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Rolf Graber »Das Evangelium – Tell und Winkelried – Die Constitution von 1798« Politisches Bewusstsein der Zürcher Landbevölkerung zu Beginn der Mediationszeit Historische Jubiläen hatten in letzter Zeit in der Schweiz Hochkonjunktur. Nach- dem 1998 die Helvetische Revolution von 1798 und vor allem die Bundesstaats- gründung von 1848 im Zentrum der Erinnerungsfeiern standen, wurde 2003 in ver- schiedenen Kantonen mit viel Aufwand der Mediation von 1803 gedacht. Gemeint ist jenes Vermittlungswerk Napoleons, das der von heftigen Auseinandersetzungen erschütterten Schweiz – nach den Wirren der Helvetischen Revolution – den Frie- den bringen sollte. Auch die Zürcher Regierung konnte sich der Festfreude nicht entziehen und veranstaltete – allerdings in zwinglianisch-puritanischer Bescheiden- heit – einen Festakt unter dem Motto »200 Jahre moderner Kanton Zürich«. MEDIATIONSVERFASSUNG ALS AUFTAKT ZUR RESTAURATION Der von Festrednern gepriesene Startschuss zum modernen Kanton, der angeblich 1803 gefallen sein soll, sieht in der historischen Realität allerdings etwas anders aus. In der Endphase der Helvetischen Republik kommt es nämlich zu bürgerkriegs- ähnlichen Auseinandersetzungen zwischen Anhängern des Einheitsstaates, den Unitariern, und seinen Gegnern, den Föderalisten. Dies liefert Napoleon, der durch den Abzug der französischen Truppen diese Konflikte noch zusätzlich gefördert hat, den Vorwand für eine Neuordnung der Schweiz. Er beordert 70 Delegierte aus beiden Lagern nach Paris und präsentiert diesen am 2. Januar 1803 ultimativ einen aus 15 Artikeln bestehenden Entwurf einer neuen Verfassung. Dem ersten Konsul geht es vor allem darum, durch Pazifikation weitere Unruhen in der Schweiz zu verhindern. Obwohl die oktroyierte Verfassung einen Ausgleich zwischen den Unitariern und den Föderalisten verspricht, begünstigt sie faktisch die konservativ- aristokratischen Kräfte und führt zu einer partiellen Restauration. Dies gilt vor allem für die früheren Städteorte wie Zürich, die in vorrevolutionärer Zeit über ländliche Untertanengebiete verfügten. Besonders für die Landbevölkerung und die unteren Gesellschaftsschichten bedeutet deshalb die Einführung der Mediations- verfassung eine Verschlechterung. Weil Napoleons Verfassungstext nur die wich- tigsten Leitlinien enthält, können die städtischen Aristokraten ihre Anliegen auf dem Gesetzgebungsweg durchsetzen. Zudem profitieren sie vom komplizierten Wahlsystem: Ein hoher Zensus sorgt dafür, dass die Vertreter der ärmeren Bevöl- kerung vom Großen Rat ferngehalten werden, und eine Wahlkreiseinteilung, bei der die Stadt überproportional vertreten ist, sichert den aristokratischen Kräften wieder die Oberhand. Bezeichnenderweise heißen die Wahlkreise jetzt Zünfte, die PD Dr. Rolf Graber, Privatdozent für Geschichte der Neuzeit mit besonderer Berücksichtigung der Schweizergeschichte am Historischen Seminar der Universität Zürich. Jahrbuch für Kommunikationsgeschichte • Band 8 • 2006 Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2006

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Rolf Graber

»Das Evangelium – Tell und Winkelried – Die Constitution von 1798« Politisches Bewusstsein der Zürcher Landbevölkerung zu Beginn der Mediationszeit

Historische Jubiläen hatten in letzter Zeit in der Schweiz Hochkonjunktur. Nach-dem 1998 die Helvetische Revolution von 1798 und vor allem die Bundesstaats-gründung von 1848 im Zentrum der Erinnerungsfeiern standen, wurde 2003 in ver-schiedenen Kantonen mit viel Aufwand der Mediation von 1803 gedacht. Gemeint ist jenes Vermittlungswerk Napoleons, das der von heftigen Auseinandersetzungen erschütterten Schweiz – nach den Wirren der Helvetischen Revolution – den Frie-den bringen sollte. Auch die Zürcher Regierung konnte sich der Festfreude nicht entziehen und veranstaltete – allerdings in zwinglianisch-puritanischer Bescheiden-heit – einen Festakt unter dem Motto »200 Jahre moderner Kanton Zürich«.

MEDIATIONSVERFASSUNG ALS AUFTAKT ZUR RESTAURATION Der von Festrednern gepriesene Startschuss zum modernen Kanton, der angeblich 1803 gefallen sein soll, sieht in der historischen Realität allerdings etwas anders aus. In der Endphase der Helvetischen Republik kommt es nämlich zu bürgerkriegs-ähnlichen Auseinandersetzungen zwischen Anhängern des Einheitsstaates, den Unitariern, und seinen Gegnern, den Föderalisten. Dies liefert Napoleon, der durch den Abzug der französischen Truppen diese Konflikte noch zusätzlich gefördert hat, den Vorwand für eine Neuordnung der Schweiz. Er beordert 70 Delegierte aus beiden Lagern nach Paris und präsentiert diesen am 2. Januar 1803 ultimativ einen aus 15 Artikeln bestehenden Entwurf einer neuen Verfassung. Dem ersten Konsul geht es vor allem darum, durch Pazifikation weitere Unruhen in der Schweiz zu verhindern. Obwohl die oktroyierte Verfassung einen Ausgleich zwischen den Unitariern und den Föderalisten verspricht, begünstigt sie faktisch die konservativ-aristokratischen Kräfte und führt zu einer partiellen Restauration. Dies gilt vor allem für die früheren Städteorte wie Zürich, die in vorrevolutionärer Zeit über ländliche Untertanengebiete verfügten. Besonders für die Landbevölkerung und die unteren Gesellschaftsschichten bedeutet deshalb die Einführung der Mediations-verfassung eine Verschlechterung. Weil Napoleons Verfassungstext nur die wich-tigsten Leitlinien enthält, können die städtischen Aristokraten ihre Anliegen auf dem Gesetzgebungsweg durchsetzen. Zudem profitieren sie vom komplizierten Wahlsystem: Ein hoher Zensus sorgt dafür, dass die Vertreter der ärmeren Bevöl-kerung vom Großen Rat ferngehalten werden, und eine Wahlkreiseinteilung, bei der die Stadt überproportional vertreten ist, sichert den aristokratischen Kräften wieder die Oberhand. Bezeichnenderweise heißen die Wahlkreise jetzt Zünfte, die

PD Dr. Rolf Graber, Privatdozent für Geschichte der Neuzeit mit besonderer Berücksichtigung der Schweizergeschichte am Historischen Seminar der Universität Zürich.

Jahrbuch für Kommunikationsgeschichte • Band 8 • 2006 Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2006

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Terminologie aus dem Ancien régime wird reaktiviert.1 Durch die Festlegung hoher Loskaufssummen rückt die Hoffnung auf eine Ablösung der Feudallasten in noch weitere Ferne als in der Spätphase der Helvetik. Grundzinse und Zehnte, selbst der für die kleinen Leute besonders belastende Kartoffelzehnt, sollen wieder entrichtet werden. Auch die in der Verfassung formell verankerte Handels- und Gewerbe-freiheit wird beschnitten, und eine neue Schulordnung verringert die Bildungsmög-lichkeiten für das Landvolk. Wohl in Voraussicht von kommenden Unruhen setzt die Zürcher Regierung das helvetische Kriminalgesetzbuch außer Kraft, sogar qualifizierte Todesstrafen wie »Rädern des Rumpfes mit Aufspießen des Kopfes«2 werden wieder verhängt. In Ermangelung einer neuen Gesetzesgrundlage dient die im Militärstrafrecht noch gültige Halsgerichtsordnung Karls V. aus dem Jahr 1532 als Legitimation für die Rearchaisierung der Strafjustiz.3 Schließlich besteht die Re-gierung auch noch auf einem Huldigungsakt: Wie im Ancien Régime den Landvög-ten, sollen die Landbewohner in allen Kirchen zwei Abgeordneten des Kleinen Ra-tes schwören, »der Verfassung des Kantons Zürich und dem gemeinsamen Vater-lande treu zu sein, den Gesetzen und Verordnungen der Obrigkeit pflichtmäßigen Gehorsam zu leisten.«4 Der Rückgriff auf diesen typischen Herrschaftsakt des Feudalsystems,5 der eine eidliche Bestätigung und Loyalitätszusicherung seitens der Abhängigen beinhaltet, bringt schließlich das Fass zum Überlaufen.

