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Zukunftssicherung für Mensch und Erde Konzeption zur Weiterentwicklung des geowissenschaftlichen Forschungs- und Entwicklungsprogramms GEOTECHNOLOGIEN des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) und der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) Herrenknecht AG

Zukunftssicherung für Mensch und Erde

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Programmschrift Geotechnologien

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Zukunftssicherungfür Mensch und ErdeKonzeption zur Weiterentwicklung des geowissenschaftlichenForschungs- und Entwicklungsprogramms GEOTECHNOLOGIENdes Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) undder Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG)

Kontakt:Dr. Ute MünchKoordinierungsbüro GEOTECHNOLOGIENTelegrafenberg, 14473 PotsdamTel. 0331-288 [email protected]

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GEOTECHNOLOGIEN

Zukunftssicherung für Mensch und Erde

Konzeption zur Weiterentwicklung des geowissenschaftlichenForschungs- und Entwicklungsprogramms GEOTECHNOLOGIENdes Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) undder Deutschen Forschungs gemeinschaft (DFG)

Redaktionskomitee:Hans-Peter Harjes · Hans-Joachim Kümpel · Ute Münch ·Monika Sester · Ludwig Stroink · Gerold Wefer

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort .................................................................................................................................................................. 5

GEOTECHNOLOGIEN – Das Forschungsprogramm ............................................................. 6

Forschungsschwerpunkte

1. Klimaänderungen – Aus der Vergangenheit für die Zukunft lernen ........................... 11

2. Die Biosphäre – Lebensräume und Wandel der Ökosysteme ........................................... 19

3. Die Tiefsee – Technologische und wissenschaftliche Herausforderung .................. 31

4. Der Boden – Die Haut der Erde ............................................................................................................. 41

5. Zukunftsraum Untergrund – Georessourcen und Geotechnik ........................................ 53

6. Geomaterialien – Von der Nutzung ihrer Oberflächeneigenschaften bis zu innovativen Hochdrucksynthesen ........................................................................................ 63

7. Georisiken – Umgang mit extremen Naturereignissen ......................................................... 71

8. Die virtuelle Erde – Informationstechnologien ........................................................................ 81

9. Global Monitoring – Erkundung der Erde aus dem Weltraum ........................................ 91

10. Unser blauer Planet – Die Bedeutung der Erde im Sonnensystem ................................ 101

Anhang

Bildnachweis/Impressum ...................................................................................................................................... 108

Autorenverzeichnis ..................................................................................................................................................... 110

Abkürzungen ................................................................................................................................................................... 112

Science Reports ............................................................................................................................................................. 114

Inhaltsangabe 3

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Die verheerenden Folgen von Naturkatastrophen,der globale Klimawandel und die intensive Nut-zung der natürlichen Ressourcen sind für Politikund Wissenschaft zu einer enormen Herausforde-rung geworden. Lösungen scheinen nur möglich,wenn die Erde als System begriffen wird, in demdie Geosphäre, Kryosphäre, Hydrosphäre, Atmo-sphäre, Biosphäre und die Anthroposphäre aufkomplexe Weise miteinander verbunden sind.

Diesen übergreifenden Ansatz verfolgt das For-schungs- und Entwicklungsprogramm (FuE) GEO-TECHNOLOGIEN. Seine interdisziplinär ausgeleg-ten Themenschwerpunkte ermöglichen es, den Le-bensraum Erde von der globalen Beobachtung ausdem Weltraum bis in die atomare Dimension sei-ner einzelnen Bausteine zu untersuchen. Dazu wirdein breites Spektrum modernster Technologien ein-gesetzt, die den Geowissenschaftlern völlig neueMöglichkeiten an die Hand geben, Prozesse in allenzeitlichen und räumlichen Skalen quantitativ undhoch aufgelöst zu erfassen. Übergeordnetes For-schungsziel der GEOTECHNOLOGIEN ist es: – Prozesse und ihre Wechselbeziehungen besser zu verstehen

– die Einwirkungen des Menschen auf diese Prozesse abzuschätzen und

– auf der Grundlage dieses System- und Prozessverständnisses zu einem nachhaltig orientierten Erdmanagement zu gelangen.

Voraussetzung für eine erfolgreiche Umsetzungdieses systemorientierten Konzepts ist ein diszipli-nenübergreifendes Forschungsumfeld. In den Ver-bundprojekten der GEOTECHNOLOGIEN arbeitenGeowissenschaftler, Physiker, Biologen, Chemiker,Ingenieure, Informatiker, Mediziner und Sozial-wissenschaftler zusammen. Durch diesen integra-tiven Ansatz werden Ideen und Kenntnisse ge-bündelt und neue Synergien geschaffen, die inden einzelnen Fachgebieten selbst nicht entstehenkönn ten. Das Programm GEOTECHNOLOGIENhat damit den eingeleiteten Paradigmenwechselvon der disziplinären Forschung zu transdiszipli-nären Konzepten und Lösungsansätzen konse-quent weiterentwickelt.

Das breite und differenzierte Themenspektrum derGEOTECHNOLOGIEN ermöglicht es darüber hin-aus, Grundlagenwissen in Produkte, Verfahren undDienstleistungen umzusetzen. Für Klein- und Mit-telständische Unternehmen (KMU) wird das For-schungsprogramm damit so attraktiv, dass sich be-reits über 50 Unternehmen an den verschiedenenVerbundprojekten beteiligt haben. Damit unter-scheidet sich dieses Programm explizit von frühe-ren Initiativen im Bereich der Geoforschung.

Nach neun Jahren Forschungsförderung erscheintes uns nun an der Zeit, Bilanz zu ziehen und denBlick nach vorn zu richten. Dazu wurde am 25./26.Mai 2009 in Berlin ein Strategieworkshop durch-geführt, an dem mehr als 70 Wissenschaftlerinnenund Wissenschaft ler teilnahmen. Ziel der fach- undinstitutsübergreifenden Diskussion war es, neueForschungsfragen aufzuwerfen, bisherige Ziele zudiskutieren und eine Konzentration auf die wichti-gen Herausforderungen vorzunehmen. Das Ergeb-nis dieser Diskussion ist in der vorliegenden Kon-zeption dargestellt.

Vorwort 5

Vorwort

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Koordinierte Forschung, grenzübergreifend zwischen Disziplinen und Institutionen

Aufbruchstimmung herrschte, als vor gut neunJahren das Bundesministerium für Bildung und For-schung (BMBF) und die Deutsche Forschungsge-meinschaft (DFG) auf einer gemeinsamen Presse-konferenz das neue Forschungs- und Entwick-lungsprogramm GEOTECHNOLOGIEN der Öffent-lichkeit vorstellten. Ehrgeizig war nicht nur der An-satz, ein gemeinsames Forschungsprogramm derbeiden wichtigsten deutschen Forschungsförde-rungseinrichtungen zu etablieren, ambitioniert warauch die Idee, durch ein abgestimmtes Handelnüber die Fächer- und Bundeslandgrenzen hinwegden Grundstein für ein globales »Erdsystemmana-gement« zu legen. Mit der Jahrtausendwende gin-gen die ersten Vorhaben in die Förderung. Es istdaher Zeit, eine erste Bilanz zu ziehen und neueSchwerpunkte für zukünftige Aufgaben zu setzen.

Operativ ist das Programm GEOTECHNOLOGIENals ein bundesweites Netz interdisziplinärer For-schungsverbünde organisiert. In den Verbünden ar-beiten universitäre und außeruniversitäre For-schungseinrichtungen sowie Unternehmen eng zu-sammen. Seit dem Start des Programms im Jahre2000 wurden viele damals gesetzte Themen-schwerpunkte in erste konkrete Forschungspro-jekte umgesetzt (Tab. 1). Sie wurden und werdenentweder im Rahmen der Projektförderung desBMBF oder als Schwerpunktprogramm der DFGbearbeitet. Wissenschaftlich sind sie eng miteinan-der vernetzt. Insgesamt haben sich bis heute 46Universitäten, 34 außeruniversitäre Einrichtungenund 55 Unternehmen an weit über 100 Verbund-projekten beteiligt (Abb. 1). BMBF und DFG unter-stützten die Forschungsarbeiten bislang mit circa140 Millionen Euro. Durch das FuE-ProgrammGEOTECHNOLOGIEN wurden zudem zahlreicheneue Forschungsinitiativen mit einem Fördervolu-men von über 40 Millionen Euro angestoßen.

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Abb. 1: Übersicht der bislang am FuE-Programm GEOTECHNOLOGIEN beteiligtenUniversitäten und außeruniversitären Forschungseinrichtungen.

GEOTECHNOLOGIEN – Das Forschungsprogramm

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GEOTECHNOLOGIEN –Das Forschungsprogramm 7

Tab 1 : Übersicht über die bislang im FuE-Programm GEOTECHNOLOGIEN geförderten Themenschwerpunkte (SPP = Schwerpunktprogramm).

Themenschwerpunkt Förderstatus Förderinstitution

Erfassung des Systems Erdeaus dem Welltraum

Das Erdinnere als treibendeKraft geowissenschaftlicherProzesse

Kontinentränder: Brenn-punkte im Nutzungs- und Ge-fährdungspotenzial der Erde

Tomographie der Erdkruste

Sedimentbecken – Die größteRessource der Menschheit

Gashydrate im Geosystem

Stoffkreisläufe: Bindegliedzwischen Geosphäre und Biosphäre

Erkundung, Nutzung, Schutzdes unterirdischen Raumes(1) Entwicklung innovativerVorauserkundungstechno-logien im Untertagebau

(2) Geologische Speicherungvon CO2

Mineraloberflächen: Von atomaren Prozessen zur Geotechnik

Frühwarnsysteme im Erdmanagement

Informationssysteme im Erdmanagement

Globale Klimaänderungen – Ursache und Auswirkungen

Das gekoppelte System Erde-Leben

· 17 Forschungsverbünde seit 2001· 10 Projekte im Normalverfahren (NV) · SPP: »Massentransport und Massenverteilung im System Erde«

· SPP: »Erdmagnetische Variationen – Raum-Zeitliche Struktur, Prozesse und Wirkungen auf das System Erde«. (2000 - 2006)

· 3 Forschungsverbünde (2004 - 2007) · 11 Projekte im NV als Beitrag zu ESF-EUROMARGINS (2003 - 2008)· SPP: SAMPLE: South Atlantic Margin Processes and Links with onshore Evolution (seit 2008)

· 9 Verbünde empfohlen (ab 2010)

· SPP: Dynamik sedimentärer Systeme (2002 - 2008)

· 20 Forschungsverbünde (seit 2000)

· Öffentliche Bekanntmachung steht noch aus

· 4 Verbundprojekte (2005 - 2009)

· 20 Verbundprojekte (seit 2005)

· 13 Verbundprojekte (seit 2008)

· 11 Verbundprojekte (seit 2007)· Graduiertenkolleg METRIK

· 6 Verbundprojekte (2003 – 2005)

· · Deutsches Klimaforschungsprogramm DEKLIM (2001 – 2006)

· Rundgespräche sind in Planung

· BMBF· DFG· DFG

· DFG

· BMBF· DFG

· DFG

· BMBF

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· BMBF

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· BMBF· DFG

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· BMBF

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Marktpositionierung – Zusammenarbeitzwischen Wissenschaft und IndustrieDie Forschungsthemen des FuE-Programms GEO-TECHNOLOGIEN sind disziplinenübergreifend undvielfach an der Schnittstelle zwischen Geowissen-schaften, Ingenieurwissenschaften, Biowissenschaf - ten, Physik und Chemie angesiedelt. Entsprechendbreit sind die Einsatzmöglichkeiten, die eine hier ent-wickelte Basistechnologie besitzt. Darin unterschei-den sich die Geowissenschaften von vielen an derenWissenschaftsbereichen. Eine besondere Her ausfor-derung ist es daher, Unternehmen an den For-schungsvorhaben zu beteiligen und den Know-howTransfer in die Anwendung zu unterstützen.

Das wissenschaftliche Steuerungsgremium unddas Koordinierungsbüro GEOTECHNOLOGIEN för-dern gezielt die Zusammenarbeit zwischen Unter-nehmen und Forschungsinstitutionen. PrimäresAnsinnen ist es, Firmen so zu integrieren und si-cherzustellen, dass sie einen eigenen Beitrag zuden Zielen des Verbundes leisten können: Nur soist auch ein wirtschaftliches (und persönliches) In-teresse an der Entwicklung innovativer Technolo-gien und Methoden gewährleistet, was letztlichdem Gesamterfolg des Verbundes zu Gutekommt. Der Wunsch nach Zusammenarbeit istsomit beiderseitig, was sich auf die Bereitschaftder Unternehmen zur Beteiligung am Programmpositiv auswirkt. Durch diese »nachfrageorien-tierte« Strategie konnte im Laufe der Zeit die zah-lenmäßige Beteiligung von Firmen signifikant ge-steigert werden. Mehr als 50 Unternehmen ausden unterschiedlichsten Marktsegmenten habensich bislang in den diversen Verbundprojekten en-gagiert. Damit unterscheidet sich das FuE-Pro-gramm GEOTECHNOLOGIEN explizit von früherenInitiativen im Bereich der Geoforschung.

Komplementär zu diesen Maßnahmen wurde2007 die Kommunikationsplattform Geotechmar-ket gegründet. Ziel ist es, technische Innovationenaus geowissenschaftlichen Forschungsvorhabenfrühzeitig zu erkennen und erfolgreich am Marktzu platzieren. Das viel zitierte »Matching« findetso seine praktische Umsetzung. Bevorzugt werdenKlein- und Mittelständische Unternehmen, dieüber keine eigenen Forschungsabteilungen verfü-gen. Auf diese Weise wird der Zugang zum anwen-dungsorientierten Know-how der Hochschulenund Forschungseinrichtungen erleichtert. Darüberhinaus will Geotechmarket die Entwicklung von

Netzwerken und die Bildung von strategischen Al-lianzen im geowissenschaftlichen Umfeld unter-stützen.

Neue Allianzen zwischen Forschungsinstituten undUnternehmen ermöglichen überdies überrasch en -de und innovative Entwicklungen: Das ist das Er-geb nis eines systematisch ausgebauten Kommuni-kationskonzeptes, das durch gezielte Vermittlungbeide Seiten motivieren konnte. Über die wichtig-sten bislang erzielten Forschungsergebnisse wird inden nächsten Kapiteln jeweils unter der ÜberschriftFörderstatus kurz berichtet.

ÖffentlichkeitsarbeitForschung transparent und kommunikativ zu ge-stalten, ist ein weiteres Merkmal des GEOTECHNO-LOGIEN-Programms. Bundesweite Wanderausstel-lungen vermitteln der Bevölkerung Inhalte und Er-gebnisse des Forschungsprogramms verständlichund spannend: Die Bedeutung und Alltagsrelevanzgeowissenschaftlicher Forschung wird für breiteKreise der Öffentlichkeit im wahrsten Sinne desWortes so begreifbar. Mehr als 100.000 Besuchersahen die Wanderausstellung »In die Tiefe gehen«.Zwischen April 2004 und Oktober 2005 stelltediese Ausstellung an sechs Orten Nutzungsmög-lichkeiten des Untergrundes in den Fokus des öf-fentlichen Interesses. Einen noch größeren Erfolgerzielte die im Herbst 2009 abgeschlossene Aus-stellung »Unruhige Erde«. Sie begleitete denjüngst gestarteten Forschungsschwerpunkt »Inno-vative Frühwarnsysteme gegen Naturgefahren«. InFrankfurt/Main, Münster, Bremen, München,Bonn, Berlin, Dresden und Rostock ließen sich ins-gesamt knapp 250.000 Besucher von den spekta-kulären Mitmachexponaten, Großaufnahmen undinteraktiven Computeranimationen begeistern. Inzahlreichen Beiträgen in Funk und Fernsehen sowiein über 60 Zeitungsartikeln wurde über die Ausstel-lung berichtet. »Unruhige Erde« wurde von über30 Institutionen aus Wissenschaft und Wirtschaftdurch Beiträge unterstützt.

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ZukunftsperspektivenNach neun Jahren erfolgreicher Forschung ist es ander Zeit, bestehende Forschungsthemen auf denPrüfstand zu stellen und an aktuelle Anforderun-gen, die von Wirtschaft, Politik und Gesellschaftan die Geowissenschaften herangetragen werden,anzupassen. Zentrales Anliegen muss es sein, sichan wissenschaftlichen und technologischen Be-dürfnissen zu orientieren und neue Wissensge-biete zu definieren, die einerseits Spitzenforschunggarantieren, andererseits aber auch konkrete Ver-wertungsperspektiven ermöglichen. Die »Verwer-tung« muss dabei nicht nur wirtschaftliche, son-dern auch gesellschaftliche Faktoren einbeziehen.

Am 25. und 26. Mai 2009 fand daher in den Räu-men der Bundespressekonferenz zu Berlin einSymposium zu den zukünftigen Herausforderun-gen der Geowissenschaften statt. Initiiert wurdedas Treffen vom Wissenschaftlichen Koordinierungs-ausschuss GEOTECHNOLOGIEN und der DFG-Se-natskommission für Geo wissenschaftliche Ge-meinschaftsforschung. Mehr als 70 Wissenschaft-lerinnen und Wissenschaftler aus 20 Forschungs-einrichtungen und Unternehmen nahmen an die-sem Treffen teil.

Ziel der zweitägigen Veranstaltung war es, bishe-rige Ziele und Ergebnisse zu diskutieren, neue For-schungsfragen aufzuwerfen und eine Konzentra-tion auf die wichtigen Herausforderungen vorzu-nehmen. Die Ergebnisse dieses konstruktiven Dis-kurses sind in 10 große Schlüsselthemen eingeflos-sen. Sie werden zukünftig eine erhebliche wissen-schaftliche, wirtschaftliche und gesellschaftlicheBedeutung erlangen, und sie sind nur in breitertransdisziplinärer Kooperation zu bearbeiten. Inhaltlich wurden unterschiedliche Fragestellungen

aus dem bisherigen Programm aufgegriffen. Da -rüber hinaus wurden zahlreiche neue Aspekte ein-bezogen, die zum damaligen Zeitpunkt entwedernoch nicht absehbar waren oder erst mit dem heu-tigen Wissens- und Technologiestand gezielter be-arbeitet werden können.

Das Resultat ist die vorliegende Konzeption»GEOTECHNOLOGIEN – Zukunftssicherung fürMensch und Erde«, die den neuesten wissen-schaftlich-technologischen Erkenntnissen und zu-künftigen Forschungsbedarfen Rechnung trägt.Politischen und gesellschaftlichen Entscheidungs-trägern kön nen so konkrete Handlungsmöglich-keiten und neue wirtschaftliche Anwendungsfel-der aufgezeigt werden.

Prof. Dr. Gerold WeferVorsitzender des KoordinierungsausschussesGEOTECHNOLOGIEN

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Trotz großer Fortschritte in der Klimaforschung sind Klimaprojektionen für die kom-menden Jahrzehnte mit großen Unsicherheiten verbunden. Es ist daher dringend er-forderlich, diese Unsicherheiten mit Daten aus der Paläoklimaforschung zu verringern.So können frühere Klimavariationen rekonstruiert, Veränderungen der Umweltquantifiziert und ursächliche Prozesse entschlüsselt werden. Durch die Kombinationmoderner Klimamodelle mit Paläoklimadaten kann abgeschätzt werden, welchennatürlichen Schwankungen das Klima ausgesetzt war, bevor der Mensch begann, eszu beeinflussen. Paläodaten sind also erforderlich, um natürliche Klimavariationenvon menschlichen Einflüssen zu unterscheiden. Zukünftige Meeresspiegeländerungenetwa sind eng mit der Entwicklung der Eiskappen auf Grönland und in der Antarktisverknüpft. Um diese Entwicklung besser abschätzen zu können, müssen die verfüg-baren Eisschildmodelle dringend mithilfe globaler Paläodaten verbessert werden.Weiterer Forschungsbedarf besteht bei der technologischen Ausstattung von Obser-vatorien, mit denen kontinuierlich gemessen werden kann, wie Eisschilde etwa aufÄnderungen der Temperatur des umgebenden Meerwassers reagieren. Solche Datensind für die Weiterentwicklung der Eisschildmodelle sehr wichtig. Beim globalenWasserkreislauf sind die Unsicherheiten der projizierten Änderungen sogar so groß,dass für weite Teile der Erde nicht sicher gesagt werden kann, ob die jährliche Nieder-schlagsmenge zum Ende dieses Jahrhunderts zu- oder abnehmen wird. Auch in diesemZusammenhang gilt es, Klimamodelle anhand von Paläoklimadaten zu testen und zuverbessern. Die weltweite Verteilung von Niederschlagsmengen sollte mit neuen Re-konstruktionsmethoden erfasst werden. Dazu bieten sich insbesondere marine undterrestrische Klimaarchive an. Hinsichtlich der Weiterentwicklung von Klimasystem-modellen sollten die Schwerpunkte darauf gelegt werden, die numerische Effizienzbestehender Modelle zu steigern sowie regionale Klimamodelle zu verbessern. Er-gänzend sollte ein Informationssystem ent wi c k elt werden, um Modellergebnisse fürAnwender leichter zugänglich zu machen.

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EinführungDie moderne Industriegesellschaft führt im Klima-system der Erde ein Großexperiment mit ungewis-sem Ausgang durch. Trotz immenser Fortschritte inder Klimaforschung sind Klimaprojektionen für diekommenden Jahrzehnte mit großen Unsicherhei-ten behaftet (vgl. 4. Sachstandsbericht des Weltkli-marats). Solche Projektionen zukünftiger Klimaän-derungen setzen einerseits ein sehr gutes Verständ-nis der zugrunde liegenden Prozesse voraus, ande-rerseits stützen sie sich auf komplexe Rechenmo-delle des Klimasystems. Sämtliche Klimaprojektionen für das 21. Jahrhun-dert zeigen zum Beispiel, dass die Temperaturen inden Polarregionen stärker ansteigen werden als inniederen Breiten. Allerdings ist ungewiss, wie großdiese polare Verstärkung des Klimawandels ausfal-len wird. Geowissenschaftliche Klimarekonstruk-tionen können dazu beitragen, diesen Effekt in Zu-kunft genauer vorherzusagen. Besonders wichtigist es, die Stabilität der Eisschilde auf Grönland undin der Antarktis besser einzugrenzen. Die Frage,wie stark und wie schnell der Meeresspiegel in Zu-kunft ansteigen wird, ist damit eng verknüpft. Die verfügbaren Wasserressourcen werden sichaufgrund des globalen Wandels ebenfalls verän-dern. Dies wird teilweise gravierende Auswirkun-gen auf Gesellschaften haben. Neben Veränderun-gen der verfügbaren Wassermenge sind hier vorallem Änderungen im jährlichen Verlauf der Nie-derschlagsverteilung von großer Bedeutung. Pro-jektionen der zukünftigen Niederschlagsverteilungweisen gegenwärtig für weite Teile der Erde nochgroße Unsicherheiten auf. Grund für die Unsicherheiten, die mit den Projek-tionen des zukünftigen Klimas einhergehen, ist dasnoch immer ungenügende Verständnis zentralerProzesse im Klimasystem. Die dokumentierten Zeit-reihen des Klimawandels umfassen bestenfalls ei-nige Jahrzehnte und sind damit zu kurz, um dieDynamik der zugrunde liegenden Prozesse ausrei-chend genau zu analysieren. Aufgrund der kurzenBeobachtungsdauer ist der Test von Klimasystem-modellen nur eingeschränkt möglich. So ist unklar,wie verlässlich diese Modelle für einen Zustandsind, der sich wie das Klima der Zukunft deutlichvom heutigen unterscheidet.Vor dem Hintergrund der Unsicherheiten von Kli-maprojektionen hat der Weltklimarat in seinem

4. Sachstandsbericht die Rolle der Paläoklimafor-schung hervorgehoben. Mithilfe von geowissen-schaftlichen Daten können frühere Klimavariatio-nen rekonstruiert, Veränderungen der Umweltquantifiziert und ursächliche Prozesse entschlüsseltwerden. Darüber hinaus bieten solche Rekonstruk-tionen die Möglichkeit, Klimasystemmodelle zu tes -ten und zu verbessern. Die Kombination von Mo-dellen und Paläoklimadaten ermöglicht es außer-dem, abzuschätzen, welchen natürlichen Schwan-kungen das Klima ausgesetzt war, bevor derMensch begann, es zu beeinflussen. Diese Rekon-struktionen helfen dabei, menschliche Einflüssevon natürlichen Klimavariationen zu unterschei-den. Sie sind somit von bedeutendem Wert für dieForschung zum globalen Klimawandel.Um zu einer möglichst umfassenden Analyse glo-baler Umweltvariationen zu gelangen, verknüpfenmoderne Ansätze der Paläoklimaforschung alleverfügbaren Klimaarchive (terrestrisch, marin sowieglazial). Gemeinsam erlauben paläoklimatische Re-konstruktionen und Ergebnisse der Klimasystem-modellierung weit reichende Einblicke in die Dyna-mik von Klimavariationen, die für Projektionen deszukünftigen Klimas bedeutend sind. Durch interdis-ziplinäre Forschungsansätze auf einer globalenSkala gelingt es auch, die räumliche Ausprägungvon Variationen im Erdsystem zu entschlüsseln, so-dass auch detaillierte Analysen regionaler Aspektedes globalen Klimawandels möglich sind. Klimafor-schung bildet eine gesellschaftlich relevante undunabdingbare Vorsorge, um einerseits zu erkennenwie das Klimasystem funktioniert und andererseits,um das notwendige Handlungswissen für möglicheGegen- und Anpassungsmaßnahmen zu erhalten.

FörderstatusAls echtes Querschnittsthema ist die Klimafor-schung in fast allen Projekten des FuE-ProgrammsGEOTECHNOLOGIEN präsent. Unter der Maßgabe»Geoforschung ist Klimaforschung« finden sich inmehreren Themenschwerpunkten zahlreiche For-schungsprojekte mit konkreter, zielgerichteter Kli-marelevanz. Themen übergreifend werden im Rah-men der verschiedenen GEOTECHNOLOGIEN-Pro-jekte grundlegende Handlungs- und Orientie-rungshinweise für in der Praxis wichtige Klima-schutzmaßnahmen erarbeitet. Komplementär undnahezu zeitgleich mit dem Start des FuE-Pro-

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gramms GEOTECHNOLOGIEN förderte das BMBFzwischen 2001 und 2006 das deutsche Klimafor-schungsprogramm DEKLIM mit insgesamt 37 Mil-lionen Euro.

Stand von Forschung, Entwicklungund AnwendungKryosphäre im WandelDurch satellitengestützte Fernerkundung (z. B.GRACE) und Überfliegungen werden seit einigenJahren Veränderungen in der Massenbilanz derEisschilde in der Antarktis und in Grönland festge-stellt. So schmilzt Grönlands Eisschild an den Rän-dern verstärkt ab, während er in Teilen des Zen-trums anwächst. In der Gesamtbilanz dominiert al-lerdings – trotz Unsicherheiten zwischen den un-terschiedlichen Messmethoden – seit einigen Jah-ren offenbar das Abschmelzen. Vor allem an denRändern des Eisschildes variiert die Fließgeschwin-digkeit stark. Weshalb, ist bisher aber nur sehr un-zureichend verstanden. Eisschildmodelle könnendiese Dynamik nicht korrekt wiedergeben. Nochschwerer lassen sich die Veränderungen des ant-arktischen Eisschildes beurteilen. Die beobachte-ten Veränderungen in der Massenbilanz sind dortaufgrund des kurzen Beobachtungszeitraumes mitso großen Fehlern behaftet, dass derzeit keine ver-lässliche Aussage darüber möglich ist, ob der Eis-

schild insgesamt schmilzt oder wächst. Entspre-chend ist auch der projizierte Meeresspiegelan-stieg mit großen Unsicherheiten behaftet.In der letzten Zwischeneiszeit vor zirka 125.000Jahren war es in weiten Teilen der Arktis wärmerals heute. Rekonstruktionen zeigen, dass die Som-mertemperaturen in Grönland zirka vier bis fünfGrad Celsius über den heutigen Temperaturenlagen. Diese Temperaturerhöhung entspricht un-gefähr der Temperaturenzunahme, die gegenEnde des 21. Jahrhunderts in Grönland erwartetwird. In der letzten Zwischeneiszeit führten aller-dings unterschiedliche Erdorbitalparameter zurTemperaturzunahme, während die Erwärmung indiesem Jahrhundert im Wesentlichen auf die Zu-nahme der Treibhausgaskonzentrationen in derAtmosphäre zurückgeführt werden kann. So istzwar die Ursache der Erwärmung eine andere, dieAuswirkungen aber sind vermutlich ähnlich. DerVergleich von glaziologischen Befunden und Er-gebnissen aus Klimasystemmodellen lässt vermu-ten, dass 30 bis 50 Prozent der heutigen grönlän-dischen Eiskappe in der letzten Zwischeneiszeit ab-geschmolzen waren. Dies entspricht einer Zu-nahme des mittleren Meeresspiegels um zirka zweibis drei Meter. Entscheidend ist, wie schnell derMeeresspiegel in Zukunft steigen könnte. Auchhier liefern Paläoklimadaten wichtige Informatio-

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Abb. 1-1: Sommerliche minimaleMeereisbedeckung in der Arktis miteisbedeckter Fläche am 14. Septem-ber 2007 (weiß) sowie durchschnitt-licher Bedeckung für den Zeitraum1979-2007 (ocker). Die Zeitreihe(oben links) zeigt den stetigen Rück-gang der Meereisfläche seit Beginnder Satellitenaufzeichnung Endeder 1970er Jahre.

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nen. In Warmzeiten können Meeresspielanstiegevon einem bis zwei Metern in hundert Jahren nichtausgeschlossen werden. Substanzielle Veränderungen finden gegenwärtigauch in der Meereisbedeckung des ArktischenOzeans statt. Hier ist die sommerliche Meereisbe-deckung seit Ende der 1970er Jahre bis 1996 umzwei Prozent pro Dekade geschrumpft, danachum zehn Prozent pro Dekade. Ob der seit 2007beobachtete dramatische Anstieg im Eisrückgang(Abb. 1-1) Teil eines natürlichen Zyklus ist, oderob ein Schwellenwert hin zur eisfreien Arktisüberschritten wurde, kann gegenwärtig nochnicht geklärt werden. Keines der im Rahmen zu-künftiger Klimaprojektionen verwendeten Klima-systemmodelle hat den Rückgang der letztenJahre korrekt vorausgesagt.

Natürliche Klimavariabilität in Warmzeiten auf ge-sellschaftlich relevanten ZeitskalenDie Warmzeit des Holozäns ist der Ausgangspunktfür die zukünftige Klimaentwicklung und sollteentsprechend untersucht werden. Die Bandbreiteder natürlichen Klimavariabilität lässt sich aber nurerkennen, wenn das Holozän mit früheren Intergla-zialen verglichen wird. Um die Folgen des aktuellenKlimawandels abschätzen zu können, sind dabeiKlimaschwankungen auf Zeitskalen von einigenDekaden bis hin zu wenigen Jahrhunderten vonbesonderem Interesse. Aufzeichnungen von Klima-schwankungen der vergangenen Jahrzehnte bele-gen, dass sich das Klimasystem bereits innerhalbsolch kurzer Zeitspannen verändert.

Das sicherlich bekannteste Beispiel für solche Kli-maschwankungen in historischer Zeit ist die soge-nannte »Mittelalterliche Wärmeperiode« im 11.Jahr hundert mit der anschließenden »Kleinen Eis-zeit«, deren kältester Abschnitt vom 17. bis zum19. Jahrhundert dauerte. Obwohl sich die Durch-schnittstemperatur zwischen beiden Perioden aufder Nordhemisphäre damals nur um etwa 0,4 GradCelsius unterschied, wirkte sich die Abkühlung der»Kleinen Eiszeit« drastisch auf die Menschen aus.Das belegen historische Aufzeichnungen. Schwan-kungen der Sonnenaktivität oder Vulkanismuskönnten die Klimaschwankungen im Mittelalterausgelöst haben. Klimaschwankungen über längere Zeiträume hin-

weg sind dagegen kaum dokumentiert, da nursehr wenige instrumentelle und historische Daten-sätze aus vergangenen Jahrhunderten existieren.Die Zeitreihen aus den vergangenen 300 Jahrenlassen zwar regionale Trends erkennen, doch ersteine Verlängerung der instrumentellen Aufzeich-nungen durch Paläoklimadaten brachte Hinweise,dass diese Trends oft Abschnitte längerer Klima-fluktuationen waren.

Auf einer Zeitskala von wenigen Jahren prägen so-genannte »Klimamoden« die Schwankungen desKlimas. Dazu gehören zum Beispiel die El Niño-Südliche Oszillation, die Arktische Oszillation unddie Nordatlantische Oszillation. Es ist ein vordringli-ches Ziel der modernen Klimaforschung, dieseSchwankungen zu verstehen und vorherzusagen.Ob die globale Erwärmung diese Moden abschwä-chen oder verstärken wird, lässt sich derzeit nichteindeutig beantworten. Anhand von Paläoklimaar-chiven und Klimasystemmodellen kann jedoch un-tersucht werden, wie sich diese Moden langfristigentwickeln (Abb. 1-2).

Neben Temperaturänderungen sind vor allem Ver-änderungen im Wasserkreislauf von Bedeutung.Sie entscheiden letztlich über verfügbare Trinkwas-serressourcen und landwirtschaftliche Erträge. Ins-besondere in den Monsungebieten verstärkt diehohe Bevölkerungsdichte die Empfindlichkeit vonGesellschaften gegenüber Schwankungen im hy-drologischen Kreislauf. Anhand von Beobach-tungsdaten wurden deshalb in den vergangenenJahren unterschiedliche Hypothesen dazu formu-liert, welchen Einfluss z. B. die Ozeanoberflächen-temperatur auf den hydrologischen Kreislauf dieserRegionen haben könnte. Die Kürze der Beobach-tungszeitreihen erlaubt allerdings keinen abschlie-ßenden Test der unterschiedlichen Hypothesen. Sowurden zum Beispiel für die Trockenheit in Nord-amerika in den 1930er Jahren und der Sahelregionin den 1970er Jahren Veränderungen der Ozean-temperaturen und Veränderungen der großskali-gen Ozeanzirkulation im Nordatlantik verantwort-lich gemacht. Dieser Zusammenhang wird zwarauch durch Paläoklimadaten untermauert, hin-sichtlich der zukünftigen Niederschlagsverteilungund -variation bestehen jedoch nach wie vor im-mense Unsicherheiten.

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Atmosphärische Aerosole beeinflussen maßgeb-lich die globale Strahlungsbilanz. Der durch Men-schen verursachte Eintrag von Aerosolen in die At-mosphäre trägt heute zu einer Abkühlung bei, so-dass die globale Erwärmung weniger stark ausfälltals aufgrund der Treibhausgaskonzentrationen zuerwarten wäre. Während die Rolle der Treibhaus-gase in der Atmosphäre inzwischen gut verstan-den ist, sind bei den Prozessen, die durch Aerosolebeeinflusst werden, noch viele Fragen offen (Abb.1-3). Sie betreffen beispielsweise die aerosolbe-dingte Wolkenbildung sowie Änderungen in derBildung von Aerosolen bei einem sich wandelndenKlima. Darüber hinaus stellen Aerosole ein wichti-ges Bindeglied im Erdsystem dar, etwa indem siedie Biosphäre über weite Distanzen mit Nährstof-fen versorgen. Natürliche Klimaarchive zeigen,dass sich der Gehalt von Schwebeteilchen in derAtmosphäre zwischen Kaltzeiten und Warmzeiten,aber auch auf einer Skala von einigen Jahren oderJahrzehnten stark ändern kann. So zeigen die Eis-kerne in Kaltzeiten zehn- bis hundertmal so vielMeersalz- und Mineralstaubaerosole an wie in

Warmzeiten. Wie sich die Aerosol-Quellen und ihrTransport in der Atmosphäre mit der Zeit verän-dern, konnte bisher nur unzureichend modelliertwerden. Es ist deshalb weitgehend unbekannt,welche Ursachen dafür verantwortlich sind.

Notwendige FuE-AufgabenUm kritische Unsicherheiten zu reduzieren, die mitVorhersagen des zukünftigen Klimas einhergehen,sind folgende Aufgaben zu lösen:

(i) Eisdynamik und MeeresspiegelanstiegEine der größten Herausforderungen ist es, verläss-liche Aussagen zum Anstieg des globalen Meeres-spiegels zu treffen. Mit Inlandeismodellen könnendie beobachteten Veränderungen der grönländi-schen und antarktischen Eiskappen derzeit nichtkorrekt simuliert werden. Daher ist es unbedingterforderlich, die Eisdynamik besser in Modellenabzubilden. Notwendig ist dabei in erster Linieeine engere Zusammenarbeit zwischen Glaziolo-gen und Flu iddynamikern. Gleichzeitig solltenFernerkundungsdaten in Inlandeis- sowie Meer -

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Abb. 1-2:Die Dynamik vergangener Klimavariationen kann durch die Kombination geowissenschaftlicher Klimarekonstruktionen mitErgebnissen der Klimasystemmodellierung entschlüsselt werden.

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eismodelle einbezogen werden. Diese Technik istfür Modelle von Atmosphäre und Ozean gut eta-bliert und erlaubt eine realitätsnahe Modellierungvon Veränderungen.

Darüber hinaus muss die Schnittstelle zwischenOzean und Inlandeiskappen, insbesondere der Kon-taktbereich zwischen Ozeanwasser und Eisschild(grönländische Fjorde, Westantarktischer Eisschild)verstärkt beobachtet werden. Vereinzelte Beobach-tungsdaten weisen darauf hin, dass die zu erwar-tende Zunahme der Ozeantemperatur die Ab- schmelzrate der Eisschilde beschleunigen könn te.Dieser möglicherweise bedeutsame Verstärkungsef-fekt ist gegenwärtig nicht in Klimasystemmodellenenthalten. Die Datenbasis muss entsprechend ver-bessert werden, damit die Eis-Ozean-Schnittstelle inder nächsten Generation von Klimasystemmodellenangemessen dargestellt werden kann.

Aus technologischer Sicht sind hierzu kontinuierli-che glaziologische und ozeanographische Messsys -teme notwendig, die die Aktivität der Eisschildeund der hydrographischen Bedingungen gleichzei-tig erfassen. Entsprechende Installationen wärenvor allem am Fuß der großen Gletscher Grönlandssinnvoll. Hier besteht Entwicklungsbedarf, um ent-sprechende Messungen unter polaren Umweltbe-dingungen über längere Zeiträume durchzuführen.Neben automatischen Messstationen mit Daten-übertragung über Bojen und Satelliten bieten sichhierzu auch kabelgebundene Observatorien imOzean an. Um die neue Generation von Eisschild-modellen zu testen, sind insbesondere Daten zuExtremsituationen notwendig. Zentrale Herausfor-derungen bestehen hier im Hinblick auf die Stabili-tät der Eisschilde. Es gilt, die maximale Abschmelz-rate korrekt zu quantifizieren und damit einherge-hend die maximale Rate des Meeresspiegelan-

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Abb. 1-3: Komponenten und Unsicherheiten des global gemittelten Strahlungsantriebs (SA) seit Beginn der Industrialisierung füranthropogenes Kohlendioxid (CO2), Methan (CH4), Lachgas (N2O) und andere wichtige Faktoren und Mechanismen, zusammenmit der typischen geographischen Wirkung (räumliche Skala) und dem heutigen Wissensstand.

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stiegs. Beide Informationen können nur aus Paläo-klimadaten abgeleitet werden. Die notwendigenhochauflösenden, kontinuierlichen Meeresspiegel-rekonstruktionen können aus marinen Archivengeneriert werden. Dazu müssen hochauflösendemarine Sequenzen an Schlüsselpositionen (z. B.Rotes Meer; südwestlicher Atlantik) gewonnenwerden, die es erlauben, regionale Muster von Än-derungen des Meeresspiegels in der Vergangen-heit genauer zu quantifizieren. Durch den Ver-gleich mit geophysikalischen Modellen könnenaus diesen Daten entscheidende Erkenntnisseüber das dynamische Verhalten von Eisschildenabgeleitet werden.

(ii) WasserkreislaufMögliche regionale Änderungen im globalen Was-serkreislauf sind bislang nicht ausreichend verstan-den, um zum Beispiel das Risiko von Megadürrenin den Subtropen oder Veränderungen im globa-len Monsunsystem verlässlich abzuschätzen. An-gesichts der großen Zahl der Menschen, die vonsolchen Klimaänderungen betroffen wäre, sindderzeitige Vorhersagen aus planerischer Sicht un-zureichend. Die Kombination von Modellierungenund zeitlich hochauflösenden Paläoklimazeitreihenwird neue wesentliche Erkenntnisse zur Funktions-weise des globalen Wasserkreislaufes bringen.Mithilfe gezielter Probenentnahmen entlang hyd -rologischer Gradienten können einerseits die Ver-lagerung von Niederschlagsgürteln dokumentiert,andererseits die Änderungen der Niederschlags-menge quantifiziert werden. Hierzu bieten sichTransekte entlang der Kontinentalränder mit mari-nen Archiven wie auch entsprechende terrestri-sche Transekte an. Das Vorhandensein von Mineralstäuben, die alsAerosole einen großen Einfluss auf die Strahlungs-bilanz der Atmosphäre haben, steht in engem Zu-sammenhang mit dem globalen Wasserkreislauf.Werden Rekonstruktionen von Aerosoleinträgen indie Atmosphäre (z. B. aus Eisbohrkernen, marinenund limnischen Sedimenten) mit Klimasystemmo-dellen kombiniert, ist es in Zukunft möglich, dieRolle der Aerosole besser zu quantifizieren. Umden Transport von Aerosolen und ihren Effekt aufdie Strahlungsbilanz zu erfassen, müssen aller-dings die Modelle verbessert werden.

