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Zur Epidemiologie von Patientenübergriffen. Wie oft, wo, wann, wer, wen, mit welchen Folgen - und was sind eigentlich die Schlussfolgerungen? Matthias Schützwohl, René Wallisch Universitätsklinikum C.G. Carus der TU Dresden Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Pflegekongress 2013 Dresden, 17.10.2013

Zur Epidemiologie von Patientenübergriffen. · Zur Epidemiologie von Patientenübergriffen. Wie oft, wo, wann, wer, wen, mit welchen Folgen - und was sind eigentlich die Schlussfolgerungen?

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Zur Epidemiologie von

Patientenübergriffen. Wie oft, wo, wann, wer, wen, mit welchen Folgen

- und was sind eigentlich die Schlussfolgerungen?

Matthias Schützwohl, René Wallisch

Universitätsklinikum C.G. Carus der TU Dresden

Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie

Pflegekongress 2013 Dresden, 17.10.2013

Hintergrund

10

19

9

24

21

15 14 14

3

20

13

38

13

6

12

1

39

18

Feb

12

Mrz

12

Apr

12

Mai

12

Jun

12

Jul

12

Aug

12

Sep

12

Okt

12

Nov

12

Dez

12

Jan

13

Feb

13

Mrz

13

Apr

13

Mai

13

Jun

13

Jul

13

Meldungen von Patientenübergriffen

Ergebnisse

Meldungen von Patientenübergriffen

Ergebnisse

Anzahl an

Patientenübergriffen

Anzahl betroffenes

Pflegepersonal

Häufigkeit von

Patientenübergriffen (in Tagen in 18 Monaten)

222

289

178

233

4 8

36

0 4 2 2

PSY S1 PSY S2 PSY S3 PSY S4 PSY TK PSY A1 KJP TK1 PSO S2

Klinik/ Station

Ergebnisse

123

40

122

3

Frühdienst Spätdienst Nachtdienst Zwischendienst

Dienst/ Uhrzeit

Ergebnisse

94

5

39

2

17 18

31 29

108

190

51

Schlagen Würgen Kratzen Haare-

ziehen

Beißen Werfen

von

Gegenständen

Tritte Arm

festhalten

oder

verdrehen

Be-

drohung

Be-

leidigung

Sonstiges

Art (Mehrfachnennungen möglich)

Ergebnisse

113

10

32

3 2 0 2

72

23

keine Prellung Kratzer Platzwunden Bisswunden Frakturen Würgemale psychische

Verletzung

sonstiges

Folgen/ Verletzungen (Mehrfachnennungen möglich)

Ergebnisse

32

62

189

68

15

56

36

keine Körperliche

Abwehrtechniken

verbale

Intervention

orale

Medikation

Isolierung Fixierung sonstiges

Maßnahmen (Mehrfachnennungen möglich)

Ergebnisse

1,8 0,0 0,0

16,0 15,0 14,3

47,9 50,3

44,3

16,0

22,4

11,4

4,1 2 7,1

10,2

23,9

14,2

FD SD ND

Dienstzeit

keine Maßnahmen

körperliche Abwehrtechniken

verbale Interventionen

orale Medikation

Isolierung

Fixierung

Maßnahmen zu den vers. Dienstzeiten (Mehrfachnennungen möglich)

Personal männlich

(n=47)

Personal männlich

(n=63)

Personal weiblich

(n=50)

Personal weiblich

(n=99)

männlich

(n=97)

weiblich

(n=162)

Patient

Geschlecht

p(Chi2)=.132

Ergebnisse

2

61

51

28

45

99

3

13-18 19-30 31-45 46-60 60-70 70+ k.A.

