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Zur Frage der allgemeinen Proteink~rpertherapie und aktiven Immunisierung tier progressiven Paralyse. Von Dr. reed. Walter Jacobi, Assistenzarztan derpsychiatrischen Universit~itsklinik Jena (Direktor: Prof.Dr. tI an s Be i"g e~'). (Eingegangen am 27. August 1921.) Als Noguchi im Jahre 1913 Spirochi~ten in Gehirn und Rfickenmark yon Paralytikern und Tabikern nachgewiesen hatte, schienen sich neue Perspektiven ftir die Therapie dieser Erkrankungen zu erSffnen. Aller- dings nehmen diese ja bekanntlich eine therapeutische Sonderstellung ein, indem sie auf die allgemein fiblichen antiluetischen Mittel anders reagieren, als die fibrigen luetischen Erkrankungen. Wenn so die Chemotherapie bei den sog. metaluetischen Erkrankungen fast g~nzlich versagt hat, beweist die Tatsache der Spontanremissionen bei Para- lytikern, die, wenn auch selten, so doch bestimmt vorkommen, dais der Organismus mancher Paralytiker zu gewissen Zeiten noch fiber Abwehrreaktionen verffigt, die zu einem Stillstand des krankhaften l~rozesses ftihren kSnnen. Diese in mSglichster Intensit~t zur Wirkung zu bringen, schien mir des therapeutischen Versuches wert zu sein. Die Bedeutung der Immunit~tsvorg~nge ffir die metaluetischen Er- krankungen, besonders ffir die Verhfitung derselben, ist ja in letzter Zeit -- es sei nut an die Arbeiten yon Gennerich erinnert -- eingehend gewtirdigt worden. Die Entstehung dieser Erkrankungen steht ja seiner Vorstellung nach in engster Verbindung mit der Haftung bzw. Aus- heilung der Liquorinfektion. Je ausgiebiger die Allgemeindurch- seuchung des Organismus, desto kr~ftiger setze die ImmunkSrper- bildung, die ja bekanntlich nach Hoffmann, Bloch u. a. in der Haut vor sich gehen soll, und damit die M6glichkeit der (~berwindung des Virus ein. Als Ausdruck der gesteigerten Abwehr des Organismus im Sinne einer allergischen Reaktion seien so die schweren Hauterschei- nungen im Beginn der Erkrankung mancher Luetiker aufzufassen, die ja, wie das schon die alten Arzte beobachtet haben, wohl das geringste Kontingent zur Metalues stellen. Und so wird ja auch zur Zeit von zahl- reichen Autoren immer wieder darauf hingewiesen, dal~ ein grol~er Teil der Tabiker und Paralytiker frfiher nur eine leichte Syphilis durchge- macht hat. Dies ist wohl so aufzufasesn, dam die Hauterscheinungen,

Zur frage der allgemeinen proteinkörpertherapie und aktiven immunisierung der progressiven paralyse

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Page 1: Zur frage der allgemeinen proteinkörpertherapie und aktiven immunisierung der progressiven paralyse

Zur Frage der al lgemeinen Proteink~rpertherapie und aktiven Immunis ierung tier progressiven Paralyse.

Von Dr. reed. Walter Jacobi,

Assistenzarzt an der psychiatrischen Universit~itsklinik Jena (Direktor: Prof. Dr. tI a n s B e i"g e ~').

(Eingegangen am 27. August 1921.)