(iii) KlimasystemmodelleMit Paläoklimadaten lässt sich das dynamische Ver-halten von Klimasystemmodellen hervorragendüber prüfen. Voraussetzung ist allerdings, dass iden - tische Modelle für vergangene und zukünftige Än-derungen des Klimas verwendet werden. Vieledurch Paläoklimadaten entwickelte Fragestellun-gen erfordern jedoch lange Rechenzeiten, sodasshäufig Modelle mit reduzierter Komplexität oderAuflösung eingesetzt werden. Um die Kette vonPaläoanwendungen zu Prognosen zu schließen,sind schnellere Modelle notwendig. Entwicklungs-bedarf besteht hier bei der Implementierung effi-zienterer numerischer Algorithmen. Daher solltedie Zusammenarbeit zwischen Numerik und Kli-mamodellierung verstärkt werden.Regionale Klimamodelle und ihre weitere Entwick-lung sind für die Forschung zum globalen Klima-wandel und für den Umgang mit ihm wichtig. Wieerfolgreich sie sind, lässt sich nicht nur daran mes-sen, wie gut sie den Bedarf an Informationen füraktuelle gesellschaftliche Entscheidungen decken.Entscheidend ist auch, wie sie das Wissen über dasKlima und seine Entwicklung vermehren und neue(interdisziplinäre) Forschungsansätze hervorbrin-gen. Bei der Weiterentwicklung von Modellen soll-ten auch Klimakomponenten wie die dynamischeVegetation oder die Dynamik der Nord- und Ost-see berücksichtigt und zentrale Prozesse wie Kon-vektion, Niederschlagsentstehungen oder dieKopplung von Boden und Atmosphäre besser dar-gestellt werden. Auch sollten regionale Klimamo-dellierungen für sich entwickelnde Regionen wieAfrika und Asien gefördert werden. Um entsprechend der neuen Modellierungen pla-nen zu können, sollten die Ergebnisse der Mo-dellrechnungen etwa über ein geeignetes Exper-tensys tem zugänglich gemacht werden und kon-textbasierte Fragen mithilfe einer Web-Schnitt-stelle möglich sein.

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Die Erde ist der Lebensraum des Menschen und einer großen, bisher aber nur zueinem sehr geringen Teil bekannten Vielfalt von Tieren, Pflanzen und Mikroorganis-men. Die belebte Umwelt erstreckt sich über den gesamten Planeten bis mehrereHundert Meter unter den Erdboden, Meeresboden oder das Eis. Die Erde ist dereinzige bekannte Himmelskörper mit einer Biosphäre. Sie besteht aus einer enormenDiversität von Ökosystemen und war in der Entwicklungsgeschichte der Erde großenSchwankungen in Atmosphärenchemie, Umweltbedingungen und der Artenvielfaltausgesetzt. Die Biosphäre ist eine zentrale Komponente im System Erde: Sie beein-flusst alle wichtigen oberflächennahen Stoffkreisläufe, so etwa des Wassers, desKohlenstoffs und Stickstoffs, und wirkt unmittelbar auf Verwitterung, Erosion undSedimentation sowie auf das Klima. Darüber hinaus liefert die Biosphäre den Men-schen zahlreiche Produkte und Ökosystemdienstleistungen, deren Wert bisher aufüber 30 Billionen Euro jährlich geschätzt wird. Ein großes Potenzial besitzt die Bio-sphäre ferner für die Entwicklung eines nachhaltigen Erdsystemmanagements oderGeoengineerings. Doch die Biosphäre und ihre Bedeutung für das Erdbezie hungs -weise Klimasystem und damit für den Menschen ist bisher nur unzureichend er-forscht. Es fehlt vor allem das quantitative Verständnis von Prozessen, das die Ent-wicklung von konsistenten Biosphärenmodellen erlaubt. Zudem ist die Biosphäredurch die wachsende Landnutzung und den Klimawandel hochgradig bedroht, so-dass man bereits von dem 6. Massenaussterben der Erdgeschichte spricht. Im Rah-men der GEOTECHNOLOGIEN sollten daher vor allem zwei Großthemen der Bio-sphärenforschung bearbeitet werden: (1) Beobachtung des lokalen und globalen Wandels der Ökosysteme und ihrer Funk-tion/Dienstleistung und daraus die Entwicklung von Konzepten für ein nachhaltigesErdsystemmanagement. (2) Erforschung neuer, z. B. extremer und unbekannter Ökosysteme (z. B. »Tiefe Bio- sphäre«, polare Habitate) zur vollständigeren Erfassung der Diversität des Lebens undseiner Funktionen. Hierfür wird eine Vielzahl neuer Geo- und Biotechnologien benö-tigt, etwa der Gelände-Beobachtung, der System-Modellierung, der experimentellenÖkologie, der Satelliten- und Unterwasser-Technik sowie hochauflösende und sensi-tive analytische Messverfahren.

2.Die Biosphäre – Lebensräume und Wandelder Ökosysteme

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EinführungDie Biosphäre ist – zusammen mit Wasser – diewichtigste Ressource der Menschheit. Der Menschist nicht nur Bestandteil der Biosphäre, er lebt auchvon ihr. Die Biosphäre ist die Grundlage für unsereErnährung und liefert zahlreiche weitere wichtigeProdukte, so etwa Bauholz und Rohmaterialien fürPapierherstellung oder pharmazeutische Erzeug-nisse. Auch als Energielieferant spielt sie nach wievor eine wichtige Rolle. So stammt etwa ein Viertelbis ein Drittel der jährlichen anthropogenen Koh-lenstoffemission aus der Verbrennung von Bio-masse. Der wachsende Technologiebereich der Bio-nik, das heißt die Entschlüsselung von Erfindungender belebten Natur und ihre innovative Umsetzungin die Technik, schöpft ihre Ideen für »smarte«Technologielösungen ebenfalls aus der Biosphäre.Vor allem aber haben biologische Systeme stetsden größten und entscheidenden Einfluss auf dieunbelebte Natur, wie sich schon in der Entwicklungdes Sauerstoffs in der Atmosphäre in der Erdge-schichte eindrucksvoll gezeigt hat.

Das Potenzial für eine Nutzung der Biosphäre, ins-besondere der Mikroorganismen, ist riesig und bis-her erst in Ansätzen bekannt und entwickelt. Bei-spiel Arzneimittel: Allein in den USA werden jähr-lich Biopharmarka im Wert von vielen MilliardenDollar umgesetzt. Die pharmazeutische Industrienutzt bisher aber nur einige wenige Organismen,um neue Wirkstoffe zu entwickeln. Dabei ist vonden rund 350.000 bekannten Landpflanzen jedefünfte eine potenzielle Heilpflanze. Auch in derBionik werden die Möglichkeiten noch nicht aus-geschöpft. In Deutschland werden mit bionischenProdukten aber bereits jährlich mehrere MillionenEuro umgesetzt.

Die Biosphäre spielt auch in dem komplexen Sys -tem Erde eine zentrale Rolle. So werden nahezualle Stoffkreisläufe der Erdkruste von der Biosphärekontrolliert oder beeinflusst, insbesondere dieKreisläufe des Wassers (H2O), des Kohlenstoffs (C)und des Stickstoffs (N). Auch Teile des Gesteins-kreislaufes wie Verwitterung, Erosion und Sedi-mentation werden entscheidend von der Biosphäregeprägt. Riffe, Karbonatplattformen oder Kohlenbilden ganze Gebirgszüge und Schichtpakete undbelegen die erdgeschichtliche Bedeutung der

Biosphäre. Nicht zuletzt spielt die Biosphäre abereine wichtige Funktion im Klimasystem: Sie verän-dert – etwa über die Vegetationsbedeckung – dieAlbedo (Reflexion der einstrahlenden Sonnenener-gie) und damit die Strahlungsbilanz der Erde. Siebeeinflusst über die Stoffkreisläufe die atmosphäri-sche Konzentration von Treibhausgasen wie Was-serdampf, CO2 oder CH4 sowie von Aerosolen undsie wirkt auf das Windfeld. Für GEOTECHNOLO-GIEN wichtige Aspekte sind die Erzeugung vonBiotreibstoffen, die Nutzung von Biogas oder dieverbesserte Bildung von organischer Bodenmatrixals Funktion der Kohlenstoffspeicherung. Aberauch die Beeinflussung der Bioverfügbarkeit unddamit der relevanten ökotoxikologischen Konzen-trationen von Schwermetallen, die mit dem Berg-bau auf großen Flächen des Abraums und in Tai-lings freigesetzt werden, könnten bei einem tiefer-gehenden Prozessverständnis modifiziert und da -mit die nutzbare Agrarfläche erweitert werden. DieFunktionen der Selbstreinigung (»natural attenua-tion«) könnten ebenfalls genutzt werden, wenn dieProzesse verstanden und damit eine gezielte Förde-rung der erwünschten Prozesse möglich wäre.

Damit spielen die vielfältigen Funktionen der Bio-sphäre nicht nur für Nahrungsnetze sondern auchfür GEOTECHNOLOGIEN eine zunehmend bedeu-tendere Rolle. Die Biosphäre ist also eine Schlüssel-komponente im Erd- und Klimasystem. Die Funk-tionen dieses Systems werden auch als »ecosystemservices« oder »Ökosystem-Dienstleistungen« desMenschen bezeichnet und umfassen neben demEinfluss auf Klima, Wasserqualität und -quantitätauch die Rolle der Biosphäre für Umweltstabilitätund -resilienz, Bodenqualität, oder Luftreinhaltung.Der gesamte volkswirtschaftliche Wert der Bio-sphäre ist bisher nur schwer zu fassen, doch wirder auf über 30 Billionen Euro jährlich geschätzt.Angesichts der zentralen Bedeutung der Biosphärefür den Menschen sowie für das Klima- und Erdsys -tem stehen wir heute im Wesentlichen vor zweigroßen Herausforderungen: So muss die Biosphäremit ihren Wechselwirkungen und ihrer Bedeutungfür uns Menschen umfassend erforscht werden.Vor allem bei der Quantifizierung von Prozessen istunser Wissen bisher ausgesprochen rudimentär.Zwar hat die Biologie in den letzten Jahrzehntenauf der molekularen und physiologischen Ebene

2. Die Biosphäre – Lebensräume und Wandel der Ökosysteme

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große Fortschritte erzielt, auf der organismischen,ökosystemaren und Biosphären-Ebene ist manaber von einem ähnlich tiefen und umfassendenVerständnis noch weit entfernt, insbesondere weilnur ca. 0,1 % der Mikroben-Arten bisher bekanntund diese noch weniger als Reinkultur einer phy-siologischen Untersuchung zugänglich sind.Zudem leben Mikroorganismen nie allein, sondernim natürlichen Lebensraum haben sich Konsortienmit verteilten Funktionen und syntrophe Gemein-schaften herausgebildet, die sich mit einem experi-mentellen Ansatz nur schwer erfassen lassen.

Man kennt heute knapp zwei Millionen Tier- undPflanzenarten und einige wenige Tausend Mi-kroorganismen, dies ist aber nur ein Bruchteil derBiosphäre, vermutlich existieren weit über 100Millionen Arten auf der Erde. Ganze Lebens-räume wie die Tiefsee oder die sogenannte »Tie -fe Biosphäre«, die in der Erdkruste bis mehrereHundert Meter tief reicht, sind fast gar nicht er-forscht. Große und grundsätzliche Kenntnislückenbestehen auch bezüglich der Reaktionen der Bio-sphäre auf den Klimawandel. Auch die dynami-sche Vegetations- und Biosphärenmodellierungsteht noch ganz am Anfang. Die Erde als den bis-her einzig bekannten belebten Planeten wirdman erst verstehen, wenn auch die Rolle der Bio-sphäre im System Erde verstanden ist und Erdsys -temmodelle auch dynamische Biosphärenmodelleenthalten.

Eine große Herausforderung ist der nachhaltigeSchutz und die nachhaltige Nutzung der Bio-sphäre. Die menschlichen Aktivitäten beeinflussenoder dominieren inzwischen alle Lebensräume undbiogeochemischen Zyklen der Erde – die Mengereaktiven Stickstoffs in der Umwelt hat sich bei-spielsweise in den letzten 50 Jahren mindestensvervierfacht und verändert Landschaften, Seen,Flüsse und den Küstenozean. Der Klimawandelund sein Einfluss auf regionale Temperaturen, Nie-derschlag und Trockenheit führt zu erheblichenVerschiebungen von Arten und Ökosystemen.Diese reichen von den Genen der Individuen überdie Artebene bis hin zur Vielfalt der Lebensge-meinschaften und der Wechselwirkungen zwi-schen Organismen und ihrer Umwelt. Als Folge der menschlichen Eingriffe in die Umwelt

beobachten wir heute ein Massenaussterben vonArten. Die »Rote Liste« der International Union forConservation of Nature (IUCN) nennt knapp 40Prozent der untersuchten Tier- und Pflanzenartenals vom Aussterben bedroht. Täglich sterben mehrals 100 Arten aus, viele Lebensräume sind bedrohtund bis 2050 werden vermutlich mehr als 50 Pro-zent der Riffe zerstört sein. Welche Folgen der Ver-lust an Biodiversität für das Erd- und Klimasystemsowie für die Ökosystem-Dienstleistungen habenwird, ist bisher nicht bekannt. Sicher ist aber, dassdie Konsequenzen weitreichend sein werden. Ge-rade für Mitigations- und Adaptationsstrategienkönnte die Biosphäre eine wichtige Rolle spielen.Deshalb ist es unbedingt erforderlich, dass sich dieGeowissenschaften mit der Erforschung der Bio-sphäre und ihrer Bedeutung für das Erd- und Kli-masystem sowie mit der nachhaltigen Nutzungund dem Schutz der Biosphäre befassen. Dabeigeht es insbesondere um die Entwicklung vonquantitativen Erd- und Biosphären-Beobachtungs-methoden und entsprechenden Archiven.

FörderstatusDer Themenschwerpunkt »Das gekoppelte SystemErde – Leben« ist derzeitig in Vorbereitung. Rund-gespräche hierzu sind in Planung. Danach erfolgtauf Basis des zu erarbeitenden Wissenschaftsplansvoraussichtlich Ende 2010 ein Vorschlag zur Aus-schreibung an das BMBF.Aspekte des Themenschwerpunktes »Stoffkreis-läufe: Bindeglied zwischen Geosphäre und Bio-sphäre« werden aber ebenfalls einen wichtigen Bei-trag für den Forschungsschwerpunkt »Biosphäre –Lebensräume und Wandel der Ökosysteme« ge ben.Eine öffentliche Bekanntmachung des Themen-schwerpunktes »Stoffkreisläufe« (s. auch Kap. 4)steht noch aus.

Stand von Forschung, Entwicklung und AnwendungDie Forschung an Fossilien und die Rekonstruktionvergangener Umweltbedingungen haben es mög-lich gemacht, Veränderungen der Biodiversität –also der Vielfalt von Genen, Arten und Gemein-schaften auf der Erde – erdgeschichtlich zu erfas-sen. Eine der spannendsten Fragen besteht darin,wieso die Vielfalt des Lebens mehrfach rapide zu-oder abgenommen hat. Besonders interessant sind

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Abb. 2-1:Massenaussterbe-Ereignisse im Phane-rozoikum (schwarze Rauten); die Dreiecke ent-sprechen Eiszeiten. In C ist der Temperaturver-lauf im Phanerozoikum gegenüber der heutigenTemperatur zu sehen.

die Massensterben während der Erdgeschichte(Abb. 2-1). In der Erdgeschichte brach die Biodiver-sität mehrfach drastisch ein. Mehrere Massenster-ben ereigneten sich. Obwohl diese Krisen bereitslange erforscht werden, sind die auslösenden Fak-toren immer noch umstritten. Ein weiteres Ausster-beereignis hängt mit der Besiedlung der Erde durchden Menschen im Pleistozän und Holozän unddem exponentiellen Anstieg der Weltbevölkerungzusammen. Die Folgen waren schrumpfende na-türliche Lebensräume und eine Flora und Fauna,die durch ihre erschöpfende Nutzung oder durcheingeschleppte Arten und Krankheiten verdrängtund vernichtet wurden.

Die Effekte menschlichen Handelns sind in allenÖkosystemen der Erde zu beobachten. Ein neuesProblem besteht darin, dass manche Umweltverän-derungen wesentlich schneller vor sich gehen alsangenommen. Abgesehen von der Überfischungder Meere wurde erst in jüngerer Zeit bekannt,dass die erhöhte Aufnahme von CO2 aus der At-mosphäre die Ozeane saurer werden lässt und da-durch die Kalkausscheidung von Organismen (z. B.

von Riffkorallen und kalkigem Plankton) erschwert.Besonders die noch wenig bekannten polaren Öko-sys teme sind durch den Klimawandel stark bedrohtund schrumpfen. Meereis und Gletscher verschwin-den in ungeahntem Tempo, manche Meeresgebietewie die Arktis versauern und erwärmen sich rapide;damit leiden die Funktionen des Ökosystems wieO2-Bildung, CO2-Fixierung und Nahrungsproduk-tion (Plankton und Krill), die eine essenzielle Energie-quelle für Meeressäuger und Fische darstellen.

Viele Regionen an Land leiden zunehmend unterunerwartet starken Trockenheiten und Überflu -tungen. Ein großes Problem ist auch die globaleVerteilung von persistenten und toxischen neuenStoffen, die ihren Weg aus den Industrieländern inentfernte Regionen finden und dort in der Nah-rungskette akkumulieren. In den wenigsten Fällensind Verteilungswege und Wirkungen bekannt.Die gezielte Untersuchung von Prozessen ist –neben der Entdeckung neuer Phänomene – eineAufgabe der Zukunft, die eng an eine Umwelt-überwachung gekoppelt ist. Schon immer hat sich der Mensch unbekannte

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Regionen erschlossen. Dabei hat er zum einennach geographischen Informationen gesucht, zumanderen nach Wissen über Lebensräume und ihreBewohner. Dank neuer, hochauflösender geophy-sikalischer Methoden zur Kartierung des Meeres-bodens und durch den Einsatz von Forschungs-tauchbooten und Tauchrobotern werden auch imMeer immer häufiger neue Lebensräume ent-deckt. Das Meer ist also kein einheitliches Ökosys -tem, sondern es besteht aus einer enormen Viel-falt von unterschiedlichen Systemen. Bei Boh- rungen in tiefe Boden- und Eisschichten sindzudem neue Lebensräume unbekannter Mikroor-ganismen entdeckt worden, die sogenannte»Tiefe Biosphäre«. Auf der Erde existieren zahlrei-che extreme Lebensräume, zum Beispiel Salzseen,saure oder basische Gewässer, Eis oder heiße Flüs-sigkeiten. Die Erforschung der Ökosysteme in die-sen extremen Lebensräumen zeigt, wo die Gren-zen des Lebens auf der Erde und auf anderen Pla-neten liegen. Sie trägt auch dazu bei, den Ur-sprung des Lebens zu verstehen.

Ohne ein breites Wissen um die Bedeutung und dieGefährdung der biologischen Vielfalt wird es wedereine nachhaltige Nutzung noch einen ausreichen-den Schutz der Biosphäre geben. Es müssenschnelle und zuverlässige Verfahren der Artbestim-mung und Phylogenie entwickelt werden. Bildge-bende in-situ Verfahren mit möglichst schnellerIdentifizierung und hohem Probendurchsatz unddie Verknüpfung der guten, international verfügba-ren DNA und Spezies-Sammlungen mit gut vernetz-ten und zugänglichen Umweltdatenbanken sindhierbei nur einige der notwendigen Entwicklungen.Die Geowissenschaften tragen dazu bei, indem siezum Beispiel Lebensräume an Land und im Meerkartieren, Geoinformationssysteme (GIS) entwickelnund Umweltbedingungen über lange Zeit messen.Die Frage, wie sich die Biodiversität auf der Ebenevon Genen, Populationen und Gemeinschaften imVerlauf der Erdgeschichte verändert hat, ist nurschwer zu beantworten. Trotz technologischer Fort-schritte sind wichtige Kenngrößen der Biodiversitätnoch immer unbekannt. Wie viele unterschiedlichePflanzen, Tiere und Mikroorganismen es auf derWelt gibt, weiß niemand, die Schätzungen schwan-ken zwischen zehn und 500 Millionen.

Notwendige FuE-AufgabenAus der obigen Darstellung wird deutlich, dass dieGEOTECHNOLOGIEN vor allem zu zwei Großthe-men der Biosphärenforschung einen Beitrag leis -ten können:– Beobachtung des lokalen und globalen Wan-dels der Ökosysteme und ihrer Funktion/Dienst-leistung und daraus Entwicklung von Konzep-ten und Modellen für ein nachhaltiges Erdsys -temmanagement

– Erforschung extremer und unbekannter Ökosys - teme (z. B. »Tiefe Biosphäre«, polare Habitate)und Erfassung der Diversität des Lebens undseiner Funktionsvielfalt unter Entwicklung inno-vativer Methoden.

(i) Dynamik und Funktionsweise von Ökosystemenund ihr möglicher Beitrag zu einem nachhaltigenErdsystemmanagementHeute wird der Biosphärenforschung vor allemeines abverlangt: Sie soll Antworten auf die Fragegeben, wie das Leben auf der Erde auf den Klima-wandel reagiert und mit welchen Umweltverände-rungen zu rechnen ist. Wenn heute von ökologi-schen Krisen gesprochen wird, so geht es um spür-bare Veränderungen der Ökosysteme und der Le-bensqualität der Menschen. Solche Krisen ereig-nen sich zum Beispiel, wenn sich Klimazonen ver-schieben, wenn eisbedeckte Lebensräume schrump- fen oder Wüsten sich ausdehnen: Einschnitte, dieauch auftreten, wenn große Mengen an Treib-hausgasen (z. B. CO2 und CH4) oder Stickstoffga-sen freigesetzt werden, wenn sich El-Niño-be -dingte Klimaanomalien häufen oder wenn sichdurch die abnehmende Biodiversität die geneti-schen Ressourcen und Funktionalitäten von Öko-systemen verringern.

Eine wichtige Herausforderung im Rahmen desGEOTECHNOLOGIEN-Programms besteht deshalbdarin, die biogeochemischen Umsatzprozesse, diedie globalen Stoffkreisläufe antreiben, quantitativzu erforschen und dafür konsistente Modelle zuentwickeln. Das ist wichtig, weil derartige »Ökosys -tem-Funktionen« und »Ökosystem-Leistungen«eine herausragende Bedeutung für den Menschenund für den Klimawandel besitzen. Der Menschgreift vor allem durch seine Landnutzung weltweitin die natürlichen Stoffkreisläufe ein. Gleichzeitig

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Abb. 2-2: Autonome Messung der Sauerstoffzehrung an Bakterienmatten in 1.100 Meter Wassertiefe am pakistanischen Kontinen-talrand.

bestehen komplexe Wechselwirkungen zwischendem Klima und anderen Umweltfaktoren und Ele-mentkreisläufen. Um diese Kreisläufe und Wech-selwirkungen zu erforschen, muss man verstehen,wie das System sich zeitlich verändert und welcheFaktoren es steuern. Dafür müssen hochauflösendeGeländeuntersuchungen an Land und im Meerdurchgeführt und die Erkenntnisse in globale Mo-delle eingearbeitet werden. Insbesondere die biolo-gischen CO2-Senken und der Stickstoffkreislaufmüssen in Zukunft stärker erforscht und quantifiziertwerden. Eine weitere Aufgabe besteht darin, die Re-aktion der für die CO2-Senken und den Stickstoff-kreislauf wichtigen Arten, die biogeochemischenProzesse und Ökosysteme auf Änderungen des Kli-mas und der Atmosphärenchemie zu untersuchen.

Der globale Kohlenstoffkreislauf und insbesondereder Anstieg des Treibhausgases CO2 in der Atmo-sphäre sind von hohem politischem und zuneh-mend auch wirtschaftlichem Interesse. Für den glo-balen Handel von CO2-Emissionsquoten müssenalle CO2-Reservoire, Senken und Quellen besser

bekannt sein. Vordringliche Aufgabe ist es außer-dem, festzustellen, ob und in welchem Ausmaßsich die biologische Speicherfähigkeit des Ozeansfür CO2 im Laufe des globalen Wandels verändernwird und welche Rolle dabei Veränderungen in derBiodiversität spielen. Einige klimarelevante Spuren-gase sind zudem bedeutend effektiver in ihrerTreibhauswirkung als CO2. Sie sind mit hoher Reak-tivität an atmosphärenchemischen Prozessen (z. B.Zerstörung der Ozonschicht) oder an der Wolken-bildung beteiligt. Über die biologischen Prozesseund Schlüsselorganismen, die zu Variationen inder Produktion von Spurengasen wie Dimethylsul-fid, Lachgas oder Methan führen, ist allerdingswenig bekannt.

Eine wichtige Komponente im globalen Stoffsys -tem ist der Stickstoffkreislauf, der ebenfalls starkenVeränderungen durch den Menschen unterworfenist. Schon jetzt werden global über 100x1012

Gramm (100 Mio. t) Stickstoff pro Jahr als Dünge-mittel produziert – mit steigender Tendenz. Sie ste-hen einer natürlichen, biologischen Stickstofffixie-

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rung von circa 40x1012 Gramm (40 Mio. t) Stick-stoff pro Jahr gegenüber. Insbesondere küsten-nahe Gewässer werden durch die Einträge vonlandwirtschaftlichen und industriellen Abflüssensowie Stickoxiden, die bei Verbrennung entste-hen, stark beeinflusst. Der Stickstoffkreislauf isteng mit dem Sauerstoffgehalt im Ozean ver-knüpft, da Stickstoff bei Sauerstoffmangel durchmikrobielle Prozesse (Denitrifikation) aus dembiologischen Kreislauf entfernt wird. Eine Erwär-mung des Ozeans, eine veränderte Ventilationder mittleren Wassertiefen sowie ganz besondersdie Eutrophierung von Küstenzonen und Rand-meeren führen dazu, dass der Sauerstoffgehaltim Meer abnimmt. Es muss daher untersuchtwerden, wie sich Sauerstoffmangelgebiete, diezum Teil schon jetzt beobachtet werden und sichweiter ausdehnen, regional und global auf dieStoffkreisläufe auswirken.

Doch auch die Wirkung von veränderten Staub-und Aerosol-Verteilungen auf die Biosphäre ist einwichtiges Thema der Zukunft. Spurenmetalle sindbeispielsweise häufig limitierende Faktoren für bio-logische Prozesse und damit die Biodiversität undden Wandel der Biosphäre. So begrenzt etwa Eisendas Algenwachstum in den Ozeanen.

Welche Ursachen und Folgen Veränderungen lo-kaler Ökosysteme der Erde haben, ist nur in Einzel-fällen bekannt. Viele der derzeitigen Probleme ste-hen in einem globalen und gesellschaftlichen Kon-text. Um Probleme mit globalen Auswirkungenmodellieren und Vorhersagen entwickeln zu kön-nen, ist ein gemeinsames Systemverständnis derGeo- und Biowissenschaften notwendig – dieGEOTECHNOLOGIEN schaffen die Grundlage derErdsystembeobachtung, der experimentellen Ein-griffe sowie der Informationssysteme und Daten-banken. Eine weitere wesentliche Zukunftsauf-gabe der Geo- und Biowissenschaften wird darinbestehen, gekoppelte biologische und geologischeProzesse des Erdsystems auf unterschiedlichenZeitskalen zu verstehen. Aktuelle Ökosystem-Be-obachtungen umfassen dabei je nach Problemstel-lung Zeitskalen von Stunden bis zu Jahrzehnten.Mithilfe von Umweltarchiven können Szenarienentwickelt werden, die untersuchen, wie sich Öko-systeme über längere Zeiträume entwickeln.

Die engen Rückkopplungen zwischen terrestri-schen und marinen Ökosystemen und dem Klimaspiegeln sich noch nicht ausreichend in gemeinsa-men Forschungsansätzen wieder. Viele wichtigeFragen sind daher noch nicht beantwortet. ZumBeispiel ist es ungeklärt, welche Bedeutung die Ar-tenvielfalt für die Funktion von Ökosystemen hatund wie Landschaft und Lebewesen auch überweite Distanzen und Zeiträume miteinander wech-selwirken. Zur Lösung dieser Probleme müssenGeo- und Biowissenschaften fachübergreifend zu-sammenarbeiten. In europäischen und internatio-nalen Forschungsprogrammen zur Ökosystemfor-schung werden Langzeitbeobachtungen und Sys -temanalysen bereits als multidisziplinäre Aufgabeder Geo- und Biowissenschaften betrachtet. InDeutschland fehlt noch eine entsprechende inter-disziplinäre Strategie für Forschung, Lehre und In-frastruktur. Dies gilt insbesondere für Pläne, dienachhaltige Entwicklung der Erde durch »Ökosys -tem-Management« oder sogar »Geo-Enginee-ring« bewusst zu steuern. In der Öffentlichkeitwird zunehmend darüber diskutiert, wie sich derCO2-Überschuss in der Atmosphäre verringernlässt, etwa durch Eisendüngung im Meer, durchdie Nutzung pflanzlicher Biomasse zur Energiege-winnung, durch die Langzeit-Speicherung vonCO2 an Land oder im Meer. Dabei ist die geowis-senschaftliche Expertise besonders gefragt, umdas Risiko für Ökosysteme abzuschätzen.

(ii) Biodiversität und extreme LebensräumeEine große zukünftige Herausforderung bestehtdarin, Erkenntnisse über die Funktion, Stabilitätund Erholungsfähigkeit der Biodiversität zu gewin-nen. Dazu können die großen erdgeschichtlichenKrisen des Lebens, die durch Fossilien und Sedi-mente dokumentiert sind, herangezogen werden.Untersuchungen haben ergeben, dass es nacheinem Massensterben etwa zehn Millionen Jahredauert, bis die ursprüngliche Vielfalt bei Tierenwieder erreicht ist, unabhängig von der Intensitätder Krise. Pflanzen und insbesondere Mikroorga-nismen sind schwerer über Fossilien zu erfassen.Dies bedeutet, dass der gegenwärtige Verlust derBiodiversität auf menschlichen Zeitskalen nicht re-parabel ist. So ist es wichtig zu ergründen, wes-halb manche Lebensformen bei einer globalen Ka-tastrophe vollständig ausgestorben sind, während

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andere nahezu unbeschadet fortleben konnten. Indiesem Zusammenhang ist auch das Phänomender sogenannten lebenden Fossilien interessant.Die unterschiedliche Geschwindigkeit der Evolu-tion gilt als eine der interessantesten gegenwärti-gen Fragen der Evolutionsforschung. Dieses Pro-blem lässt sich nur mithilfe detaillierter Untersu-chungen von Fossilien lösen, beruhend auf hoch-auflösenden Archiven zu Stratigraphie, Datierung,Rekonstruktion von Umweltbedingungen – kombi-niert mit aktueller Erd- und Ökosystembeobach-tung sowie Biodiversitätserfassung.

Im Meer sind Korallenriffe die Ökosysteme mit dergrößten Artenvielfalt, an Land die Regenwälder derTropen und Subtropen, doch bergen auch dieBöden noch eine große Fülle unbekannter Lebens-formen. Auch die bisher noch kaum erforschteTiefsee gilt als Ort hoher Biodiversität, allerdingsüberwiegen dort Kleinstlebewesen mit einer Kör-pergröße von weniger als einem Zentimeter (Abb.2-2), wenn man einmal von den erst seit wenigenJahrzehnten bekannten Tiefwasserriffen absieht.Wie sich die Flachwasserriffe im Laufe der Erdge-schichte entwickelten, ist relativ gut bekannt, daviele fossile Riffe erhalten geblieben sind. Über dievergangene und heutige Vielfalt des Lebens imOzean weiß man dagegen nur wenig. Wie vielfäl-tig Einzeller (z. B. Bakterien, Archaeen und Eukary-onten) an Land und im Meer sind, kann noch nichtbestimmt werden. Zudem konnten bisher nur inwenigen Regionen der Erde langfristige Beobach-tungen durchgeführt werden. Der Biodiversitätsforschung fehlen dabei bis heutedie einfachsten Grundlagen. Eine öffentlich zu-gängliche Datenbank möglichst aller vorhandenenArten und ihrer biologischen Eigenschaften undWechselwirkungen einschließlich der Dokumenta-tion von Referenzexemplaren ist notwendig. Biolo-gische Merkmale umfassen den Bauplan, die gene-tische Information, Physiologie, Anpassungen imVerhalten, Inhalts- und Wirkstoffe, Lebensge-schichte, genutzte Lebensräume (Biotope), Habi-tatansprüche, Verbreitung, Bestand und Bestands-entwicklung, Beziehungen zu anderen Arten sowiedie Beiträge zu Stoffumsätzen und Dienstleistun-gen im Ökosystem. Solch komplexe biologische In-formationen müssen Teil der Erdsystemdatenban-ken werden, um die Entwicklung der Biosphäre be-

obachten, modellieren und vorhersagen zu kön-nen. In Zukunft müssen geologische und geogra-phische Werkzeuge stärker kombiniert werden, umWandlungsprozesse in Ökosystemen räumlich dar-zustellen. Weitere Aufgaben bestehen darin, dieExpertise an Universitäten, Instituten und Museenzu vernetzen, Informationen in nutzerfreundlichenDatenbanken zu speichern und moderne Visuali-sierungsverfahren einzusetzen, um Zusammen-hänge darzustellen.

Unbekannte und extreme Ökosysteme und ihreBiodiversität können nur mit einem erheblichentechnischen Aufwand erforscht werden. Das Zielder Erkundung besteht darin, die Lebensräumeumfassend geographisch, geologisch, geophysika-lisch, chemisch und biologisch zu kartieren und dieneu gefundenen Lebensräume funktionell zu ver-stehen. Dieser Aufwand lohnt sich: Häufig werdenbei solchen Forschungsprojekten völlig neue Lebe-wesen entdeckt. Außerdem wird es möglich, dieAnpassungsfähigkeit, die Entwicklung und dieGrenzen des Lebens besser zu verstehen. So lässtsich etwa herausfinden, welche Gene Organismenbefähigen, extrem kalte, heiße, saure, basischeoder saline Standorte zu besiedeln. Dies ist nichtnur für die Grundlagenforschung interessant, son-dern auch für die angewandte Biotechnologie.

Die Möglichkeit, mit Forschungstauchbooten, fern-gesteuerten Unterwasserfahrzeugen, verankertenund geschleppten Kamerasystemen das Leben amMeeresboden zu beobachten und seine Interaktionmit der Umwelt zu untersuchen, hat zu einer Viel-zahl von neuen Entdeckungen geführt. Wir wissenheute vor allem, dass wir nur einen Bruchteil derVielfalt des Lebens und seiner Habitate im Meerkennen. Einige der neu entdeckten Meeresumwel-ten sind so fremdartig, dass sie als Parallelen zumöglichen Lebensräumen auf anderen Planetenuntersucht werden (Gashydrat, CO2-Seen, Salz-seen, »Tiefe Biosphäre«). Andere beherbergen Mi-kroorganismen, deren Metabolismus eine bisherungeahnte Rolle in globalen Stoffkreisläufen spielt,oder werden von Lebewesen besiedelt, die inihrem Lebenszyklus oder Verhalten bisher nicht be-kannte Anpassungen an den Meereslebensraumzeigen. Völlig unterschätzt wurde bisher die Bio-masse und Vielfalt von Mikroorganismen in Sedi-

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menten und Gestein unter dem Meeresboden undihre Interaktion mit mineralischen Oberflächen undGeofluiden. Für die Quantifizierung von Prozessenin extremen aquatischen Lebensräumen werdenferngesteuerte Unterwasserfahrzeuge (ROV) (Abb.2-3) genutzt sowie geophysikalische Messsystemeund autonome Unterwasserfahrzeuge mit Mess-sensoren (AUV) zum Erfassen der Bodentopogra-phie und zum Auffinden der Quellen von Geoflui-den. In zunehmendem Maße werden Infrastruktu-ren für umfangreiche experimentelle Arbeiten be-nötigt (z. B. in Drucktanks und Mesokosmen) sowieverschiedene Bohrgeräte, um auch dem Leben imUntergrund auf die Spur zu kommen.

Eine neue Erkenntnis besteht zum Beispiel darin,dass es ähnliche Ökosysteme wie an Hydrother-malquellen auch in einiger Entfernung von denozeanischen Spreizungsachsen gibt. Durch chemi-sche Reaktionen zwischen Meerwasser und Man-telgesteinen entstehen dort große Mengen CO2,Wasserstoff und Methan. Diese Stoffe bilden dieLebensgrundlage für spezielle chemosynthetischeLebensgemeinschaften. Im Pazifik hat man andereTypen von Hydrothermalquellen und Gas-Austritts-gebieten entdeckt. Dort strömen große MengenCO2 aus dem Boden, das sich in eisförmiges CO2-Clathrat umwandelt. Anhand der dort vorhande-nen Lebensgemeinschaften lässt sich erforschen,wie das Leben auf die Versauerung der Meere rea-giert. An Kontinenträndern existieren Oasen desLebens, die den Lebensgemeinschaften an Hydro-

thermalquellen ähneln. Diese sogenannten »kal-ten Quellen« wurden erst in den letzten Jahren ge-nauer untersucht. Die Lebensgemeinschaften sie-deln sich da an, wo Gas oder Flüssigkeiten ausdem Meeresboden austreten. Das ist oft in derNähe von Gashydratvorkommen der Fall. Hier isteine wichtige Frage, welche biologischen, chemi-schen und physikalischen Prozesse der Methan-emission aus dem Meer in die Hydro- und Atmo-sphäre einwirken.

Die Entdeckung der »Tiefen Biosphäre« in der Erd-kruste war eine der größten geowissenschaftli-chen Sensationen des letzten Jahrzehnts (Abb. 2-4). Diese Entdeckung hat gezeigt, dass wir einengroßen Teil des Lebens auf der Erde bisher kaumkennen. Die »Tiefe Biosphäre« ist neben der Tief-see das größte zusammenhängende Ökosystemder Erde. Sie enthält ein Drittel der gesamten Bio-masse auf der Erde. Das Leben in der »Tiefen Bio-sphäre« scheint nur durch zwei Faktoren begrenztzu sein: durch die Verfügbarkeit von Wasser unddurch die Temperatur. Die »Tiefe Biosphäre« exis -tiert nur in den Bereichen der Erdkruste, in denendie Temperatur niedriger als 120 Grad Celsius ist.Bislang ist unklar, wie Mikroorganismen unter sol-chen Bedingungen vielleicht Jahrmillionen überle-ben können. Die Erforschung der »Tiefen Bio-sphäre« wird daher dazu beitragen, das Verständ-nis des Stoffwechsels, der Biochemie und der Ther-modynamik des Lebens in den nächsten Jahrenwesentlich zu erweitern. Zahlreiche Forscher welt-

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Abb. 2-3: Unterwasser-Roboter (ROVs) zur Untersuchung der Tiefsee.

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Abb. 2-4: Die »Tiefe Biosphäre«: Mikroorganismen sind auch in alten, tief begrabenen Sedimenten intakt und lebensfähig (bis ca. 1000 m Sedi-ment tiefe). Dies zeigen mikroskopische Aufnahmen und geochemische Analysen.

weit untersuchen derzeit, welche Mikroorganis-men in welchen Gesteins- und Sedimentschichtenvorkommen, wie diese Mikroorganismen sich er-nähren und was für eine Funktion sie für die Ele-mentkreisläufe, für die Mineralisierung und dieVerwitterung haben. Geomikrobiologen habenerstmals einen festen Platz an Bord der Forschungs-bohrschiffe. Um einzelne Zellen auf Mikrometer-Skalen zu untersuchen, müssen Methoden wieMassenspektrometrie, Chromatographie, Mikro-skopie, Element- und Gasanalytik, Chemosensoriksowie Umweltgenomik weiterentwickelt werden.Verschiedene Felder der Geowissenschaften profi-tieren von solchen technischen Fortschritten, zumBeispiel die Astrobiologie und die Kosmochemie,aber auch die Erforschung der frühen Erde.

