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Jahrgang 1898. "1 Heft 1. 4. Januar 1898.J Hempel: Examens- und Titelfrage der Chemiker. 11 Der hohe Gehalt des Wippenbacher Wassers an freier Kohlensäure, der es seinen erfrischenden Geschmack verdankt, ist mithin für den Gebrauch desselben zu Trinkzwecken sehr werthvoll und dürfte u. U. auch bei der Verwendung des Wassers zu Bädern nicht ohne Bedeutung sein, wie es auch nicht ausgeschlossen erscheint, dass es infolgedessen eine weitere Versendung in wohl verschlossenen Flaschen vertragen würde. Zur Examens- und Titelfrage der Chemiker. Von Walther Hempel. Obgleich über die Verhandlungen der Commission, welche am 27. Oct. d. J. im Auftrage des Reichsamts des Innern im Kai- serlichen Gesundheitsamte unter dem Vor- sitze des Directors desselben tagte, Einzel- heiten nicht bekannt geworden sind, so ist doch so viel sicher, dass von Einführung eines Staatsexamens für Chemiker in nächster Zeit nicht die Rede sein kann. Die Übelstände, welche die Ursache ge- wesen sind, dass weite Kreise sich für eine Andersregulirung der bestehenden Examens- verhältnisse verwandt haben, sind natürlich damit nicht aus der Welt gebracht. Dass die Einführung eines privaten Examens sei- tens des neu gegründeten Verbandes der La- boratoriumsvorstände der Universitäten und technischen Hochschulen viel Gutes wirken wird, ist nicht zu bezweifeln, vorausgesetzt, dass diese Examina wirklich mit der nöthi- gen Strenge zur Durchführung kommen. Es scheint mir jedoch, dass W. Lossen in seiner Schrift: „Ausbildung und Examen der Chemiker" die wahre Ursache der Klagen klargelegt hat, indem er dieselben zurück- führt auf die übergrossen Unterrichtslabo- ratorien, in welchen es dem Director nicht mehr möglich ist, sich mit dem einzelnen Studirenden zu beschäftigen. Gewiss ist es von der höchsten Bedeutung, wenn ein wissenschaftlich hervorragender Mann Gelegenheit hat, mehrere hundert Stu- denten zu gleicher Zeit zu belehren und durch seine geistvolle Auffassung und emi- nente Erfahrung auf die jungen Männer in •einer Weise anregend zu wirken, wie dies ein weniger begabter Lehrer nicht kann. Der Unterricht im Laboratorium verlangt jedoch ein solches Eingehen auf die Indivi- dualität des Practikanten; dass selbst der beste und aufopferndste Lehrer nur eine kleine Zahl zu unterrichten vermag. Diese Erkenntniss hat wohl Liebig vor- geschwebt, als er von Giessen nur unter der Bedingung nach München ging, dass er zwar die allgemeinen Vorträge über Chemie zu übernehmen hätte, nicht aber die Leitung des grossen Unterrichtslaboratoriums der Universität. Würden die Regierungen sich entschliessen, die grossen Laboratorien zu theilen und eine grössere Anzahl selbststän- diger Professoren anzustellen, so dass jeder im Stande ist, seinen Laboranten wirklich nahe zu treten und den Unterricht selbst zu überwachen, so ist sicher zu erhoffen, dass ein grosser Theil der Klagen über mangelhafte Ausbildung verschwinden wird. Da die Thatsache besteht, dass eine be- trächtliche Zahl von Studirenden der Chemie der technischen Hochschulen diese verlassen, ehe sie ihre Studien völlig abgeschlossen haben, um an einer Universität den Doctor- titel zu erwerben, so muss dieser Umstand dazu beitragen, den oben besprochenen Übel- stand in den Universitätslaboratorien zu ver- grössern. Unzweifelhaft bildet die Durcharbeitung einer Dissertation, wie sie zur Erlangung des Doctortitels vorausgesetzt wird, ein Unter- richtsmittel, was für die hochbegabten Stu- denten von ganz hervorragendem Werth ist. Von den 2000 bis 3000 Studirenden, die nach den Schätzungen Siegel's und Lossen's an deutschen Hochschulen Chemie treiben, ist aber natürlich nur ein kleiner Theil hochbegabt. Für die grosse Masse wird die Dissertation Mängel in einer gründlichen Durchbildung in den verschiedenen Zweigen der Chemie nicht ersetzen können. Gerade der minder Begabte wird oft die Ausarbei- tung einer Dissertation unternehmen, längst ehe er die nothwendige Beherrschung des Stoffes in den weiten Gebieten der anorga- nischen , analytischen und organischen Che- mie auch nur einigermaassen erlangt hat; dies wird natürlich um so leichter geschehen können, je weniger die einzelnen Persönlich- keiten dem Lehrer bekannt sind. Wenn nun auch schliesslich, indem der Lehrer den Hauptantheil der geistigen Arbeit ausführt und der Studirende eigentlich nur der Hand- langer ist, eine Dissertation fertig wird, so bleibt doch der Mangel der ungenügenden Durchbildung bestehen, der sich dann später in der Praxis in der empfindlichsten Weise fühlbar macht. Die Organisation der Schule, ob Univer- sität oder technische Hochschule, ebenso die des Examens, ist von ganz und gar zu- rücktretender Bedeutung gegenüber der Per-

