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1 3 ANGEWANDTE GEOGRAPHIE Durch freiwerdende Flächen in der Innenstadt und am Stadt- rand bot sich der Europastadt Passau die einmalige Chance, eine neue urbane Mitte und ein neues Gewerbe- und Wohn- gebiet zu planen. Die ersten Stadtentwicklungsideen in den 1990er Jahren waren zukunftsorientiert und innovativ: für die „Neue Mitte“ sogar visionär und für den „Wohnpark“ fortschrittlich. Die Planungen, die „Neue Mitte“ zu einem kulturellen Zentrum, vielleicht zu einem Magneten mit europäischer Wirkung zu machen, wurden jedoch ebenso verworfen wie die vorbildlichen, ökologischen und sozial- verträglichen Ziele des Wohnparks. Die Zukunft der Stadt ist mit diesen Projekten kaum gesichert worden. Die städtebauliche Ausgangssituation Der Stadtentwicklung in Passau bot sich zum Beginn der 1990er Jahre die einmalige Chance für die Innenstadt, wie auch für den südwestlichen Stadtrand in Passau-Kohlbruck (Abb. 1), zukunftsorientiert zu planen. An einer der wichti- gen Ausfallstraßen (B12), in unmittelbarer Nähe zur Auto- bahn (A3/A94), konnte die Stadt 1994 nach Schließung einer Bundeswehrkaserne und der Aufgabe des Standort- übungsplatzes insgesamt 71,5 ha erwerben. Damit bot sich die Möglichkeit, neuen Wohnraum und Gewerbeflächen zu schaffen und Funktionen aus der Innenstadt dorthin zu verle- gen. Gleichzeitig hatte man bereits über eine neue städtische Mitte, unmittelbar anschließend an das Hauptgeschäfts- gebiet (Neumarkt), nachgedacht. Dort im Westen lag ein wenig bebautes Areal (Abb. 2): In seiner Mitte befand sich der großflächige Exerzierplatz (Parkplatz, Dult- und Aus- stellungsfläche), im Südwesten grenzte das Nikolakloster (Universität, Einrichtungen der Deutschordensschwestern) an, im Nordwesten lag das Bahnhofsgelände mit seinen Gleisanlagen, im Osten dominierte die gewaltige Nibelun- genhalle. Sie war 1935 nach der Machtergreifung der Natio- nalsozialisten als Volksversammlungshalle errichtet worden und wurde deshalb bis in die jüngste Zeit immer wieder von rechtsextremen neonazistischen Parteien als Versammlungs- ort gewählt, was auch durch Proteste und den Widerstand der Bevölkerung nicht zu verhindern war. Die Nibelungen- halle war aber auch seit 1975 traditioneller Austragungsort des medienwirksamen „Politischen Aschermittwochs“ der CSU, sie beherbergte einen ebenso traditionellen „Indoor“- Weihnachtsmarkt und stand für Ausstellungen und Kultur- veranstaltungen zur Verfügung. Der Bau einer modernen Großveranstaltungshalle auf den neuen Erweiterungsflä- chen in Passau-Kohlbruck wurde beschlossen, womit der „nationalsozialistische Erinnerungsort“ Nibelungenhalle getilgt werden konnte. In der Öffentlichkeit erhielt diese städtebauliche Entscheidung umfassende Zustimmung. Die Umgestaltung des Exerzierplatzes, wodurch die traditio- nelle Mai- und Herbstdult – ein bei den Bürgerinnen und Bürgern der Region beliebter Jahrmarkt – hier nicht mehr hätten stattfinden können, stieß dagegen auf breite Ableh- nung. Erst ein Bürgerbegehren eröffnete 2000 den Weg zur Neugestaltung. Das Projekt „Neue Mitte“ – Vision und Planung Pläne zur Errichtung einer neuen urbanen Mitte wurden seit 1997 vom Stadtentwicklungsreferat verfolgt, wobei das ursprüngliche Areal der ehemaligen Nibelungenhalle und des Exerzierplatzes („Neue Mitte“) um das im Nordwesten STANDORT (2013) 37:150–155 DOI 10.1007/s00548-013-0284-y Zukunftsweisende Stadtentwicklungsprojekte in Passau – und was aus ihnen wurde Die „Neue Mitte“ und der neue „Gewerbe- und Wohnpark Passau-Kohlbruck“ Ernst Struck Prof. Dr. E. Struck () Lehrstuhl für Anthropogeographie, Universität Passau, 94030 Passau, Deutschland E-Mail: [email protected] Online publiziert: 7. August 2013 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013