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Die Ozeane bedecken mehr als 70 Prozent unserer Erdoberfläche und bilden miteiner mittleren Wassertiefe von 3800 Metern eine der größten Biosphären unsererErde. Dieser Lebensraum wird von komplexen Wechselwirkungen zwischen Geo -sphäre und Biosphäre bestimmt, die unser Klima beeinflussen. Gleichzeitig beher-bergt die Tiefsee natürliche Ressourcen, die wir zwar bereits nutzen, die aber mögli-cherweise in Zukunft noch größere Bedeutung erlangen werden. Die vergangenendrei bis vier Jahrzehnte der Tiefseeforschung haben fundamental neue Erkenntnissegebracht, welche für ein integriertes, globales Verständnis von Funktion und Bedeu-tung des Erdsystems essenziell sind. So wurden erstmals Austrittsstellen von heißenFluiden an Spreizungszonen von Lithosphärenplatten durch den Einsatz eines Tief-seetauchbootes entdeckt. Sie führen neben einem hohen Energieaustausch zur Bil-dung von metallischen Lagerstätten und haben durch spezielle Anpassungen vonMikroben und Makroorganismen sehr spezifische Lebensformen hervorgebracht. DieUntersuchung der Kontinentränder mit videokontrollierten Beprobungen zeigte, dassdort Quellen am Meeresboden existieren, die Teil einer tief reichenden Fluid- und Gas- zirkulation sind. Bathymetrische Vermessungen mit Fächerecholoten und seismischeVerfahren belegen, dass die oberen Kontinent ränder meist durch Rutschungen über-prägt sind und die Sedimente mit freiem Gas und – im Bereich der Gashydrat-Stabili-tätszone – mit Methanhydraten assoziiert sind. Stetig neue Erkenntnisse der Tiefsee-forschung zeigen, wie lückenhaft unser Verständnis dieses Teils der Erde ist, sodassauch in Zukunft große Anstrengungen notwendig sind, eine breit angelegte Tiefsee-forschung auf multidisziplinärer Basis zu betreiben. Zunehmend werden in nationalenund internationalen Rahmen Strategien und Planungskonzepte für die Meere ent-wickelt, um diesen Lebensraum besser bewirtschaften zu können. Um dies für dieZukunft sinnvoll und wirksam zu gestalten, bedarf es aber der wissenschaftlichfundierten Kenntnis auch des tieferen Ozeans, seiner Besiedlung, seiner geologischenund biologischen Prozesse und seiner Bedeutung für das Gesamtsystem Erde.Ähnlich der Raumfahrt ist bei der Tiefseeforschung die Entwicklung und Anwendungvon Technologie entscheidend. Forschungsschiffe dienen zwar noch immer als diewichtigsten Plattformen der marinen Forschung, andere Basisstationen, zum Beispielverkabelte Tiefseeobservatorien und mobile Systeme wie Roboter und autonomeFahrzeuge werden aber in Zukunft immer wichtiger. Fortschritte in der Erforschungder Tiefsee werden ganz entscheidend von der zusätzlichen einzusetzenden Techno-logie abhängen. Diese ist nur zum Teil verfügbar und muss entsprechend der Frage-stellungen angepasst beziehungsweise vielfach noch entwickelt werden. Das inDeutschland entwickelte ferngesteuerte Meeresbodenbohrgerät (MeBo) sollte hin-sichtlich der maximalen Bohr- und Einsatztiefe weiter entwickelt werden. Mit solchenWeiterentwicklungen könnte Deutschland den technologischen Vorsprung im Bereichferngesteuerter Tiefseebohrungen weiter ausbauen.

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Abb. 3-1: Fluidzirkulation derErdkruste in Wechselwirkungmit dem Ozean. SchematischeDarstellung der wichtigstenProzesse an »Kalten Quellen«(B) und »Heißen Quellen« (C).

EinführungAufgrund seiner unwirtlichen Bedingungen, deshohen Drucks, der Dunkelheit und Kälte, ist dertiefe Ozean ein relativ unbekannter Bereich derErde, der viele fasziniert. Seine Erforschung ist bisheute eine Herausforderung, denn im Rahmen dergesellschaftlichen Nutzung unserer Georessourcenspielt der Ozean eine immer größer werdendeRolle. Während früher vor allem der Fischfang unddie militärische Nutzung der Ozeane von Interessewaren, beschäftigen sich die heutigen Forschungs-fragen mit Georessourcen von Kohlenwasserstoffen(KW), metallischen Vorkommen/Lagerstätten undder Nutzung des Ozeans und seines geologischenUntergrunds als Deponie von Abfallstoffen. Als Lagerstätten für Kohlenwasserstoffe sind vorallem Gas- und Ölvorkommen zu nennen, dieheute in immer tieferen Bereichen der Kontinent -ränder exploriert werden. So wird im Golf von Me-xiko bereits in 1400 Meter Wassertiefe gefördertund im Bereich des Nigerfächers und vor Brasilienin mehr als 2000 Meter Tiefe. Ein grundlegendesVerständnis der wichtigsten geologischen und bio-logischen Prozesse ist dort die Basis für einen sach-gerechten und nachhaltig ausgerichteten Abbauvon Kohlenwasserstoffen.

Eine besondere Stellung nehmen die Methanhyd -rate ein, die bei hohen Drücken und niedrigenTemperaturen in marinen Sedimenten ab 400

Meter Wassertiefe in allen Weltmeeren vorkom-men. Die hohe Konzentration von Methan in derGashydratstruktur und die weltweite Verbreitungvon Methanhydraten bilden eine Kohlenwasser-stoffressource, deren zukünftige Nutzung bishernoch nicht abschließend bewertet werden kann(Abb. 3-1). Ein potenzieller Methanhydratabbauzur Energiegewinnung wird sicher in Zukunft vonvielen Faktoren abhängen. Bevor Gashydrate über-haupt genutzt werden können, muss zunächstnoch besser verstanden werden, wie Gashydrate inden Sedimenten verteilt sind und wie sie sich auflö-sen lassen. Weiterhin könnten Methanhydratvor-kommen eine wichtige Rolle bei der CO2-Seques -trierung spielen. CO2-Hydrate sind stabiler als Me-thanhydrate und bilden sich bei der Einleitung vonflüssigem CO2 in einem Methanhydratreservoir.Das auf diese Weise in fester mineralischer Formgebundene CO2 wird dabei vermutlich stabilerdem atmosphärischen Kreislauf entzogen, als diesdurch Sequestrierung an Land und in Flachmeerenwie der Nord- und Ostsee geschehen kann. Gekop-pelt an die Erdgasgewinnung aus Methanhydrat-vorkommen könnte die CCS-Technologie (CarbonCapture & Storage), die die im Rahmen der Klima-veränderung notwendige CO2-Reduktion unter-stützt, eine Alternative zur normalen CCS-Technolo-gie sein. Sie erlaubt wahrscheinlich eine deutlich si-chere CO2-Sequestrierung als die bisher angedach-ten Verfahren. Neben dieser sehr angewandten Fra-

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gestellung ist bei marinen Methanhydratvorkom-men die Klärung der Folgewirkungen der Methan-moleküle als Treibhausgas für das Klima besonderswichtig. Darüber hinaus ist die Bereitstellung vonMethan aus Methanhydraten für die Entwicklungvon chemosynthetisch-lebenden Faunengemein-schaften und für die »Tiefe Biosphäre« essenziell.

Metallische Rohstoffe sind im Ozean als Bildungenvon Hydrothermalquellen, von Mangankrustenund von Manganknollen aus großen Wassertiefenzwischen 3500 bis 5500 Metern bekannt und ausrohstoffstrategischen Gründen von Bedeutung. Essind vor allem die Metalle Nickel (Ni), Kobalt (Co)und Kupfer (Cu). Weiterhin werden seltene Me-talle mit besonderen Eigenschaften wie zum Bei-spiel Gallium (Ga), Germanium (Ge), Indium (In),Selen (Se) und Terbium (Tb), die in Zukunftstech-nologien wie Computer-, Elektronik-, oder Solarin-dustrie eine Rolle spielen, stark nachgefragt. Siescheinen in marinen Vorkommen zum Teil stärkerangereichert zu sein, was ihre Produktion erleich-tern könnte. Die marin-geowissenschaftliche Erfor-schung solcher Vorkommen außerhalb der aus-schließlichen Wirtschaftszonen wird in Absprachemit der Internationalen Meeresbodenbehörde derVereinten Nationen durchgeführt werden, in derDeutschland neben mehr als 150 anderen StaatenMitglied ist. Die Untersuchungen ermöglichen esnicht nur, die Ressourcen des Meeresbodens zu er-schließen. Sie tragen auch zum Schutz der mari-nen Umwelt in Abbauregionen bei und gewährleis -ten eine gerechte Verteilung des wirtschaftlichenNutzens. Viele der potenziell nutzbaren Gebieteliegen außerhalb von nationalen Wirtschaftszonenund müssen daher international geregelt werden.

Fluid- und Gasaustrittsstellen von heißen und kal-ten Quellen am Meeresboden sind extreme Le-bensräume im tiefen Ozean. Sie werden von Lebe-wesen dominiert, die in Symbiose mit chemosyn-thetischen Bakterien vorkommen. Insbesonderediese Mikroorganismen, die in großen Tiefen derOzeane unter extremen Bedingungen leben, wer-den als mögliche Quelle für biologische Substan-zen gesehen, die sich auch für technische Prozesseverwenden lassen (Blaue Biotechnologie). ZumBeispiel besitzen einige Tiefseebakterien an hydro-thermalen Austrittsstellen Enzyme, die auch unter

extrem heißen Bedingungen als Biokatalysatorenfunktionieren, während normale Enzyme beihohen Temperaturen denaturieren. Auch die Mi-krobenpopulationen, die über lange Zeiträumeüberleben können und in mehreren hundert Me-tern Sedimenttiefen der Kruste vorkommen, stel-len in ihrer Gesamtheit eine große Biomasse dar(»Tiefe Biosphäre«). Spezielle metabolische Pro-zesse und enzymatische Katalysatoren sind unsbisher verborgen und haben möglicherweise eingroßes Potenzial für biotechnologische Anwen-dungen. Insofern wird die biogeochemische undbiologisch-ökologische Tiefseeforschung neue bio-technologische Einsatzgebiete mit sich bringen. Die Fluid- und Gaszirkulation der Kontinentränderist mit einer Reihe von Meeresbodenverände -rungen wie Zementation des Meeresbodens (z. B.mit Karbonaten, Schwerspat und Gashydraten)oder Gasemissionen in die Wassersäule verbunden.

Gashydrate stehen in einem sensiblen Gleichge-wicht mit den natürlichen Umgebungsbedingun-gen. Änderungen von Druck und Temperatur kön-nen sehr schnell zur Destabilisierung von Gashyd -raten führen. Instabile Gashydrate setzen einer-seits das Treibhausgas Methan frei. Andererseitskönnten sie zur Instabilität der Kontinentalhängebeitragen und Flutwellen (Tsunamis) auslösen. Tsu-namis haben verheerende Folgen für die dicht be-siedelten Küstenregionen. Der WissenschaftlicheBeirat der Bundesregierung Globale Umweltverän-derungen (WBGU) misst in seinem Sondergutach-ten von 2003 der Erforschung der Gashydratedaher eine besondere Bedeutung zu.

FörderstatusDeutschland war weltweit eines der ersten Länder,das im Rahmen der GEOTECHNOLOGIEN ein eige-nes Forschungsprogramm zur Untersuchung vonGashydraten initiierte. Diese bauten auf wegwei-senden Untersuchungen der Gashydratzone derCascadia-Subduktionszone an der Westküste derUSA auf, die mit dem deutschen ForschungsschiffSONNE durchgeführt wurden. Die multidisziplinä-ren Arbeiten haben zu einer Bohrkampagne aufdem Hydratrücken im Rahmen des »Ocean DrillingProgram« (ODP) geführt, wobei erstmals eine be-lastbare Quantifizierung von Methanhydraten ineinem regionalen Rahmen durchgeführt wurde.

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Inzwischen nehmen deutsche Forschergruppen aufmehreren Gebieten der Gashydratforschung eineinternationale Spitzenstellung ein. Dies schließtauch die Entwicklung neuer Technologien, insbe-sondere auf den Gebieten der Sensorik, Erkun-dungs-, Entnahme- und Gewinnungstechnikensowie des Anlagenbaus, ein.Seit 2000 fördert das BMBF im Rahmen des FuE-Programms GEOTECHNOLOGIEN die Gashydratfor-schung. Zwanzig interdisziplinäre Forschungsver-bünde aus Wissenschaft und Wirtschaft wurdenbislang mit 25 Millionen Euro unterstützt. Beteiligtwaren insgesamt 13 Universitäten und außeruni-versitäre Forschungseinrichtungen sowie siebenUnternehmen aus dem Anlagenbau und der Ener-gieversorgung. Die Forschungsaktivitäten initiier-ten eine Vielzahl internationaler Kooperationen.Unter anderem wurden weitreichende Kontaktebis hin zu gemeinsamen Forschungsprogrammenmit den Anrainerstaaten des Schwarzen Meeres,mit China, Japan und Korea aufgebaut. Darüberhinaus waren deutsche Wissenschaftler Partner derweltweit ersten Produktionsbohrung (MALLIK) fürMethan (CH4) aus Gashydraten, die im Permafrost-boden im Norden Kanadas durchgeführt wurde.Durch die koordinierte Forschungsförderung desBMBF und des Bundesministeriums für Wirtschaftund Technologie (BMWi) werden seit 2008 in demVerbundvorhaben SUGAR Explorations- und Pro-duktionstechnologien optimiert und weiterent-wickelt, um mittelfristig eine kommerzielle Förde-rung von Gashydraten zu ermöglichen. Die Ränder der Kontinente gehören zu den wich-tigsten Lebens- und Wirtschaftsräumen des Men-schen. Kontinentränder sind daher weltweit in denBlickpunkt der Forschung gerückt. Zum Schutz derMenschen, aber auch, weil sich an ihnen grundle-gende Prozesse des Systems Erde in-situ studierenlassen – wie in einem gigantischen natürlichenLabor. Zwischen 2004 und 2007 förderte das BMBFdrei Forschungsverbünde mit einem Gesamtfinanz-volumen von sechs Millionen Euro. Während sichdie Verbünde TIPTEC und SUNDAARC auf aktiveKontinentränder konzentrierten, konnte der Ver-bund NAMIBGAS wichtige Neuerkenntnisse überProzesse an passiven Kontinenträndern gewinnen.Komplementär förderte die DFG in den Jahren2003 bis 2008 mit circa zwei Millionen Euro wei-tere elf Projekte im Normalverfahren als Beitrag

zum europäischen Forschungsprogramm EURO-MARGINS, einem Programm, das durch die Euro-pean Science Foundation (ESF) koordiniert wurde.Aufbauend auf den vorangegangenen Projektenstartete 2008 schließlich das DFG-Schwerpunkt-programm SAMPLE: South Atlantic Margin Proces-ses and Links with onshore Evolution.

Um die amphibische Seismologie, eine für die mo-derne Kontinentrandforschung unerlässliche Tech-nologie, zu stärken, wurde 2004 der Deutsche Ge-räte-Pool für amphibische Seismologie (DEPAS) ge-gründet. Hierbei handelt es sich um einen Geräte-Pool breitbandiger Seismometer für Langzeitein-sätze an Land und auf dem Meeresboden. Er be-steht zurzeit aus 100 Landstationen sowie aus 80Ozeanboden-Seismometern (OBS) und fünf Oze-anboden-Hydrophonen (OBH). Ein Teil der Gerätewurde im Rahmen des FuE-Programms GEOTECH-NOLOGIEN vom BMBF mit insgesamt drei MillionenEuro finanziert.

Stand von Forschung, Entwicklungund Anwendung Mehr als 95 Prozent des Wassers auf der Erde be-finden sich in den Ozeanen. Dieses gewaltige Volu-men von etwa 1,4 Milliarden Kubikkilometer Was-ser wird Berechnungen zufolge etwa alle eine Mil-lion Jahre durch die submarinen Anteile von Krusteund Mantel gepumpt. Meerwasser zirkuliert ent-lang von Störungssystemen durch offene Kluft-oder permeable Kanalsysteme der Lithosphäre,wobei die hydrologische Zirkulation vor allemdurch Wärmeverteilung und Advektion aufrechter-halten wird. Das zirkulierende Wasser alteriert diedurchfließenden Gesteinsformationen und ändertdabei seine chemische Zusammensetzung. DieseZirkulation führt außerdem zu Metallbildungen amMeeresboden. In Subduktionszonen wird zirkulie-rendes Wasser mit der Kruste in die Tiefe transpor-tiert und beeinflusst dort geologische Prozesse wieErdbeben und Magmatismus. Zirkulierendes Meer-wasser dieser Konvergenzzonen, aber auch solchesan passiven Kontinenträndern, kann im höheren TeilKohlenwasserstoffe aufnehmen und durch Trans-port in anderen Stockwerken Öl- und Gaslagerstät-ten bilden. Insgesamt führt die submarine Zirkula-tion von Wasser beziehungsweise wässrigen Fluidenam Meeresboden zu sehr unterschiedlichen Aus-

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trittsstellen, an denen eine intensive Wechselwir-kung zwischen Litho- und Hydrosphäre stattfindet.

HydrothermalquellenDie bekanntesten Austrittsstellen sind die der Hyd -rothermalfelder. Es sind die Austrittsstellen vonKonvektionszellen, die meist einige Kilometer großsind und durch Energieaufnahme in der Nähe vonkrustalen Schmelzkammern angetrieben werden.Dies geschieht zum Beispiel im Bereich der platten-tektonischen Divergenzzonen entlang der Mittel-ozeanischen Rücken, die mit 60.000 KilometernLänge eine der größten geologischen Provinzendarstellen. Mit jährlich 21 Kubikkilometern Magmasind die ozeanischen Divergenzzonen für mehr als60 bis 65 Prozent der gesamten Magmenproduk-tion der Erde verantwortlich. Diese Magmenpro-duktion der Ozeane führt dazu, dass kaltes Meer-wasser, welches in die Krus te eindringt, durch diemagmatische Wärmequelle erhitzt wird und zum

Teil in überkritischem Zustand entlang eines auf-steigenden Astes der Konvektionszelle wieder zumMeeresboden transportiert wird. Die hydrother-male Zirkulation sorgt dabei für einen effektivenWärmetransport, der für einen Großteil des globa-len Energietransportes verantwortlich ist. Bei die-ser konvektiven Zirkulation wird durch intensiveGesteins-Fluid-Wech selwirkung aus dem ehemali-gen Meerwasser ein hydrothermales Fluid, wel-ches nun fundamental andere Eigenschaften alsdas Meerwasser besitzt. Solche hochtemperierten,hydrothermalen Lösungen sind meist durch nied-rige pH- und Eh-Werte gekennzeichnet sind, sau-erstoffarm und schwefelwasserstoffreich undhaben eine große Zahl gelöster Substanzen (z. B.Cu, Zn, Fe, Mn, S) aufgenommen. Durch Vermi-schung der heißen Fluide mit kaltem, alkalischemund sauerstoffhaltigem Meerwasser in der Nähedes Meeresbodens kommt es zu starker Übersätti-gung und spontaner Ausfällung von spurenmetall-

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Abb.3-2: Schwarze Raucher »Kandelabra« in 3.000 Meter Wassertiefe am Logachev Hydrothermalfeld, Mittelatlantischer Rücken;Einsatz von Temperatursonden.

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reichen Sulfiden, Sulfaten, Oxiden und Silikaten.Dabei bilden sie stockwerksgebundene Vererzun-gen, deren Lagerstättenpotenzial je nach Metallvor-kommen variiert. Die fokussierten Hydrothermal-austritte bilden meist Schwarze und Weiße Raucher(Abb. 3-2), während großflächigere diffuse Aus-tritte weniger spektakulär erscheinen. Die bisheri-gen Untersuchungen von Hydrothermalquellen zei-gen ein sehr breites Spektrum, dessen Inventar inseiner Fülle bis heute noch nicht erfasst ist. So sindin neuerer Zeit hoch konzentrierte CO2-Austritteim Okinawa Trog entdeckt worden sowie reineSchwefel-Austritte an submarinen hydrothermalenQuellen, die aus dem Marianen-Inselbogenvulka-nismus gespeist werden.

Kalte Quellen der KontinentränderObwohl weniger bekannt, sind die kalten Quellen(»Cold Seeps«) wahrscheinlich aufgrund ihres glo-balen Auftretens von noch größerer Bedeutung alsdie heißen Quellen. »Cold Seeps« sind sowohl anpassiven als auch aktiven Kontinenträndern zu fin-den. Sie sind die meeresbodennahen Erscheinungs-formen der Fluidzirkulation an den Kontinent -rändern. Während bei aktiven Konvergenzzonendurch die Subduktion und die dadurch verursach-ten tektonischen Spannungen die Entwässerungder Kontinentrand-Sedimente tektonische Ursa-chen hat, sind die Ursachen bei passiven Kontinent -rändern vielfältiger. So werden zum Beispiel inmächtigen Kontinentrandabfolgen durch die Frei-setzung von Süßwasser advektive Fluidzirkulatio-nen aufrecht erhalten, die meist durch Migrationvon Kohlenwasserstoffverbindungen wie Methanunterstützt werden. Die Süßwasserfreisetzung wirdvon Mineralreaktionen wie der Umwandlung vonSmektit in Illit oder Opal-A in Opal-CT oder Quarzverursacht. Salinare Wässer, die in Verbindung zuden an passiven Kontinenträndern häufig auftre-tenden Salzstöcken stehen, vermischen sich mitSüßwässern und verursachen eine Fluid-Zirkula-tion, die durch Dichteunterschiede im Wasser ge-steuert wird. Störungssysteme, die durch die allge-meine Dehnungstektonik entstanden sind oderdurch Halokinese im Dachbereich eines Salzstockesauftreten, sind häufig genutzte, natürliche Zirkula-tionsbahnen.

Aufstiegszonen mit besonders hohen Flussratensind Schlammvulkane, in denen sehr wasserhaltigeSchlämme meist mit freiem Gas assoziiert zumMeeresboden transportiert werden. Schlammvul-kane haben in der Regel zylinderförmige Schlotevon 0,5 bis fünf Kilometer Durchmesser, durch dieder Schlamm aus zwei bis 15 Kilometer tiefen,fluidreichen Ursprungsschichten zum Meeresbo-den transportiert wird. Durch den raschen Trans-port entstehen am Meeresboden sogenannteSchüttungskegel, die magmatischen Vulkanennicht unähnlich sind. Wie an allen kalten Quellentreten auch bei Schlammvulkanen Fluide und Gaseaus dem Meeresboden in die Wassersäule. DieAustrittsstellen selbst sind durch biogeochemischeProzesse gekennzeichnet, die zum Beispiel zur Aus-bildung von authigenen Karbonaten oder Barytenführen. Viele dieser submarinen kalten Quellensind durch austretendes freies Methan gekenn-zeichnet. So werden heute weltweit an Kontinent -rändern Gasblasenaustritte vielfach mit akus -tischen Systemen am Meeresboden detektiert,welche für die Gesamtbilanz des Kohlenstoffein-trags nicht unerheblich sind.

Geosphären-Biosphären Wechselwirkung/»Tiefe Biosphäre«Sowohl heiße Quellen (»Hot Vents«) als auch kalteQuellen (»Cold Seeps«) sind durch chemoautotro-phe Organismengemeinschaften gekennzeichnet.Es sind vorwiegend Muscheln und Bartwürmer, diein Symbiose mit methanotrophen und Schwefel-wasserstoff (H2S) oxidierenden Bakterien lebenund die Fluid- und vor allem auch Gasaustrittsstel-len besiedeln. Die symbiotischen Bakterien oxidie-ren die in den Fluiden enthaltenden reduziertenchemischen Verbindungen (Schwefelwasserstoff,Wasserstoff und Methan) und bauen mit der so ge-wonnenen Energie organische Verbindungen auf.Die neu gebildeten Moleküle werden dann von demWirt übernommen, der von dieser Nahrungsquelleabhängt und selbst wiederum eine Nahrungsgrund-lage für weitere Organismen wie Kreb se, Schne - cken, Schwäm me und Aktinien in der Tiefsee dar-stellt. Daneben existieren chemoautotrophe Proka-ryonten und Archaea, die zum Teil mit den Fluidenaus tieferen Sedimenthorizonten transportiert wer-den. Obwohl die Seep- und Vent-Organismen nurden unmittelbaren Bereich der Quellen besiedeln

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und eher als sehr lokale Phänomene gelten, wirdaufgrund der Untersuchungen der letzten Jahreklar, dass vor allem entlang der gesamten Kontinent -ränder Seep-Organismen eine sehr viel größere Ver-breitung haben als früher angenommen. Entspre-chend hoch ist die gebildete Biomasse, die zu deut-licher Sauerstoffzehrung am Boden führt und zubiogeochemischen Wechselwirkungen beiträgt.

Gashydrate Gashydrate sind feste Verbindungen aus Gasmole-külen und Wasser, welche je nach Wassertempera-tur im Ozean und entsprechendem Druck ab 300bis 700 Meter Wassertiefe in Form von Methanhyd -raten vorkommen. In einem Kubikmeter Methan-hydrat der Struktur I sind bei Erdoberflächenbedin-gungen bis zu 164 Kubikmeter Methan enthalten.Obwohl die chemische Struktur der Gashydrateschon seit fast 200 Jahren bekannt ist, wird unsihre Bedeutung erst allmählich bewusst. Bisher sindin der Natur drei Strukturen (sI, sII und sH) nachge-wiesen. Die physikalischen Bedingungen (DruckP/Temperatur T) der natürlichen Hydratvorkommenkönnen sehr gut beschrieben werden, sodass dieprinzipiell mögliche Gashydratverteilung im Mee-resboden bekannt ist. Die Verfügbarkeit von Me-than als weitere Grundvoraussetzung für Methan-hydratbildung ist allerdings von weiteren geologi-schen Faktoren abhängig, sodass quantitative Gas-hydratvorkommen, ähnlich den Öl- und Gasvor-kommen, nur durch lokale Studien (geophysikali-sche Untersuchungen und Bohrungen) erarbeitetwerden können. Solche Studien wurden im Rah-men des internationalen Integrated Ocean DrillingProgram (IODP) auf dem Blake Ridge und auf demHydratrücken am Kontinentrand von Oregondurchgeführt. Globale Abschätzungen von Me-thanhydrat-Gehalten sind sehr unsicher und variie-ren zwischen 500 und 75.000 Gigatonnen Kohlen-stoff. Diese Schätzwerte basieren auf Hochrech-nungen von sehr wenigen Bohrungen und globa-len numerischen Modellen. Dabei gehen die meis -ten Wissenschafter von einer vorhandenen Mengevon etwa 5.000 bis 10.000 Gigatonnen Kohlen-stoff in Gashydraten aus. Die Untersuchungen derletzten Jahre haben gezeigt, dass Gashydrate inweit mehr Prozessen involviert sind, als dies früherangenommen wurde. Da viele rohstoffarme Schwel- lenländer aktive Gashydratprogramme zur Energie-

gewinnung verfolgen, steht zu erwarten, dass aufdiesem Gebiet in den nächsten Jahren große Fort-schritte gemacht werden.

Hydrogenetische Manganknollen und KrustenNeben den hydrothermalen Metallanreicherungenim Ozean sind vor allem die Manganknollen derTiefsee zu nennen, die aufgrund ihrer Metallge-halte von wirtschaftlichem Interesse sind. Es han-delt sich um konzentrisch gewachsene Knollen, diein den landfernsten Teilen der Tiefsee gebildet wer-den, wo eine extrem geringe Sedimentationsratevorherrscht. Neben Eisen (Fe) ist Mangan (Mn) dashäufigste Element, das aufgrund seiner großen Ad-sorptionskapazität vor allem die Kationen Ni2+, Cu2+

und Zn2+ vom Ozeanwasser adsorbiert und in dieKnollenstruktur einbindet. Aufgrund ihres langsa-men Wachstums über Millionen von Jahren entste-hen bis zu 25 Zentimeter große Knollen. Mn und Fesind beide redoxsensitiv und wandern prinzipiellvom weniger oxischen Sedimentmilieu ins stark oxi-sche Bodenwassermilieu. Ebenfalls hydrogenetischgebildete kobaltreiche Mangankrusten mit Co-Ge-halten über einem Prozent sind typischerweise fünfbis 100 Millimeter dick und häufig im Pazifik – vor-wiegend in 3.000 bis 11.000 Meter Tiefe – als Auf-wuchs auf exponierten Gesteinen von alten Sea-mounts (100 bis 60 Millionen Jahre) zu finden.

Notwendige FuE-Aufgaben Zukünftige Forschungsaktivitäten in der Meeres-forschung im Rahmen von GEOTECHNOLOGIENmüssen das Wissen zu folgenden Fragenkomple-xen verbessern:1. Wie funktioniert der Austausch zwischen Litho-sphäre, Meeresboden und Wassersäule und wel-cher Stoffaustausch ist dabei essenziell für Klima-änderungen? Wie wirken sich Klimaänderungenauf den Stoffaustausch aus? Wie groß ist die Ver-breitung von chemoautotrophen Organismenge-meinschaften und welche Bedeutung haben sieim Vergleich zu heterotrophen Meeresorganis-men? Wie funktioniert die Fluidzirkulation in be-stimmten geologischen Provinzen und welchenEinfluss hat die Zementation der Gesteine auf diemarine Hydrologie? Wie kann die Abschätzungvon Gashydraten in den ozeanischen Sedimen-ten verbessert und die Dynamik von Methanhyd -raten korrekter quantifiziert werden?

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2. Welche Faktoren beeinflussen die Ökologie desMeeresbodens und wie kann bei einer zuneh-menden Nutzung der Georessourcen eine nach-haltige Nutzung des Meeresbodens gewährleis -tet werden? Welche Georessourcen sind vonökonomischem Wert und welche könnten inZukunft eine Rolle spielen?

3. Was sind Ursachen und Auslösemechanismenfür Rutschungen am oberen Kontinenthang?Welche Ursachen sind natürlich und welche sindanthropogen? Welche Techniken werden zurUntersuchung von »Geohazards« benötigt undwie können vergangene Ereignisse besser da-tiert werden? Wie können zukünftige Naturka-tastrophen verhindert werden beziehungsweisewie kann man ihre Folgeschäden mildern?

Diese sehr allgemeinen Fragen sind nicht einfachund schnell durch einzelne Forschungsprojekte zubeantworten. Es sind Fragen, die im Rahmen einermittel- bis langfristigen Forschungsperspektive ver-folgt werden müssen. Es lassen sich aber Teilfragenmit Forschungsprojekten lösen, deren Einzelbeiträgewichtige Grundlagen für weitere Studien bilden.Marine Forschung in diesem Bereich sollte als Grund-lagenforschung auf breiter Basis betrieben werden.Aufgrund der Komplexität bedarf es eines interdiszi-plinären Ansatzes, bei dem Geologen und Geophysi-ker mit Biologen, Geochemikern, Biogeochemikernund Ozeanographen zusammenarbeiten. Ein sehrwichtiger Aspekt dabei ist die Bereitstellung von In-frastruktur und Gerätetechnik, die nur in Zusam-menarbeit mit Ingenieuren entwickelt werden kann.

Der unmittelbare Forschungsbedarf ist vorwiegendin folgenden Bereichen zu empfehlen:(i) Biosphären-Geosphäreninteraktion in der Tiefsee Notwendig sind Untersuchungen zum Verständnisder Mechanismen, wie die Organismen der tiefenBiosphäre organisches Material oder andere Sub-stanzen als Energiequelle nutzen.

(ii) Fluidzirkulation in Hydrothermalgebieten undKontinenträndern Ein Fokus ist hier unter anderem auf die Quantifizie-rung der Methanbildung und dessen Verteilung imSediment zu legen. Belastbare Untersuchungen zuden ökonomischen Perspektiven und ökologischen(Klimarelevanz) Risiken stehen ebenfalls noch aus.

(iii) Nachhaltige Nutzung der Tiefsee-Ressourcen Während die Meeresforschung in der Vergangen-heit im Wesentlichen von der Verfügbarkeit vonForschungsschiffen und deren technologischer Aus-rüstung abhing, spielen in Zukunft die Entwicklungund der Einsatz innovativer Geräte und Messstatio-nen eine entscheidende Rolle. Die Anwendung vonSchlüsseltechnologien ist dabei je nach Untersu-chungsschwerpunkt besonders wichtig, um u. a.bestehende Ressourcen und das Risikopotenzial beigeplanten Eingriffen zu quantifizieren. BesondereBedeutung werden zukünftig effiziente Fern- undNaherkundungsmethoden mit sehr guter räum -licher Auflösung und Technologien zur Unterstüt-zung des Tiefseebergbaus haben. Im tiefen Ozeankönnen schon heute durch das in Deutschland ent-wickelte Meeresbodenbohrgerät (MeBo; Abb. 3-3)bis zu 75 m lange Bohrkerne in Wassertiefen bis2.000 m gewonnen werden. Es ist sinnvoll, die Ent-wicklung des Meeresbodenbohrgeräts für größereBohr- und Einsatztiefen voranzutreiben.

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Abb. 3-3:Meeresboden-Bohrgerät beim Aussetzen vom Forschungsschiff METEOR.

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Der Begriff »Critical Zone« umschreibt die Grenzschicht der Erdoberfläche, in der alleAustausch- und Umsatzprozesse zwischen Lithosphäre, Biosphäre, Hydrosphäre undAtmosphäre stattfinden. Zentraler Bestandteil der »Critical Zone« sind die Böden(Pedosphäre). Die Pedosphäre ist der Ausgangspunkt des gewaltigen Transportes vonSedimenten durch Flüsse und der Verlagerung chemischer Stoffe in die Ozeane.Böden, einschließlich Flussebenen und angeschlossene Küstenregionen, sind diewichtigsten Lebensräume des Menschen und zugleich die verwundbarsten Regionender Erde. Im Rahmen des globalen Klimawandels nimmt der Mensch direkt oder indi-rekt Einfluss auf die unterliegenden Prozesse und Strukturen der »Critical Zone«, zu-meist in negativer Weise. Derzeit ist nicht absehbar, wie sensibel die »Haut der Erde«auf diesen Einfluss reagieren wird.Zurzeit entwickelt sich mit dem »Critical Zone«-Konzept ein sehr dynamisches For-schungsfeld, das skalenübergreifend Lösungen, Technologien und Produkte für dieHerausforderungen der nächsten Jahrzente bereitstellen wird. Neue moderne Hoch-leistungstechniken zur Identifizierung und Quantifizierung der relevanten Prozessekönnen Erfolg versprechend eingesetzt werden. Ferner lassen sich neue Produkte wieBodenhilfsstoffe mit definierten Eigenschaften herstellen und bei Landnutzungsver-fahren zum Schutz und zur Wiederherstellung von Bodenfunktionen einsetzen. Zuden spezifischen Technologien gehören die hochauflösende Vermessung der Erd-oberfläche mit geodätischen Methoden (high precision, real time), der Einsatz neu-artiger geochemischer Prozessproxies und die Bestimmung der Raten von Erosionund Stoffumsätzen mit kosmogenen Nukliden. Außerdem zählen dazu die Erkundungdes oberflächennahen Untergrunds mit nichtinvasiven geophysikalischen Verfahren,die Kennzeichnung biogeochemischer Prozesse an den reaktiven, heterogenen unddreidimensionalen Grenzflächen der Böden mittels neuer mikrospektroskopischerund mikrotomographischer Methoden auf Nanometer bis Mikrometer-Ebene sowieder Zugriff auf molekularbiologische Methoden, die helfen sollen, die Bedeutungbiologischer Prozesse für die Funktionsfähigkeit der oberflächennahen Böden zuuntersuchen. In der Entwicklung dieser neuartigen Techniken für den Forschungs-betrieb einerseits und ihre Weiterentwicklung zu von Wirtschaft/Gewerbe, Behördenund Ländern der Dritten Welt einsetzbaren Routinemethoden andererseits bestehterhebliches Marktpotenzial.

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Abb. 4-1: Die »CriticalZone« als Schnittstellezwischen Litho-, Hydro-,Atmo- und Biosphäre.

Einführung Als interaktive Schnittstelle zwischen Atmosphäre,Biosphäre, Hydrosphäre, Anthroposphäre und Li-thosphäre ist die Pedosphäre als Haut der Erde(Geoderma) eine existenzielle Grundlage für denLebensraum des Menschen. Die Ansprüche an dieBodenwissenschaften sind daher enorm: So wirddie Erdbevölkerung bis zum Jahre 2050 voraus-sichtlich auf neun Milliarden Menschen anwach-sen. Gleichzeitig soll der Wohlstand der Entwick-lungsländer verbessert werden. Das führt beson-ders in den Bereichen Ernährung, Wasserversor-gung, Rohstoffbereitstellung und Biodiversität zuimmer vielfältigeren Anforderungen an die Res-source Boden; Anforderungen, die durch globaleVeränderungen, wie dem sich aktuell vollziehen-den Klimawandel mit seinen spezifischen regiona-len Auswirkungen, noch verstärkt werden. Sowohldurch die anthropogene Inanspruchnahme der Pe-dosphäre als auch durch natürliche Veränderungenwerden die Böden in ihren Eigenschaften und inihrer Tragekapazität verändert. Global betrachtetnehmen eine Übernutzung und die damit einher-gehende Degradation der Ressource Boden zu.Internationale Experten sind sich einig, dass Bödendie bedeutendste – nicht vermehrbare – Geores-source der Zukunft sind. Die zuvor genannten He -

rausforderungen können nur durch fundiertes Wis-sen über die Pedospäre und ihre Wechselwirkungmit dem System Erde-Mensch bewältigt werden.Der Begriff »Critical Zone« umschreibt die Grenz-schicht der Erdoberfläche von der Oberseite derunverwitterten Gesteine bis zur Oberseite der Ve-getation, in der die meisten terrestrischen, chemi-schen, physikalischen und biologischen Austausch-und Umsatzprozesse stattfinden (Abb. 4-1, 4-2).Die Definition schließt also auch die Vorgänge ein,die durch menschliche Aktivitäten beeinflusst wer-den oder diese beeinflussen. Zentraler Bestandteilder »Critical Zone« sind die Böden (Pedosphäre).Sie sind das Produkt aller Vorgänge in der »CriticalZone«. Als Haut der Erde kontrollieren sie nicht nurdie globalen Stoffkreisläufe, sondern Böden reini-gen auch als Reaktor die Atmosphäre und Hydro-sphäre und stellen die Ernährung der Lebewesenauf der Erde sicher. Vor allem Flusstäler und Fluss-deltas, die die Erosionprodukte der Böden enthal-ten, gehören zu den wichtigsten Lebensräumender Menschen. Gleichzeitig zählen sie zu den ver-wundbarsten Regionen des Planeten.Im Rahmen des globalen Wandels beeinflusst derMensch direkt oder indirekt immer mehr auch dieProzesse der Pedosphäre. Zurzeit ist noch nicht ab-sehbar, wie sensibel diese Haut tatsächlich auf Ver-

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änderungen reagieren wird. Sicherlich aber ist essinnvoll, die Georessource Boden schon heute imRahmen eines nachhaltigen Soil Engineerings zunutzen. Das heißt konkret: Produktions-, Rohstoff-sowie Pufferfunktionen sollten besser und vorallem nachhaltiger genutzt werden. Mit Blick aufdie anthropogenen Treibhausgasemissionen giltdas insbesondere auch für die Transformations-funktion von Böden.

Die globale Bedeutung der Pedosphäre wird deut-lich, wenn man die gewaltigen Stoffkreisläufe be-trachtet, die an der Erdoberfläche stattfinden:– 20×109 Tonnen Sediment werden jedes Jahr aufnatürliche Weise erodiert und in Flüssen trans-portiert.

– 2×109 Tonnen chemischer Elemente werdenjährlich aus Gesteinen herausgewittert und indie Ozeane verfrachtet.

– Die chemische Verwitterung entzieht der Atmo-sphäre jedes Jahr ungefähr 0,1×109 TonnenCO2 und stabilisiert seit Milliarden Jahren denTreibhauseffekt. Damit hält sie die Atmosphä-rentemperatur in einem »wohnlichen« Bereich;umgekehrt ist auch die Entwicklung der Erd-oberfläche ein Resultat der vorherrschenden lo-kalen klimatischen Bedingungen. Verändern sie

sich, beeinflusst das ebenfalls die Entwicklungder Böden.

– Auch auf kurzen (dekadischen) Zeitskalen wir-ken die Prozesse in der »Critical Zone« demglobalen Wandel entgegen. Durch die natürli-che Sequestrierung von Kohlenstoff währendder Photosynthese der Pflanzen wird Kohlen-stoff als stabile organische Substanz im Bodenfestgelegt. So werden der Atmosphäre überPhotosynthese jährlich circa 120×109 TonnenKohlenstoff entzogen. Die gespeicherte Menge(bis zu 3000 Gigatonnen) übertrifft die in dergesamten Biosphäre und Atmosphäre enthalte-nen Mengen CO2. Deshalb führen schon kleineVeränderungen der Kohlenstoffvorräte imBoden zu relevanten Veränderungen des CO2-Partialdruckes der Atmosphäre. Gleich zeitigwerden diese Prozesse aber auch massiv durchklimabedingte Änderungen der Vegetationsowie die Degradation des Bodens beeinflusst.

– Da höhere Pflanzen beträchtliche Mengen anMetallen und Silizium aufnehmen, wird ein gro-ßer Teil dieser Elemente durch die Pflanzenstreudem Stoffkreislauf zugeführt. Die auf dieseWeise umgesetzte Menge entspricht einemVielfachen des jährlichen Flusstransportes die-ser Elemente. Durch diese effiziente Rezyklie-

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Abb. 4-2: Fragestellungen und Zusammenhänge der »CriticalZone«, die die Prozesse der Atmo-sphäre, Biosphäre, Hydrosphäreund Lithosphäre an der Erdober- fläche verbinden.

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rung nutzen Pflanzen Nährstoffe, die sie sonstaus der Geos phäre nur langsam und ungenü-gend beziehen würden. Ebenso nehmen biologi-sche Prozesse eine wichtige Position in den Bo -den-Pflanzen-Interaktionen ein; etwa indem sieaktiv in die Verwitterung eingreifen und so Nähr-stoffe zum Aufbau von Biomasse bereitstellen.