Zur Examens- und Titelfrage der Chemiker

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Page 1: Zur Examens- und Titelfrage der Chemiker

Jahrgang 1898. "1Heft 1. 4. Januar 1898.J Hempel: Examens- und Titelfrage der Chemiker. 11

Der hohe Gehalt des WippenbacherWassers an freier Kohlensäure, der es seinenerfrischenden Geschmack verdankt, ist mithinfür den Gebrauch desselben zu Trinkzweckensehr werthvoll und dürfte u. U. auch beider Verwendung des Wassers zu Bädernnicht ohne Bedeutung sein, wie es auch nichtausgeschlossen erscheint, dass es infolgedesseneine weitere Versendung in wohl verschlossenenFlaschen vertragen würde.

ZurExamens- und Titelfrage der Chemiker.

Von

Walther Hempel.

Obgleich über die Verhandlungen derCommission, welche am 27. Oct. d. J. imAuftrage des Reichsamts des Innern im Kai-serlichen Gesundheitsamte unter dem Vor-sitze des Directors desselben tagte, Einzel-heiten nicht bekannt geworden sind, so istdoch so viel sicher, dass von Einführungeines Staatsexamens für Chemiker in nächsterZeit nicht die Rede sein kann.

Die Übelstände, welche die Ursache ge-wesen sind, dass weite Kreise sich für eineAndersregulirung der bestehenden Examens-verhältnisse verwandt haben, sind natürlichdamit nicht aus der Welt gebracht. Dassdie Einführung eines privaten Examens sei-tens des neu gegründeten Verbandes der La-boratoriumsvorstände der Universitäten undtechnischen Hochschulen viel Gutes wirkenwird, ist nicht zu bezweifeln, vorausgesetzt,dass diese Examina wirklich mit der nöthi-gen Strenge zur Durchführung kommen.

Es scheint mir jedoch, dass W. Lossenin seiner Schrift: „Ausbildung und Examender Chemiker" die wahre Ursache der Klagenklargelegt hat, indem er dieselben zurück-führt auf die übergrossen Unterrichtslabo-ratorien, in welchen es dem Director nichtmehr möglich ist, sich mit dem einzelnenStudirenden zu beschäftigen.

Gewiss ist es von der höchsten Bedeutung,wenn ein wissenschaftlich hervorragenderMann Gelegenheit hat, mehrere hundert Stu-denten zu gleicher Zeit zu belehren unddurch seine geistvolle Auffassung und emi-nente Erfahrung auf die jungen Männer in•einer Weise anregend zu wirken, wie diesein weniger begabter Lehrer nicht kann.Der Unterricht im Laboratorium verlangtjedoch ein solches Eingehen auf die Indivi-dualität des Practikanten; dass selbst der

beste und aufopferndste Lehrer nur einekleine Zahl zu unterrichten vermag.

Diese Erkenntniss hat wohl Liebig vor-geschwebt, als er von Giessen nur unterder Bedingung nach München ging, dass erzwar die allgemeinen Vorträge über Chemiezu übernehmen hätte, nicht aber die Leitungdes grossen Unterrichtslaboratoriums derUniversität. Würden die Regierungen sichentschliessen, die grossen Laboratorien zutheilen und eine grössere Anzahl selbststän-diger Professoren anzustellen, so dass jederim Stande ist, seinen Laboranten wirklichnahe zu treten und den Unterricht selbstzu überwachen, so ist sicher zu erhoffen,dass ein grosser Theil der Klagen übermangelhafte Ausbildung verschwinden wird.

