Upload
others
View
0
Download
0
Embed Size (px)
Citation preview
Akupunktur in Europa schon in der Jungsteinzeit – „Missing Link“ entdeckt
AurikulomedizinZeitschrift für Akupunktur & Aurikulomedizin
ZA
AZ
AA
02-2015
OFFIZIELLES ORGAN DER DAA E.V. · DER OGKA · DER SACAM UND DER ISLA · 41. JAHRGANG · ISSN 2192-9319
FORSCHUNG LASER
Laser versus LED
Wer ist „stärker“? | Seite 33
FORSCHUNG PHYTOTHERAPIE
Chlorophyll
Rettung bei Prostata-Ca.? | Seite 26
INTEGRATIVE AKUPUNKTUR
M. Hashimoto
Ein ganzheitliches Konzept | Seite 15
10 ZAA 02-2015
AUS DER PRAXISFORSCHUNG
Zusammenfassung1998 erkannte Bahr beim Betrachten einer Strichzeich-
nung der Mumie „Ötzi“, dass die eingezeichneten
Tätowierareale traditionellen Akupunkturpunkten ent-
sprechen und bat Dorfer um eine genaue Analyse zur
Bestätigung. Dessen Untersuchungen an Ötzi führten
zur Lokalisierung von weiteren Tattoos, die dann von
Bahr, Dorfer und Suwanda bekannten Akupunkturstel-
len zugeordnet werden konnten, die auch aus klassischer
Sicht des Akupunkturarztes zu den röntgenologisch
nachgewiesenen Beschwerden Ötzis besonders im Be-
reich der Wirbelsäule passten.
2014 konnte Samadelli et al. mit neuer Multispektral-
technik weitere Tätowierstellen entdecken, die exakt
als „missing link“ den weiteren Beschwerden Ötzis im
Verdauungstrakt zuzuordnen sind.
In der Gesamtschau der Analyse der Lokalisationen al-
ler Tätowierungen kann mit an Sicherheit grenzender
Wahrscheinlichkeit gesagt werden, dass die Tattoos einen
therapeutischen Zweck gegen die Beschwerden im Ver-
dauungstrakt und an der Wirbelsäule hatten und dass in
Europa bereits vor 5300 Jahren eine Frühform der Aku-
punktur existierte.
SchlüsselwörterÖtzi, Mann im Eis, Gletschermumie, Missing Link,
Tattoos, Akupunktur
Summary1998 Bahr realized while looking at a line drawing of
the mummy Ötzi, that the shown areas of the tattoos
correspond to traditional points of acupuncture and
he asked Dorfer to make an exact analysis to prove
that. His examinations on Ötzi led to localisations of
other tattoos, which could be assigned from Bahr, Dor-
fer and Suwanda to wellknown acupuncture areas,
which matched also the classical points of view of an
acupuncture doctor to the x-ray-proven ailments of
Ötzi, specially in the area of the spinal column.
2014 Samadelli et al. could detect with a new multi-
spectral-device more areas of tattoos, which matched
exactly as „missing link“ the other ailments of Ötzi,
specially in the intestines.
Regarding the complete analysis of the localizations
of all tattoos we can assume it can be said with almost
absolute certainty, that the tattoos had a therapeutic
value against the ailments of the intestines and in the
spinal column and that in Europe already 5300 years
ago an early form of acupuncture did exist.
Keywords Ötzi, iceman, ice mummy, missing link, tattoos,
acupuncture
Frank Bahr, Leopold Dorfer, Sandi Suwanda
DIE NEUEN UNTERSUCHUNGEN AM MANN IM EIS „ÖTZI“ MIT DEM „MISSING LINK“ ALS NACHWEIS FÜR DIE ENTWICKLUNG DER AKUPUNKTUR IN EUROPA
NEW STUDIES ON THE ICEMAN “ÖTZI” WITH THE “MISSING LINK” AS PROOF FOR THE DEVELOPEMENT OF ACUPUNCTURE IN EUROPE
11ZAA 02-2015
AUS DER PRAXISFORSCHUNG
Einleitung
Der Mann im Eis „Ötzi“ ist wohl die am besten unter-
suchte Person, die jemals für Forschungen genauestens –
bis hin zu elektronenmikroskopischen Aufnahmen – ana-
lysiert wurde. Und in ca. 20 Büchern von „Die
Gletschermumie“ bis „Ötzi 2.0 – eine Mumie zwischen
Wissenschaft, Kult und Mythos“ wurden alle möglichen
Aspekte seines Lebens und Wirkens sowie sein Ende be-
schrieben.