PROTESTE DER LANDBEVÖLKERUNG Die Huldigungszeremonien in den ländlichen Bezirken sind von Aktionen begleitet, in denen sich der Unwille der Bevölkerung manifestiert. Sie reichen von passivem Widerstand über aktive Störungen bis zu gewaltsamen Aktivitäten. In einzelnen Gemeinden erscheinen die Leute gar nicht in der Kirche oder verlassen diese vor der Eidesleistung. In anderen wird die Zeremonie durch Störaktionen nonverbaler Art behindert, durch demonstratives »Tabak-Rauchen«, lautes Lachen und Jauch-zen sowie durch »etliche Secunden anhaltendes Husten, Schneuzen oder Gruntzen, wiederholtes Räuspern oder unanständiges Gewühl«.6 Die städtischen Ratsherren werden mit den »gröbsten Schimpfreden« bedacht und von Weibern und Kindern mit »Schneballen und Koth« beworfen.7 Auch die bei der Huldigung anwesenden Pfarrer werden als städtische Herrschaftsvertreter Opfer des Volkszorns,8 wie etwa Pfarrer Scheuchzer in Hinwil, der nach einem Bombardement mit faulen Äpfeln »an Gesicht und Kleidern besudelt ward«.9 Einzelne leisten sich sogar Übergriffe auf die Beamten, zerschlagen die Gewehre der Wachen oder zerreißen die Leitseile und den blauweißen Standesmantel des Weibels. »Sie wollten kein blauweiß mehr sehen«, erklären die erzürnten Landleute. Anstatt der städtischen Herrschaftssym-bole tragen die Landbewohner Kokarden in den helvetischen Farben grün, rot, gelb. Besonders aufschlussreich ist der Verlauf der Zeremonie in der Kirche von Wädenswil. Im Bericht der städtischen Deputierten sind neben dem Hinweis auf den Tumult auch einige »vernehmbare Sätze« wiedergegeben, die nach Ansicht des Berichterstatters von »eben so viel Unsinn als Verblendung« zeugten. Im allge-meinen Gewirr der Stimmen10 zeigt sich, dass »die einten zwar der Mediation, die andern der Altschweizerischen Freyheit, den Tellen und Winkelrieden, andere der Constitution von 1798 und der Freyheit und Gleichheit, Gerechtigkeit und Zu-

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trauen (wieder andere dem) Evangelium nicht aber den bestehenden Gesetzen Huldigen wollten«.11

Bei dem aus obrigkeitlich-herrschaftlicher Sicht verfassten Bericht über die Situation im Frühjahr 1804 handelt es sich um eine der wenigen Quellen, die einen Einblick in die Denkweise und das politische Bewusstsein der kleinen Leute in jener Umbruchzeit ermöglicht. Da Selbstzeugnisse12 über die subjektiven Erfahrun-gen der in die Konflikte involvierten Individuen und Wortmeldungen von unten nicht vorhanden sind, erhalten solche Lageberichte einen besonderen Stellenwert. Die beiden Regierungsvertreter, die Ratsherren Hirzel und Usteri, schildern darin ihre Erlebnisse in Zusammenhang mit der geplanten Abnahme des Eides in der Kirche von Wädenswil.13 Die Regierung hat diese Berichte über die Huldigungsakte in den einzelnen Bezirken erstellen lassen, um sich ein Bild von der Stimmung der Landbevölkerung zu machen, später dienen sie als Grundlage für eine strafrechtli-che Verfolgung der tatsächlichen und vermeintlichen »Rädelsführer« der Bewegung. Schon vor dem Erscheinen der Deputierten hat die Obrigkeit nämlich beunruhi-gende Nachrichten erhalten. Die Behörden der genannten Gemeinden sind davor gewarnt worden, das Volk zur Eidesleistung zu vermahnen, mit dem Anzünden ihrer Häuser und mit Mord ist ihnen gedroht worden.14 Solche Quellenberichte lassen auf eine äußerst gereizte Stimmung schließen. Allerdings müssen diese Quel-len gleichsam gegen den Strich gelesen werden, um jene »spasmodische Sicht«15 sozialen Aufbegehrens zu überwinden, die in den Widerstandsaktionen des Volkes nur irrationale Handlungen des aufgebrachten Pöbels wahrnimmt. Der Historiker, der sich auf die Suche nach kulturellen Sinnkonstruktionen, sozialen Interpreta-tionsmustern und politischen Vorstellungshorizonten der breiten Bevölkerung macht, hat solche Überlieferungen ernst zu nehmen und ihren tiefer liegenden Be-deutungsgehalt sowie ihre immanente Rationalität zu entschlüsseln. In Anlehnung an das von Reinhart Koselleck entworfene Konzept einer »historischen Semantik« werde ich versuchen, die im Stimmengewirr identifizierbaren Satzfragmente zu interpretieren. Koselleck sieht die Begriffsgeschichte als Scharnier zwischen der text- und sprachgebundenen Quellenebene und der politisch-sozialen Wirklichkeit; im spezifischen Sprachgebrauch manifestierten sich die konkreten Erfahrungen und Erwartungen der historischen Akteure.16 Andere Autoren gehen sogar über das Studium einzelner Lexeme hinaus und plädieren für die Untersuchung ganzer Begriffsgefüge. Die Analyse solcher semantischer Netze und der damit verknüpften Symbole und Rituale dient dazu, die kollektive Sinnstiftung sowie die Konstituie-rung von Wissen in historischen Kontexten zu erschließen.17 Sie beschränkt sich allerdings nicht nur auf die Diskursebene, sondern durch die Rekonstruktion der Erfahrung der Akteure über spezifische Sprechakte wird versucht, die Textebene mit der unabhängig davon existierenden sozialen Realität zu verknüpfen.18 Um das hier skizzierte Forschungsvorhaben einzulösen, ist zuerst eine Bestandsaufnahme der im Text vorkommenden Begriffe notwendig. Ich möchte die Analyse auf vier Begriffe fokussieren, deren parallelisierende Nennung im Hinblick auf den zu leis-tenden Untertaneneid auf den ersten Blick recht merkwürdig erscheint: »Mediation, Altschweizer Freyheit, Constitution von 1798 und das Evangelium.« Darunter sind Schlüsselwörter der politischen Organisation, zugleich Schlagworte politisch-sozia-

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ler Bewegungen, Kernbegriffe zur Bezeichnung gesellschaftlicher Konfliktfelder, aber auch kulturelle Deutungsmuster mit utopisch-religiösem Gehalt. Obwohl es sich um allgemeine Grundbegriffe der politisch-sozialen Sprache handelt, zeugen sie nach Ansicht des städtischen Chronisten von »Unsinn und Verblendung«. Diese Einschätzung der Äußerungen des Volkes durch einen Vertreter der urbanen Eliten sollte hellhörig machen, sie reflektiert den schon von Zeitgenossen konstatierten Bedeutungswandel überkommener Ausdrücke, die kulturellen Kämpfe um Ge-brauch oder Missbrauch politischer Schlüsselwörter, die Ute Daniel zutreffend als »Urknall der historischen Semantik« bezeichnet hat.19 Sie verweist damit auf die Tatsache, dass in dieser Umbruchphase gesellschaftlichen Bewusstseins20 »Diskurs-universien« in Gang gesetzt werden, die bis heute ihre Bedeutung nicht verloren haben. Der konstatierte Sprach- und Bedeutungswandel fällt nämlich in die Epoche zwischen 1750 und 1850, die gemeinhin als Sattelzeit bezeichnet wird, und der das weltgeschichtliche Ereignis der Französischen Revolution eine besondere Prägung verleiht. Reinhart Koselleck hat vier Tendenzen genannt, die den spezifischen Wandel politischer Leitbegriffe in dieser Epoche kennzeichnen:21 Erstens eine »Demokratisierung«. Gemeint ist der Gebrauch dieser Begriffe durch gesellschaftli-che Kreise, die bis anhin vom politischen Diskurs ausgeschlossen waren oder wur-den. In den zeitgenössischen Quellen ist deshalb immer wieder von »Schwindel-geist« oder »Verblendung« der unteren Gesellschaftsschichten die Rede. Zweitens die »Verzeitlichung«. Damit ist eine Aufladung dieser Begriffe mit spezifischen Er-wartungsmomenten gemeint, eine Ausrichtung auf die Zukunft sowie die Artikula-tion einer erhofften Entwicklung. Drittens wird die »Ideologisierbarkeit« betont. Die Begriffe verlieren ihren konkreten Gehalt und werden deshalb vielseitig ideologisch verwendbar. Statt der feudal konnotierten Pluralvariante »Freiheiten«, die als Bezeichnung für bestimmte Privilegien dient, setzt sich etwa die universel-lere Singularversion »Freiheit« durch. Schließlich ist viertens auf die zunehmende »Politisierung« wichtiger Termini hinzuweisen, die eine interessengeleitete Ver-wendbarkeit im Hinblick auf politische, soziale und wirtschaftliche Macht- respek-tive Verteilungskämpfe ermöglicht. Wenn zum Beispiel bei den ländlichen Unter-schichten von Gleichheit die Rede ist, so ist nicht nur die Rechtsgleichheit gemeint. Um die hier kurz skizzierten semantischen Verschiebungen, die Verwerfungen, Bedeutungsüberhänge und Diskrepanzen zur politisch-sozialen Realität sichtbar zu machen, ist eine Kombination von synchroner und diachroner Analyse notwendig. Die diachrone Linienbildung ermöglicht die Rekonstruktion genetisch historischer Diskursstränge, die sich hinter den einzelnen Schlagwörtern verbergen. Die syn-chrone Perspektive vermag den zeitspezifischen sozialen und politischen Kontext auszuleuchten und damit die Diskurse auf ihren materiellen Gehalt hin zu befragen. Ich werde nun in einem nächsten Schritt versuchen, die vier aus dem Stimmen-gewirr in der Wädenswiler Kirche lokalisierten Schlüsselbegriffe »Mediation, Alt-schweizer Freyheit, Evangelium und Constitution von 1798« in diesem Sinne zu decodieren.