Da die Thatsache besteht, dass eine be-trächtliche Zahl von Studirenden der Chemieder technischen Hochschulen diese verlassen,ehe sie ihre Studien völlig abgeschlossenhaben, um an einer Universität den Doctor-titel zu erwerben, so muss dieser Umstanddazu beitragen, den oben besprochenen Übel-stand in den Universitätslaboratorien zu ver-grössern.

Unzweifelhaft bildet die Durcharbeitungeiner Dissertation, wie sie zur Erlangungdes Doctortitels vorausgesetzt wird, ein Unter-richtsmittel, was für die hochbegabten Stu-denten von ganz hervorragendem Werth ist.Von den 2000 bis 3000 Studirenden, dienach den Schätzungen Siegel's und Lossen'san deutschen Hochschulen Chemie treiben,ist aber natürlich nur ein kleiner Theilhochbegabt. Für die grosse Masse wird dieDissertation Mängel in einer gründlichenDurchbildung in den verschiedenen Zweigender Chemie nicht ersetzen können. Geradeder minder Begabte wird oft die Ausarbei-tung einer Dissertation unternehmen, längstehe er die nothwendige Beherrschung desStoffes in den weiten Gebieten der anorga-nischen , analytischen und organischen Che-mie auch nur einigermaassen erlangt hat;dies wird natürlich um so leichter geschehenkönnen, je weniger die einzelnen Persönlich-keiten dem Lehrer bekannt sind. Wennnun auch schliesslich, indem der Lehrer denHauptantheil der geistigen Arbeit ausführtund der Studirende eigentlich nur der Hand-langer ist, eine Dissertation fertig wird, sobleibt doch der Mangel der ungenügendenDurchbildung bestehen, der sich dann späterin der Praxis in der empfindlichsten Weisefühlbar macht.

Die Organisation der Schule, ob Univer-sität oder technische Hochschule, ebensodie des Examens, ist von ganz und gar zu-rücktretender Bedeutung gegenüber der Per-

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12 Hempel: Examens- und Titslfrage der Chemiker. r Zeitschrift fürLangewandte Chemie.

son des Lehrers. Ist der Lehrer ausgezeich-net, versteht er. die Begeisterung für seineWissenschaft auf den Schüler zu übertragen,so werden bedeutende Leistungen erzielt.Zum Glück für die Wissenschaft und dieIndustrie hat es an solchen Männern wederan den Universitäten noch an den technischenHochschulen gefehlt.

Wer könnte behaupten, dass VictorMeyer während der 14 Jahre, die er inStuttgart und Zürich war, weniger Einflussauf Wissenschaft und Technik gehabt habe,als während der 12 Jahre, die er in Göt-tingen und Heidelberg verlebte! Wer könntebestreiten, dass aus dem Bunsen'schen La-boratorium, zu dessen Zeit bekanntlich inHeidelberg für das Doctorexamen keine Dis-sertation verlangt wurde, eine grosse Zahlhochbedeutender Chemiker, Techniker wieProfessoren, hervorgegangen sind!

Dass die Professoren der technischenHochschulen wünschen, ihren Studirendeneine völlige Ausbildung zu geben, so dasssie nicht nur des Titels wegen weggehen,ist natürlich und in sich berechtigt. ZurZeit sind sie aber nicht in der Lage, einenTitel verleihen zu können.

Dieses Bedürfniss hat zu dem Bestrebengeführt, das Recht der Promotion für dietechnischen Hochschulen zu erwerben. Ansich wüsste ich keinen Grund, warum mandie technischen Hochschulen nicht zu tech-nischen Universitäten erweitern könnte. Denndie Thatsache besteht, dass sowohl in Bezugauf Lehrer als auch Studirende ein fortwäh-render Austausch zwischen beiden Anstaltenstattfindet. Dass im Allgemeinen jeder Pro-fessor lieber an einer Universität als aneiner technischen Hochschule lehren wird,findet seinen Grund in erster Linie in demviel höheren Einkommen, welches die Pro-fessoren an den Universitäten geniessen, undin den mancherlei Privilegien, welche dieUniversitäten von altersher haben. Wenn«s nicht wünschenswerth wäre, möglichstviele geistige Centren zu haben, so wäremeiner Ansicht nach kein Grund vorhanden,warum man nicht die technischen Hoch-schulen aufheben und als besondere Facul-täten den Universitäten angliedern sollte.Denn die Tage, wo die Wissenschaften, dieder Ingenieur und Maschinenbauer braucht,an den technischen Hochschulen nur hand-werksmässig gelehrt wurden, sind längstvorbei. Auch ist man sich in den weitestenKreisen bewusst, dass es zweckmässig ist,dass der junge Techniker dieselbe Vorbildunghat, welche zum Eintritt in die Universi-täten gefordert wird. Da aber die techni-schen Hochschulen zu einer Zeit entstanden,

