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213 Zur Constitution des Benzols ; roii Johannes Tliiele. (Eingelaufen am 19. Juiii 1899.) Herr Professor B r u h l hatte die Freundlichkeit, mir das Mapuscript seiner vorstehenden Reclamation zur Einsicht zu- zustellen, sodass ich meine Erwiderung direct anschliessen kann. Zunlchst bemerke ich zu der Prioritltsreclamatiou yon Herrn B rii h 1, dass der Begriff der ,,ResidualaffinitBt" schun vor ihm, wie ich auch citirte'), von Armstrong discutirt ist. .Ferner besteht das Wesentlicbe meiner Auseinandersetzungeu 2, darin, dass in ihnen theoretisch und experimentell eine bisher nicht erkannte nahe Beziehung benachbarter Doppelbindungen nachgewiesen ist, welche nicht nur eine ganze Reihe von Er- scheinungen bei ungesattigten Korpern der Fettreihe erklart, sondern auch gestattet , die Eigenschaften dcr aromatischen Verbindungen von denen der ungesattigten Fettkorper abzu- leiten. In den Bemerkungen, welche B r u h l liber die wechselnde Festigkeit von Aethylenbindungen macht und in seiner Beweis- fiihrung fur die Richtigkeit von K ekule's Benzolformel resp. Sac h s e's Benzolmodell3) ist irgend etwas Aehnliches durchaus nicht zu findcn. Was ferner meine Aeusserung anbetrifft, dass Briihl den Sprung bei der Hydrirung (des Benzols) leugne, so wollte ich selbstverstandlich an der fraglichen Stelle nicht sagen, dass er die sprunghafte Aenderung der thermischelz Zahlenwerthe nicht snerkenne, welche beim Uebergange von Dihydrobenzol in Benzol eintritt. Meiner Meinung nach erkannte Brtihl den Sprung in der Colzstztutiolz bei diesem Uebergange nicht an. Zum Beweise, dass die Lecture der Brtihl'schen Arbeit") dicse I) Dicse Annalen 306, 91. ') Diese Annalen 306, 87 ff. 'j Journ. f. pract. Chem. 249, 201 ff. ') Diese Annalen 306, 128.

Zur Constitution des Benzols

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Zur Constitution des Benzols ; roii Johannes Tliiele.

(Eingelaufen am 19. Juiii 1899.)

Herr Professor B r u h l hatte die Freundlichkeit, mir das Mapuscript seiner vorstehenden Reclamation zur Einsicht zu- zustellen, sodass ich meine Erwiderung direct anschliessen kann.

Zunlchst bemerke ich zu der Prioritltsreclamatiou yon Herrn B rii h 1, dass der Begriff der ,,ResidualaffinitBt" schun vor ihm, wie ich auch citirte'), von A r m s t r o n g discutirt ist. .Ferner besteht das Wesentlicbe meiner Auseinandersetzungeu 2, darin, dass i n ihnen theoretisch und experimentell eine bisher nicht erkannte nahe Beziehung benachbarter Doppelbindungen nachgewiesen ist, welche nicht nur eine ganze Reihe von Er- scheinungen bei ungesattigten Korpern der Fettreihe erklart, sondern auch gestattet , die Eigenschaften dcr aromatischen Verbindungen von denen der ungesattigten Fettkorper abzu- leiten. In den Bemerkungen, welche B r u h l liber die wechselnde Festigkeit von Aethylenbindungen macht und in seiner Beweis- fiihrung fur die Richtigkeit von K e k u l e ' s Benzolformel resp. S a c h s e's Benzolmodell3) ist irgend etwas Aehnliches durchaus nicht zu findcn.

Was ferner meine Aeusserung anbetrifft, dass Briihl den Sprung bei der Hydrirung (des Benzols) leugne, so wollte ich selbstverstandlich an der fraglichen Stelle nicht sagen, dass er die sprunghafte Aenderung der thermischelz Zahlenwerthe nicht snerkenne, welche beim Uebergange von Dihydrobenzol in Benzol eintritt. Meiner Meinung nach erkannte B r t i h l den Sprung in der Colzstztutiolz bei diesem Uebergange nicht an. Zum Beweise, dass die Lecture der Brtihl 'schen Arbeit") dicse

I) Dicse Annalen 306, 91. ') Diese Annalen 306, 87 ff. 'j Journ. f. pract. Chem. 249, 201 ff. ') Diese Annalen 306, 128.