– Seit dem Beginn des Holozäns greift derMensch zunehmend in die natürlichen Prozesseein. Die Menge an Sediment und Boden, diedurch Landnutzung und Siedlungsbau jährlichbewegt wird, beträgt 100×109 Tonnen. Davonentfallen 30×109 Tonnen auf Bautätigkeitenund 70×109 Tonnen auf landwirtschaftlicheNutzflächen. Dieses entspricht einer Verfünffa-chung des globalen Abtrags und ist damit einerder größten menschlichen Eingriffe in terrestri-sche Systeme überhaupt.

Die große wissenschaftliche und sozioökonomi-sche Bedeutung der Kreisläufe für unsere Gesell-schaft hat die Erforschung der Prozesse der Erd-oberfläche und die Lehre davon enorm gestärkt.Dabei verschmelzen die Grenzen zwischen denklassischen geowissenschaftlichen Fächern derGeologie, Geomorphologie, Physischen Geogra-phie, Geochemie, Geophysik und der Bodenkunde.Sie werden zudem durch neue Teilgebiete der Bo-denwissenschaften (z. B. Geopedologie und Hyd -ropedologie) sowie der Mikrobiologie, Botanik,Pflanzenphysiologie, Biogeochemie und der Um-weltchemie ergänzt. Wissenschaftlich geht esdabei um die vertiefte Erforschung von Grundla-genfragen. Dazu zählen die landschafts- und sedi-ment-formenden Prozesse und die struktur- undprozessbasierte Funktionalität der Böden ein-schließlich der Pedogenese mit den wichtigenSchnittstellen Lithosphäre-Pedosphäre beziehungs-weise Pedosphäre-Biosphäre und Pedosphäre-At-mosphäre. Auch die Hydropedologie an derSchnittstelle Hydrosphäre-Lithosphäre (einschließ-lich Bodenphysik/-mechanik/-hydrologie) ist Teil dermodernen Bodenforschung.Die »Critical Zone« bildet ein Kompartiment vonÖkosystemen beziehungsweise von Landschaften.In diesem Zusammenhang ist die Heterogenität derBöden von besonderer Bedeutung. Nur wenn diekleinräumigen Unterschiede und die daraus ableit-baren Muster, die zum Beispiel im Landschaftsmaß-

stab wiederkehren, bekannt sind, lassen sich not-wendige Skalenübergänge realisieren. Die Hetero-genität in den bodenchemischen beziehungsweisebodenphysikalischen Eigenschaften sowie in derZusammensetzung und Funktion der Mikroorganis-men und der Bodenmikrobiologie wirkt sich in derBodendiversität aus. Dies schließt auch den Gas-haushalt von Böden im Sinne der »Critical Zone«mit ein. Es entwickelt sich ein neuer konzeptionel-ler Ansatz von der Biosphäre der Oberfläche überdie tiefere bis zur »Tiefen Biosphäre« (Gashaus-halt der oberen belebten Erdkruste). Ohne dasWissen darüber, wie diese Faktoren miteinanderwechselwirken, ist ein Verständnis der Stoffkreis-läufe oder aber die Quantifizierung von Stoff-haushalten nicht möglich.Eine wichtige Rolle spielen in diesem Zusammen-hang neue methodische und analytische Ansätzewie die Isotopenanalytik, die quantitative Erfas-sung von Landschaftsformen mit Methoden derErdbeobachtung, die Bodenmetagenomik sowieinnovative Modellierungsansätze, Global ChangeObservatorien und der Transfer von Informationenüber Skalen (z. B. von Bodenstruktur/Laborexperi-ment bis zur flächenhaften Kartierung/Modellie-rung). In diesem Kontext entsteht derzeit ein sehrdynamisches Forschungsfeld, das Skalen-übergrei-fend Lösungen und Technologien für die Herausfor-derungen der nächsten Jahrzehnte bereitstellenwird. So ist der Einsatz moderner Hochleistungs-techniken zur Identifizierung und Quantifizierungdieser Prozesse Erfolg versprechend. Auch dasMarktpotenzial neuer Technologien, die zwar fürdie Forschung konzipiert, aber so weiterentwickeltwerden, dass sie schließlich routinemäßig von derPrivatwirtschaft, von Behörden und von Ländern derDritten Welt eingesetzt werden können, ist groß.

FörderstatusErste grundlegende Arbeiten zu diesem Themawurden durch das BMBF mit der öffentlichen Aus-schreibung »Tomographie des nutzbaren Unter-grunds – Von der Durchschallung zum Echtzeitmo-nitoring« im Januar 2009 auf den Weg gebracht.An der Ausschreibung beteiligten sich 47 For-schungsinstitutionen und 32 Unternehmen mit ins-gesamt 38 Skizzen und einem Gesamtvolumen von33 Millionen Euro. Durch ein internationales Exper-tengremium wurden 9 Verbundprojekte zur Förde-

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rung empfohlen. Der Förderbeginn ist für dasFrühjahr 2010 geplant. Im Jahr 2008 wurden auf Empfehlung des Koordi-nierungsausschusses GEOTECHNOLOGIEN insge-samt drei Rundgespräche zur Charakterisierungund Quantifizierung einzelner Stoffkreisläufe (Cund N) und ihrer Reservoire initiiert. Dabei lagendie Schwerpunkte vor allem auf den heutigen Öko-systemen sowie der Entwicklung neuer Technolo-gien zur C- und N-Speicherung und deren Quanti-fizierung. Auf der Basis eines in diesen Rundge-sprächen erarbeiteten Wissenschaftsplans wurdedem BMBF ein Vorschlag zur öffentlichen Bekannt-machung übermittelt.

Stand von Forschung, Entwicklung und AnwendungDer Startpunkt aller bio- und geochemischen Vor-gänge an der Erdoberfläche sind die Prozesse in der»Critical Zone«: unverwittertes Gestein wird zer-setzt, es entsteht das Ausgangsmaterial zur Boden-bildung; Feststoffe und gelöste Frachten sammelnsich für den Flusstransport an; Nährstoffe werdenfür Ökosysteme bereitgestellt. Das »Critical Zone«-Konzept sieht für diese Prozesse (1) ein Dauermoni-toring in Modelleinzugsgebieten sowie (2) eine vir-tuelle Dauerbeobachtung vor, die besonders hervor-zuheben ist. Sie ermittelt in weltweit verteilten Typ-lokalitäten die zeitabhängigen und zeitintegriertenResultate der beobachteten Prozesse mit morpho-metrischen, geochemischen, geophysikalischen undbiogeochemischen Methoden und simuliert die ver-schiedenen Stadien eines Systems. Besonders be-trachtet werden dabei transiente Ökosystemgren-zen und -zustände wie fortschreitende Grenzen vonPermafrost oder Wüsten, aber auch Grundwasser-absenkungen, Wiedervernässungen, junge Ab-trags- und Sedimentationsflächen oder Sukzessi-onsflächen. Dies geschieht auf drei räumlichen Ska-len (Abb. 4-3): a) der des Flusseinzugsgebiets mitseinen sehr heterogenen Bodenlandschaften; b) derdes einzelnen Pedons; und c) der Skala der Nano-meter- bis Mikrometer-Strukturen (Minerale und or-gano-mineralische Assoziationen).

Es stellen sich folgende grundlegende Fragen: 1. Welches sind die Raum- und Zeitskalen, überdie Sedimentflüsse und Lösungsfrachten undderen Antriebskräfte variieren? Welches ist die

Architektur des Bodens und wie ist ihre Wech-selwirkung mit physikalischen und biogeoche-mischen Prozessen auf kleinster Raumskala(was hält den Boden zusammen und bedingtdessen Reaktivität)? Wie können diese Kennt-nisse auf Skalen von Kleineinzugsgebieten bisKontinenten extrapoliert werden?

2. Wie sind die Zusammenhänge zwischen Erosi-onsrate, Relief und Geschwindigkeit der Krus -tendeformation sowie zwischen krustaler Ver-formung, Silikatverwitterung und dem Entzugvon atmosphärischem CO2 in Abhängigkeit vomVersatzbetrag an Störungen und klimatisch-ge-steuerten Prozessen an der Erdoberfläche?

3. Welche Wechselbezüge bestehen zwischenKlima und Erdoberfläche? Wie reagieren insbe-sondere Reliefformen und Böden auf den Kli-mawandel und inwieweit sind pedogene Pro-zesse vom Klima abhängig?

4. Wie lassen sich Wechselwirkungen zwischenLeben und Erdoberfläche charakterisieren undquantifizieren? Dies beinhaltet die Suche nachdem topographischen Fingerabdruck des Le-bens auf der Erdoberfläche sowie die Suchenach den für bestimmte Mikroorganismen undhöhere Pflanzen charakteristischen isotopen-geochemischen Systemen und die Abschätzungdes Einflusses von Biodiversität auf die Entwick-lung der Erdoberfläche.

5. Welcher Art und welchen Ausmaßes sind dieEingriffe des Menschen in das Erdoberflächen-system vom Beginn der Agrargesellschaften bisheute? In die Frage eingeschlossen sind: derEinfluss von systemexternen Vorgängen (z. B.Klima, Landnutzung), die Folge erhöhter Denu-dation auf die Bodendegradation, die Seques -trierung und der Transport von organischemKohlenstoff, die Kontamination des Bodens,gelöste Stoffflüsse und die Nährstoffversorgungder Flüsse und Ozeane. Außerdem werden dieKonsequenzen für eine nachhaltige Land- undForstwirtschaft bei Wind- und Wassererosion,Bodenverdichtung, Bodenkontamination, Bo-denversalzung und Desertifikation betrachtet,die die Puffer-/Transformationsvermögen undNeubildung des Bodens übersteigen.

6. Wie lässt sich das System durch Soil Enginee-ring und hydrologisches Management nachhal-tig nutzen? Dazu zählen die Erwirkung einer

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Abb. 4-3: Die drei Raumskalen, auf denen Erdoberflächenprozesse stattfinden und untersucht werden. (Links) Stark durch Ab-holzung verändertes Flusseinzugsgebiet in Sri Lanka; (Mitte) chemische und physikalische Prozesse in der »Critical Zone«;(Rechts) Rasterelektronenmikroskopische Aufnahme eines verwitternden Feldspates, der sich zu Tonmineralen zersetzt.

nachhaltigen Ressourcennutzung sowie die Re-kultivierung und Renaturierung von übernutz-ten beziehungsweise degradierten Standorten,aber auch die Verbesserungen des Bodenzu-stands und der Bodenfunktionen durch gezielteEingriffe. Ferner sind in diesem Kontext derSchutz vor Bodendegradationen durch den Kli-mawandel zu nennen, zum Beispiel trocken-heitsinduzierte Schäden wie Bodenhydrophobi-zität und Nährstoffverluste.

7. Wie verläuft die Systemgenese vom »Punkt Null« an (Richtung, Intensität) unter definiertenRandbedingungen als Basis großflächiger Wie-derherstellungs- und Rekultivierungsmaßnahmenbei degradierten oder devastierten Standortensowie Landschaften? Dazu zählt auch die Ent-wicklung von Geo- zu Geo-Hydro- und schließ-lich zu Geo-Hydro-Bio-Systemen, die einer In-wertsetzung im Rahmen der Landnutzung oderdem Prozess- und Artenschutz dienen sollen.

Für die »Critical Zone«-Observatorien haben sich inder aktuellen prozessgeomorphologischen For-schung vier Systeme herausgestellt, die als kritischfür die Steuerung der Stoffkreisläufe anzusehensind. Von diesen können die ersten beiden imSinne eines stationären Gleichgewichtes interpre-tiert werden, während das dritte und vierte ex-treme Ungleichgewichtssysteme beschreiben:1. Verwitterung ist reaktionslimitiert – physikali-sche Erosion ist zu schnell für vollständige Mine-ralverwitterung, aber Pflanzen werden kontinu-

ierlich mit frischen mineralischen Nährstoffenversorgt (tektonisch aktive Gebirge).

2. Verwitterung ist verfügbarkeitslimitiert – physi-kalische Abtragungsprozesse sind zu langsam,die chemische Verwitterungszone liegt unter-halb der Erreichbarkeit für Pflanzen, wodurchdiese mit mineralischen Nährstoffen unterver-sorgt sind (tropische Kratone).

3. Verwitterung, Neubildung und biotische Besie d -lung beginnt am »Punkt Null«. Die initiale Trans-formation von unverändertem Locker-/Festge-steinsmaterial findet durch Erstexposition statt.Auf natürliche Weise geschieht dies z. B. durchden Rückzug eines Gletschers, Sedimentablage-rungen oder die Eruption vulkanischer Laven;anthropogen z. B. durch bergbauliche Aktivitä-ten wie der Kippen-/Haldenrenaturierung.

4. Erosion und Verwitterung werden durch Land-nutzung beschleunigt. Ist die Landnutzung nichtan den Standort angepasst, verändert sich auchdie Verwitterungsintensität. Beides zusammenbeschleunigt die wind- und wassergetrageneErosion in der »Critical Zone« stark. Wie hochsind in der Folge die Stoffflüsse durch anthropo-gen beschleunigten Bodenabtrag und welcheAuswirkung hat dies auf den C-, N- und Was-serkreislauf?

Die Erforschung dieser Zusammenhänge profitiertvon neuartigen Untersuchungsmethoden, diediese Prozesse in einen physikalisch und chemischfundierten Zusammenhang stellen. Zudem können

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die Prozesse in komplexen numerischen Modellenin vier Dimensionen simuliert werden. Es bestehtbeispielsweise aktuell keine Kenntnis darüber, obdie Böden in Deutschland eine C-Quelle oder eineC-Senke sind, wobei in der Klimamodellierung –jedenfalls was den Kohlenstoffhaushalt anbelangt– diese Defizite nicht wirklich adressiert, sondernin einem Black Box-Ansatz als mehr oder wenigerbekannt angenommen werden.

Notwendige FuE-Aufgaben Im Mittelpunkt der notwendigen FuE-Aufgaben ste-hen (1) die vier genannten Systemzustände der»Critical Zone« und ihr Einfluss in der Gegenwartund in der geologischen Vergangenheit, (2) dieStoffkreisläufe, die Produktion, Transportwege undAblagerungen von Sedimenten sowie (3) ein nach-haltiges Management im Sinne von »Geo- und SoilEngineering« und (4) die Verteilung anthropogener»High-tech-Elemente« an der terrestrischen Erd-oberfläche. Diese Kernthemen sollen mit den fol-genden Entwicklungsvorhaben erforscht werden:

(i) TerratracesTerratraces befasst sich mit den geochemischenSpuren, die Stoffkreisläufe an der terrestrischen Erd-oberfläche hinterlassen. Das Vorhaben soll denEinfluss natürlicher Prozesse und menschlicherAktivitäten auf Kreisläufe wichtiger Elemente wieKohlenstoff (C), Eisen (Fe), Aluminium (Al), Sili-zium (Si), Alkali- und Erdalkalimetalle sowie Stick-stoff (N) und Schwefel (S) in der »Critical Zone«in unterschiedlichen Maßstabsebenen bilanzieren.Deutschland verfügt auf dem Gebiet der Geoche-mie der Elemente und deren Isotope über eineeinzigartige wissenschaftliche Expertise und ana-lytische Infrastruktur. Auch im Bereich des globa-len C-Haushaltes bestehen mit den genanntenMethoden einzigartige Möglichkeiten zur Quanti-fizierung des anthropogenen Einflusses auf Stoff-flüsse in der »Critical Zone«. Terratraces soll Expertise auf alle Prozesse anwen-den, inklusive denen des Boden-, Grund-, Fluss-,und Niederschlagswassers und der Sedimentati-onssysteme, die sich daraus entwickeln. Dazu ge-hören auch Spurenstoffe, die durch anthropogeneEmissionen in die Geosphäre gelangen; außerdemsolche Prozesse, die zur Bildung supergener Me-tallrohstoffe führen sowie die Stoffkreisläufe, die

durch die Vegetation induziert werden. Terratracesenthält starkes Anwendungspotenzial auf demGebiet der Georessourcen, der Umwelttechnik,der Ernährungswissenschaften, der Verteilungkünstlicher Radionuklide in der Umwelt sowie inder Verbesserung des Bodenmanagements (etwaim Hinblick auf den erosionsbeeinflussten und/oder trockenheitsveränderten C-Haushalt der Pe-dosphäre); außerdem in der Verwendung von Zu-schlagsstoffen (sog. Bodenhilfsstoffe) sowie derEntwicklung neuer analytischer Techniken undMethoden zur Einbringung dieser Bodenhilfsstoffein Böden durch Unternehmen aus den BereichenBodenbearbeitung, Bodensanierung und Sonder-kulturen.

(ii) Kosmogene Nuklide: Zeitachse von Erdoberflä-chenprozessenDie Vermessung von Raten und Altern sind unerläss-lich, um Stoffumsätze in Erdoberflächenprozessenzu quantifizieren. Die Messung kosmogener Nuk -lide in Materialien der Erdoberfläche bietet hierfürexzellente Werkzeuge. Kosmogene Nuklide sindsehr seltene Isotope, die durch Kernreaktionen kos-mischer Strahlen mit Atomen in der Atmosphäreoder an der Erdoberfläche entstehen. Mit der Instal-lation des DFG-geförderten Beschleunigermassen-spektrometers an der Universität zu Köln verfügtDeutschland ab 2010 über eine herausragende For-schungsmöglichkeit auf diesem Gebiet. Die dortmöglichen Methoden umfassen die kosmogenenNuklide Beryllium-10 (in-situ und meteorisch), Koh-lenstoff-14, Aluminium-26, Chlor-36, sowie außer-dem das Falloutnuklid Iod-129 und die Aktiniden.

Nun gilt es, neue Anwendungen zu entwickeln, diesich diese Möglichkeit zunutze machen. Vorgeschla-gen wird ein Programm, das die Messung großerMengen an Daten (Größenordnung: 1000 Datenpro Projekt) und die dazugehörige Probenpräpara-tion unter anderem an Eisbohrkernen, Sedimentker-nen, rezentem Flusssediment, Bodenproben undGrundwasser gewährleistet. Technologietransferfindet hier auf dem Gebiet der AMS-Technologieund der analytischen Peripherieentwicklung statt.Bei Letzterem besteht starker Nachholbedarf.Zudem stellen die gewonnenen Erosionsraten undExpositionsalter wichtige Zeitmarken auf dem Ge-biet der Georisikoabschätzung (Erdbeben- und Erd-

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Abb. 4-4: Beispiel für die Entwick-lung des Reliefs entlang der aktivenVerschiebung der San Andreas-Stö-rung. Das digitale Höhenmodellwurde mit LIDAR aufgenommen.

rutschwiederholraten) dar, der Hochwasserfor-schung, der Sedimentbeckenentwicklung und derBildung von Lockergesteinen und Böden, derknappsten Georessource in Deutschland.

(iii) Nichtdestruktive Erkundung des oberflächen-nahen Untergrunds mittels geophysikalischerTechnologien– Identifikation und Lokalisierung von internenStrukturen (Permafrost, wasserstauende Hori-zonte, Gleitflächen bei Rutschungen etc.) durchkombinierte Anwendung von relevanten Ver-fahren (Elektromagnetische Induktion, Elektri-sche Widerstands-Tomographie, Bodenradar,Seismische Reflektion und Refraktion, Magneto-tellurik, Mikrogravimetrie)

– Identifizierung und Quantifizierung von Sackun-gen, Setzungen, Rutschungen und Verdichtun-gen im oberflächennahen Untergrund. Kopp-lung mit Analysen zur Detektion und Frühwar-nung von Naturgefahren, zum Beispiel Hangrut-schungen und anderer Massenbewegungen

– Quantifizierung von Sedimentkörpern (2D/3D),Kopplung mit geomorphologischen Prozessenund hochauflösenden Daten (DGM, TLS) sowiemit Relief- beziehungsweise Sedimenthaushalts-modellen

– Monitoring mittels permanenter Messeinrichtun-g en (z. B. Widerstandstomographie) zur Überwa-chung von Parametern bei Hang-, Felsstabilitätetc. (Feuchte, Leitfähigkeit, Eis-/Wassergehalt).

(iv) Morphometrie und KrustenbewegungenVorgeschlagen wird ein Programm für Befliegun-gen weltweiter Forschungsgebiete mit LIDAR(Light Detection and Ranging). Das Ziel ist diehoch aufgelöste 3D-Topographie. Beispiel istNCALM (US National Center for Airborne LaserMapping) (Abb. 4-4).

(v) Management anthropogener biogeochemischerStoffkreisläufe und hydrologischer SystemeKohlenstoff steht im Mittelpunkt der Diskussionum die Anpassung an den Klimawandel. Besondersin seiner oxidierten Form als CO2 und seiner redu-zierten Form als CH4 verstärkt Kohlenstoff denStrahlungsantrieb und trägt so zur globalen Erwär-mung bei. Neben klassischen Verbrennungsprozes-sen sind es insbesondere biologische Prozesse derAtmung und Gärung/Faulung, die diese Gase er-zeugen. Biologische Prozesse werden aber vorallem durch das Vorhandensein von Wasser undStickstoff kontrolliert. Diese Erkenntnis wird bisherin der fächerübergreifenden Erforschung der Stoff-

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kreisläufe nur wenig berücksichtigt. Im Bereich derWirkung anthropogen beschleunigter Erosion aufden globalen C-Haushalt herrscht selbst über dieRichtung dieses Prozesses keine Einigkeit. Der Auf-bau von nutzungsspezifischen Bodenmanage-mentsystemen für Agro- und Agro-Forst-Systemesowie Rekultivierungs- und Renaturierungsaufga-ben, die alle drei Stoffströme mit den Funktionenund Serviceleistungen dieser Systeme (Grundwas-serreinigung, Nahrungsmittelproduktion, Kohlen-stoffspeicherung, Nähr stoffbereitstellung) in Ein-klang bringen, erscheint besonders zukunftsträch-tig. Darüber hinaus sollen Optionen zur Modifika-tion von Böden einschließlich der ungesättigtenZone zur Erhöhung der C-Speicherung und derdamit im Zusammenhang stehenden Bodenfunk-tionen (z. B. Wasser- und Nährstoffspeicherung,nachhaltige Ertragsfähigkeit) erarbeitet werden(Soil Engineering mittels Bodenhilfsstoffen).

(vi) Kohlenstoffspeicherung und standorttypischeHumusgehalte in Böden und der tieferen unge-sättigten ZoneDer Humusgehalt von Böden bestimmt wesentlichProzesse und Struktureigenschaften, die die natür-lichen Bodenfunktionen und damit die Nutzungs-eigenschaften aufrechterhalten. Gleichzeitig be-stimmen die natürlichen Standorteigenschaftenund die Nutzung durch den Menschen Humusge-halt und Humusqualität eines Bodens. Zum Schutzdes Bodens, aber auch im Rahmen der aktuellenKlimadebatte, sind die Humuswirtschaft und dieKohlenstoffvorräte der Böden von wissenschaftli-chem, gesellschaftlichem und wirtschaftlichem In-teresse. Die grundsätzliche Bedeutung der organi-schen Substanz für natürliche Bodenfunktionen istwissenschaftlich gut belegt, und relevante Zusam-menhänge sind qualitativ erforscht. Eine umfassende Beurteilung des Status quo derHumusgehalte und der Humusversorgung vonBöden in Deutschland und eine verlässliche Ablei-tung von Potenzialen zur Kohlenstoff-Sequestrie-rung kann auf der Basis der vorhandenen Datenderzeit nicht getroffen werden. Besonders füragrarisch genutzte Böden ist es notwendig, denHumusgehalt und weitere Parameter, die den Hu-mushaushalt adäquat charakterisieren, flächenbe-zogen zu erfassen. Die Entwicklung eines bundes-weiten Boden-C-Monitorings ist eine zentrale und

mit Nachdruck von verschiedenen Expertengre-mien geforderte Maßnahme.

(vii) Systemgenese und -entwicklung vom PunktNull unter Bedingungen des stationären Gleichge-wichtes und bei induzierter Störung als Basis groß-flächiger Wiederherstellungs- und Rekultivierungs-maßnahmenNeue Forschungsansätze untersuchen, welcheStrukturen und Prozesse und welche Wechselwir-kungen zwischen den Strukturen und Prozessendie Entwicklung in einem Ökosystem beziehungs-weise Landschaftsausschnitt während der Initial-phase steuern und wie sich Art und Intensität die-ser Entwicklung von der Art und Intensität reifererPhasen unterscheiden. Gegenstand ist die Erfor-schung der »Critical Zone« in den vier oben ge-nannten Systemzuständen:1. Verwitterung ist reaktionslimitiert 2. Verwitterung ist verfügbarkeitslimitiert3. Verwitterung, Neubildung und biotische Be-siedlung beginnt am »Punkt Null«

4. Erosion und Verwitterung werden durch Land-nutzung beschleunigt.

Die zentrale Hypothese lautet: Die Initialphaseprägt die weitere Entwicklung, ihre Kenntnis ver-bessert damit die Prognostik des späteren Zustan-des von Ökosystemen. Dazu werden Studien unterdefinierten Randbedingungen auf der Ebene vonLandschaftsausschnitten (Global Change Observa-torien, künstliche Wassereinzugsgebiete) konzi-piert. Erkannte Prozessabläufe und Strukturverän-derungen sowie ihre Wechselwirkungen werdenexperimentell verifiziert. Ziel der Untersuchungenist es, initiale Entwicklungsprozesse, die unter denvorherrschenden Standortfaktoren von vorhande-nen und sich ausbildenden Strukturen beeinflusstund gesteuert werden, zu analysieren und ihre De-pendenzen zu erklären. In der Phase des stationä-ren Gleichgewichtes wird erkundet, inwiefern sichdie initiale Systementwicklung durchpaust undwelches die Steuerfaktoren sind (z. B. Krustenbe-wegungen, Klimawandel). Es sollen schließlich in-tegrale Modellvorstellungen zur ökosystemarenStrukturentwicklung und Prozessdynamik und derzugrunde liegenden chemischen und geomorpho-logischen Prozesse weiterentwickelt werden. DieseInteraktionen werden während der Initialphase

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und der späteren Gleichgewichtsphase sowie nachspäteren Störungen der Ökosystemgenese auf derBasis hydrologisch klar abgrenzbarer Wasserein-zugsgebiete analysiert und bilden die Basis für Mo-dell-Validierungen. Damit besteht die Möglichkeit,die relevanten Prozesse wie Stoff- und Wasserhaus-halt zu quantifizieren. Vor der Annahme, dass dieInitialphase die weitere Entwicklung prägt, wird sodie prognostische Ökosystemmodellierung auchreiferer Systeme deutlich verbessert; denn bislanghaben sich Ökosystemprognosemodelle auf nichtwirklich quantifizierbare Systeme bezogen. Diesehatten zudem bereits eine in der Regel nicht hinrei-chend bekannte Entwicklung durchlaufen. Mithilfedes hier vorgestellten Ansatzes können zukünftigverbesserte Aussagen, beispielsweise zur Entwick-lung des Kohlenstoffhaushaltes terrestrischer Öko-systeme, realisiert werden. Besonders wichtig istauch das grundsätzliche Verständnis darüber, wiePflanzen je nach Bodenbeschaffenheit mit Nähr-stoffen versorgt werden. Wie zum Beispiel unter-scheidet sich die Nährstoffversorgung von Pflanzenauf den verfügbarkeitslimitierten Böden der Tropenvon der von Pflanzen auf reaktionslimitierten Bö -den, wie sie in aktiven Gebirgsregionen zu findensind? Gerade für den hier erforderlichen Vergleichder Prozessraten der verschiedenen Systeme erlau-ben die neuen Technologien einen enormen wis-senschaftlichen Fortschritt. Eine stark verbessertePrognosefähigkeit wird damit verbunden sein.

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Der Untergrund enthält die wichtigen Georessourcen Energie, Wasser und Infra-struktur. Die Geowissenschaften bieten Konzepte für eine verantwortliche Nutzungdes Untergrundes: (1) Für eine versorgungssichere und umweltverträgliche Energiebereitstellungkönnen geothermische Ressourcen, Kohlenwasserstoffreserven und geologischeSpeichermöglichkeiten einen entscheidenden Beitrag leisten.

(2) Für die Umstellung auf neue Energieträger können neue Gewinnungstechnologienentwickelt und

(3) neue Erzsysteme erschlossen werden, um den Bedarf an Hochtechnologiemetallenauch in Zukunft decken zu können.

(4) Für Infrastrukturentwicklungen der Zukunft, die vielerorts nur im Untergrund auf-gebaut werden können, müssen neue Erkundungsmethoden und technologischeStrategien entwickelt werden.

Damit in diesen Bereichen Deutschland auch in Zukunft eine internationale Führungs-rolle spielt – von der Exploration über die Erschließung, bis hin zur Überwachung –sind zielgerichtete Anstrengungen in multidisziplinären Pilot- und Demo-Projektennotwendig. In diesen Projekten muss es gelingen, die Ergebnisse der Grundlagenfor-schung über FuE-Aktivitäten bis hin zu Vorserienprodukten zu entwickeln.Die deutsche Ingenieurkunst und deutsche Unternehmen bestimmen in vielen Berei-chen den Stand des Wissens und der Entwicklung. Die hier vorgeschlagenen Pro-jekte, die in enger Zusammenarbeit zwischen Universitäten, Forschungsinstitutensowie kleineren und größeren Unternehmen geplant sind, sollen helfen, diesen Vor-sprung zu erhalten.Georessourcen sind endlich; nur wenn wir heute beginnen, diese verantwortungsbe-wusst zu nutzen, können wir nachkommenden Generationen eine lebenswerte Um-welt hinterlassen. Es liegt in unserer Verantwortung, die Georessourcen künftig in-telligenter zu nutzen, zu sichern und zu schützen.

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Abb. 5-1: (Links) Weltweite Ölproduktion (Verbrauch) und neu entdeckte Vorkommen. Seit den 90er Jahren wird mehr Öl ver-braucht, als neue Vorkommen entdeckt werden. (Rechts) Projektion des zukünftigen Energiebedarfs

EinführungDie Erde beherbergt heute mehr als 6,75 MilliardenMenschen. Sie alle leben auf und von der Geores-source Untergrund. Um die Grundbedürfnisse derMenschen nach Nahrung, Kleidung und Wohn-raum zu befriedigen, werden Rohstoffe und Ener-gie in einem bisher nie dagewesenen Umfang be-nötigt und eingesetzt. Bei einem Nettobevölke-rungswachstum von über 75 Millionen Menschenpro Jahr und einer immer stärkeren Bevölkerungs-kon zentration in Städten ist die verantwortlicheBewirtschaftung des Untergrunds eine große Her-ausforderung. Wohnten um 1800 etwa 2 Prozentder Erdbevölkerung in Städten, so waren es 195030 Prozent und im Jahr 2000 bereits 47 Prozent. ImJahr 2008 lebten erstmals mehr Menschen in Städ-ten als außerhalb. Stimmt die Vorhersage von UN-Habitat, so werden 2030 ca. 60 Prozent der Men-schen Stadtbewohner sein.Die wachsende Bevölkerungskonzentration insbe-sondere in großen Städten erfordert den Aufbauvon Infrastrukturen zur Versorgung der Bevölke-rung mit Wasser, Energie und Gütern. Diese Infra-strukturen müssen soweit als möglich in den Unter-grund verlagert werden, um eine sichere Versor-gung zu gewährleisten.

Vor dem Hintergrund einer stetig wachsendenWeltbevölkerung formulierte der Nobelpreisträgerfür Chemie 1996, Richard E. Smalley, die größtenHerausforderungen für das 21. Jahrhundert. Dievier größten davon hängen direkt an begrenztenGeoressourcen:– Energie (heute überwiegend durch fossileBrennstoffe gedeckt)

– Wasser (neue Herausforderungen durch prog -nostizierte Klimaänderung)

– Nahrung (heute sehr energieintensiv durchKunstdünger, Bewirtschaftung, Transport)

– Umwelt (Klimavariationen, anthropogene Ein-flüsse auf Klima und Umwelt).

Verstärkt wird der Bedarf an Georessourcen nochdurch eine auf Energie- und Rohstoffverbrauch ba-sierte wirtschaftliche Entwicklung, vor allem in denIndustrie- und Schwellenländern. So erwartet dieInternationale Energie Agentur (IEA) eine Verdoppe-lung des Energiebedarfs in den kommenden zweibis drei Jahrzehnten (Abb. 5-1) – und damit einher-gehend eine Verdoppelung der CO2-Emmissionen.

Die Energieversorgung Deutschlands und auch derWelt insgesamt beruht im Wesentlichen auf einem»Mix« aus fossilen Energieträgern (Erdöl, Erdgasund Kohle), erneuerbaren Energien und Kernener-gie (Abb. 5-1 Rechts). Die fossilen Energieträgerstellen mit über 80 Prozent den weitaus größtenAnteil an der Gesamtenergieversorgung. Trotz allerAnstrengungen, die Abhängigkeit von fossilenEner gieträgern aus Gründen des Klimaschutzesund anderen Aspekten der Nachhaltigkeit zu redu-zieren, werden Erdöl, Erdgas und Kohle weltweitnoch viele Jahre die Hauptlast der Energieversor-gung tragen.Seit den 90er Jahren des vergangenen Jahrhun-derts wird weltweit mehr Öl verbraucht, als neueVorkommen entdeckt werden (Abb. 5-1 Links).Auch wenn in der Summe zumindest für die kom-menden Jahrzehnte genügend kohlenstoffbasierteBrennstoffe vorhanden sein werden (unter Einbe-ziehung auch der unkonventionellen fossilen

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Brennstoffe wie Ölsande, unkonventionelles Gasetc.), sind erhebliche Engpässe und Preissteigerun-gen absehbar, ausgelöst durch einen zunehmen-den Verbrauch. Nur durch die Nutzung sogenann-ter unkonventioneller fossiler Energieträger wirddie Situation in Bezug auf die mittelfristige Energie-versorgung entschärft werden können; allerdingsbestehen hier noch vielfältige geotechnische Pro-bleme. Diese erfordern die Entwicklung intelligen-ter Explorations- und Produktionstechnologien.Potenzielle Auswirkungen der Verbrennung fossi-ler Brennstoffe, insbesondere von Kohle, umfassenDesertifikation, Veränderung des Wasserhaushal-tes der Erde, Meeresspiegelanstieg oder Rückgangdes Gletschereises. Neben direkten CO2-Redukti-onstechnologien (z. B. Carbon Capture and Sto-rage, CCS), bei denen CO2 geologisch gespeichertwird, sind kurz-, mittel- und langfristig erheblicheFuE-Anstrengungen notwendig, um den Umstiegin eine CO2-arme Energieproduktion zu schaffen.Ein Beispiel ist die Nutzung geothermischer Ener-gie. Um den Lebensraum des Menschen für zu-künftige Generationen verantwortungsvoll zu ge-stalten, werden zu den Reduktions- auch geeig-nete Adaptionstechnologien benötigt.Die meisten Technologien, die zu einer Reduktionvon CO2-Emissionen angedacht werden, benötigenwertvolle Rohstoffe. Dabei ist oft unbekannt, dassdie heute bekannten Rohstoffreserven den Bedarfder nächsten Jahrzehnte nicht decken können,wenn die in verschiedenen Klimaszenarien vor ge-schlagenen CO2-Reduktionstechnologien tat säch-lich eingesetzt werden sollten. Um den wachsendenBedarf an Rohstoffen stillen zu können, sollen unteranderem neue Erztypen, oxidische Platinerze sowieManganknollen und -krusten genutzt werden.

Neben der Förderung von Erzen, fossilen Brenn-stoffen oder Steinen und Erden wird die Geores-source Untergrund in zunehmendem Maße für dieSpeicherung und Deponierung von Stoffen oderals geothermische Energieressource genutzt. Umeine verantwortliche Nutzung des begrenzten Un-tergrunds zu erzielen, müssen FuE-Anstrengungenunternommen werden, mit denen der Untergrundmöglichst synergetisch genutzt werden kann. Dasheißt, es müssen Technologien entwickelt werden,die statt einer konkurrierenden Nutzung des Un-tergrunds eine gemeinsame – intelligente – Nut-

zung dieser wertvollen Ressource ermöglichen.Jeder Eingriff in die Georessource Untergrund be-deutet ein Risiko. Um die Risiken zu minimieren,die Effizienz bei der Nutzung zu steigern und dieBewirtschaftung des Untergrunds auch für zu-künftige Generationen zu ermöglichen, benötigenwir neue Grundlagenerkenntnisse zu den komplexrückgekoppelten Prozessen. Innovative Geotechno-logien müssen entwickelt und erfolgreich in Pilot-,Demo- und Großexperimenten eingesetzt werden.Eine verantwortliche Nutzung der GeoressourceUntergrund erfordert eine multidisziplinäre Heran-gehensweise, bei der nicht in einzelnen Komparti-menten gedacht, sondern der Untergrund als Gan-zes betrachtet wird. Dazu muss die gesamte Pro-zesskette von der Exploration über die Erschließungbis hin zur Überwachung abgedeckt werden. Insbesondere der oberflächennahe Bereich unseresPlaneten (Meter bis mehrere Kilometer) ist für dasAlltagsleben der Menschen von großer Bedeu-tung. Hier finden sich die lebenswichtigen Wasser-und Rohstoffvorkommen, wichtige Speicherräumeund umweltfreundliche Energieressourcen. Auchals Baugrund für Industrie- und unterirdische Ver-kehrsanlagen ist der oberste Teil der Erdkruste wich- tig. Die Erkundungstechnologien sind für diesenökonomisch wie ökologisch sensiblen Bereich je-doch erst unzureichend entwickelt. Besonderer Be-darf besteht an Technologien und Methoden, dieauf unterschiedlichen räumlichen und zeitlichenSkalen eine hochauflösende Abbildung von Struk-turen und Prozessen im Untergrund ermöglichen.Neben Neu- und Weiterentwicklungen im Bereichder mathematischen Geophysik und der Feldmes-sung gilt es insbesondere Ansätze zu entwickeln,die eine gezielte und einsatzspezifische Verknüp-fung bestehender Verfahren erlauben. Zu nennensind hier beispielsweise die Reflexionsseismik, Geo-magnetik oder Elektromagnetik. Mithilfe dieserVerfahren lassen sich neue Anwendungsbereicheerschließen – etwa zur Materialprüfung oder zurErkundung unterirdischer Räume als potenzielleSpeicher des Treibhausgases Kohlendioxid (CO2).

FörderstatusAuf Empfehlung des KoordinierungsausschussesGEOTECHNOLOGIEN haben BMBF und DFG ihreFörderaktivitäten in diesem Zukunftsthema bisherauf drei Schwerpunkte fokussiert:

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(1) Entwicklung innovativer Vorauserkundungs-technologien im UntertagebauZwischen 2005 und 2009 förderte das BMBF vierVerbundprojekte mit insgesamt vier Millionen Euro.In den Projekten wurden unter anderem neue seis-mische Vorauserkundungssysteme entwickelt, diesich direkt in Tunnelbohrmaschinen einbauen las-sen. Sie eignen sich besonders für den Einsatz inGroßstädten. Hier ist aufgrund der dichten Bebau-ung eine verlässliche geophysikalische Erkundungdes Untergrunds vor Beginn der Baumaßnahmenicht oder nur eingeschränkt möglich. Damit öff-net sich ein breites Feld von Anwendungen für eineTechnologie, die in Deutschland entwickelt undnun zur Serienreife gebracht wird.

(2) Geologische Speicherung von CO2Das BMBF hat im Rahmen des FuE-ProgrammsGEOTECHNOLOGIEN die Federführung für For-schungs- und Entwicklungsarbeiten zur geologi-schen Speicherung von CO2 in Deutschland über-nommen. Für grundlagenorientierte und standort-spezifische Projekte stehen bis 2011 circa 45 Millio-nen Euro zur Verfügung. Bereits seit Mitte 2005werden 20 interdisziplinäre Forschungsverbündegefördert, in denen Unternehmen mit Universitä-ten und anderen Wissenschaftsinstitutionen zu-sammenarbeiten. Die Arbeiten sind in erster Liniegrundlagenorientiert und auf Laborversuche bezie-hungsweise Modellrechnungen beschränkt. DieVorhaben sind die ersten bundesweit koordiniertenAktivitäten zur unterirdischen Speicherung vonCO2 und tragen maßgeblich dazu bei, das Know-how in Deutschland zu dieser Thematik zu festi-gen. Alle Forschungsprojekte werden in enger Ko-operation mit internationalen Forschungsaktivitä-ten durchgeführt. Komplementär zu den FuE-Ar-beiten des BMBF unterstützt das Bundesministe-rium für Wirtschaft und Technologie (BMWi) indem Forschungsprogramm COORETEC die Ent-wicklung neuer und verbesserter Technologien zurCO2-Abscheidung und Effizienzsteigerung zukünf-tiger Kraftwerke.

(3) Sedimentbecken – Die größte Ressource derMenschheitObwohl Sedimentbecken zum Teil viele TausendQuadratkilometer große Senkungsstrukturen ander Erdoberfläche sind, nehmen sie nur einen rela-

tiv kleinen Teil der Gesamtoberfläche der Erde ein.Als Schnittstelle zwischen Atmosphäre, Hydro-sphäre und Biosphäre enthalten Sedimentbeckenden größten Teil der für die Menschheit wichtigenRohstoff- und Energieressourcen, so beispielsweisedie fossilen Energieträger Erdöl und Erdgas. Aberauch die Erdwärme, ein Großteil der natürlichenBaustoffe und das lebensnotwendige Trinkwasserwerden aus Sedimentbecken gewonnen. Zudemstellen diese Bereiche der Erdkruste wichtige Wirt-schaftsräume dar, zum Beispiel als Standorte fürDeponien oder Speicherkavernen. Eine nachhaltigeNutzung der Sedimentbecken durch den Men-schen setzt ein umfassendes Verständnis der hierablaufenden Prozesse voraus.

