AG tätig.

Der Verlag

Wissenschaftlicher Verlag Harri Deutsch GmbHGräfstraße 4760486 Frankfurt am [email protected]

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der DeutschenNationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet überhttp://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN: 978-3-8171-1877-9

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt.

Alle Rechte, auch die der Übersetzung, des Nachdrucks und der Vervielfältigung des Buches – odervon Teilen daraus –, sind vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf ohne schriftliche Genehmigungdes Verlages in irgendeiner Form (Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren), auch nichtfür Zwecke der Unterrichtsgestaltung, reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systemeverarbeitet werden. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsge-setzes.

Der Inhalt des Werkes wurde sorgfältig erarbeitet. Dennoch übernehmen Autor und Verlag fürdie Richtigkeit von Angaben, Hinweisen und Ratschlägen sowie für eventuelle Druckfehler keineHaftung.

3., aktualisierte Auflage 2011c©Wissenschaftlicher Verlag Harri Deutsch, Frankfurt am Main, 2011

Satz: Satzherstellung Dr. Naake, Brand-Erbisdorf <www.naake-satz.de>Druck: fgb – freiburger graphische betriebe <www.fgb.de>Printed in Germany

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Inhaltsverzeichnis

1 Von Mathophilen und Mathophoben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1

2 Der Mathematiker als Homo ludens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5

3 Die Primzahlen – Thema seit 2300 Jahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11

4 Vorsicht bei Verallgemeinerungen! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23

5 Furor mathematicus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32

6 Die Antike hatte es mit den ganzen Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36

7 Früchte vom Baum der Kombinatorik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48

8 Last und Lust des Teilens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62

9 Diophantische Gleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73

10 Intermezzo: Die Taylor’sche Reihe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85

11 Imaginäre Zahlen: Wozu? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93

12 Was ist an einem Dezimalbruch Interessantes? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99

13 Irrational und doch vernünftig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109

14 Über Kettenbrüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120

15 Die harmonische Reihe und einiges drum herum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130

16 Oft für eine Überraschung gut: Die Rekursion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145

17 π hat nicht nur mit dem Kreis zu tun . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157

18 Jagd auf hohe Primzahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171

19 Schmerzfreies Wurzelziehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183

20 Logarithmisches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191

21 Über Schachtel-Ausdrücke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199

22 Eine Sonderrolle der 5? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204

23 Die Addition – kontinuierlich betrieben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215

24 Im Zahlen-Universum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232

Anhang: Mathematische Symbole . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245

Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248

Aktuelle Informationen im Internet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250

Personen- und Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251

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Was sagen Sie zu meiner neuen Mengentheorie, Herr Professor?Aber Herr Kandidat, die gilt ja bloß für die leere Menge!

Das ändert an der logischen Schönheit meiner Theorie nichts.

so geschehen an einem Universitätsinstitut

2Der Mathematiker als Homo ludens

Was treibt den Mathematiker? Ist Mathematik Spiel oder Ernst? Zahlen – sind dasZeichen, Symbole für Reales (gar – als Struktur – die einzig erkennbare Realität selber?)– oder sind sie etwas bloß Gedachtes? Ist Mathematik lediglich die Grundlage jeglicherMesstechnik oder auch ästhetisches Vergnügen? Sicher gibt es neben der sinnlichenSchönheit auch eine logische; inwieweit ist sie hier präsent? Zahlen, Zeichen, Rechnerei– sind das bloß alltägliche Trivialitäten oder hat das alles auch mit Philosophie zu tun?

Kein Zweifel: Mathematik hat auch mit Philosophie zu tun. Das wusste die Philosophieseit ihren Anfängen. Die Mathematik ist eben alles zugleich: Sie ist Alltagskram, Rechne-rei, Basis der empirischen Wissenschaft; eine sehr praktische, lebensnotwendige, durchausernste Angelegenheit. Sie ist darüber hinaus Spiel des sich selbst genügenden Geistes,im wahren Wortsinne Selbstzweck, Produkt reinen Erkenntnistriebes. Ihre Theoremeund Beweise können wahre Kunstwerke sein, bewundernswert nicht allein wegen derhier investierten Erfindungs- und Kombinationsgabe; sie sind einfach „schön“. Was hiererfunden und gefunden wurde, ist teils von höchst praktischer Bedeutung, teils ohne einenerkennbaren praktischen Nutzen (Letzteres zuzugeben scheuen sich viele Mathematiker).Mathematik ist, um die englischen Ausdrücke zu gebrauchen, art und science zugleich.

Indem wir unseren Blick wieder auf Zahlen und Zahlensysteme verengen: Was kann schonan Zahlen interessant sein?

Zunächst ist es reizvoll, der Frage nach der Ur-Funktion der Zahl nachzugehen. Zahlenbilden die Struktur der Vielheit ab; es gibt die Zahl als Maßzahl, Messzahl, als benannteZahl: 3,07 cm, 5,1 kg, 16,5 sec; diese ist kontinuierlich veränderlich. Ferner gibt es dieZahl als Anzahl; dann ist sie diskontinuierlich veränderlich: 8 Bäume, 5 Schafe, 12Häuser. Mit den letzteren muss alles angefangen haben. Am Anfang war die natürlicheZahl: 1, 2, 3, 4, . . . Am Anfang war das Zählen: an = an−1 + 1. Alle Rechenarten bis hinzum Logarithmieren und Wurzelziehen (man könnte noch weitere, „höhere“ Rechenartenkonstruieren) gehen letztlich auf dieses simple Weiterzählen zurück: 1 = 1; 2 = 1 + 1;3 = 2 + 1 und so weiter.

Doch was „ist“ eine Zahl wie eins, zwei, drei . . . ? Zahlen bilden eine Struktur, sagten wir;jedenfalls ist das eine Struktur, die mit der uns umgebenden Realität zu tun hat, sie in nochzu bestimmender Weise symbolisiert oder abbildet. Wie „entstehen“ Zahlen? Kein Steingleicht dem anderen, kein Blatt gleicht dem anderen. Wenn wir sagen: Dort auf der Höhestehen 8 Bäume, so hat bereits ein Abstraktionsprozess stattgefunden: Die Gegenständedort haben bestimmte Eigenschaften, die es uns gestatten, sie unter dem Namen/Begriff

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6 Zahlentheoretische Kostproben

Baum zusammenzusehen. Jetzt erst werden sie zählbar: 1, 2, 3, . . . , 8. Indem wir von ihrengleichwohl vorhandenen Verschiedenheiten absehen, werden sie zählbar. Mit der Angabe„8 Bäume“ wird ein Stück Wirklichkeit erfasst; Realität bildet sich ab – doch gleichzeitigund vollkommen in eins damit bildet sich eine von uns gemachte Konstruktion ab: Wirhaben ja, bevor wir zählen konnten, eine Zusammenfassung vorgenommen. Wir sind es,die begrifflich zusammenfassen. War der achte, kleinere Baum noch ein Baum zu nennen,oder war es vielmehr ein Strauch? Sollten wir deshalb sagen: 7 Bäume?

