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Zahndrehungen bei Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten A. Masztalerz, J. Penkala, Wroclaw/Breslau Lehrstuhl ftir Kieferorthop/idie an der Medizinischen Akademie in Wroclaw (Leiter: Prof. Dr. habil. A. Maszmlerz), Institut fhr die gesundheitliche Betreuung yon Mutter und Kind (Direktor: Dr. M. Przystawa) Bei Gaumenspalten bestehen neben ausgepr~gten GebiBanomalien wie der Pseu- doprogenie und dem ein- oder beidseitigen Kreuzbil3, bei denen der Oberkiefer eine betr~ichtliche Unterentwicklung aufweist, verschiedene Anomalien der Z~ihne. Sie betreffen die Anzahl, Form und Lage der seitlichen Schneidez/ihne und sind am h~iu- figsten im Bereich der Spalte anzutreffen. Oft k6nnen wir Zahndrehungen beobach- ten, die meist die mittleren Schneidez~ihne betreffen, seltener die lateralen, in der N~ihe der Gaumenspalte. Im allgemeinen brechen diese Z~ihne palatinal durch, sind oft um mehr als 90 ~ ihre L~ingsachse gedreht, gelegentlich total gedreht, so dab die palatinale Fl~iche labialw~irts steht. Diese Zahnstellungsanomalien verst~irken die bereits bestehende Gebi6anomalie, erschweren ihre Therapie, verschlechtern die Jksthetik und stellen eine Ursache ffir Traumen dar. Aus den klinischen Beobachtungen geht hervor, dab bei Kindern mit Gaumen- spalten St6rungen in der Frontzahnstellung - speziell Rotationen - h~iufiger im blei- benden Gebi6 als im MilchgebiB auftreten. Unser Patientengut umfaBt eine Gruppe von 448 Kindern mit Gaumenspalten, davon 256 Knaben und 192 M~idchen. Eine Rotation bleibender Z~ihne wurde bei 156 Patienten (35,7%), davon 136 mittlere Schneidez/ihne, und bei 70 (15,5%) im MilchgebiB beobachtet. Die Rotationen wa- ten unterschiedlich stark ausgepr~igt, wobei Zahndrehungen um mehr als 90 ~ bei 34,4% aller Rotationen bestanden. Ursache derartiger St6rungen ist die anomale Lage der Zahnkeime, eine Schw~i- chung des Wachstumspotentials des Oberkiefers oder die Anlage hberz~ihliger Z~ih- ne und atypischer Zahnkeime. GroBen EinfluB auf die Zahnstellung fiben die un- gleichm/iBige Spannung der operierten Oberlippe sowie die falsche Lage der Zunge aus. Der hohe Anteil der genannten Anomalien sowie die Notwendigkeit, so viele Z/ihne wie m6glich im Oberkiefer bei Patienten mit Gaumenspalten zu erhalten, ver- anlaBten uns, wirksame Methoden zur kieferorthop~idischen Therapie gedrehter Z~ihne anzuwenden. Drehungen yon Z/ihnen um ihre L~ingsachse geh6ren zu den schwierigen Aufga- ben in der Kieferorthop/idie. Aus diesem Grunde empfiehlt z.B. Izard [1] eine Unterlassung kieferorthop/idischer Behandlung bei Rotationen um mehr als 90 ~ und spricht sich fhr eine prothetische Versorgung aus. Die Mehrzahl der Autoren [2, 3] empfiehlt eine Therapie mit festsitzenden Appa- raturen. Neben mechanischen Vorteilen haben diese abet auch den Nachteil, dab sie im hohen MaBe eine exakte Mundhygiene erschweren, eine Ansiedlung der Plaque Fortschr. Kieferorthop. 48 (1987), 21--25 (Nr. 1) 21

Zahndrehungen bei Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten

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Zahndrehungen bei Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten

A. Masztalerz, J. Penkala, Wroclaw/Breslau

Lehrstuhl ftir Kieferorthop/idie an der Medizinischen Akademie in Wroclaw (Leiter: Prof. Dr. habil. A. Maszmlerz), Institut fhr die gesundheitliche Betreuung yon Mutter und Kind (Direktor: Dr. M. Przystawa)