Als N o g u c h i im Jahre 1913 Spirochi~ten in Gehirn und Rfickenmark yon Paralytikern und Tabikern nachgewiesen hatte, schienen sich neue Perspektiven ftir die Therapie dieser Erkrankungen zu erSffnen. Aller- dings nehmen diese ja bekanntlich eine therapeutische Sonderstellung ein, indem sie auf die allgemein fiblichen antiluetischen Mittel anders reagieren, als die fibrigen luetischen Erkrankungen. Wenn so die Chemotherapie bei den sog. metaluetischen Erkrankungen fast g~nzlich versagt hat, beweist die Tatsache der Spontanremissionen bei Para- lytikern, die, wenn auch selten, so doch bestimmt vorkommen, dais der Organismus mancher Paralytiker zu gewissen Zeiten noch fiber Abwehrreaktionen verffigt, die zu einem Stillstand des krankhaften l~rozesses ftihren kSnnen. Diese in mSglichster Intensit~t zur Wirkung zu bringen, schien mir des therapeutischen Versuches wert zu sein. Die Bedeutung der Immunit~tsvorg~nge ffir die metaluetischen Er- krankungen, besonders ffir die Verhfitung derselben, ist ja in letzter Zeit -- es sei nut an die Arbeiten yon G e n n e r i c h erinnert - - eingehend gewtirdigt worden. Die Entstehung dieser Erkrankungen steht ja seiner Vorstellung nach in engster Verbindung mit der Haftung bzw. Aus- heilung der Liquorinfektion. Je ausgiebiger die Allgemeindurch- seuchung des Organismus, desto kr~ftiger setze die ImmunkSrper- bildung, die ja bekanntlich nach H o f f m a n n , B l o c h u. a. in der Haut vor sich gehen soll, und damit die M6glichkeit der (~berwindung des Virus ein. Als Ausdruck der gesteigerten Abwehr des Organismus im Sinne einer allergischen Reaktion seien so die schweren Hauterschei- nungen im Beginn der Erkrankung mancher Luetiker aufzufassen, die ja, wie das schon die alten Arzte beobachtet haben, wohl das geringste Kontingent zur Metalues stellen. Und so wird ja auch zur Zeit von zahl- reichen Autoren immer wieder darauf hingewiesen, dal~ ein grol~er Teil der Tabiker und Paralytiker frfiher nur eine leichte Syphilis durchge- macht hat. Dies ist wohl so aufzufasesn, dam die Hauterscheinungen,

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wohl bedingt dureh eine gewisse Immunk6rperinsuffizienz, derartig gering waren, dab sic von den Kranken nicht bemerkt wurden. Ist so die Abwehrreaktion schw~chlich, werden einzelne Spiroch~tenst~mme zurtickbleiben, und zwar besonders an den Stellen, wo die Abwehrvor- g~nge besonders schlecht entwickelt sind. Dies ist nach G e n n e r i c h s Meinung an den Meningen der Tall.

G e n n e r i c h s Auffassung tiber den Verlauf der Liquorinfektion fuSt also auf der Vorstelhmg yon dem Fortbestehen bzw. der Einschr~n- kung der Allgemeindurchseuchung, die schieksalbestimmend ftir den Erkrankten sei. Und hier liegt -- sind die Annahmen riehtig -- die Gefahr einer antfluetisehen Therapie, besonders der Salvarsantherapie. Reicht die zugeftihrte Menge des Mittels nicht aus, alle Spiroch~ten zu vernichten, so wird dem zurtickbleibenden Rest die MSglichkeit der Weiterentwicklung gegeben, die jetzt um so intensiver einsetzt, da der Anreiz einer starken Abwehrreaktion durch die Vernichtung des tiber- wiegenden Teils dcr Spiroch~ten fortf~llt. Die Untersuchung des Liquors hat ja bekanntlich gezeigt, dab auch in der Mehrzahl der F~lle von Frtihlues eine Ver/~nderung desselben vorliegt, die in einer Zell- und EiweiBvermehrung zum Ausdruck kommt. Man wird daher annehmen mtissen, dab es bei der Lues bereits im Friihstadium in der Mehrzahl der F~lle zu einer spezifischen Infektion der Meningen kommen kann, die zuweilen sogar spontan ausheilt, auf der anderen Seite aber sich im Sinne eines schwercn meningealen, cerebralen oder spinalen Prozesses in verschiedenen Zeiten weiter entwickelt. Hierbci spielt ein Versagen tier durch die Allgemeinsyphilis angeregten Entgiftungs- und Immuni- t~tsvorg~tnge zweifelsohne eine entscheidende Rolle.