Zahlen symbolisieren „harte“ Realität und etwas Gedachtes zugleich. Wir werfen ein Netzaus lauter logischen Konstruktionen (Zahlen eingeschlossen) über unsere Umwelt undcharakterisieren diese am Netz, durch das Netz, an Hand des Netzes. Das Netz machenzwar wir, aber die Relation zwischen dem Netz und dem darunter (Zugrunde-)Liegendenist nicht beliebig. Von Paris nach Moskau ist es in harter Realität „weiter“ als von Parisnach London, einerlei, welche Theorie vom Raum wir zugrunde legen, einerlei, welcheLängeneinheit wir für die Maschen des Netzes verwenden, was jedes Mal völlig ver-schiedene Zahlen ergibt. Primäre Welt-Orientierung und -Bewältigung, Welt-Erkenntnisund damit schließlich auch (Natur-)Wissenschaft hat mit der Relation von Vielheitenzueinander zu tun. „Relation zwischen . . . “ ist erkennbar. Das Einzelne ist unerkennbar.Diesen Satz findet man schon bei Aristoteles. Vielheit wiederum ist charakterisiert durchIndividuation, hierarchisch-begriffliche Ordnung, kausale oder andere Verknüpfung, An-ordnung in Raum und Zeit und so fort. Das Einzelne können wir höchstens als diesesEinzelne benennen, aber nicht ohne Vergleich, Zuordnung zu anderem erfassen.

Es heißt – und oft mit bedauerndem Unterton –, die empirische Wissenschaft sei wesent-lich (bloß) mathematisch verfasst. Das ist ungenau ausgedrückt. Empirische Wissenschaftist primär reduktionistisch. Das genannte gezielte und systematische Absehen von . . .ist das erste. So werden, in einem zweiten Schritt, Strukturen erkannt, die dann durchSymbole, darunter Zahlen, beschrieben werden.

Die benannte Zahl symbolisiert also Realität, besser gesagt, eine reale Struktur, einerlei,ob wir es mit Anzahlen (= natürlichen Zahlen) oder mit Maßzahlen (= natürlichen Zahlen,Brüchen) zu tun haben. Mathematik entsteht, indem man die Benennungen wegnimmtund zusieht, was sich über die Zahlen als solche sagen lässt. Die dabei gefundenenGesetzmäßigkeiten kann man dann gegebenenfalls auf die benannten Zahlen und damitauf die Welt-Beschreibung zurückbeziehen.

Der Mathematiker als Homo ludens – wo fängt das Spiel an, wo hört es auf? Es verhaltensich die Teilgebiete (bzw. Anwendungen) der Mathematik durchaus unterschiedlich.Statistik ist ein der Praxis recht deutlich zugewandtes Fach; bei der Geometrie und derArithmetik ist das weitgehend der Fall. Die Zahlentheorie hat dagegen wenig signifikantenunmittelbar praktischen Nutzen.

Nichtsdestoweniger wird sie mit Leidenschaft betrieben. Leidenschaft ist hier durch-aus wörtlich zu nehmen. Bei der Beschäftigung mit bestimmten logisch strukturiertenThemen, in der Mathematik insbesondere, treten Sucht-Effekte auf; man hat das auch„Mausefallen-Effekt“ genannt. Erfolgreiche Problembewältigung löst hier spezielle Lust-gefühle aus, die sich derart steigern können, dass der Betroffene glaubt, ihrer nicht mehr

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2 Der Mathematiker als Homo ludens 7

entraten zu können. Ob man das nun nur Gewohnheit nennt oder bereits Sucht, ob mansolche Abhängigkeit bereits mit einer Drogenabhängigkeit vergleicht, ist hier nicht zuentscheiden und gegebenenfalls Geschmackssache.

Besagtes Hochgefühl kann jedenfalls sehr stark werden; Mathematik kann in diesem Sinneregelrecht beglücken. Aber es gibt eben auch die Kehrseite; das Hochgefühl hat seinenPreis. Wenn sich der ersehnte Erfolg nicht einstellen will, gelingt es dem Bedauernswertenoft nicht mehr, sich vom Problem zu lösen. Das ist der Mausefallen-Effekt: Die Türklappt hinter Dir zu und Du kommst nicht mehr heraus. Das Denken rotiert – gewollt undungewollt zugleich – weiter um die Aufgabe. Wie dem Teufelskreis entrinnen? Mitunterhilft die ablenkend wirkende Zwischenschaltung eines einfacheren Problems. Oder derAlltag ist es, der mit seinen harten Realitäten für die notwendige Ablenkung sorgt.

Der Mathematiker als Homo ludens. Wir werden dieser besonderen Spezies Wissenschaft-ler überall in dieser Darstellung begegnen. Wie sehen nun seine Spiele aus? Gehen wiralso hinein in dieses Metier. Es fängt ganz harmlos an.

Palindrome sind Worte oder Sätze, die vorwärts und rückwärts gelesen gleich lauten.Das bekannteste Beispiel ist das von Schopenhauer: Ein Neger mit Gazelle zagt im Regennie. Ein anderes, sehr schönes Palindrom von erstaunlicher Länge, in englischer Sprache,lautet: Doc, note, I dissent. A fast never prevents a fatness. I diet on cod. (Doktor,hören Sie, ich kann Ihnen nicht zustimmen; Fasten verhindert nicht das Dickwerden; ichmache eine Diät mit Kabeljau). Wer mag das erfunden haben, und wie lange hat er dazugebraucht?

Die Beschränkung „vorwärts und rückwärts gleich“ erweist sich als rigoros. Es gibt nurwenige leidlich sinnvolle Palindrom-Sätze. Das Kabeljau-Palindrom ist überdies auchnoch aktuell.

Nun geht es hier nicht um Wort-Palindrome; wir fragen, wie es mit Zahlen-Palindromenbestellt ist. 12 521 und 262 und 24 355 342 sind offensichtlich solche. Sie sind leicht zuerzeugen und man kann sie beliebig lang machen. Was lässt sich über sie sagen?

Man macht dabei zunächst eine merkwürdige Beobachtung. Die meisten (alle?) natürli-chen Zahlen lassen sich zu Palindromen umformen, wenn man die vorwärts gelesene zurrückwärts gelesenen addiert und das gegebenfalls einige Male wiederholt.

Das zeigen die folgenden Beispiele, bei denen nach 2, 3, 1, 2 Additionen das Palindromauftaucht. Spiegelzahlen wie 123 und 321 erzeugen natürlich das gleiche Palindrom. Jenach Startzahl kann das Verfahren allerdings mühsam werden.

Palindrom-Beispiele28 59 112 3 04982 95 211 9 403

110 154 323 12 452011 451 25 421121 605 37 873

5061 111

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8 Zahlentheoretische Kostproben

Nun braucht man beim Zahlenpaar 97/79 immerhin 6 Schritte, bis man zum Palindromgelangt; es heißt 44 044. Beim Paar 98/89 sind es sogar 24 Schritte, und man endet bei8 813 200 023 188. Alle übrigen Zahlen unter 100 benötigen maximal 4 Schritte. Diekleinste Zahl mit Schrittgröße 3 ist übrigens 59, die kleinste mit Schrittgröße 4 ist 69.Schrittanzahl 5 kommt nicht vor.

Jetzt liegt natürlich die Frage nahe: Endet man immer auf diese Weise bei einem Palin-drom? Das wird vermutet, aber noch niemand konnte es beweisen. Es gibt Problemzahlen,die entweder nach sehr vielen Schritten oder auch überhaupt nicht das erwartete Symme-triebild zeitigen. Man weiß es nicht; es ist hier zu bedenken, dass die Stellenzahl wegender fortgesetzten Addition kontinuierlich zunimmt. Die kleinste dieser Problemzahlenist 196. Sie wurde von P. R. MOLS aus Riga untersucht. Er gab auf nach 75 Schritten:Kein Palindrom hatte sich gezeigt. 1) Diese Teufelszahl wurde 1975 einem Computertestunterworfen; nach 237 310 Additions-Schritten gab auch der Computer auf. Mittlerweile(Stand 2010) wurde die Suche bis zu einer Zahl mit 300 Millionen Stellen fortgesetzt,ohne zu einem Palindrom zu führen.2)

Man fand immerhin 249 Zahlen unter 10 000, die jeweils nach 100 Additions-Schrittennoch kein Palindrom gaben (für die jeweilige Spiegelzahl gilt natürlich dasselbe). Merk-würdigerweise gaben die übrigen Zahlen unter 10 000, das sind etwa 95 %, stets einPalindrom nach weniger als 24 Schritten, mit der genannten Ausnahme 98/89, die genau24 Schritte benötigt.

