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Zum Tragverhalten von Stahlbeton- und · PDF file7 Zusammenfassung Für die Bemessung von Stahlbeton- und Spannbetonbalken gegen eine Torsionseinwirkung stellt das auf [196] zurückgehende

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Page 1: Zum Tragverhalten von Stahlbeton- und · PDF file7 Zusammenfassung Für die Bemessung von Stahlbeton- und Spannbetonbalken gegen eine Torsionseinwirkung stellt das auf [196] zurückgehende

7 Zusammenfassung Für die Bemessung von Stahlbeton- und Spannbetonbalken gegen eine Torsionseinwirkung stellt das auf [196] zurückgehende räumliche Fachwerkmodell die weltweit übliche Grundlage dar. Den Querschnitt umlaufende, geneigte Betondruckstreben stehen mit durch die Bügel- und Längsbewehrung gebildeten Zugpfosten im Gleichgewicht. Der einfachen und anschaulichen Darstellung des grundsätzlichen Modells widerspricht jedoch die festzustellende Diskrepanz in der Modellbeschreibung nach aktuellen, internationalen Normenwerken. Hier zeigt sich, dass sich mit der verbreiteten Verwendung des Modells keine einheitliche Auffassung zum Torsions-tragverhalten von Stahlbeton- und Spannbetonbalken verbindet. Die daraus resultierende Streu-ung in der Abbildung der Tragfähigkeit einhergehend mit einem fallweise signifikanten Sicher-heitsdefizit sowie die in dieser Arbeit herausgestellte, unzureichende Erforschung zum Teil grundlegender Fragestellungen machen eine erneute, umfassende Betrachtung der Grundgedan-ken des Modells erforderlich. Ausgangspunkt der bestehenden Modellvorstellung sind Versuchsbeobachtungen, wonach Stahl-beton- und Spannbetonbalken mit praxisüblichem Rechteckquerschnitt eine Torsionsbelastung im gerissenen Zustand weitestgehend über die bewehrte äußere Randschale abtragen. Für die Bemessung werden sie durch einen fiktiven Hohlkastenquerschnitt mit umlaufend konstanter Stegdicke ersetzt. Die weitergehende Auffassung dessen als dünnwandig ermöglicht die rechne-rische Behandlung nach der Theorie nach Bredt. Kernaussagen der Theorie nach Bredt sind der über den Umfang konstante Schubfluss sowie die konstante Größe der Schubspannung über die Stegbreite. Daraus leitet sich die vor allem im europäischen Raum verbreitete Modellvorstellung einer scheibenartigen Beanspruchung jeder einzelnen Wandseite des fiktiven Hohlkastens ab ([45, 214, 36]). Die Übertragung des für querkraftbeanspruchte Balkenstege entwickelten Be-messungsmodells sowie der für an Innen- und Außenseite bewehrte Kastenquerschnitte zulässige Verzicht einer weitergehenden Reduktion der im Bruchzustand nutzbaren Strebenfestigkeit nach DIN 1045-1 sind direkter Ausdruck dessen. Wie die im Rahmen dieser Arbeit durchgeführten experimentellen und theoretischen Untersu-chungen zeigen, vermag die vorgestellte Gedankenkette nur eingeschränkt die gegenwärtig pra-xisübliche Realität abzubilden. So wird die Vorstellung einer tragenden, bewehrten und zugleich dünnwandigen Randschale einer im Zuge des Konzeptes zur Sicherstellung der Dauerhaftigkeit üblicherweise vergleichsweise großen Betondeckung nicht gerecht. Auch widerspricht der im Rahmen dieser Arbeit festgestellte Einfluss der Querschnittsschlankheit auf das Tragvermögen der Torsionsdruckstrebe der Umsetzung der Theorie nach Bredt unter Ansatz einer umlaufend konstanten Stegbreite. Schließlich lässt die dargestellte Modellvorstellung keinen Raum für den in eigenen und fremden Experimenten festgestellten Beitrag von im Querschnittsinneren ange-ordneten Bewehrungsstäben zum Tragwiderstand. Die umrissenen Fragestellungen aufnehmend wurde mit dieser Arbeit das räumliche Trag- und Verformungsverhalten maßgeblich durch Torsion beanspruchter Stahlbeton- und Spannbeton-balken mit praxisüblichem Rechteckquerschnitt von Grunde auf untersucht. Ausgehend von der