Von uns sollte kliniseh beobachtet werden, ob diese durch Injek- tionen yon luetischen Organextrakten noch einer Anregung f~hig seien und ob durch Belebung der Immunit~tsvorg~nge eine Beein- flussung des Krankheitsbildes mSglich sei.

Die Tatsache, dab selbst eine so geringe Menge yon Organextrakt, wie sie zur Hervorrufung einer positiven Cutanreaktion no~wendig ist, gentigt, den Umschlag einer negativen in eine positive Serumrcaktion, d. h. eine ,,allergisehe Serumreaktion" hervorzurufen, macht es wahr- seheinlich, dart selbst so geringc Mengen Spiroch~tten oder zum min- desten durch diese ver~ndertes OrganeiweiI~ die AntikSrper der frtiher infizierten KSrper zu einer rascheren Neubildung anzuregen vermag. Allerdings bezogen sieh derartige Beobachtungen nicht auf metalue- tische Erkrankungen, sondern waren yon Mii l le r und S t e i n (Wiener klin. Wochensehr. 1913, S. 408, 825), K l a u s n e r (Arch. f. Derm. u. Syph. 120, 444. 1914) u. a. bei Lues gummosa und Lues hereditaria erhoben wordcn, bei denen ja die ImmunkSrperbildung noch recht leistungsf~hig ist.

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Zweifelsohnc geht aber auch aus diesen Beobachtungen hervor, daf] gewisse luetisch infizierte Individuen noch lange Zeit nach der Infektion eine starke Abwehrreaktion gegentiber dem Virus oder dessen Stoffwechselprodukten aufzubringen imstande sind.

Dal] der Abwehrmechanismus bei den sog. m e t a l u e t i s c h e n Er- krankungen w e n i g leistungsfBhig ist, darauf wies u. a. auch die Tatsache hin, dab es mir ebensowenig wie K l a u s n e r , F i s c h e r , Mi i l le r und S t e i n , B o a s und S t f i r p (Wien. med. Wochenschr. 1913, Nr. 38 u. 40, S. 2419 u. 2614) u. a. geglfickt ist, mit Organextrakten eine positive Cutanreaktion zu erzielen. Ich ftihrte mit der im Extrakt ein- getauchten Impflanzette je 2 etwa 1 cm lange, aufeinander senkrecht stehende Impfstriche an der Haut des Oberarmes aus. Nach 24 Stunden fand sich um die Impfstelle meist eine leichte reaktive Entztindung durch das Impftrauma. Nach 48 Stunden erschien die Impfstelle v611ig reaktionslos. Einen analogen Befund erhob ich bei anderen nieht luetisch Erkrankten. Reaktionen, wie sie fiir das terti~re Stadium der Syphilis und ffir die Lues hereditaria z. B. yon N a k a n o u. a. beschrieben sind, die 36 bis 38 Stunden nach der Impfung stets deutlich ausgepriigt waren, konnte ich bei Paralytikern niemals erzielen.