Das größte derzeit bekannte Palindrom erzeugt die Zahl 1 186 060 307 891 929 990, dienach 261 Additionen einen 119-stelligen Wert liefert; 3) das 89er Palindrom hatte nur 13Stellen.4) Der aktuelle Stand der Suche nach Palindromzahlen kann der in Fußnote 3)genannten Quelle entnommen werden.

Natürlich ist das Palindrom-Problem direkt mit dem gewählten Stellenwertsystem (hier:Dezimalsystem) verknüpft. Es ist nun für andere Stellenwertsysteme die gleiche Vermu-tung aufgestellt worden, nach der stets nach x Additionen ein Palindrom erscheinen muss.Es zeigte sich: Für das Dualsystem zumindest (Basis 2) ist die Vermutung falsch. Hier fandman Zahlen, die niemals ein Palindrom liefern können wie (10110)2 = 1 · 24 + 0 · 23 +1 · 22 + 1 · 21 + 0 · 20. Im Zehnersystem heißt diese Zahl schlicht 22. Unterwirft man dieDualform dem genannten Additionsverfahren, so zeigen sich immer längere, nach einembestimmten Gesetz gebildete Ziffernschlangen; letztere können, eben wegen dieser Regel,niemals ein Palindrom konstituieren.

Verblüffend; aber wie kommt man auf so etwas? Unter den ersten 100 Zahlen war unssoeben die Zahl 89 aufgefallen, die als einzige erst nach 24 Additionen ein Palindromerzeugt. Dazu gibt es eine merkwürdige Parallele.

Wählen wir eine natürliche Zahl Z beliebiger Größe und bilden ihre Quersumme zweiterOrdnung (Was ist das? Als Beispiel diene die Zahl 139; ihre Quersumme zweiter Ordnung

1) KORDEMSKI, S. 1972) Aktuelle Informationen zum Stand des 196-Problems gibt es unter http://www.p196.org/.3) http://www.jasondoucette.com/worldrecords.html4) GARDNER I, S. 260–261

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2 Der Mathematiker als Homo ludens 9

ist 12 + 32 + 92 = 91). Gegebenenfalls ist diese Operation mehrfach zu wiederholen.Welche Ausgangszahl Z man nun auch wählt, es kommt dabei immer entweder 1 oder 89heraus. Andere Zahlen treten nicht auf, gleich, wie groß Z ist. Hier ist sie also wieder, diemysteriöse 89.

Es lässt sich das noch quantifizieren: 17 Zahlen unter 100 enden, so behandelt, bei 1, dieübrigen landen alle bei 89 (wenn man die Operation auf 89 selbst anwendet, erhält manin zyklischer Folge nach 8 Schritten wieder 89).

Wir beweisen diese Gesetzmäßigkeit halbempirisch. Zunächst sind alle Quersummenzweiter Ordnung von 4-, 5-, 6-, . . . , 12-stelligen Zahlen maximal dreistellig; erst eine13-stellige Zahl kann (maximal) eine 4-stellige Zahl als Quersumme zweiter Ordnunggeben, denn 13 mal 92 ist 1 053. Aber dann kommt man im nächsten Schritt ebenfalls zueiner dreistelligen Zahl. Und so fort. Ferner sind, wie leicht ersichtlich, alle Quersummenzweiter Ordnung von dreistelligen Zahlen kleiner als diese Zahlen selbst. Das heißt:Wie groß man auch immer die Zahl Z wählt, man gerät schließlich in den Bereich derzweistelligen Zahlen, jedenfalls nach hinreichend vielen Operationen der genannten Art.Nun probieren wir alle zweistelligen Zahlen durch, was nicht viel Mühe macht; dennes ist beispielsweise die Rechnung für 79 dieselbe wie für 97; ferner treten häufig diegleichen Zwischensummen auf, in welchem Falle man nicht weiterzurechnen braucht.Mit 20 als Ausgangszahl findet man beispielsweise 4, 16, 37, 58, 89 Ende; bei 45 findetman 41, 17, 50, 25, 29, 85, 89 Ende; bei 44 jedoch 32, 13, 10, 1 Ende. So geht es fortbis Z = 100. Damit haben wir zwar den Beweis erbracht; doch wie ist man auf dieseKuriosität gekommen?

Zu den erstaunlichen Leistungen der Zahlentüftler gehören auch die folgenden Sequen-zen: Die Zahlen 2, 3, 7 sowie 1, 5, 6 zeigen die Beziehung

2 + 3 + 7 = 1 + 5 + 622 + 32 + 72 = 12 + 52 + 62 (r = 2)

(2.1)

Das ist noch nicht sehr aufregend. Wir gehen also einen Schritt weiter und wählen in derersten Gruppe 0, 5, 5, 10 und in der zweiten 1, 2, 8, 9. Jetzt gilt

0 + 5 + 5 + 10 = 1 + 2 + 8 + 902 + 52 + 52 + 102 = 12 + 22 + 82 + 92

03 + 53 + 53 + 103 = 13 + 23 + 83 + 93 (r = 3)

Schon besser. Wir bringen jetzt ein Beispiel mit fünf Summanden auf jeder Seite: 1, 4, 12,13, 20 und 2, 3, 10, 16, 19. Wiederum gilt:

1 + 4 + 12 + 13 + 20 = 2 + 3 + 10 + 16 + 1912 + 42 + 122 + 132 + 202 = 22 + 32 + 102 + 162 + 192

13 + 43 + 123 + 133 + 203 = 23 + 33 + 103 + 163 + 193 (r = 3)

Man hat sogar Lösungen gefunden für Systeme, die sechs Summanden auf jeder Seite derGleichung enthalten und bis zur fünften Potenz (r = 5) gültig sind:

1r + 6r + 7r + 17r + 18r + 23r = 2r + 3r + 11r + 13r + 21r + 22r

mit r = 1, 2, 3, 4, 5(2.2)

Natürlich erfüllen auch alle diese Gleichungen den Trivialfall r = 0.

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10 Zahlentheoretische Kostproben

Nun wollen wir weiterhin wissen, ob die aufgeführten Zahlengruppen die einzigen sind,die diesen Potenzbeziehungen genügen. Das ist nicht der Fall. Es gibt sogar jeweilsunendlich viele solche Zahlensätze. Zwei allgemeine Formeln dafür seien hier genannt:

Für Gleichung (2.1) mit r = 1 oder 2 gilt

(a + c)r + (b + c)r + (2a + 2b + c)r = cr + (2a + b + c)r + (a + 2b + c)r(2.3)

Für a = 1, b = 2 und c = 1 ergibt sich das spezielle System (2.1); für a = 3, b = 1 undc = 2 findet man

5r + 3r + 10r = 2r + 9r + 7r (r = 1 oder 2)

Im Falle (2.2) gibt es die folgende generelle Lösung:

ar + (a + 4b + c)r + (a + b + 2c)r + (a + 9b + 4c)r + (a + 6b + 5c)r

+ (a + 10b + 6c)

= (a + b)r + (a + c)r + (a + 6b + 2c)r + (a + 4b + 4c)r + (a + 10b + 5c)r

+ (a + 9b + 6c)r

mit r = 1, 2, 3, 4 oder 5

Den Werten a = 1, b = 1 und c = 2 entspricht die spezielle Lösung (2.2); für a = 2, b = 2und c = 3 erhalten wir beispielsweise

2r + 10r + 13r + 29r + 32r + 40r = 4r + 5r + 20r + 22r + 37r + 38r(2.4)

Den Beweis für diese Generalformeln liefert das recht mühsame Ausrechnen aller Po-tenzausdrücke nach dem binomischen Lehrsatz und nachfolgende Addition. Es ergibt sichjeweils Identität beider Seiten.