Eines dieser ersten Bücher war das 1995 erschienene Werk
von Prof. Konrad Spindler „Der Mann im Eis“ [1], das
Bahr am Rande eines Akupunkturseminars zufällig durch-
blätterte. Und damit begann die erstaunliche neue Sicht
über die Entwicklung der Akupunktur in Europa. Schließ-
lich war die bisher allgemein akzeptierte Meinung, dass
die Akupunktur aus China stammt. Wenn eine solche neue
Diskussion beginnt, muss man selbstverständlich damit
rechnen, dass die Begründung für diese geradezu revolu-
tionäre These extrem sorgfältig abgesichert werden muss.
Zunächst zu diesem oben erwähnten Buch und der dort
befindlichen Strichzeichnung der Tätowierungen am Rü-
cken von Ötzi (Abb. 1): Der Prähistoriker Spindler konn-
te den Sinn dieser Tattoos nicht einordnen, für einen Aku-
punkteur war allerdings der Zusammenhang zu klassischen
Akupunkturpunkten auf dem sogenannten Blasenmeri dian
im Bereich des Rückens auf Anhieb eindeutig und es war
klar, dass an dieser Stelle im Bereich der unteren Wirbel-
säule die Tätowierungen mit einfachen Strichen nicht
„Schönheits“-Tattoos waren, sondern einen medizinischen
Zweck erfüllen sollten (Abb. 2). Um dieser Frage nachzu-
gehen, wurde von Bahr sein Akupunkturkollege Dorfer
wegen des kürzeren Weges von Graz nach Bozen gebeten,
zum Ötzi-Institut zu fahren, um alle anderen Tätowie-
rungen genau zu untersuchen – vor allem im Hinblick
darauf, ob diese auch unter Akupunkturgesichtspunkten
einen Sinn ergeben würden. Tatsächlich konnte durch
diese sorgfältigen Analysen von Dorfer et al. [2, 3] bestätigt
werden, dass die anderen Tätowierungen ebenfalls an be-
währten klassischen Akupunkturpunkten vorgenommen
worden sind, die zu den röntgenologisch nachgewiesenen
Beschwerden passten, nämlich Schmerzen gegen die aus-
gedehnte Arthrose im Bereich der unteren Wirbelsäule mit
einem gewissen Anteil an rheumatischen Veränderungen.
Die Untersuchungen von Dorfer zeigten, dass auch einige
Punkte tätowiert waren, die entsprechend ihrer Lokalisa-
tion auf den Akupunkturmeridianen Gallenblase, Milz-
Pankreas und Leber für Beschwerden im abdominellen
Bereich zuständig waren. Zwischenzeitlich wurde auch
Abb. 1: Strichzeichnung von Spindler über Ötzis Tätowierungen am Rücken mit den von Bahr eingezeichneten klass. Akupunkturpunkten
Bl 21
Bl 22
Bl 23
Bl 24
Bl 25
Abb. 2: Im Bereich des Akupunkturpunktes Bl 24 sind 4 ca. 24 mm lange Strichtatttoos vorhanden.
12 ZAA 02-2015
AUS DER PRAXISFORSCHUNG
bekannt, dass der „Mann im Eis“ an Peitschenwürmern
der Gattung Trichuris Trichiura in seinen Gedärmen litt [5]
und diesbezüglich eine Erleichterung durch die Akupunk-
tur-Tätowierungen suchte.
Mittlerweile wurden die schwarzen Partikelchen sogar
elektronenmikroskopisch untersucht, es handelt sich
hauptsächlich um Ruß, teilweise mit ein wenig Asche, die
mit einer Spitze unter die Haut eingebracht wurden [4].
Durch die lokale Reaktion im Unterhautgewebe kann
man davon ausgehen, dass diese Art der Behandlung zu
einer wahrscheinlich anhaltenden Akupunkturwirkung
geführt hat. Durch die Verwendung von Ruß direkt von
der Feuerstelle waren die eingebrachten Partikel frei von
Bakterien und führten nicht zu einer lokalen Entzündung
sondern nur zu dem erwünschten Reiz.
Nach diversen Veröffentlichungen in den Jahren 1998 und
1999,, an denen auch die Verfasser dieses Beitrags beteiligt
waren [2, 3], wurden in der breiten Diskussion der Leser-
schaft die oben genannten therapeutischen Wirkungen der
Akupunktur zwar einerseits zur Kenntnis genommen, an-
dererseits gab es aber auch immer noch Stimmen, die nicht
ausschließen wollten, dass die Tätowierungen doch zu
Schönheitszwecken durchgeführt worden sind.
Neue Erkenntnisse – der Missing Link
Neuere Untersuchungen mit einer „Full-Range“-Kame-
ra (Bandbreite von 300 bis 1000 nm) von Samadelli et al.