Alter Patient

Ergebnisse

164

71

24 27

3

akut psychiatrisch geriatrisch Sucht andere keine Angabe

Erkrankung Patient

Ergebnisse

80

34

106

35

27

48

61

kein

erkennbarer

Anlass

Verhinderung

v. Entweichung

Wunsch-

verweigerung

Aufforderung

Med.-

Einnahme

Konflikt

zwischen

Patienten

Pflege-

maßnahmen

sonstiges

Mögliche Auslöser/ Ursachen (Mehrfachnennungen möglich)

Ergebnisse

Zusammenfassung und Fazit

Im Beobachtungszeitraum kam es an jedem dritten Tag zu mindestens einem

Patientenübergriff.

Häufiger als bei jedem zweiten Patientenübergriff wurden Verletzungen für das

Pflegepersonal registriert, wobei es überwiegend zu psychischen Verletzungen

kam.

Im Zusammenhang mit fast allen Übergriffen wurden Maßnahmen ergriffen,

in ca. 30% auch Zwangsmaßnahmen, die als für die Patienten belastend bewertet

werden müssen.

In Übereinstimmung mit vergleichbaren Erhebungen fanden wir, dass zu einem

bedeutsamen Anteil Patientinnen mit einer geriatrischen Erkrankung an den

Patientenübergriffen beteiligt sind.

In ca. 30% war ein Anlass für den jeweiligen Patientenübergriff nicht erkennbar;

aus Pflegepersonalsicht kam es vor allem aufgrund der Verweigerung von

Wünschen sowie im Zusammenhang mit Pflegemaßnahmen zu Übergriffen.

Die Bedeutung von Maßnahmen der primären sowie der sekundären Prävention

wird aus diesen Zahlen ersichtlich.

Maßnahmen zur Gewaltprävention

Übersicht

Steinert u. Bergk (2008)

Maßnahmen zur Gewaltprävention

angemessene quantitative und qualitative personelle Ausstattung

empathische Einstellungen des Personals

Patientenorientierung und Transparenz in der Gestaltung von Abläufen

ansprechende und zweckmäßige räumliche Ausstattung

vorhandene Sicherheitseinrichtungen (z.B. Alarmsysteme)

Behandlungsvereinbarungen

offene Türen

frühzeitige adäquate Pharmakotherapie

psychoedukative Maßnahmen

Leitlinien für den Umgang mit Zwangsmaßnahmen

Maßnahmen zur Gewaltprävention

Good Clinical Practice

„Psychiatrische Einrichtungen schulen Ihre MitarbeiterInnen über Ursachen und

Formen aggressiven Verhalten und bieten Trainings an, um die Beschäftigten

für Risikosituationen mit den notwendigen Optionen zur Vermeidung und ggf.

zur Bewältigung aggressiver Situationen auszustatten und den PatientInnen

eine optimale Sicherheit bei der Anwendung von unter Umständen unvermeidlichen

Zwangsmaßnahmen zu bieten.“

DGPPN (Hrsg.). (2009). Therapeutische Maßnahmen bei aggressivem Verhalten

Maßnahmen zur Gewaltprävention

Rahmenbedingungen

Maßnahmen zur Gewaltprävention

Empfehlungsgrad B

„Geschlechtliche Mischung auf psychiatrischen Stationen und administrative

Verteilung anstelle von Konzentration von Patienten mit erhöhtem Gewaltrisiko

senken die Inzidenz aggressiver Vorfälle. Ein Missverhältnis zwischen Belegung

einer Einrichtung und zur Verfügung stehendem Raumangebot kann

aggressive Eskalationen begünstigen und sollte daher vermieden werden.