Mit solchen Problemen haben sich die Mathematiker CHRISTIAN GOLDBACH (1690–1764) und LEONHARD EULER (1707–1783) beschäftigt. Besonders bewundernswert istdie Aufstellung der Gleichung (2.2) und ihrer allgemeinen Version (2.4).

Homo ludens: Was fängt man an mit Relationen wie (2.4)? Diese Frage haben sichoffenbar die Mathematiker nicht gestellt.

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π is like Mount Everest –it’s always challenging us

J. A. Paulos

17πππ hat nicht nur mit dem Kreis zu tun

Berechnung von π. Die Kreiszahl π hat die Mathematiker von jeher gereizt. GanzeBücher sind über sie geschrieben worden. Ähnlich wie im Falle

√2, der Maßzahl der

Diagonale im Einheitsquadrat, hat die Faszination wahrscheinlich mit der Irrationalitätdes Zahlenwertes zu tun. Wäre das Verhältnis des Kreisumfangs zum Durchmesser gleich3 oder 3,5, hätte die Zahl wohl kaum solches Interesse gefunden.

Wie groß ist π nun „wirklich“?

Die Angabe π = 3,14 genügt uns für fast alle praktischen und ebenso für einen Großteilder wissenschaftlichen Belange. Die Abweichung vom wahren Wert ist nur etwa 0,05 %.

Solche Großzügigkeit liegt natürlich dem wahren Mathematiker fern. Wie groß ist πwirklich? Die Geschichte der Antwort(en) auf diese Frage ist spannend. Wie hat esangefangen?

Im Alten Testament begnügte man sich mit der allzu groben Näherung π ≈ 3. Auch inBabylonien und im alten Ägypten findet sich noch dieser Wert. Ebenfalls einige wackereBürger der Vereinigten Staaten nahmen entschlossen die Irrationalität von π nicht zurKenntnis: Im Jahre 1897 erließ das Parlament des Staates Indiana ein Gesetz, in dem (u. a.)π = 4 festgesetzt wurde. Alle mathematischen und technischen Kalkulationen musstendemnach um 27 % falsch werden.1)

Zurück zur π-Berechnung in den alten Kulturen. Bei den Babyloniern findet sich auchbereits die bessere Approximation π ≈ 31/8 = 3,125 (31/7 = 3,142 857 . . . wäre nochbesser gewesen!). Die Ägypter rechneten mit 4(8/9)2 = 3,160 5. Bei den Chinesen tauchtim 2. Jahrhundert der Wert 3,162 2 auf, was nahe bei

√10 = 3,162 28 . . . liegt. Die

zufällige Nähe von√

10 hat die Inder im 6. Jahrhundert dazu verleitet, die Wurzel alsden wahren Wert von π anzusehen.

Interessanter als die Zahlenwerte dieser mehr oder weniger geglückten Approximationensind für uns die Berechnungsmethoden. Kann das Verfahren iterativ gestaltet werden,indem der n-te Wert als Basis für den – besseren – (n + 1)-ten dient, so lässt sich πgrundsätzlich mit beliebiger Genauigkeit berechnen. Nur der Rechenaufwand wird hiergegebenfalls eine Grenze setzen.

1) STEPHEN PILE: The Book of Heroic Failures. Penguin Books, London 1990, p. 30.Das weitere Schicksal dieser phänomenalen Fehlleistung ist mir nicht bekannt.

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158 Zahlentheoretische Kostproben

Eben dies leistete der geniale ARCHIMEDES. Er fand die bemerkenswerte Ungleichung

31071

< π < 31070

oder 3,140 845 1 < π < 3,142 857 1

Seine Methode ist als die der Approximation durch dem Kreis ein- und umbeschrie-bene Vielecke (Polygone) bekannt geworden. Wir wählen dafür die folgende, auf dieeinbeschriebenen Polygone beschränkte Darstellung. Sie beruht auf dem Lehrsatz desPYTHAGORAS und auf der Tatsache, dass die Kreissehne S6, die einem einbeschriebenenSechseck zugehört, gleich dem Radius r ist (Abbildung 4).

rg

a

b

60o

S24S12

S r6 =30o

15o

Abbildung 4: Dem Kreis einbeschriebene 6-, 12- und 24-Ecke

Man findet leicht die Sehne S12 des einbeschriebenen Zwölfecks

a2 = r2 −( r

2

)2; b = r − a; S2

12 = b2 +r2

4= (r − a)2 +

r2

4

S212 =

(r −

√r2 − r2

4

)2

+r2

4

Nun setzen wir r = 1 (Einheitskreis) und substituieren r2/4 durch S26/4.

S12 =

√2− 2

√1− S2

6/4 =

√2−

√4− S2

6

(Herleitung: Die 1 in der mittleren Formel als 4/4 schreiben!)

Damit ist die Iteration schon vollendet. Man kann nämlich mit der Sehne S12 das gleichetun wie vorher mit S6 und kommt damit zur Sehne S24. Allgemein gilt

S2n =√

2−√

4− S2n(17.1)

Der wahren Länge des Kreisbogens kommt man dann in der Sequenz 6 · S6 → 12 · S12 →24 · S24 → 48 · S48 → . . . immer näher. Die Formel ist einfach, aber die Konvergenz aufden wahren Wert π hin ist doch ziemlich langsam.

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17 π hat nicht nur mit dem Kreis zu tun 159

ARCHIMEDES rechnete bis zum 96-seitigen Polygon und erhielt das genannte Ergebnis.Freilich, es muss eine mühevolle, eine öde Rechnerei gewesen sein. Er hatte ja keinStellenwertsystem!

Der entscheidende Fortschritt in der π-Berechnung (und, wie sich zeigte, ging es dabeinicht nur um π) fand erst etwa 1900 Jahre nach ARCHIMEDES statt, als GOTTFRIED

WILHELM LEIBNIZ 1682 seine Reihe für π/4 präsentierte. Sie wurde bereits mehrfachgenannt:

π4

= 1− 13

+15− 1

7+

19− . . . ad infinitum(17.2)

Für die Berechnung spezieller Zahlen sind Reihen häufig geeigneter als die meist rechtumständlichen iterativen Verfahren; für leistungsfähige Computer allerdings macht dasoft keinen Unterschied.

Die Leibniz’sche Reihe (auch Leibniz-Gregory’sche Reihe genannt) ist konvergent, weildie Vorzeichen alternieren und die Glieder gegen null gehen.

Wenngleich damit ein methodischer Durchbruch erzielt war, für die effektive Berechnungvon π war (17.2) noch nicht geeignet; der Ausdruck konvergiert viel zu langsam. Manüberlegt sich leicht, dass der absolute Fehler |R4|, wenn nach 3 Gliedern abgebrochenwird, lediglich kleiner als 1/7 sein muss. Bricht man also nach r Gliedern ab, ist

|Rr+1| <1

2r + 1. Genauer gesagt: Es gilt

12

12r + 1

< |Rr+1| <1

2r + 1

Bricht man also nach 5 000 Gliedern ab(!), liegt der Fehler |R| immer noch in derGrößenordnung 10−4.