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Meinung iiber seine Ansichten hervorrufen muss, ftihre ich einige Stellen aus derselben an. So heisst es zum Beispiel Seite 254:

,,Eine Umw&lzung in der Molekularstructur bei der Um- wandlung von Dibydrobenzol in Benzol anzunehmen, wlfrde also nicht nur jedes thatslchlichen Anhaltes entbehren, sondem den Thatsachen sogar direct widersprechen." Seite 21 1 eagt

e r , mit Bezug auf die physikaliscben Constanten des Benzols: ,,Eine sprunghafte denderung in der Constitution auch bei dem Uebergange von Dihydrobenzol iu Benzol anzunehmen, ist man hiernach in keiner Weise berechtigt." Seite 216: ,,- wahrend in der Verbrennungswarme . . . . ein Sprung erfolgt. Allein diese sicher festgestellten Thatsachen nothigen nicht etwa zn der Folgerung, dass die volumetrischen und die spectrometrischen Eigenschaften zu einer anderen, oder gar der entgegengesetzten Auffassung in Betreff der Constitution des Benzols ftihren als die thermochemischen."

Seite 223 : ,,Diese Erscheinung" (namlich der thermische Sprung) ,,aiderspricht keineswegs der Gegenwart von drei Aethylenbindungen im Benzol, steht vielmehr mit einer solchen Annahme in vollkommenem Einklang. Denn die Aethylen- bindungen im Benzol miissen, eben weil sie, wenn ilberhaupt vorhanden , jedenfalls vie1 bestandiger sind, als diejenigen der hydrirten Derivate, auch eine wesentlich andere und zwar eine geringere Wlrmeenergie besitzen." Seite 224 : ,,Die auffallende Widerstandsflhigkeit der Benzolverbindungen, welche die h a u p t slchliche Veranlassung zur Anzweiflung der K e kulb'schen Benzolhypothese gegeben bat , erklart sich vollkommen be- friedigend durch die verhaltnissmlssig geringe Warmeenergie der vorhandenen Aethylenbindungen."

Aus solchen Stellen schloss ich also, dass B r l t h l verneint, dass dem thermischen Sprunge zwischen Benzol und Dihydro- benzol ein Sprung in der Constitution entspreche und dass e r Aethylenbindungen im Benzol annimmt.

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Bei Betrachtung des S a c h s e 'schen Modells hebt e r zwar hervor (Seite 236)) dass in dem Modell nur Kantenbindungen vorhanden seien, sagt aber gleich darauf: ,,Obwohl also bei dem Uebergange von Dihydrobenzol zu Benzol keine andere Bindungsverschiebung eintritt , als bei der Umwandlung von Tetra- in Di- und von Hexa- i n Tetrahydrobenzol, so ist doch im ersteren Falle die resultirende Molekel durch eine besondere Configuration charakterisirt, welche dieselbe von allen Hydro- derivaten unterscheidet."

Die Bindulzgsverhaltnie sind danach also im Benzol und Dihydrobenzol die gleichen, in den Kantenbindungen des Benzols acheint B r i i h l nur den Ausdruck der Oscillation zu sehen.

Seite 237: ,,Denkt man sich vielmehr im Sachse 'schen Modell alle sechs Kohlenstoffatome periodische Oscillationen um eine Gleichgewichtslage ausftihren, so haben wir in dem S a c h s e 'schen System ein rtiumliches Gebilde vor urn, dessen Projection in die Ebene die K e k u 16 'sche Oscillationsformel darstellt."

Den Unterschied zwischen Benzolbindungen und Aethylen- bindungen sieht Brii h 1 nur in dem verschiedenen Energiegehalt (Seite 238): ,,Wenn die sprunghafte Aenderung der Wlrme- werthdifferenzen und anderer physikalischer Kriterien beim Uebergange von Dihydrobenzol- in Benzolverbindungen mit der K e k u 16'schen Structurformel im Widerspruche schien, so liegt dies daran, dass diese Formel eine Gleichheit der in ihr ent- haltenen mit den olefinischen Aethylenbindungen vortaiischt. wahrend eben die Energieverhlltnisse in beiden Fillillen nicht gleich sind."

