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Prof . Dr. Eric Mhrel
Zum Problem der Anerkennung und Verantwortung bei
Emmanuel Lvinas
Vorwort
Dieses Vorwort, als Nachwort geschrieben, widme ich der Danksagung an jene Menschen, die
mit Grund fr meine Inspiration zur vorliegenden Arbeit waren oder meine
Auseinandersetzung mit dem Werk von Emmanuel Lvinas' begleitet haben.
Danken mchte ich den Kindern und Jugendlichen im Godesheim in Bonn sowie den
Probanden der Bewhrungshilfe Waldbrl, mit denen ich zeitlich aufeinanderfolgend eine je
eigene Lebenswelt teilen durfte. Im alltglichen Miteinander warfen sie in mir immer wieder
neu die Frage des Anderen auf, die mich zur Philosophie Lvinas' fhrte.
Danken mchte ich Prof. Dr. Rafael Capurro fr seine uerst engagierte Begleitung meiner
Arbeit, wobei seine klaren Rckmeldungen im Rahmen unserer konstruktiven Diskussionen
mir oft weiter geholfen haben, sowie Prof. Dr. Gnther Bien fr seine Bereitschaft, als
Mitberichter zu agieren.
Ein Danke schn auch meiner Frau Michaela und meinen Kindern Linus und Jasper, die mich
einerseits oft ber das bliche Ma hinaus entbehren muten und andererseits dafr sorgten,
da ich im Familienleben immer wieder ganz schnell auf andere Gedanken kam, was sich sehr
erholsam auf mich auswirkte. Zudem sei hier an meine Eltern gedacht, die meine Arbeit
grozgig finanziell untersttzten.
Dank sei auch meinen Freunden - sowie meinem Bruder Klaus - fr den regen
Gedankenaustausch bezglich der von mir aufgeworfenen Thematik. Besonders hervorgeho-
ben seien hier Markus Hundeck, Dr. Klemens Baake und Richard Bittner.
Prof . Dr. Eric Mhrel
0. Einleitung
"Es ist nicht sicher, da im Anfang der Krieg war."1
Diese uerung Emmanuel Lvinas' bezglich seines Zweifels, ob der Kampf die
grundlegende Beziehungsebene der zwischenmenschlichen Begegnung ist, bildet den
tragenden Grund fr die folgenden Betrachtungen.
Inspiriert wurden meine Bemhungen durch die Eindrcke und Erfahrungen, die ich im
Rahmen meiner Ttigkeit als Diplom-Sozialarbeiter in einem Kinder- und Jugendheim sowie
in der Bewhrungshilfe gesammelt habe.
Bei den mir anvertrauten Menschen stie ich immer wieder auf deren Sehnsucht nach
Anerkennung der eigenen Person. Es handelt sich dabei um den Wunsch nach liebevoller
Annahme, nach Wrdigung, ein Gleicher unter Gleichen zu sein und zuletzt nach
Respektierung der Einzigartigkeit der eigenen Persnlichkeit. Hierfr werden zur Sicherung
oder Erlangung von sozialer Identitt Anerkennungskmpfe ausgebt, sei es auch durch
rechtlich nicht legitimierte Handlungen.
Es stellte sich mir die Frage, ob die Menschen nur die Wnsche nach eigener Anerkennung,
die sie versuchen gegeneinander durchzusetzen, verbindet.
Ist der einzelne Mensch dann nur das Produkt seiner Anerkennungskmpfe?
Mit diesen Fragestellungen wandte ich mich dem Werk Lvinas' zu. Fhren die
Beschreibungen Lvinas' ber die Erwhlung zur Verantwortung, Meisterschaft des Nchsten
und das Ich als Geisel des Anderen zur Annahme eines Bundes zwischen den Menschen, der
vor dem Kampf um gegenseitige Anerkennung liegt und eine ursprnglichere
Beziehungsebene des Zwischenmenschlichen darstellt?
Diese Abhandlung widmet sich der phnomenologischen Betrachtung des
Zwischenmenschlichen in Auseinandersetzung mit den sozialphilosophischen Ausfhrungen
Lvinas'. Die nachfolgenden Beschreibungen erheben somit nicht den Anspruch, faktische
und sozialwissenschaftlich erklrbare Verhltnisse zwischen Menschen wiederzugeben und zu
errtern. Mein Ziel ist es, anhand der fundamentalethischen uerungen Lvinas' das
Phnomen eines Weges zu einer Grunderfahrung von Sozialitt nach-erfahrend und nach-
denkend zu beschreiben. Dabei wird kritisch zu hinterfragen sein, ob der Weg Lvinas' zur
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Auf-sprung von Strukturmomenten und Sinnzusammenhngen im Zwischenmenschlichen
bejahend nachvollziehbar ist.
Wie lt sich die Sphre des Zwischenmenschlichen beschreiben? Ich gehe, wie oben
angemerkt, davon aus, da offensichtlich Anerkennungskmpfe dieses Zwischen bestimmen.
Kampf und Krieg, beide basieren auf jeweils eigenen Interessen, die gegen andere
durchgesetzt werden sollen; Interessen, deren Trger einzelne Menschen, gesellschaftliche
Gruppen oder auch Nationen sein knnen.