Zwischen 2002 und 2008 förderte die DFG dasSchwerpunktprogramm »Dynamik sedimentärerSysteme unter wechselnden Spannungsregimenam Beispiel des zentraleuropäischen Beckensys -tems« mit knapp 6,5 Millionen Euro. In 19 For-schungsprojekten waren Vertreter aus 13 Universi-täten und außeruniversitären Einrichtungen betei-ligt. Die Arbeiten wurden in enger Kooperation mitin- und ausländischen Energieunternehmen durch-geführt und trugen maßgeblich zur Etablierungdes Studienganges »Angewandte Geowissen-schaften« an der German University of Technology(GuTech), einer an die RWTH Aachen angegliedertePrivatuniversität in Muscat, Oman, bei.

Stand von Forschung, Entwicklung und Anwendung(i) GeothermieBereits heute wird geothermische Energie in Sedi-menten (z. B. in Molassebecken) und in Festgestei-nen (u. a. auf Island) erfolgreich kommerziell ge-nutzt (Abb. 5-2). Durch die Weiterentwicklung spe-zifischer geophysikalischer Reservoircharakterisie-rungen, Bohrtechnologien und durch ein erweiter-tes Bewirtschaftungsmanagement der Reservoirewird es möglich, auch solche Standorte geother-misch zu nutzen, die bisher als nicht geeignet ein-gestuft wurden. Für den großtechnischen Einsatzvon Geothermie, der bis ins Jahr 2050 zu einer Re-duktion des Netto-Treibhausgasausstoßes von circaeiner Gigatonne CO2 pro Jahr beitragen soll, rei-chen die heute vorhandenen Technologien aller-dings nicht aus.

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(ii) Geologische CO2-SpeicherungDie großtechnische geologische Speicherung vonCO2 erfordert eine Bewirtschaftung des Unter-grunds in bisher nicht erreichter Dimension. Dasgilt ganz besonders in Gebieten mit hoher Bevöl-kerungsdichte. Dabei müssen die Exploration un-terirdischer Speicher, die Speicherung des CO2 undseine Überwachung langfristig sichergestellt wer-den. In Ketzin existiert eine weltweit einzigartigeForschungsinfrastruktur, die es erlaubt, die gesamteProzesskette von der Exploration bis zur Überwa-chung abzubilden und neue Verfahren zu testen.

(iii) Unkonventionelle Kohlenwasserstoff-RessourcenIn Anbetracht der hohen Bedeutung fossiler Ener-gieträger für unsere Gesellschaft ist es erstaunlich,dass mit den verfügbaren Fördermethoden im welt-weiten Durchschnitt derzeit nur etwa ein Drittel desErdöls gefördert werden kann, das in den Lagerstät-ten vorhanden ist. Der größte Teil des Öls verbleibt,technisch oder wirtschaftlich nicht nutzbar, in derLagerstätte. An die Stelle der klassischen Erdöl- und Erdgasvor-kommen treten in Zukunft zunehmend unkonven-tionelle Kohlenwasserstoff-Vorkommen wie Öl-

schiefer, Teersande, niedrigpermeable Erdgas-Mut-tergesteine, Gashydrate, niedrigpermeable Gas-führende Sandsteine, extrem tief liegende Gasvor-kommen (unterhalb 4 km Teufe) und in Kohleflözenadsorbiertes Methan.Die Förderung unkonventioneller Kohlenwasser-stoff-Vorkommen ist zum Teil mit erheblichen Um-weltbeeinträchtigungen verbunden (z. B. Teersan -de). Anderereits bieten etwa unkonventionelle Gas-Reservoire die Möglichkeit, den saubersten fossilenEnergieträger, das Erdgas, länger nutzen zu können,als es die Produktion der klassischen Erdgasfelderzulässt. In Europa ist bisher wenig über das Poten-zial dieser Lagerstätten bekannt. Die effiziente Auf-suchung und Gewinnung unkonventioneller Koh-lenwasserstoffe erfordert neuartige geologisch-geo-technische und mikrobiologische Methoden undStrategien. Insbesondere die Förderung solcher Vor-kommen in dicht besiedelten Gebieten Zentraleuro-pas stellt eine technische Herausforderung dar.

(iv) HochtechnologiemetalleMetalle für Zukunftstechnologien und prospektiveZukunftstechnologien (z. B. Solarenergie, Elektroan-trieb, Brennstoffzellen) benötigen eine Reihe selte-ner Metalle. Dabei überschreiten die erforderlichen

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Abb. 5-2: (Links) Geothermie in mehr als 3000 m Tiefe, Hot-Dry-Rock-Verfahren.(Rechts) Speicherung von Wärme und Kälte als Teil einer gesamtheitlichen Energieversorgung des Reichstages.

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Abb. 5-3: Bedarf an metallischen Rohstoffen für Zu-kunftstechnologien 2006 im Vergleich zu 2030 inBezug auf die heutige globale Produktionsmenge.

Men g en für die strategisch wichtigen Hochtech-nologiemetalle Gallium (Ga), Neodym (Nd), In-dium (In), Scan dium (Sc), Germanium (Ge), Platin(Pt) und Tantal (Ta) erheblich die heutige Jahres-produktion (Abb. 5-3).

(v) Nutzung des Untergrunds in urbanen RäumenJeder Eingriff in den Untergrund ist ein Eingriff inein komplex rückgekoppeltes System. Um Bauvor-haben und ihre Auswirkung auf die Umgebung zubewerten, existiert eine Vielzahl empirischer undprozessbasierter Methoden. So können beim Bauenauch bestehende benachbarte Gebäude erheblichgefährdet werden (Abb. 5-4, Links). Gut bekanntsind die Beschreibung der Interaktion zwischen Bau-werk und Boden, die Nutzung der bekannten Stoff-gesetze, der Einsatz von Beobachtungs- und Vorher-sagemodellen sowie der Einsatz geophysikalischerMethoden und geostatistischer Analyseverfahrenzur Vermeidung beziehungsweise Minimierung vonVerformungen im Untergrund.Zukünftig wird es darum gehen, quantitative Stoff-gesetze (z. B. veränderliche feste Gesteine, Wir-kung von Fluiden) mit noch besser belastbaren Pa-rametern zu finden. Sie müssen auch für komplexeBauvorhaben oder technische Eingriffe zuverlässigeVoraussagen ermöglichen. Wichtig ist das vorallem in dem bisher kaum erkundeten Teufenbe-reich unterhalb von drei Kilometern. Dazu ist esnotwendig, die geophysikalischen Methoden und(geo-)statistischen Analyseverfahren beträchtlichzu verbessern. Entwickelt werden müssen aberauch innovative Bautechniken und geeignete Ver-fahren, um Material im Labor unter den gegebe-nen Druck-Temperatur-Verhältnissen und anderenStress-Bedingungen zu untersuchen.

(vi) Kritische PhänomeneNatürliche und anthropogen getriggerte kritischePhänomene wie Felsstürze, Erdfälle oder Schlamm-vulkane und Dammbrüche oder Hanginstabilitätenführen jährlich zu Milliardenschäden (Abb. 5-4,Rechts). Der Einfluss des Klimas auf kritische Zu-stände (z. B. Felsstürze aufgrund von Veränderun-gen in Permafrostböden im Hochgebirge) sowieein Prozessverständnis der Mechanismen, die denkritischen Phänomenen zugrunde liegen (z. B. ver-änderliche feste Gesteine, Auslaugungs- und Pha-senübergangsprozesse etc.), gehören zu den aktu-ellen Herausforderungen moderner GEOTECHNO-LOGIEN-Forschung.

(vii) SensornetzwerkeDie zunehmende Nutzung des Untergrunds erfor-dert eine neue, automatisierte und strukturinte-grierte Sensorik. In ersten Projekten ist es gelun-gen, mit Verfahren der künstlichen Intelligenz (KI)(neuronale Netze) automatisierte Warntechnolo-gien zu entwickeln. Gesteigerte Computerleistungund neue methodische Ansätze zur KI erlaubenheute die Entwicklung neuer Monitoring- und Aus-wertetechnologien. Sie führen nicht nur zu einerintegrierten Auswertung (Joint Inversion) unter-schiedlicher Beobachtungen (Seismik, Geoelektrik,Gravimetrie etc.), sondern ermöglichen auch dieAuswertung der Beobachtungen in Echtzeit.

Notwendige FuE-Aufgaben Für die verantwortliche Nutzung des Untergrundsergibt sich eine Reihe von Fragestellungen mit gro-ßem Innovationspotenzial. Um die gesamte Kettevon der Grundlagenforschung bis hin zur Anwen-dung abbilden zu können, werden Projektthemen

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vorgeschlagen, an denen zielgerichtet und effektivdrängende Fragen bearbeitet werden können.Dieser Ansatz erfordert eine enge multidisziplinäreKooperation, die die geowissenschaftliche For-schungslandschaft über die Grenzen der einzelnenEinrichtungen hinaus zusammenführt.

(i) Reservoir-Charakterisierung: Von konkurrieren-der zu synergetischer Nutzung des Untergrunds In Europa werden in den nächsten Jahren voraus-sichtlich einige Milliarden Euro aus der öffentlichenHand in große geologische CO2-Speicherprojektefließen. Dabei ist noch nicht geklärt, wie und wosich Geothermie und CO2-Speicherung wechsel-seitig positiv oder negativ beeinflussen. Eine wis-senschaftliche Begleitung dieser Demonstrations-projekte würde es erlauben, an realen Beispieleneine synergetische Nutzung zu testen (Abb. 5-5).

Diese Vorhaben reichen von der geowissenschaftli-chen Exploration (mit geologischen, geophysikali-schen, geochemischen, petrologischen und welt-raumbasierten Methoden) über die Reservoir-Cha-rakterisierung und Erschließung (Bohrtechnologie,Reservoir-Engineering, Geomechanik, Reservoir-Mo-dellierung) bis hin zur kurz-, mittel- und langfristi-gen Überwachung mit geochemischen, geophysi-kalischen und biologischen Methoden. Dabei müs-sen die geochemischen, physikalischen und biologi-schen Prozessparameter, die auf den Untergrundeinwirken, quantitativ verstanden sein. Neue Risk-Assessment Methoden sollen eingesetzt werden,um Best-Practice-Richtlinien zu entwickeln, anzu-wenden und zu validieren.

Großer Forschungsbedarf besteht auch hinsichtlichder Verteilung von Porösitäten und Permeabilitä-ten im Bereich von KW-Vorkommen, insbesondereunkonventioneller Erdgaslagerstätten. Bei sehrniedriger Durchlässigkeit sind zur wirtschaftlichenNutzung fast immer Stimulierungsverfahren not-wendig. Wie erfolgreich diese sind, hängt jedochvon einer möglichst genauen Kenntnis der Porosi-täts- und Permeabilitätsverteilung, der Gassätti-gung und der Kluft- und Störungsverteilung ab.Daher ist eine detaillierte Analyse der Reservoir-Ei-genschaften Voraussetzung für eine erfolgreicheExploration. Neue Forschungsansätze müssen des-halb die verschiedenen geowissenschaftlichen Da-tensätze entsprechend eines optimierten Reser-voir-Managements zusammenführen.Zwei große Real-Scale Experimente werden vorge-schlagen:– Geothermische Nachnutzung im Vorfeld einerCO2-Enhanced Oil/Gas Recovery

– Kombiniertes Geothermie/CCS-Projekt zur Op-timierung der Reservoir-Kapazität bei gleichzei-tiger Erhöhung der Speichersicherheit.

(ii) Unkonventionelle Energieträger: Von der Reser-voir-Analyse zum Reservoir-ManagementDie Durchlässigkeiten unkonventioneller Gasvor-kommen, zum Beispiel in niedrigpermeablenSandsteinen, in Tonsteinen oder in Kohleflözen,liegen weit unter denen konventioneller Lagerstät-ten. Um diese Reservoire nutzen zu können, müs-sen deshalb neue Methoden entwickelt werden,mit denen das Gas mobilisiert werden kann. Diemikrobiologischen und geochemischen Fragen zur

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5Bild 5-4: (Links) Eingestürztes Archiv der Stadt Köln aufgrund eines hydraulischen Grundbruchs in einer Tunnelbaustelle.

(Rechts) Felssturz im Topanga Canyon, Kalifornien, USA.

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Gasbildung bei hohen Temperaturen sowie die Er-höhung der Ausbeutung der Lagerstätten bildendie zentralen Herausforderungen.

In Deutschland existieren vermutlich erheblicheVorkommen der oben genannten unkonventio-nellen Energieträger. Ihre verantwortliche Nut-zung verlangt disziplinenübergreifende FuE-Vor-haben. So müssen nach geologischer, geophysi-kalischer und geochemischer Exploration unterUmständen dreidimensionale Modelle der Unter-grundstrukturen erarbeitet und deren geologisch-zeitliche Entwicklung rekonstruiert und modelliertwerden. Nur so können die Kohlenwasserstoffsys -teme quantifiziert und ihre Bildungs-, Migrations-,Akkumulations- und Alterationsprozesse quanti-tativ verstanden werden.Die Suche nach fossilen Energieträgern und ihre Ge-winnung erfordern umfangreiche praxisnahe For-schungen. Bei zukünftig weiter steigendem Energie-bedarf werden Erdöl, Erdgas und Kohle auch in denkommenden Jahrzehnten die wesentliche Energie-quelle sein und die Energieversorgung sichern.

(iii) Hochtechnologiemetalle (HTM)Die jungen Technologien (z. B. weiße LEDs, CIGS-

Solarzellen, schnelle und energiearme Mikrochips,Hochleistungspermanentmagnete, Li-Ionen-Akkusoder Brennstoffzellen) werden in den nächstenJahren enorm wachsen. Dabei wird die Verfügbar-keit seltener Metalle wie Gallium, Scandium, In-dium oder Germanium eine große Rolle spielen.Die Versorgung der Industrie mit diesen Metallenwird dadurch erschwert, dass sie meist in Erzen mitanderen Elementen vergesellschaftet sind. Darüberhinaus sind bei einigen dieser Hochtechnologieme-talle einzelne Länder oder Bergbauunternehmenweltweit Marktführer; es ist also eine starke Produ-zentenkonzentration zu verzeichnen. Ziel ist es, die Rohstoffbereitstellung zu verbessernund die Produktion bei gleichzeitiger Erhöhung derRessourceneffizienz auszuweiten. So kann es gelin-gen, die Versorgung der Industrie mit den knappenHochtechnologiemetallen sicherzustellen. Um das Ziel zu erreichen, muss die gesamte Pro-duktions- und Wertschöpfungskette minerali-scher Rohstoffe von der Lagerstätte über die Auf-bereitung und Metallurgie bis zum Recycling un-tersucht werden. Mit anderen Worten: Es müssen»Life Cycle«-Strategien für seltene Metalle mitstrategischer Bedeutung für Zukunftstechnolo-gien entwickelt werden.

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Abb. 5-5: Synergetische Nutzung des Untergrunds am Beispiel von CO2-Speicherung und geothermischer Nutzung.

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(iv) Kritische Prozesse: Von der Materialeigenschaftzur RisikominimierungUm kritische Phänomene über Stoffgesetze undprobabilistische Ansätze beschreiben zu können,müssen die Mechanismen und Prozesse, die denMaterialeigenschaften zugrunde liegen, quantita-tiv bekannt sein und über geeignete Modellie-rungsstrategien miteinander verbunden werden.Die Eigenschaften haben eine meist unbekannteSkalenabhängigkeit, die aber ist wichtig, um dasRisiko von Bauwerken zu verringern. Strategiensollen entwickelt werden, um die Sicherheit geo-technischer Vorhaben zu erhöhen. Dabei sollenneue Materialien (z. B. auf der Basis von Nanopar-tikeln) entwickelt, getestet und eingesetzt werden.Nötig sind in diesem Zusammenhang Laborstu-dien, Feldexperimente und geeignete Technolo-gien, um die Annäherung an kritische Zustände er-kennen und rechtzeitig entsprechende Maßnah-men ergreifen zu können. Darüber hinaus mussuntersucht werden, wie genau prediktive Model-lierungsstrategien sind.

(v) Explorations- und Überwachungstechnologien:Vom Sensornetzwerk zur EchtzeitinformationZur Erhöhung der Sicherheit von Bauwerken (Infra-struktur unter- und übertage, Dämme, Gebäudeetc.) sowie zur Überwachung von geologischenSpeichern und Deponien werden innovative Kon-zepte benötigt, die eine automatisierte und per-manente Überwachung sowie Echtzeit-Alarmie-rung ermöglichen. Dazu müssen unterschiedlicheBeobachtungstechnologien intelligent verknüpftund ausgewertet werden (Sensorfusion, Netz-werkfusion, Joint Inversion).Eine sinnvolle Überwachung setzt bereits im Vor-feld geeignete Explorationstechnologien (in derGeophysik, Geologie, Geochemie und Biologie)voraus. Sie sind Basis für die Entwicklung ange-passter Überwachungskonzepte. Neben neuengeotechnologischen Entwicklungen – von neuarti-gen Sensoren bis hin zu innovativen Experimentenund Auswerte-Algorithmen – sollen dabei Sensor-netzwerke und Auswertelogiken implementiertwerden, die unter anderem auf Auswerte-Algo-rithmen oder neuronalen Netzen basieren. So sollden komplexen Datensätzen eine geeignete Aus-wertelogik gegenübergestellt werden.

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Die Dynamik der Erde wird entscheidend durch die Eigenschaften der Minerale undGesteine an ihrer Oberfläche und in ihrem Innern geprägt. Die Untersuchung vonMaterialeigenschaften hat daher in den modernen Geowissenschaften eine ähnlicheBedeutung wie die Molekularbiologie für die Erforschung des Lebens. Erst ein voll-ständiges Verständnis der Ursachen und Mechanismen geologischer Prozesse vonder atomaren bis zur planetaren Skala erlaubt quantitative Vorhersagen im Systemder Erde. Praktische Bedeutung haben Geomaterialien nicht nur als Rohstoffe undBaumaterialien. Die an ihnen erforschten Strukturprinzipien werden auch in meso-skopisch strukturierten Keramiken oder bei mikroskopischen Funktionsmaterialien(z. B. schnelle elektronische Speicher) angewendet. Selbst in speziellen Extremmate-rialien, die zum Beispiel eine extreme Härte und Elastizität aufweisen, werden diePrinzipien genutzt. Zahlreiche dieser besonderen Eigenschaften resultieren aus derKombination von Textur (Cluster, Korngrenzen, innere und äußere Oberflächen) undatomarer Struktur (Unordnung/Ordnung und Defektkonzentration) der Geomate-rialien. So definiert der lokale Aufbau und die Symmetrie des Materials physikalischeund chemische Eigenschaften wie elektronische, magnetische oder optische Qualitä-ten. Durch zusätzliche Textureffekte kann das makroskopische Materialverhalten dar-über hinaus drastisch verändert werden. Geomaterialien können so exakt auf indus -trielle Anwendungen (z. B. niedrigdimensionale Leiter, schnelle ferroelektrische Da-tenspeicher, biomimetische Keramiken) zugeschnitten werden. Ähnliche Effekte spie-len auch eine große Rolle bei der Magnetisierung natürlicher Gesteine, die letztlichAuskunft gibt über die Bewegung von Platten in der geologischen Vergangenheitund über die Entwicklung des Erdmagnetfeldes.

Methoden und Verfahren, die entwickelt wurden, um die Vorgänge im Erdinnerenbesser zu verstehen, werden heute auch zur Synthese neuer Industriematerialien ge-nutzt. Die Hochdruckforschung und ihre Methoden ermöglichen aber auch die Syn-these von Materialien mit neuen Eigenschaften. Beispiel dafür sind neuartige Halblei-ter, aber auch ultraharte Materialien wie Industriediamanten, die heute größtenteilssynthetisch hergestellt werden.

Der aktuelle Forschungsbedarf konzentriert sich auf folgende Anwendungsbereichevon Geomaterialien:(1) Reaktionen an äußeren und inneren Grenzflächen (z. B. Immobilisierung toxischerElemente/Verbindungen und metamikter, radioaktiv bestrahlter Phasen) sowie Bio-mineralisation (z. B. biomimetische Funktionsmaterialien, Zahn-Knochenimplantate).(2) Fortentwicklung der Hochdrucktechnik und deren Anwendungen für die Erfor-schung des Erdinnern einerseits und die Synthese neuer Materialien (z. B. Verfor-mungshärtung, Ultrahartphasen) andererseits.

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Abb. 6-1: Teilweise verwittertesglaziales Sediment mit Ausfällungvon fächerförmigen Manganoxiden.Neben der Elementmobilisierungdurch die Umwandlung von primä-ren Mineralen kommt es auch zurRetention von Metallen im Poren-raum und damit zur Verfestigung. Rückstreuelektronenbild (Links) und farbcodiertes Elementvertei-lungsbild (Rechts). Rot=Silizium,Grün=Mangan, Blau=Eisen.

Einführung Der geochemische Stoffaustausch zwischen derLitho-, Hydro- und Atmosphäre erfolgt zumeistüber Reaktionen zwischen wässrigen Lösungenund Mineralen und an Mineraloberflächen und in-neren Grenzflächen. Die chemische Verwitterungbeeinflusst oberflächennah wichtige Elementzyk -len (Kohlenstoff, Sauerstoff, Schwefel, Eisen) aufglobaler Ebene. Sie kontrolliert beispielsweise diechemische Zusammensetzung von Gewässern undFlüssen oder reichert die Böden mit Nährstoffenan. Auch die Mobilität von Schadstoffen wirddurch Verwitterungsreaktionen gesteuert. Häufigwerden die Vorgänge durch Mikroorganismen zu-sätzlich katalysiert. Verwitterung ist der wichtigstegeologische Prozess, der über lange Zeiträume derAtmosphäre CO2 entzieht und damit das Klima aufder Erde reguliert.

Prozesse an Mineraloberflächen erfolgen auf ato-marer und molekularer Längenskala. ElementareReaktionen wie Auflösung und das Wachstumsowie Mineralumwandlungen, Adsorption und Io-nenaustausch sind für eine Vielzahl von geologi-schen Prozessen wichtig. Auch bei technischenVer fahren macht man sich Verwitterungsreaktio-nen zunutze: zum Beispiel bei der Fixierung vonSchadstoffen (auch radioaktive Elemente) an Mine-raloberflächen (Abb. 6-1) (insbesondere für die

Verfügbarkeit von Trinkwasser), bei Korrosionspro-zessen oder bei der Aktivierung und Funktionalisie-rung von Industriemineralen (z. B. Schichtsilikate).Auch bei der industriellen Sequestrierung von CO2ist die Untersuchung von Mineralreaktionen vonbesonderem Interesse. Denn nur, wenn die lokalenWechselwirkungen verstanden sind, kann dasSpeichervermögen und die Sicherheit möglichergeotechnischer Ansätze beurteilt werden.

FörderstatusSeit April 2008 werden dreizehn Verbundprojektezum Thema »Mineraloberflächen: Von atomarenProzessen zur Geotechnik« mit einem Gesamtför-dervolumen von knapp acht Millionen Euro durchdas BMBF gefördert. In den 9 Verbundprojektensind 23 Forschungseinrichtungen und Klinikensowie 20 Unternehmen beteiligt. Ziel der For-schungsarbeiten ist es, Mineraloberflächen und in-nere Grenzflächen in ihrer vollen Komplexität vomNanometer- bis zum Millimetermaßstab zu verste-hen, quantitativ zu bewerten und im Hinblick aufneue Prozesse und Produkte durch chemische,physikalische und biologische Funktionalisierunggezielt zu verändern. Tonminerale mit ihren spezifi-schen Ladungsverteilungen sind dabei von beson-derem Interesse. Auch biotechnologische Verede-lungsverfahren und die Entwicklung bioaktiver Mi-neraloberflächen werden untersucht. Die neuen

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Technologien könnten eines Tages in der Umwelt-oder Medizintechnik zur Anwendung kommen.

Stand von Forschung, Entwicklung und AnwendungUm Vorgänge im Erdinneren zu untersuchen, wer-den in Hochdruckexperimenten die Druck- undTemperaturbedingungen soweit wie möglich nach-gestellt. Extrem hohe Drücke, die den Bedingungenim Kern der Erde entsprechen, lassen sich etwa mitDiamantstempelzellen erreichen. Dabei wird dieProbe zwischen den Spitzen zweier Diamantenkomprimiert. Der Nachteil dieser Methode ist: Eslassen sich nur extrem kleine Proben von 0,01 bismaximal 0,1 Millimeter untersuchen. Derartig kleineProben aber reichen weder aus, um alle nötigenphysikalischen Eigenschaften, die für das Verständ-nis des Erdinnern essenziell sind, zu messen, nochkönnen aus ihnen in den Stempelzellen neue Ma-terialien entstehen. Will man die Verhältnisse imErdkern simulieren, müssten zudem Temperaturenbis über 5000 Grad Celsius erreicht werden. DieseTemperaturen lassen sich zwar durch spezielle Laser-Heizungen in Diamantstempelzellen prinzipiell errei-chen, jedoch bilden sich dabei aufgrund der hohenTemperaturgradienten stets chemische Heterogeni-täten aus, sodass chemisch komplexe Systeme wieMinerale und Gesteine des Erdinnern mit dieserTechnik nicht untersucht werden können.

Mithilfe von Mehrstempel-Pressen können einigeder oben geschilderten Probleme umgangen wer-den. In diesen Apparaturen wird die Probe vonmehreren Seiten aus von sechs bis acht Stempelnkomprimiert. Damit lassen sich größere Probenvo-lumina bis zu etwa einem Kubikmillimeter realisie-ren. Temperaturgradienten können soweit redu-ziert werden, dass auch chemisch komplexe Sys -teme untersucht werden können. Mit konventio-nellen Multi-Anvil-Pressen lassen sich jedoch ma-ximal Drücke von 26 Gigapascal erreichen, die ge-rade dem Druck im obersten Teil des unteren Erd-mantels entsprechen. Der überwiegende Teil desErdinneren ist experimentell nicht zugänglich.Grundsätzlich können mit diesen Apparaturenauch Deformationsexperimente ausgeführt wer-den, mit de nen sich die Verformung von Mineralenund Gesteinen bei der Mantelkonvektion untersu-

chen lässt. Solche Experimente sind enorm wichtigfür das Verständnis der Dynamik unseres Planeten,da die Konvektion des Erdmantels letztlich die Be-wegung der Platten an der Erdoberfläche antreibtund damit Phänomene wie Gebirgsbildung, Vul-kaneruptionen und Erdbeben verursacht. Mit dergegenwärtig verfügbaren Technik sind jedoch De-formationsexperimente nur bis zu einem Druckvon maximal etwa acht Gigapascal möglich, so-dass weder die Rheologie der Übergangszonenoch die des unteren Mantels überhaupt unter-sucht werden kann.

In-situ Untersuchungen, bei denen die Proben di-rekt bei hohem Druck und hoher Temperatur un-tersucht werden können, haben in den letztenJahren in den Geowissenschaften und in den Ma-terialwissenschaften erheblich an Bedeutung ge-wonnen. Die meisten dieser Methoden verwen-den Röntgenstrahlen, sowohl für Strukturuntersu-chungen mithilfe von Beugungsmethoden alsauch für die radiographische Beobachtung derProbe und spektroskopische Untersuchungen. Dasich leichte Atome mit Röntgen-Methoden nichtoder nur sehr schwer lokalisieren lassen, ist dieNeutronenbeugung eine sinnvolle Alternative.Gerade bei der Untersuchung von Materialien mitleichten Atomen hat sie große Vorteile gegenüberder Röntgenbeugung. Bisher wird sie allerdings indiesem Zusammenhang kaum genutzt. Eine we-sentliche technische Voraussetzung für die erfolg-reiche Anwendung von Neutronenbeugung unterDruck ist die Entwicklung von Hochdruckappara-turen, mit denen sich größere Probenvoluminarealisieren lassen.

Notwendige FuE-Aufgaben(i) Mineraloberflächen- und GrenzflächenprozesseUm physikalisch-chemische Prozesse an Mineral-oberflächen zu verstehen und damit technologischgezielt einsetzen zu können, muss ihre Strukturund Zusammensetzung bekannt sein. Die Weiter-und Neuentwicklung präziser chemisch-physikali-scher Messverfahren ist notwendig, um quantita-tive Strukturuntersuchungen an Mineraloberflä-chen durchzuführen. Eine neue Generation vonexperimentellen Untersuchungstechnologien er-laubt es erstmalig, Reaktionsprozesse nahezu in

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Echtzeit mit Ortsauflösungen im Submikrometer-bereich zu erfassen. Weiterer FuE-Bedarf bestehtbei der gezielten Manipulation von Mineraloberflä-chen. Aufbereitungs- und Veredlungsverfahren las-sen sich beispielsweise gezielt an verschiedenefunktionelle Mineraloberflächen anpassen.

Die Migration von Schadstoffen und ihre Fixierungan Mineraloberflächen spielt in der natürlichenTrink- und Brauchwasserbereitung mithilfe minera-lischer Rohstoffe eine große Rolle. Aus dem detail-lierten Verständnis der physikalisch-chemischenProzesse und der Eigenschaften von Mineralober-flächen lässt sich das Adsorptionsverhalten der Mi-nerale erklären. Neben den anorganisch-geoche-mischen Vorgängen sind Fragen zu den Wechsel-wirkungen von organischer Materie mit Mineral-oberflächen zu beantworten. Besonderer For-schungsbedarf besteht hinsichtlich der Rolle vonMikro- und Makroorganismen. Sie modifizierendurch die Aufnahme gelöster Substanzen sowiedie Freisetzung von Stoffwechselprodukten zumBeispiel das chemische Nano- und Mikro-Milieuentscheidend und induzieren auf diese Weise dieFällung, Lösung und Umwandlung von Mineralen.

Aufbauend auf einem verbesserten Verständnis derchemisch-physikalischen Prozesse sollen Mineral-oberflächen gezielt verändert werden. Die Art derOberflächenmodifizierung erfolgt auf chemischemund physikalischem Wege und/oder durch die Ein-wirkung von Mikroorganismen. Wichtiger FuE-Bedarf besteht – hinsichtlich der rheologischen Wirkmechanis-men zwischen Mineralgemengen und Additivenin wässrigen Systemen,

– auf dem Gebiet der chemischen Funktionalisie-rung, insbesondere bezüglich der Stabilität einerwässrigen Dispersion, sobald sich die Mineral-gemenge in der mineralogischen Zusammenset-zung und ihren physikalischen und chemischenOberflächeneigenschaften ändern,

– bei Ionenaustauschprozessen und Ionendepots,– bei der Aktivierung der technologisch beson-ders breit einsetzbaren Bentonite bei chemi-scher Konditionierung und Funktionalisierungvon Mineraloberflächen (z. B. Kontrolle der La-dung von Schichtsilikaten oder der mechani-schen Stabilität von Mineralaggregaten und

Haftverbünde zwischen Reaktionspartnern). Diemechanische Funktionalisierung von Mineral-oberflächen lässt sich über die Mikronisierungmineralischer Rohstoffe und über deren thermi-sche Behandlung herbeiführen.

– in der Frage, wie sich bei Mineralumwandlungs-und Neubildungsprozessen, bei der Hydrother-malbehandlung von Rohstoffen zur gezieltenEinstellung produktionsrelevanter Eigenschaftenund bei der washcoat-Entwicklung zur Verbes-serung der mechanischen Haltbarkeit unter ex-tremen Reaktionsbedingungen der thermischeEinfluss auf die Oberflächenstruktur auswirkt,

– in der Entwicklung von Technologien und Me-thoden zum Aufbau von Metallionendepots inTonen und Bentoniten sowie in der heterogenenKatalyse an der Oberfläche von Aschenparti-keln. Breite Anwendung finden diese Prozessebeispielsweise in der Papierindustrie durch dieModifikation der Kaolinoberflächen im Mikro-und Nanobereich. Andere Anwendungsgebietebestehen in der Keramik-, Gießerei- und Kataly-satortechnologie.

(ii) BiomineralisationBesondere geowissenschaftliche Beachtung erfährtgegenwärtig das Gebiet der Biomineralisation. DieProzesse an Oberflächen und Grenzflächen vonBiomineralen sind unter verschiedenen geowissen-schaftlichen Aspekten wichtig. So wird zum Bei-spiel befürchtet, dass mit steigender CO2-Konzen-tration in der Atmosphäre die Ozeane übersäuern,sodass Kalzit und insbesondere Aragonit bildendeOrganismen (z. B. Korallen, Mollusken) kein Kalk -skelett mehr bilden können (Abb. 6-2). Neben der-artigen Umwelteffekten wurden bisher auch die lo-kalen strukturellen Phänomene der Biomineralisa-tion, das heißt die Details darüber, wie solche orga-nisch-anorganischen Verbundmaterialien gebildetwerden, nur ungenügend studiert. Entsprechendwurden auch die damit korrelierenden industriellenEinsatzmöglichkeiten nur wenig ausgeschöpft.Derzeit werden Methoden entwickelt, wie sich dienatürliche Mikrostruktur, Textur und Oberflächen-reaktivität von Biomineralen für technologischeAnwendungen, wie Implantate oder Zahnkerami-ken, optimal nutzen lässt. Dazu ist jedoch ein bes-seres Verständnis der oberflächenchemischen Inter-aktion der anorganischen mit der organischen

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Komponente nötig. Forschungsbedarf besteht au-ßerdem bei Grenzflächenprozessen, die zur Unter-stützung und Steuerung der natürlichen Mineral-bildung und Mineralauflösung im Körper dienen.

(iii) Erweiterung des Druckbereiches von Mehr-stempelapparaturen Durch den Einsatz von Stempeln aus gesintertemDiamant könnte der Druckbereich von Mehrstem-pel-Apparaturen wahrscheinlich von 26 Gigapas-cal auf nahezu 100 Gigapascal erweitert werden.Damit wären praktisch die gesamten Druck- undTemperaturbedingungen des Erdmantels experi-mentell zugänglich. Japanische Arbeitsgruppen ar-beiten seit mehreren Jahren an der Lösung diesesProblems. Sie haben bereits einige beeindruckendeErfolge erzielt und konnten in einzelnen Experi-menten Drücke bis über 90 Gigapascal bei relativgeringen Temperaturen erreichen. Die Vorversucheder japanischen Kollegen zeigten jedoch auch ei-nige grundsätzliche Probleme mit dieser Technik,die gelöst werden müssen:

– Die Stempel aus gesintertem Diamant sind ex-trem anfällig gegen Scherbeanspruchung, diebei geringen Abweichungen von der idealenOrientierung der Stempel auftritt. Da sich dasdruckübertragende System bei hoher Belastungstets verformt, müssen hydraulische Pressenkonstruiert werden, mit denen Veränderungen

in der relativen Orientierung der Stempel unterhohem Druck ausgeglichen werden können.Bisher führen Experimente noch regelmäßigzum Bruch der extrem teuren Stempel aus ge -sintertem Diamant.

– Wegen der sehr hohen thermischen Leitfähigkeitvon Diamant ist es schwierig, mit Stempeln ausgesintertem Diamant gleichzeitig die hohen Tem-peraturen (bis über 2000 °C) zu erreichen, die imtiefen Erdinneren herrschen. Deshalb müssenneue Materialien entwickelt werden, die Probevon den Stempeln thermisch abzuschirmen.Möglicherweise ist es sinnvoll, die neuen Mate-rialien mit neuen Methoden zur Heizung derProbe (z. B. durch Induktion) zu kombinieren.

– Mit den hier skizzierten technischen Neuent-wicklungen könnte einerseits der Aufbau desunteren Mantels der Erde direkt im Labor unter-sucht werden. Andererseits könnten die Hoch-druckphasen zahlreicher Oxide, Nitride und an-derer Substanzen erstmals in größerer Mengesynthetisiert werden. Dadurch ergäben sich völ-lig neue Möglichkeiten in der Synthese von ul-traharten Materialien, Halbleitern und ferro-elektrischen Materialien (Abb. 6-3). Nicht zu-letzt wegen dieser möglichen technischen An-wendungen wird diese Technologie derzeit inJapan mit sehr großem Aufwand vorangetrie-

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Abb. 6-2: Schnitt durch die Mollus ken-schale Patella crenata. 1) kalzitische Kreuzlamellen, 2) aragonitisches Myostracum, 3) aragonitisches Hypostracum, die innere Kreuzlamellenstruktur. Organisches Material befindet sich primär in den Grenzflächen zwischenden kalzitischen und aragonitischenZonen, Lamellen.

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Abb. 6-3: Ultraharte Materialien. Die Oberflächeeines natürlichen Diamanten ist zerkratzt vonsynthetischen Nano-Diamanten. Die Kratzspuren(rote Pfeile) zeigen, dass diese Nano-Diamantenhärter sind als ein gewöhnlicher Diamant.

ben. Vergleichbare Forschungsanstrengungengibt es weder in Europa noch in den USA.

(iv) Entwicklung neuer Apparaturen für Deformati-onsexperimente unter hohem DruckUm zu untersuchen, wie sich Minerale unter hohemDruck verformen, müssen neue Apparaturen ent-wickelt werden, mit denen sich ein Druckbereich bismindestens 26 Gigapascal realisieren lässt undgleichzeitig die Probe unter Druck kontrolliert ver-formt werden kann. Ein Beispiel wäre eine neue Ge-neration von Mehrstempelpressen mit mehreren,völlig unabhängig voneinander bewegbaren hyd -raulischen Stempeln. Herkömmliche Pressen besit-zen dagegen nur einen Stempel, dessen Kraft danndurch ein System von Führungsblöcken so umgelei-tet wird, dass ein allseitiger Druck auf die Probe er-zeugt wird. Gleichzeitig sollten diese Pressen sokonstruiert sein, dass die direkte Beobachtung vonStress und Strain mithilfe von Röntgenbeugung und-radiographie möglich ist.

Mit einer derartigen Apparatur wäre es erstmalsmöglich, die mechanische Festigkeit und das Fließ-verhalten der Minerale in der Übergangszone undim unteren Erdmantel direkt im Labor zu untersu-chen. Diese Daten sind unverzichtbar für die Ent-wicklung geodynamischer Modelle, die die Evolu-tion des gesamten Planeten Erde korrekt wiederge-ben sollen. In der Materialforschung könnte einesolche Apparatur darüber hinaus genutzt werden,um Mechanismen der Verformungshärtung unterhohem Druck zu untersuchen.

(v) Entwicklung von Apparaturen für Neutronen-beugung unter hohem DruckFür Neutronenbeugungs-Experimente werden typi-scherweise verhältnismäßig große Probenmengenbenötigt. Selbst mit modernen, sehr intensivenNeutronenquellen sind immer noch Probenvolu-mina von mehr als 10 Kubikmillimetern notwen-dig. Aus diesem Grund wird die Neutronenbeu-gung derzeit relativ selten für Untersuchungenunter hohem Druck angewendet. Die meistenHochdruckexperimente mit Neutronen wurden bis-

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her in der Paris-Edinburg-Zelle ausgeführt. DieMöglichkeiten, mit dieser Zelle gleichzeitig hoheTemperaturen und hohe Drücke über längere Zeitaufrecht zu erhalten, sind jedoch sehr begrenzt.Hier ist eine technische Weiterentwicklung vonMehrstempelpressen notwendig (Abb. 6-4). Grö-ßere Probenvolumina könnten realisiert werden,wenn – wie oben für die Deformationsapparaturskizziert – der Druck von mehreren unabhängigenhydraulischen Stempeln gleichzeitig erzeugt wird.Darüber hinaus müsste die Presse so modifiziertwerden, dass der gebeugte Neutronenstrahl übereinen weiten Winkelbereich zugänglich wird. DieMaterialien von Dichtungen, druckübertragendemMedium und Heizkörper wären so zu modifizieren,dass die Absorption für Neutronen minimiert wird.

Eine Apparatur für Neutronenbeugung bei bis zu26 Gigapascal und 3000 Grad Celsius wäre welt-weit einmalig. Sie würde beispielsweise auch diedirekte Untersuchung von wasserhaltigen Silikat-schmelzen und von wasser- und CO2-reichen Flui-den erlauben. Geowissenschaftliche Anwendun-gen der Neutronenbeugung unter hohem Druckwerden gegenwärtig an der neuen »SpallationNeutron Source« der USA intensiv vorangetrieben.Die dort verwendete Technologie ist jedoch fürHochdruckexperimente bei gleichzeitig hohenTemperaturen nicht geeignet. Deutschland könnteauf dem Gebiet der geowissenschaftlichen An-wendung von Neutronenbeugung mit der Ent-wicklung der oben skizzierten Technologie eine in-ternationale Führungsrolle einnehmen.