wo man an den Universitäten nicht Willenswar, den Bedürfnissen der Technik nachzu-kommen, so hat man es mit einem historischGewordenen zu thun, was nur unter grossenUnkosten geändert werden könnte, ganzabgesehen davon, dass es gewiss wünschens-werth ist, dass die jungen technischen Wissen-schaften sich ganz unbeeinflusst von herge-brachten Vorurtheilen entwickeln können.

Wegen der chemischen Abtheilungen hättegewiss Niemand technische Hochschulen ge-gründet, da man aber gezwungen war, Heim-stätten für die Erziehung von Ingenieurenund Maschinenbauern zu schaffen, so ist esdurchaus verständlich, dass einsichtsvolleMänner gleichzeitig die Möglichkeit gebotenhaben wollten, Chemie an den Orten zustudiren, wo Gelegenheit ist, Vorträge überMaschinenbau, Hochbaukunde u. s. w. zuhören. Dass auch an technischen Hoch-schulen für den Chemiker immer die Chemiedie Hauptsache bleiben muss und dass inBeziehung auf das Studium derselben keiner-lei Unterschied im Vergleich zur Universitätbestehen sollte, dies scheint mir ausserZweifel.

Wie es heute liegt, sind für die nächsteZeit die Bestrebungen, welche von einergrossen Zahl in der Technik beschäftigterChemiker ausgegangen sind, im deutschenReiche ein Staatsexamen einzuführen', alsgescheitert anzusehen. Ebenso die Bemühun-gen der Professoren der technischen Hoch-schulen, die dahin strebten, für diese An-stalten das Recht, den Doctor der Chemieverleihen zu dürfen, zu erlangen.

Wenn es nun auch möglich ist, dass manin späterer Zeit seitens der maassgebendenKreise anders in diesen Fragen denken wird,da es gewisse Vortheile haben würde, wenndie Chemiker an Universitäten und an tech-nischen Hochschulen ganz gleichartige Exa-men ablegen könnten, so scheint es mirdoch, dass die technischen Hochschulenversuchen sollten, ihren eigenen Weg zugehen.

Das Erste, was weggeschafft werdenmuss, ist die Ungleichartigkeit, welche zurZeit in Bezug auf die Anforderungen be-steht, welche für die Diplomexamen dertechnischen Hochschulen seitens derselbengestellt werden. Da Diplome für Chemikerauch von einer Anzahl von Gewerbeschulengegeben werden, so sollte man ferner ver-suchen, die zuständigen Regierungen zu be-wegen, den technischen Hochschulen dasRecht zu geben, einen Titel zu verleihen,welchen niemand auf anderem Weg alsan einer dieser Anstalten erlangen kann,wozu der Zeitpunkt augenblicklich günstig

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Jahrgang 1898. "1Heft 1. 4. Januar 1S98.J Hempel: Examens- und Titelfrage der Chemiker. 13

ist, da man in den leitenden Kreisen wohlschwerlich die Überzeugung erlangt habendürfte, dass die Bestrebungen zur Einfüh-rung eines Staatsexamens völlig jeder Be-gründung entbehren.

Nach dem von der preussischen Regie-rung herausgegebenen Jahresverzeichniss vom15. August 1895 bis 14. August 1896 sind anden deutschen Universitäten die nachfolgendeAnzahl von chemischen Inaugural-Disser-tationen erschienen:

BerlinBonnBreslauErlangenFreiburg i. B.GiessenGüttingenGreifswaldHalleHeidelbergJenaKielKönigsbergLeipzigMarburgMünchenRostockStrassburgTübingenWürzburg

Inhalt reinchemisch

2835

2712

414

35

589

116

17111349

24

14

Inhalt aufZwischen-

gebieten vonChemie und

anderen Wissen-schaften liegend

5

212—

11

—1

- -911122

Gesnmmt-zahl

3337

39125

1536

589

116

2612145046

14

Summa 333

Die Gesammtzahl ist eher zu hoch alszu niedrig gerechnet, da es natürlich eineganze Anzahl von Arbeiten gibt, wo manzweifelhaft sein kann, ob man sie unter diechemischen Dissertationen rechnen soll odernicht.

