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Hintergrund Zehn Jahre WTO Greenpeace unterzieht die Welthandelsorganisation einer kritischen Umweltbilanz Zehn Jahre WTO

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Greenpeace unterzieht die Welthandelsorganisation

einer kritischen Umweltbilanz

Zehn Jahre WTO

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Zehn Jahre besteht die Welthandelsorganisation (WTO) im Jahr 2005.

Ins Leben gerufen wurde sie, um den globalen freien Handel zu fördern. Was hat die WTO

bewirkt? Wem hat sie geholfen? Welche Methoden verwendet sie zur Durchsetzung ihrer

Ziele? In der Präambel zu ihrem Gründungsstatut ist beispielsweise eine nachhaltige Entwick-

lung als ein Ziel erwähnt, sind Schutz und Erhaltung der Umwelt versprochen. Doch nach

einer Dekade zeigt sich: Die WTO verhindert sowohl Umweltschutz als auch eine nachhaltige

Entwicklung. Damit der Welthandel nicht nur Industrienationen und westlichen Konzernen

dient, muss die gesamte Institution WTO umgestaltet werden.

Herausgeber: Greenpeace e.V., Große Elbstr. 39, 22767 Hamburg, Tel. 040/30618-0, Fax: 040/30618-100, E-Mail: [email protected]; Politische VertretungBerlin, Marienstr. 19–20, 10117 Berlin, Tel. 030/30 88 99-0; Internet: www.greenpeace.de; Redaktion: Anja Oeck; Bildredaktion: Conny Böttger, Sabine Moeller;Produktion: Birgit Matyssek; Gestaltung: Ulrike Hemme; Titel und Illustrationen: Mutabor; Litho: Litho Beyer, Hamburg; Druck: Druckzentrum Harry Jung, AmSophienhof 9, 24941 Flensburg; V.i.S.d.P.: Jürgen Knirsch; Auflage 8.000 Exemplare; Stand 10/2005; gedruckt auf 100%-Recyclingpapier.Zur Deckung der Herstellungskosten bitten wir um eine Spende: Postbank Hamburg, BLZ 200 100 20, Konto-Nr. 97 338-207

InhaltsverzeichnisWas haben zehn Jahre WTO gebracht?. . . . . . . . . . . . . . . . . . S. 3

Geschichte der Welthandelsorganisation . . . . . . . . . . . . . . . . S. 4

Kernprinzipien der WTO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . S. 5

Gruppierungen innerhalb der WTO. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . S. 6

Struktur und Abkommen der WTO. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S. 6

Demokratie und Transparenz: Fremdworte für die WTO . . . . S. 8

Warum ist die WTO eine Gefahr für die Umwelt? . . . . . . . . . . S. 9

Streitschlichtung bei der WTO. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . S. 10

Handel auf Kosten der Umwelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . S. 12

Laufende Handelsrunde 2002–2006 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . S. 14

Marktzugang für nicht-agrarische Güter . . . . . . . . . . . . . . . . S. 16

Einfluss der Konzerne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . S. 18

Widerstand gegen die WTO. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . S. 19

Sozialer und ökologischer Welthandel . . . . . . . . . . . . . . . . . S. 20

Was kann ich tun?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . S. 22

Tipps zum Weiterlesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . S. 23

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Was haben zehn JahreWTO gebracht?

Am 1. Januar 1995 bezieht die neu gegrün-

dete Welthandelsorganisation (WTO) die

Genfer Rue de Lausanne 154 und knüpft an

die Arbeit des Allgemeinen Zoll- und Han-

delsabkommens (GATT) an. Eine Dekade

danach zeigt sich: Die WTO befindet sich

in einem Dilemma. Mit ihrem Regelwerk

kann sie nur unzureichend auf bestehende

globale Probleme des Handels reagieren.

Nicht geregelt sind vor allem das Handels-ungleichgewicht zwischen starken und schwa-chen WTO-Mitgliedern, zwischen Nord undSüd, zwischen wirtschaftlichen Zwängen undden Notwendigkeiten, die sich durch Umwelt-schutz, Arbeits- und Menschenrechte ergeben.Denn das WTO-Regelwerk wurde bisherweitgehend auf die Bedürfnisse der Industrie-länder zugeschnitten. In den letzten Jahrenfordern jedoch die Entwicklungsländer zuneh-mend ihre Rechte ein. Nichtregierungsorga-nisationen kritisieren die Vorherrschaft wirt-schaftlicher Interessen vor Umwelt- odersozialen Rechten und kreiden der WTO zehnkapitale Fehler an:

Kritik an der WTO

1. Vorherrschaft der Wenigen: Die Entschei-dungen der WTO werden prinzipiell im Kon-sens (d.h. einstimmig) gefasst. Bisher habenaber die mächtigsten Mitglieder der WTO fastimmer Möglichkeiten gefunden, die schwä-cheren WTO-Mitglieder zur Annahme desKonsenses zu bewegen, selbst gegen derenInteressen.

2. Sonderbehandlung der Entwicklungslän-der, eine Mogelpackung: Den Entwicklungs-ländern wurde in den WTO-Abkommen eineihren Möglichkeiten entsprechende Sonder-behandlung garantiert. Diese ist bis heutenur auf dem Papier vorhanden.

Seattle 1999: Friedlicher

Protest gegen die WTO

eint Umweltschützer,

Gewerkschafter, Dritte-

Welt-Aktivisten.

Buenos Aires 2003: Aktion

gegen Gentechnikimporte

vor dem argentinischen

Landwirtschaftsministerium.

3. WTO-System – zum Wohle der Konzerne:Der vor der WTO geführte Streitfall um dieZulässigkeit von Subventionen für den Flug-zeugbau verdeutlicht, für welche Interessendie WTO geschaffen wurde: für Konzerne wiebeispielsweise Airbus (EU) und Boing (USA).

4. Undemokratische interne Strukturen: Un-klare Strukturen in der WTO führen immerwieder zu undemokratischen Entscheidungen.

5. Fehlende Transparenz: Organisationender Zivilgesellschaft und Medien sind vonden WTO-Sitzungen ausgeschlossen.

6. Übermacht durch eigene Gerichtsbarkeit:Das im Vergleich zu anderen internationalenStrukturen einzigartige Streitfallverfahrengibt der WTO Macht und Durchsetzungskraft.

7. „Kuhhandel“ in Handelsrunden: In einerHandelsrunde werden alle Verhandlungenan einem gemeinsamen Stichtag beendet. Diesführt zu einem Kuhhandel, bei dem Vorteilein einem gegen Nachteile in einem davonunabhängigen Bereich getauscht werden.

8. Blinde Flecken: Das WTO-Regelwerkweist gewaltige Lücken auf: gegenüber Men-schenrechten, Umweltabkommen und grund-legenden Arbeitsrechten der InternationalenArbeitsorganisation (ILO).

9. Nicht zeitgemäß: Die vom Vorgänger GATTübernommenen, seit 1947 gültigen Handels-prinzipien sind veraltet und verhindern drin-gend notwendige Entwicklungs- und Umwelt-maßnahmen.

10. Kompetenzüberschreitung: Die WTO ver-sucht, über den reinen Handel hinaus fremdeBereiche in ihr Regelwerk zu integrieren wiez.B. Regelungen zur Patentierung und zumInvestitionsschutz.

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Wirtschaftliche Interessen

oder Umweltschutz?

Wen begünstigt die WTO?

4 Geschichte der Welthandelsorganisation

Geschichte der Welt-handelsorganisation

Ende des Zweiten Weltkrieges bemühen sichdie Siegermächte um eine Neuordnung desinternationalen Finanz-, Währungs- und Han-delssystems: Zur Stabilisierung und Finan-zierung des Wiederaufbaus kreieren sie dieWeltbank und den internationalen Währungs-fonds (IWF). Die Wiederankurbelung desWelthandels soll eine Internationale Handels-organisation (ITO) leisten. Im März 1948unterzeichnen 56 Länder in Havanna dieITO-Charta, doch der US-Kongress versagt ihrseine Zustimmung. Dadurch scheitert dieIdee einer internationalen Handelsorganisa-tion. Von den geplanten ITO-Handelsbestim-mungen bleibt unter dem Namen GATT (Gene-ral Agreement on Tariffs and Trade: Allge-meines Zoll- und Handelsabkommen) nur einKapitel erhalten: der Aspekt des weltweitenAbbaus von Zöllen. Mehrere GATT-Verhand-lungsrunden führen dazu, dass die Zölledurchschnittlich von ehemals 40 bis 50 Pro-zent (1948) auf 4 bis 5 Prozent (1994) sinken.Die Schlussakte der letzten GATT-Runde, derVertrag von Marrakesch vom 15. April 1994,wird als offizielle Geburtsurkunde der Welt-handelsorganisation (WTO) angesehen. Mitdiesem Dokument werden bis auf wenige Aus-nahmen alle Bereiche des weltweiten Handelsunter die neue Organisation WTO gestellt.Diese beginnt am 1. Januar 1995 ihre Arbeit.Ursprüngliches Anliegen der WTO ist, deninternationalen Handel zwischen Staaten zuregeln und zu erleichtern und damit den

Handel treibenden Unternehmen einen ver-lässlichen Rechtsrahmen zu liefern.