Zukunftsweisende Stadtentwicklungsprojekte in Passau – und was aus ihnen wurde

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AngewAndte geogrAphie

durch freiwerdende Flächen in der innenstadt und am Stadt-rand bot sich der europastadt passau die einmalige Chance, eine neue urbane Mitte und ein neues gewerbe- und wohn-gebiet zu planen. die ersten Stadtentwicklungsideen in den 1990er Jahren waren zukunftsorientiert und innovativ: für die „neue Mitte“ sogar visionär und für den „wohnpark“ fortschrittlich. die planungen, die „neue Mitte“ zu einem kulturellen Zentrum, vielleicht zu einem Magneten mit europäischer wirkung zu machen, wurden jedoch ebenso verworfen wie die vorbildlichen, ökologischen und sozial-verträglichen Ziele des wohnparks. die Zukunft der Stadt ist mit diesen projekten kaum gesichert worden.

Die städtebauliche Ausgangssituation

der Stadtentwicklung in passau bot sich zum Beginn der 1990er Jahre die einmalige Chance für die innenstadt, wie auch für den südwestlichen Stadtrand in passau-Kohlbruck (Abb. 1), zukunftsorientiert zu planen. An einer der wichti-gen Ausfallstraßen (B12), in unmittelbarer nähe zur Auto-bahn (A3/A94), konnte die Stadt 1994 nach Schließung einer Bundeswehrkaserne und der Aufgabe des Standort-übungsplatzes insgesamt 71,5 ha erwerben. damit bot sich die Möglichkeit, neuen Wohnraum und Gewerbeflächen zu schaffen und Funktionen aus der innenstadt dorthin zu verle-gen. gleichzeitig hatte man bereits über eine neue städtische Mitte, unmittelbar anschließend an das hauptgeschäfts-gebiet (neumarkt), nachgedacht. dort im westen lag ein wenig bebautes Areal (Abb. 2): in seiner Mitte befand sich

der großflächige Exerzierplatz (Parkplatz, Dult- und Aus-stellungsfläche), im Südwesten grenzte das Nikolakloster (Universität, einrichtungen der deutschordensschwestern) an, im nordwesten lag das Bahnhofsgelände mit seinen gleisanlagen, im osten dominierte die gewaltige nibelun-genhalle. Sie war 1935 nach der Machtergreifung der natio-nalsozialisten als Volksversammlungshalle errichtet worden und wurde deshalb bis in die jüngste Zeit immer wieder von rechtsextremen neonazistischen Parteien als Versammlungs-ort gewählt, was auch durch proteste und den widerstand der Bevölkerung nicht zu verhindern war. die nibelungen-halle war aber auch seit 1975 traditioneller Austragungsort des medienwirksamen „politischen Aschermittwochs“ der CSU, sie beherbergte einen ebenso traditionellen „indoor“-weihnachtsmarkt und stand für Ausstellungen und Kultur-veranstaltungen zur Verfügung. der Bau einer modernen Großveranstaltungshalle auf den neuen Erweiterungsflä-chen in passau-Kohlbruck wurde beschlossen, womit der „nationalsozialistische erinnerungsort“ nibelungenhalle getilgt werden konnte. in der Öffentlichkeit erhielt diese städtebauliche entscheidung umfassende Zustimmung. die Umgestaltung des Exerzierplatzes, wodurch die traditio-nelle Mai- und herbstdult – ein bei den Bürgerinnen und Bürgern der region beliebter Jahrmarkt – hier nicht mehr hätten stattfinden können, stieß dagegen auf breite Ableh-nung. erst ein Bürgerbegehren eröffnete 2000 den weg zur neugestaltung.