Eine Politik der weitgehenden Öffnung von Stationen kann die Häufigkeit

aggressiver Vorfälle reduzieren. Klare und transparente Strukturen auf

psychiatrischen Stationen gehen mit geringerer Inzidenz aggressiver Vorfälle

einher.“

Maßnahmen zur Gewaltprävention

Institutionelle Voraussetzungen

DGPPN (Hrsg.). (2009). Therapeutische Maßnahmen bei aggressivem Verhalten

Maßnahmen zur Gewaltprävention

Empfehlungsgrad C

„Alle Maßnahmen, die geeignet sind, Vertrauen und Zusammenarbeit zwischen

Nutzern, Angehörigen und Professionellen zu verbessern, entfalten eine general-

präventive Wirkung bezüglich aggressiven und gewalttätigen Verhaltens. Dazu ge-

hören z.B. Behandlungsvereinbarungen, die Einbeziehung von Angehörigen,

kooperative Entscheidungsfindungen mit Patienten, Angebote unabhängiger Be-

schwerdeinstanzen, Öffentlichkeitsarbeit, Entstigmatisierung, Krisendienste, sog.

Trialogveranstaltungen und eine enge und vertrauensvolle Kooperation mit außer-

stationären psychiatrischen Institutionen wie sozialpsychiatrischen Diensten, nieder-

gelassenen Nervenärzten und gesetzlichen Betreuern.

Indirekt gewaltpräventiv wirkt auch ein dem wissenschaftlichen Erkenntnis-

stand entsprechendes therapeutisches Angebot. Dies beinhaltet u.a. eine

qualitativ und quantitativ gute Personalausstattung, geeignete, ansprechende

und moderne Räumlichkeiten, psychotherapeutische und psychoedukative

Interventionen und eine psychopharmakologische Behandlung, die darauf

bedacht ist, unnötige Nebenwirkungen zu vermeiden.“

DGPPN (Hrsg.). (2009). Therapeutische Maßnahmen bei aggressivem Verhalten

Maßnahmen zur Gewaltprävention

Institutionelle Voraussetzungen

Maßnahmen zur Gewaltprävention

Good Clinical Practice

„Psychiatrische Institutionen sollten ihre organisatorischen Abläufe primär auf die

Bedürfnisse der Nutzer, nicht auf diejenigen der Institution ausrichten. Dabei sind

die Wahrung der Intimsphäre und die Respektierung der Bedürfnisse der Nutzer

nach Selbstbestimmung, Information und Transparenz von hoher Bedeutung.

Die geschlechtsspezifischen Belange und Verletzlichkeiten bedürfen stets besonderer

Beachtung.“

DGPPN (Hrsg.). (2009). Therapeutische Maßnahmen bei aggressivem Verhalten

Maßnahmen zur Gewaltprävention

Institutionelle Voraussetzungen

Maßnahmen zur Gewaltprävention

Good Clinical Practice

„Wechselseitiger Respekt und Achtung der Würde des anderen sind zentrale

Aspekte der Beziehungsgestaltung in psychiatrischen Einrichtungen, die zugleich in

hohem Maße gewaltpräventiv wirken.“

Maßnahmen zur Gewaltprävention

Beziehung und Pflege

DGPPN (Hrsg.). (2009). Therapeutische Maßnahmen bei aggressivem Verhalten

Maßnahmen zur Gewaltprävention

Empfehlungsgrad B

„Behandlungsvereinbarungen sind geeignet, die vertrauensvolle Zusammenarbeit

zwischen Behandlern und Patienten zu verbessern. Zwangsmaßnahmen im Kontext

von Wiederaufnahmen können dadurch möglicherweise verhindert, verkürzt oder

erträglicher gestaltet werden. Welche Patientengruppen Behandlungsver-

einbarungen wünschen und davon profitieren, ist noch weitgehend unklar.“

Good Clinical Practice

„Behandlungsvereinbarungen sollten eine Verpflichtungserklärung seitens der Klinik

enthalten und enthalten typischerweise Absprachen zu folgenden Gesichtspunkten:

Einschaltung einer externen Vertrauensperson, Informationsweitergabe, zuständige

Station und dort bekannte Vertrauenspersonen, hilfreiche/ nicht gewünschte

Medikamente, Deeskalationsmaßnahmen vor Zwangsmaßnahmen, ggf. Festlegung

der subjektiv am wenigsten belastenden Form von Zwangsmaßnahmen, Regelung

familiärer und sozialer Angelegenheiten.“

Maßnahmen zur Gewaltprävention

Behandlungsvereinbarungen

DGPPN (Hrsg.). (2009). Therapeutische Maßnahmen bei aggressivem Verhalten

Maßnahmen zur Gewaltprävention

Maßnahmen zur Prävention psychischer Folgen

Good Clinical Practice

„Fast bei jeder Zwangsmaßnahme besteht unmittelbar vor der Durchführung ein

gewisser Handlungsspielraum, um über die Art der Zwangsmaßnahme (Festhalten,

Fixierung, Isolierung, Zwangsmedikation) zu entscheiden. Es sollte diejenige

Zwangsmaßnahme durchgeführt werden, die der Patient am wenigsten

eingreifend erlebt. Diese kann direkt vor Durchführung erfragt werden oder ist

möglicherweise im Rahmen einer Behandlungsvereinbarung oder einer Nach-

besprechung bei einer früheren Zwangsmaßnahme festgelegt worden. Generell

sollten das Auftreten der Mitarbeiter und die Kommunikation mit dem Betroffenen

von Respekt vor der Person, Einfühlung in dessen Situation und dem Bemühen um

eine faire Behandlung geprägt sein. Eine Aufklärung über beabsichtigte Maß-

nahmen ist erforderlich und es sollte stets versucht werden, die Kooperations-

bereitschaft des Betroffenen wieder zu gewinnen.“

Einleitung von Zwangsmaßnahmen

DGPPN (Hrsg.). (2009). Therapeutische Maßnahmen bei aggressivem Verhalten

Maßnahmen zur Prävention psychischer Folgen

Maßnahmen zur Prävention psychischer Folgen

Nachsorgemaßnahmen nach Übergriffen

vgl. Schirmer et al. (2006)

Gesprächsangebot mit Vorgesetzten, externen oder auch internen Fachkräften

Pausen und Erholungsphasen

Teamreflexion

Maßnahmen zur Gewährleistung kurzfristiger Sicherheit (z.B. Verlegung,

Personalwechsel)

ggf. Meldung an die Berufsgenossenschaft

Seite 28

Vielen Dank für Ihre

Aufmerksamkeit !

2 1

8

17 12 13

10

21 17

67

42 48

54

38

44

17 15 20 18

15

33

2 8

2 3 2

25

16 15 11

5

13-18 18-30 31-45 46-60 60-70 70+

Alter Patient

keine Maßnahmen

körperliche Abwehrtechniken

verbale Interventionen

orale Medikation

Isolierung

Fixierung

Alter des Patienten X Maßnahmen

10

18

6 7

3

9

14 14

43

20

39

65

53

65

52

23

13

38

65

80

67

50

77

71

77 79

64 65 66

29

80

36

50

29

35

23

45

25 23

24

9

20

5

12

24

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14

8

4

8

26

40

31

41

53

45

28 28

16

28

10 8

12

35

23

10

19

13

24

Schlagen Würgen Kratzen Haare-

ziehen

Beißen Werfen

von

Gegen-

ständen

Tritte Arm

fest-

halten/

Be-

drohung

Be-

leidigung

Sonstiges

keine Maßnahmen

körperliche Abwehrtechniken

verbale Interventionen

orale Medikation

Isolierung

Fixierung

Art X Maßnahmen

18

7 7

20

5

30 33

50 50

15 18

55

4

14

100

50

100

78 77

24

7

21

50

13

27

1

23

11 9

18 20

25

33

50

15

9 8

20

10

19

14

keine Prellung Kratzer Platzwunden Bisswunden Würgemale psychische

Verletzung

Sonstige

keine Maßnahmen

körperliche Abwehrtechniken

verbale Interventionen

orale Medikation

Isolierung

Fixierung

Folgen X Maßnahmen