Wodurch unterscheidet sich die

WTO von anderen internationalen

Organisationen?

Die WTO gehört nicht zum System der Ver-einten Nationen (UN), ist folglich keine UN-Sonderorganisation und auch keinem UN-Gremium gegenüber rechenschaftspflichtig.Ihr einzigartiges Schiedsgericht verleiht demHandelssystem Vorherrschaft vor anderen,in der UN entwickelten Rechtsregimen: Um-weltabkommen, Menschenrechte oder grund-legende Arbeitsrechte (Kernarbeitsnormen)verfügen über kein effektives Streitschlich-tungsverfahren zur Durchsetzung ihrerRegeln.

Wem nützt die WTO?

Ihrem momentanen Aufbau nach nützt dieWTO vornehmlich transnationalen, westlichenKonzernen, die ihre Produkte und Dienstleis-tungen weltweit vermarkten möchten unddafür einen verbesserten Marktzugang undRechtssicherheit in anderen Ländern be-nötigen. Diese Konzerne haben wenig Inter-esse an sozial oder ökologisch hergestelltenProdukten, da diese erfahrungsgemäß teurersind und sich damit schwerer verkaufen las-sen. Da Umsatz und Wirtschaftlichkeit beiihnen ganz oben auf der Prioritätenliste ste-hen, werden Dinge vermarktet, die kurzfristigden größten Gewinn versprechen. Mit der Vor-macht von USA, Kanada, EU und Japan (d.h.Ländern, in denen die Zentralen der Konzernesitzen) stützt die WTO genau diese Politik.

WTOAmtssitz: Genf, SchweizTätig seit: 1. Januar 1995Mitglieder: 148 (August 2005)Mitarbeiter: 630 (2005)Laufende

Handelsrunde: 2002 bis ca. 2006Etat für 2005: 169 Mio. Schweizer Franken

(ca. 109 Mio. Euro)Generaldirektor: Pascal Lamy

(September 2005)

Aufgaben: • Verwaltung der bestehendenHandelsabkommen, Forum fürweitere Handelsverhandlungen, Richten über Handelsstreitigkeiten

• Überwachung der Handelspolitik ihrer Mitglieder

• Technische Unterstützung und Training für Entwicklungsländer

• Kooperation mit anderen inter-nationalen Organisationen

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Kernprinzipiender WTO

Angestrebtes Ziel der WTO ist der weltweiteAbbau aller Handelsschranken. Zu dessenVerwirklichung bedient sich die machtvolleOrganisation verschiedener Abkommen mitfolgenden Grundsätzen:

Das Prinzip der Gleichbehandlung derHandelspartner oder Meistbegünstigung(most-favoured-nation) verpflichtet ein WTO-Mitglied dazu, alle handelspolitischen Vor-teile, insbesondere Zollermäßigungen, dieeinem WTO-Mitglied gewährt werden, auchallen anderen Mitgliedern einzuräumen.

GATT-Artikel I enthält die Meistbegünsti-gungsklausel, die es einem WTO-Mitglieds-staat verbietet, einzelne WTO-Mitglieder bes-ser oder schlechter als andere zu behandeln(Diskriminierungsverbot). Von diesem Prinzipgibt es Abweichungen bzw. Ausnahmen.

Das Prinzip der Gleichbehandlung derWaren oder Inländerbehandlung (nationaltreatment) verbietet, dass importierte Warenschlechter als einheimische Waren behandeltwerden.

Die Regeln der Inländerbehandlung bzw.zur Gleichheit der Produkte finden sich imGATT-Artikel III. Jeder Mitgliedsstaat ist ver-pflichtet, ausländische mit inländischen Wa-ren gleichzustellen. So dürfen Abgaben undsonstige Belastungen, Gesetze und Vorschrif-ten nicht derart angewandt werden, dass da-durch die inländische Erzeugung geschütztwird. Auch dieses Prinzip beinhaltet ein Dis-kriminierungsverbot.

Nach dem „Prinzip der Voraussehbarkeitund Transparenz der Maßnahmen” sind alleEinfuhrbeschränkungen außer Zöllen verbo-ten. Die maximale Zollhöhe für jedes einge-führte Produkt muss im Voraus verbindlichfestgelegt und darf nicht einseitig angehobenwerden.

Von diesem in GATT-Artikel XI festge-legten Verbot der Mengenbeschränkungen(z.B. durch Kontingente, Einfuhr- oder Aus-fuhrbewilligungen) gibt es besonders fürden Handel mit Agrarprodukten zahlreicheAusnahmen.

Weitere Ausnahmen dieser drei Grund-sätze, etwa zum Schutz des Lebens und derGesundheit von Mensch, Tier und Pflanze oderzur Erhaltung begrenzter Naturschätze, sindnach GATT-Artikel XX nur unter der Voraus-setzung zulässig, dass sie zu keiner „willkür-lichen und ungerechtfertigten Diskriminie-rung zwischen Ländern, in denen gleicheVerhältnisse bestehen, oder zu einer ver-schleierten Beschränkung des internationalenHandels führen“. Das importierende Landmuss beweisen, dass gute Gründe für einehandelsbeschränkende Maßnahme vorliegen.

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Die WTO fordert die Beseiti-

gung der Handelsschranken:

Auf lokalen Märkten, hier in

Thailand, können regionale

Produkte nicht mehr mit

subventionierten Einfuhren

konkurrieren.

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Gruppierungeninnerhalb der WTO

In Zusammenschlüssen verfolgen einzelne

WTO-Mitglieder gemeinsame Handelsin-

teressen. Seit 2003 sind neue Zusammen-

schlüsse hinzugekommen und haben die

Machtverhältnisse in der WTO verschoben:

AKP-Staaten: Gruppe von 71 Staaten Afrikas,der Karibik und des pazifischen Raums, denendie EU bisher einen bevorzugten Marktzuganggewährt hat.

Afrikanische Gruppe: 41 afrikanische WTO-Mitglieder mit gemeinsamen Positionen.

Cairns-Gruppe: nach ihrem GründungsortCairns in Australien benannte Gruppe vonLändern mit Agrarexportinteressen. Sie stellenein Drittel der globalen Agrarexporte.

Five Interested Parties (FIPs): die fünf wich-tigsten Akteure der Agrarverhandlungen:USA, EU, Brasilien, Indien (beide für die G20)und Australien (für die Cairns-Gruppe).

G10: Agrarimporteure, die für eine moderateMarktöffnung bei gleichzeitigem Schutzeigener Märkte eintreten. 2003 unter Füh-rung der Schweiz gebildet, gehören weiterdazu: Bulgarien, Island, Israel, Japan, Korea,Liechtenstein, Mauritius, Norwegen und Tai-wan.

G20: als Reaktion auf den Agrarkompromisszwischen der EU und den USA im August2003 unter Führung von Brasilien, China,Indien und Südafrika entstandene Gruppevon Entwicklungsländern mit gemeinsamenAgrar(export)interessen.

G90: entstand 2003 als Zusammenschlussafrikanischer Länder, AKP-Staaten und LDCsund wehrte sich erfolgreich gegen Versucheder EU und der USA, die so genannten Sin-gapur-Themen – Investitionen, Wettbewerb,Transparenz im öffentlichen Beschaffungs-wesen und Handelserleichterungen – in dieDoha-Runde aufzunehmen.

6 Gruppierungen innerhalb der WTO

LDCs (least-developed countries): 50 von denVereinten Nationen aufgrund ihrer wirtschaft-lichen Lage als „am wenigsten entwickelteLänder“ eingestufte Staaten, 32 davon sindMitglied der WTO.