Rechnet man, dass jeder Chemiker8 Semester studirt, so würde dies einenBestand von Studenten der Chemie an allendeutschen Universitäten zusammen von nur1332 entsprechen. Bedenkt man ferner, dassvon den in Frage kommenden Studirendeneine ganze Zahl sicher auch einige Semesteran technischen Hochschulen verlebten (dasamtliche Verzeichniss von 1895 bis 1896 er-gibt, dass an den technischen Hochschulen853 Studirende und 240 Zuhörer in denchemischen Abtheilungen eingeschrieben •wa-ren), so erkennt man, dass nicht nur eineganze Anzahl der Studirenden der Chemiedavon absieht, das Diplomexamen zu machen,sondern ohne jedes Examen die Hochschulenverlässt. Natürlich werden diese Personennur zum kleinen Theil in die eigentlichechemische Industrie übergehen, woraus sicherklärt, dass die Erhebungen, die 0. Wit t

und ich1) gemacht haben, ergaben, dass in123 Fabriken, die 932 Chemiker beschäftig-ten, 390 nur an Universitäten ausgebildetwaren, während 532 Universitäten und tech-nische Hochschulen während ihrer Studien-zeit besucht hatten.

Von den 390 Zöglingen der Universitätenhatten 307 das Doctorexamen, von den 532an technischen Hochschulen und Universi-täten Gebildeten 125 das Diplomenexamengemacht. Von den 932 Chemikern hatten621 den Doctortitel erworben. Zieht manvon dieser Zahl die 307 den Doctortiteltragenden Universitätsstudenten ab, so ver-bleiben 314 Doctoren, welche an Universi-täten und technischen Hochschulen währendihrer Studienzeit sich aufgehalten haben.

Wenn an den deutschen Hochschulen2500 Studenten Chemie studiren und manannimmt, dass im Allgemeinen jeder einzelnevier Jahre zu seinem Studium verwendet,so müssten jährlich 625 Examina abgelegtwerden, wenn man voraussetzt, dass sämmt-liche Studenten sich einem Examen unter-werfen. Die obigen Zahlen lehren, dass nuretwas mehr als die Hälfte examinirt wird,dass daher die Klage voll berechtigt ist,dass der Chemiker, "welcher im praktischenLeben steht, die Concurrenz zu laufen hatmit einer Unmasse ungenügend vorgebildetenElementen. Es scheint mir unzweifelhaft,dass es wünschenswerth ist, diese Elementemöglichst zu kennzeichnen, was auf dieLeistungsfähigkeit der Gesammtindustrie nurvon den heilsamsten Folgen sein kann.

Es scheint mir nicht nöthig, dass dieBestimmungen für das Diplomexamen anallen technischen Hochschulen ganz genaudie gleichen sein müssen, ich würde meinen,dass man zweckmässig den Entwurf, wie erseitens des Vereins der deutschen Chemikerfür das Staatsexamen zum Vorschlag gebrachtworden ist, möglichst genau annehmen sollte;derselbe hat den Vorzug, dass er die Billi-gung einer grossen Zahl von Männern ge-funden hat, von denen man voraussetzenkann, dass ihnen eine -weitgehende Erfahrungzu Gebote steht.

Von grosser Wichtigkeit ist jedoch dieTitelfrage. So lange wie im deutschen Reichganz allgemein irgend welche Verdienstedurch Verleihung von Titeln und Orden be-lohnt werden, muss es unbillig erscheinen,Einrichtungen zu treffen, die die Studiren-den der Chemie der technischen Hochschulenausschliessen. Unter den zahlreichen Vor-schlägen, die in dieser Sache gemacht wordensind, scheint mir der Vorschlag Lossen 's

>) Chemische Industrie 1896.

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14 Bradburn: Ammoniaksodafabrikation.Zeitschrift für

ngewandte Chemie.

„Ausbildung und Examina der Chemiker,S. 44", den Titel Hochschulchemikeranzustreben, der beste.