2014 [6] werden nun auch die Skeptiker überzeugen, dass
die Tätowierungen nur zu therapeutischen Zwecken ge-
macht wurden, denn die Forscher konnten mit dieser spe-
ziellen Untersuchungstechnik neue Tattoos im Bereich des
rechten unteren Thorax finden, die aufgrund ihrer aku-
punkturmäßigen Bedeutung für Galle- und Darmbe-
schwerden als „Missing Link“ für unsere Beweisführung
dienen. Denn diese neu gefundenen Tätowierungen kön-
nen ausschließlich den Sinn haben – und zwar ergänzend
zu den bisher von Dorfer gefundenen – die bereits o. e.
wurmbedingten Krämpfe noch besser zu behandeln.
Diese Tätowierungen (Abb. 3) passen so genau zu den
Beschwerden Ötzis und zugleich zu den Akupunktur-
punkten Gb 24 und Le 14, dass eine zufällige „Schönheits-
tätowierung“ in diesem Bereich mit an Sicherheit gren-
zender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden kann.
Für einen Akupunkturarzt ist der Fund dieser durch die
neue Technik der infraroten multispektralen Fotografie
ermöglichten Aufnahmen aber nicht nur erfreulich, son-
dern nötigt uns auch Bewunderung ab: Die vor über 5000
Jahren durchgeführte Akupunktur war nämlich in der
Punktauswahl auch nach allen unseren Erkenntnissen und
Erfahrungen geradezu optimal! Dies sei kurz erläutert:
Beide neu gefundenen durch Striche markierten Punkte
(Abb. 3 und Abb. 4 unter T_15) verbinden die Akupunk-
turpunkte Leber 14 und Gallenblase 24 – das ist eine ge-
schickte Kombination auch zum Yin/Yang-Ausgleich.
Auch nach heutigem Lehrbuchwissen [8] wird der Punkt
Le 14 als Alarmpunkt für starke Schmerzen im Oberbauch
und der Punkt Gb 24 – auch ein Alarmpunkt – für
Schmerzen und Entzündungen im Bereich von Galle und
Magen empfohlen. Dazu passt genau, dass mittlerweile bei
Ötzi außer den erwähnten Peitschenwürmern radiologisch
auch Gallensteine festgestellt wurden [7].
Diskussion
In der Gesamtschau sind tatsächlich alle tätowierten Stri-
che – sowohl die früher gefundenen als die neu entdeck-
ten – ausgesprochen sinnvolle therapeutische Tätowierun-
gen und es muss betont werden, dass auch ein heutiger
Akupunkturarzt bei den Beschwerden wie sie Ötzi hatte,
die gleichen Punkte verwenden würde.
In der Abb. 4 sind die hochwertigen Fotos nach den Un-
tersuchungen von Samadelli et al. abgebildet und in der
dazugehörigen Tabelle werden von Bahr, Dorfer und Su-
wanda die entsprechenden klassischen Akupunkturpunk-
te angegeben.
Als Schlussfolgerung erscheint nun gesichert, dass Ötzis
Beschwerden im Rücken- und Gelenkbereich, als auch
durch weitere Akupunkturpunkt-Tätowierungen diejeni-
Abb. 3: Neu gefundene Tätowierungen im Bereich der Akupunkturpunkte Le 14 und Gb 24 – die 20 bis 25 mm langen Tätowierstriche verbanden beide Akupunkturpunkte für einen speziellen Yin/Yang-Ausgleich.
13ZAA 02-2015
AUS DER PRAXISFORSCHUNG
gen im Verdauungstrakt sehr gezielt bekämpft wurden.
Diese Befunde beweisen aus Sicht des Akupunkturarztes,
dass die Tätowierungen nur Sinn als therapeutische Maß-
nahme einer Frühform der Akupunktur ergeben und alle
anderen Interpretationen nun nicht mehr Bestand haben
können.
Aufgrund des Zeitpunktes des Fundes von Ötzi muss aber
auch die Schlussfolgerung gezogen werden, dass der nach-
gewiesene Ursprung einer Akupunkturfrühform in Euro-
pa liegt, die frühesten dokumentierten Berichte aus Chi-
na sind mehrere tausend Jahre jüngeren Datums.