Quad: Quadriga oder quadrilaterale Gruppeder wichtigsten Handelsmächte: USA, EU,Japan und Kanada, dominierte jahrelang dasGeschehen der WTO.

Struktur und Abkom-men der WTO

Die WTO verfügt über Organe, die Abkom-

men entwickeln, verabschieden und für

deren Einhaltung sorgen:

Handelsrunden: Die WTO legt ihre Abkom-men in Handelsrunden fest. In den Rundenwerden unterschiedliche Themen parallelverhandelt, aber alle Verhandlungen zu einemStichtag gemeinsam abgeschlossen. Die der-zeitige Handelsrunde, die „Doha Entwick-lungsagenda“, soll Ende 2006 abgeschlossensein.

Ministerkonferenz: Die Ministerkonferenzist die höchste Entscheidungsinstanz derWTO. Sie besteht aus Ministern und Vertre-tern aller Mitgliedsstaaten und muss mindes-tens alle zwei Jahre zusammentreten. DieMinisterkonferenzen legen die Inhalte einerHandelsrunde fest.

Allgemeiner Rat (General Council): Der All-gemeine Rat besteht aus den in Genf anwe-senden Vertretern der Mitgliedsstaaten. Er tagtregelmäßig, fällt Beschlüsse zum Alltagsge-schäft und überprüft die Handelspolitik. Seitdem Scheitern der Ministerkonferenz in Can-cún ist der Allgemeine Rat aufgewertet wor-den: Bei wichtigen Sitzungen zum Verlauf derHandelsrunde (wie Juli 2004 und 2005)sind auch Minister der wichtigstenNationen anwesend.

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Struktur und Abkommen der WTO 7

Streitbeilegungsgremium: Tagt der AllgemeineRat zu Streitfällen, heißt er Streitbeilegungs-gremium. Zu einzelnen Streitfällen setzt er sogenannte Panels (Gerichte) ein, nimmt derenBerichte und die der Berufungsinstanz entge-gen und überwacht die Umsetzung von Streit-fallurteilen.

Komitee für Handelsverhandlungen (TradeNegotiations Committee): vom Generaldirek-tor geleitetes Komitee aller WTO-Mitglieder,in dem die einzelnen Verhandlungsbereichezusammengeführt werden.

Generaldirektor: steht dem Sekretariat derWTO vor und ist der höchste internationaleBeamte der WTO. WTO-Mitglieder sollen ihnnicht in der Ausübung seiner Pflichten beein-flussen.

WTO-Abkommen

Die Handelsregeln der WTO sind in den

folgenden Abkommen festgeschrieben:

GATT (Allgemeines Zoll- und Handelsab-kommen): zentrales Abkommen der WTO. Inihm sind allgemeine Grundsätze des Freihan-dels sowie Regeln für den Handel mit Warenfestgelegt.

AoA (Landwirtschaftsabkommen): dient demAbbau von Zöllen für Agrarprodukte, vonExportsubventionen und Unterstützungsmaß-nahmen für die einheimische Landwirtschaft.

TBT (Abkommen über technische Handels-hemmnisse): Es verbietet den Missbrauch vontechnischen Standards, Normen bzw. Kenn-zeichnungen von Produkten als Handels-hemmnisse.

SPS (Abkommen über die Anwendunggesundheitspolizeilicher und pflanzenschutz-rechtlicher Maßnahmen): legt fest, welchenationalen Maßnahmen zum Schutz der Ge-sundheit von Menschen, Tieren und Pflanzenzulässig sind.

GATS (Allgemeines Übereinkommen überden Handel mit Dienstleistungen): In ihm sindRegeln für den Handel mit Dienstleistungen(wie Tourismus, Versicherungen und andereFinanzdienstleistungen) festgeschrieben.

TRIPS (Übereinkommen über handelsbezo-gene Aspekte der Rechte des geistigen Eigen-tums): regelt Aspekte von Urheber- und ver-wandten Schutzrechten, Patenten und ande-ren Rechten geistigen Eigentums.

DSU (Streitbeilegung): Vereinbarung überRegeln und Verfahren zur Beilegung von Strei-tigkeiten unter WTO-Mitgliedern.

TPRM (Mechanismus zur Über-prüfung der Handelspolitik):Die aktuelle Handelspolitik ein-

zelner WTO-Mitglieder wird tur-nusmäßig vom Allgemeinen Rat

überprüft.

Zu den einzelnen Abkommenexistieren zuständige Räte, die

den Namen des Abkommens tra-gen. Außerdem gibt es ein Komitee

für Handel und Umwelt und einKomitee für Handel und Entwicklung.

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8 Demokratie und Transparenz: Fremdworte für die WTO

Demokratie undTransparenz: Fremd-worte für die WTO

Als „mittelalterliche Struktur“ brandmarkt

Pascal Lamy, von 1999 bis 2004 Handels-

kommissar der EU, die Welthandelsorgani-

sation nach dem Scheitern der Minister-

konferenzen in Seattle und Cancún. Seit

September 2005 bekleidet er als Nachfol-

ger von Supachai Panitchpakdi das Amt

des WTO-Generaldirektors, ist also „Haus-

herr im Mittelalter“. Wird er die WTO in die

Neuzeit führen, oder waren seine markigen

Sprüche nur dem Frust geschuldet, mit sei-

nen Liberalisierungszielen für die EU nicht

voranzukommen? In seiner neuen Funktion

hat Pascal Lamy die Chance, die grundle-

genden Defizite der WTO zu beseitigen.

Unklare und undemokratische

Entscheidungsfindung

Als während der Ministerkonferenz in Cancúnein neuer Verhandlungstext auftaucht, derdie Positionen der Entwicklungsländer igno-riert und nur die Interessen von EU und USAwiderspiegelt, fragen Nichtregierungsorgani-sationen (NGOs) nach dem Autor des Textes.Dies bleibt unbeantwortet. Bereits vor Cancúnveröffentlichen NGOs eine Mängelliste darü-ber, wie bei der WTO Entscheidungen getrof-fen werden. Diese umfasst 27 einzelne Kritik-punkte und reicht von mangelnder Transpa-renz und Beteiligung aller WTO-Mitgliederbis zur Unausgewogenheit von Entscheidungs-prozessen.

Erzwungener Konsens

Auf den ersten Blick wirkt die WTO sehr demo-kratisch: Ihre Entscheidungen werden prinzi-piell im Konsens (d.h. einstimmig) gefasst. Inder Praxis läuft es aber häufig darauf hinaus,dass die Beschlüsse der Quad-Gruppe über-nommen werden, d.h. der vier mächtigsten

Mitglieder Kanada, Japan, EU und USA. Siehaben Möglichkeiten gefunden, die Inhaltedes Konsenses weitgehend vorherzubestim-men, vorausgesetzt, sie können ihre handels-politischen Differenzen untereinander beile-gen. Zum Erzwingen des Konsenses benutzensie undemokratische Verfahren wie das inof-fizielle Verhandeln in kleinen, von ihnen aus-gewählten Kreisen (so genannte „Green RoomMeetings“) oder notfalls auch direkten Druckauf widerspenstige Länder („arm twisting”).

„Kuhhandel“ in Handelsrunden

Die derzeitigen WTO-Abkommen sind in derletzten großen Handelsrunde des GATT, derUruguay-Runde (1986–1994), ausgehandeltworden. Alle tragen das Datum vom 15. April1994, denn sie sind im Rahmen einer so ge-nannten Gesamtverpflichtung („single under-taking“) verabschiedet worden. Das bedeutet:In den Handelsrunden werden parallel ver-schiedene Themen verhandelt, alle Verhand-lungen werden jedoch an einem gemeinsamenStichtag beendet. Dies führt zu dem Prinzip„Gibst du mir, so geb ich dir“ (trade-off), zumKuhhandel also, bei dem Vorteile in einemThema gegen Nachteile in einem anderen ge-tauscht werden, und damit zu unaus-gewogenen Abkommen. Was geopfert wird,entscheiden die Verhandler, ohne dass es vonParlamenten beschlossen wurde.