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Diskrepanz in der Modellbeschreibung nach aktuellen Normmodellen wurden dabei zunächst grundlegende sowie aktuelle Arbeiten anderer Forscher gesichtet und kritisch bewertet. Erkannte Defizite der bisherigen Forschungstätigkeit wurden über die Durchführung eigener Experimente gezielt untersucht. Deren detaillierte Analyse im steten Vergleich zu aussagekräftigen Experi-menten anderer Forscher ließ die Ableitung grundlegender Erkenntnisse zu, die über die Durch-führung analytischer Simulationsrechnungen vertieft werden konnten. Das Trag- und Verfor-mungsverhalten torsionsbeanspruchter Stahlbeton- und Spannbetonbalken ist danach maßgeblich von den folgenden Einflussfaktoren geprägt:

(1) die Querschnittsschlankheit h/b

(2) die Beanspruchungsintensität – ausgedrückt durch den mittleren mechanischen Torsi-

onsbewehrungsgrad ωs,T.m

(3) die relative Größe der Betondeckung cnom/b

(4) dem Vorspanngrad σcp/fck

(5) der Relation der mechanischen Bewehrungsgrade m

(6) der Bewehrungsführung, mit oder ohne Bewehrung im Inneren des Querschnitts, aus-serhalb der rechnerischen Strebenbreite

(7) der Querschnittsgeometrie, im Sinne von Kompakt- oder Kastenquerschnitt mit dick- oder dünnwandigem Steg

Über die Querschnittsschlankheit äußert sich der nachhaltige Einfluss des Tragverhaltens maß-geblich durch Torsion beanspruchter Stahlbeton- und Spannbetonbalken im ungerissenen Zu-stand auf das des gerissenen Zustands. Entsprechend der Verteilung der Schubspannungen im ungerissenen Zustand ist für Kompaktquerschnitte und dickwandige Kastenquerschnitte eine deutlich größere Beanspruchung an der Querschnittsbreitseite gegenüber der Schmalseite festzu-stellen. Erst mit fortgeschrittener Plastifizierung des Bauteils und einer Stahldehnung unmittelbar vor Erreichen der Streckgrenze ist von einer nach dem grundsätzlichen Modell vorausgesetzten, ausgeglichenen Beanspruchung aller Querschnittsseiten auszugehen. Entscheidend für den Einfluss der Querschnittsschlankheit ist daher die Beanspruchungsintensi-

tät. Lediglich gering beanspruchte Bauteile mit duktilem Versagen weisen im Bruchzustand eine ausgeglichene Beanspruchung an allen Querschnittsseiten auf. Für die Formulierung eines Be-messungsmodells folgt daraus die Konsequenz, den Einfluss der Querschnittsschlankheit über den Modellparameter teff zu berücksichtigen, während die effektive Kernquerschnittsfläche Ak von diesem unabhängig zu definieren ist. Eine geometrische Koppelung beider Parameter anei-nander wie nach [36, 45, 47, 48] ist daher nicht zu rechtfertigen. Effektive Strebenbreite und effektive Kernquerschnittfläche hängen zudem auch direkt von der Beanspruchungsintensität ab. Für beide Parameter lässt sich eine analoge Abhängigkeit von der Beanspruchungsintensität nachweisen, wie sie unter Biegebelastung für den inneren Hebelarm und die Druckzonenhöhe bekannt ist. Die effektive Kernquerschnittsfläche entspricht dabei dem inneren Hebelarm, die effektive Strebenbreite der Druckzonenhöhe. Mit der tatsächlichen Geo-metrie des Bewehrungskorbes (uk,sl, Ak,sl) verbindet sich die Analogie zur statischen Nutzhöhe,

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welche bekanntlich nicht von der Beanspruchung abhängt. Auch die Modellparameter uk und Ak sind als Folge und im Gegensatz zu der nach [36, 45, 47, 48] vorgesehenen geometrischen Kopp-lung voneinander unabhängig zu definieren. Für die Tragfähigkeit der Torsionsdruckstrebe besitzt die Größe der Betondeckung relativ zur