Das Projekt „Neue Mitte“ – Vision und Planung

pläne zur errichtung einer neuen urbanen Mitte wurden seit 1997 vom Stadtentwicklungsreferat verfolgt, wobei das ursprüngliche Areal der ehemaligen nibelungenhalle und des Exerzierplatzes („Neue Mitte“) um das im Nordwesten

StAndort (2013) 37:150–155doi 10.1007/s00548-013-0284-y

Zukunftsweisende Stadtentwicklungsprojekte in Passau – und was aus ihnen wurdeDie „Neue Mitte“ und der neue „Gewerbe- und Wohnpark Passau-Kohlbruck“

Ernst Struck

prof. dr. e. Struck ()Lehrstuhl für Anthropogeographie, Universität passau, 94030 passau, deutschlande-Mail: [email protected]

online publiziert: 7. August 2013© Springer-Verlag Berlin heidelberg 2013

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Abb. 1 die neuen Stadtent-wicklungsgebiete passaus: „neue Mitte“ und „gewerbe und wohnpark passau-Kohl-bruck“. (Quelle: geobasisdaten Bayerische Vermessungsver-waltung, Stadt passau, Abt. geoinformation und Vermes-sung (2013))

Abb. 2 die westliche innenstadt passaus vor dem projekt „neue Mitte“ (links) und nach Abschluss des projekts 2008 (rechts). (Quelle: Karten-grundlage Zink/Universität passau)

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anschließende Bahngelände erweitert werden konnte. Für das Bahngelände war von Anfang an ein einkaufszentrum geplant (Abb. 2). Verschiedene nutzungsvorschläge und pläne wurden für die „neue Mitte“ vorgelegt, der Öffent-lichkeit präsentiert und diskutiert (eine Variante in Struck 1998, S. 112).

der privatinitiative „Konzerthaus passau“ gelang es, den österreichischen Künstler André heller, der sich selbst als „reanimateur des Urbanen“ bezeichnete, für eine visionäre Zukunftsplanung der „Neuen Mitte“ zu verpflichten. Ein-stimmig beauftragte der Stadtrat im Juli 1998 den Künst-ler, sich an der planung zu beteiligen. Bereits im Januar 1999 stellte André heller seine idee eines „Kulturhauses und Kulturparks“ vor, einer „grünen Kulturoase im herzen europas“. Schließlich war passau, das 1980 als erste baye-rische Stadt den titel „europastadt“ trug, mit der grenzöff-nung zu tschechien und der bevorstehenden osterweiterung tatsächlich in die „Mitte europas“ gerückt. passaus „neue Mitte“ sollte ein „Kultur- und emotionsort“ werden, eine erlebniswelt ganz im Sinne von hellers viel beachteten „Kristallwelten“ und „wunderkammern“, die er 1995 für das Unternehmen Swarovski in wattens kreiert hatte. in einem „europäischen haus“ sollten, bezugnehmend auf die europäische kulturelle identität, Ausstellungen und Ver-anstaltungen stattfinden und herausragende europäische Kunstobjekte und Artefakte dauerhaft präsentiert werden. ein publikum aus ganz europa würde hierzu nach passau kommen wollen, hieß es. das dach des „europäischen Kul-turhauses“ hätte einen ansteigenden „Volkspark“ getragen, von dem aus ein panoramablick über die Stadt möglich gewesen wäre (Abb. 3).

Zuerst wurde das visionäre projekt von Öffentlichkeit und politik begeistert aufgenommen – wenig später jedoch meldeten sich mit heftiger Kritik der Stadtentwicklungs-referent, Architekten, die Fachpresse und vor allem das Feuilleton der Süddeutschen Zeitung zu wort („etwas archi-tektonisch hässlicheres als dieser Furunkel…“). heller bezeichnete die heftige Kritik als „eine Art glaubenskrieg“; der Oberbürgermeister sprach sogar vom Einfluss einer „Architektenmafia“ (vgl. u. a. Oliver Herwig in der Neuen Zürcher Zeitung 1999). der Stadtrat beschloss danach, diese planung nicht weiter zu verfolgen und plädierte im oktober 1999 für eine kleine Lösung mit Kaufhaus und Konzertsaal. trotz dieser erfahrung blieb man einer zukunftsorientierten Stadtentwicklung grundsätzlich weiterhin verpflichtet und legte die planungsziele in einem Leitbild fest: „passau steht in Zukunft für eine visionäre, konzeptionelle und ganzheit-liche Stadtentwicklung“ (Stadt passau 2002).