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Abb. 6-4: Eine Mehrstempel (Multi-Anvil) -Presse mit einer Presskraft von 1000 Tonnen (Linkes Bild). Mit dieser Presse kann manBedingungen im obersten Teil des unteren Erdmantels simulieren. Rechts sind sieben der acht Würfel aus Wolframkarbid gezeigt,die den Druck auf die Probe übertragen. Die Probenkapsel (Rechtes Bild, ganz vorne) ist nur wenige Millimeter groß. Weiterhinsind Teile des elektrischen Heizkörpers um die Probe sowie ein Thermoelement zur Messung der Temperatur zu sehen. Durch Er-satz der Wolframkarbid-Würfel durch Würfel aus gesintertem Diamant könnte der Druckbereich dieser Apparaturen soweit erhöhtwerden, dass praktisch der gesamte Erdmantel für Experimente zugänglich wäre. Hierfür wäre jedoch gleichzeitig eine kompletteNeukonstruktion der hydraulischen Presse notwendig.

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Die in den vergangenen Jahren exponentiell wachsenden Zahlen von Schäden, diedurch Naturkatastrophen entstehen, spiegeln eine sich ändernde Risikolandschaftwider, die von den Faktoren Klimawandel und wachsende Bevölkerungszahl geformtwird. Die Folgen sind– neue Gefahren (häufiger Hagel, Hangrutschungen durch schwindenden Perma-frost und Extremniederschläge, neue Niederschlags- und Hochwassermuster, Zyk -lone in mediterranen Regionen etc.),

– neue Risikogruppen (Betroffenheit großer Bevölkerungszahlen und vieler Staaten,Instabilitäten urbaner Räume, großräumiger Ausfall von Infrastruktursystemenetc.) und

– Extremereignisse mit unbekannten Ausmaßen im Bereich der geologischen undhydrometeorologischen Gefahren.

Das FuE-Programm GEOTECHNOLOGIEN hat bereits zu wesentlichen wissenschaft-lichen Ergebnissen in den Bereichen Frühwarnsysteme im Erdmanagement, unterir-discher Raum, Satellitentechnologien und Informationssysteme geführt. Es hat Techno-logien entwickelt, an die man bei der Bewältigung der neuen Herausforderungen an-knüpfen kann. Das Spektrum der zukünftigen Methoden umfasst: – Geowissenschaftliche Großexperimente wie Tiefbohrungen und Langzeitmonito-ring der Prozesse der Erde,

– Entwicklung von physikalischen und rechnergestützten Modellen zur Simulationkomplexer dynamischer Prozesse unter adäquater Assimilation von Daten undBeobachtungen,

– Instrumentierung und Überwachung von Prozessen und Regionen mit hohemGefährdungspotenzial,

– Entwicklung von Informationssystemen für eine effektive Nutzung vorhandenerInformationsressourcen (z. B. Daten, Modelle) zur Vorbereitung und schnellenReaktion auf Ereignisse; dazu gehört auch die Frühwarnung,

– Entwicklung und Konzeption effektiver Schutz- und Vorbeugemaßnahmen; Förde-rung und Erforschung von gesellschaftlichen Abwehr- und Adaptionsmaßnahmen.

FuE-Arbeiten mit diesen Zielsetzungen stellen direkte Beiträge zur Deutschen Anpas-sungsstrategie an den Klimawandel (DAS) und seine europäischen und internationa-len Pendants dar. Sie unterstützen die globalen Anstrengungen zur Reduktion der Na-turrisiken auf wissenschaftlicher Ebene (ICSU Science Plan for Integrated Research onDisaster Risk) und politischer Ebene (UNISDR Hyogo Framework for Action).

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Abb. 7-1: Nicht nur Erdbeben, sondern auch Hangrutsche haben in Pakistan 2005 zu großen Zerstörungen geführt.

EinführungNaturkatastrophen haben in den vergangenenzwei Jahrzehnten zu immer höheren Schäden ge-führt. Im Jahr 2008 betrug die Schadenssummeetwa 200 Milliarden US-Dollar. Eine besonders si-gnifikante Zunahme zeigen dabei die Schäden, diedurch hydrometeorologische Ereignisse verursachtwerden und als Folge des Klimawandels interpre-tiert werden können. Dazu gehören die steigendeHäufigkeit und Intensität von Ereignissen wie Ha-gelschlag, Hitzewellen oder das vermehrte Auftre-ten von Tornados – auch in Deutschland. Gleichzei-tig erhöht sich die Bevölkerungszahl der Erde – vor-wiegend in Entwicklungs- und Schwellenländern.Die Folgen: Große urbane Ballungszentren (Mega-citys) entstehen und die Küstenregionen sindimmer dichter besiedelt. Zusammen genommenbilden diese Umstände ein wachsendes Risikopo-tenzial, das insgesamt dazu führen wird, dass Katas -trophen in bisher nicht gekanntem Ausmaß zu denSzenarien der Zukunft gehören werden. Beispielesolcher Ereignisse waren der Tsunami im Indischen

Ozean im Jahr 2004, die Erdbeben von Kaschmirim Oktober 2005 (Abb. 7-1), Wenchuan (China) im Mai 2008 sowie Port-au-Prince (Haiti) 2010 undder tropische Wirbelsturm Nargis, der Myanmar2008 verwüstete.Diese Herausforderungen erfordern die Entwick-lung neuer wissenschaftlicher Methoden und Tech-nologien zur Prognose und Schadensminderungzukünftiger Katastrophen. Das Spektrum umfasst: – geowissenschaftliche Großexperimente wieTiefbohrungen und Langzeitmonitoring der Pro-zesse der Erde,

– Entwicklung von physikalischen und rechnerge-stützten Modellen zur Simulation komplexerProzesse unter adäquater Assimilation von Da -ten und Beobachtungen,

– Instrumentierung und Überwachung von Pro-zessen und Regionen mit hohem Gefährdungs-potenzial,

– Entwicklung von Informationssystemen für eineeffektive Nutzung vorhandener Informationsres-sourcen (z. B. Daten, Modelle) zur Vorbereitung

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und schnellen Reaktion auf Ereignisse. Dazu ge-hört auch die Frühwarnung.

– Entwicklung und Konzeption effektiver Schutz-und Vorbeugemaßnahmen; Förderung und Er-forschung von gesellschaftlichen Abwehr- undAdaptionsmaßnahmen.

Diese Erfordernisse beinhalten ein hohes Potenzialan technologischen Entwicklungen, z. B. Instrumen - tenentwicklung, Kommunikationstechnologien,Sof t wareentwicklung, Satellitentechnologien undAus wertemethoden. Sie schließen auch soge-nannte »Soft Technologies« ein, die wesentlich fürdie Implementierung von Vorbeugemaßnahmenund die effiziente Nutzung von Technologien sind.Die Entwicklung von Wissenschaft und Technolo-gie für die Minderung von Risiken stellt einen Bei-trag zur Sicherung nachhaltiger Entwicklung dar,dient demzufolge den Millenniumszielen der Ver-einten Nationen und kann auch als Beitrag zurDeutschen Anpassungsstrategie (DAS) an denstattfindenden Klimawandel gewertet werden.

FörderstatusDas BMBF fördert im Rahmen des FuE-ProgrammsGEOTECHNOLOGIEN bis 2010 11 Verbundpro-jekte zum Thema »Frühwarnsysteme im Erdma -nagement« mit insgesamt 11 Millionen Euro. Dabeistehen Projekte zur Frühwarnung gegen Erdbeben(sechs Projekte), gegen Vulkanausbrüche (ein Pro-jekt) und gegen Hangrutschungen (vier Projekte)im Vordergrund. Die Vorhaben werden komple-mentär und zum Teil in direkter Kooperation mitden Projekten zur Hochwasservorsorge im Rahmendes BMBF-geförderten RIMAX Programms undzum Aufbau eines Tsunami-Frühwarnsystems fürden Indischen Ozean (GITEWS) durchgeführt. DieForscher stehen zudem im regelmäßigen Erfah-rungsaustausch mit Kollegen aus dem DFG-Gradu-iertenkolleg METRIK und dem DFG-Sonderfor-schungsbereich 461 (Karlsruhe) »Starkbeben: Vongeowissenschaftlichen Grundlagen zu Ingenieur-maßnahmen«. Die Aktivitäten in den GEOTECH-NOLOGIEN sind damit die konsequente Fortschrei-bung aufeinander abgestimmter Förderaktivitätenvon BMBF und DFG, um durch Forschung und Ent-wicklung die Gefahren von Naturkatastrophenkünftig zu mindern.

Stand von Forschung, Entwicklung und AnwendungDas Programm GEOTECHNOLOGIEN mit seinenThemenschwerpunkten »Frühwarnsysteme im Erd-management«, »Erkundung, Nutzung und Schutzdes unterirdischen Raums« sowie »Erfassung desSystems Erde aus dem Weltraum« und »Informati-onssysteme« hat zu wissenschaftlichen Ergebnis-sen und Technologien geführt, an die beim Um-gang mit extremen Naturereignissen angeknüpftwerden kann. Gleichzeitig ist die nachfolgend vor-geschlagene Forschung als Beitrag zu großen inter-nationalen Programmen wie dem InternationalContinental Deep Drilling Programme (ICDP) unddem Global Earthquake Model (GEM) zu sehen.

(i) Entwicklung physikalischer Modelle von Natur-katastrophen Hier kann auf eine breite Palette entwickelter Mo-delle und Softwareumsetzungen zur Simulationvon Erdbebenkatalogen, Gefährdungsbetrachtun-gen und Modellierung der Wellenausbreitung in-klusive nichtlinearer Phänomene zurückgegriffenwerden. Darüber hinaus ist es möglich, verschie-dene Datensätze wie Starkbebenbeobachtungenund GPS-Daten in Inversionsprogrammen derBruchphänomene bei Erdbeben zu integrieren. ImBereich der hydrometeorologischen Katastrophenstehen Verfahren zur Verfügung, mit denen Hoch-wasser großräumig simuliert und relevante Hoch-wasserparameter wie Überschwemmungstiefe, -dauer und teilweise auch Fließgeschwindigkeitenbetrachtet werden können. Instationäre morpho-dynamische Strömungsprozesse, die bei Extremer-eignissen einen wesentlichen Einfluss auf die Strö-mungscharakteristik und die daraus resultierendenSchadensbilder haben, sind derzeit aber nochnicht prognostizierbar. Gleiches gilt für interaktivePhänomene wie Deich- oder Dammbrüche. Siekönnen zwar grundsätzlich in die Modelle imple-mentiert werden. Die physikalisch-geotechnischenVorgänge, die ihnen zugrunde liegen, sind jedochnoch nicht ausreichend erforscht, um sie auch vor-hersagen zu können. Mehrere Typen von instabilenHängen sind systematisch mit Messinstrumentenversehen und mit verschiedenen Beobachtungs-skalen analysiert worden. Auch die Beobachtungs-basis für schwindende Permafrostböden im alpi-nen Raum und die damit einhergehenden Instabili-

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täten sind in den letzten Jahren verbessert worden.Inversionsverfahren für den Nachweis von Perma-frost und dessen zeitliche Änderungen sind verfüg-bar. Verschiedene sogenannte Dekadenvulkanewerden mit zahlreichen Beobachtungssystemenüberwacht. Die Verfahren umfassen seismischeund hydrologische Beobachtungssysteme sowieGPS, Neigungsmessungen aber auch Satellitenme-thoden. Die Modelle wurden in verschiedenen Pro-jekten in Form von komplexen Softwaresys temenumgesetzt. Die damit zusammenhängenden He -raus forderungen an diese Software sind Gegen-stand geoinformatischer Forschung und erlaubenneuartige Formen der Generierung, Integrationund Verwaltung von Information.

(ii) Monitoringsysteme Monitoringsysteme sind der Schlüssel für die syste-matische Beobachtung von natürlichen, sich än-dernden Systemen. Immer genauere Deformati-onsmessungen mit GPS und Radarinterferometriesowie eine verbesserte Auswertemethodik undseismologische Instrumentierung eröffnen neueMöglichkeiten für zukünftige Projekte. Gleichesgilt für neue Technologien, mit denen Zustandsgrö-ßen im Boden und in Erdbauwerken erfasst wer-den können. Ein Beispiel für eine solche Zustands-größe ist etwa die Feuchte, die sowohl für geohyd -raulische als auch geomechanische Prozesse an

der Bodenoberfläche maßgebend ist. Die zuneh-mende Verfügbarkeit und Dichte von Sensorenund Sensor-Konstellationen verspricht eine immerbessere Datenverfügbarkeit für das Monitoring.Dazu hat auch die Entwicklung sogenannterselbst-organisierender Sensornetzwerke beigetra-gen, die es erlauben, eine Reihe von umweltrele-vanten Parametern nicht nur zu beobachten, son-dern auch in Netzwerken zu kommunizieren undintelligent zu verarbeiten (Abb. 7-2). Im Programmder GEOTECHNOLOGIEN wurden zum Beispielneue terrestrische selbst-organisierende Monito-ringsysteme wie SOSEWIN (Self-organizing SeismicEarly Warning Informatin Network) entwickelt.Gleichzeitig haben sich Standards für Datenüber-tragung, Datendarstellung und Integration heraus-gebildet, die in Zukunft hinsichtlich der spezifi-schen Anforderungen von Sensornetzwerken wei-ter ausgebaut werden sollen. Besonders wichtigfür das Monitoring sind satellitengestützte Beo -bachtungsmethoden und ihre Anwendungen imoptischen Fenster und im Radarfenster. Durch diesystematische Nutzung der vorhandenen Satelli-tendaten und der Daten der absehbaren neuenMissionen kann das sich ändernde und von Katas -trophen betroffene Inventar der Erde lokal hochaufgelöst beobachtet und global dokumentiertwerden. Von besonderer Bedeutung sind dabei diezunehmende Besiedlung von Städten und die

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Abb. 7-2: Das Mess- und Kommuni-kationssystem SOSEWIN (Self-Or-ganizing Seismic Early Warning In-formation Net work) wurde im Rah-men der GEOTECHNOLOGIEN vomDeutschen GeoForschungsZentrumund dem Department of ComputerScience, Humboldt-Universität zuBerlin, entwickelt und kann als Pro-totyp mobiler und flexibler Tech no-logie für Echtzeitmessungen beliebi-ger Eingangsdaten gelten. Das Bildzeigt eine Installation auf der Fatih-Brücke über den Bosporus in Istan-bul für die Erdbebenfrühwarnung.

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damit einhergehende Veränderung der Bausub-stanz, aber auch die sich wandelnden Infrastruk-tureinrichtungen in städtischen und ländlichen Re-gionen sowie Veränderungen der Landnutzung.

(iii) InformationssystemeInformationssysteme, die auf Katastrophen vorbe-reiten und im Ernstfall Hilfsorganisationen schnellund gezielt informieren, sind in den vergangenenzehn Jahren deutlich verbessert worden. Viele Ka-tastropheninformationssysteme können schonheute in Echtzeit hydrometeorologische und geo-logische Katastrophen, Risikoprojektionen, Schä-den und Frühwarninformationen handhaben. ImBereich der hydrometeorologischen Ereignisse ste-hen teilweise bereits Verfahren und Methoden zurVerfügung, die die Wirksamkeit reaktiver Maßnah-men kurzfristig nachweisen und so bei Entschei-dungen im operationellen Einsatz unterstützenkönnen. Die Entwicklung von internationalen odereuropäisch akzeptierten Standards des Informati-onsaustausches im Bereich der Telekommunikationund im Bereich des Internets (Webservices) hat sichals äußerst hilfreich erwiesen. Große Datenmen-gen können mit ihrer Hilfe über etablierte Proto-kolle und Dienste in Echtzeit kommuniziert,schnelle und übersichtliche Informationen mittelsWebservices an ein breites Spektrum von Nutzernübermittelt werden.

Die prognostische Simulation der gesamten Risiko-kette bei einem Erdbeben ist bereits weit fortge-schritten. Risikogruppen, Schäden an Gebäudenoder der Bedarf an Vorsorgemaßnahmen könnenvorhergesagt werden. Die Modellierung von Risi-ken (i. S. zukünftiger Schäden) ist etabliert und ver-fügt über ein breites Spektrum computergestützterWerkzeuge. Im Rahmen der GEOTECHNOLOGIENwurde zum Beispiel ein Schadenssimulationswerk-zeug für Echtzeitanwendungen adaptiert, das mit-tels Webservices im Katastrophenfall schnelle Infor-mationen zu vorhandenen Schäden liefert und dar-über Auskunft gibt, welche Rettungs- und Wieder-aufbaumaßnahmen Priorität haben. Derartige Sys -teme sind auch im Rahmen des Programms RIMAXfür das Risikomanagement externer Hoch wasserer-eignisse entwickelt worden. In anderen Projektenwurden virtuelle Leitstände für das Managementvon Naturgefahren entwickelt und die dafür benö-

tigten Service-Infrastrukturen prototypisch aufge-baut (z. B. Integrierter Umweltleitstand).

Notwendige FuE-Aufgaben(i) Physikalische ModellePhysikalische Modelle fokussieren sich in der Regelauf einzelne Typen von Katastrophen und beinhal-ten nur unsystematisch sekundäre oder Kaskaden-effekte. Extremereignisse der Zukunft müssen aberauch als kaskadisch wiederkehrende Ereignissequantitativ verstanden werden. Dadurch entstehtzusätzliches Potenzial für die Prognostik.Betrachtet man die Opferzahlen einiger Naturkatas -trophen der vergangenen Jahre, können Hangrut-schungen, Bodenverflüssigung oder Tsunamisnicht länger als sogenannte sekundäre Wirkungenbezeichnet werden. So forderte im Dezember2004 nicht das Erdbeben vor der Küste Sumatrasdie meisten Opfer, sondern der darauf folgendeTsunami. Ähnlich sind die vielen Opfer des Kasch-mir Bebens (Oktober 2005) eigentlich Opfer deranschließenden Hangrutschungen. Starkregenüber dem aktiven Vulkan Casita in Nicaragua er-zeugten im Oktober 1998 Schlammströme, diemehrere Städte begruben, und das Wenchuan-Beben in China im Mai 2008 zeigte, dass lang an-haltende Regen zu massiven Problemen mit Hang-rutschungen, Instabilitäten von Stauanlagen (z. B.Dämmen) sowie Deichen und anderen Infrastruk-tureinrichtungen führen können. Aufgabe ist esdemnach, komplexe Modelle, Prognosen und Be-wertungssysteme (szenarienbasiert und probabili-stisch) zu entwickeln, die die tatsächlichen Auswir-kungen quantifizieren und wissenschaftlicheGrundlagen für Frühwarnung, Planungs- und Vor-sorgemaßnahmen bilden.Vulkane repräsentieren beispielhaft Systeme kom-plexer Interaktionen verschiedener Phänomene.Die Verbindung zwischen tektonischen Erdbebenund vulkanischen Eruptionen ist statistisch belegt,physikalisch jedoch nur im Ansatz verstanden. Sowerden für die zeitliche Korrelation von Erdbebenund Vulkaneruptionen unterschiedliche Prozesseverantwortlich gemacht, darunter Veränderungendes Spannungsfeldes in der Erdkruste beim Durch-laufen seismischer Wellen und damit assoziierteKaskaden innerhalb von fluid- und gasreichen Re-servoiren im Erdinneren. Neben probabilistischenund stochastischen Modellen sollten Erdbeben

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und ihre unterschiedlichen Effekte auf Vulkane si-muliert werden. Das Verständnis derartiger Wech-selwirkungen setzt hohe Maßstäbe an die Frühwar-nung, Langzeitprognose und an überregionaleAuswirkungen. Ohne dieses Verständnis bleibenVorsorgemaßnahmen Stückwerk.

Ein weiteres Beispiel ist die Vorhersage von Extrem-niederschlagsereignissen und ihre Auswirkungen inForm eines Hochwassers. Schon jetzt werden –wenngleich auch erst in den Anfängen – regionaleKlimamodelle und hydrologische Modelle quantita-tiv verknüpft. Tatsächlich ist diese Methode dieVo raussetzung für Adaptionsstrategien. Sie sinddie notwendige Grundlage, um die hydrologischenExtreme (Hochwasser, Dürren) der Zukunft (Abb. 7-3), ihre Auftretenswahrscheinlichkeit und diedamit verbundenen Unsicherheiten auf der Pla-nungsskala angeben zu können. Bei der Ausbil-

dung einer Hochwasserwelle sind auch anthropo-gene Einflussfaktoren – zum Beispiel der Schutzdurch Deiche, deren Versagen, aber auch Einflüsseder Deichverteidigung – zu berücksichtigen. Spe-ziell das Versagen von Deichen unterliegt einerausgeprägten Probabilistik, deren Unsicherheitensich durch teilweise mangelnde Kenntnisse dermaßgebenden Prozesse beziehungsweise Prozess-ketten verstärken. Risikobasierte Ansätze, die dasVerhalten von Stauanlagen beschreiben, sinddaher zu verbessern und weiterzuentwickeln. Ein zweiter Zugang zum Verständnis der Auswir-kungen des Klimawandels auf hydrometeorologi-sche Extreme ist über Analysen entsprechenderhistorischer Daten möglich. Fortschritte in der Pa-läohydrologie und -klimatologie erlauben es, jähr-lich beziehungsweise saisonal aufgelöste Hoch-wasserzeitreihen in der Größenordnung von Tau-senden von Jahren abzuleiten. Werden solche

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Abb. 7-3: Überflutungsereignisse wie das Elbehochwasser von 2002 hatten selbst für das Industrieland Deutschland dramatischeFolgen. Zukünftig könnten Hochwasserereignisse aber vermehrt die ärmsten Länder unseres Planeten treffen. Technologie- undKnow-how-Transfer aus den Industriestaaten in die Schwellen- und Entwicklungsländer wird daher zu einer vordringlichen Auf-gabe für Forschung und Entwicklung.

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Zeitreihen mit hydrometeorologischen Charakte-ristika von Flusseinzugsgebieten korreliert, sindquantitative Aussagen zur natürlichen Bandbreitevon hydrometeorologischen Extremen oder zumZusammenhang zwischen Klimavariabilität undHäufigkeit und Magnitude von Extremen wahr-scheinlich möglich.Lokale Starkniederschläge und assoziierte Hoch-wasser spielen in einer erwärmten Atmosphäreeine wachsende Rolle. Kleine Flusseinzugsgebietekönnen hydrologisch gut modelliert werden, aller-dings fehlen die Prognosewerkzeuge zur Frühwar-nung. Im Unterschied zu größeren Systemen mitrelativ langen Zeiten muss sich die Warnung inkleinen Einzugsgebieten wesentlich auf meteoro-logische Parameter und das modellhafte Verständ-nis des hydrologischen Systems stützen, wenigerauf Pegelmessungen. Für ein verbessertes Hoch-wasser-Risikomanagement in großen Flusseinzugs-

gebieten sind Simulationen erforderlich, die dasdynamische Systemverhalten quantitativ erfassen.Eingriffe und Ereignisse (z. B. Deichbrüche) habenzum Beispiel direkte Auswirkungen auf das Risikoeiner Unterströmung. Solche Interaktionen wer-den heute in großen Flussgebieten nur in Ausnah-men berücksichtigt. Fortschritte in Numerik undRechenleistung eröffnen die Möglichkeit, prozess-basierte Simulationsmodelle auch in großen Ein-zugsgebieten einzusetzen. Nur so lässt sich dienotwendige Prioritätensetzung der Schutzmaß-nahmen für extreme Ereignisse wissenschaftlichabsichern.

Extreme Niederschlagsereignisse – und hier insbe-sondere lang anhaltende Niederschläge bezie-hungsweise Niederschlagsereignisse über eine län-gere Periode – sind häufig auch Auslöser von Bö-schungsrutschungen, die unter bestimmten Um-

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Abb. 7-4: Hangrutschungen und sog. Murenabgänge sind bereits heute in Deutschland und Mitteleuropa eine sehrernstzunehmende Gefahr. Durch den prognostizierten Klimawandel könnte ihre Zahl in den nächsten Jahrzehntennoch erheblich steigen.

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ständen kollapsartig in Form von Murgängen (Abb.7-4) auftreten. Zur Beurteilung des Risikos derarti-ger Ereignisse ist eine genaue Kenntnis der lokalenBedingungen (z. B. georeferenziert in einem GIS),aber auch der maßgebenden geohydraulischenund geomechanischen Prozesse erforderlich. Ver-schärft werden die Bedingungen, wenn Perma-frostböden im Hochgebirge betroffen sind. Erstdurch entsprechende Beobachtungen am Bodenund via Satellit wird dann eine Risikoabschätzungüberhaupt möglich sein. Extreme klimatische Be-dingungen wie Flutungen aber auch Trockenheitführen zu zyklischen Prozessen des Schrumpfensund des Quellens und ändern das Stoffverhaltenvon Geomaterialien. Dabei fungieren diese zykli-schen Effekte als selbstheilende und verfestigendeoder versagensauslösende Mechanismen. SolcheEffekte der zyklischen Degradation oder Teilverfes -tigung sind bislang allerdings nicht ausreichendmodelliert.Ein weiterer kritischer Punkt ist die modellhafteEinbeziehung des anthropologischen Faktors in diephysikbasierten Modelle: Die Reaktion und Interak-tion von menschlichem Verhalten im Fall von Katas -trophen muss besser quantifiziert und modellhaftverglichen werden. Fortschritte bei der Assimilationvon Daten, insbesondere auch der sogenannten'unscharfen' Daten durch probabilistische Ansätze,sind notwendig, um die besten Modelle und Pro-gnoseinstrumente zu entwickeln.

(ii) Monitoring- und InformationssystemeEine Risikolandschaft, die sich durch den Klima-wandel und anthropogene Einflüsse (Urbanisie-rung) ständig ändert, erfordert eine laufende Be-obachtung durch boden- und satellitengestützteMethoden. Dabei sollten die neuen Typen vonselbst-organisierten Netzwerken für neue Applika-tionen genutzt werden. Außerdem sollten Metho-den entwickelt werden, mit denen die notwendi-gen Informationen aus der Fülle von Daten gezo-gen werden können. Auch sollten die verschiede-nen Beobachtungsskalen (lokale Beobachtungenbis großräumige Satellitenbilder) quantitativ ver-knüpft werden, um bestmögliche Informationenzu extrahieren. Dabei sind insbesondere die boden-gestützten Beobachtungswerkzeuge zu verbessernund in satellitengestützte Systeme zu integrieren.Punktuell hochauflösende Messsysteme sind mit

tomographischen Systemen zu kombinieren, umdie am Boden beteiligten Phasen (Feststoff, Was-ser, Luft und Eis) zu identifizieren, abgeleitete Para-meter zu verbessern (z. B. durch joint-inversion) undauf die nächst größere Skala zu übertragen. In Ver-bindung mit Satelliteninformationen können diepunktuell gewonnenen Erkenntnisse auf große Ein-zugsgebiete übertragen werden. Das wurde bei-spielsweise für die Oberflächenfeuchte bereits um-gesetzt. Es wird eine große wissenschaftliche Her-ausforderung sein, Multiparameter-Datensätze mitbodengestützter Sensorik skalenübergreifend zu er-fassen und mit intelligenten Sensornetzwerken zukombinieren.Erst kürzlich gestartete sowie für die nahe Zukunftgeplante Satellitenmissionen werden neue opti-sche Daten und Radardaten in völlig neuer Qualitätliefern. Die gewonnenen Daten werden räumlichund zeitlich in allen Teilen der Welt erheblich besserverfügbar sein als bisherige Daten. Dabei sind be-sonders das RapidEye System, die im Rahmen vonGMES geplanten Satellitenmissionen, die hyper-spektrale EnMAP Mission sowie die TerraSAR-X-und TanDEM-X-Missionen hervorzuheben. Im opti-schen Bereich wird es damit Daten in neuen räum-lichen, zeitlichen und spektralen Auflösungsklas-sen geben. Der Radarbereich wird neben der ver-besserten räumlichen und zeitlichen Auflösungüber neue Aufnahmemodi und mehrere Polarisa-tionen verfügen. Daraus ergeben sich weltweit völ-lig neue Möglichkeiten für ein detailliertes Monito-ring von potenziell gefährlichen natürlichen Pro-zessen sowie für eine differenzierte Charakterisie-rung der auslösenden Faktoren. Gerade letztereFaktoren bilden die Grundlage für geeignete Früh-warnsysteme. Als Teil von Risikoanalysen könntemit diesen Daten zudem die Vulnerabilität einerRegion oder Gruppe besser eingeschätzt werden.Um dieses Potenzial voll nutzen zu können, müs-sen automatisierte Verfahren zur multitemporalenthematischen Informationsextraktion für verschie-dene Raum- und Zeitmaßstäbe neu- oder weiter-entwickelt werden. Bis jetzt konnte die Verfahrens-entwicklung mit dem Fortschritt auf der Sensor-seite nicht Schritt halten. Schwierigkeiten machtdabei vor allem der immense Informationsgehaltder originalen und abgeleiteten Daten. Trotz be-reits existierender und vielversprechender Ansätzein der automatischen Analyse von optischen Daten

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und Radardaten (z. B. differentielle Radarinterfero-metrie, abbildende Spektrometrie, Objekt- undMustererkennung, wissensbasierte Systeme) be-steht auf dem Gebiet der Theorie- und Methoden-entwicklung noch ein großer Forschungsbedarf. Esist deshalb erforderlich, interdisziplinäre For-schungsansätze zu etablieren, die problembezo-gene Auswertestrategien unter Einbeziehung vonanderweitig erhobenen Informationen entwickeln.Damit besteht eine enge Beziehung zu For-schungsarbeiten im Bereich der Informationssys -teme. Bei wissenschaftlich-technischen Entwick-lungen auf diesem Gebiet kommt es insbesonderedarauf an, die modernen Kommunikationssystemeoptimal zu nutzen und auf der Basis der entwickel-ten Standards neue Methoden der Informations-darstellung zu entwickeln.

(iii) Risikoprognosen und RisikoanalysenRisikosimulationen, Modellierungen und Echtzeit-Abschätzungen von Schäden müssen auch kom-plexe Systeme (z. B. die Infrastruktur von Städten)quantitativ erfassen. Sie müssen Schäden und ihreAuswirkungen simulieren, Vulnerabilitäten nichtnur als physische, sondern auch als soziale Verletz-lichkeiten verstehen und gleichzeitig sozioökono-mische Prognosen liefern. Gleichzeitig sind sie dieGrundlage, um Milderungsmaßnahmen zu bewer-ten und zu planen. Die Quantifizierung von Hoch-wasserschäden in urbanen Regionen erfordertzum Beispiel neue Herangehensweisen, die nebenden hydrologisch-hydraulischen Parametern (Ab-flussmengen, Wasserstände, Fließgeschwindigkeit)auch die dynamische Interaktion mit der Topogra-fie berücksichtigen. Dabei müssen auch Gebäude-strukturen erfasst und im Simulationsmodell abge-bildet werden. Außerdem ist es notwendig, infra-strukturelle Einrichtungen und ihre Einflüsse (Brü -ckenbauwerke oder Durchlässe mit evtl. Verklau-sung oder Verlegung durch transportiertes Mate-rial) sowie weitere Schadensbilder (durch Trüm-mer) zu berücksichtigen. Auch der Abfluss überdie Landoberfläche und der Abfluss in unterirdi-schen Infrastruktureinrichtungen sind voneinanderabhängig. Je nach Örtlichkeit können diese Wech-selwirkungen zu einer Dämpfung einer Hochwas-serwelle durch Retention oder zu einer Risikoerhö-hung durch Flutung landseitiger Gebiete ohneOberflächenanbindung an das Gewässer führen.

Risikomodellierungen erfassen in der Regel Schä-den der Infrastruktur nicht mit quantitativen Me-thoden. Ebenso wenig werden indirekte oder so-zioökonomische Schäden und Einflüsse auf dieUmwelt berücksichtigt. Die Analyse und Quantifi-zierung der Wirkung von Katastrophen auf ver-netzte Systeme ist eine wesentliche Aufgabe dermodernen Risikoforschung. Solche Systeme sindzum Beispiel der Verkehr und der Transport, ebensodie Wasser- und Energieversorgung, die Kommuni-kation oder auch die vernetzte Produktion von Gü-tern (Supply Chains); Systeme also, von denen dieGesellschaft zunehmend abhängig ist.Für die geologischen Naturgefahren, insbesondereErdbeben, gilt es daher, systemische Ansätze undSoftwarewerkzeuge zu entwickeln, die diese Defi-zite beheben. Dabei kann auf Methoden undWerkzeuge wie HAZUS und ELER zugegriffen wer-den, die auf dem Weg zu internationalen Stan-dards sind; ELER ist als open source tool verfügbar.FuE-Anforderungen an bestehende Systeme sind: (a) methodische Verbesserungen der Schadensbe-wertung;

(b) probabilistische Betrachtungen und Quantifizie-rung der Unsicherheiten sowie die Beschrei-bung der Unsicherheiten aufgrund vorliegenderDatenbegrenztheit;

(c) Einbeziehung von Indikatormethoden in dieSchadensprognosen, insbesondere bei der Be-wertung der sozialen Vulnerabilität, des Einflus-ses auf Industrie und Infrastruktur- beziehungs-weise auf Versorgungssysteme;

(d) Integration von Fernerkundungsdaten zur Erfas-sung des gefährdeten Inventars, dessen Vulne-rabilität und die Änderung dieser Parameter mitder Zeit. Dabei kommt es auf die »intelligente«Verbindung von boden- und satellitengestütz-ten Informationen an.

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Den Geowissenschaften stehen eine Vielzahl von Geodaten zur Verfügung – aller-dings können diese nicht vollumfänglich genutzt werden, weil die Daten entwedernicht zugänglich oder nicht formal beschrieben sind, was für ihre Erschließung erfor-derlich wäre. Somit ähneln sie einer Bibliothek, in der die Bücher zwar vorhanden,aber nicht verschlagwortet sind. Eine Nutzung der vorhandenen und der zukünftigerfassten Daten erfordert daher:– die Erschließung der Datenbestände über Geoontologien, d. h. abstrakte Konzep te,die die Inhalte der Daten beschreiben; hierzu sind zum einen solche Ontologien zuentwerfen bzw. zu vervollständigen, zum anderen sind die Geodatenbeständedurch automatische Interpretationsverfahren mit den Konzepten zu annotieren.

– die automatische Integration von Geodatenbeständen durch Entwicklung von Me-thoden der semantischen und geometrischen Datenintegration; hierbei sind insbe-sondere Verfahren des »ontology alignment« sowie die Vorgabe von objektbezo-genen Randbedingungen erforderlich, unter denen eine Integration möglich istbzw. die die Integration steuern.

– die integrierte Nutzung einer völlig neuen Art der Sensorik, den sogenannten Geo-sensornetzen, die eine Vermischung von Messung und Auswertung und da mitgleichzeitig die Kopplung an Modelle der zugrundeliegenden beobachteten Phä-nomene ermöglichen. Insbesondere gilt es hier, Methoden zur dezentralen Geo pro -zes sierung zu entwickeln.

– die Weiterentwicklung von Geodateninfrastrukturen hin zu Geodienste-Infrastruk-turen, die eine verteilte Prozessierung der verfügbaren Geodaten ermöglichen.

Diese Forschungsarbeiten und Technologien sind für viele geowissenschaftliche Frage-stellungen von elementarer Bedeutung. Die Beobachtung des Systems Erde und die aufihr befindlichen Prozesse können mit immer besseren Messsystemen erfolgen, wasdazu führt, dass die Modelle zunehmend verfeinert werden können. Dies erfordertallerdings einen Zugriff auf alle verfügbaren Daten. Somit können beispielsweiseGeo risiken besser eingeschätzt oder die Sicherheit von Bauwerken erhöht werden.

8.Die virtuelle Erde – Informationstechnologien

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EinführungDie rasanten technologischen Entwicklungen inder Sensorik und der Informatik haben dazu ge-führt, dass in riesigen Geodatenbeständen ver-schiedenste Facetten der Erde erfasst worden sindbzw. zunehmend erfasst werden. So werden dieTopographie, Bohrkerne, Temperatur, Boden-feuchte, Schwere, mikroseismische Signale, GPS-Positionen beispielsweise als Messdaten erfasst.Mit Hilfe dieser Daten werden umfangreiche Ana-lysen über die Erde möglich und führen zu einemzunehmenden Verständnis, auch über ihre innerenWirkungszusammenhänge. Voraussetzung ist aber,dass alle diese Daten systematisch geordnet und inDatenbanken zur Verfügung gestellt werden.

Während heutige Suchmaschinen primär auf derSchlüsselwort-Suche basieren, werden zukünftige,semantische Suchmaschinen auch die Bedeutungverarbeiten und sie im richtigen Zusammenhangnutzen können. Dies erfordert allerdings, dass dieBegriffe bekannt sind und einer vorgegebenen Be-griffswelt entstammen. Doch nicht nur die Objekteselbst und ihre Eigenschaften müssen bekannt sein,sondern auch, wie diese Daten mit welchen ande-ren Daten kombiniert werden können – oder sichgegenseitig ausschließen. Sind Bedingungen undEigenschaften bekannt, so können Daten automa-tisch mit weiteren Informationen verknüpft und soneues Wissen generiert werden. Je detaillierter sol-che Bedingungen bekannt sind, desto präzisereAnfragen lassen sich stellen und damit Aufgabender Analyse automatisieren bzw. mögliche Antwor-ten für den Menschen vorselektieren. Die Automa-tion spielt gerade vor dem Hintergrund der riesigenDatenbestände eine entscheidende Rolle, da hierdie manuelle Analyse versagt.

Daten liegen jedoch oft in Rohform vor, die zu-nächst einer Interpretation bedarf, um nutzbar bzw.automatisch auswertbar zu sein. Heutige Such ma-schinen sind deshalb so erfolgreich, weil sie für diemenschliche Auswertung ausgelegt sind und demMenschen eine Vorselektion der von ihm ge-wünschten Anfrage liefern. Die Sinnhaftigkeit derWebseite zu beurteilen bzw. die entsprechendenSchlüsse zu ziehen, ist eine Aufgabe, die demMenschen verbleibt. Um auch noch einen Schrittweiter zu gehen und nicht nur Textseiten zu liefern,

in denen wahrscheinlich das Schlüsselwort am bes -ten passt, ist auch eine Interpretation von Texten er-forderlich. Interpretationstechniken sind auch erfor-derlich, um Datenbestände zu erschließen, die nichtin Textform gegeben sind (z. B. Bilder, Laserdaten,Bohrkerne, GPS-Zeitreihen). Daher sind automati-sche Verfahren zur Dateninterpretation nö tig. Einemanuelle Annotation der Daten versagt sich auchhier aufgrund der großen Datenbestän de. Diese Ver-fahren ermöglichen dann, aus Rohdaten Wissen ab-zuleiten. Hierzu müssen Methoden der Musterer-kennung, Klassifikation, räumlichen Datenbankaus-wertung sowie Textverstehen eingesetzt bzw. ent-sprechend angepasst werden. Wichtig ist, dass dieMethoden Aussagen über die Qualität der Interpre-tation liefern können. Nur Daten, die eine gewisseSemantik haben, sind später in den umfangreichenGeodatenbeständen auch wieder auf findbar undnutzbar. Ziel ist es also, ein sogenann tes »SemanticWeb« bzw. »Web of (Geo)Data« anzulegen.

Neben dem speziellen Messinstrument treten zu-nehmend Massensensoren in den Vordergrund, diefür sich gesehen zwar nur ein geringes Messspek-trum aufweisen, allerdings im Verbund in einemGeosensornetz (Abb. 8-1) eine Vielzahl von Datenerfassen und verarbeiten. Somit lassen sich vielfäl-tige Phänomene in nie dagewesener Genauigkeitbeobachten. Geosensornetze setzen sich im Prinzipaus einer großen Zahl hochgradig miniaturisierterFunksensoren zusammen und können großflächigin die Umgebung ausgebracht werden. Jeder Sen-sor beobachtet seine unmittelbare Umgebung undhat die Möglichkeit, mit seinen Nachbarn zu kom-munizieren. Es ist diese Vernetzung und Kommuni-kationsmöglichkeit, die letztendlich dazu führt,dass das Sensornetz als Ganzes eine globale Wahr-nehmung ausbildet. Vorteile dieser Technologie lie-gen in ihrer extremen Skalierbarkeit und in ihrerRobustheit, da ein ausfallender Sensor durch seineNachbarn ersetzt werden kann. Die Sensoren mes-sen dabei nicht nur, sondern interpretieren dieDaten auch. Das große Potenzial von Geosensor-netzen liegt in ihrer hohen räumlichen und zeitli-chen Auflösung sowie ihrer potenziellen Echtzeit-fähigkeit. Daher werden solche Netze heute auchschon in einfacher Form für Überwachungsaufga-ben eingesetzt.

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Ihr Potenzial ist aber bedeutend größer, insbeson-dere wenn es um die Nutzung von massenhaft ver-fügbaren Sensoren geht: Beispiele sind Handys vonAutofahrern, die für die Stauerkennung benutztwerden, Navigationssysteme, die eine Aktualisie-rung ihrer Straßendaten durch die Nutzer selberdurchführen lassen, GNSS-Daten, die – über ihreneigentlichen Zweck hinaus – für die Bestimmungdes Wasserdampfgehalts in der Atmosphäre ge-nutzt werden. Dies bedeutet, dass Daten bzw.Sensoren, die verfügbar sind, für vollkommen un-terschied liche Zwecke genutzt werden können.Schlüs sel zu dieser neuen Technologie sind Ver-netzung und Kommunikation. Hierbei müssen al-lerdings die Qualität und Zuverlässigkeit derDaten gewährleistet und ein Datenmissbrauchausgeschlossen sein.Vorteile der GIS-Technologie, die sich für jeden An-wender ergeben, sind die höhere räumliche, zeitli-che aber auch thematische Auflösung der Daten,die sich durch ihre Vielfalt und ihre Integrations-möglichkeit ergeben. Für die Wirtschaft bietendiese Daten ebenfalls ein sehr großes Potenzial,um darauf vielfältige Dienste für unterschiedlicheAnwendungszwecke zu entwickeln.