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Wilhelm Tell (Tuschzeichnung und Aquarell). Johann-Georg Volmar (1769-1831) zugeschrieben (Lausanne, Musée historique). Schaubild 1

Tell hält ein Liktorenbündel (Faszes) im Arm. Das aus dem Bündel herausragende Beil ist gekrönt vom Hut Gesslers, dem Symbol der Befreiung von den Unterdrückern. Zu Füssen des Helden liegen ein zerbrochenes Joch, eine Krone und eine Peitsche, Elemente zur Symbolisierung der wiedererlangten Freiheit. Die vom Künstler verwendeten Farben (grün, rot, gelb) sind die Farben der Flagge der Helvetischen Republik.

FRANZOSEN ALS HOFFNUNGSTRÄGER Obwohl sich die Protestbewegung auf der Zürcher Landschaft eigentlich gegen die Einführung der Mediationsverfassung und deren Folgen richtet, sind doch einige Anwesende bereit, den Eid auf die Mediation zu leisten. Um dies zu verstehen, ist kurz der historische Kontext aufzuzeigen, in dem die Verfassung von 1803 entstan-den ist. Entgegen jener in der schweizerischen Geschichtsschreibung weit verbrei-teten Meinung entspringt das Vermittlungswerk Napoleons weniger dem Einfüh-lungsvermögen in die historisch gewachsenen Strukturen der Alten Eidgenossen-

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schaft als dem politischen Kalkül, weitere Unruhen in der Schweiz zu verhindern, den Abzug der dort gebundenen militärischen Kräfte zu ermöglichen, die Integra-tion der Schweiz ins französische Herrschaftssystem sicherzustellen und durch Militärkapitulationen die Lieferung von Soldaten für die französische Kriegsma-schinerie zu garantieren. Die Beseitigung des Unruheherdes Schweiz verlangt aber auch, einen Ausgleich zwischen den rivalisierenden politischen Kräften herbeizu-führen und nötigenfalls zu intervenieren, wenn dieses Gleichgewicht empfindlich gestört wird. Darauf gründen die Hoffnungen der Zürcher Landbevölkerung, sie erwartet einen Interessenausgleich zwischen Stadt und Land durch die Vermittlung Bonapartes. Dieser hat selbst solche Erwartungen geweckt, als er anlässlich der Verabschiedung der schweizerischen Gesandten der Consulta22 dem Vertreter der Zürcher Landschaft versichert: »Bien Citoyen Pfenninger! Sie sind eifersüchtig auf die Vorrechte Ihrer Hauptstadt, aber seien sie beruhigt, Sie haben keine Mauern mehr zwischen Stadt und Land.«23 Napoleon wird somit für die Landbevölkerung zum politischen Hoffnungsträger, der den ländlichen Anliegen doch noch zum Durchbruch verhilft und die Ambitionen der städtischen Aristokratie in ihre Schranken verweist. Solche politischen Überlegungen haben durchaus einen realen Erfahrungshintergrund, denn während der Phase der helvetischen Staatsstreiche werden die föderalistisch-aristokratischen Regierungen durch Intervention des fran-zösischen Militärs vertrieben und durch helvetisch unitarische Kräfte ersetzt. Es sind denn auch die Seedistrikte Horgen und Wädenswil, die Ende 1802 dem ersten Konsul Bonaparte für die »Befreyung von dem gefährlich und gewaltsam wieder herbeygeführten Föderalismus unserer ehemaligen Machthaber« ihren Dank aus-sprechen.24 Nicht nur Napoleon, sondern allgemein die Befehlshaber der fran-zösischen Truppen gelten vielen Landleuten als Garanten für die Wiederherstellung des politischen Gleichgewichts zwischen Stadt und Land. Als kurz vor der Einfüh-rung der Mediationsakte ein fiktiver Verfassungsentwurf auf der Landschaft kur-siert, wird darin der französische General Rapp als »wichtige[r] Engel« [...] bezeich-net, der die »freudige bottschaft bring[e].«25 Diese Zusammenhänge vermögen die Beurteilungsdifferenz zwischen Mediationsverfassung und den als ungerecht emp-fundenen Gesetzen zu erklären. Ein Teil der Landbürger ist allenfalls bereit, der Verfassung zu huldigen, die im Anschluss daran erlassenen kantonalen Gesetze lehnen die Protestierenden aber kategorisch ab.

ERINNERUNG AN »ALTE FREIHEITEN« Der zweite Schlüsselbegriff, die »Altschweizer Freyheit« der Tellen und Winkel-riede, bedarf einer diachronen und synchronen Erklärung. Die Figur Wilhelm Tells, die hier zusammen mit Arnold von Winkelried für die »Altschweizer Freyheit« steht, gehört schon früh zum Inventar eines schweizerischen Geschichtsbewusst-seins, das sich zu Beginn der Neuzeit entwickelt hat und im 17. und 18. Jahrhun-dert verschiedene Metamorphosen erfährt. Gemeint sind die eidgenössischen Gründungs- und Befreiungsmythen, der heroische Befreiungskampf der alten Eid-genossen gegen den habsburgischen Adel und die tyrannischen Vögte. In früh-neuzeitlichen Bauernrevolten wird diese von Generation zu Generation wiederge

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Stich von Marquard Wocher (1760-1830) als Vorlage. Schaubild 2

Der Knabe überreicht Wilhelm Tell den Apfel am Pfeil. Diese Telldarstellung ist auf den amtlichen Schreiben der helvetischen Behörden zu finden.

gebene Heldensaga zum Legitimationsmuster, das sich gleichsam gegen die städti-schen Obrigkeiten richtet. Als Nachkommen Tells und der Bundesgründer von 1291 verfügen die Aufständischen über besondere Freiheiten, Rechte und Privile-gien, die ihnen im Laufe der Zeit entzogen worden sind. Als etwa im Bauernkrieg von 1653 als Tellen verkleidete Akteure auftreten, um eine mobilisierende Kraft auf die Zuschauer auszuüben,26 wird dieser für die städtisch-bürgerlichen Kreise zur eher suspekten Figur. Erst als sich bei einem Teil der städtischen Eliten im 18. Jahrhundert ein Krisenbewusstsein herausbildet, kommt es zu einer Renaissance des Kults, als nationale Integrationsfigur ist Tell wieder gefragt. Im einzigen trans-kantonalen Sammelbecken der nationalpädagogisch-patriotischen Reformbewe-gung, der »Helvetischen Gesellschaft in Schinznach«, entfaltet sich um die von Alexander Trippel geschaffene Tellstatuette ein Trinkritual, das in eine Sakrali-sierung des Freundschaftskultes und eine hybride Imitation des Helden ausartet.27 Zur Beschwörung der Einheit der agonalen Alten Eidgenossenschaft ist Tell durch-aus willkommen, sobald er allerdings beim murrenden Volk auftaucht, hört die Tellbegeisterung bei den städtischen Aristokraten auf. Die einheitsstiftende Funk-tion des Tellmythos wird auch schnell von den Schöpfern der von inneren Krisen und von fremden Mächten bedrohten Helvetischen Republik erkannt, nicht um-sonst figuriert das Tell-Motiv als Staatssiegel und ziert zusammen mit den Worten »Freiheit und Gleichheit« alle amtlichen Dokumente. Die Übernahme des alt-

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schweizerischen Freiheitssymbols durch die Helvetische Republik ist allerdings noch auf einen andern Rezeptionsstrang zurückzuführen: den von französischen Literaten aufgegriffenen Tell-Stoff. Tell-Dramen und Opern machen diesen auch in Frankreich populär, und der Held mutiert während der Revolution schließlich zum jakobinischen Tell, der im Zuge der Sakralisierung der Revolution im Kult der Vernunft neben Brutus, Marat, Le Pelletier, Rousseau und Voltaire einen wichtigen Platz einnimmt.28