Wie dem auch sei, wir gingen bei unserem Vorgehen yon dem Ge- danken aus, dab wit auch bei den metaluetischen Erkrankungen noch der aktiven Syphilis gegeniiberst~nden, und dab es geboten sei, diese zu inaktivieren. Die Tatsache der Remissionen lieferte uns den Beweis, dab der Organismus dieser Kranken jedenfalls in bestimmten FBllen und zu bestimmten Zeiten in seiner Abwehrreaktion noch nicht vSllig erschSpft sei. Diese Leistungsfiihigkeit zu steigern hat ten wir uns zur Aufgabe gemacht. Als Impfmaterial benutzten wit Extrakte luetischer FSten, in denen bekanntlich die Erreger der Syphilis in grof~er Zahl vorhanden sind. Yon Kulturspiroch~ten als Impfmaterial hat ten wir Abstand genommen, weft diese ja in Fitrbbarkeit, Morphologie und Virulenz gegentiber den echten pathogenen Spiroch~iten weitgehende Unterschiede zeigen. Kliniker, die sich mit der Frage der Cutanreaktion bci Lues besch~ftigt haben, haben ja zu ihren Zwecken die verschiedensten jImpfstoffe benutzt. Extrakte aus rein zerriebenen Schleimhautpapeln und Prim~raffekten, aus Organen syphilitischer F6ten, aus Leber, Lunge, Nebenniere und Lymphdrfisen, auch solche aus spirochiiten- haltiger Placenta fa.nden Verwendung:

Die Farbwerke vorm. Meister L u c i u s und B r i i n i n g in H6chst am Main stellten uns Ifir unsere Zwecke aus tibersandten Lebern lue- tischer FSten drei Extrakte her, die mit 0,5% Carbot versetzt waren und sich bei der Prtifung im Reagensglas und an der Maus als steril erwiesen.

Extrakt 1, hergestellt durch Schiitteln mit physiologischer Koch- salzl6sung, 1 ccm auf 1 g Leber.

Z. f. d. g. N e u r . u. P s y c h . L X X I I I . 37

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Extrakt 2, der bei 55 ~ ausfallende Niederschlag aus Extrakt 1 getrocknet, zerrieben und die filtrierbaren Partikel in physiologischer KochsalzlSsung suspendiert.

Ext rakt 3, Alkohol~ttherextrakt, nach Verdampfen des LSsungs- mittels in physiologischer KochsalzlSsung aufgeschwemmt und dutch Watte filtriert.

Wie W o l f f - E i s n e r in seinem Handbuch der Serumtherapie be- Iichtet, behandelte schon K r a u s Syphilitiker im Stadium der Initial- sklerose mit einem Vaccin, bestehend aus in physiologischer Kochsalz- 15sung macerierten Schankergeschwfiren, mit einem Zusatz yon 0,5% Carbols~ure. Das Gemisch wurde subeutan gegeben in Dosen von 1 bis 2 ccm, die Behandlung dauerte 20 Tage. W~hrend K r a u s und S p i t z n.e r giin,~tige Resultate mit dieser Methode erzielt haben wolltcn, konnten B r a n d w e i n e r, K r e i b i e h, K r e n n u. a. diese Angaben nicht best~tigen. Aueh N a k a n o (Arch. f. Dermatol. u. Syphilis 116, 264. 1913) sah yon einer Spiroch~tenvaccinbehandlung beim Menscben keine Erfolge. G r o g s l i c k (Derm. Wochenschr. 59, 729. 1914) dagegen, der Syphilis- falle mit subcutanen Injektionen von luetischen 0rganextrakten, wie sic zur WaR. verwendet werden, behandelte, sah eine gfinstige Beein- flussung. Am besten reagierten seiner Beobachtung nach die sekund~ren Rezidive, geringer die terti~tren und primhren Stadien. Letzthin haben H il g e r m a n n und K r a u s fiber ermunternde aktive Immunisierungs- versuche der Syphilis berichtet. Sie benutzten anf~inglich Reizserum yon Prim~raffekten, dann aber breite Kondylome als Ausgangsmaterial, da ersteres Verfahren zu mfihsam war. Bei ,,Metaluetikern" sind wohl bisher keine derartigen Versuche angestellt worden, teils wohl, weft wir in der Behandlung der Lues z. Z. durchaus chemotherapeutisch eingestellt sind, teils wohl auch, weil man sich von einem derartigen Vorgehen keinen reehten Erfolg versprach.