FörderstatusDas BMBF förderte im Rahmen des FuE-Pro-gramms GEOTECHNOLOGIEN zwischen 2003 und2005 zum Thema Informationssysteme im Erdma-nagement sechs Verbundprojekte mit einem Ge-samtvolumen von knapp vier Millionen Euro. Zielder Vorhaben war zum Beispiel die Konzeptionund Entwicklung intelligenter Geodienste für den

Einsatz interoperabler Informationsarchitekturen.In der Frühwarnung gegen Naturgefahren spielendiese Technologien eine entscheidende Rolle, dasie die verschiedenen Teilsysteme der Warnkettesinnvoll miteinander verknüpfen. Tatsächlich konn-ten im Rahmen der Fördermaßnahme bereitsgrundlegende Erkenntnisse und erste Praxisanwen-dungen zu diesem Thema erarbeitet werden. Beider Entwicklung von Frühwarnsystemen (s. Kap. 7)wird daher besonderer Wert darauf gelegt, die In-formationstechnologien gezielt weiterzuentwickelnund zu implementieren. Die enge Verknüpfung derThemen Frühwarnsysteme und Informationssys -teme kann dazu beitragen, dass das übergeordneteZiel des FuE-Programms GEOTECHNOLOGIEN, dieEntwicklung von Instrumenten für ein globales Erd-management, langfristig umgesetzt wird.

Stand von Forschung, Entwicklung und AnwendungIm Bereich der Geo-Informationstechnologienwurde in jüngerer Zeit durch die Entwicklung vonStandards zur Geodatenbeschreibung sowie zumGeodatenaustausch ein beträchtlicher Fortschritterreicht; es handelt sich hierbei sowohl um de-jure(ISO, CEN, DIN) als auch de-facto (OGC) Standards.Dies führte zu einer Vielzahl an Geodatenportalen,wo Geodatenbestände über Katalogdienste be-schrieben und über Standardschnittstellen abrufbarsind. Auf diese Weise können Daten unterschiedli-cher Organisationen recherchiert und integriertweiterverarbeitet werden. Die Daten sind oft inGeodatenbanken gespeichert, die eine erhöhte Da-tensicherheit sowie einen effizienten Zugriff auch

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Abb. 8-1: Sensornetzwerke für Moni-toring- und Warnsysteme bei Georisi-ken, für das räumliche Umweltmoni-toring in Echtzeitüberwachung.

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Abb. 8-2: Automatische Zuordnungvon Geoontologien: Ausnutzung derIdentität von Objektinstanzen, umdaraus Korrespondenzen auf seman- tischer Ebene zu bestimmen.

durch eine Vielzahl an Benutzern gleichzeitig er-möglichen. Während somit standardisierte Be-schreibungen und einheitlicher Zugriff geregeltsind, wenden sich neuere Aktivitäten der Verarbei-tung der typischerweise großen Datenmengen zu.Hierzu werden Methoden der Parallelisierung undneuerdings auch des Grid-Computings eingesetzt(D-Grid). Die standardisierte Verarbeitung vonGeodaten soll über sogenannte Web-ProcessingServices (WPS) erfolgen.

Anwendungen, die auf Basis der Geodateninfra-strukturen der ersten Generation (GDI1.0) realisiertwerden können, sind allerdings primär statisch. Soist etwa die ad-hoc-Einbindung neuer Quellen oderFunktionalitäten kaum realisierbar. Weiterhin er-folgt die Kommunikation üblicherweise nur unidi-rektional: Die aktuell definierten Dienste erlaubenmeist nur einen lesenden Zugriff auf die angebote-nen Geoinformationen. Künftige Forschungsarbei-ten müssen die Publikation selbstgenerierter Geo-informationen und die Kommunikation über diesedeutlich erleichtern. Erfordernisse liegen im Mo-ment in folgenden Bereichen:

– Unterstützung von automatisierten Übersetzun-gen einer Anfrage in entsprechend notwendigeProzessketten von Geodiensten (Workflows).

– Automatisierte Recherche nach geeigneten Geo-informations-Dienste für solche Prozesskettensowie Unterstützung beim Vergleich konkurrie-render Dienste.

– Möglichkeit zur Bewertung der erhaltenen Ant-wort.

– Benachrichtigung bei Vorlage neuer Informatio-nen (etwa Messergebnisse, Bewertungen) fürdie formulierte Anfrage.

– Formale Beschreibung der Beschränkungen undZwangsbedingungen, die bei der Workflow-und Datenintegration gelten.

Während für die syntaktische Beschreibung derGeodaten leistungsfähige Dienste bereits imple-mentiert sind, muss die semantische Beschreibung,d. h. die Beschreibung der Dateninhalte, noch er-folgen. Im Bereich der Forschung zu Ontologienwerden hierfür formale Beschreibungssprachenentwickelt, in denen die Konzepte über einen Aus-schnitt der Welt beschrieben werden können (z. B.

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RDF, OWL), sowie Inferenzmechanismen, die erlau-ben, automatisch Schlüsse aus derart formal be-schriebenen Konzepten zu ziehen. Für überschau-bare Anwendungsbereiche sind diese Ontologienbereits erstellt, wobei idealerweise diese Kon-zeptbildung durch größere Nutzergruppen statt-findet, um sicherzustellen, dass eine gemeinsameBegriffswelt abgebildet wird.

Die Zuordnung von erhobenen Daten zu bestimm-ten Ontologien ist eine weitere wichtige For-schungsfrage (Abb. 8-2). Diese Annotation wirdvielfach von Hand durchgeführt, was sehr aufwän-dig und nicht skalierbar ist. Es handelt sich um einDateninterpretationsproblem. Hier existieren spe-ziell in der Textverarbeitung aber auch in der Bild-analyse bereits gute Ansätze. Diese sind allerdingsweiterzuentwickeln und speziell auf die Anforde-rungen und Eigenschaften der raumbezogenenDaten anzupassen. Wichtig sind insbesondere pro-babilistische Ansätze sowie Verfahren, die unter-schiedliche Auflösungsebenen der Informationenberücksichtigen.

Der Bedarf in diesem Bereich liegt in folgendenAspekten:– Integration verschiedener Ontologien – Beschreibung vager Konzepte und Inferenzenauf diesen Konzepten; Integration von Unsi-cherheit

– Automatische Annotation von Daten mit Kon-

zepten der Ontologie durch Dateninterpretati-onsverfahren.

Geosensornetze werden in einigen Bereichen derGeowissenschaften bereits erfolgreich eingesetzt.So beispielsweise zur Überwachung von Erdbebenoder Hangrutschungen (Abb. 8-3) oder als promi-nentestes Beispiel das Tsunami-Frühwarnsystem imIndischen Ozean. Die derzeitigen Netze zeichnensich allerdings dadurch aus, dass sie in der Regeleine fest vorgegebene Netztopologie aufweisenund die Datenprozessierung in einer zentralen In-stanz passiert. Dies führt jedoch zu dem Problemder Skalierbarkeit und damit verbunden der Echt-zeitverarbeitung. Außerdem ist die Stromversor-gung der einzelnen Sensoren ein Problem, welchesverringert werden kann, wenn nur abstrahierte In-formationen weitergeleitet werden.

Auch im Bereich der Geosensornetze gibt es Stan-dardisierungsbestrebungen. Die Standards sollenes ermöglichen, Teile von Entwicklungen wieder-verwendbar zu machen und so unnötigen Auf-wand einzusparen. Zudem sollen die Standards alsLeitfaden für zukünftige, einheitliche Projekte die-nen. Als derzeitige Bedürfnisse lassen sich nennen:– Skalierbarkeit der Geosensornetze– Ad-hoc-Integration von Sensoren– Dezentrale und multiskalige Datenverarbeitung– Kopplung mit Simulationsmodellen.

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Abb. 8-3: Projekt SLEWS (Sensorba-sed Landslide Early Warning System):Monitoring von Hangrutschungenmittels eines Geosensornetzes.

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Notwendige FuE-AufgabenUm die oben beschriebenen Visionen zu erfüllen,sind Forschungsanstrengungen in den folgendenBereichen entscheidend.

1) Das Potenzial von Geosensornetzen muss aus-geschöpft werden, indem die Verbindung vonMessung und Auswertung bzw. Modellierungvorangetrieben wird.

2) Geodatenbestände müssen erschlossen wer-den, indem sie von reinen Daten in Informatio-nen, in ein sogenanntes Semantic Web über-führt werden. Hierzu müssen Methoden ent-wickelt werden, die ihre automatische semanti-sche Annotation ermöglichen. Dies muss aufBasis zu entwickelnder oder zu erweiternderGeoontologien geschehen, die für bestimmteAufgabenstellungen erstellt werden.

3) Es müssen Methoden entwickelt werden, diedie Integration von Daten unterschiedlicherQuellen ermöglichen. Auf der Basis der Annota-tionen und Ontologien sind ausführliche Infor-mation über die Objekte selbst, aber auch übermögliche Abgrenzungen zu anderen Objektenmöglich, was für die Integration und Fusion ge-nutzt werden kann. Verteilte Geoverarbeitungs-dienste müssen formalisiert und in Geodatenin-frastrukturen integriert werden.

(i) GeosensornetzeDie Vernetzung von verschiedenen Sensoren undMessinstrumenten mit dem Ziel der Überwachungund Beobachtung von Umweltinformation istgrundlegende Aufgabe der Geodäsie. Geosensor-netze bieten darüber hinaus jedoch die ad-hoc-Vernetzung sowie die verteilte Datenerhebung und-analyse. Diese methodischen Untersuchungen be-treffen insbesondere die Adaption von Algorith-men bzw. die Entwicklung neuer Algorithmen, diedezentral arbeiten und damit in der Lage sind, be-reits in einer lokalen Umgebung Erkenntnisse zugewinnen, ohne dass alle Daten an einen zentralenServer kommuniziert und dort verarbeitet werdenmüssen. Dies betrifft insbesondere hierarchischeund multiskalige Ansätze.

Ein Geosensornetz ermöglicht weiterhin eine zu-nehmende Vermischung von Messung und Aus-wertung bzw. eine direkte Kopplung mit Modellen.

Auf diese Weise können Modellparameter wäh-rend der Messung bestimmt bzw. auch adaptiertund somit eine direkte Bestätigung der Modelle er-zielt werden, beispielsweise für die Kopplung vonphysikalischen Modellen von Naturkatastrophenmit Sensornetzen. Allerdings müssen Fragen dernumerischen Modellierung, im engen Verbund vonGeowissenschaftlern, numerischen Mathematikernund Geoinformatikern vorangetrieben werden.Eine weitere Forschungsfrage besteht in der quali-tätsbezogenen Verarbeitung der Geodaten, wasinsbesondere vor dem Hintergrund der Nutzungverteilt vorliegender – möglicherweise unsicherer –Informationen von elementarer Bedeutung ist.

Ein Geosensornetz der Zukunft wird alle möglichenSensoren und Sensordaten integrieren können, d. h.insbesondere aus Daten unterschiedlicher räumli-cher, zeitlicher und thematischer Auflösung. Sokönnen beispielsweise punktuelle hochgenaueMessdaten mit übergreifenden Informationen ausSatellitenmissionen verknüpft werden.

(ii) Semantic Geo-Web – Web of GeodataZur Erschließung von Geodatenbeständen müssendiese geeignet annotiert werden, sodass über dieseexpliziten Beschreibungen eine Suche und ein Zu-griff ermöglicht wird. Dies bedeutet zum einen,dass für bestimmte Aufgabenstellungen entspre-chende Geoontologien zu entwickeln sind. Dieseermöglichen eine effektive Nutzung vorhandenerInformationsressourcen, wie sie beispielsweise fürMonitoring- und Frühwarnsysteme erforderlich ist.

Diese semantische Annotation ist typischerweisesehr aufwändig, da prinzipiell jedes Datenelementeinem entsprechenden Konzept der Ontologie zu-geordnet werden muss. Um diesen manuellen Auf-wand zu umgehen und eine flächendeckende An-notation überhaupt erst zu ermöglichen, ist eineAutomatisierung nötig. Im Kern handelt es sich beider Annotation um ein Interpretationsproblem, beidem Daten im Lichte einer bestimmten Ontologiebetrachtet werden. Daher sind Methoden zur au-tomatischen Dateninterpretation bereitzustellen.Dies sind insbesondere Methoden des räumlichen»Data Minings«, speziell Verfahren zur Klassifika-tion und des maschinellen Lernens. Diese Metada-ten sind nicht nur für Menschen verständlich, son-

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dern darüber hinaus auch für Maschinen verarbeit-bar! Dies eröffnet die Möglichkeiten der Automa-tion. Sinnvoll ist es, die Daten direkt entsprechendihrer Ontologie zu erheben.

Notwendig ist die Zuweisung von Qualitätsanga-ben, die die Sicherheit einer Interpretation bzw.Zugehörigkeit zu einer bestimmten Konzeptklasseangeben. Zur Interpretation eignen sich daher ins-besondere probabilistische Verfahren; in der auto-matischen Bildanalyse stellen sogenannte graphi-sche Modelle hierzu vielversprechende Ansätzedar. Die Interpretation bezieht sich dabei auf alleArten der vorliegenden Geodaten, d. h. Bilddaten,Vektordaten, Geländemodelle, Einzelsensordaten(wie GPS-Messungen) sowie auch Texte. Solche In-terpretationsmethoden sind erforderlich, umschnell relevante Informationen in großen Geoda-tenbeständen zu finden (Spatial Data Mining).

Vielversprechend scheinen Lösungen zu sein, diedas Wissen vieler ausnutzen können, wie beispiels-weise Wikipedia – was auch als »Folksonomies«bezeichnet wird. Damit ergibt sich eine Verknüp-fung von formalen Ontologien, die durch Expertenerstellt werden, mit Ontologien, wie sie durch dieNutzer entstanden sind.

Schließlich sind Forschungen im Bereich der Visua-lisierung und speziell der visuellen Inspektion undExploration erforderlich. Unter dem Begriff VisualAnalytics werden Methoden untersucht, die eineoperateursgestützte Inspektion großer Datenbe-stände ermöglichen und Unterstützung bieten,diese nach bestimmten statistischen Größen zu fil-tern und zu klassifizieren, um mögliche Häufun-gen bzw. besondere Konstellationen zu erkennen.Dies ist insbesondere bei hochdimensionalen Da-tensätzen eine Herausforderung, die auch dieFrage der visuellen Kommunikation umfasst.

(iii) Datenintegration und Datenassimilation Die o. g. Standards ermöglichen bereits, Datenbe-stände unterschiedlicher Herkunft und Qualität zu-sammenzuführen und in einer Gesamtschau durchÜberlagerung zu betrachten. Allerdings bedeuteteine reine Überlagerung von Geodaten noch nicht,dass diese Daten auch integriert verarbeitet wer-

den können. Hierfür ist eine semantische und geo-metrische Datenintegration erforderlich. Für Ers -tere ist das sogenannte »Ontology Alignment«(semantische Datenmodelltransformation) nötig.Ist diese Information bekannt, so können Datensemantisch zusammengeführt werden. Dies kannallerdings noch zu geometrischen Inkonsistenzenführen, etwa weil Daten mit unterschiedlicher Ge-nauigkeit erhoben sind oder mit unterschiedlicherthematischer Granularität. Daher sind Zuord-nungsverfahren zu entwickeln, die auch eine geo-metrische Übereinstimmung der Daten identifizie-ren können. Beim Zusammenführen der Datenbe-stände muss beispielsweise berücksichtigt werden,dass bestimmte Objekte eine gemeinsame Grenzeteilen und/oder bestimmte Objekte sich nichtschneiden dürfen. Forschungen sind erforderlichzur Integration geometrisch-topologischer As pek -te und zur automatischen Identifikation von »Con-straints« bei der Integration beliebiger Datensätze. Solche Methoden der Datenintegration sollten inForm von Web-Processing Services (WPS) zur Ver-fügung stehen und somit von der Allgemeinheitfür die adäquate Verarbeitung und Analyse derGeodaten genutzt werden.

(iv) Verteilte Geoprozessierung in Geodienste-In-frastrukturen Zukünftige Geodienste-Infrastrukturen sollen ana-log zu den aktuellen Diskussionen um entspre-chende Web 2.0-Entwicklungen aufgesetzt wer-den. Neben der Einbindung von »volunteered geo-graphic information« gilt es insbesondere, die ver-teilte Geoprozessierung von Geodaten zur Ablei-tung ad-hoc benötigter Geoinformation und zurEntscheidungsunterstützung zu verbessern. Fol-gende Forschungsfragen sind hier zu klären:

– Wie sind Beschreibungen der Geoprozessierun-gen geeignet, zu formalisieren (etwa auf Basisvon Tomlins Map-Algebra, Egenhofer Operato-ren etc.) und wie feingranular dürfen bzw.müssen einzelne Geoprozessierungsschritte ineiner GDI sein?

– Sind aktuelle GDI-Architekturen geeignet, dieOrchestrierung von verteilten Diensten zu un-terstützen? Wie lassen sich Ein- und Ausgabe-datenströme möglichst effizient und perfor-

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mant nutzen, ohne dass es zu unnötigen und zuzahlreichen Transfers großer Geodatenmengenkommt?

– Wie können Qualitätsbeschreibungen in diesenDiensteketten propagiert werden?

– Wie lassen sich solche Geoprozessierungen mitverteilten Geosensoren und -simulationen ver-binden? Wie kann der notwendige Umgang mit3-D- und 4-D-Geodaten sowie mit Echtzeitan-wendungen durch Web-basierte GDI effizientunterstützt werden?

Insgesamt gilt es, für die aktuellen Entwicklungeneines sehr generischen »Web Processing Services«einen theoretischen bzw. abstrakt spezifiziertenÜberbau zu schaffen, um verteilte Geoprozessie-rung und Prozessketten entsprechend formalisiertbeschreiben zu können. Eine solche abstrakte Spe-zifikation kann dann problemlos auf unterschiedli-che technologische Plattformen abgebildet wer-den. Die weitere Entwicklung unnötiger Speziallö-sungen für die Geowissenschaften wird damit ver-meidbar.

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Die Erdoberfläche ist die Grenzschicht zwischen der Atmosphäre und den Land-, Eis-sowie Ozeanflächen. Sie spiegelt durch ihr Relief und dessen stetige Veränderung,die seit Milliarden von Jahren und bis heute andauernde Dynamik des Erdinnernwider. Gleichzeitig sind die morphologisch und klimatisch begünstigten Bereiche derLand-, Eis- und Meeresoberflächen den klimatischen Einflüssen des äußeren Erdsys -tems und den vielfältigen Einwirkungen des Menschen unterworfen.

Satelliten erfassen die Erde global, mit relativ hohen Wiederholungsraten, gleich-mäßig und echtzeitnah. Sie sind daher hervorragend geeignet, die Veränderungenunseres Lebensraums und der physikalischen Erdoberfläche zu erkennen und zuquantifizieren. In den zurückliegenden Jahren konnte mit Unterstützung des FuE-Pro-gramms GEOTECHNOLOGIEN die Satellitengravimetrie und -magnetometrie erfolg-reich als Mittel der Erdsystemforschung etabliert werden. Darauf aufbauend wird nunmit den Themen »Kinematik und Dynamik der Erdoberfläche« und »Charakteristika,Nutzung und Entwicklung der Landflächen« die Erforschung der Grenzschicht derErde vorgeschlagen. Mehrere Satellitenmissionen mit großer deutscher finanziellerBeteiligung stehen in den vor uns liegenden Jahren für die Erforschung dieser beidenThemen zur Verfügung. Und es ergeben sich wichtige Querverbindungen zu den The-men »Georisiken/ Geodynamik« (Kap. 7), »Georessourcen/Nutzung des Untergrunds«(Kap. 5), »Klimaänderungen« (Kap. 1), »Der Boden – die Haut der Erde« (Kap. 4) und»Informationstechnologien« (Kap. 8) des vorliegenden Programms.

Aus der missionsübergreifenden Verarbeitung der verfügbaren Satellitensensorsys -teme lassen sich einerseits die notwendigen langen, konsistenten und genauen Para-meterzeitreihen ableiten, andererseits die Trennung von überlagerten Einzelbeiträgenin den Messdaten vornehmen sowie die Abtastung in Raum und Zeit erhöhen undeine gegenseitige Kontrolle zwischen den Messsystemen erreichen. Die Verknüpfungvon Raumsegment, Bodensegment, Informationsextraktion und Modellierung er-möglicht einen systematischen, wissenschaftlich qualitätskontrollierten Wissensge-winn. Zusätzlich sollte eine gründliche Analyse der sich abzeichnenden Zukunftstech-nologie und der Möglichkeiten, die sich aus ihr für die Erforschung des Erdsystemsergeben, durchgeführt werden. Dies betrifft die zukünftige Verfügbarkeit mehrerermoderner Satellitennavigationssysteme, von Uhren der nächsten Generation, vonKonstellations- und Formationsflügen mehrerer Satelliten, von Mikro- und Minisatel-liten, neuer hochauflösender Aufnahmetechniken und gegebenenfalls die Erschlie-ßung neuer Wellenlängenbereiche. Ziel des Themas »Beobachtung der Erde aus demWeltraum« ist die Erforschung des Systems Erde-Mensch, also unseres Lebensraums,sowie der physischen Erdoberfläche und deren Veränderungsprozesse mit modernerWeltraumtechnologie. Die Erkenntnisse eignen sich auch als Grundlage für den Auf-bau von Vorhersage- und Frühwarnsystemen.

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Einführung»Das anhaltende Wachstum der Weltbevölkerung,die dadurch bedingte immer intensivere Nutzungunseres Planeten und seiner Ressourcen sowieseine Veränderung im Rahmen einer beispiellosenzivilisatorisch-technischen Entwicklung erfordernein nachhaltiges und international abgestimmtesHandeln zum Erhalt des Lebensraums Erde undzum Schutz der Umwelt. In der Umsetzung dieserzentralen Aufgabe der gesellschaftlichen Daseins-vorsorge kommt den Geowissenschaften als den»Wissenschaften der Erde« mit ihrer Erdsystemfor-schung eine ganz besondere Rolle zu, da sie auf-grund ihres umfassenden Systemverständnissesnachhaltig greifende Konzepte und Lösungsan-sätze anbieten können«. Diese ersten Sätze ausder Programmschrift GEOTECHNOLOGIEN des Jah-res 1999 sind auch heute noch gültig. Die Fragennach dem Umgang mit der Bevölkerungsexplosion,der Verknappung der natürlichen Ressourcen undnach dem anthropogenen Einfluss auf das Gesamt-system und damit auch auf den Klimawandel sindaktueller denn je; die öffentliche Debatte hat sichdeutlich intensiviert. Im IPCC-Bericht des Jahres2007 wird erstmals der Einfluss des Menschen aufden Klimawandel nachgewiesen, aber auch da be-klagen die Wissenschaftler im Vorfeld die oft unzu-reichende Datenbasis. Satelliten sind unentbehrliche »Werkzeuge«, umdie vielfältigen Prozesse in und auf der Erde zu stu-dieren. Nur durch den Blick aus dem Weltraum istes möglich, die Erde global zu erfassen und gleich-zeitig durch Wiederholungsmessungen Zeitreihenaufzubauen, aus denen Veränderungen in diesemhochkomplexen System erkennbar werden. DieMessreihen sind gleichmäßig und nahezu in Echt-zeit ermittelt. Letzteres ist unabdingbare Vorausset-zung, um verlässliche Frühwarnsysteme gegen Na-turgefahren zu betreiben. Diesen ausgewiesenenStärken steht gegenüber, dass insbesondere klima-tische Veränderungen im Erdsystem nur langsamvor sich gehen und im Allgemeinen nicht direktmessbar sind. Sie werden aus der Kombination vonMessgrößen und Modellen abgeleitet. Außerdembedingt die Bahnhöhe der Satelliten eine gewisseDämpfung der Signalgrößen. Die überwiegendeAnzahl der Messverfahren nutzt die Ausbreitungelektromagnetischer Strahlung beziehungsweisedie Wechselwirkung dieser Strahlung mit den

Komponenten des Erdsystems. Strahlungsquelle istbei den passiven Messsensoren die Sonne oder diethermische Strahlung der Erde; bei den aktiven Sys -temen ist es das in unterschiedlichen Spektralberei-chen vom Satelliten ausgesandte Signal. Als pri-märe Größen werden Laufzeit, Winkel, Intensität,Polarisation oder Phasenlage der empfangenenWellen gemessen. Daraus werden Materialeigen-schaften, Geometrie und Verortung von Objektenund Oberflächen sowie deren Bewegung abgelei-tet. Besonderheiten sind die Erfassung des Magnet-felds der Erde und seiner Wechselwirkung mit demAußenfeld des Gravitationsfeldes. Die Gravitations-feldmessung beruht auf Bahnverfolgung und Be-schleunigungsmessung, die Magnetfeldmessungauf skalarer und vektorieller Magnetometrie. Deutschland beteiligt sich mit großen Beiträgen amwissenschaftlichen Erderkundungsprogramm derEuropäischen Raumfahrtagentur (ESA), dem »Li-ving Planet Programme«, und am Aufbau des vonEU und ESA gemeinsam initiierten Global Monito-ring for Environment and Security (GMES) und er-gänzt die europäischen Aktivitäten zusätzlichdurch nationale und bilaterale Missionen. Hinzukommt die vielfältige Nutzung der globalen Satelli-tennavigationssysteme. Mindestens drei komplettemoderne Konfigurationen werden in den kom-menden Jahren für die Erdwissenschaften nutzbarsein, darunter als europäischer Beitrag das GALI-LEO-System. In Tabelle 9-1 sind laufende bezie-hungsweise in Kürze beginnende Missionen im Be-reich der Erderforschung und Erdüberwachung zu-sammengefasst.

An all diesen Missionen (mit Ausnahme von GPS)ist Deutschland mit großen Investitionen beteiligt.Neben dem industriellen Rückfluss ist eine mög-lichst überproportionale Nutzung durch die Wis-senschaft wünschenswert.

FörderstatusRaumgestützte Beobachtungsverfahren haben sichin den vergangenen Jahren rasant entwickelt undnehmen in der geowissenschaftlichen Forschungheute eine herausragende Stellung ein. Wegwei-send in der Entwicklung und im Betrieb von Kleinsa-telliten sind die internationalen Missionen CHAMP(CHAllenging Minisatellite Payload), dessen deutsch-amerikanisches Schwesterprojekt GRACE (Gravity

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9. Global Monitoring – Erkundung der Erde aus dem Weltraum

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Recovery And Climate Experiment) und die von derEuropäischen Raumfahrt Agentur ESA koordinierteMission GOCE (Gravity Field and steady-stateOcean Circulation Explorer). Die drei Missionen ver-messen das Schwere- und Magnetfeld der Erde miteiner bislang unerreichten Detailgenauigkeit undliefern wichtige Referenzdaten für die Ozeanogra-phie, Klimatologie, Geophysik und Glaziologie. Die Beteiligung deutscher Wissenschaftler an die-sen Missionen wird durch das FuE-Programm GEO-TECHNOLOGIEN sichergestellt. Es bietet den idea-len Rahmen für interdisziplinäre Forschungsvorha-ben derartiger Dimensionen. Das BMBF fördert seit2001 insgesamt 17 Forschungsverbünde mit einemFinanzvolumen von circa 20 Millionen Euro. Kom-

plementär unterstützte die DFG zehn Projekte imNormalverfahren und seit Mitte 2006 das DFG-Schwerpunktprogramm »Massentransport und Mas -senverteilung im System Erde«. Deutschland konntedamit in gleich mehreren Schlüsselfeldern dieses in-novativen Forschungsgebiets eine weltweit aner-kannte Führungsposition einnehmen. Der GEO-TECHNOLOGIEN-Themenschwerpunkt »Erkundungdes Systems Erde aus dem Weltraum« steht damitexemplarisch für das integrative Förderkonzept vonBMBF und DFG in den GEOTECHNOLOGIEN. Acht Jahre Forschungsförderung zu diesem The-menschwerpunkt haben dazu beigetragen, diewissenschaftlichen Nutzungsmöglichkeiten vonKleinsatelliten zu revolutionieren und Deutschland

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Tab. 9-1: Genehmigte beziehungsweise laufende Satellitenmissionen von unmittelbarer Bedeutung für das FuE-Programm GEOTECHNOLOGIEN.

ESA Living Planet Programme und ENVISAT Beginn

ENVISAT zehn Erdbeobachtungsinstrumente seit 2002GOCE globales Gravitationsfeld und Ozeanzirkulation 17.03.2009SMOS Bodenfeuchte und Ozeansalinität 2. Nov. 2009CRYOSAT Eis- und Ozeanaltimetrie Feb. 2010SWARM Magnetfeld (stationär und zeitvariabel) 2010

Sentinel-Missionen (GMES)

1 SAR-Abbildung und (differenzielle) Interferometrie 20122 Optische, superspektrale Bilderfassung 20133 Ozeanmonitoring 2013

Nationale Missionen

TerraSAR-X SAR Bilderfassung im X-Band und (differenzielle) Interferometrie 2007

Rapid-Eye Optisch bildgebend 2008TanDEM-X SAR-Interferometrie im X-Band 2010-11EnMAP Abbildende Spektroskopie (hyperspektral) 2013

Globale Navigations Satellitensysteme (GNSS)

GPS amerikanisches System seit 1980(einschließlich Modernisierung)

GALILEO europäisches System im Aufbauund andere

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weltweit an die Spitze eines neuen Wissenschafts-zweiges zu bringen. Auch auf technologischemGebiet und im Bau preisgünstiger Kleinsatelliten istDeutschland zu einem international geschätztenPartner geworden. Kleinsatelliten wie CHAMP,GRACE und GOCE basieren auf dem neuen, vonder Firma EADS Astrium GmbH in Friedrichshafenentwickelten Satellitenkonzept »Flexbus«, das eineäußerst kostengünstige und schnelle Fertigung vonSatelliten ermöglicht. Die CHAMP-Mission zeigt,dass sich mit dieser Plattform die Kosten im Ver-gleich zur herkömmlichen Bauweise um mehr alsdie Hälfte reduzieren lassen – und das ohne Quali-tätseinbußen. Das technologische und wissen-schaftliche Know-how von »Flexbus« machen sichinzwischen auch Raumfahrtnationen wie die USAzunutze. So vergab die amerikanische Weltraum-behörde NASA den Auftrag zum Bau der GRACE-Satellitenzwillinge nicht im eigenen Lande, son-dern nach Deutschland.

Stand von Forschung, Entwicklung und AnwendungSpiegelt man die Erdbeobachtung aus dem Welt-raum an den Entwicklungen der zurückliegendenJahrzehnte in der Wetter- und Klimavorhersage, soist zu erwarten, dass Satelliten eine wachsende Be-deutung für die Erforschung aller Komponentendes Erdsystems erlangen. Die strategische Entwick-lung, Vorbereitung und Auswahl nationaler Raum-fahrtmissionen erfolgt durch die Raumfahrtagenturdes Deutschen Luft- und Raumfahrtzentrums(DLR). Das DLR plant und koordiniert auch diedeutsche Beteiligung an europäischen oder bilate-ralen Missionen. Wesentliche Fortschritte in der wissenschaftlichenNutzung raumfahrtbasierter Daten lassen sichdurch eine abgestimmte Vorgehensweise und Prio-ritätensetzung, das heißt durch ein gemeinsamesRahmenprogramm der Forschungszentren undUniversitäten erreichen. Im Rahmen des FuE-Pro-gramms GEOTECHNOLOGIEN wäre ein solches Rah- menprogramm erreichbar. Ausgangspunkt ist dieEingrenzung des Gesamtthemas der Erdbeobach-tung aus dem Weltraum auf den für das FuE-Pro-gramm GEOTECHNOLOGIEN zutreffenden Aus-schnitt der Erdsystemforschung. Mit den Kleinsatellitenmissionen CHAMP, GRACEund GOCE gelang es erstmals, die Magnetfeldfor-

schung sowie die Massenverteilung und Massen-verlagerung in und auf unserem Planeten als neuesSegment der Erdsystemforschung zu etablieren.Über das Schwerpunktthema »Erfassung des Sys -tems Erde aus dem Weltraum« des FuE-ProgrammsGEOTECHNOLOGIEN war eine Vielzahl deutscherWissenschaftler an den Missionen beteiligt.Deutsch land nimmt heute eine international aner-kannte Spitzenposition in diesem Forschungsfeldein. Zusätzlich ist es mithilfe des FuE-ProgrammsGEOTECHNOLOGIEN gelungen, ein globales geo-dätisches Beobachtungssystem international zuverankern und damit die metrischen Grundlagenfür die Erforschung der Veränderungen und Mas-senvariationen des Erdsystems zu schaffen. Hierauf aufbauend lassen sich die Veränderungs-prozesse der Erdoberfläche als Grenzschicht zwi-schen Atmosphäre und fester Erde mit Eis undOzeanen erforschen. Genau diese Grenzschicht istunser Lebensraum und steht deshalb in unseremInteressenfokus. Die Erdoberfläche ist den ständi-gen Einwirkungen des Menschen ausgesetzt, denEinflüssen des durch die Sonne angetriebenen äu-ßeren Erdsystems unterworfen und geprägt undgeformt durch die Prozesse im Inneren der Erde.Die Zustandsparameter und deren Veränderungensind aus dem Weltraum in mannigfaltiger Weisemessbar. Ausgehend von den satellitengestütztenMessverfahren lassen sich zwei Themen unter-scheiden:(1)Kinematik und Dynamik der Erdoberfläche: dieVermessung und Modellierung von Formen undBewegungsmustern der Land-, Eis- und Ozean-oberflächen und ihre Wechselwirkung mit denProzessen des inneren und äußeren Erdsystems.

(2)Charakteristika, Nutzung und Entwicklung derLandoberflächen: die Erfassung und Erforschungvon Beschaffenheit, Nutzung und Veränderungder Landoberflächen inklusive der gesamten Hyd -rosphäre, das heißt der Haut der festen Erde,unter dem Einfluss des globalen Wandels.

Notwendige FuE-AufgabenMit den beiden oben genannten Themen entstehtim Themenschwerpunkt »Beobachtung der Erdeaus dem Weltraum« des FuE-Programms GEO-TECHNOLOGIEN eine neue nationale Strategie.Beide Themen schließen sich nahtlos an beste-hende Kompetenzkerne Deutschlands an. Inner-

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halb der GEOTECHNOLOGIEN ergeben sich natür-liche Synergien mit folgenden Themen: Georisi-ken/Geodynamik, Georessourcen/Nutzung desUntergrunds, Ursachen und Auswirkungen vonKlimaänderungen, Der Boden – Die Haut der Erdeund Informationstechnologien. Die geplanten FuE-Projekte stellen eine logischeFort setzung und Erweiterung des bisherigenSchwer punktthemas »Erfassung des Systems Erdeaus dem Weltraum« dar und sollten an dessen Er-gebnisse anknüpfen.

(i) Kinematik und Dynamik der Erdoberfläche Neuartige differenzielle SAR-Interferometrie inKombination mit zukünftig viel dichteren GNSS-Bodennetzen, GNSS-Reflektrometrie und interfe-rometrischer Eis- und Ozeanaltimetrie erschließenalle Zeitskalen der Evolution und Kinematik von

Land-, Eis- und Ozeanoberflächen. Tektonik, Ge-birgsbildung, isostatische Ausgleichsbewegungen,Seismik, Hangrutschungen, anthropogene Boden-senkungen, Dynamik der großen Eisschilde undder Gletschersysteme, Meeresspiegelanstieg, ElNinõ/Southern Oscillation und Tsunami-Ereignissewerden in ihrem Zusammenhang und in ihrer Ab-hängigkeit von atmosphärischen, anthropogenenund geodynamischen Antriebsmechanismen er-kennbar. Mit der neuen Satellitengeneration Terra-SAR-X, TanDEM-X (Abb. 9-1), Sentinel-1, CRYO-SAT, SMOS sowie dem viel dichteren GNSS-Netzsteht ein äußerst engmaschiges Satellitenmesssys -tem zur Verfügung. In den Bereichen SAR, Radar-und Laseraltimetrie, GNSS-Nutzung sowie derLand-, Eis- und Ozeanmodellierung sind in Deutsch-land hervorragende Infrastruktur- und Forschungs-kerne für diesen Themenkomplex vorhanden.

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Abb. 9-1:Das deutsche Satellitenduo TerraSAR-X und TanDEM-X zur Erforschung von Form und Bewegungsprozessen der Erdoberfläche.

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Abb. 9-2: EnMAP und seine Anwendungen in Forschung und Praxis.

Viele der in Deutschland entwickelten Satelliten-Technologien sind weltweit führend. So ist dasdeutsche TerraSAR-X-System das erste SAR welt-weit, mit dem Objekte für geodätische Fragestel-lungen genau verortet werden können. Damit wer-den neue Möglichkeiten erschlossen werden, dieDynamik der Erdoberfläche zu erfassen. Diese Eigen -schaft zusammen mit der sehr hohen räumlichenund zeitlichen Auflösung ermöglicht es zum Bei-spiel, mit TerraSAR-X-Daten Gletscherbewegungenoder anthropogen verursachte Bodensenkungenzuverlässiger und genauer zu erfassen als mit bis-herigen SAR-Systemen. Die TanDEM-X-Mission rea-lisiert den weltweit ersten SAR-Satellitenformati-onsflug – ebenfalls eine deutsche Technologie –mit dem Ziel, ein weltweites homogenes digitalesOberflächenmodell zu erstellen. Damit wirdDeutschland einen der wichtigsten Basisdatensätzebesitzen, um durch differenzielle SAR-Interferome-trie Land- und Eismassen zu bilanzieren oder diesehochgenau in ihrer Dynamik zu erfassen. Erst die-ses Oberflächenmodell macht die Trennung von To-pographie und Bewegung zuverlässig möglich.

(ii) Charakteristika, Nutzung und Entwicklung derLandoberflächenWasser und Boden gehören zu den kostbarstenRessourcen unseres Planeten. Die schnelle Erweite-rung urbaner Gebiete (Megacitys), die Zersiede-lung des ländlichen Raumes, die Veränderung derBodennutzung und die Einflüsse des Klimawandels– all das macht es nötig, umfassend, global unddifferenziert zu erfassen, wie sich Siedlungs-, Vege-tations-, Trockengebiets-, Schnee- und Wasserflä-chen durch natürliche und anthropogene Einflüsseverändern.

Bestehende operationelle Systeme (SPOT-HRG,Landsat-TM) werden deshalb durch die zukünftige,superspektrale Sentinel-2 Serie und LDCM abge-löst. Mit neu definierten, zusätzlichen Kanälen sinddann Korrekturen zum Einfluss von Wasserdampf,Aerosolen und Zirruswolken möglich. Dadurch er-höht sich die Nutzbarkeit sowohl im wissenschaftli-chen Einsatz als auch im praktischen Betrieb we-sentlich. Für Aufgaben, die eine hohe räumlicheund zeitliche Auflösung erfordern, stehen Daten

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des deutschen Rapid-Eye-Systems zur Verfügung.Die Satelliten des Systems realisieren eine täglicheWiederholrate. Mit multispektralen – und zukünftig mit EnMAPerstmals mit hyperspektralen – Sensorsystemen isteine differenzierte globale Erfassung, diagnosti-sche Klassifikation und Analyse der zeitlichen Va-riabilität möglich. EnMAP (Abb. 9-2), die laufen-den Missionen Rapid-Eye, TerraSAR-X und ENVI-SAT sowie komplementäre Sensorsysteme wieSMOS oder terrestrische und flugzeuggestützte In-strumente schaffen die notwendigen Vorausset-zungen, das Forschungsgebiet zur Erfassung vonCharakteristika, Nutzung und Entwicklung vonLandoberflächen in Deutschland zu einem weite-ren Exzellenzzentrum auszubauen.

Ziel der Projekte zu oben genannten Themen istnicht die Vorbereitung von Einzelmissionen; diesist Aufgabe der Raumfahrtagentur des DLR. Viel-mehr geht es im Rahmen der GEOTECHNOLO-GIEN um die Etablierung von missionsübergrei-fenden Forschungsansätzen, durch die Daten fürdie Erforschung und Überwachung unseres Erd-systems optimal genutzt werden können. Fernersollen Brücken zu anderen Themen des FuE-Pro-gramms GEOTECHNOLOGIEN gebaut werden.Schwerpunkte sind dabei:

(iii) Synergien von satellitengestützten SensorsystemenDie gemeinsame Nutzung von Messreihen unter-schiedlicher, gleichartiger oder komplementärerSatellitenmissionen wird in internationalen Pro-grammen wie GEOSS dringend angemahnt, stecktjedoch noch in den Anfängen. Sie ist aus mehrerenGründen von großer Bedeutung für– die Neuprozessierung aktueller und alter Mess-zeitreihen nach dem aktuellen Forschungsstandzum Aufbau von möglichst langen, konsisten-ten und genauen Parameterzeitreihen für dieGlobal Change Forschung,

– die Separation von Einzelphänomenen, wie derTrennung der Einzelbeiträge zum Meeresspie-gelanstieg, durch den Einsatz komplementärerMesssysteme,

– das Erreichen dichterer Abtastraten in Zeitund Raum beziehungsweise von Mehrdimen-sionalität,

– das Zusammenfügen komplementärer Mess-größen zu einem Gesamtbild, etwa von physi-kalischen (aus SAR) und biogeochemischen (ausder Hyperspektralfernerkundung) Variablen derMeere oder der Vegetation (z. B. Biomasse),

– die substanzielle Verringerung der Fehler in denabgeleiteten Variablen durch Kombination vonDaten komplementärer Genauigkeitseigen-schaften (z. B. die hohe relative Messgenauig-keit hochauflösender SAR-Systeme vs. derhohen absoluten Genauigkeit von GNSS-Daten)und damit die Erfassung bisher nicht ausrei-chend messbarer Größen und

– die Normierung gleichartiger Systeme.