Diese historisch-genetischen Entwicklungsstränge müssen nun um die synchrone Dimension erweitert werden: Das Auftreten des Tellmotivs im situativen Kontext der Helvetischen Revolution auf der Zürcher Landschaft. Hier durchläuft Tell eine weitere Metamorphose, er wird zum sansculottischen Tell und steht für Befreiung von Feudallasten und materielle Umverteilung. Einen Hinweis, wie die Abgaben-freiheit zu erreichen wäre, gibt bereits das Votum eines bäuerlichen Interessenver-treters anlässlich der Loskaufsdebatte im Grossen Rat, wenn er erklärt: »Wilhelm Tell und seine Kameraden haben sich ja auch nicht freigekauft, sondern freige-schlagen.«29 In der Spätphase der Helvetik wird das dem Tellstoff inhärente Be-freiungsmotiv abermals gegen den Wiedereinzug der Zehnten und Grundzinsen instrumentalisiert, Tellbilder zieren die zu wilden Maien mutierten Freiheitsbäu-me.30 Tell steht gleichsam für die Hoffnung auf bessere Zeiten, er wird zum charismatischen Erlöser von Leid und Not. Ein Beispiel dafür liefern die Revolu-tionsereignisse: Als im Frühjahr 1798 plebejische Volkshaufen, in alte Schweizer-trachten gekleidet und mit dreifarbigen Bändern geschmückt, vor die Stadt ziehen, werden sie von Wilhelm Tell mit seinem Knaben begleitet, der einen Apfel auf dem Kopf trägt. Die Teilnehmer des karnevalesk anmutenden Zuges sind mit pikenähn-lichen Prügeln ausgerüstet, auf dem Rücken tragen viele einen leeren Sack. Die in den Quellen verächtlich als »Sackpatrioten« bezeichneten Akteure der historischen Maskerade zeigen in einzigartiger Weise die Gemengelage alter und neuer Symbolik mit deren Hilfe die sozialen Ambitionen und Gleichheitshoffnungen der kleinen Leute ausgedrückt werden.31 Tell steht hier für Umverteilung und Wiederaneignung gesellschaftlichen Reichtums durch die plebejischen Schichten, für sie bricht mit der helvetischen Revolution eine neue Epoche, eine »Zeit des Teilens« an.32 Die politische Begrifflichkeit wird damit ins Materielle übersetzt, Gleichheit wird als soziale Gleichheit interpretiert.33

Mit sozialer Gerechtigkeit, mit Erlösung von Leid und Not, hat auch ein weiterer Begriff zu tun, der in Zusammenhang mit den Huldigungsverweigerungen auf-taucht, der Verweis auf das »Evangelium«. Der Rekurs auf die Bibel während der Revolutionszeit vermag auf den ersten Blick zwar zu überraschen, zumal in dieser Epoche anhand der Auswertung serieller Quellen Dechristianisierungstendenzen in der breiten Bevölkerung festgestellt worden sind.34 Entsprechende Hinweise sind auch für die Zürcher Landschaft zu finden. Trotzdem knüpfen die Protestierenden in der Wädenswiler Kirche an einen weiteren Traditionsstrang an, den reformatori-schen. Als 1524 die Bauern auf der Zürcher Landschaft mit dem Hinweis auf die im »heiligen Evangelio« zu findenden »Fryheiten« die Aufhebung der Leibeigen-schaft fordern, oder erklären »sie wellent [k]einen eignen Herren han, anders dann als Gott unsern himmlischen vatter«, kommt eine bäuerliche »Befreiungstheologie«

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F.L. Steiger, Marchand de feuilles volantes, Bern, Burgerbibliothek. Schaubild 3

Bei der Verbreitung politischer Nachrichten in Form von Flugblättern oder Flugschriften spielten fahrende Händler (Kolporteure) eine wichtige Rolle.

zum Ausdruck, die in den 17 Kyburger Artikeln ihren politischen Niederschlag findet.35 Es ist durchaus denkbar, dass kollektive Erinnerungen an diese ursprüngli-che Intention der reformatorischen Bewegung auf dem Land auch jene Zeit über-dauert haben, in der Zwinglis Theologie zur herrschaftslegitimatorischen Ideologie mutiert und die Zürcher Staatskirche zum Sozialdisziplinierungsinstrument gewor-den ist, indem sie ihren entlastenden, egalitären und gemeinschaftsstiftenden Cha-rakter längst verloren hat. Die Reduktion der Religion auf die Unterwerfung der Seelen und die Evokation von Ängsten erklärt auch jene psychischen Dispositio-nen, die teilweise den religiösen Hintergrund für die politischen Emanzipationsbe-wegungen der 90er Jahre bilden.36 Es sind präzis jene Gläubigen, die sich nur Gott und ihrem Gewissen verantwortlich fühlen, die den kirchlichen und weltlichen Allmachtsanspruch kritisieren und damit die Institutionen des Ancien régime in Frage stellen. Deshalb ist eine gewisse Koinzidenz zwischen direkter Berufung auf das Evangelium und Protestverhalten während der Revolutionszeit festzustellen, das nonkonformistische religiöse Netzwerk bildet sogar teilweise die Infrastruktur der Oppositionsbewegungen.

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Anonym (1798) Chansons à faire sur l’Air qu’on voudra – Nach einer beliebigen Weise zu singen (Radierung), Bern, Schweizerische Landesbibliothek. Schaubild 4

Lieder waren in der Zeit der Helvetik ein wichtiges Mittel der politischen Propaganda und der ideologischen Indoktrination. Ein Ausschnitt aus dem Liedtext zur bildlichen Darstellung lautet etwa: »Die Oligarchen wollen sich verteidigen, sie sind zu schwach, weil sie nicht zusammenhalten, jeder denkt nur an sich. Darum müssen sie der Stärke weichen, ihre Würden ablegen und all ihr Geld hergeben.«

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FREIHEIT UND GLEICHHEIT: EINFLÜSSE DER FRANZÖSISCHEN REVOLUTION Während der Rekurs auf Tell und Winkelried sowie auf das Evangelium ihren Ursprung in der alten Freiheit haben, knüpft die Berufung auf die »Constitution von 1798«, die Verfassung des helvetischen Einheitsstaates, an jenen mit der Auf-klärung und der Französischen Revolution sich durchsetzenden Entwicklungs-strang der neuen Freiheit an. Auch dies ist überraschend, zumal die Verfassung von 1798 – ein vom Basler Oberstzunftmeister Peter Ochs ausgearbeitetes Projekt – mit ihrer »politisch-philosophischen Begrifflichkeit« und ihrem »staatsterminolo-gischen Vokabular« für grosse Teile der Landbevölkerung unverständlich ist.37 Trotz Aufklärungs- und Propagandaoffensive muss ein Vertreter der helvetischen Bildungselite resigniert feststellen, dass »das Verlesen einer Verfassung in vielen hundert Dorfgemeinden nicht mehr und nicht weniger ist, als wenn man diesen guten Leuten den Alkoran vorläse«.38 Trotzdem scheint die Erinnerung an die »Constitution von 1798« die Zeit der Helvetik überdauert zu haben. Es ist aller-dings eine selektive Erinnerung: Von Bedeutung für die kleinen Leute sind jene Elemente aus dem neuen Verfassungswerk, die mit bestimmten Hoffnungen und Erwartungen verbunden sind, oder Bestimmungen, die im Kontext der Huldi-gungsverweigerungen eine besondere Bedeutung erhalten. Sie sind in engem Zu-sammenhang mit dem Forderungskatalog der Protestierenden zu sehen. Zum einen steht die Berufung auf die Verfassung für die Abschaffung der Feudallasten. Artikel 13 der helvetischen Verfassung vom 1. April 1798 postuliert nämlich: »Der Grund und Boden kann mit keiner Last, Zins oder Dienstbarkeit beschwert werden, wovon man sich nicht loskaufen könnte.«39 Als am 4. Mai die Legislative auch noch den Grundsatzbeschluss fasst, alle »Personal-Feudal-Rechte« aufzuheben, weckt dies bei der Bevölkerung bereits die Hoffnung auf eine generelle Beseitigung der Feudallasten, zumal eine genaue Definition des Begriffs »Personal-Feudal-Rechte« fehlt.40 Obwohl diese Erwartungen nicht erfüllt werden, ist die Hoffnung auch 1804 noch vorhanden, und die erste helvetische »Constitution« steht für große Teile der Bevölkerung für Abgabenfreiheit. Zum andern sind es die mit der Verfassung verknüpften Begriffe »Freiheit und Gleichheit«, die sich im kollektiven Gedächtnis besonders eingeprägt haben. Diese beiden Termini sind allerdings schon vor 1798 bekannt. Wie die neuere Forschung nachgewiesen hat, ist die breite Bevölkerung über die Ereignisse in Frankreich gut informiert, und das Revolutions-geschehen stellt gleichsam eine Projektionsfläche für eigene politische Ambitionen dar.41 »Sintdem sie mit Frankreich verbunden, geniessen sie mehr Freiheit als vorher,«42 erklärt etwa ein durchreisender Wanderhandwerker aus Savoyen den interessierten Gästen in einem Wirtshaus auf der Zürcher Landschaft und weckt damit die Neugier der Zuhörer. Durch mündliche Verbreitung, aber auch durch Flugschriften, gelangen Begriffe wie »Freiheit und Gleichheit« ins Bewusstsein der kleinen Leute. An ihnen entzünden sich Hoffnungen und Erwartungen. Während der Zeit der Helvetik gehören sie dann zum Propagandaarsenal der Regierung, Proklamationen und Dokumente sind mit ihnen gekennzeichnet. Im Zusammen-hang mit dem Versuch einer Wiedereinführung der städtischen Privilegien gewin-nen sie jedoch eine spezielle Bedeutung: Freiheit steht für Beseitigung der städti-

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»Das Evangelium – Tell und Winkelried – Die Constitution von 1798« 41

schen Herrschaftsrechte, Gleichheit für Rechtsgleichheit von Stadt- und Landbür-gern.