Ausschluss der Öffentlichkeit

Im Alltagsgeschäft, bei Verhandlungen, z.B. aufMinisterkonferenzen, und bei der Schlichtungvon Streitfällen bleibt die WTO unter sich. DieÖffentlichkeit hat keinen Zugang zu diesenProzessen. Erst nach Monaten sind wichtigeProtokolle der WTO-Gremien öffentlich ver-fügbar, zudem häufig so geschrieben, dasseigentliche Probleme und Positionen nichterkennbar werden. Diese Abschottung unter-scheidet die WTO deutlich von UN-Organisa-tionen, bei denen klar definierte Beobachtungs-und Beteiligungsmöglichkeiten vorliegen.

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Warum ist die WTO eine Gefahr für die Umwelt? 9

Warum ist die WTOeine Gefahrfür die Umwelt?

Vor allem drei Gründe machen die

WTO aus Sicht der Umweltorganisa-

tionen zum Gegner nachhaltiger

Umweltpolitik:

1. Solange die Priorität zwischen Han-delsregeln und Umweltabkommen nichtumgedreht wird, kann bei Handelskon-flikten mit dem Streitfallverfahren derWTO gedroht werden, das meist nachwirtschaftlichen und nicht nach ökologi-schen Gesichtspunkten entscheidet.

2. Solange die WTO die seit 1992 in Rio fest-geschriebenen Umweltkernprinzipien nicht respektiert, bleiben diese basalen Umwelt-schutzkriterien wirkungslos.

Ansätze für eine nachhaltige

Waldnutzung, hier die Wieder-

aufforstung des Regenwaldes

auf den Salomonen Inseln,

laufen ins Leere, solange die

WTO die Umwelt nicht re-

spektiert.

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Durch die WTO gefährdete Umweltabkommen der Vereinten Nationen (UN)• Teile des Washingtoner Artenschutzabkommens CITES (1973): verbietet bzw. beschränkt den Handel

mit bedrohten Arten• Basler Konvention über den grenzüberschreitenden Handel mit gefährlichen Chemikalien und deren Beseitigung (1989)• Übereinkommen über die biologische Vielfalt CBD (1992): regelt Schutz und Nutzung der genetischen Ressourcen,

bietet die Möglichkeit, den Gen-Raub (Biopiraterie) abzuwehren• Kyoto-Klima-Protokoll (1997): setzt verbindliche Ziele und zeitlichen Rahmen, um den Ausstoß von Treibhausgasen zu

reduzieren; ermöglicht den Handel mit „Verschmutzungsoptionen” (Emissionshandel)• Rotterdamer Übereinkommen über bestimmte gefährliche Chemikalien und Pestizide im internationalen Handel (1998):

stellt Regeln für den Handel mit gefährlichen Pestiziden und Chemikalien auf• Cartagena Protokoll zur Biologischen Sicherheit bzw. Biosafety-Protokoll (2000): ist für den internationalen Handel

mit landwirtschaftlichen Gentechnik-Produkten bedeutsam • Stockholm Konvention über Dauergifte (2001): verbietet und beschränkt Produktion, Anwendung und Handel

von ausgewählten Pestiziden und Industriechemikalien

3. Solange die WTO nach dem Grundsatz„Produkt ist gleich Produkt“ agiert, also keineUnterscheidung zwischen ökologisch odersozialverträglich hergestellten und konven-tionellen Produkten macht, werden alle An-strengungen unterlaufen, eine nachhaltigeProduktionsweise durch den Handel zu för-dern.

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Streit-schlichtungbei der WTO

WTO-Recht bricht nationale

Gesetze, auch wenn die jewei-

ligen Länder diese zum Schutz

der Gesundheit, der Umwelt oder der

Verbraucher erlassen. Das Streitschlich-

tungsverfahren dient als Brecheisen zur

Durchsetzung. Konflikte zwischen Partnern

der WTO werden von dem Streitbeilegungsgre-

mium, dem Dispute Settlement Body (DSB), nach

einem auf dem Papier strikten, in der Realität häufig

nicht eingehaltenen Prozedere bearbeitet. Dem letzt-

endlichen WTO-Richterspruch muss sich das unter-

legene Land fügen, ansonsten folgen Strafmaßnahmen

(in der Regel Strafzölle).

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Streitschlichtung bei der WTO 11

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Unter dem WTO-Verfahren klagen nurWTO-Mitglieder, d.h. Staaten, gegen andereStaaten, die ebenfalls WTO-Mitglied sind.Das Streitschlichtungsverfahren der WTO istwesentlich wirkungsvoller als vergleichbareInstrumente in anderen völkerrechtlichen Ab-kommen. Häufig genügt die Drohung miteiner Klage, um ein anderes WTO-Mitglieddazu zu bringen, eine geplante Umweltmaß-nahme zurückzunehmen oder abzuschwä-chen. Seit Jahren wird die Reform des Streit-schlichtungsverfahrens ergebnislos diskutiert.

Bisher werden alle Forderungen, dieÖffentlichkeit am Verfahren passiv teilneh-men und Standpunkte schriftlich einreichenzu lassen, zurückgewiesen.

Die beiden folgenden Beispiele verdeut-lichen, wie die WTO bestimmen kann, welcheProdukte bei uns auf den Markt kommen:

Streitfall Gentechnik

Die in der EU geltende Kennzeichnung undRückverfolgbarkeit gentechnisch veränderterOrganismen (GVOs) in Lebens- und Futter-mitteln sind für die USA Handelshemm-nisse. Die EU-Regelung zur Gentechnik basierenicht auf wissenschaftlichen Fakten. Auchwirft die US-Regierung der EU vor, gezieltAngstmache zu betreiben. Dadurch würdenauch Länder außerhalb der EU veranlasst, eineGentechnik-kritische Haltung einzunehmen,um den europäischen Markt weiterhin bedie-nen zu können.

Der seit 1998 in der EU bestehende Zulas-sungsstau für GVOs, häufig als Moratoriumbezeichnet, verhindert lange die Einfuhr vongentechnischen Agrarprodukten, vor allemvon US-Mais. Da den US-Farmern dadurchEinkünfte von mehreren hundert MillionenUS-Dollar pro Jahr verloren gehen, drohen dieUSA erst und starten 2003 einen WTO-Streit-fall. Gleichzeitig werden neue EU-Richtlinienbeschlossen, und die EU-Kommission weichtihre gentechnisch kritische Haltung auf. Ille-gale Einfuhren von GVOs in die EU werdenbekannt. Der Streitfall zieht sich unter Über-schreitung aller üblichen Fristen seit gut 28Monaten hin, für Ende Dezember 2005 wirddas Urteil der ersten Instanz erwartet.

Mexiko, Ursprungsland

des Mais, wird von billigen

Gen-Mais-Einfuhren aus

den USA überschwemmt.

Streitfall Hormone im Fleisch

Wegen Gesundheitsgefahren für Verbrau-cher verbietet die EU 1989, in der Rinder-mast sechs Wachstumshormone einzu-setzen und erlässt ein Importverbot fürhormonell behandeltes Rindfleisch.Dagegen legen die USA 1996 Klagevor der WTO ein: Das Importverbotsei ein Handelshemmnis und verstoßegegen das SPS-Abkommen der WTO, weildie Gesundheitsgefährdung wissenschaftlichnicht erwiesen sei.

Die Kläger bekommen im Panelverfahrenund in der Berufung Recht, die EU erhält 15Monate Zeit, entweder ihre Verordnung zuändern oder bis zum 13. Mai 1999 einen ein-deutigen wissenschaftlichen Beweis vorzule-gen. Dieser wird von der EU nicht fristge-recht erbracht. Darauf verurteilt die WTO dieEU zur Aufhebung des Importverbots fürhormonbehandeltes Rindfleisch. Die EU folgtnicht, es folgen Strafmaßnahmen: So dürfendie USA auf die unterschiedlichsten Export-branchen der EU Strafzölle von jährlich 117Millionen US-Dollar erheben. Im April 2002legt die EU ihren Bericht vor, der einige Mast-Hormone als krebserregend einstuft. DerWTO wird er im Oktober 2003 zur Kenntnisgegeben. Gleichzeitig fordert die EU die USAauf, die Strafzölle aufzuheben, denn mit der„state-of-the-art Risikoabschätzung über denKonsum von Fleisch auf Hormonmasthaltung“habe die EU die Vorgaben der WTO erfüllt.Dieser Sicht schließen sich die Kläger jedochnicht an: So erklärt die US-Botschafterin derWTO, Linet Deily, im November 2003, die EU-Verbote seien weiterhin nicht wissenschaft-lich fundiert, im Gegenteil hätten die Studienkein erhöhtes Gesundheitsrisiko beim Fleisch-verzehr von hormonbehandelten Tieren be-legt. Ein Jahr später startet die EU einen neuenHormonstreitfall gegen Strafzölle der USAauf EU-Ausfuhren. Nach Ansicht der EU sinddiese rechtswidrig, da die EU die Urteilsvor-gaben erfülle. Im Juni 2005 setzt der damaligethailändische WTO-Generaldirektor SupachaiPanitchpakdi ein dreiköpfiges Streitfall-Panelein. Deren Urteil wird für Anfang 2006 er-wartet.