gegen die laufende planung mit einem einkaufszentrum und Kulturkaufhaus wurden grundsätzliche Vorbehalte vor-getragen. Man befürchtete, dass hierfür die Kaufkraft in Stadt und region nicht ausreichen und es zu einer deutli-chen Schwächung des einzelhandels kommen könnte. So

beschloss wenig später im Juli 2002 der Stadtentwicklungs- und Kulturausschuss als grundlage für die planung der „Neuen Mitte“ nur allein „eine Grünfläche“, „öffentliche Grünflächen vor der Universität“ und einen „städtischen Platz als Kommunikations- und Vernetzungsfläche in Zusammenhang mit der übrigen nutzung“. entsprechend wurden ganz überwiegend kulturelle Funktionen vorge-schlagen: ein Bürgerzentrum mit Jugendeinrichtungen, Bibliothek, Kino, Stadtplatz mit gastronomie und Café, Konzerthaus sowie wohnungen (vgl. Karte in Struck 1998, S. 112). damit sollte eine neue öffentliche Attraktion in der Stadt und für die gesamte region entstehen.

der Stadtrat gab eine Machbarkeitsstudie in Auftrag, die drei Varianten vorschlug. Ungeachtet dessen forderte die Stadt wenig später potenzielle investoren zur einreichung eigener planungsvorschläge auf. Mit dieser politischen ent-scheidung lieferte sie „das Filetstück der passauer Zukunfts-entwicklung dem kommerziellen interesse aus“ (Ueblacker 2007, S. 26). es schloss sich 2003 ein „städtebaulicher wettbewerb“ an, der aber für die planer zentrale investoren-vorgaben festschrieb, während gleichzeitig die Stadt einen eigenen Bebauungsplan erarbeitete. der städtische plan wurde schließlich ausgeführt, was den wettbewerbsgewin-ner veranlasste, sich aus der weiteren planung zurückzuzie-hen. eine Bürgerinitiative „Maßvolle neue Mitte“ forderte 2004 forderte eine Verringerung der Einzelhandelsflächen, lehnte den städtebaulichen Akzent eines turms ab und plä-dierte für mehr grün. Sie scheiterte. ein gestaltungsbeirat setzte die planung fort, wobei es nur noch um die Baumas-sen, Bauhöhen und zuletzt um die Farbe der Fassadenge-staltung ging.

ein Konzerthaus war in allen planungen vorgesehen, da für die jährlich stattfindenden und überregional bekannten „Festspiele europäische wochen“ kein angemessener Kon-zertsaal zur Verfügung stand. Auch hierzu wurden die pas-sauer einwohner zum Bürgerentscheid aufgerufen. der Bau

Abb. 3 die visionäre „neue Mitte“ – André hellers planungsvor-schlag „europäisches Kulturhaus und Kulturpark“. (Foto © Jäger/pnp 1999)

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wurde, vor allem wegen der zu erwartenden Unterhaltskos-ten, im oktober 2007 abgelehnt.

Das Projekt „Neue Mitte“ –die Realität

die neue urbane Mitte passaus besteht heute aus dem „Shopping-Center – Stadtgalerie“ (eCe projektmanage-ment, hamburg), dem „Businessareal – Stadtturm mit Spar-da-Haus“ (Kapfinger Vermögensverwaltung, Passau), dem zentralen Busbahnhof (ZoB) und einem park (Klostergar-ten) (vgl. Brinkmann 2007, Feldmaier 2007).

Kern der „neuen Mitte“ ist das „Businessareal“ mit sei-nem „Stadtturm“ (38 Meter hoch, fertiggestellt im August 2006, Abb. 4). insgesamt stehen hier 19.000 qm für handel, dienstleistung und gastronomie zur Verfügung. durch ein überdachtes Forum zwischen den gebäudeteilen erreicht man das südöstlich angrenzende dienstleistungszentrum „Sparda-haus“ (9.000 qm), dem ursprünglich das „euro-päische haus“, zuletzt als kleines Konzerthaus entworfen, vorgelagert sein sollte. Dort liegt heute eine Grünfläche, in deren Mitte sich der Zugang zur darunter liegenden „Zen-tralgarage“ befindet. Auf der anderen Seite im Nordwes-ten, dem ehemaligen Bahngelände, ist die dreigeschossige „Stadtgalerie“ entstanden, die das kommerzielle Flächen-angebot um 21.000 qm erweitert (90 geschäfte, seit 2008).