Eine Bestandsaufnahme der Begriffe und der dahinter stehenden Vorstellungs-welt lässt erkennen, dass mit der politischen Instrumentalisierung der »Tellen und Winkelriede« sowie der aus dem »Evangelium« abgeleiteten Freiheiten auf Legitima-tionsmuster zurückgegriffen wird, die als traditional bezeichnet werden können und für die sich in der historischen Forschung der Begriff »altrechtlich« durchgesetzt hat. Damit ist einerseits der Rückgriff auf Rechtsaltertümer, auf alte Briefe und die darin aufgeführten Privilegien gemeint, die den Untertanen im Lauf der Zeit entzogen worden sind. Andererseits ist es der Rekurs auf göttlich gewiesenes Recht, das im Gegensatz zu dem von Menschen geschaffenen positiven Recht auf eine überzeitliche, vor aller geschichtlichen Wirklichkeit liegende, höhere Gerechtigkeit hinweist.43 Dies könnte zur Annahme verleiten, dass bei einem großen Teil der Bevölkerung immer noch die gleichen Argumentationsmuster Verwendung finden, die dem altrechtlichen Legitimationsdiskurs der Bauernrevolten der Frühneuzeit entstammen. Das politische Bewusstsein der Bevölkerung hätte sich dann als weit-gehend immun gegenüber dem neuen, durch Aufklärung und Revolution innovier-ten Ideenkanon erwiesen. Ein Vergleich mit einer Untertanenrevolte, welche die Zürcher Landschaft rund zehn Jahre vor den Unruhen nach der Einführung der Mediationsverfassung erschüttert hat, vermag diese Annahme allerdings zu relati-vieren. In Zusammenhang mit dem sogenannten »Stäfner-Handel« von 1794/95 kommt es zu ähnlichen Protestäußerungen wie im Jahr 1804 in der Wädenswiler Kirche. Im Mittelpunkt steht anfänglich der Ruf nach »Brief und Siegel« – gemeint sind die Waldmannschen Spruchbriefe und der Kappelerbrief – mit deren Hilfe vermeintliche und tatsächliche »alte Freiheiten« – man beachte den Plural – einge-fordert werden sollen. Da die historischen Rechtsdokumente allerdings in städti-schen Archiven lagern, weil die Obrigkeit um ihre legitimationsstrategische Brisanz weiß, kommt es zu einer fieberhaften Suche nach diesen Papieren. Sie nimmt teilweise groteske Formen an, in die Dokumente werden weiterreichende, fast uto-pisch anmutende Hoffnungen hineinprojiziert.44 Ausgangspunkt des populären Forderungskatalogs bildet immer noch ein typisch »altrechtlicher« Argumentations-strang, der im konkreten Handlungskontext jedoch bereits transzendiert wird. Auch anfangs 1804 wird auf ein älteres Rechtsdokument rekurriert, allerdings auf die Verfassung der Helvetischen Republik, deren Entstehung nur fünf Jahre zurück-liegt. Im Zentrum stehen deren Schlüsselbegriffe »Freiheit und Gleichheit«, die im Unterschied zu den alten Freiheiten und Privilegien zu universalistischen, zukunfts-gerichteten Termini geworden sind und die deshalb eine facettenreichere Interpre-tation ermöglichen. Selbst die noch dem traditionalen Arsenal entnommene Beru-fung auf die »Altschweizer Freyheit« erfährt im situativen Kontext einen Bedeu-tungswandel, indem der Begriff in Zusammenhang mit einem Set von Bildern und Symbolen auftaucht. Wenn Tell zugleich mit dreifarbigen Bändern geschmückt wird, wenn sich die Teilnehmer der historischen Maskeraden mit Kokarden ver-sehen oder die Akteure der Unruhen leere Säcke tragen, um damit ihre materiellen Erwartungen sichtbar zu machen, zeigt sich die Bedeutungsverschiebung. Wolf-gang Kaschuba hat für diese Veränderung traditioneller Kernbestände der Volks-

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kultur den Begriff »Dynamik der Tradition« geprägt und damit darauf hingewiesen, dass auch die Unterschichten zu einer selbständigen Verarbeitung überlieferter Kulturmuster fähig sind.45 Traditionelle Protestformen erfahren in der Revolutions-epoche eine Neuinterpretation und werden mit alternativen Inhalten verknüpft. Das Gleiche gilt auch für die Semantik politisch-sozialer Leitbegriffe, ihre Bedeu-tung erfährt eine Modifikation und sie erhalten neue Valenzen. Dies setzt wiederum kollektive Lernprozesse bei den politischen Akteuren voraus, die in einem nächsten Schritt kurz aufgezeigt werden sollen.

Es ist wiederum Reinhart Koselleck, der auf den Erkenntniswert der beiden historischen Kategorien Erfahrungsraum und Erwartungshorizont hingewiesen hat.46 Weil sich in ihnen Vergangenheit und Zukunft verschränken, sind sie beson-ders geeignet, geschichtliche Zeit auch im Bereich empirischer Forschung aufzu-spüren. Koselleck stellt zudem fest, dass sich im ausgehenden 18. Jahrhundert die Differenz zwischen Erfahrung und Erwartung immer mehr vergrößert hat, durch die Asymmetrie von Erfahrungsraum und Erwartungshorizont entsteht ein zu-kunftsgerichtetes utopisches Überschusspotential.47 Einen besonderen Stellenwert in diesem Prozess bekommt die Französischen Revolution, wie bereits ein Zeitge-nosse um 1799 konstatiert: »Die Französische Revolution war für die Welt eine Erscheinung, welche aller historischen Weisheit Hohn zu sprechen schien, und täglich entwickelten sich aus ihr neue Phänomene, über welche man die Geschichte immer weniger zu befragen verstand.«48 Das epochale Ereignis, dessen Bedeutung im politischen Gefühlshaushalt der kleinen Leute nicht unterschätzt werden darf, trägt zur Beschleunigung der lebensweltlich erfahrenen Zeitrhythmen bei,49 gleich-sam ein Durchlauferhitzer der politischen Erfahrungswelt. Traditionale Interpreta-tionsmuster verlieren deshalb ihre Bedeutung oder werden mit alternativen Wert-vorstellungen imprägniert. Diese allgemeinen Aussagen lassen sich auf die politi-schen Erlebnisse der Zürcher Landbevölkerung übertragen. Zwei Entwicklungen sind hier von Bedeutung. Erstens werden die Menschen mit einer Flut von Infor-mationen überhäuft, spezielle Zeitungen für das Volk50 und Flugschriften erreichen über die Kommunikationsnetze einer neu entstandenen plebejischen Öffentlichkeit die kleinen Leute.51 Das Scharnier zwischen der ländlich-bürgerlichen Öffentlich-keit der Lesegesellschaften und der plebejischen Öffentlichkeit bilden Berufsgrup-pen, die durch ihre Mobilität in vielfältige Kontakte zu den Unterschichten treten. Hausierer, Branntweinkrämer, Garnträger, Schweinehändler, Viehtreiber, Musikan-ten, Studenten und heimkehrende Soldaten bringen die politischen Nachrichten in die entlegensten Dörfer.52 Mangelnde Lesefähigkeit bildet kein Rezeptionshindernis mehr, zumal verschiedene semiliterarische Aneignungspraktiken für eine weitere Verbreitung sorgen.53 Zudem tragen visuelle Zeichen wie Kokarde, Freiheitsmütze und Freiheitsbaum zur Popularisierung der neuen Ideen bei. Zweitens kommt es durch die während der helvetischen Revolution aufbrechenden gesellschaftlichen Konflikte zu einer intensiven Erfahrung politischen Wandels. In der Übergangszeit von 1797 bis 1803 erleben die Bewohner der Landschaft nicht weniger als fünf ver-schiedene Regierungen, die teilweise auch für unterschiedliche politische Ord-nungsformen stehen. Durch die Ereigniskette der Revolution wird der gemeinsame Erfahrungsraum perspektivisch aufgebrochen, die Gleichzeitigkeit des Ungleichzei-

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tigen wird für den Einzelnen konkret fassbar. Diese Entwicklungen haben Auswir-kungen auf die politische Semantik, eine zielorientiert-prognostische Begrifflichkeit setzt sich durch, darin reflektiert sich wiederum eine Verschiebung des Erwartungs-horizonts.