Wie fand LEIBNIZ die Reihe (17.2)? Die Antwort fällt nur leicht, wenn man die Infinite-simalrechnung schon kennt; aber die war eben vor LEIBNIZ/NEWTON nicht vorhanden.Vorher konnte niemand auf die Idee eines Zusammenhangs wie (17.2) kommen. Man gingalso jetzt folgendermaßen vor:

Es gilt nach der Formel für die geometrische Reihe (mit q = −x2 und x < 1):

11 + x2

= 1− x2 + x4 − x6 + − . . . ad infinitum

Integration links und rechts in den Grenzen 0 bis x führt zu

arctan x = x− x3

3+

x5

5− x7

7+

x9

9− . . . da(17.3)

xZ

0

11 + t2

dt = arctan x

Zur Erinnerung: arctan x ist die Länge des Bogenstücks im Einheitskreis, das zum Tan-genswert x gehört. Für π/4, also für den Achtelkreis, ist der Tangens gleich 1. Setzt mandies in (17.3) ein, folgt sofort Gleichung (17.2).

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160 Zahlentheoretische Kostproben

Man kann aber mit der arctan-Formel noch viel mehr anstellen. Wenn wir zum Aus-druck (17.1) zurückkehren und Sn = S6 = r = 1 setzen, erhalten wir unmittelbar S12 =√

2−√

3. Es ist ferner tan 15◦ = tan π/12, da 360◦ dem Bogenmaß 2π entspricht. AusAbbildung 4 ersieht man

tanπ12

=S12/2

g=

√2−√

32

:√

12 − S212/4

=

√2−√

32

:

√4− (2−

√3)

4=

√2−√

32

:

√2 +√

32

= 2−√

3 = 0,267 95 . . .

Man sieht das Ergebnis ein, wenn man den letztgenannten Doppelbruch mit der Wurzelaus 2−

√3 erweitert. Es ist also arctan(2−

√3) = π/12, und aus unserer Formel (17.2)

wird jetzt der schon wesenlich besser konvergierende Ausdruck

π12

=2−√

31

− (2−√

3)3

3+

(2−√

3)5

5− . . . ad inf.(17.4)

Das dritte Glied z. B. hat nur noch den Wert 0,000 28.

tan 30◦ = π/6 ist nach Abbildung 4 noch einfacher zu bestimmen, nämlich zu 1/√

3; aberdie darauf ausgerichtete arctan-Reihe konvergiert nur wenig besser als die Leibniz-Reihe(17.2).

Man könnte nun in der angegebenen Weise weitergehen und durch fortwährende Winkel-teilung, stets unter Verwendung von (17.1), zu immer schneller konvergierenden Reihenfür π kommen. Doch es gibt einen Trick, der viel eleganter zum Ziel führt; er sei hier amBeispiel der Machin’schen Formel erläutert (J. MACHIN, 1706). Der Grundgedanke istauch von GAUSS, STÖRMER, MEISEL und anderen benutzt und weiterentwickelt worden.

Es geht hier ganz ohne die lästigen Wurzeln. Man setzt tan α = 1/5 und wendet das – hiervorauszusetzende – Additionstheorem der Tangensfunktion an:

tan 2α =2 tan α

1− tan2 αhier:

2 · 15

1− 125

=512

und daraus

tan 4α =2 · 5

12

1− 25144

=120119

Dieser Tangens-Wert liegt schon nahe bei 1, der zugehörige Bogen also nahe bei π/4.Was jetzt noch fehlt, kann nur die Funktion eines Korrekturgliedes haben. Wir nennen esβ und setzen

π4

= 4α − β → β = 4α − π4

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17 π hat nicht nur mit dem Kreis zu tun 161

und wenden nun erneut das Additionstheorem für die Tangensfunktion an:

tan(α1 − α2) =tan α1 − tan α2

1 + tan α1 · tan α2, hier also

tan β =tan 4α − tan π/4

1 + tan 4α · tan π/4=

120119− 1

1 +120119

=1

239(tan

π4

= 1)

β = arctan1

239Damit haben wir die Machin-Formel für π/4 gewonnen:

π4

= 4 arctan15− arctan

1239

= 4

(15− 1

3· 1

53+

15· 1

55− 1

7· 1

57+ − . . .

)

−(

1239− 1

3· 1

2393+

15· 1

2395− + . . .

)

Diese Reihen konvergieren schnell, insbesondere die zweite; sie sind gut zu berechnen.

Die Formeln von GAUSS und STÖRMER haben jeweils drei Glieder; es sind also dreiarctan-Reihen involviert:

GAUSS:π4

= 12 arctan1

18+ 8 arctan

157− 5 arctan

1239

STÖRMER:π4

= 6 arctan18

+ 2 arctan1

57+ arctan

1239

Diese beiden Formeln sind 1961 für die numerische Berechnung von π mit dem Computerbenutzt worden, wodurch man die ersten 100 265 Dezimalstellen auflisten konnte. Diedazu notwendige Rechenzeit war im Falle der Gauß-Formel nur halb so groß wie bei Be-nutzung der Störmer-Gleichung. Das ist verständlich, denn das erste Glied des Gauß’schenAusdrucks konvergiert bereits sehr rasch.

Eine weitere, wegen der Zehnerpotenzen sehr bequem zu handhabende Formel – selbstleicht abzuleiten – lautet folgendermaßen:

π4

= 8 arctan1

10− arctan 0,011 951 6.

Sie kann in der gleichen Weise bestimmt werden wie die Machin-Formel, was jetzt nichtmehr im Einzelnen durchgeführt wird. Berechnet man von der Reihe für arctan 1/10 fünfGlieder und von der anderen Reihe zwei, so erhält man nach Addition

π = 3,141 592 654 7

der wahre Wert auf 10 Stellen ist

π = 3,141 592 653 6 . . .

Das wäre also eine sehr bequeme und genaue Berechnung von π mit Bordmitteln (sprich:Kleincomputer). Den sieben hier zur Berechnung benutzten Gliedern sind die oben

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162 Zahlentheoretische Kostproben

erwähnten 5 000 Glieder der Formel (17.2) gegenüber zu stellen, die doch nur eineGenauigkeit von 10−4 bis 10−5 lieferten.

Es ist der entscheidende Gedanke bei der Herleitung dieser Ansätze für π, von einemeinfachen Wert für den Tangens auszugehen, z. B. 1/5 oder 1/8; man kümmert sich dabeinicht darum, wie der zugehörige Winkel aussieht. Geht man umgekehrt aus von einembestimmten Bogen (π/12, π/6), so erhält man dagegen einen umständlichen Wurzelaus-druck für den Tangens, der in die Berechnung der arctan-Reihe eingehen muss. Es wirddann im ersten Falle weiterhin mithilfe des Additionstheorems der Bogen π/4 in zweioder mehr Teile zerlegt, denen jeweils rasch konvergierende arctan-Reihen zugeordnetwerden können.

Das Wallis-Produkt. Außer den verschiedenen (übrigens sehr zahlreichen) Darstellungender Zahl π mittels Reihen gibt es eine seltsam anmutende Produktdarstellung, die aufJOHN WALLIS (1616–1703) zurückgeht und von ihm quasi empirisch gefunden wurde:

π2

= limn→∞

224262 . . . (2n)2

123252 . . . (2n− 1)2· 1

2n + 1(17.5)

WALLIS hatte große Schwierigkeiten, π einigermaßen genau zu berechnen. Er ging dazuvom Flächeninhalt eines Viertelkreises aus, den er in kleine Segmente mit parallelen Be-grenzungen aufteilte. Für den Einheitskreis mit dem Koordinatenursprung als Mittelpunktgilt die Gleichung

x2 + y2 = 1 oder y =√

1− x2

Der Flächeninhalt eines jeden Segmentes war dann ∆x ·√

1− x2. Diese Segmente muss-ten nun in mühsamer und zeitraubender Weise berechnet und aufaddiert werden, mithinreichend kleinem ∆x, was eine entsprechend hohe Zahl von Summanden bedeutete.Integrieren konnte man damals noch nicht.