Bei Gaumenspalten bestehen neben ausgepr~gten GebiBanomalien wie der Pseu- doprogenie und dem ein- oder beidseitigen Kreuzbil3, bei denen der Oberkiefer eine betr~ichtliche Unterentwicklung aufweist, verschiedene Anomalien der Z~ihne. Sie betreffen die Anzahl, Form und Lage der seitlichen Schneidez/ihne und sind am h~iu- figsten im Bereich der Spalte anzutreffen. Oft k6nnen wir Zahndrehungen beobach- ten, die meist die mittleren Schneidez~ihne betreffen, seltener die lateralen, in der N~ihe der Gaumenspalte. Im allgemeinen brechen diese Z~ihne palatinal durch, sind oft um mehr als 90 ~ ihre L~ingsachse gedreht, gelegentlich total gedreht, so dab die palatinale Fl~iche labialw~irts steht. Diese Zahnstellungsanomalien verst~irken die bereits bestehende Gebi6anomalie, erschweren ihre Therapie, verschlechtern die Jksthetik und stellen eine Ursache ffir Traumen dar.

Aus den klinischen Beobachtungen geht hervor, dab bei Kindern mit Gaumen- spalten St6rungen in der Frontzahnstellung - speziell Rotationen - h~iufiger im blei- benden Gebi6 als im MilchgebiB auftreten. Unser Patientengut umfaBt eine Gruppe von 448 Kindern mit Gaumenspalten, davon 256 Knaben und 192 M~idchen. Eine Rotation bleibender Z~ihne wurde bei 156 Patienten (35,7%), davon 136 mittlere Schneidez/ihne, und bei 70 (15,5%) im MilchgebiB beobachtet. Die Rotationen wa- ten unterschiedlich stark ausgepr~igt, wobei Zahndrehungen um mehr als 90 ~ bei 34,4% aller Rotationen bestanden.

Ursache derartiger St6rungen ist die anomale Lage der Zahnkeime, eine Schw~i- chung des Wachstumspotentials des Oberkiefers oder die Anlage hberz~ihliger Z~ih- ne und atypischer Zahnkeime. GroBen EinfluB auf die Zahnstellung fiben die un- gleichm/iBige Spannung der operierten Oberlippe sowie die falsche Lage der Zunge aus. Der hohe Anteil der genannten Anomalien sowie die Notwendigkeit, so viele Z/ihne wie m6glich im Oberkiefer bei Patienten mit Gaumenspalten zu erhalten, ver- anlaBten uns, wirksame Methoden zur kieferorthop~idischen Therapie gedrehter Z~ihne anzuwenden.

Drehungen yon Z/ihnen um ihre L~ingsachse geh6ren zu den schwierigen Aufga- ben in der Kieferorthop/idie. Aus diesem Grunde empfiehlt z.B. Izard [1] eine Unterlassung kieferorthop/idischer Behandlung bei Rotationen um mehr als 90 ~ und spricht sich fhr eine prothetische Versorgung aus.

Die Mehrzahl der Autoren [2, 3] empfiehlt eine Therapie mit festsitzenden Appa- raturen. Neben mechanischen Vorteilen haben diese abet auch den Nachteil, dab sie im hohen MaBe eine exakte Mundhygiene erschweren, eine Ansiedlung der Plaque

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begfinstigen und damit der Karies Vorschub leisten. Im allgemeinen tritt die Karies bei diesen Kindern ohnehin hfiufiger auf, zumal die Eltern wegen der Schwere der angeborenen Anomalien meist verhfiltnismfigig wenig Aufmerksamkeit der Mund- hygiene ihrer Kinder widmen. Als Folge davon sind die ersten Molaren so stark be- schfidigt, dal3 sie sich ffir eine Bebfinderung nicht eignen. In dem frtihen Stadium des Wechselgebisses, das sich f/Jr derartige Behandlungen besonders gut eignet, besteht deswegen keine M6glichkeit zur Verankerung des Bogens. Aus diesem Grunde emp- fehlen wir die aktive Platte und je nach Indikation verschiedene Modifikationen der Federelemente. Die nachfolgenden klinischen Beispiele sollen die Wirksamkeit die- ser alten und einfachen Methode belegen.

Fall 1: Die Patientin S.D. mit einer linksseitigen Lippen-Kieferspalte war vom 3. Lebensmonat an in Beobachtung. Die Lippenplastik erfolgte im 6. Lebensmonat in der Klinik f/Jr Plastische Chirurgie in Polanica. Im 7. Lebensjahr, zum Zeitpunkt des Zahnwechsels, wurden eine Mesiorotation des linken mittleren Schneidezahnes um fast 90 ~ und andere Zahnanomalien festgestellt (Abb. 1). Der Patientin wurde eine aktive Platte mit Schraube und modifizierten Federn zur Drehung des Zahnes 21 ein-

Abb. I. Fall 1, Patientin S.D. Links vor, rechts nach der Behandlung (12 Monate).