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12 Handel auf Kosten der Umwelt

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Handel auf Kostender Umwelt

Ein freier Handel, dem keinerlei Schranken

auferlegt werden, führt zu einem deut-

lichen Mehr an Umweltbelastungen. Mit

folgenden Konsequenzen:

1. Zunahme des Verkehrs: Globaler Handelführt zu deutlichem Verkehrsanstieg. Pro-dukte werden in einzelnen Produktionsschrit-ten an unterschiedlichen Standorten dieserWelt hergestellt. Teile oder fertige Produktewerden zum Angebot auf möglichst vielenMärkten rund um den Erdball transportiert.Ohne nachhaltige Verkehrspolitik ist Frei-handel mit gravierenden direkten und indi-rekten Umweltschäden verbunden.

2. Nichtberücksichtigung der Herstellungs-verfahren: Ohne eine nachhaltige Konsum-und Produktionspolitik fördert der Freihandelzahlreiche unnötige, billige Produkte. Dieserfordert die so genannte Gleichbehandlungvon Produkten: Umweltfreundliche Produktekönnen dabei nicht besser gestellt werden alsumweltschädliche. Für die WTO ist z.B. Holzgleich Holz, unabhängig davon, ob es auseiner nachhaltigen Forstwirtschaft oder auseinem illegalen Kahlschlag stammt.

3. Kennzeichnungsverbot: Label und Siegelkönnen als Handelshemmnisse eingestuftwerden. So schwächen Freihandelsregeln dieMöglichkeit, nachhaltige Produktionsweisenund Produkte durch entsprechende Kenn-zeichnung zu fördern.

4. Ignoranz ökologischer Kernprinzipien:Handelsabkommen respektieren die ökologi-schen Prinzipien nicht, die seit Rio 1992 die

Grundlage einer nachhaltigen Umweltpolitikbilden. Zu den Rio-Prinzipien zählen u.a.: dieHaftung und Entschädigung für nachteiligeAuswirkungen von Umweltschäden, das Vor-sorgeprinzip, die Internationalisierung vonUmweltkosten und die Durchführung vonUmweltverträglichkeitsprüfungen.

5. Fortbestand umweltschädlicher Subventio-nen: Obwohl Subventionen dem Geist desFreihandels widersprechen, gehen internatio-nale Handelsregeln nicht bzw. nicht konse-quent genug gegen umweltschädliche Subven-tionen z.B. in Landwirtschaft oder Fischereivor.

6. Ermöglichung von Biopiraterie: Handels-regeln zwingen WTO-Mitglieder, ein Patent-system einzuführen, das Patente anderer

Länder auf Pflanzen, Tiere, Menschen undderen Gene zulässt. Die WTO-Regeln legendamit die Grundlage zur Biopiraterie, weilrechtlich verbindliche internationale Regelnzu Zugang und Verteilung der Nutzung gene-tischer Ressourcen fehlen.

7. Fehlende Einschätzung der Umweltfolgen:Bei multilateralen WTO-Abkommen, regio-nalen Freihandelsabkommen und bilateralenAbkommen zweier Länder wird keine Ab-schätzung von deren Umweltauswirkungenvorgenommen.

8. Handelsrecht contra Umweltrecht: DasHandelsrecht bildet ein unabhängiges, mitdem internationalen Umweltabkommen nichtabgeglichenes Rechtsregime. Weil die WTOihr Handelsrecht mittels des Streitfallverfah-rens durchsetzen kann, dominiert das Han-delsregime über internationales Umweltrecht,Menschenrechte und andere soziale Rechte.

Zwischen 50 und 80 Prozent

unseres Elektronikschrotts

gehen in Länder wie China

(siehe Foto), Indien und

Pakistan. Dort werden unter

Missachtung von Arbeits-

und Umweltschutzmaßnah-

men die noch verwertbaren

Bestandteile herausgeholt.

Ein ungebremster Freihandel

führt zur Übernutzung der

Meere, lässt den Verkehr

anschwellen und vernichtet

Wälder.

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Laufende Handelsrunde2002–2006

Eine ganz neue Handelsrunde sollte die

dritte WTO-Ministerkonferenz Ende 1999

in Seattle einläuten, doch die so genannte

Millenniumsrunde scheiterte: Widersprü-

che zwischen der EU und den USA und

zwischen den Entwicklungsländern und

den Industrienationen waren zu groß. Die

Entwicklungsländer kündigten erstmals

den Konsens auf.

Massive Demonstrationen begleiteten dieVerhandlungen und führten dazu, dass derAusnahmezustand ausgerufen werden musste.Seitdem gilt Seattle als Geburtsstunde einerneuen, globalisierungskritischen Bewegung.

Unter dem Eindruck der weltweitenRezession und den Auswirkungen des 11.Septembers 2001 konnte auf der viertenWTO-Ministerkonferenz im November 2001in Doha nach schwierigen Verhandlungendie neue, derzeitige Handelsrunde beschlossenwerden. Offiziell als „Doha Entwicklungs-agenda“ („Doha Development Agenda“) be-nannt, war ihr Ende ursprünglich für den31. Dezember 2004 vorgesehen, ist nun aberauf Ende 2006 verschoben.

Die „Doha Entwicklungsagenda“ soll dieRegelungen zur Landwirtschaft und in denBereichen Dienstleistungen, Rechte des geis-tigen Eigentums und Streitschlichtung er-weitern. Neu aufgenommene Verhandlungs-punkte sind die Verbesserung des Marktzu-ganges für Industriegüter, darunter Produkteder Forstwirtschaft und Fischerei, sowie dasThema „Handel und Umwelt“. In dieserRunde sollen ferner die WTO-Regeln (unteranderem zu Subventionen) überprüft undbestehende Abkommen für die Entwick-lungsländer so umgesetzt werden, dass diesenicht weiter benachteiligt werden. Diese for-dern eine Unterstützung zur Umsetzungeiniger Abkommen, längere Umsetzungsfris-ten und die Änderung einzelner Bestimmun-gen. An der weiteren Liberalisierung derDienstleistungs-, Industriegüter- und Agrar-märkte der anderen WTO-Mitglieder habenjedoch vor allem die Industrieländer ein gro-

ßes Interesse. Sie strafen damit die Bezeich-nung „Entwicklungsagenda“ Lüge. Nur mitder Beschönigung, diese Handelsrunde sollevor allem den Interessen der Entwicklungs-länder dienen, kam die Runde überhauptzustande.

Sicherer Verlust für die Umwelt

Unter den in Doha gefassten Beschlüssen zu„Handel und Umwelt“ fällt ein wichtiger, vorallem von Umweltgruppen eingeforderterPunkt auf: Die WTO will das Verhältnis zwi-schen handelsrelevanten Umweltabkommenund WTO-Regeln klären. Für die in Fragekommenden Fälle gelten jedoch rigide Vorga-ben: Beide WTO-Mitglieder müssen das ent-sprechende internationale Umweltabkommenunterzeichnet haben. Fälle, in denen sich einWTO-Mitglied auf ein Umweltabkommenberuft, welches das andere Mitglied nichtunterschrieben hat, werden damit nicht ge-klärt. Diese Lücke haben insbesondere dieUSA geschaffen, die einige neuere Umwelt-abkommen nicht ratifiziert haben und ihnendeshalb nicht unterliegen. Eine weitere Vor-gabe ist ein unveränderbares Handelsrecht,d.h. bestehende WTO-Regeln werden nichtangetastet. Damit ist eine Veränderung zu-gunsten der Umweltabkommen von vornher-ein ausgeschlossen. Jedes Ergebnis ist alsoschlechter als der Status quo, bei dem nichtsformuliert ist. Der bisherige Verhandlungs-verlauf gibt dieser skeptischen EinschätzungRecht. Bisher wird um Definitionen gestrit-ten, ohne tatsächlich einen Verhandlungs-fortschritt zu erzielen.