Die Formel (17.5) ließ sich später mithilfe der Integralrechnung auf sehr elegante Weiseherleiten. Wir können uns dazu die Wiedergabe der – nur auf den ersten Blick furchterre-genden – Integrale nicht verkneifen:

π/2Z

0

sin2n x dx =2n− 1

2n

π/2Z

0

sin2n−2 x dx =(2n− 1)(2n− 3)

2n(2n− 2)

π/2Z

0

sin2n−4 x dx . . .(17.6)

=(2n− 1)(2n− 3)(2n− 5) . . . 1

2n(2n− 2)(2n− 4) . . . 2· π

2π/2Z

0

sin2n+1 x dx =2n(2n− 2)(2n− 4) . . . 2

(2n + 1)(2n− 1)(2n− 3) . . . 3· 1(17.7)

π/2Z

0

sin2n−1 x dx =(2n− 2)(2n− 4)(2n− 6) . . . 2(2n− 1)(2n− 3)(2n− 5) . . . 3

· 1(17.8)

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17 π hat nicht nur mit dem Kreis zu tun 163

Da stets sin x 5 1 ist, gilt (17.7) 5 (17.6) 5 (17.8). Diese Ungleichung dividieren wirdurch den Ausdruck (17.7) und erhalten

1 5 (2n + 1)(2n− 1)2(2n− 3)2(2n− 5)2 . . . 12

(2n)2(2n− 2)2(2n− 4)2 . . . 22· π

25 2n + 1

2n= 1 +

12n

Für n → ∞ rücken die Grenzen zusammen und der eingeklemmte mittlere Term wirdgleich 1; bringt man nun noch π/2 auf die andere Seite, so resultiert die Wallis-Formel(17.5).

Die Ausdrücke (17.6), (17.7) und (17.8) lassen sich leicht durch partielle Integrationgewinnen, was in jedem Lehrbuch der Infinitesimalrechnung nachzulesen ist. Man beachteim Falle der Formel (17.6)

π/2Z

0

sin0 x dx =π/2Z

0

1 dx =π2

Nur so wird π überhaupt in die Formel (17.5) hineinpraktiziert!

Das Wallis-Produkt konvergiert schlecht. Für n = 10 erhält man π ≈ 3,067 8, eine sehrgrobe Näherung. Es ist das Produkt (17.5) aber unter anderem von Bedeutung für dieHerleitung der Stirling-Formel. Diese wiederum wird benötigt für die rechen-praktischeAbschätzung der Fakultät n!, falls n groß ist – siehe dazu Kapitel 23. Die Stirling-Formelgehört heute zum Handwerkszeug jedes Mathematikers.

π war Anfang des 17. Jahrhunderts mit seinen ersten 35 Dezimalstellen bekannt. Das wardas Verdienst von LUDOLPH VAN CEULEN, weshalb π eine zeitlang Ludolph’sche Zahlgenannt wurde. Heute ist diese Bezeichnung ungebräuchlich. LUDOLPH rechnete nochnach der alten Vieleck-Methode – welch eine Mühsal muss das gewesen sein!

Am Ende des 18. Jahrhunderts war π mit 140 Dezimalziffern bekannt, und im letztenViertel des 19. Jahrhunderts brachte es einer mit Papier und Bleistift gar auf 707 Ziffern,wovon, wie sich später herausstellte, einige falsch waren. Als dann die Computer-Äraanbrach, gab es kein Halten mehr. Es wurden die bereits genannten 100 265 Ziffernberechnet.1) Der derzeitige Rekord der Berechnung von π stammt aus dem Jahr 2010und wird durch S. KONDO und A. J. YEE mit 5 000 000 000 000 Stellen gehalten2).

Die Irrationalität von π wurde 1767 bewiesen durch JOHANN HEINRICH LAMBERT.Die Transzendenz von π konnte erst 1882 durch F. LINDEMANN gezeigt werden. Dererstgenannte Beweis ist schwierig darzustellen, im Vergleich zum Falle e, für dessenIrrationalität wir hier gleich zwei Beweise geliefert haben. Der Beweis der Transzendenzvon π ist noch heikler.

πππ und die Zetafunktion. Die Mathematiker haben lange gerätselt, welchen Wert wohl dieso einfach gebaute Summe ζ (2) hat:

ζ (2) =112

+122

+132

+142

+ . . .

1) Die Geschichte dieses Zahlensports ist ergötzlich nachzulesen bei P. BECKMAN, p. 99–103 und 183–189.Siehe dazu auch Kapitel 5.

2) http://numbers.computation.free.fr/Constants/Miscellaneous/Records.html

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164 Zahlentheoretische Kostproben

LEIBNIZ hat sich vergebens um dieses Problem bemüht, und anderen ging es nicht besser.Man wusste nur, dass die Reihe eine definierte Summe hat, denn der Konvergenzbeweisist leicht zu erbringen (siehe Kapitel 15). LEONHARD EULER jedoch gelang die Lösungdes Summationsproblems im Jahre 1736; er fand

ζ (2) =∞∑i=1

i−2 =π2

6(17.9)

hiervon wurde schon Gebrauch gemacht.

Damit wären wir beim Thema: π hat nicht nur mit dem Kreis zu tun.

EULERs Beweis ist genial. Er geht davon aus, dass die Gleichung sin x = 0 die Lösungen0, 2π, 3π, . . . , nπ hat (Periodizität!). Ferner gilt nach dem Taylor-Satz

sin x =x1!− x3

3!+

x5

5!− x7

7!+ . . . = 0; wir formen um zu

sin x = x

(1− x2

3!+

x4

5!− x6

7!+ . . .

)= 0

Hier ist nun entweder x gleich null oder der Ausdruck in der Klammer ist null; dieLösungen x = π, x = 2π, x = 3π, . . . beziehen sich also auf die Klammer. Mit derSubstitution x2 = y erhält man für den Klammerausdruck

1− y3!

+y2

5!− y3

7!+ . . . = 0(17.10)

Nun gibt es einen Satz aus der Algebra, wonach die Summe der Kehrwerte der n Lösungeneiner Gleichung vom n-ten Grade (entsprechend der Formel 1+a1x+a2x2+. . . +anxn = 0)gleich−a1 ist. Man prüfe das nach für die Lösungen x1 = 1, x2 = 2, x3 = 3 der Gleichung

−16

(x− 1)(x− 2)(x− 3) = 0.

Es hat aber die obige Gleichung (17.10) unendlich viele Lösungen, nämlich π2, (2π)2,(3π)2, . . . Damit fällt uns der gesuchte Beweis gleichsam in den Schoß, denn nach demgenannten Lehrsatz aus der Algebra muss jetzt gelten

112π2

+1

22π2+

132π2

+ . . . ad infinitum = − − 13!

=16

oder

112

+122

+132

+142

+ . . . ad infinitum =π2

6q. e. d.

EULER fand auch die Formel für die Verallgemeinerung von (17.9)

ζ (k) =∞∑i=1

i−k =12· |Bk|(2π)k

k!k ist hier eine gerade Zahl.(17.11)

Die Bk sind die so genannten Bernoulli-Zahlen; sie spielen für die Berechnung vonSummen bei diskontinuierlich wachsendem Argument eine große Rolle (Gegenstück:Integralrechnung; hier verändert sich das Argument kontinuierlich). Im Kapitel 23 wirdauf die Bernoulli-Zahlen näher eingegangen.