Solche wechselnde Festigkeit kommt auch sonst bei Aethylen- bindungen vor (Seite 279) : ,,Dass die Festigkeit der einfuchen Bindungen eine wechselnde ist, . . . . . weiss man seit geraumer Zeit aus rein chemischen Erfahrungen. Dass aber in Bezug auf die Festigkeit der Aethylenbindungen gana das Ntimliche gilt, dass auch diese durchaus inconstant ist . . . . ., ist bisher nicht klar erkannt worden."

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Es sind also im Benzol wieder Aethylenbindungen, nur festere und , bei Annahme der Oscillationstheorie , oscillirende. Ein principieller Unterschied zwischen Benzol und Aethylen existirt danach also nicht.

Ueber die Gruudursache der Stabilitat des Benzols Lussert sich B r i i h l (Seite 282): ,,Es kann somit nach den vorher- gcgangenen Darlegungen keinem Zweifel unterworfen sein, dass die Grundursache der Stabilitat des Benzols, wie man dies j a auch immer verrnuthet hat, in der Syrnmetrie seines Baues zu suchen ist." Dagegen mochte ich bemerken, dass die Symmetrie an sich keine ausreichende Erklarung ftir die Stabilitat einer chemischen Verbindung sein kann , denn instabile Korper wie Aethylen und besonders Acetylen sind in Formel und Model1 auch symmetrisch , und Trimethylen und Tetramethylen sind zwar symmetrischer, aber weniger fest als das Propan und Butan.

I n seiner Nachschrift giebt B r i i h l auch zu, dass die StabilitLt chemischer Verbindungen nicht lediglich nach der Symmetrie hemessen werden kann. Wenn es aber unzulassig sein soll, Aethan und Aethylen zu vergleichen, warum soll man dann Dihydrobenzol und Benzol in Bezug auf ihre Symmetrie vergleichen dtirfen? Und wenn man auch die Festigkeitsunter- schiede der isorneren Hydrophtalsluren auf die verschiedene Symmetrie zurtickftihren wollte , so geben diese verhaltnissmassig geringen Unterschiede noch kein Recht, die Ursache der un- geheuren Differenz zwischen Benzol und Dihydrobenzol einzig in der Differenz der Symmetrie zu sehen.

Waro die grosse Stabilitat der Benzols unbekannt, so konnte Niemand aus B rii h 1 's Auseinandersetzungen iiber die ver- schiedene Symmetrie und Festigkeit der Hydrophtalstiuren schliessen, dass der Uebergang vom ,,CyclohexadiEn" zum ,,Cycle- hexatrien" einen so stabilen Korper wie das Benzol erzeugeh wird, wahrend meine Auseinaudersetzungen tiber conjugirte Doppelbindungen diesen Schluss zulassen wiirden.

Man sieht leicht, dass nach den citirten Stellen die An- schauung B ril h l ' s tiber die Constitution des Benzols als eine

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ganz andere erscheint, als die von mir entwickelte, welche sechs gleichartige inactive Doppelbindungen annimmt. Daran wird auch dadurch nichts geandert, dass B r u b l ebenso wie ich das S a c hse'sche Benzolmodell fur die geeignetste raumliche Ver- anschaulichuiig des Bcnzols halt.

Herr B r u h l sagt zwar jetzt, dass e r unter ,,Aethylen- bindungen" im Benzol keine den olefiniscben vergleichbaren Bindungen verstanden wissen will, und begrundet das mit dem Hinweis auf das Model1 von S a c hse . Derartige ,,Aethylen- bindungen" enthalt aber das Model1 nicht drei, sondern sechs, man kann bei dieser Auffassung also nicht von drei Aethylen- bindungen sprechen, wie es B r u h l Seite 223 (loc. cit.) thut.

(Geschlosscn am 1. August 1899.)