Aus der Kombination von Satellitenmesssystemenlassen sich komplette Monitoringsysteme entwi -ckeln. Ein Beispiel sind Frühwarnsysteme zu Tsuna-mis, Erdbeben, Lawinen und Hangrutschungen,Vegetationsschädigungen sowie über Desertifika-tion aufgrund von Wasserdefizit und/oder Folgendes Klimawandels. Andere Beispiele sind Beobach-tungssysteme in der Antarktis und auf Grönland(Massenbilanzierung, geologische Bewegungsra-ten, Rauigkeit, Kompaktion, Beschaffenheit, gla-ziale Ausgleichsbewegungen, Strahlungsbilanz)oder Monitoringsysteme in Katastrophengebieten.Neben dieser »horizontalen« Synergie von Satelli-tenmesssystemen ist die »vertikale« VerknüpfungVoraussetzung für eine optimale Interpretationund Nutzung von Satellitendaten.

(iv) Verknüpfung von Raumsegment, Bodenseg-ment, Informationsextraktion und Modellierung Flugzeuggestützte und terrestrische Messsystemebeziehungsweise Datensätze verknüpfen dasRaumsegment mit der Modellierung und der An-wendung in Wissenschaft und Praxis. Sie dienender Eichung und Skalierung der Satellitensysteme,der Klassifikation, Überprüfung, Korrektur und re-gionalen Verdichtung. Kein Sensorsystem eines Sa-telliten misst Erdparameter unmittelbar. Erst übereine – je nach Instrument – komplexe Kette vonAuswertealgorithmen und Modellen entstehen diegewünschten geowissenschaftlichen Zielgrößen.Dies ist der Prozess der Informationsextraktion. In-situ Messungen, ergänzende terrestrische Beob-achtungen, Flugzeug- und Ballondaten spielen einewichtige Rolle, wenn Daten aus Satellitenmes-

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sungen in Modelle assimiliert werden. Sie dienen – bei metrischen Messverfahren der Verankerungim Erdkörper,

– mithilfe repräsentativer Testfelder der Skalie-rung und Linearisierung,

– der spektralen oder regionalen Ergänzung undVerfeinerung,

– der Separation von überlagerten Einflüssen imMesssignal und

– der unabhängigen Kontrolle.

Für komplexe Prozessmodellierungsansätze zumThema Charakteristika, Nutzung und Entwicklungder Landoberflächen werden zunehmend vor allemquantifizierbare Ökosystemparameter benötigt.Dieser Bedarf ist ohne ein permanentes, skalen-übergreifendes Monitoring – von global über re-gional bis lokal – nicht zu bewältigen. Erst neue in-novative Sensoren, die in der spektralen Abde -ckung sehr variabel sind und hohe geometrischewie zeitlich hoch aufgelöste Daten liefern, könnendies leisten.

Um die neuen Systeme optimal nutzen zu können,müssen innovative Algorithmen und Auswertekon-zepte entwickelt werden. Grundlegende Ansätzesind unter anderem: – komplexe, wissensbasierte Auswertemethoden,– Datenassimilation zur Optimierung von Auswer-testrategien,

– quantitative upscaling Methoden, – lineare und nicht lineare Analysemethoden, – 2-D- und 3-D-multi- und hypertemporale »chan gedetection« Methoden,

– Synergien unterschiedlicher Sensorsysteme, – Integration in und Verifikation von Modellen inunterschiedlichen zeitlichen und räumlichenSkalen.

In den Technologiefeldern hyperspektrale Datener-fassung, differenzielle und interferometrische An-wendungen von SAR, geodätische SAR-Verfahren,Satellitengravimetrie und Satellitenmagnetometrienehmen deutsche Raumfahrtunternehmen undWissenschaftler internationale Spitzenpositionenein. Es ist daher strategisch wichtig, an Konzeptender nächsten Generation zu arbeiten.

(v) Technologien der nächsten GenerationEs zeichnen sich verschiedene technologischeTrends ab: – die simultane Verfügbarkeit mehrerer hochmo-derner Satellitennavigationssysteme (Ionens phä - r enmodellierung, Atmosphärensondierung,»lang same« Erdbeben, Zeitsynchronisation,Frühwarnsysteme, Reflektometrie),

– Uhren einer neuen Generation im Weltraum (op-tische Uhren) und am Boden (Erdrotation, Bahn-bestimmung, Gravitation, Grundlagenphysik),

– Mikro- beziehungsweise Minisatelliten (engma-schige Überdeckung des Globus in Satelliten-höhe),

– Satellitenkonstellationen und -formationen (Echt -zeitüberwachung, Trennung räumlicher vonzeitlichen Veränderungen),

– noch höher (räumlich/ spektral) auflösende Auf-nahmeapparaturen und

– bei den SAR-Systemen die Erhöhung der Auflö-sung bei gleichzeitiger Erhöhung der Schwad-breite, systematische polarimetrische und inter-ferometrische Aufnahme-Systeme und -Szena-rien mit extrem hoher räumlicher und zeitlicherAbdeckung und die Nutzung von Wellenlän-genbereichen, die für die differenzielle SAR-In-terferometrie oder für die Erfassung von Bio-masse optimiert sind.

Die Entwicklung einer Erdbeobachtungsstrategiemuss maßgeblich im Kontext mit geowissenschaft-lichen Forschungsschwerpunkten aus den Berei-chen der Grundlagenforschung und der ange-wandten Forschung erfolgen. Damit wird zugleichauch die erfolgreiche Beteiligung deutscher Wis-senschaftler an Programmen der EU und der ESAgefördert.

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Um die Eigenschaften unserer Erde zu verstehen, müssen wir sie mit den anderenPlaneten und großen Monden im Sonnensystem vergleichen. Warum konnten sichbei uns lebensfreundliche Umweltbedingungen entwickeln? Existieren solche Be-dingungen vielleicht auch auf anderen Himmelskörpern? Die Raummissionen derletzten Jahrzehnte haben zu vielen überraschenden Entdeckungen geführt, die dieGemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen der Erde und ihren planetaren Ge-schwis tern zeigen. Flüssiges Wasser – Grundlage des Lebens – scheint es früher auchauf dem Mars gegeben zu haben. Auf dem Jupitermond Europa gibt es auch heutenoch unter einer Eiskruste tiefe Ozeane. Die Sonde Huygens hat eine bizarre Welt ge-zeigt, deren Eislandschaft durch Flüsse aus Kohlenwasserstoffen geprägt wurde. Exo-planeten, die um andere Sterne kreisen, werden in zunehmender Zahl entdeckt undführen zu der Frage, durch welche Prozesse es zur Bildung verschiedenartiger Plane-tensysteme kommt. Kometen und Kleinplaneten sind Relikte der Entstehung unseresSonnensystems vor 4,5 Milliarden Jahren. Kometen haben die Menschheit seit jeherdurch ihre imposante Erscheinung fasziniert. Heute liegt die Faszination darin, dass siedie ursprünglichste Materie des Sonnensystems, erstaunlicherweise gleichzeitig sowohlder inneren Bereiche als auch der äußeren Regionen, beherbergen.Die verschiedenen Objekte der Forschung im Sonnensystem zeigen eine enorme Viel-falt, zum Beispiel in ihrer Größe und Masse und in der Bandbreite der Temperaturenund Dichten. Die Massen variieren zwischen 1030 Kilogramm für die Sonne und 10-15

Kilogramm für ein Staubpartikel. Bei der Temperatur reicht die Skala von 15 MillionenGrad Celsius im Zentrum der Sonne bis 20 Grad Celsius über dem absoluten Null-punkt auf den neu entdeckten Kleinplaneten, die sich in circa hundertfachem Erdab-stand von der Sonne befinden. Es ist deshalb nicht überraschend, dass eine sehrbreite Palette an physikalischen und chemischen Prozessen im Sonnensys tem zumTragen kommt. Auch wenn bodengebundene Beobachtungen nach wie vor ihren Platz in der Sonnen-systemforschung haben, so beruhen die großen Entdeckungen der vergangenen Jahr-zehnte doch im Wesentlichen auf dem Einsatz unbemannter Raumsonden. DeutscheWissenschaftler haben zu diesen Fortschritten erhebliche Beiträge geleistet.

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Abb. 10-1:Das Sonnensystem.

EinführungAuch wenn die Planeten und planetaren Körperunseres Sonnensystems allesamt Mitglieder einerFamilie von Objekten gleicher Herkunft sind, zei-gen sie untereinander gravierende Unterschiede(Abb. 10-1). Nahe der Sonne befinden sich außerder Erde noch die Gesteinsplaneten Merkur, Venusund Mars – unsere unmittelbare kosmische Nach-barschaft. Auch der Erdmond wird dazu gezählt,während die beiden kleinen Marsmonde Phobosund Deimos eher eingefangene asteroidale Körpersind. Jenseits des Mars folgt der Asteroidengürtelmit seinen Hunderttausenden von Kleinplaneten,deren Bahnen zum Teil bis ins innere Sonnensys -tem reichen. Die großen Planeten des äußerenSonnensystems, Jupiter, Saturn, Uranus, Neptun,der Zwergplanet Pluto und mit ihnen die aktuell146 Monde dieser Welten aus Gasen und Eis,haben nur noch einen geringen Gesteinsanteil.Eine Vielzahl von Eiskörpern, die als Kometen ausihren ursprünglichen Reservoirs im Kuipergürtel

und der Oortschen Wolke gelegentlich bis ins in-nere Sonnensystem vordringen, bewegt sich amRande des Sonnensystems.

Von allen Planeten ist die Erde am besten erforscht(Abb. 10-2). Dies verwundert nicht, da die Erfor-schung der Erde in-situ erfolgen kann. Die Plane-tenforschung hat die in-situ Exploration andererPla neten mit Landemissionen gerade erst begon-nen. Die Erde ist daher als Referenzkörper, zumin-dest für die erdähnlichen Planeten und die großenMonde, unerlässlich. Seit dem Beginn der experi-mentellen Weltraumforschung werden die Me-thoden der Geowissenschaften zur Erforschungder Planeten eingesetzt. Bis dahin war die Erfor-schung der Planeten weitgehend Gegenstand derAstronomie. Gleichzeitig haben sich die Geowis-senschaften Methoden der Weltraumforschungzunutze gemacht. Dazu gehören beispielsweise dieVermessung der planetaren Felder durch Satelliten,die Spektroskopie der Oberflächen aus dem Orbit

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NASA/JPL

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und die photogeologische Auswertung von Ste-reoaufnahmen. Die vergleichende Planetologie kann mit einigemRecht als eine Verallgemeinerung und Erweiterungder Wissenschaft von der Erde angesehen werden,angefangen von der Entstehung der Erde, die sichnicht losgelöst von der Entstehung des gesamtenSonnensystems verstehen lässt (offenbar spielteJupiter die entscheidende Rolle für die Bildung derErde am gegebenen Ort), bis hin zur weiteren Ent-wicklung unseres Planeten. Der Vergleich der Erdemit den anderen Planeten und den größeren Mon-den ermöglicht neue Ansätze zum besseren Ver-ständnis der Erde. So wird deutlich, wie unge-wöhnlich Plattentektonik ist und welche bedeut-same Rolle Wasser und Kohlendioxid in der Geolo-gie der Erde einnehmen. Die Bedeutung des inneren Kerns für die Erzeu-gung des Magnetfelds der Erde wird zum Beispielklarer, wenn man die magnetischen Eigenschaftenvon Venus, Merkur und Mars betrachtet. Die At-

mosphärenforschung findet bei Mars und VenusBeispiele für Atmosphärenerosion, für extremeTreibhauseffekte und für deutlich unterschiedlicheZusammensetzungen und Drücke. Die besonderen Herausforderungen der Planeten-forschung an die Beobachtungsinstrumente habenin der Vergangenheit die Methodik und Technikder Geowissenschaften wiederholt befruchtet.Beispiele aus der Kosmochemie sind die Altersbe-stimmungsmethoden und Mikroanalytik; aus derPlanetenphysik können Satellitenmagnetometergenannt werden. Gelegentlich übertrifft die Plane-tenforschung den Grad der Erkundung der Erde.So ist die Topographie des Mars mithilfe der Laser -altimetrie und der hoch aufgelösten Photogramm-metrie im Rahmen der Mars Global Surveyor undMars Express Missionen genauer bekannt als dieder Erde. Da in absehbarer Zeit das Instrumenta-rium der Geowissenschaften nicht mit vertretbarenKosten vollständig in den Weltraum exportiertwerden kann, hat die Probenrückführung eine er-

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Abb. 10-2: Die Erde als komplexes System.

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hebliche Bedeutung. Damit können die aufwendi-gen mikroanalytischen Methoden der Geowissen-schaften der Sonnensystem-Forschung zugänglichgemacht werden. Die Frage nach der Entstehung des Lebens und sei-ner Verbreitung im Universum ist eine der großenungeklärten Grundfragen in der Wissenschaft. Inder jüngeren Vergangenheit wurde entdeckt, dassauf der Erde Leben auch unter Umweltbedingungenmöglich ist, die bisher als wenig lebensfreundlichgalten. Dies eröffnet die Perspektive, dass auch aufanderen Körpern unseres Sonnensystems Leben exis -tiert hat oder noch existiert. Als entscheidende Vor-aussetzung des Lebens wird das Vorhandensein vonflüssigem Wasser angesehen. Wir haben inzwischenstarke Hinweise darauf, dass es flüssiges Wasserauch auf anderen Körpern gegeben hat oder auchheute unterhalb der Oberfläche noch gibt.Die Suche nach außerirdischem Leben beginnt mitdem Versuch zu verstehen, was die physikalischenund chemischen Voraussetzungen des Lebens sind,welche Umstände einen Planeten belebbar ma-chen, wie sich diese Bedingungen entwickeln undwo sie außerhalb der Erde noch vorliegen könnten.Die Erforschung von Leben außerhalb der Erde ver-einigt zahlreiche Fachdisziplinen und nutzt nebenden Methoden der Planetenforschung die der Bio-logie, Biochemie, Geowissenschaften, Astronomie,Physik und Chemie. Unsere technischen Systeme, unsere Umwelt,selbst das Leben auf der Erde hängen von äußerenEinflüssen ab. Hierzu gehört in erster Linie die so-lare Strahlung, die das Leben auf der Erde über-haupt erst ermöglicht. Schwankungen der Sonnen-helligkeit, aber auch Schwankungen der UV-Strah-lung und eventuell die Modulation der galakti-schen kosmischen Strahlung durch das solare Ma-gnetfeld und den Sonnenwind könnten Klimaän-derungen provozieren. Die schwankende magneti-sche Aktivität der Sonne beeinflusst den erdnahenWeltraum, die Magnetosphäre und die Atmo-sphäre der Erde: Eruptionen, Flares und koronaleMassenauswürfe führen kurzfristig zu dramatischansteigender ultravioletter und energiereicher Teil-chenstrahlung. Diese beeinflussen in bisher nur inAnfängen erforschter Weise die Erdatmosphäre,kurzfristig unter anderem den Ozongehalt derStratosphäre und langfristig das Erdklima. For-schungen der letzten Jahre verdeutlichten, wel-

chen entscheidenden Einfluss kurzfristige Ände-rungen der Sonnenaktivität auf die technischen Sys -teme der Menschheit ausüben, bezeichnet als»Weltraumwetter«.Neben den solaren Strahlungen gibt es aber auchmassive Objekte, die dauernd oder in Zyklen aufdie Erde einwirken: Meteore, Meteoriten, kosmi-sche Kleinkörper. Wie das Leben auf der Erde hän-gen auch Weltraummissionen, bemannte Flügezum Mond und zu den Planeten von Einflüssen ab,die aus verschiedensten Teilen des Sonnensystemsstammen. Es gilt, diese Einflüsse vorauszusagenund bei strategischen Entscheidungen zu berück-sichtigen.

FörderstatusSeit Beginn der Erkundung unseres Planetensys -tems mit Raumsonden, Landegeräten und Proben-rückführung werden die entsprechenden Techno-logien durch die DFG und die nationale Raumfahrt-agentur (DARA/DLR) in vielfältiger Weise – im Nor-malverfahren, durch Schwerpunktprogramme undSonderforschungsbereiche sowie insbesonderedurch die direkte Projektfinanzierung – gefördert.Etliche der damit möglichen technologischen undwissenschaftlichen Entwicklungen fanden Anwen-dung und Nutzen in der terrestrischen geologi-schen Forschung und technischen Entwicklungen.Als einen Beitrag zu diesem Themenschwerpunktförderte die DFG von 2000 bis 2006 mit insgesamt38 Forschungsvorhaben das Schwerpunktpro-gramm »Erdmagnetische Variationen: Raum-Zeitli-che Struktur, Prozesse und Wirkungen auf das Sys -tem Erde«.

Ziele des Programms waren,– ein umfassenderes Verständnis der raum-zeitli-chen Struktur erdmagnetischer Variationen ins-besondere während der Umpolung des Erdma-gnetfeldes zu entwickeln,

– zu erdmagnetischen Variationen Anlass gebendegeodynamische Prozesse zu identifizieren,

– geodynamische Prozesse zwecks Interpretationder Beobachtungen raum-zeitlicher Strukturennumerisch zu modellieren und

– mögliche Auswirkungen auf das System Erde zuuntersuchen.

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Stand von Forschung, Entwicklungund AnwendungDie Planeten unseres Sonnensystems gliedern sichin zwei Gruppen: die inneren, kleinen, terrestri-schen aus Gestein aufgebauten Planeten Merkur,Venus, Erde, Mars und die äußeren großen Gaspla-neten Jupiter, Saturn, Uranus, Neptun. Der Eispla-net Pluto nimmt als neuntes Objekt dieser Familieeine Sonderstellung ein. Obwohl die Planeten undihre Monde nur etwa ein Prozent der Masse desSonnensystems ausmachen, wobei weit über dieHälfte davon allein auf Jupiter entfällt, tragen siefast den gesamten Drehimpuls des Systems. Diechemischen Bestandteile der planetaren Köper re-flektieren weitgehend eine solare Zusammenset-zung. Sie unterscheiden sich jedoch deutlich imAnteil ihrer flüchtigen Elemente. In dem Maße,wie die Temperatur mit der Sonnenentfernung ab-nimmt, kondensieren immer leichtere Elemente,was sich dementsprechend in der Dichte wider-spiegelt. Im inneren Sonnensystem dominierendaher silikatische und metallische Zusammenset-zungen, im äußeren dagegen Eise und Gase.Nach ihrer Akkretion aus dem solaren Nebel voretwa 4,5 Milliarden Jahren haben die meisten derplanetaren Körper Aufschmelzung und geochemi-sche Fraktionierung erfahren. Bei der dabei ent-standenen Differenzierung in Kern, Mantel undKruste haben sich die schweren Elemente nahedem Zentrum konzentriert, wogegen die leichte-ren und flüchtigen nahe der Oberfläche zu findensind. Ab welcher Größe die Differenzierung ein-setzt, ist nicht genau bekannt, da die meisten Pro-tokörper des frühen Sonnensystems zum Wachs-tum der Planeten beigetragen haben und dahereiner Untersuchung nicht mehr zugänglich sind.Von den übrig gebliebenen kleinen Objekten sindgrößere Asteroiden wie Vesta mit 520 KilometerDurchmesser differenziert, wohingegen Ceres mitetwa 950 Kilometer Durchmesser thermal unver-ändert zu sein scheint. Der ursprüngliche Material-bestand der kleinen asteroidalen und kometarenKörper des Sonnensystems spiegelt den Anfangs-zustand der Planetenbildung wider, die differen-zierten Körper dagegen belegen die zeitliche Ent-wicklung des Systems und seiner Körper.Die für eine Differenzierung notwendige Energieresultiert aus Akkretionswärme, radioaktivem Zer-fall und Gezeitenreibung. Es wird angenommen,

dass sich die ursprüngliche Materie der Planeteninnerhalb weniger Zehnermillionen Jahre in Kern,Mantel und Kruste trennte. Die kondensierte Krus -te bildet dabei eine thermale Grenzschicht zwi-schen dem heißen Inneren und dem kalten umge-benden Weltraum, wofür kurzlebige Radionuklidedie erforderliche Wärme liefern. Die Art, wie dieWärme, die nun von langlebigen Radionukliden er-zeugt wird, durch diese Lithosphären transportiertwird, erzeugt unterschiedliche geologische Wirkun-gen, die im Ergebnis die Vielzahl der bekanntenStrukturen auf planetaren Oberflächen bedingen.Merkur, Erdmond, Mars und viele der Eismondeverlieren ihre Wärme hauptsächlich durch Wärme-leitung ohne größere Materialbewegungen. Beidiesem Prozess wächst die Lithosphäre zu einermächtigen zusammenhängenden globalen Kruste.Die hohe Dichte von Einschlagskratern auf diesenOberflächen belegt, dass diese Lithosphären altsind und sich relativ schnell nach ihrer Bildung sta-bilisiert haben.Planetare Körper, deren Wärmeverlust hauptsäch-lich durch Konvektion gekennzeichnet ist, habendagegen einen großen Anteil an vulkanischen Ab-lagerungen und damit eine hohe Oberflächener-neuerungsrate, was junge Oberflächenalter bele-gen. Eine durch Vulkanismus dominierte Geologiekennzeichnet die Venusoberfläche, den Jupiter-mond Io, vermutlich einige Eismonde – und dieErde, deren spezielle Form der Plattentektonik zu-sätzlich lange Gräben und Faltengebirge erzeugt.Die Energiebilanz der planetaren Entwicklung unddamit die thermische Entwicklung der Planeten istgrundlegend für das Verständnis geologischer Pro-zesse, aber bisher noch viel zu wenig verstanden.Nur in Grundzügen verstanden sind auch die plane-taren Magnetfelder. Die Erde besitzt seit mindes -tens 3,8 Milliarden Jahren ein globales Magnetfeld,das starken säkularen Variationen bis hin zu Umpo-lungen ausgesetzt ist und als Folge eines Dynamo-prozesses im elektrisch leitfähigen und flüssigenKern unseres Planeten verstanden werden kann.Die Geschichte des Erdmagnetfeldes spiegelt diethermische Entwicklung der Erde wider und lässtauf Konvektionsprozesse im Erdinneren schließen.Der Dynamoprozess ist selber aber wenig verstan-den. Numerische Simulationen liefern zwar ein zu-nehmendes Verständnis der für den Dynamopro-zess wichtigen physikalischen Rahmenbedingun-

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gen auf der Erde, erlauben aber zum Beispiel nichtdas relativ schwache planetare Magnetfeld des Pla-neten Merkur zu erklären. Generell lässt sich sagen,dass die Kenntnisse über die globalen Magnetfelderanderer Himmelskörper völlig unzureichend sind,um verallgemeinernde Aussagen zu treffen.

Notwendige FuE-AufgabenDie Erforschung des Sonnensystems mit anspruchs -vollen experimentellen Methoden erfordert denEinsatz modernster Technologien. Seit Beginn derErforschung mit Raumsonden hat sich ein gutfunktionierendes Netzwerk von Forschungsins -tituten und Industrie entwickelt. Die entstandenehohe technologische Kompetenz in Gebieten wieder Feinwerktechnik, optischen Verfahren, derHalbleitertechnologie oder Informationstechnolo-gie wird auch zunehmend in andere Anwendungs-bereiche transferiert.Das methodische Schwergewicht in der Sonnensys -temforschung liegt stark auf der Fernerkundungund in-situ Beobachtung durch Raumsonden. DieseMissionen werden in den allermeisten Fällen in Formgroßer internationaler Programme, oft im Rahmender ESA, durchgeführt. Die deutsche Sonnensystem-forschung ist eng in diese Programme eingebundenund spielt eine gestaltende Rolle. Laboruntersuchun-gen, theoretische und numerische Modellierungensowie bodengebundene Beobachtungen ergänzendas methodische Spektrum, wobei Letztere oftmalsauch an international finanzierten Großeinrichtun-gen durchgeführt werden.Die Auswertung planetarer Fernerkundungsdatenim Sinn einer kohärenten geowissenschaftlichenund planetologischen Interpretation erfordert eineübergreifende Betrachtungsweise aller wissen-schaftlichen, methodischen, datentechnischen undinstrumentspezifischen Fragestellungen. Daher müs- sen nicht nur geologische Auswertemethoden ent-wickelt und angewendet werden. Auch die Ent-wicklung von Verfahren zur Datenverarbeitung, dieSpezifikation von Instrumenten und die Entwick-lung und Anwendung von Verfahren zur Durch-führung von Weltraumexperimenten sind wichtigeAspekte der Sonnensystemforschung.

Eine besondere technische Expertise gibt es inDeutschland vor allem in der Entwicklung und imBau weltraumtauglicher Instrumente:– Stereoskopische und multispektrale Kamerasys -teme

– Laseraltimeter– optische Spektrometer – Instrumente zur chemischen und mineralogi-schen in-situ Analyse (Massenspektrometer,Gaschromatographen, radiometrische Instru-mente LIBS)

– Magnetometer– Radar- und Mikrowelleninstrumente– Abstands- und Abstandsänderungsmesssyste -me zur hochgenauen Positionierung von Raum-sonden und Schwerefeldbestimmung

– In-situ Technologien für Landesonden und Rover.

Weiterhin sind deutsche Institute führend an derEntwicklung neuartiger Technologien beteiligt, zumBeispiel in der Laseraltimetrie und der Spektroskopieim ther malen Infrarot. Die experimentell im Labor arbeitenden Gruppen inDeutschland beschäftigen sich mit den grundlegen-den physikalischen Prozessen der Entstehung undEntwicklung primitiver Körper im Sonnensystem undmit den Eigenschaften planetarer Materie. Die che-misch-mineralogische Analytik hat in den letzten 30Jahren enorme technische und methodische Fort-schritte gemacht. Mit der Erforschung der Meteoriteund der Mondgesteine, des interplanetaren Staubs,der Kometenteilchen und -gase sowie (in-situ) derMarsoberfläche wurden und werden bedeutendeBeiträge zum Verständnis der Entstehung und Ent-wicklung der so unterschiedlichen planetaren Kör-per – damit auch der Erde selbst – geleistet. Im Be-reich der Theorie und Modellierung beschäftigensich die deutschen Gruppen mit einer Vielzahl vondas Sonnensystem betreffenden Themen. Diese Ar-beitsgebiete reichen von der Modellierung des Son-nenwinds über die Dynamik des interplanetarenStaubs, der Asteroiden und Kometen bis zur Be-schreibung planetarer Phänomene wie Ringe, At-mosphären und Planetenentstehung.

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Unser blauer Planet – Die Bedeutung der Erde im Sonnensystem 107

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Bildnachweise:

Abb. 1-1: NASA; svs.gsfc.nasa.gov

Abb. 1-2: MARUM, Bremen

Tab. 1-1: Aus IPCC, Bericht 2007

Abb. 2-1: Aus Buggisch und Walliser 2001: Huchet. al. (Hrsg): Klimazeugnisse der Erdgeschichte.Springer Verlag.

Abb. 2-2: MARUM, Bremen

Abb. 2-3 (Links): IFM-GEOMAR, Kiel(Rechts): MARUM, Bremen

Abb. 2-4: MARUM, Bremen

Abb. 3-1: Universität Bremen

Abb. 3-2: MARUM, Bremen

Abb. 3-3: MARUM, Bremen

Abb. 4-1: Aus Wilding and Lin (2006): Advancingthe frontiers of soil science toward a geoscience.Geoderma 131, 257-274.

Abb. 4-2: Verändert nach »US-Critical Zone Explo-ration Network« http://www.czen.org/

Abb. 4-3: (Links) F. von Blanckenburg, (Mitte) nach Anderson, SP., von Blanckenburg, F.,White, AF. (2007): Physical and chemical controls inthe critical zones. Elements 3:315-319., (Rechts) aus White, AF., Schulz, MS., Vivit, DV.,Blum, AE., Stonestrom, DA., Anderson, SP. (2008):Chemical weathering of a marine terrace chronose-quence, Santa Cruz, California I: Interpreting ratesand controls based on soil concentration-depth pro-files. Geochim. Cosmochim. Acta 72:36-68.

Abb. 4-4: NCALM http://www.ncalm.org

Abb. 5-1 (Links): (Verändert nach von ASPO In-ternational)(Rechts): aus IEA (Internationale Energie Agentur)-Projektion des zukünftigen Energiebedarfs 2008.

Abb. 5-2 (Links): Karlsruher Institut für Technolo-gie, KIT(Rechts):Geothermie Neubrandenburg GmbH

Abb. 5-3: Rheinisch-Westfälisch Technische Hoch-schule Aachen, RHTH

Abb. 5-4 (Links): Miklos F. Laubert(Rechts): Damian Dovarganes

Abb. 5-5: Karlsruher Institut für Technologie, KIT

Abb. 6-1: Bayerisches Geoinstitut

Abb. 6-2: Mineralogisch-Petrologisches Institut,Universität Hamburg

Abb. 6-3: Bayerisches Geoinstitut

Abb. 6-4: Bayerisches Geoinstitut

Abb. 7-1: Allmann, Münchener Rück

Abb. 7-2: Deutsches GeoForschungsZentrum GFZ

Abb. 7-3: Malsch, Stefan

Abb. 7-4: Baltschieder, Bundesamt für Umwelt(BAFU), Schweiz

Abb. 8-1: Rheinisch-Westfälische Technische Hoch-schule Aachen, RWTH

Abb. 8-2: Institut für Kartographie und Geoinfor-matik, Universität Hannover

Abb. 8-3: Rheinisch-Westfälische Technische Hoch-schule Aachen, RWTH

Abb. 9-1: Deutsches Zentrum für Luft- und Raum-fahrt e. V., DLR

Abb. 9-2: EnMAP und seine Anwendungen in For-schung und Praxis

Abb. 10-1: NASA/JPL

Anhang –Bildnachweis / Impressum

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Anhang – Bildnachweis/Impressum 109

Abb. 10-2: Nach Van Thienen, P., K. Benzerara, D.Breuer, C. Gillmann, S. Labrosse, P. Lognonné andT. Spohn 2007: Water, Life, and Planetary Geody-namical Evolution. – Space Science Reviews 129(1-3): 167-203

Abb. 10-2: Nach Van Thienen, P., K. Benzerara, D.Breuer, C. Gillmann, S. Labrosse, P. Lognonné and

Impressum:

Herausgeber:Prof. Dr. Gerold WeferVorsitzender des Koordinierungsausschusses GEOTECHNOLOGIENMARUM Zentrum für marine UmweltwissenschaftenUniversität BremenE-Mail: [email protected]

Bezugsadresse:Koordinierungsbüro GEOTECHNOLOGIENTelegrafenberg14473 Potsdam

Internet: www.geotechnologien.deE-Mail: [email protected]

Layout/Satz:Dipl.-Des. Grit Schwalbe

Druck:Druckerei Arnold, Großbeeren

Auflage:1. Auflage, 1.000 StückPotsdam, April 2010

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AAzzam, Rafig, Aachen

BBamler, Richard, Oberpfaffenhofen-Wessling Bens, Oliver, PotsdamBerndt, Christian, KielBernhard, Lars, DresdenBill, Ralf, RostockBismayer, Ulrich, HamburgBlanckenburg, Friedhelm von, PotsdamBoetius, Antje, BremerhavenBohrmann, Gerhard, BremenBorm, Günter, Potsdam

CChristensen, Ulrich, Katlenburg-LindauCramer, Bernhard, Hannover

DDransch, Doris, Potsdam

EEmmermann, Rolf, Potsdam

FFlechtner, Frank, Oberpfaffenhofen

GGläßer, Cornelia, HalleGlassmeier, Karl-Heinz, BraunschweigGleixner, Gerd, JenaGrevemeyer, Ingo, KielGuggenberger, Georg, Hannover

HHarjes, Hans-Peter, BochumHiesinger, Harald, MünsterHorsfield, Brian, Potsdam Hübers, H.W., BerlinHuenges, Ernst, PotsdamHüttl, Reinhard, Potsdam

JJaumann, Ralf, Berlin Jessberger, Elmar K., Münster

KKaufmann, Hermann, Potsdam

Kaul, Norbert, BremenKempf, Sascha, HeidelbergKeppler, Hans, BayreuthKrawczyk, Charlotte, HannoverKühn, Michael, PotsdamKümpel, Hans-Joachim, Hannover

LLangenhorst, Falko, BayreuthLempp, Christoph, HalleLittke, Ralf, Aachen

MMeyer, Michael, KarlsruheMichaelis, Harald, BerlinMosbrugger, Volker, Frankfurt Mutschler, Thomas, Karlsruhe

NNeukum, Gerhard, Berlin

RReinhardt, Wolfgang, MünchenRummel, Reiner, München

SScheuermann, Alexander, KarlsruheSchilling, Frank, KarlsruheSchilcher, Matthäus, MünchenSchulz, Michael, BremenSchwalb, Antje, BraunschweigSester, Monika, HannoverShapiro, Serge, BerlinSommer, Michael, MünchebergSpohn, Tilmann, BerlinStroink, Ludwig, Potsdam

TTiedemann, Ralf, BremenTriantafyllidis, Theodor, Karlsruhe

WWagner, Stefan, HeidelbergWeber, Michael, PotsdamWefer, Gerold, BremenWenzel, Friedemann, KarlsruheWerner, Klaus, TübingenWimmer-Schweingruber, Robert, KielWürdemann, Hilke, Potsdam

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Anhang –Autorenverzeichnis

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Anhang – Autorenverzeichnis 111

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AUV Autonomous Underwater VehicleAWI Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung BremerhavenBMBF Bundesministerium für Bildung und ForschungBMU BundesumweltministeriumBMWi Bundesministerium für Wirtschaft und TechnologieCCS Carbon Capture & StorageCEN European Committee for StandardizationCHAMP Challenging Minisatellite PayloadCIGS Cu(In,Ga)(S,Se)2 SolarzelleCRYOSAT Satellit zur Vermessung der KryospäreCSLF Carbon Sequestration Leadership ForumDARA Deutschen Agentur für RaumfahrtangelegenheitenDAS Deutsche Anpassungsstrategie an den KlimawandelDEKLIM Deutsches KlimaforschungsprogrammDEPAS Deutscher Gerätepool für amphibische SeismologieDFG Deutsche ForschungsgemeinschaftDGM Digitales GeländemodellDIN Deutsche IndustrienormDLR Deutsches Luft- und RaumfahrtzentrumDNA DesoxyribonukleinsäureEADS European Aeronautic Defence and Space CompanyEDIM Earthquake Disaster Information System for the Marmara-RegionEnMAP Environmental Mapping and Analysis ProgramELER Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen RaumsESA Europäische Raumfahrt AgenturEU Europäische UnionEWS Early Warning SystemsFuE Forschung- und EntwicklungFuE-Programm Forschungs- und EntwicklungsprogrammGEM Global Earthquake ModelGEOSS Global Earth Observation System of SystemGDI Geodateninfrastrukturen GDI1.0 Geodateninfrastrukturen der ersten GenerationGIS GeoinformationssystemeGFZ GeoForschungsZentrum PotsdamGITEWS Deutsch-Indonesisches Tsunami FrühwarnsystemGMES Global Monitoring for Environment and SecurityGNSS Global Navigation Satellite SystemGOCE Gravity Field and steady-state Ocean Circulation ExplorerGRACE Gravity Recovery And Climate ExperimentGuTech German University of TechnologyHAZUS HAZards United StatesHTM HochtechnologiemetalleICSU Science Plan for Integrated Research and Disaster RiskIEA Internationale Energie AgenturIPCC Intergovernmental Panel on Climate ChangeIODP Integrated Osean Drilling ProgramISO Internationale Organisation für NormungKI Künstliche Intelligenz

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Anhang –Abkürzungen

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KMU Klein- und Mittelständische UnternehmenKW KohlenwasserstoffLED LeuchtdiodeICDP International Continental Deep Drilling ProgrammeICSU Science Plan for Integrated Research on Disaster RiskIUCN International Union of Conservation of NatureLIBS Laser Induced Breakdown SpectroscopyLIDAR Light Detection and RangingMeBo MeeresbodenbohrgerätMOR Mittelozeanischer RückenNASA National Aeronautics and Space AdministrationNCALM US National Center for Airborne Laser MappingOBH Ozeanboden-HydrophoneOBS Ozeanboden-SeismometerOCL Object Constraint LanguageOGC Open Geospatial ConsortiumOWL Web Ontology LanguageRDF Resource Description FrameworkRIMAX Risikomanagement extremer HochwasserereignisseROV Remotely Operated VehicleRWTH Rheinisch-Westfälisch Technische Hochschule SA StrahlungsantriebSAR Synthetik-Apertur-RadarsystemSLEWS EWS-Projekt im FuE-Programm GEOTECHNOLOGIENSMOS Soil Moistrure and Ocean SalinitySPOT-HRG Images for VegetationSUGAR Submarine Gashydrat-LagerstättenSWE Sensor Web EnablementTanDEM-X-Missionen TerraSAR-X add-on for Digital Elevation MeasurementsTerraSAR-X RadarsatellitTEEB The Economy of Ecosystems and BiodiversityTLS Transport Layer Security TM Thematic MapperUNISDR Hyoger Framework for ActionUS United StatesWBGU Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale UmweltveränderungenWPS Web-Processing Services

Anhang – Abkürzungen 113

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No. 1 Gas Hydrates in the Geosystem – Status Seminar,GEOMAR Kiel, 6–7 Mai 2002, Programm & Ab-stracts, 151 Seiten.

No. 2 Information Systems in Earth Management – Kick-Off-Meeting, Universität Hannover, 19 Februar2003, Projekte, 65 Seiten.

No. 3 Observation of the System Earth from Space – Sta-tus Seminar, BLVA Munich, 12–13 Juni 2003, Pro-gramm & Abstracts, 199 Seiten.

No. 4 Information Systems in Earth Management – Sta-tus Seminar, RWTH Aachen University, 23–24 März2004, Programm & Abstracts, 100 Seiten.

No. 5Continental Margins – Earth’s Focal Points ofUsage and Hazard Potential – Status Seminar, Geo-ForschungsZentrum (GFZ) Potsdam, 9–10 Juni2005, Programme & Abstracts, 112 Seiten.

No. 6 Investigation, Utilization and Protection of the Un-derground – CO2-Storage in Geological Formati-ons, Technologies for an Underground SurveyAreas – Kick-Off-Meeting, Bundesanstalt für Geo-wissenschaften und Rohstoffe (BGR) Hannover,22–23 September 2005, Programm & Abstracts,144 Seiten.

No. 7 Gas Hydrates in the Geosystem – The German Na-tional Research Programm on Gas Hydrates, Re-sults from the First Funding Period (2001–2004),219 Seiten.

No. 8Information Systems in Earth Management – FromScience to Application, Results from the First Fun-ding Period (2002–2005), 103 Seiten.

No. 9 1. French-German Symposium on Geological Sto-rage of CO2, Juni 21./22. 2007, GeoForschungs-Zentrum Potsdam, Abstracts, 202 Seiten.

No. 10 Early Warning Systems in Earth Management –Kick-Off-Meeting, Technische Universität Karls-ruhe, 10 Oktober 2007, Programm & Abstracts,136 Seiten.

No. 11 Observation of the System Earth from Space – Sta-tus Seminar, 22–23 November 2007, Bavarian Aca-demy of Sciences and Humanities, Munich, Pro-gramm & Abstracts, 194 Seiten.

No. 12 Mineral Surfaces – From Atomic Processes to Indu-strial Application – Kick-Off-Meeting, 13–14 Okto-ber 2008, Ludwig-Maximilians-Universtität, Mün-chen, Programm & Abstracts, 133 Seiten.

No. 13 Early Warning Systems in Earth Management–Status Seminar, 12–13 Oktober 2009, TechnischeUniversität München, Programm & Abstracts, 165Seiten.

No.14Die geologische Speicherung von CO2 – AktuelleForschungsergebnisse und Perspektiven, Koordi-nierungsbüro GEOTECHNOLOGIEN Potsdam, 2009140 Seiten.

No. 15 Early Warning Systems for Transportation Infra-structures, Workshop 9-10 Februar 2009Fraunhofer IITB Karlsruhe und Karlsruhe Institut fürTechnologie, KIT. Programm und Abstracts, 160Seiten.

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Anhang –GEOTECHNOLOGIEN Science Report Reihe

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Page 117: Zukunftssicherung für Mensch und Erde

Anhang – GEOTECHNOLOGIEN Science Report Reihe 115

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Notizen

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Page 119: Zukunftssicherung für Mensch und Erde

Zukunftssicherungfür Mensch und ErdeKonzeption zur Weiterentwicklung des geowissenschaftlichenForschungs- und Entwicklungsprogramms GEOTECHNOLOGIENdes Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) undder Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG)

Kontakt:Dr. Ute MünchKoordinierungsbüro GEOTECHNOLOGIENTelegrafenberg, 14473 PotsdamTel. 0331-288 [email protected]

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