Wir beabsichtigten, um zusammenzufassen, durch die frisch einge- brachten Spiroch~iten und Spiroch~tenstoffwechselprodukte die Abwehr- kr~tfte des Organismus anzuregen, besonders deshalb, weft ja die MSg- l ic h k e i t bestand, daft diese virulenter als die im KSrper vorhandenen seien, und weil ja in einem infizierten noch reaktionsf~higen Organismus bei Neuzufuhr des betreffenden Antigens die AntikSrperbildung rasch zunimmt.

Wir injizierten zun$chst 1 ecm Extrakt mit 9 ecru physiologischer KochsalzlSsung gemischt intravenSs, injizierten jeden 2. Tag und stiegen in der Konzentration der Mischung, bis wir in die Gefahrzone der ana- phylaktischen Reaktionen zu kommen drohten. Von da ab injizierten wir in zwei F~llen regelm~ftig 1 cem Extrakt zu 9 ccm physiologischer KochsalzlSsung, im dritten Fall 0,5 ecru Extrakt zu 9,5 ccm NaCI- LSsung.

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Patient I erhielt insgesamt 59 ccm Extrakt in 43 Sitzungen ,, I I . . . . 55 ,, . . . . 37 ,, ,, I I I . . . . . 50 . . . . . . 38 ,,

Die ersten Fieberreaktionen traten, wie das ja zu erwarten war, nicht im unmit te lbaren Anschluf~ an die ersten Einspritzungen auf~ sondern s wie aus nebenstehender Zusammenstellung ersichtlich, bei dem 1. Kranken, eine TemperaturerhShung auf 38,1 nach der ftinften Reaktion abgerechnet, nach einer Inkubationszeit yon 32, in den beiden anderen Fiillen nach einer solchen yon 18 Tagen. Von diesem Zei tpunkt an gerieten wit in eine Zone gesteigerter Reaktionsempfindlichkeit, die beim ersten Kranken 7, beim zweiten 2, beim drit ten 9 Tage anhielt. Dann verliefen die Injektionen wieder ohne lebhaftere Reaktionen. Wir hat ten also bei unserem Vorgehen eine Region zu passieren, in der die K6rper sich in einem Zustand yon l~berempfindlichkeit gegen das zwar artgleiche, abet blutfremde Eiweil~ befanden. Von einer Giftigkeit der Organextrakte konnte keine Rede sein, da diese anf~nglich in viel gr61~erer Menge und st~rkerer Konzentrat ion so gut wie reaktionslos vertragen women waren and weft der Zustand der ~berempfindlichkeit bei beibehaltener Dosis zuni~chst wieder abklang.

Wie aus unserer Zusammenstellung (S. 580 u. 581) ersichtlich, schalteten wir nunmehr im ersten Fall eine Pause yon 11, im zweiten eine solche yon 63, und im dritten yon 58 Tagen ein, um dann erneut mit unseren Injektionen bei beibehaltener Dosierung zu beginnen. Von diesem Zeitpunkt ab konnten wfi', einige Fehlreaktionen abgerechnet, fast regelm~Big mit lebhaften Fieberreaktionen rechnen, l~ber Beginn, H6hepunkt und Dauer berichtet die folgende l~bersicht:

Durchschn. Beginn Durchschn. Hfihepunkt Durchschn. Dauer Kranker der Reaktion der l~eaktion der Reaktion

I . . . . . . . . nach 2,84 St. nach 4,08 St. naeh 4,28 St. I I . . . . . . . . . . 2,04 . . . . 3,33 . . . . 5,96 ,,

I I I . . . . . . . . . . 2,5 . . . . 4,64 . . . . 5,55 ,,

Wenige Stunden nach der Injektion stellten sich also lebhafte Fieber- bewegungen ein, die wir wohl nicht fehlgehen, als Uberempfindlichkeits. erscheinungen aufzufassen, wie sie uns ja beim Menschen yon der Serumkrankheit her am geli~ufigsten sind. Unter s tarkem Schtittelfrost stellte sich die erhShte Temperatur ein. Dabei wurde iiber dolchstich- artige Schmerzen in der Muskulatur geklagt, die anfangs recht qui~lend waren, die aber bei fortgesetzter Behandlung nachliel3en. Urticarielle Ausschli~ge, Drtisen- und Gelenkschwellungen, Albuminurie und 0deme, wie sie ja als ~berempfindlichkeitserscheinungen bekannt sind, wurden yon uns nicht gesehen.