Querschnittsgröße entscheidenden Einfluss. Anders als nach [153] ist nicht in jedem Fall von einem Abplatzen dieser auszugehen. Mit der Analyse des inneren Rissbildes eigener Experimen-te wurde eine anschauliche Modellvorstellung zum Abplatzen der Betondeckung entwickelt und gezeigt, dass für dieses die Umlenkung der Druckstreben im Nahbereich der Querschnittsecken ausschlaggebend ist. Auch hier wirkt sich die Querschnittschlankheit aus. Da der Beton am Querschnittsrand an der Breitseite - resultierend aus der Schubspannungsverteilung im ungeris-senen Zustand - grundsätzlich stärker beansprucht wird als an der Schmalseite, ist diese Zone ausschlaggebend für ein mögliches Abplatzen der Betondeckung. Die im Vergleich zum Quad-ratquerschnitt flachere Neigung der idealisierten Strebenkraft zum Querschnittsrand wirkt sich dabei günstig auf den Beitrag der Betondeckung zum Tragwiderstand bei schlanken Querschnit-ten aus. Insbesondere zwischen schlanken Rechtecken und Quadratquerschnitten zeigen sich daher deutliche Unterschiede. Neben der Querschnittsschlankheit wirken auch die Steifigkeit des Bauteils sowie eine vorhan-dene Vorspannung günstig auf den Beitrag der Betondeckung zum Tragwiderstand des Beton-querschnitts hin. Erstere begrenzt die verformungsbedingte Entwicklung des inneren und äuße-ren Rissbildes. Eine Vorspannung wirkt primär auf einen flacheren Neigungswinkel der Erstrisse hin, aus dem in Ausdehnung der entwickelten Modellvorstellung zum Abplatzen der Betonde-ckung auf den räumlichen Fall eine ebenfalls flachere Neigung der idealisierten Strebenkraft zum Querschnittsrand resultiert. Aus der Relation der mechanischen Bewehrungsgrade folgt zusammen mit der Beanspruchungs-intensität die Erwartung eines duktilen Versagens, sekundären oder primären Betonversagens. Über die Analyse entsprechender Experimente, ergänzt durch Simulationsrechnungen, sowie den Quervergleich zu schubbeanspruchten Betonscheiben konnte die Abhängigkeit der Rotationsfä-higkeit der Druckstrebenneigung von der Beanspruchungsintensität sowohl qualitativ als auch quantitativ nachgewiesen werden. Konsequenz dessen sind definierte Grenzwerte für die Wahl des Bemessungsdruckstrebenwinkels in Abhängigkeit letzterer. Parallel lassen die genannten Untersuchungen den für ein reines Fachwerktragverhalten charak-teristischen, mechanischen Zusammenhang zwischen auftretender Rotation der Druckstreben-neigung gegenüber dem Erstrisswinkel und Herabsetzung der nutzbaren Strebenfestigkeit erken-nen. Abgesehen von der Beanspruchungsintensität ist dieser vorwiegend nur durch die Betonfes-tigkeit im Sinne des spröden Materialverhaltens hochfester Betone geprägt. Für schubbean-spruchte Betonscheiben ergeht daraus die Konsequenz, die Druckstrebentragfähigkeit im Falle eines drohenden sekundären Betonversagens unter gegenüber einem primären Betonversagen nochmals reduzierter Druckstrebenfestigkeit nachzuweisen. Für torsionsbeanspruchte Balken kann infolge der Integration der Betonspannungen über die Strebenbreite und der ohnehin zu-

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sätzlich herabgesetzten Strebenfestigkeit auf diese Unterscheidung verzichtet werden. Im Hin-blick auf die im Bruchzustand nutzbare Strebenfestigkeit ist zum einen für den Fall eines primä-ren Betonversagens eine Relation von etwa 0,7 zwischen räumlichem und ebenen Fall entspre-chend der Norm [45] zu bestätigen, zum anderen muss diese in beiden Fällen in Abhängigkeit der Betonfestigkeit definiert werden. Ein konstanter Wert wird den herausgestellten Erkenntnis-sen nicht gerecht. Wesentlich ist zudem, dass für den torsionsbeanspruchten Balken und im Ge-gensatz zur schubbeanspruchten Scheibe die Einhaltung der beanspruchungsabhängigen Grenz-werte des Bemessungsdruckstrebenwinkels kein hinreichendes Kriterium zum Ausschluss eines primären Betonversagens darstellt. Zusätzlich ist hier stets die Möglichkeit eines Abplatzens der Betondeckung zu beachten. Ausgehend von dem Verzicht auf eine deutliche Herabsetzung der Strebenfestigkeit für an In-