Gegenüber Ingenieur-Chemiker hat dieserTitel den Vorzug, dass er nicht die Vor-stellung erweckt, als wollten die Trägerdesselben Ingenieure sein und demnach denBau von Gebäuden und Maschinen selbstunternehmen. Wenn auch der Begierungs-oder Staatschemiker wegen der Analogie mitdem Eegierungsbaumeister Vielen wünschens-werther sein wird, so ist doch kein Zweifel,dass die Regierungen viel weniger Bedenkenhaben werden, den technischen Hochschulendas Recht zu verleihen, den Titel Hochschul-chemiker oder technischer Hochschulchemikerzu vergeben, als einen Titel, der die WorteRegierung oder Staat enthält, da diese Prä-dicate im Allgemeinen erst nach einemzweiten Examen verliehen werden, welchesnach längerer Thätigkeit in der Praxis ab-gelegt wird.

Die Ammoniaksodafabrikation undder Sodahandel der Vereinigten Staaten.

Von

J. A. Bradburn.

Die Geschichte des Ammoniaksodapro-cesses ist allen denjenigen wohlbekannt, welchedirect bei der Sodafabrikation interessirtsind, und mehr oder weniger denen, in deren

Diese Gesellschaften fabriciren ihre Sodanach dem Ammoniakverfahren und habentheilweise noch dieselben Apparate in Be-nutzung, wie sie von Solvay ungefähr vor30 Jahren erfunden worden sind. Die Pa-tente für diese Solvay-Apparate sind natür-lich schon längst gefallen und es bestehtzur Zeit kein• einziges Solvay-Patent mehr,dessen Benutzung in irgend einer Weisenöthig wäre, um einen erfolgreichen und ge-winnbringenden Betrieb der Sodafabrikationmit Hülfe des Ammoniakprocesses aufzu-nehmen. Die erwähnten Fabriken diesesArtikels sind nicht durch Patente geschützt,sie haben aber die Erfahrung und Vertraut-heit mit dem keineswegs einfachen Processvoraus. Der Mangel dieser Erfahrung isthauptsächlich der Grund, warum gewisseFabriken, welche im Laufe der letzten Jahrein England und den Vereinigten Staaten er-richtet worden sind, keine Erfolge zu ver-zeichnen gehabt haben. Die Rohmaterialienkönnen an vielen Plätzen ebenso billig er-halten werden, wie sie die betreffenden Gross-betriebe erhalten, und das nöthige Betriebs-material kann von jedermann frei benutztwerden; aber eine gewinnbringende Fabrika-tion ist nur möglich bei absoluter Vertraut-heit auch mit den kleinsten Einzelheiten desAmmoniakprocesses.

Die folgende Tabelle, ergänzt vom stati-stischen Bureau in Washington D. C , zeigtdie Quantitäten und den Werth der in denverschiedenen Jahren eingeführten Alkali-producte:

18851886188718881889189018911892189318941895

Bleichpulver:

Mengea

94 698 38098 046 208103 097 847101 699 978104152 72389111342111156006110 796 147120 780 23387 610 063100 256 774

WerthDollars

1453 9371 354 0191 573 1681 672 1301 659 4721 385 0801 4314701 840 0562 212 6061 507 0061 644 835

Sodasalz:

Menge&.

26 039 78230 687 60825 681 49625 048 47523 703 9473408040928 548 37922 509 30622 777 48817 483 81328 760 028

WerthDollars

203 179197 240164 567154114147 257257 447252 051226 522238 923126 756167 267

Calcinirte Soda:

Menge WerthDollars

260 932 988 3 065 979279 931 929 3 229 030263 274 392 2 857 930267 896 710286 103 275299 441 652

2 681 7932 762 8653 243 001

326 099 238 4 122 700320 880 894 4 282 416388 841 970 4 860 788252 573 836 2 490 698300 599 257 2 367 109

Geschäften Soda verarbeitet wird. Auch inden letzten 3 oder 4 Jahren sind in denVereinigten Staaten einige Fabriken gebautworden, um diesen Process zu verwerthen.

Eine Geschichte dieses Processes hatL. M o n d (J. Chemical 1885, 52) und A.Scheure r -Kes tner (das. 1887, 322) ge-geben. Die Rentabilität dieser Industriezeigen die grossen Dividenden, welche diegrösseren Sodafabriken in England und auchin den Vereinigten Staaten vertheilen.

Die Zahlen für Natriumbicarbonat sindin angemessener Form nicht zu erhalten.Die Menge der nach dem Ammoniakprocessin Syrakus, N.-T. seit 1885 fabricirten Sodaist ungefähr folgende:

1884 ungefähr188518861887188818891890

11 800115 0003120035 00050 50052 30067 000