Interessant sind unsere Beobachtungen noch deshalb, well es uns gelang, auch bei Weglassen des Extraktes lediglich dutch Injektionen

37*

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Dauer der Reaktion (Stunden)

Pulszahl auf HShe- punkt d. Temperat.

Temperatur

HShep. d. Reaktion ~ n a c h wievie l S tdn .

Temperatur

Beginn d. Reaktion nach wieviel Stdn. t I

Inj . Menge

Dauer der Reaktion (Stunden)

Pulszahl auf HShe- p u n k t d. T e m p e r a t .

T e m p e r a t u r

H S h e p . d. R e a k t i o n n a c h wieviel S tdn .

T e m p e r a t u r

"~ ~ . . . . . . . . . . . . . . . .

Beg inn d. R e a k t i o n n a c h wieviel S tdn .

Inj . Menge ~ ~ ~ i . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

v~

D a u e r d. R e a k t i o n ! (8 tunden)

Pu l szah l auf HShe- p u n k t d. T e m p e r a t .

T e m p e r a t u r I . . . . . . . I:

[ t tShep , d. l~eak t ion ! ~-~ n a c h wieviel S tdn . I

T ; m ; e r a t u r - - -

Beginn d. Reaktion I nach wieviel Stdn.

Inj. Menge

D a t u m

c ~ c ~

I

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und aktiven Immunisierung der progressiven Paralyse. 581

I

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oo oo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ~ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . oo

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physiologischer KochsalzlSsung Tempera turen zu erzielen, wie sie den durch Injekt ionen von Ex t r ak t - - KochsalzlSsung erzielten durchaus entsprachen. Die betreffenden mit E x t r a k t vorbehandel ten Indivi- duen waren also auch unspezifischen Einfltissen gegentiber in ihrer Reaktionsf~higkeit umgest immt. Diese Beobaehtung von uns s teht im Einklang mit den von D a v i d s o h n und F r i e d e m a n n (Arch. f. Hyg. , 71. 1909) gezeitigten, dab sensibilisierte Kaninchen sich durch erheblich gesteigerte Empfindl ichkei t gegentiber der subcutanen und intraven6sen Injek~ion yon KochsalzlSsung auszeiehnen.

I m folgenden soll kurz tiber die drei Fi~lle beriehtet werden, die yon uns behandel t wurden.

I. Patient E., 48 Jahre alt, Landwirt. Anfang des Krieges Lues, spezifiseh behandelt. Beginn der Erkrankung

1 Jahr vor Klinikeinlieferung mit gesteigerter Erregbarkeit und explosivem Wesen, seit fiinf Monaten Ideenflucht mit expansiven GrSBenideen, Drang zu T/itlichkeiten und Zusti~nden yon halluzinatorischer Erregung.

]0. 1I. 1921 Klinikaufnahme: Expansive Form der Paralyse. Blut WaR. -F -F -F -F- Liquor WaR. -F+-F-F, Nonne, Apelt -F, 37 Zellen im cmm. Beginn der Injektionen 22. III. In der Folgezeit GrSBenwahn mit abenteuerliehen P1/inen. 26. V. Lumbalpunktion: Liquor WaR. -F + + + , Nonne, Apelt 4 , Pleocytose. Unvermindertes Anhalten der GrSBenideen mit fortsehreitender VerblSdung. 21. VI. Paralytischer AnfaU: Sprache versagt, Zucken in der linken Gesiehts-

h/~lfte, das auf die linke Seite tibergreift, ZungenbiB, Dauer etwa 1 Minute. Deutlich zunehmender VerfalL 1. VIII. Lumbalpunktion: Liquor WaR. -F-F-F -F, Noune, Apelt leichte