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17 π hat nicht nur mit dem Kreis zu tun 165

Aus (17.11) erhält man die folgende Tabelle:

ζ (2) =π2

6, ζ (4) =

π4

90, ζ (6) =

π6

945, ζ (8) =

π8

9 450, ζ (10) =

π10

93 555EULER gab diese Formeln an bis zu einem Wert von k = 26. Natürlich streben dieSummen ζ (k), wie man ihrer Definition entnimmt, mit wachsendem k von oben gegen1 (Kapitel 15); es ist bereits ζ (10) = 1,000 994 6 . . . Es müssen also die Zahlen Bk mitwachsendem k unendlich groß werden; gemäß (17.11) ist

|Bk| =2k!

(2π)k· f (k) mit f (k)→ 1 für n→∞

Da die Funktion k! rascher wächst als (2π)k, wird Bk ab etwa k = 14 schnell eine sehrgroße Zahl.

Es ist interessant: Man kennt solche geschlossenen Formeln für ζ (k) nur für geradesk; für k = 5 oder k = 7 gibt es keine entsprechende Berechnung und man hat trotzangestrengten Suchens keine gefunden. ζ (3), ζ (5), ζ (7), . . . können aber durch spezielleAusdrücke dargestellt und berechnet werden (Euler-Verfahren, siehe Kapitel 23), ohnedass man jeweils die Glieder mühsam aufaddieren muss. Für ζ (3) hat man wenigstens dieIrrationalität beweisen können; für ζ (5), ζ (7), . . . ist das noch offen.

Aus der Formel für ζ (2) lassen sich noch zwei bemerkenswerte Ableger gewinnen. Es ist

122

+142

+162

+182

+ . . . =14

(112

+122

+132

+142

+ . . .

)=

π2

24

Das ist die Summe der Kehrwerte der geraden Quadratzahlen.

122

+132

+152

+172

+ . . . =π2

6− π2

24=

π2

8Das ist die Summe der Kehrwerte der ungeraden Quadratzahlen.

Von der Zetafunktion ζ (s) war schon im Zusammenhang mit der harmonischen Reihedie Rede. Das Argument wurde hier als ganzzahlig (s = k) betrachtet. Aber s kann auchbruchzahlig sein, z. B. s = 1,1 oder 2,75. Dass der Reihenausdruck (mit s > 1) auch indiesem Falle stets konvergiert, ζ (s) also einen definierten Wert hat, wurde in Kapitel 15bereits gezeigt.

Die Zetafunktion taucht ferner auf bei der Dichteberechnung von bestimmten natürlichenZahlen in der Zahlengesamtheit, worauf wir in Kapitel 24 zurückkommen. Dort wirdauch erörtert, wie man zu der folgenden, auf den ersten Blick so merkwürdig anmutendenIdentität kommt:

ζ (s) =∞∑i=1

i−s =1

1− 12s

· 1

1− 13s

· 1

1− 15s

· 1

1− 17s

· . . . · 1

1− 1ps

· . . .

Das rechts stehende unendliche Produkt ist über alle Primzahlen zu erstrecken. Man kanndas auch abgekürzt so notieren (mit s > 1):

ζ (s) = ∏ 11− p−s

, zu erstrecken über alle p.(17.12)

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166 Zahlentheoretische Kostproben

Die Zetafunktion ist also sowohl als unendliche Summe wie als unendliches Produkt zuschreiben. Eine leicht nachzuvollziehende Folgerung aus (17.12) lautet:

∑i(P)

i−s = ∏ 11− p−s

mit p 5 P(17.13)

Das soll heißen: Die Summe links ist über alle natürlichen Zahlen i zu erstrecken, die nurPrimzahlen p nicht größer als eine fest vorgegebene Primzahl P enthalten.1) Das Produktrechts ist über alle Primzahlen p zu erstrecken, die kleiner/gleich P sind.

Beispiel: Sei s = 2 und P = 3; es sollen also in obige Ausdrücke nur die Primzahlenp1 = 2 und p2 = 3 eingehen. Dann gilt

112

+122

+132

+142

+162

+182

+192

+1

122+

1162

+1

182+

1242

+ . . .

=1

1− 122

· 1

1− 132

=32

(17.14)

Wenn wir in dieser Weise die auftretenden Primzahlen begrenzen, ist die rechte Seitevon (17.13) endlich und folglich auch die linke. Die folgende Reihe, wieder mit P = 3,konvergiert deshalb auch, obwohl s = 1 ist!

11

+12

+13

+14

+16

+18

+19

+1

12+ . . . =

1

1− 12

· 1

1− 13

= 3

Ist P = 31, dann lautet der entsprechende Grenzwert 6,542. Man kann auf diese Weise zuReihenentwicklungen mit beliebig hohen Grenzwerten kommen; man hat dazu nur jeweilsdie Primzahl P genügend hoch anzusetzen. Von π ist in solchen Ausdrücken keine Redemehr.

πππ und die Ellipse. π hat nicht nur mit dem Kreis zu tun; diese Zahl regiert auch die Ellipse.Wir nennen die große Halbachse der Ellipse a, die kleine b. Es ist dann die EllipsenflächeF = πab.

Man bezeichnet mit ε die numerische Exzentrizität der Ellipse, nämlich

ε =

√1− b2

a2; es ist also 0 5 ε 5 1(17.15)

Mit a = b = r wird ε = 0, und es geht die Ellipse in einen Kreis über. Aus der Formel fürdie Ellipsenfläche wird dann, wie es sich gehört, die Kreisformel F = πr2.

Wer gern Analogieschlüsse zieht, könnte nun versucht sein, den Ellipsenumfang mitU = π(a + b) anzusetzen; denn diese Formel geht für a = b = r ebenfalls in die fürden Kreisumfang, U = 2πr, über.

1) Die 1 wird üblicherweise nicht als Primzahl gerechnet; gleichwohl enthält diese Summe auch die 1. Dasist eine etwas merkwürdige Inkonsequenz.

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17 π hat nicht nur mit dem Kreis zu tun 167

Das ist falsch. Diese Analogie besteht nicht. Stellen wir uns eine Ellipse hoher Exzentri-zität vor, eine sehr flache also. Der Umfang muss dann größer sein als 4a, und das stimmtnicht mit 3,14 · (a + b) überein, wenn b klein ist.

Eine recht praktische Näherungsformel für den Ellipsenumfang lautet

U = π(

3(a + b)2

−√

ab

)(17.16)

Mit a = b = r kommt wieder der Kreisumfang heraus. Setzt man aber z. B. b/a = 0,7, istdie kleine Halbachse also nur 70 % der großen, so wird der Ellipsenumfang bei a = 1 zu5,382 6 berechnet; der wahre Umfang ist hier 5,382 4 . . . Die Näherung ist also recht gut;sie wird noch besser für b/a = 0,8 oder 0,9.

Wie aber gelangt man zum exakten Ellipsenumfang? Der Nachweis ist nicht schwierig,aber die Darstellung langatmig. Das Prinzip wenigstens sei angedeutet: Man geht aus vomallgemeinen Ansatz für die Länge des Ellipsenbogens

U = a2πZ

0

√1− ε 2 sin2 φ dφ

U wird mithilfe der Binomialformel in eine Reihe verwandelt und diese dann gliedweiseintegriert. Schließlich erhält man

U = 2πa

(1−

(12

)2 ε 2

1−(

1 · 32 · 4

)2 ε 4

3−(

1 · 3 · 52 · 4 · 6

)2 ε 6

5− . . .

)

Für ε = 0 ergibt sich wieder der Kreisumfang. Für ε -Werte nahe an 1, also für sehrgestreckte Ellipsen, konvergiert die Reihe schlecht (aber sie konvergiert). So ist fürb/a = 0,5 der Wert ε gleich 0,866 . . . und ε 10 beispielsweise wird 0,237 . . . ; das ergibteine höchst unbequeme Rechnung. In diesen Fällen funktioniert die Näherung (17.16) erstrecht nicht mehr. Man sieht: So simpel die Berechnung des Kreisumfangs ist, wenn manerst einmal π hat, so umständlich ist die Bestimmung des Umfangs der Ellipse.