nen- und Außenseite bewehrte Kastenquerschnitte nach DIN 1045-1 stellt sich die Frage, auf welche relative Stegbreite t/b dieser Ansatz einzuschränken ist. Der Beantwortung wurde sich in dieser Arbeit auf mehreren Wegen genähert: Der Ansatz unterstellt ideal scheibenartiges Trag-verhalten in jeder Wandseite des Hohlkastens. Mit der Analyse des ungerissenen Zustandes konnte ein Kriterium zur Abgrenzung dünnwandiger und dickwandiger Kastenquerschnitte auf-gestellt werden. Für letztere ist der Einfluss einer ungleichmäßigen Verteilung der Schubspan-nungen an Querschnittsbreit- und Querschnittsschmalseite so deutlich, dass der betreffende Querschnitt wie ein Kompaktquerschnitt behandelt werden muss. Mit der Analyse des räumli-chen Verformungsverhaltens eigener und fremder Experimente ließ sich nachweisen, dass die Frage nach einem scheibenartigen Tragverhalten außerdem vom Bewehrungsgrad abhängt. Ver-einfacht gilt: Je größer dieser, desto eher ist auch für eine geringfügig größere relative Stegbreite noch ein annähernd scheibenartiges Tragverhalten im gerissenen Zustand zu erwarten. Alle un-ternommenen Untersuchungen zur Auswertung der nutzbaren Strebenfestigkeit ließen jedoch erkennen, dass auch für beidseitig bewehrte Kastenquerschnitte von einer allenfalls geringfügig größeren Strebenfestigkeit im Bruchzustand auszugehen ist und damit der Ansatz nach Norm nicht bestätigt werden kann. Für den Fall, dass kein scheibenartiges Tragverhalten im Sinne einer annähernd gleichmäßigen Beanspruchung der äußeren und inneren Bewehrungslage vorliegt, wurde auf Basis der unter-nommenen Untersuchungen eine Modellvorstellung zum Beitrag von im Querschnittsinneren

angeordneter Bewehrungsstäben entwickelt, welche einen gleitenden Übergang zum Standard-fall des einkränzig bewehrten Querschnitts erlaubt. Über das unterschiedliche Torsionsrissmoment wird das Tragverhalten im gerissenen Zustand trivialer Weise auch nachweislich vom Querschnittstyp, im Sinne von Kompaktquerschnitt, dick- oder dünnwandigem Kastenquerschnitt geprägt. Die diesbzgl. unternommenen Untersuchungen zeigen, dass die Normregelungen nach [45, 36, 163, 47, 48] den Anforderungen der einzulegen-den Mindestbewehrung unter maßgeblicher Torsionsbeanspruchung nicht genügen. Entspre-chende Beziehungen wurden mit dem entwickelten Bemessungsmodell aufgestellt.

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Zusammenfassend greift das entwickelte Bemessungsmodell alle im Zuge dieser Arbeit identifi-zierten Einflussfaktoren im Sinne einer Definition der das räumliche Fachwerk beschreibenden Modellparameter auf. Dabei wurde das eingangs formulierte Ziel, zu jedem der bisher unzurei-chend untersuchten Versagensmechanismen und Randbedingungen eine grundlegende, mechani-sche Modellvorstellung zu entwickeln, erreicht. Auf diesen aufbauend lassen sich zukünftige Entwicklungen, beispielsweise im Sinne unterschiedlicher Materialeigenschaften (z. B. UHPC), in ihrer Konsequenz für Tragverhalten und –vermögen mindestens abschätzen, wenn auch nicht für jeden Fall im Detail prognostizieren. Der überwiegend semiempirische Charakter der entwickelten Beziehungen ist dem mehrfach in dieser Arbeit herausgestellten, großen Einfluss des Betons - mit bekanntlich stark streuenden Materialeigenschaften - auf die Tragfähigkeit torsionsbeanspruchter Stahlbeton- und Spannbe-tonbalken geschuldet. Aus diesem Umstand leitet sich der Bedarf einer zukünftigen Ausdehnung der Forschungstätigkeit in all denjenigen Gebieten ab, für die bisher nur eine eingeschränkte Datenbasis vorhanden ist. Dazu sind zu zählen:

� Die Ausweitung der Grundlagenerforschung zum Tragverhalten von im Querschnitt-sinneren angeordneter Bewehrungsstäbe,

� die Durchführung großformatiger Experimente mit bm ≥ 1,0 m,

� die experimentelle Überprüfung zum Einfluss einer Vorspannung auf die maximal mögliche Druckstrebenrotation sowie

� experimentelle Untersuchungen zur optimierten konstruktiven Durchbildung im Hin-blick auf die kritische Umlenkung der Betondruckstrebe und schließlich

� eine über die Arbeit von [181, 182] hinausgehende Untersuchung zum Einfluss der Be-tondeckung unter unterschiedlicher Interaktionsbelastung durch Querkraft und Biegung sowie unterschiedlicher Querschnittsschlankheit.