Die vorangehenden Ausführungen dürften gezeigt haben, dass die kurze Zeit-spanne der Helvetik für die politische Bewusstseinsbildung von großer Relevanz ist. Sie prägt die Wahrnehmung der kleinen Leute und trägt dazu bei, dass sich neue Deutungsmuster im Hinblick auf die politisch-soziale Wirklichkeit durchsetzen. Dies führt zu einer Inflation der politischen Ansprüche, sie reichen weit über die in der Mediationsverfassung enthaltenen, bescheidenen Zugeständnisse hinaus. Ein Ausschnitt aus einem Pamphlet, das kurz vor der Einführung der Mediationsakte auf der Landschaft kursiert, vermag dies nochmals zu illustrieren: »O fater land vor dich zu sterben, ist jeder patriot bereit, der Himel schenck uns diss vergnügen und jage die Franzosen herbei.«54 Trotz den Leiden der Besatzungszeit, trotz Einquar-tierungen und Requisitionen sind die französischen Interventionstruppen für große Teile der Zürcher Landbevölkerung immer noch das kleinere Übel als die neoaris-tokratischen städtischen Machthaber. Solche Beobachtungen sollten auch zu einer gerechteren Beurteilung der Helvetik und ihrer Bedeutung für die politische Be-wusstseinsbildung der kleinen Leute beitragen.

ANMERKUNGEN 1 Zu diesen Entwicklungen vgl. Johann Caspar Bluntschli: Staats- und Rechtsgeschichte der

Stadt und Landschaft Zürich, zweiter Teil. Zürich: Orell-Füssli 1856(2), S. 341-350; Emil Brunner: Der Kanton Zürich in der Mediationszeit 1803-1813, Diss. Univ. Zürich. Zürich-Selnau: Leemann 1908, S. 7-20; allgemein auch Karl Dändliker: Geschichte der Stadt und des Kantons Zürich, Bd. 3: Von 1712 bis zur Gegenwart. Zürich: Schulthess 1912, S. 160-172; Daniel Frei: Mediation. In: Handbuch der Schweizer Geschichte, Bd. 2, Zürich: Berichthaus 1977, S. 841-869, bes. S. 857. Allgemein zur konstitutionellen Umgestaltung Europas 1799 bis 1814 vgl. Bernd Wunder: Europäische Geschichte im Zeitalter der Französischen Revo-lution 1789-1815. Stuttgart, Berlin, Köln: Kohlhammer 2001, bes. S. 140-184.

2 Vgl. dazu das Urteil des Malefizgerichts gegen Hans Ulrich Hochstrasser, der »dem Scharf-richter übergeben […], welcher ihme die Hände rükwärts binden, ihn hinaus auf die ge-wohnte Richtstadt führen und daselbst durch das Rad von oben herab vom Leben zum Tode bringen, hernach aber sein Körper unter dem Hochgericht auf der Grien auf das Rad flechten sollte.« StAZH (Staatsarchiv Zürich) III Ca 11c: Beschreibung der Verbrechen, Urtheil und Hinrichtung des Hans Ulrich Hochstrassers von Meilen im Canton Zürich, Zürich bey David Bürkli 1804, S. 12 f.; Hochstrasser wurde später zum Enthaupten, Rädern des Rumpfes und Aufspießen des Kopfes begnadigt. Allgemein zur Rearchaisierung der Strafjustiz vgl. Bruno Fritzsche, Max Lemmenmeier: Die revolutionäre Umgestaltung von Wirtschaft, Gesellschaft und Staat 1780-1870. In: Niklaus Flüeler/Marianne Flüeler-Grau-wiler (Hg.): Geschichte des Kantons Zürich, Bd. 3: 19. und 20. Jahrhundert. Zürich: Werd Verlag 1994, S. 20-157, bes. S. 124; Rudolf Braun: Das ausgehende Ancien Régime in der Schweiz. Aufriss einer Sozial- und Wirtschaftsgeschichte des 18. Jahrhunderts. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1984, S. 311.

3 Vgl. Brunner (1908) S. 96 (wie Anm. 1).

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4 Offizielle Sammlung der vom Grossen Rat des Kantons Zürich herausgegebenen Gesetze,

Bd. 1, S. 42, zit. nach Albert Hauser: Der Bockenkrieg, ein Aufstand des Zürcher Landvolks im Jahre 1804. Diss. Univ. Zürich, Zürich: Buchdruckerei a. d. Sihl 1938, S. 37.

5 Zur Bedeutung der Huldigung in vormoderner Zeit vgl. André Holenstein: Die Huldigung der Untertanen. Rechtskultur und Herrschaftsordnung (800-1800) Stuttgart und New York: Fischer 1991(Quellen und Forschungen zur Agrargeschichte, Bd. 36), S. 4-7.

6 Quellennachweise: Staatsarchiv Zürich (StAZH), M 2.1 Verbal Processe, Nr. 4, 16, 34. 7 Beiträge zur Geschichte der Unruhen im Kanton Zürich im Jahr 1804 (Von einem verstor-

benen Zürcherischen Gelehrten): In: Joseph Anton Balthasar (Hg.): Helvetia. Denkwür-digkeiten der XXII Freistaaten der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Bd. 7. Aarau: F. F. Christen, Buchdrucker u. Buchhändler (1832), S. 141-168, bes. S. 142; ferner Hauser (1938) S. 40 (wie Anm. 4); Jakob Stelzer: Geschichte der Gemeinde Meilen. Meilen: Verlag der Mittwochsgesellschaft 1934, S. 209.

8 Als Vollstrecker obrigkeitlicher Sozialdisziplinierungsmaßnahmen und als Vorposten einer restriktiven Moralpolitik geraten die Pfarrer in der Frühneuzeit immer wieder in Konflikt mit der popularen dörflichen Kultur. Träger der Aktionen sind die Knabenschaften. Vgl. Norbert Schindler: Die Hüter der Unordnung. Rituale der Jugendkultur in der frühen Neuzeit. In: Giovanni Levi/Jean-Claude Schmitt (Hg.): Geschichte der Jugend: Bd. 1: Von der Antike bis zum Absolutismus. Frankfurt a.M.: S. Fischer 1996, S. 319-382, bes. S. 362f.; zur Bedeutung der Knabenschaften in der Schweiz vgl. Eduard Hoffmann-Krayer. Knabenschaften und Volksjustiz in der Schweiz. In: Ders., Kleine Schriften zur Volkskunde, Hg. von Paul Geiger. Basel: Krebs 1946 (Schriften der Schweizerischen Gesellschaft für Volkskunde, Bd. 30), S. 124-159.

9 StAZH, M 2.1, Verbal Processe, Nr. 34. 10 Namentlich genannt werden im Bericht nur zwei Personen: Schützenmeister Hauser von

»Herrlisperg« und Schiffmann Trachsler, beide aus der Gemeinde Wädenswil. 11 StAZH, M 2.1 Verbal Processe über die Huldigungen im Frühjahr 1804, Nr.1 und Beilage zu

Nr. 1; vgl. auch Helvetia, Bd. 7, S. 141 f. (wie Anm. 7). Es handelt sich um einen Bericht über die Ereignisse in der Kirche von Wädenswil, verfasst von den beiden städtischen Deputierten Usteri und Hirzel. Paul Usteri (1768-1831) gehört eher zu den moderaten Herrschaftsver-tretern, während der Zeit der Helvetischen Republik war er Mitglied des Senats.

12 Zur Bedeutung dieser Quellengattung für die Rekonstruktion subjektiver Erfahrungswelten vgl. Jan Peters, Wegweiser zum Innenleben? Möglichkeiten und Grenzen der Untersuchung popularer Selbstzeugnisse der Frühen Neuzeit. In: Historische Anthropologie. Kultur, Ge-sellschaft, Alltag. 1. Jg. 1993, S. 235-249; Winfried Schulze (Hg.): Ego-Dokumente. An-näherung an den Menschen in der Geschichte, Berlin: Akademie-Verlag 1996 (Selbstzeug-nisse der Neuzeit, Bd. 2)

13 Dort hätte der Treueeid der Gemeinden Wädenswil, Richterswil, Schönenberg und Hirzel geleistet werden sollen.

14 Wädenswiler Gemeindechronik, Lesegesellschaft der Gemeinde Wädenswil, zit. nach Hauser (wie Anm. 4), S. 38.

15 Zur Kritik an dieser in der älteren Forschung vorherrschenden Sichtweise vgl. Edward P. Thompson: Die »Moralische Ökonomie« der englischen Unterschichten im 18. Jahrhundert. In: Ders., Plebeische (!) Kultur und moralische Ökonomie. Aufsätze zur englischen Sozialge-schichte des 18. und 19. Jahrhunderts. Ausgewählt und eingeleitet von Dieter Groh. Übers. von Günther Lottes. Frankfurt a. M, Berlin, Wien: Ullstein 1980, S. 67-130, bes. S. 69.