Umweltgüter und -dienstleistungen

Unter „Handel und Umwelt“ wird auch einverbesserter Marktzugang für Umweltgüterund -dienstleistungen verhandelt. Bisherhaben die WTO-Mitglieder noch nicht klärenkönnen, was sie eigentlich unter Umweltgü-tern verstehen: Aktivkohle zur Wasserreini-gung, Doppelhüllentanker, Recyclingpapier,Elektronikschrott oder gar ganze Wälder – alldies könnten Umweltgüter sein. Auch beidiesen Verhandlungen stehen Exportinteres-sen der EU, die ihren Umwelttechnologienweltweit die Märkte öffnen will, im Vorder-grund.

14 Laufende Handelsrunde 2002–2006

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Konfliktpunkt: Neue Themen

Ein Streitpunkt, der die Runde von Anfangan geprägt hat, ist im Sommer 2004 geklärtworden: nämlich, ob die so genannten neuenThemen Investitionen, Wettbewerbsregeln,Transparenz im öffentlichen Beschaffungs-wesen und technische Handelserleichterun-gen in die Runde aufgenommen werden sol-len. Seit Beginn der WTO fordern die Indus-trieländer gegen den Widerstand vieler Ent-wicklungsländer multilaterale Regelungenfür diese neuen Themen. Weder in Seattle,Doha oder Cancún konnten die Industrielän-der diese Forderungen durchsetzen. DasScheitern der Cancún-Ministerkonferenz istim Wesentlichen auf den Konflikt um die

Wälder (hier beispiels-

weise in Brasilien für

Soja-Anbau) fallen den

Verhandlungen der

laufenden Handelsrunde

zum Opfer.

• Implementierung bestehender Abkommen für die Entwicklungsländer

• Reform des Landwirtschaftsabkommens

• Erweiterung des Dienstleistungsabkommens

• Verbesserung des Marktzugangs für nicht-agrarische Produkte

• Ausweitung und Überprüfung des TRIPS-Abkommens (Ausweitung der geographischenHerkunftsbezeichnungen, Berücksichtigung des Verhältnisses zwischen TRIPS und CBD)

• Erneuerung der WTO-Regeln (Ausgleichsmaßnahmen wie Anti-Dumping- Maßnahmen,Fischereisubventionen, regionale Freihandelsabkommen)

• Reform des Streitschlichtungsvereinbarung*

• Klärung des Verhältnisses zwischen Handel und Umwelt

• Handelserleichterungen (im Juli 2004 in die Handelsrunde aufgenommen)* Dieser Punkt ist kein Bestandteil der Gesamtverpflichtung.

In Doha beschlossene Themen für die laufende Handelsrunde:

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neuen Themen zurückzuführen. Schließlicheinigen sich die WTO-Mitglieder im Juli2004 im Rahmen einer Sitzung des Allgemei-nen Rates, drei der vier Themen für die lau-fende Handelsrunde fallen zu lassen undlediglich den Punkt „Handelserleichtungen“(vor allem Bürokratieabbau in den Zollver-fahren) in die Doha-Runde aufzunehmen.

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Marktzugang fürnicht-agrarische Güter

Bisher werden von der WTO vornehmlich

Agrargüter und Dienstleistungen liberali-

siert. Im Rahmen der Doha-Runde sollen

jedoch unter dem Kürzel NAMA weitere

Wirtschaftssektoren hinzukommen: NAMA

steht dabei für Marktzugang nicht-agrari-

scher Güter (non-agricultural market

access). Bei den NAMA-Verhandlungen geht

es also um verbesserte Marktzugangs-

chancen für Industriegüter, wozu

bei der WTO auch Wald- und

Fischwirtschaft gehören.

Um den Marktzugang zu verbes-sern, kennt die WTO zwei Wege:

zum einen den Abbau von Zöllen bishin zu Null-Zöllen, zweitens den Abbau son-stiger Maßnahmen, die den Handel beein-trächtigen können (so genannter nicht-tarifä-rer Handelshemmnisse). Zu nicht-tarifärenMaßnahmen zählen u.a. Einfuhrverbote,Subventionen oder die Kennzeichnung vonProdukten.

Soziale Folgen

Nichtregierungsorganisationen (NGOs) lehnendie derzeitigen NAMA-Verhandlungen vehe-ment ab. Sie befürchten, dass ein NAMA-Abkommen Armut und Unterbeschäftigungin den Entwicklungsländern erhöhen unddort den Aufbau nationaler Wirtschaftszweigezurückwerfen würde. Diese Verhandlungenerfüllen allein den Wunsch der Industrienach Öffnung weiterer Märkte. NGOs for-dern deswegen den sofortigen Stopp der Ver-handlungen und eine unabhängig durchge-führte Folgenabschätzung für eine weitereLiberalisierung der Märkte für Industriegüter.

Auch einige Entwicklungsländer habenihren Widerstand gegen die NAMA-Verhand-lungen zum Ausdruck gebracht. Ihre Befürch-tungen: Die NAMA-Verhandlungen werdendie Ent-Industrialisierung und Arbeitslosig-keit ihrer Länder vorantreiben, Einnahme-verluste durch Zollabbau die herrschendeArmut verschärfen. Zölle stellen einen we-

sentlichen Beitrag zum Staatshaushalt vielerEntwicklungsländer dar. Diese fordern, wasdie heute mächtigen Handelsnationen vorJahrzehnten mit aller Selbstverständlichkeitbetrieben haben: den Schutz ihrer Industriedurch Einfuhrzölle und andere Maßnahmen.

Umweltauswirkungen

Die Logik hinter den NAMA-Verhandlungen:Ein verbesserter Marktzugang für nicht-agra-rische Güter soll diese billiger machen unddadurch ihre Nachfrage erhöhen. ErhöhteNachfrage fördert langfristig die Produktion.Sofern diese, wie häufig der Fall, nicht nach-haltig betrieben wird, führt dies zu verstärkterUmweltzerstörung. Da nach der WTO-Güter-klassifizierung auch Produkte aus Wald undMeer zu den Industriegütern zählen, befürch-tet Greenpeace, dass die NAMA-Verhandlun-gen zusammen mit anderen Ergebnissen derDoha-Runde die Zerstörung der Wälder undPlünderung der Meere vorantreiben werden.

Welthandel contra Urwaldschutz

Bereits die gegenwärtigen WTO-Regeln unter-laufen alle Anstrengungen, Wälder zu schüt-zen und nachhaltig zu nutzen. Umweltabkom-men können durch das Streitschlichtungs-verfahren der WTO zugunsten von Handels-maßnahmen aufgehoben werden. Vorsorge-maßnahmen können als nicht zulässige Han-delshemmnisse interpretiert und geahndetwerden. Länder beispielsweise, die die Aus-fuhr von Raubbauholz verbieten wollen, kön-nen daran gehindert werden. Ferner kann mitdem WTO-Strafgericht gedroht werden,wenn über den Handel Anreize zum Aufbaueiner nachhaltigen Forstwirtschaft geschaf-fen werden sollen, etwa durch Kennzeich-nung von Produkten mit dem Siegel desForest Stewardship Council (FSC). Dieser sogenannte Chill-Effekt sorgt dafür, dass Maß-nahmen gegen den Handel mit illegal ge-schlagenem Holz ausbleiben.

Da der Welthandel massive Auswirkungenauf den Umgang mit Wäldern hat, müssendie forstwirtschaftliche Produktion wie derHandel mit Waldprodukten nachhaltig sein.Entsprechende Lösungen sind zwingend er-forderlich, wenn nicht die letzten verbleiben-

16 Marktzugang für nicht-agrarische Güter

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Fortschreitender Zollabbau

wird den Holzeinschlag erhö-

hen und damit den Raubbau

an den Wäldern forcieren.

den Urwälder der Welt dem freien Han-del geopfert werden sollen.

Sollten im Rahmen der NAMA-Ver-handlungen Zölle für forstwirtschaftlicheProdukte reduziert und die so genann-ten nicht-tarifären Handelshemmnisseabgeschafft werden, würde damit weite-rer Abholzung der Wälder Vorschubgeleistet.