In einem ersten Schritt werde ich die Beziehungsebene der reziproken Anerkennung
beschreiben. Ich greife dabei auf Erfahrungen zurck, die ich im Rahmen meiner Ttigkeit als
Diplom-Sozialarbeiter in einem Kinderheim gewonnen habe. Die gewonnenen
Erfahrunginhalte werden anschlieend anhand der Ausfhrungen Axel Honneths in Kampf
um Anerkennung in einem strukturellen Zusammenhang systematisch aufgearbeitet. Unter
Einbeziehung einer kurzen Errterung der Diskurstheorien Jrgen Habermas' und Jean
Francois Lyotards sollen im Rahmen dieser Strukturanalyse der zwischenmenschlichen Ebene
der reziproken Anerkennung drei Fragen beantwortet werden.
1. Wie lt sich diese zwischenmenschliche Beziehungs-ebene charakterisieren?
2. Wie und als wer oder was wird der andere Mensch in dieser Beziehung vom Ich erkannt?
3. Welche Position nimmt das Ich in dieser Beziehung ein? Welche Rechte und Pflichten
obliegen ihm in Bezug auf den anderen Menschen?
Zwecks einer Betrachtung der sich aus dieser Strukturbeschreibung ergebenden
Schlufolgerungen aus einem anderen Blickwinkel, greife ich anschlieend auf die
ontologischen Beschreibungen des Sozialen bei Ortega y Gasset zurck.
Im zweiten Teil des ersten Kapitels werde ich - mich nochmals orientierend an den oben
genannten Fragestellungen - die Ausfhrungen Lvinas' ber die ethische Beziehung des Von-
Angesicht-zu-Angesicht, die eine Beziehung ohne Beziehung ist, darstellen und errtern.
Dabei wird aufzuzeigen sein, da Lvinas von einer Verwicklung der sozialen Beziehung der
wechselseitigen Anerkennung mit der ethischen Beziehung des Von-Angesicht-zu-Angesicht
im Zwischenmenschlichen ausgeht.
In diesem Zusammenhang verstehe ich unter der Verwicklung der beiden sozialen Ebenen
eine Vernetzung oder ein Geflecht zweier selbstndiger, voneinander getrennter
Beziehungsebenen, die nicht synthetisiert werden knnen und doch aufeinander bezogen sind.
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Sie sind wie zwei Wollfden miteinander verwoben oder verstrickt, wobei ihre Verwicklung
unbersichtlich und undurchsichtig ist. Den Knotenpunkt in dieser Verwicklung bildet das
Ich, welches sich in diesem verwickelten Zwischen zum anderen Menschen verstrickt erfhrt,
ohne eine Mglichkeit zu haben, sich diesem Zustand zu entziehen.
Anhand seiner Beschreibungen ber die Konstellation Ich-Anderer-Dritter soll aufgezeigt
werden, wie Lvinas eine Begrndung fr diese Verwicklung zu geben versucht.
Im zweiten Kapitel werden die Schlufolgerungen aus der genannten Verwicklung der beiden
zwischenmenschlichen Ebenen eingehend errtert und diskutiert. Dabei stellen sich vorrangig
zwei Fragen.
1. Lassen sich Grundwerte und konkrete Handlungsmaximen zwischenmenschlichen
Handelns aus der Verwicklung der sozialen Beziehung der wechselseitigen Anerkennung
mit der ethischen Beziehung des Von-Angesicht-zu-Angesicht ableiten?
2. Wie sollte die staatliche und gesellschaftliche Ordnung aufgebaut sein, in der die
Verwicklung beider zwischenmenschlichen Ebenen derart geschtzt und gefrdert wird,
damit die An-frage des anderen Menschen wach und offen gehalten wird?
Bezglich der ersten Fragestellung wird darzustellen sein, da sich aus der genannten
Verwicklung zwei entgegengesetzte, den jeweiligen Beziehungsebenen zuzuordnende,
moralische Gesichtspunkte fr das konkrete Handeln des Ich ergeben. Am Beispiel des
Umgangs mit Rechtsnormen soll gezeigt werden, wie spannungsreich der
Entscheidungsproze des Ich verluft. Anschlieend fhre ich aus, da schon auf der Ebene
der reziproken Anerkennung Forderungen nach dem Wohl des anderen Menschen gestellt
werden, die die moralische Perspektive der ethischen Beziehung des Von-Angesicht-zu-
Angesicht zumindest teilweise bercksichtigen.
Bezglich der zweiten Fragestellung schildere ich zunchst, wie Lvinas die ethische
Fundierung des liberalen Staates begrndet. Anschlieend bespreche ich die
Berhrungspunkte zwischen der Fundamentalethik Lvinas' mit dem Marxismus. Es folgt eine
Errterung der lateinamerikanischen Rezeption der Fundamentalethik Lvinas' durch Dussel
und Scannone. Zudem wird die Mglichkeit der Forderung nach einer gesellschaftlichen
Alternative im Sinne einer Gemeinschaft ohne staatliche Institutionen im Anschlu an
Lvinas diskutiert. In einem weiteren Schritt sollen die Beziehungen zwischen Gruppen von
Menschen, seien es innergesellschaftliche Gruppen, Vlker, Staaten oder Staatenbndnisse
aus der Perspektive der fundamentalethischen Beschreibungen Lvinas' besprochen werden.
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Im dritten Kapitel wird die phnomenologische Betrachtungsweise des
Zwischenmenschlichen bei Lvinas und ihre Ergebnisse anhand ausgesuchter Fragestellungen
bezglich einer systematischen Darstellung von Anerkennung und Verantwortung kritisiert.
Dabei wird die Frage zu stellen sein, ob der Schlufolgerung Lvinas', vom Primat des
Ethischen im Zwischenmenschlichen auszugehen, zuzustimmen ist oder nicht. Zudem wird
diskutiert, ob der Sprachgebrauch Lvinas' nicht eine He