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Abb. 2. Fall 2, Patientin S.B. Links vor, rechts nach der Behandlung (6 Jahre).

gesetzt. Nach einem Jahr war eine wesentliche Besserung der Zahnstellung eingetre- ten. Eine zus~itzliche Schwierigkeit bestand durch den linken seitlichen Zapfenzahn. Das M~idchen ist weiterhin in Behandlung und erfordert eine Beobachtung bis zum Abschlul3 des Zahnwechsels.

Fall2: Die Patientin S.B. stellte sich mit einer Lippen-Kiefer-Gaumenspalte zur kie- ferorthop~idischen Behandlung im Alter von 11 Jahren vor (Abb. 2). Es bestanden eine unechte Progenie und eine Mesiorotation von 90 ~ des mittleren rechten Schnei- dezahnes, eine Retrusion des linken mittleren Schneidezahnes, eine palatinale Stel- lung des seitlichen linken Schneidezahnes, ein Platzmangel f/Jr den linken Eckzahn sowie eine Zapfenform des rechten seitlichen Schneidezahnes. Die Patientin erhielt eine aktive Platte mit Schraube, Federelementen zu Zahndrehungen und einen Pro- geniebfigel. Das intensive Wachstum des Unterkiefers sowie der frontale Engstand und die Unterentwicklung des Oberkiefers bestimmten die Indikation zur Extrak- tion im Unterkiefer. Es wurden die Z~ihne 44 und 35 entfernt und eine Unterkiefer- platte eingesetzt. Nach 6 Jahren war eine weitgehende Normalisierung des Gebisses erreicht; die Patientin wird einer prothetischen Versorgung zugeffihrt.

Fall 3: Der Patient W.G. wurde wegen einer linksseitigen Lippen-Kiefer-Spalte vom 8. Lebensjahr an kieferorthop~idisch behandelt (Abb. 3). Es bestanden ein partieller linksseitiger KreuzbiB, eine Mesiorotation um 90 ~ des linken mittleren Schneidezah- nes sowie iiberz~ihlige seitliche Schneidez~ihne im Milchgebil3 und bleibenden Gebil3

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Abb. 3. Fall 3, Patient W.G. Links vor, rechts nach der Behandlung (18 Monate).

auf der rechten Seite. Nach 18 M o n a t e n gelang eine wei tgehende Normalis ierung.

Der Pat ient verble ib t wei ter in Behand lung .

Wie aus unse ren kl inischen E r f ah rungen hervorgeht , kann man die obe nge na nn -

ten A n o m a l i e n durchaus wirkungsvoll mit e infachen M e t h o d e n und al lgemein fibli-

chen A p p a r a t u r e n behande ln . Diese sind besonders geeignet im frfihen Wechselge-

biB, zu e iner Zei t , in der das Kieferwachs tum or thodont i sche Bemfihungen begfin-

stigt.

Zusammenfassung

An drei klinischen Beispielen demonstrieren die Autoren die Wirkung der aktiven Platte bei der Therapie der Zahnrotation. Das frfihe Wechselgebil3 wird als besonders geeignete Periode ffir die Therapie derartiger Anomalien angesehen.

Summary

The authors demonstrate the efficacy of active plates in the treatment of rotations of the teeth, with three cases. They regard the early mixed dentition as especially advisable for such therapy.

R~sum~

Par trois exemples cliniques les auteurs pr6sentent l'effet de plaques actives pour corriger des rotations dentaires. Les auteurs indiquent que cette th6rapie est plus particuli6rement recommand6e en p6riode de denture mixte.

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SchriRtum

1. lzard, G.: Orthodontie. Masson et Cie, Paris 1950, S. 688. 2. Klink-Heckmann, U., E. Bredy: Orthop/idische Stomatologie. J.A. Barth, Leipzig 1980. S. 230. 3. Stockfisch, H.: Rationelle Kieferorthop~idie. Quintessenz Berlin - Chicago London - Rio de Jane i ro-

Tokio 1985. S. 634~4.

Anschr. d. Verf. : Prof. Dr. habil. Adam Masztalerz, Cieszyfiskiego 17, PI-50-136 Wroclaw/Breslau.

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