Welthandel contra Meeresschutz

Bereits heute sind unsere Meere weitge-hend leer gefischt. Es fehlen Schutzge-biete, die eine Erholung der Fischbestän-de ermöglichen. Somit steht zu befürchten,dass sich durch den Wegfall von Zöllen undvor allem durch die Beseitigung der nicht-tarifären Handelshemmnisse die Situationnoch weiter verschlechtern würde. Es gilt die-selbe Logik wie bei forstwirtschaftlichen Pro-

Marktzugang für nicht-agrarische Güter 17

dukten: Zollabbau führt zu billigeren Pro-dukten, was die Nachfrage nach diesenerhöht. Solange diese nicht aus nachhaltigerFischerei befriedigt werden kann, werden dieFischbestände weiter dezimiert werden.

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Einfluss der Konzerne

Transnationale Konzerne haben vielfältige

Möglichkeiten, auf die Handelspolitik der

WTO, der eigenen oder fremder Regierun-

gen Druck auszuüben. In ihrer Lobby-

Arbeit agieren sie durch hervorragende

Kontakte sehr effektiv.

Ein Beispiel aus der Pharma-Industrie: Bei derWTO gibt es eine Regelung, in Notfällen denPatentschutz auf dringend benötigte Arznei-mittel zur Behandlung beispielsweise vonHIV/Aids, Malaria, Tuberkulose oder ande-ren in Entwicklungsländern häufig vorkom-menden Krankheiten aufzuheben. Diese sogenannten Zwangslizenzen verbilligen lebens-wichtige Arzneimittel und ermöglichen da-durch, dass viele Menschen überhaupt behan-delt werden können. Gleichzeitig verhindertein aufwändiges System, dass mit diesen pa-tentbefreiten Medikamenten im grenzüber-schreitenden Handel Missbrauch betriebenwerden kann. Trotzdem stört forschende Arz-neimittelhersteller beispielsweise in Deutsch-land diese Regelung, da ihnen damit Gewinneentgehen. Manche Hersteller überhöhten bis-her die Gefahr des Missbrauchs und konntendas Justizministerium dazu bewegen, dassDeutschland in der EU Lösungen zur einfa-

18 Einfluss der Konzerne

cheren Beschaffung von billigen Medikamen-ten blockierte. Patentschutz und die darauserzielten Gewinne sind einigen Arzneimittel-herstellern wichtiger als Menschenleben, diemit erschwinglichen Arzneimitteln gerettetwerden könnten.

Doch Konzerne nutzen nicht nur ihre Ein-flussmöglichkeiten, WTO-Regeln nach ihrenInteressen gestalten zu lassen, sondern ma-chen sich auch den Streitschlichtungsmecha-nismus der WTO zu Nutze. Sowohl die EUals auch die USA geben Konzernen das ver-briefte Recht, dieses eigentlich nur Staatenzugängliche Streitschlichtungsverfahren fürihre Interessen einzusetzen. So macht die „EU-Verordnung über Handelshemmnisse“ Folgen-des möglich: EU-Unternehmen können dieEU-Kommission bei Handelshemmnissen –beispielsweise Einfuhrbeschränkungen vonDrittstaaten – auffordern, ihre „rechtmäßigenHandelsinteressen“ zu schützen. So könnensie die Kommission veranlassen, für sie un-vorteilhafte Hemmnisse durch die WTO be-seitigen zu lassen. Auch daran zeigt sich: DasWTO-System dient nicht allen, sondern haupt-sächlich den Konzernen.

Deutlich wird der Industrieeinfluss auchbei den von den USA angedrohten und durch-geführten Handelsstreitigkeiten: So ist eskein Zufall, dass zeitgleich zum Start des Gen-technik-Streitfalls der Außenhandelsrat derUSA, eine Lobby-Institution der US-Wirt-schaft, im Mai 2003 eine Studie über Handels-barrieren der EU veröffentlicht. Neben derGentechnik-Regelung der EU benennt dieStudie weitere Umwelt- und Gesundheits-schutzmaßnahmen der EU, die der US-Indus-trie ein Dorn im Auge sind. Zu diesen poten-ziellen Streitfällen gehören u.a. die Chemika-lienpolitik und die Erweiterung der Kosmetik-Richtlinie der EU.

Die WTO hat die Wahl:

kostengünstige Behandlung

von HIV-Kranken oder Schutz

von Patentinteressen der

Pharma Konzerne. Cynthia

Leshomo, Gewinnerin des

„Miss HIV Stigma Free Bots-

wana”-Wettbewerbs, be-

sucht eine Leidensgenossin.

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Widerstand gegen die WTO

Greenpeace-Arbeit zu WTO/Globalisierung

Widerstand gegen die WTO 19

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1. Dezember 1990:

Aktion gegen den

WTO-Vorläufer GATT

2. November 2001,

Doha/Qatar:

Rainbow Warrior

vor Doha

3. Juni 2003, Berlin:

Beim Globalisierungs-

kongress McPlanet.com

4. Juli 2003, Genf:

Umwandlung der WTO

in die World Transgenic

Order

5. September 2003,

Veracruz: Aktion gegen

Gen-Maisimporte wäh-

rend der WTO-Konferenz

in Cancùn

6. April 2005, Berlin:

Aktionswoche für

globale Gerechtigkeit

7. Juli 2005, Genf:

Aktion zum Gentechnik-

streitfall vor dem WTO-

Gebäude

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Sozialer und ökolo-gischer Welthandel

So wie die WTO derzeit arbeitet, dient sie

ausschließlich der Stärkung des freien

Handels. Dies führt zur Verschärfung der

Umwelt- und sozialen Probleme. Verspre-

chungen, dass mehr Handel zu größerem

Wachstum und mehr Wohlstand für alle

führe, haben sich öfters als falsch erwie-

sen. Greenpeace fordert eine soziale und

ökologische Welthandelsordnung.

Zunächst ist wichtig: Die globalen Handels-regeln sollten unter dem Dach der VereintenNationen eingegliedert werden. Das wäre dererste Schritt, um eine gerechtere Lösung fürKonflikte zwischen Umweltschutz, Menschen-rechten, grundlegenden Arbeitsrechten undden Handelsregeln zu erreichen. Außerdembraucht das neue Handelssystem eine andereAusrichtung. Nicht allein die wirtschaftlichenInteressen dürfen die Regeln bestimmen. EinHandelsregime, das die Anforderungen einernachhaltigen Entwicklung ernst nimmt,muss gleichermaßen die Förderung des Um-weltschutzes, der sozialen Sicherheit unddes Wohlergehens der Menschen zum Zielhaben.

Ein deutlicher erster Schritt in Richtungneue Welthandelsordnung sollte von den In-dustrienationen ausgehen. Diese müssen ihreMärkte für die Produkte der Entwicklungs-länder öffnen, ihre Exportsubventionen ein-stellen und die Entwicklungsländer bei derUmstellung auf eine umweltgerechtere Pro-duktionsweise finanziell und mit Wissens-transfer unterstützen. Verantwortung zeigenmüssen die Industrieländer vor allem beiGütern, die sie zu Hause verbieten und gleich-zeitig in Entwicklungsländer exportieren. Erstwenn diese Bedingungen erfüllt sind, kön-

20 Sozialer und ökologischer Welthandel

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nen Umweltschutz und nachhaltige Entwick-lung Ziele werden, die alle Länder anstreben.

Deshalb muss eine neue soziale und öko-logische Welthandelsordnung nach folgendenKriterien aufgestellt werden:1. Die Handelsregeln müssen sich dem Prin-zip der Nachhaltigkeit unterordnen.2. Sie müssen zu Frieden und Armutsbe-kämpfung führen.3. Sie müssen multilateral gestaltet, in dasSystem der Vereinten Nationen (UN) einge-bettet und durch die UN kontrolliert werden. 4. Sie müssen demokratisch, kooperativ undgerecht sein.5. Sie müssen auf gleichberechtigten Ver-handlungen zwischen allen Handelspartnernbasieren, bei denen kein Druck auf schwächereHandelspartner ausgeübt wird.6. Eine soziale und ökologische Welthandels-ordnung würde Handelskonflikte weitgehendvermeiden und im Falle entstehender Konfliktezu einer gerechten Streitschlichtung führen:transparent und im System der VereintenNationen eingebettet. Im Streitfall müssenUmwelt, Menschenrechte und Kernarbeits-normen respektiert und dürfen nicht ökono-mischen Erwägungen untergeordnet werden. 7. Sie muss die wirtschaftliche, soziale, biolo-gische und kulturelle Vielfalt einzelner Han-delsnationen, die Bedürfnisse und Möglich-keiten der Entwicklungsländer sowie armerund schwacher Teile der Gesellschaft berück-sichtigen und Maßnahmen zu deren Schutzerlauben.8. Sie muss Umweltschutzmaßnahmen unter-stützen und auch langfristig eine lebenswerteUmwelt erhalten. Im Besonderen muss dasneue Handelssystem sicherstellen, dass um-weltfreundliche Produktions- und Konsum-muster gefördert, Kernprinzipien des Um-weltschutzes eingehalten sowie die Ziele unddie Umsetzung von multilateralen Umwelt-schutzabkommen gefördert werden.