πππ und die Hyperkugeln. Eine faszinierende Anwendung der Integralrechnung ist dieBestimmung des Volumens Vk der k-dimensionalen Hypersphären.

Hier ist zunächst darzustellen, wie man auf ein solches Volumen bei k > 3 kommt.Also: Eine Kugel hat das Volumen 4πr3/3. Ein Kreis hat die Fläche πr2. Man kann dieFläche als Volumen in der zweiten Dimension auffassen. Entsprechend kann man denKreisdurchmesser 2r als Volumen in der ersten Dimension betrachten. Die Maßzahlenwerden dann ausgedrückt in (z. B.) cm, cm2, cm3, . . . . Es ist also in der Dimension 1

V1 = 2r = V1(r)

Wir setzen an für die Dimension k als allgemeine Formel

Vk = Vk(r) = 2rZ

0

Vk−1(y) dx mit y =√

r2 − x2

Verlag Harri Deutsch – Kempermann: Zahlentheoretische Kostproben – (978-3-8171-1877-9)

168 Zahlentheoretische Kostproben

Aus V1 erhalten wir so V2, die Kreisfläche

V2 = 2rZ

0

V1(y) dx = 2rZ

0

2y dx = 4rZ

0

√r2 − x2 dx = πr2

Aus V2 erhalten wir V3, das Kugelvolumen

V3 = 2rZ

0

V2(y) dx = 2rZ

0

πy2 dx = 2rZ

0

π(r2 − x2) dx

= 2π(

r2x− x3

3

) ∣∣∣r

0=

43

πr3

Kühn begeben wir uns in die vierte Dimension und berechnen V4 („Hyperkugel“)

V4 = 2rZ

0

V3(y) dx = 2rZ

0

43

πy3 dx =8π3

rZ

0

(√r2 − x2

)3dx

Mit der Abkürzung8π3

= f erhält man daraus

V4 = frZ

0

(r2 − x2)√

r2 − x2 dx = frZ

0

r2√

r2 − x2 dx (1)

− frZ

0

x2√

r2 − x2 dx (2)

Der Term (1) ist gleich fπr4

4; den Wert des Integrals (2) entnehmen wir einer For-

melsammlung und erhalten dafür − f · r4

8arcsin 1. Nun ist aber arcsin 1 =

π2

, da zum

Sinuswert 1 der Viertelkreisbogen gehört. Es resultiert

V4 = (1) + (2) =8π3

(πr4

4− πr4

16

)=

π2r4

2

In der vierten Dimension taucht also für das Volumen der Hyperkugel die Zahl π imQuadrat auf.

Nehmen wir die Geduld des Lesers noch für die Integration zur Gewinnung von V5 inAnspruch:

V5 = 2rZ

0

π2y4

2dx =

rZ

0

π2(r2 − x2)2 dx = π2rZ

0

(r4 − 2r2x2 + x4) dx

= π2

(r4x− 2r2 x3

3+

x5

5

∣∣∣r

0

)= π2

(r5 − 2r5

3+

r5

5

)=

8π2r5

15

Das Volumen der fünfdimensionalen Hyperkugel enthält also ebenfalls den Faktor π2. FürV6 aber errechnet man

V6 =π3r6

6

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17 π hat nicht nur mit dem Kreis zu tun 169

Jetzt tritt π in der dritten Potenz auf! Wie ersichtlich, steigt die Potenz von π in der Reihungder Volumina V1, V2, V3, . . . mit π0, π1, π1, π2, π2, π3, π3, . . . an.

Die nachstehende Tabelle fasst die Ergebnisse zusammen.

Dimension k Volumen Vk Zahlenwert Vk (r = 1)1 2r 22 πr2 3,14

34πr3

34,19

4π2r4

24,93

58π2r5

155,26

6π3r6

65,17

716π3r7

1054,72

8π4r8

244,06

932π4r9

9453,30

10π5r10

1202,55

20π10r20

10!2,58 · 10−2

100π50r100

50!2,37 · 10−40

In der Tabelle stecken als allgemeines Gesetz die folgenden Formeln für die Volumina derk-dimensionalen Hypersphären:

Vk =πk/2−1/22k/2+1/2

1 · 3 · 5 · . . . · k · rk für ungerades k

Vk =πk/2

(k/2)!· rk für gerades k

Zu unserer Verblüffung hat die Folge der Volumina ein flaches Maximum für die fünfteDimension (k = 5). Mit wachsendem k fallen also die Werte wieder ab und gehenschließlich gegen null. Die Hypersphären krümmen sich, je höher die Dimension wird,derart in sich selbst zusammen, dass sie ihr eigenes Volumen schließlich verschwindenlassen. Das stelle sich vor, wer kann.1)

1) Die Oberflächen Ok der Hypersphären haben ihr Maximum für k = 6. Ok verschwindet ebenfalls für kgegen unendlich.

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170 Zahlentheoretische Kostproben

Dass dies alles im k-dimensionalen Raum keinesfalls immer so ist, zeigt ein kurzer Exkursin die Welt der Hyperkuben: Der „Kubus“ der 1. Dimension ist wieder eine Linie, deren„Inhalt“ wir a nennen. Der Kubus der 2. Dimension – entsprechend der Kreisfläche – istdas Quadrat vom Inhalt a2. Der Kubus der 3. Dimension, Kubus im engeren Sinne, hat dasVolumen a3. In der 4., 5., 6., . . . Dimension geht es dann weiter mit a4, a5, a6, . . . Setzenwir nun a = 1, so bleibt der Rauminhalt der Hyperkuben stets 1, dies im Gegensatz zumVolumen der k-dimensionalen Hypersphären.

Gegensätzlich ist auch das Verhalten der Durchmesser. Diese – als d = 2r – bleiben beiden Hypersphären stets gleich, sind also in der Einheitssphäre immer gleich 2. Anders beiden Hyperkuben: Im Einheitsquadrat ist die Diagonale d =

√2. Mit dem Lehrsatz des

PYTHAGORAS lässt sich leicht die Raumdiagonale im Einheitswürfel zu√

3 bestimmen:

12 + 12 = 2 → d =√

2

(√

2)2 + 12 = 3 → d =√

3

. . .

In der vierten Dimension gilt hier nach analoger Rechnung d =√

4 = 2, in der fünftend =

√5 . . . , in der hundertsten d =

√100 = 10. Das ist wiederum verblüffend: Die

Seite a des Hyperkubus bleibt 1, aber seine Diagonale wird immer größer. In einemk-dimensionalen Würfel von der Kantenlänge eines Zuckerstücks könnte man einenElefanten beziehungsweise das Empire State Building unterbringen – wenn k groß genugist. Umgekehrt ist es in der Welt der Hypersphären: In eine Kugel vom Durchmesser von(z. B.) 1 Lichtjahr würde bei hinlänglich großem k gerade ein Liter Wasser hineingehen.

Es geht übrigens die Oberfläche der Hyperkuben für k→∞ ebenfalls gegen∞, wiederumim Gegensatz zu den Verhältnissen bei den Hypersphären (es ist hier zu beachten:Kantenlänge und Durchmesser bzw. Diagonale behalten hier die Dimension 1, also z. B.cm; Oberflächen sind dagegen stets von der Dimension k − 1). Es hat das Quadrat die„Oberfläche“ 4a; dem Kubus ist die Oberfläche 6a2 zugeordnet; ein 4-dimensionalerHyperkubus hat die Oberfläche 8a3; ein 5-dimensionaler zeigt 10a4 und so fort. Wennwir a = 1 setzen, wächst die Oberfläche ensprechend dem Wert 2k.