Trtibung, 67 Zellen in cram. Blut WaR. -F-F -F -F. 2. VIII. Gehiiufte paralytische Anf~lle. 4. VIII. Paralytischer Anfall. 7. VIII. Exitus letalis. II. Patient Z., 49 Jahre alt, Landwirt. Infektiou verneint. Psychisch ver~ndert seit Friihjahr 1920: reizbar, stim-

mungslabi], riihrselig, machte Schenkungen, vergeudete viel Geld, kritiklose Selbstiibersch~tzung, wollte Erfindungen machen usw.

10. I. 1921 Klinikaufnahme: Intelligenzdefekt, SpraehstSrung und reflek- torische Pupillenstarre. Expansive Form der Paralyse.

Blur WaR. _+, Stern--. L i q u o r WaR. -F-F-F+, Nonne, Apelt: Tziibung, 11 Zellen im cram. 10. II. Beginn der Behandlung. In der Folgezeit zunehmende Urteils- und Ged/ichtnisschwi~che, sehwaeh-

sinnige GrSBenideen, ErlSsehen der ethischen und iisthetischen Gefiihle, Euphorie. 17. III . Lumbalpunktion: Liquor WaR. -F-F-F-F. Unveriindertes Bild bis Anfang Juli 1921. Seitdem etwas ruhigeI, ausge-

glichener und kritikvoller, so dab Patient mit leichter Remission nach Hause beurlaubt warde.

Vorher Blur- und Liquorentnahme. Blur WaR -F-F -F~ Liquor WAR. 0,5 -F -F-F, 0 , 3 - Nonne, Apelt-- , 7 Zellen

im cram.

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und aktiven Immunisierung der progressiven Paralyse. 583

III. Patient R., Kaufmann, 37 Jahre alt. Infektion unbekalmt, 3 bis 4 Wochen vor Klinikeinlieferung wegen er-

schwerter Sprache zum Arzt. Klinikaufnahme: 25. I. 1921. Einfach demente Form der Paralyse. Lumbalpunktion: Blut WaR. ~- + +-~. Liquor WaR. +~- -~ - , Nonne, Apelt -t-, 28 Zellen im cram. 10. II. Beginn der Injektionen. Langsam fortschreitendes, geistiges Versagen; gleichm~13ig, ruhig, freundlieher

Stimmung, langsam fortsehreitender, nicht sehr sehneller Verlauf. 27. VI. Lumbalpunktion: WaR. im Liquor + + 4 + , Nonne, Apelt--,

10 Zellen im cram. Auch hier Anfang Juli leichte Remission, die zur Beurlaubung des Kranken

fiihrte. Vorher Blutentnahme: WaR. + ~- + +. Lumbalpunktion wird abgelehnt. t3berblickt man die 1/2Jahr lang durchgeftihrten Behandlungs-

versuehe, so sind die Resultate wenig ermunternd. S011te man ~rk l i ch geneigt sein, die beiden Remissionen in Fall I I und I I I der Therapie zugute zu rechnen, so wird die allgemeine Anschautmg wohl noch am ehe- sten geneigt sein, diese auf Konto der Temperaturerh6hungen zu setzen.