Traditionelle Küstenfischerei

ist bedroht durch Bestrebun-

gen der WTO, die Märkte für

Waren der Fischerei zu öffnen.

Ökologische Unkrautbe-

kämpfung: Eine faire Welt-

handelsordnung muss die

wirtschaftliche, soziale,

biologische und kulturelle

Vielfalt der Länder berück-

sichtigen.

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22 Was kann ich tun?

Was kann ich tun?

Welthandelsregeln bestimmen, welches Wa-renangebot bei uns verfügbar ist. Sie könnenermöglichen, dass ungesunde Nahrungsmit-tel und nicht nachhaltige Produkte ins Landkommen. Allerdings können Sie als bewussteKonsumentin, als bewusster Konsument dieNachfrage mit beeinflussen.

Nutzen Sie Ihre Macht als

Verbraucherin, als Verbraucher:

Fragen Sie nach, woher die Waren stammen,unter welchen Arbeitsbedingungen sie ent-standen sind, welche Auswirkungen sie aufdie Umwelt haben.

Verdeutlichen Sie Ihren Händlern, dassSie Produkte aus einer nachhaltigen, sozial-wie umweltgerechten Produktion den Vor-zug geben.

Bevorzugen Sie Produkte aus biologischemAnbau und fairem Handel.

Auch als Staatsbürgerin und Staats-

bürger haben Sie Einflussmöglichkeiten:

Verdeutlichen Sie Firmen, dass Sie generellWaren den Vorzug geben, die nachhaltig her-gestellt sind.

Teilen Sie der Bundesregierung, demWirtschaftsministerium, dem Bundestag undIhrem Abgeordneten mit, dass die Regelndes Welthandels grundlegend verändert wer-den müssen. Zukünftig sollten die Interessender Entwicklungsländer, globale Gerechtig-keit, Menschenrechte, grundlegende Arbeits-rechte und der Umweltschutz im Handel nichtden rein ökonomischen Interessen unterwor-fen werden. Sie können auf Veranstaltungen,durch Anrufe, Briefe und E-Mails Forderungennach einer grundlegenden Veränderung desWelthandelssystems Ausdruck verleihen.

Unterstützen Sie die Aktionen von Nicht-regierungsorganisationen, die sich für gerech-ten Welthandel einsetzen.

Biologische Landwirtschaft

und fairer Handel bieten

Alternativen zum Freihandels-

prinzip der WTO.

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Tipps zum Weiterlesen 23

Tipps zum Weiterlesen

Literatur

Attac (Hrsg.) Die geheimen Spielregeln

des Welthandels

WTO - GATS - TRIPS - MAI

Wien: Promedia 2004*

Evangelischer Entwicklungsdienst/Forum Umwelt und Entwicklung/Greenpeace/WEEDDas NAMA-Drama

Wie die WTO-Verhandlungen

über Industriegüter Umwelt

und Entwicklung bedrohen

Bonn: Forum Umweltund Entwicklung 2005**

Evangelischer Entwicklungs-dienst/Forum Umwelt undEntwicklungIn Cancún gestrandet? Welthandels-

politik im Nord-Süd-Konflikt

Bonn: EED & Forum Umweltund Entwicklung 2005**

Evangelischer Entwicklungsdienst/Forum Umwelt undEntwicklung/GreenpeaceSchieflage mit System:

Das Streitschlichtungsverfahren

der Welthandelsorganisation (WTO)

Bonn: Forum Umwelt undEntwicklung 2005**

Jawara, J. & A. KwaBehind the scenes at the WTO:

the real world of international trade

negotiations – the lessons of Cancún

London, New York: Zed Books 2004*

Wallach, L. & P. Woodall:Whose Trade Organization?

A comprehensive Guide to the WTO

New York, London:The New Press 2004*

WTO – Welthandelsorganisation

München:Deutscher Taschenbuch Verlag 2005*

Enthält die Texte der WTO-Abkommen

Links

Deutschsprachige Websites zum

Thema Welthandel (Auswahl)

Greenpeace

www.greenpeace.de/wtowww.greenpeace.atwww.greenpeace.ch

Attac

www.attac.de/wtowww.attac.at/wtowww.schweiz.attac.org

Evangelischer Entwicklungsdienst

(EED)

www.eed.de

Fairer Agrarhandel

www.fairer-agrarhandel.de

Forum Umwelt und Entwicklung

www.forumue.de

Germanwatch

www.germanwatch.org

Gerechtigkeit Jetzt! –

Die Welthandelskampagne

www.gerechtigkeit-jetzt.de

Heinrich-Böll-Stiftung

www.hongkong2005.org

Weltwirtschaft, Ökologie und

Entwicklung / World Economy,

Ecology & Development (WEED)

www.weed-online.org

Wikipedia. Die freie Enzyklopädie

http://de.wikipedia.org/wiki/WTO

Offizielle Stellen

Bundesministerium für Wirtschaft

und Arbeit

www.bmwa.bund.de(siehe unter Politikfelder,dort unter Außenwirtschaft)

Bundestag

www.bundestag.de

EU-Kommission Generaldirektion

Handel

europa.eu.int/comm/trade

US-Handelsbeauftragter (USTR)

www.ustr.gov

Welthandelsorganisation (WTO)

www.wto.org

* über den Buchhandel, die englischen Titel können

leicht über das Internet bestellt werden.

** siehe Links

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Greenpeace e.V., 22745 Hamburg Tel. 040/3 06 18-0; Fax 040/3 06 18-100E-Mail: mail @ greenpeace.de, Politische Vertretung Berlin, Marienstr. 19–20, 10117 Berlin

Tel. 030 /30 88 99 - 0, Fax 030/30 88 99 -30 Internet: www. greenpeace.de

Greenpeace Österreich / Zentral- & Osteuropa, Siebenbrunnengasse 44, A -1050 Wien; E-Mail: [email protected]

Greenpeace Schweiz, Heinrichstraße 147, CH - 8005 Zürich; E-Mail: [email protected]

Greenpeace Luxemburg, 34 Avenue de la Gare, L - 4130 Esch/Alzette;E-Mail: [email protected]

Greenpeace fordert:

Die Regeln des Welthandels müssen grundlegend umgestaltet werden:

Das Welthandelssystem muss auf demokratischen Entscheidungs-

strukturen basieren und transparent sein.

Es muss die Armut beseitigen, den Umweltschutz fördern und langfristig

eine gesunde Umwelt ermöglichen.

Das Welthandelssystem muss umweltfreundliche und nachhaltige

Produktionsweisen und Konsummuster unterstützen.

Es muss Kernprinzipien des Umweltschutzes wie das Vorsorgeprinzip

in seine Regeln aufnehmen und Ziele wie die Umsetzung von multilate-

ralen Umweltabkommen unterstützen.

Mit Blick auf die WTO-Ministerkonferenz in Hongkong:

Die Verhandlungen zum verbesserten Marktzugang für nicht-agrarische

Produkte (NAMAs) müssen gestoppt werden. Pläne für die Liberalisierung

ökologisch sensibler Sektoren wie Wald- und Meeresprodukte müssen

aufgegeben werden.

Die Exportsubventionen der Industrienationen für landwirtschaftliche

Produkte müssen sofort eingestellt werden.

Das Verhältnis zwischen Handelsabkommen und Umweltregeln muss

außerhalb der WTO geklärt werden. Umweltregeln müssen Vorfahrt vor

Handelsregeln erhalten.

Die Liberalisierungsverhandlungen im Dienstleistungsbereich müssen

gestoppt werden. Eine vollständige und unabhängige Abschätzung der

Auswirkungen der Liberalisierungsmaßnahmen für Dienstleistungen

muss durchgeführt werden.