Diesbezüglich könnte man meinen, dass chinesische For-
scher diese Informationen nicht so gerne zur Kenntnis
nehmen – erstaunlicherweise ist das Gegenteil der Fall:
Bei der Aufzählung verschiedener Veröffentlichungen eines
der Verfasser dieses Beitrags (F. B.) wurde auch diejenige
über Ötzi 1998/1999 in der Laudatio anlässlich seiner
Abb. 4: Alle gefundenen Tätowierungen – sowohl die früher von Dorfer gefundenen wie die mit neuer Multispektraltechnik von Samadelli et al. entdeck-ten Areale – in der Übersicht [6]
14 ZAA 02-2015
AUS DER PRAXISFORSCHUNG
Ernennung zum Prof. h.c. an der Chin. Akademie der
Wissenschaften positiv erwähnt.
Abbildungsnachweis
Abb. 1: Spindler K.: Der Mann im Eis, Goldmann Taschenbuch 1995
Abb. 2, 3, 4: Samadelli M, Melis M, Miccoli M, Egarter-Vigl E, Zink
A. Complete mapping of the tattoos of the 5300-year-old Tyrolean
Iceman. Journal of Cultural Heritage Elsevier 2014 www.science-
direct.com, http://dx.doi.org/10.1016/j.culher.2014.12.005 2015
Literatur
[1] Spindler K: Der Mann im Eis. Goldmann Taschenbuch 1995
[2] Dorfer L, Moser M, Spindler K, Bahr F, Egarter-Vigl E, Dohr
G: 5200-Year-Old Acupuncture in Central Europe? Science
9. oct. 1998, Vol. 282 no. 5387
[3] Dorfer L, Moser M, Bahr F, Spindler K, Egarter-Vigl E, Giul-
lén S, Dohr G, Kenner T: A medical report from the stone age?
The Lancet 18. sept. 1999, Vol. 354 No. 9183
[4] Pabst M, Letofsky-Pabst I, Bock E, Moser M, Dorfer L, Egar-
ter-Vigl E, Hofer F: The tattoos of the Tyrolean Iceman. A
light microscopical, ultrastructural and element analytical stu-
dy, Journal of Archaeological Science 36, 2009
[5] Aspöck H, Auer H, Picher O: Trichuris trichiura eggs in the
Neolothic glaciermummy from the Alps. Parasitology Today
12, 1996
[6] Samadelli M, Melis M, Miccoli M, Egarter-Vigl E, Zink A:
Complete mapping of the tattoos of the 5300-year-old Tyro-
lean Iceman. Journal of Cultural Heritage Elsevier 2014 www.
sciencedirect.com, http://dx.doi.org/10.1016/j.culher.
2014.12.005 2015
[7] Gostner P, Pernter P, Bonatti G, Graefen A, Zink A R: New
radiological insights into the life and death of the Tyrolean
Iceman. Journal of Archaeological Science 38, 2011
[8] Bahr F, Dorfer L, Jost F, Litscher G, Ramme B, Suwanda S,
Zeitler H: Das große Buch der klassischen Akupunktur. 2.
Auflage Urban & Fischer, Elsevier 2014
Prof. mult. h.c. VRC Volksrepublik China
Dr. Frank R. Bahr
Europäische Akademie für TCM
Oselstr. 25 A, D-81245 München
Tabelle der zugehörigen Akupunkturpunkte zu Abb. 4
Rückenbereich:
T_05 Bl 24 Wirbelsäulenschmerzen
T_07 Bl 21, 22, 23, 25 Wirbelsäulenschmerzen
Oberbauch:
T_15 Le 14/Gb 24 (durch
3 Linien verbunden)
gegen Spastik im
Verdauungstrakt
Bein- und Fußbereich (sog. Fernpunkte):
T_01 Ma 41/Gb 40 Gallen- und
Magenbeschwerden
T_02 Gb 34 Gallenbeschwerden,
Teilwirkung auf WS
T_03 Bl 56 Rückenschmerz
T_04 Bl 59 Rückenschmerz
T_06 Gb 38 Gallenbeschwerden
T_08 Le 8 Gallen- und
Leberbeschwerden,
Teilwirkung auf WS
T_09 Ni 7 übergeordnete Wirkung
auf WS
T_11 Bl 60 Rückenschmerz
T_12 Gb 37 Gallenbeschwerden
T_13 Ni 9 unterstützt Ni 7
T_14 Le 5 gegen Spastik im
Verdauungstrakt
Handwurzel
T_10 Di 5/3E 4/Dü 4
(durch 2 lange Linien
verbunden)
gegen Spastik im
Verdauungstrakt
Prof. Dr. med. Leopold Dorfer
Präsident der Österreichischen Gesellschaft für
Kontrollierte Akupunktur und TCM (OGKA)
Glacis straße 7, A-8010 Graz
Tel. +43 316/37 40 50
E-Mail: [email protected], Internet: www.ogka.at
Prof. h.c. VRC Dr. med. Sandi Suwanda
Trichtenhauser Str. 20
CH-8125 Zürich