Die Erfahrungstatsache der oft gtinstigen Wirkung interkurrenter fieberhafter Erkrankungen hat ja bekanntlich eine regelrechte Fieber- therapie der Paralyse ins Leben gerufen. Am meisten Anklang als fiebererzeugendes Mittel hat das Tuberkulin gefunden, das in einer Kombination mit Quecksilber yon der Wiener psychiatrischen Schule mit W a g n e r v o n J a u r e g g an der Spitze zuerst empfohlen wurde. Die zweifelsohne oft zu beobachtende giinstige Einwirkung dieser Kur auf die Erkrankung wurde teils aaf die Hyperleukoeytose, teils auf die Erzielung yon febrilen Reaktionen zurtiekgeftihrt. Hyperleukocytose und Hyperpyrexie suehte man in der Folgezeit noeh durch mannig- fache andere Mittel zu erreiehen. Schon vor der Tuberkulinquecksilber- kur hatte B i n s w a n g e r Versuehe mit Colivaecinen und Deuteroal- bumosen gemacht, y o n W a g n e r und D611ken sah spi~ter nach Einver- leibung polyvalenter Staphylokokkenvaccine und anderer Bakterien- pri~parate Remissionen und Stillsti~nde der Erkrankung. Durch Natrium nucleinicum und die verschiedensten artfremden Eiweil~stoffe, unter denen die Injektionen mit sterilisierter Milch am meisten Anklang fanden, wollte man therapeutische Erfolge erzielt haben. D ' A b u n d o hat te Injektionen mit Paralytikerserum empfohlen. In letzter Zeit wird bekanntlich eine Infektionstherapie mit Recurrens und Malaria angeraten.

Wir sind der l~berzeugung, dal~ es sich bei all den therapeutisch als gtinstig beschriebenen Heilwirkungen des Fiebers und der Leuko- cytose, bei all den verschiedenen empfohlenen Behandlungsmethoden mit Tuberkulin, Nucleinl5sungen, Heterovaccinen und Deuteroal-

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bumosen im Prinzip um denselben biologischen Vorgang handelt, der im Sinne einer unspezifischen allgemeinen Protoplasmaaktivierung im Sinne W. W e i c h a r d t s aufzufassen ist. Fieber und Leukocytose scheinen uns nur im Sinne von W. W e i c h a r d t , Sachs, R. S c h m i d t u. a. einzelne willkiirliche herausgegriffene Wirkungen einer allgemeinen ProteinkSrperwirkung zu sein, denen andere, wie z. B. die Anregung katalytischer Vorgi~nge, Vermehrung des Fibrinogens und Steigerung der AntikSrperproduktion an die Seite zu stellen sind.

Es handelt sich also u. E. bei der sog. ,,Fiebertherapie dcr Paralyse" im Prinzip um einc allgemeine Leistungssteigerung des Gesamtorganis- mus durch parenteral zugeftihrte hSher molekulare EiweiI~produkte, wie sie letzthin durch Anwendung von Peptonen als Vorbereitung ftir die antiluetische Behandlung yon S c h r e i n e r - G r a z bei Lues versucht worden ist. Auch die Versuche von Scherber (Wien. reed. Wochenschr. 1917, S. 1177), K y r l e (Wien. klin. Wochenschr. 1917, S. 707), S t i i ckgo ld (Inaug.-Diss. Berlin 1919) u. a., die das Fieber als einen wesentlichen Heilfaktor in der Syphilistherapie tiberhaupt betrachten, gehSren hierher, wenn sie auch nicht unwidersprochen blieben. So sah Weil~ (Wien. klin. Wochenschr. 1917, S. 1073) z. B. nach Einverleibung yon ProteinkSrpern keine gfinstige Beeinflussung dcr luetischen Erscheinungen , so da~ er yon weiteren Versuchen bald Abstand nahm.

Auch unsere Versuche, das Prinzip der ProteinkSrperther~pie verbunden mit einer spezifischen aktiven Immunisierung in den Dienst der Therapie der Paralyse zu stellen, gehSren in dieses Gebiet. Wenn die yon uns gezeitigten Resultate therapcutisch auch wenig ermunternd sind, erscheinen mir doch mancherlei dabei gewonnene patho-physio- logische Beobachtungen, die besonders ins Gebiet der ~berempfindlich- keitserscheinungen gehSren, der Mitteilung wert zu sein.