16 Reinhart Koselleck: Gegenstand und Begriffe der Verfassungsgeschichtsschreibung. Berlin 1983 (Der Staat, Beiheft 6), S. 45.

17 Hans Erich Bödeker: Ausprägung der historischen Semantik in den historischen Kulturwis-senschaften. In: Ders. (Hg.): Begriffsgeschichte, Diskursgeschichte, Metapherngeschichte. Göttingen: Wallstein 2002 (Göttinger Gespräche zur Geschichtswissenschaft, Bd. 14), S. 7-27; Rolf Reichardt: Wortfelder, Bilder, Semantische Netze. Beispiele interdisziplinärer Quel-

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»Das Evangelium – Tell und Winkelried – Die Constitution von 1798« 45

len und Methoden in der Historischen Semantik. In: Gunter Scholtz (Hg.): Die Interdiszipli-narität der Begriffsgeschichte. Hamburg: Meiner 2000 (Archiv für Begriffsgeschichte, Son-derheft), S. 111-133. Einen informativen Überblick zur Historischen Semantik bietet: Rein-gard Esser: Historische Semantik. In: Joachim Eibach/Günther Lottes (Hg.): Kompass der Geschichtswissenschaft. Ein Handbuch. Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht 2002 (UTB für Wissenschaft, 2271) S. 281-292.

18 Der Autor geht von der Annahme aus, dass Wirklichkeit nicht ausschließlich über das Me-dium des Textes erschlossen werden kann.

19 Ute Daniel: Kompendium Kulturgeschichte. Theorien, Praxis, Schlüsselwörter. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2001 (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft, 1523), S. 351.

20 Reinhart Koselleck/Rolf Reichardt (Hg.). Die Französische Revolution als Bruch des gesell-schaftlichen Bewusstseins. Vorlagen und Diskussionen der internationalen Arbeitstagung am Zentrum für Interdisziplinäre Forschung der Universität Bielefeld. München: Oldenbourg 1988 (Ancien Régime, Aufklärung, Revolution, 15).

21 Vgl. Reinhart Koselleck: Einleitung. In: Otto Brunner/Werner Conze/Reinhart Koselleck (Hg.): Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Bd. 1. Stuttgart: Klett/Cotta 1972, Nachdruck 1979, S. XIII-XXVII, bes. S. XVI f.

22 Mit diesem Begriff wird die Mission der Schweizer Delegation in Paris bezeichnet. Vgl. Hans Heinrich Coninx: Hans von Reinhard an der Consulta in Paris. November 1802 bis Februar 1803. Diss. Univ. Zürich. Zürich: Regina Druck 1972; Gottfried Guggenbühl: Bürgermeister Paul Usteri, 1768-1831. Ein schweizerischer Staatsmann aus der Zeit der französischen Vor-herrschaft und des Frühliberalismus, Bd. 1. Aarau: Sauerländer 1924, S. 341f.; Conrad von Muralt: Hans von Reinhard. Bürgermeister des eidgenössischen Standes Zürich und Landam-mann der Schweiz. Beitrag zur Geschichte der Schweiz während der letzten vier Jahrzehnte. Zürich: Orell-Füssli 1838, S. 116 f.

23 Zit. nach Wilh(elm) Streuli: Die Überrumpelung des Dorfes Horgen durch Truppen der zürcherischen provisorischen Regierung am 10. Oktober 1802. In: Neue Zürcher Zeitung (NZZ), Beilage zu Nr. 88 vom 29. März 1903, S. 3.

24 StAZH, K II 167, Dankadresse des Distrikts Wädenswil, 10. Nov. 1802. 25 StAZH, M 1. 1, Nr. 6: Beilage zum Brief von Bezirksstatthalter Frick: Kopie des Verfas-

sungsentwurfs vom 22. Juni 1803. 26 Vgl. Andreas Suter: Der Schweizerische Bauernkrieg von 1653. Politische Sozialgeschichte -

Sozialgeschichte eines politischen Ereignisses. Tübingen: bibliotheca academica Verlag 1997 (Frühneuzeit-Forschungen, Bd. 3), S. 144 u. 434 f.

27 Daniel Tröhler: Republikanismus als Erziehungsprogramm: Die Rolle von Geschichte und Freundschaft in den Konzepten eidgenössischer Bürgerbildung der Helvetischen Gesell-schaft. In: Michael Böhler/Etienne Hofmann/Peter H. Reill/Simone Zurbuchen (Hg.): Re-publikanische Tugend: Ausbildung eines Schweizer Nationalbewusstseins und Erziehung eines neuen Bürgers. 16. Kolloquium der Schweizerischen Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften. Genève: Slatkine 2000 (Travaux sur la Suisse des Lumières, 2), S. 401-421, bes. S. 416.

28 Zur Bedeutung Tells während der Zeit der Französischen Revolution vgl. Ricco Labhardt: Tells revolutionäre und politische Maskeraden. In: Lilly Stunzi (Hg.): Tell. Werden und Wan-dern eines Mythos. Bern und Stuttgart: Hallwag 1973, S.89-106, bes. S. 90-100.

29 Aktensammlung aus der Zeit der Helvetischen Republik (1798-1803), bearb. von Johannes Strickler (ASHR), Bd. II., Bern 1887, S. 41, zit. nach Eduard His: Geschichte des neuern Schweizerischen Staatsrechts Bd. 1: Die Zeit der Helvetik und der Vermittlungsakte 1798 bis 1813. Basel: Helbing & Lichtenhahn 1920. Reprint Frankfurt a. M. 1968, S. 544, Anm. 80.

30 Wilfried Ebert: Der frohe Tanz der Gleichheit. Der Freiheitsbaum in der Schweiz 1798-1802. Diss. Zürich. Zürich: Chronos 1996, S. 203.

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31 Vgl. Rolf Graber: Alte oder neue Freiheit? Qualitative Veränderungen der Protestziele und

des Protestverhaltens 1794 bis 1798: Die Zürcher Landschaft als Beispiel. In: Christian Si-mon (Hg.): Blicke auf die Helvetik. Basel: Schwabe & Co. 2000 (Dossier Helvetik, V/VI), S. 67-93, bes. S. 84 f. (dort auch weitere Quellenverweise).

32 Zur Begriffsfindung: Fritz Brupbacher: Die helvetische Revolution und die Arbeiterbewe-gung in der Schweiz (1798-1851), Hg. v. Verbandsvorstand des Schweizerischen Holzarbei-terverbandes. Zürich: Verlag des Schweizerischen Holzarbeiter-Verbandes 1912, S. 8f.; allge-mein zu Sinnhorizont, Bewusstseinstrukturen und Handlungsmotivationen der plebejischen Schichten vgl. Rolf Graber: Zeit des Teilens. Volksbewegungen und Volksunruhen auf der Zürcher Landschaft 1794-1804. Zürich: Chronos 2003, bes. S. 171-192; Gleichheitshoff-nungen und Umverteilungsambitionen sind nicht nur für die Zürcher Landschaft, sondern auch für andere Gebiete der Schweiz nachweisbar vgl. Rolf Graber: Die Protestbewegungen zur Zeit der Helvetik und das Projekt der Moderne: Zur ambivalenten Bedeutung der Hel-vetik für die Entstehung der modernen Schweiz. In: Helmut Reinalter/Anton Pelinka (Hg.): Die Französische Revolution und das Projekt der Moderne. Wien: Braumüller 2002 (Ver-gleichende Gesellschaftsgeschichte und politische Ideengeschichte der Neuzeit, Bd. 14), S. 73-88, bes. S. 84.

33 Ähnliche Beobachtungen für die Zeit der 1848er Revolution bei Rainer Wirtz: Die Begriffs-verwirrung der Bauern im Odenwald 1848. Odenwälder ›Excesse‹ und die Sinsheimer ›repu-blikanische Schilderhebung‹. In: Detlev Puls (Hg.): Wahrnehmungsformen und Protestver-halten. Studien zur Lage der Unterschichten im 18. und 19. Jahrhundert. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1979 (Edition Suhrkamp, 984), S. 81-104, bes. S. 89 f.

34 Vgl. etwa Michel Vovelle: Piété baroque et déchristianisation Provence XVIIIe siècle. Paris: Ed du Seuil 1978; Ders., Religion et Révolution. La déchristianisation de l’an II. Paris: Ha-chette 1976.

35 Vgl. Peter Kamber: Der Ittinger Sturm. Eine historische Reportage. Ittingen: Stiftung Kar-tause Ittingen 1997 (Ittinger Schriftenreihe, Bd. 6), S. 42, ferner Ders.: Die Reformation auf der Zürcher Landschaft am Beispiel des Dorfes Marthalen. Fallstudie zur Struktur bäuerli-cher Reformation. In: Peter Blickle (Hg.): Zugänge zur bäuerlichen Reformation. Zürich: Chronos 1987, S. 85-125, bes. S. 117f.