Stadtplanung und investoren gingen selbstverständ-lich davon aus, dass mit diesem deutlich erweiterten ein-zelhandels- und dienstleistungsangebot neue Kunden aus dem weiten Umland kommen würden. passaus Attraktivität wäre damit zu steigern gewesen. Kritiker sagten dagegen eher einen Verdrängungswettbewerb in der innenstadt und eine Verlagerung von einzelhandel und dienstleistungen in die neue Mitte voraus. Über mehrere Jahre waren die Leerstände in der innenstadt nicht zu übersehen, so steht auch heute noch das älteste Shopping-Center der Stadt (17.000 qm), die „donaupassage“ am Bahnhof, nahezu leer. dabei ist es ohne Zweifel gelungen, in der innenstadt (neu-markt) das Angebot zu spezialisieren und den niedergang abzuwenden. ein erfolg ist es, dass der einzelhandelsum-satz trotz des zusätzlichen Angebots in „Stadtgalerie“ und „neuer Mitte“ nahezu gleich geblieben ist: er stieg von 2005 bis 2012 von 547 auf 550 Mio. € (Am Sonntag 2013; passauer neue presse 2013). dies liegt hauptsächlich daran, dass das warenangebot zwar quantitativ erweitert worden ist, es aber insgesamt auf nahezu gleichem niveau, wie das der übrigen innenstadt liegt. ein höherwertiges Angebot, wie von den investoren avisiert (Zara, peek und Cloppen-burg), gibt es bis heute nicht. neue Kunden können damit kaum aus dem Umland hinzugewonnen werden.

eine Besonderheit der neuen urbanen Mitte ist ihre erreichbarkeit (Abb. 2). in der städtischen planung ging man vom Kundenwunsch aus, dass die Besucher – wie im

Abb. 4 die realisierte „neue Mitte“ – Hauptgebäudekomplex „Businessareal mit Stadtturm“. (Foto © Struck 2013)

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ländlich geprägten Umland sicherlich üblich – möglichst bis vor ein geschäft fahren und dort auch parken wollen. diese Vorstellung entsprach ganz dem investorenwunsch für die „Stadtgalerie“, bei der man parkplätze auf dem dach vorsah. Um die 500 parkplätze über dem Shopping-Cen-ter erreichen zu können, musste eine aufwendige tunnel-zufahrt gebaut werden (einfahrt Am Schanzl). gleichzeitig wurde eine tiefgarage unter dem „Business-Center“ und dem „Konzerthausareal“ gebaut, die mit dem angrenzen-den parkhaus (nikolastrasse) verbunden wurde. insgesamt stehen damit 1.500 pkw-Stellplätze zur Verfügung. ebenso schnell sollten auch die Kunden des öffentlichen nahver-kehrs hierher kommen können. So liegt der neue „Zentrale Busbahnhof ZoB“ (2007), den täglich ca. 800 Busse mit etwa 10.000 personen anfahren, genau zwischen „Stadt-turm“ und „Stadtgalerie“. Mit dieser planung wird der Ziel-verkehr direkt in die innenstadt geführt und verstärkt den wegen der topographischen Lage nicht ableitbaren durch-gangsverkehr über inn- und donaubrücke. die verschie-denen Versuche der Verkehrsplanung, durch großräumige Umleitung den trichtereffekt abzuschwächen, zeigen wenig erfolg. die zunehmenden Staus und die Umweltbelastung in der neuen urbanen Mitte sind nicht zu übersehen. die ruhe- und erholungsfunktion des „Klostergartens“ wird deutlich eingeschränkt.

Der neue „Gewerbe- und Wohnpark“ in Passau-Kohlbruck – Planung und Realisierung

Die Erweiterungsflächen der Stadt im Südwesten liegen äußerst verkehrsgünstig und in landschaftlich hochattrak-tiver Lage an einem Landschaftsschutzgebiet und dem angrenzenden Forst neuburger wald. die planung sollte den Anforderungen von „wirtschaft, Kultur, Freizeit und wohnen“ gleichermaßen gerecht werden und für Messen, Großveranstaltungen und Gewerbeflächen Raum schaf-fen. Für den Bereich „wohnen“ wurde ein städtebaulicher ideenwettbewerb „Siedlungsmodell passau-Kohlbruck“ ausgelobt.

der gewerbe- und Messepark bildet den Kern des neuen Stadtviertels. die multifunktionale „dreiländerhalle“, 2004 geschaffen als ersatz für die nibelungenhalle, wird umgeben von den einrichtungen des Messeparks und den gewerbebauten. die sanierten ehemaligen Kasernenge-bäude wurden im gewerbepark durch neubauten ergänzt, beispielsweise mit einem architektonisch anspruchsvollen Konferenzzentrum (ca. 110 Unternehmen, 1.900 Arbeits-plätze). der Messeplatz steht für Ausstellungen und vor allem für die traditionelle dult im Frühjahr und im herbst zur Verfügung; seine gesamte Länge nimmt ein fünfstöcki-ges parkhaus ein (700 plätze). Auf der gegenüberliegenden

Seite liegen zwei kleine Veranstaltungshallen, die „X-point halle“ und die multifunktionale „eis-Arena“.

die Bereiche „wohnen“ und „Sich erholen“ wurden am rande des Landschaftsschutzgebiets und der angrenzen-den wälder vorgesehen. im norden liegt auf abschüssigem gelände das „passauer erlebnisbad peB“ (2005), das zwei veraltete Schwimmbäder im Stadtgebiet ersetzt, im westen der wohnpark. er wurde auf der grundlage des bayerischen programms „Siedlungsmodelle“ (seit 1994) errichtet, in dem innovative planungen zum kostengünstigen Bauen mit ökologischen und sozialverträglichen Ansprüchen vorge-schlagen wurden (vgl. Mühle und Mahl-gebhard 1999). So fasste der ausgewählte entwurf den „wohnpark Kohlbruck“ als „Antithese zur üblichen einfamilienhausbesiedlung in Übergangsbereichen von Stadt- und Landschaftsraum“ auf (Stracke 1998, S. 45). es sollte, um im Sinne des „sustai-nable urban development“ Landschaft und Freiraum zu schonen, eine hohe bauliche dichte erzielt werden. die ursprünglich geplanten 350 häuser waren mit kleinen gartenhöfen ausgestattet und sollten auf einer Fläche von 5,6 ha in identitätstiftende Quartiere gegliedert werden. ein ressourcenschonendes und umweltgerechtes Leitbild wurde erstellt, das beispielsweise den sinnvollen Umgang mit Regenwasser, einen Grünordnungsplan der Freiflächen unter Berücksichtigung der Artenmannigfaltigkeit (autoch-thone Pflanzen) und eine zentrale Wärmeversorgung der häuser vorsah. Mit dem Bau des ersten Quartiers wurde 1998 begonnen. hingewiesen wurde darauf, dass es „ent-scheidend für den erfolg des projekts ist, ob sich in einem absehbaren Zeitraum ein Nachfragepotential findet, das in den innovativen Zielsetzungen die entsprechung zu indi-viduellen Lebensentwürfen sehen kann“ (Stracke 1998, S. 48).

das nachfragepotenzial für ein derartiges innovatives und ökologisches wohnprojekt erwies sich im großraum passau als zu gering. trotz umfangreicher Förderung bei der Finanzierung der günstigen preise wurde eine hochver-dichtete Bebauung in städtisch-moderner Architektur selbst von jungen Familien nicht akzeptiert. So gab man nach der erstellung des ersten Bauabschnitts mit 84 einheiten bereits 2000/2001 das Konzept auf. im übrigen wohnpark konn-ten danach die grundstücksgrößen weitgehend frei gewählt werden, ganz wie im sonstigen Umland konnten individu-elle häuser errichtet werden (insges. bisher 150 häuser, jetzt neu geplanter endausbau 240 häuser).

Was aus der zukunftsweisenden Stadtentwicklung wurde

ganz ohne Zweifel war in den 1990er Jahren eine zukunfts-orientierte und innovative planung das Ziel der Stadtpoli-tik und der Stadtentwicklung. Man wollte vorbildliche

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Lebens- und Arbeitsräume schaffen. Zur gestaltung einer neuen urbanen Mitte hatte man sogar den Mut, einen inter-nationalen Visionär wie André heller zu beteiligen. die Politik entschied sich aber dann unter dem Einfluss mäch-tiger potenzieller investoren für einen ganz anderen weg. So ist, abgesehen vom „Klostergarten“, keine einzige der ursprünglich geplanten öffentlichen und kulturellen ein-richtungen realisiert worden; zuletzt wurde das Konzerthaus durch einen Bürgerentscheid verhindert. die „neue Mitte“ mit dem benachbarten „neuen Shopping-Center“ ist danach ein ausschließlich kommerzielles projekt geworden, das passau weder als einkaufsstadt noch durch mögliche neue kulturelle Angebote attraktiver gemacht hat.