36 Markus Schär: Seelennöte der Untertanen. Selbstmord, Melancholie und Religion im Alten Zürich 1500-1800, Diss. Zürich. Zürich: Chronos 1985, S. 294.

37 Vgl. Christoph Guggenbühl: Zensur und Pressefreiheit. Kommunikationskontrolle in Zürich an der Wende zum 19. Jahrhundert, Diss. Zürich. Zürich: Chronos 1996, S. 125.

38 ASHR, Bd. VII, Bern 1899, S. 1124. 39 ASHR, Bd. I, Bern 1886, S. 569. 40 Allgemein zur Feudallastenfrage vgl. Andreas Staehelin: Helvetik. In: Handbuch der Schwei-

zer Geschichte, Bd. 2. Zürich: Berichthaus 1977, S. 787-893, bes. S. 817-820; Hans Schenkel: Die Bemühungen der helvetischen Regierung um Ablösung der Grundlasten (1798-1803). Diss. Univ. Zürich. Affoltern a. Albis: Weiss 1931, S. 56f.; Rudolf Böppli: Die Zehntablösung in der Schweiz, speziell im Kanton Zürich. Diss. Zürich. Zürich: s. n. 1914, S. 91f.; zur Steuergesetzgebung: Georg Schanz: Die Steuern in der Schweiz in ihrer Entwicklung seit Beginn des 19. Jahrhunderts, Bd. 1. Stuttgart: Cotta’sche Buchhandlung 1890.

41 Vgl. dazu Wolfgang Kaschuba: Revolution als Spiegel. Reflexe der Französischen Revolution in deutscher Öffentlichkeit und Alltagskultur um 1800. In: Holger Böning (Hg.): Französi-sche Revolution und deutsche Öffentlichkeit. Wandlungen in Presse- und Alltagskultur am Ende des achtzehnten Jahrhunderts. München, New York, London, Paris: Saur 1992 (Deut-sche Presseforschung, Bd. 28), S. 381-398, bes. S. 383.

42 StAZH B II 1076, S. 62: Protokoll des Geheimen Rates vom 27. April 1795; vgl. auch Anne-marie Custer: Die Zürcher Untertanen und die Französische Revolution. Diss. Univ. Zürich. Zürich: Schulthess 1942, S. 42.

Jahrbuch für Kommunikationsgeschichte • Band 8 • 2006 Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2006

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43 Vgl. die Zusammenfassung von Peter Blickle: Unruhen in der ständischen Gesellschaft 1300-

1800. München: Oldenbourg (Enzyklopädie deutscher Geschichte, Bd. 1), S. 85; Blickle stützt sich hier auf Werner Trossbach: Soziale Bewegung und politische Erfahrung. Bäuerli-cher Protest in hessischen Territorien 1648-1806. Weingarten: Drumlin 1987 (Sozialge-schichtliche Bibliothek), S. 61.

44 Vgl. Rolf Graber: Vom Memorialhandel zu den Stäfner Volksunruhen: Landbürgertum und plebejische Bewegung. In: Helmuth Holzhey / Simone Zurbuchen (Hg.): Alte Löcher – neue Blicke. Zürich im 18. Jahrhundert: Außen- und Innenperspektiven. Zürich: Chronos 1997, S. 83-99, bes. S. 93.

45 Wolfgang Kaschuba: Ritual und Fest. Das Volk auf der Strasse. Figurationen und Funktionen populärer Öffentlichkeit zwischen Frühneuzeit und Moderne. In: Richard van Dülmen (Hg.): Dynamik der Tradition. Studien zur historischen Kulturforschung IV. Frankfurt a.M.: Fischer 1992, S. 240-267, bes. S. 242 u. 267.

46 Reinhart Koselleck: »Erfahrungsraum« und »Erwartungshorizont« – zwei historische Katego-rien. In: Ulrich Engelhardt/Volker Sellin/Horst Stuke (Hg.): Soziale Bewegung und politi-sche Verfassung. Beiträge zur Geschichte der modernen Welt. Stuttgart: Klett 1976 (In-dustrielle Welt, Sonderband, Werner Conze zum 31. Dezember 1975), S. 13-33; wieder abge-druckt in Reinhart Koselleck: Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2000(4) (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft, 757), S. 349-375, bes. S. 359f.

47 Ebd., S. 374. 48 Geschichte und Politik. Eine Zeitschrift Hg. v. Karl Ludwig Woltmann, I (Berlin 1800), S. 3,

zit. nach Koselleck (2000) S. 366 (wie Anm. 46). 49 Für eine Auslotung der Veränderungen im Spannungsverhältnis zwischen Erfahrungsräumen

und Erwartungshorizonten anhand der konkreten Lebenswelten und der Analyse kultureller Praxen und Systeme plädiert auch Wolfgang Kaschuba: Volkskultur zwischen feudaler und bürgerlicher Gesellschaft. Zur Geschichte eines Begriffs und seiner gesellschaftlichen Wirk-lichkeit. Frankfurt a.M und New York: Campus 1988, S. 270f.

50 Vgl. Holger Böning: Die Einbeziehung des ‚Volkes’ in die öffentliche Kommunikation am Ende des 18. Jahrhunderts. In: Kurt Imhof/Peter Schulz (Hg.): Kommunikation und Revo-lution. Zürich: Seismo 1998 (Reihe »Mediensymposium Luzern«, Bd. 3), S. 35-45, bes. S. 41f.; Ders.: Zeitungen für das ›Volk‹. Ein Beitrag zur Entstehung periodischer Schriften für einfache Leser und zur Politisierung der deutschen Öffentlichkeit nach der Französischen Revolution. In: Böning (1992), S. 467-562, bes. S. 488f. (wie Anm. 41).

51 Zum Begriff »plebejische Öffentlichkeit« vgl. Hans Medick: Plebejische Kultur, plebejische Öffentlichkeit, plebejische Ökonomie. Über Erfahrungen und Verhaltensweisen Besitzarmer und Besitzloser in der Übergangsphase zum Kapitalismus. In: Robert M. Berdahl/Alf Lüdtke (Hg.): Klassen und Kultur. Sozialanthropologische Perspektiven in der Geschichtsschrei-bung. Frankfurt a. M: Syndikat 1982, S. 157-204, bes. S. 162-164.

52 Vgl. Graber (2003 ) S. 118-140 (wie Anm. 32). 53 Zu diesen Prozessen vgl. Rudolf Schenda: Alphabetisierung und Literarisierungsprozesse in

Westeuropa im 18. Jahrhundert. In: Ulrich Herrmann (Hg.): Das pädagogische Jahrhundert. Volksaufklärung und Erziehung zur Armut im 18. Jahrhundert in Deutschland. Weinheim und Basel: Beltz 1981 (Geschichte des Erziehungs- und Bildungswesens in Deutschland, Bd. 1), S. 154-168, bes. S. 161-168.

54 StAZH, K II 163a: Amtscommissarius Hauser von Wädenswil d. d. 16. Octobris 1802. An-zeige von einem am Gemeindehaus Horgen angeschlagenen Pasquill. (Beilage).

Zusammenfassung In Zusammenhang mit der Einführung der Mediationsverfassung kam es im Jahr 1804 auf der Zürcher Landschaft zu Unruhen, die in einen bewaffneten Konflikt mündeten. Ausgelöst wurden

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diese Unruhen durch die restaurative Politik der Regierung, vor allem durch ein Gesetz, das den Wiedereinzug der Zehnten und Grundzinsen vorsah. Betroffen von dieser Maßnahme waren vor allem die Unterschichten. Als die neue Mediationsregierung auch noch einen Untertaneneid ver-langte, führte dies zu massiven Protesten. Anhand einer semantischen Analyse quellenmäßig überlieferter Protestäußerungen wird versucht, das politische Bewusstsein der ländlichen Unter-schichten zu erschließen. Dabei wird sichtbar, dass zwar immer noch auf Elemente der alten Freiheit rekurriert wird, aber auch die neue Freiheit in die politische Vorstellungswelt der kleinen Leute einfließt. Das epochale Ereignis der Französischen Revolution trägt wesentlich zur Erwei-terung von Erfahrungsraum und Erwartungshorizont bei.

Summary In the Zurich countryside of 1804, the adoption of the Mediation Constitution led to unrest that broke out into armed conflict. The protest was touched off by the restoration policies of the Cantonal government, in particular, its promulgation of a law reinstating tithing and land rents. The impact of these measures fell mainly on the lower classes in Canton Zurich. When the Mediation regime insisted on an oath of allegiance as well, massive protests resulted.

Written protest statements that have survived in archives offer insights into the political consciousness of the rural lower classes during this period. Semantic analysis of these source materials make it apparent that, along with continuing references to traditional freedoms, new concepts of freedom also entered the popular imagination of the common man. The epochal developments of the French Revolution expanded his realm of experience and broadened the horizon of his expectations.

Korrespondenzanschrift PD Dr. Rolf Graber, Höhenstr. 1a, CH-8280 Kreuzlingen E-Mail: [email protected]

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