ebenso wenig konnten die landschaftsschonenden nach-haltigen und ökologischen Ziele des innovativen Siedlungs-modells „wohnpark Kohlbruck“ erreicht werden. Aus dem projekt, das weitreichende Beispielfunktion haben sollte, ist ein Baugebiet für einfamilienhäuser geworden, wie es über-all zu finden ist. Dagegen hat sich das Projekt „Messe- und gewerbepark Kohlbruck“ bestens entwickelt und ist wegen der Funktionen, die aus der Stadt hierhin verlegt wurden, gut eingebunden und ergänzt das zentrale Angebot.

die einmalige Chance, durch freigestellte Flächen in der Stadtmitte und am Stadtrand wirksame Strukturveränderun-gen anzustoßen, wurde nicht genutzt. dabei steht die Stadt jedoch vor gewaltigen herausforderungen, die sich aus der demografischen Entwicklung und der Lage in einem groß-stadtfernen und industriearmen wirtschaftsraum ergeben. So kämpft passau nach Bekanntgabe der letzten amtlichen einwohnerzahl mit einem Bevölkerungsschwund; seine einwohnerzahl ist unter 50.000 gesunken, als oberzent-rum wird es aber wohl nicht in Frage gestellt werden. Um überregionale Bedeutung zu gewinnen, hat sich passau aber auch nicht qualitativ als „europastadt“ in der „Mitte euro-pas“ positionieren können. in seiner entwicklung ist danach passau weit vom eigenen Leitbild einer „visionären, kon-zeptionellen und ganzheitlichen Stadtentwicklung“ entfernt.

Literatur

Am Sonntag (2013, 27. Jan.) hat das eCe-Center den einzelhänd-lern in passau geschadet? wissenschaftlerin liefert Fakten, Verlag neue presse Multimedia nr. 4, S. 4

Brinkmann U (2007) Schweigen ist gold. die Architektur der neuen Mitte. Bauwelt 20:30–35 Bauverlag Berlin

Feldmaier S (2007) neue Mitte passau. welche Chancen und gefahren bergen 23.000 Quadratmeter Verkaufsfläche für das historische Zentrum? Bauwelt 20:18–23 Bauverlag Berlin

herwig o (1999) Flic Flac in passau. der Allrounder André heller als Architekt. neue Züricher Zeitung vom 2. März 1999: = 4055. Zugegriffen: 8. Juli 2013

Mühle g, Mahl-gebhard J (1999) Modellprojekt passau „ Kohlbruck“. in: oberste Baubehörde im Bayerischen Staatsministerium des innern (hrsg.) Siedlungsmodelle: neue wege zu preiswer-tem, ökologischem und sozialem wohnen in Bayern. München, S. 64–71

passauer neue presse (2013, 9. Feb.) der passauer Konsument im Visier von Studien. nr. 34, S. 23 Verlag neue presse Multimedia

Stadt passau (2002) Leitbild der Stadt passau. http://www.olev.de/l/leitbilder/de-passau.htm. Zugegriffen: 8. Juli 2013

Stracke F (1998) planen am Stadtrand. passau „Kohlbruck“. in: oberste Baubehörde im Bayerischen Staatsministerium des innern (hrsg) Siedlungsmodelle: ideen, Konzepte, planungen. München, S. 45–49, 133

Struck E (1998) Passau – die Dreiflüssestadt. Von der historischen Lagegunst zum aktuellen Stadtentwicklungsproblem. in: Breuer t, Jürgens C (hrsg.) Luft- und Satellitenbildatlas. regensburg und das östliche Bayern. München, S. 108–113

Ueblacker M (2007) der weg zur neuen Mitte: eine Chronologie des Verfahrens. Bauwelt 20:24–29 Bauverlag Berlin

Prof. Dr. Ernst Struck, Studium der Fächer geographie und ger-manistik an der Universität düsseldorf und promotion (ebd. 1984), seit 1982 an der Universität passau, habilitation (1991), 1994–2000 professor für wirtschaftsgeographie an der Universität würzburg, seit 2000 inhaber des Lehrstuhls für Anthropogeographie an der Univer-sität passau. Arbeitsschwerpunkte: Kulturgeographie, regionalfor-schung türkei, Lateinamerika, europäische Union.