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Zur Frage der Lokalisation der Vorstellungen. Von Doz. Dr. Josd Berze, k. k. Regierungsrat, Direktor der niederSsterr. Landesirtenanstalt Klolterneuburg. (Eingegan,qe~t am 30. Juli 1918.) Die Frage der Lokalisation der Vorstellungen ist bekanntlich, wenn auch die Lehre yon der Aphasie, Agnosie usw. im allgemeinen bedenken- los mit lokalisierten Vorstellungen arbeitet, durchaus strittig. Und gerade in der letzten Zeit sind die Gegensatze recht scharf hervorge- treten. Auf der einen Seite ist der Annahme der Lokalisation in v. M o- nakow ein gewichtiger Gegner erstanden. In seinem groBen Werke: Die Lokalisation im Gro0hirn (Wiesbaden 1914) ffihrt er in konsequenter Weise den Kampf gegen die Lokahsation der psychischen Vorg~nge fiberhaupt durch. Er verwirft auf das entschiedenste die Annahme, ,,dab durch eine rohe L~sion psychologische Komponenten ana- to misch getrennt, gleichsam auseinandcrgerissen werden kSnnen (z. B. das optische ,Anschauungsbild' vom ,Begriffe' u. dgl.), und auch, dal~ die optische Komponente aus der Objektvorstellung isoliert ausscheiden wfirde (,Verlust der optischen Vorstellung')". Auf der anderen Seite hat die Lokalisation psychischer Funktionen fiberhaupt und der Vorstellungen insbesondere in L ewandowsky einen ebenso entschiedenen Vertreter gefunden. Er sagt in seinem diesen Gegenstand behandelnd'en Artikel des yon ihm herausgegebenen Handbuches der Neurologie: ,,Die Frage zunachst, ob psychiche Funktionen lokalisiert gedacht werden kSnnen, ist unbedingt zu bejahen. Wenn jeder psychische Vorgang ein Bewegungsvorgang in einem materiellen Substrat ist, so wird er im Prinzip sogar immer ]okalisiert gedacht werden mfissen. Es ist eine durchaus unbegr(indete, wenn auch oft gehSrte Behauptung, dai] die materie]len Vorg~nge, die einem psychischen Vorgange ent- sprechen, sich notwendigerweise iiber das ,ganze' Gehirn erstrecken mfiBten." Theoretische Erw~gungen sind es also zun~chst, wie man sieht, die L ew and o w s ~ y zu seiner Stellungnahme in dieser Frage veranlal3t haben. Geht aus diesen Erw~gungen aber auch wirklich das hervor, was Lewandowsky meint, namlich die Notwendigkeit der Annahme der Lokalisation psychischer Funktionen ? Durchaus nicht. Zuniichst 15"

Zur frage der lokalisation der vorstellungen

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Zur Frage der Lokalisation der Vorstellungen. Von

Doz. Dr. Josd Berze, k. k. Regierungsrat, Direktor der niederSsterr. Landesirtenanstalt Klolterneuburg.

(Eingegan,qe~t am 30. Juli 1918.)

Die Frage der Lokalisation der Vorstellungen ist bekanntlich, wenn auch die Lehre yon der Aphasie, Agnosie usw. im allgemeinen bedenken- los mit lokalisierten Vorstellungen arbeitet, durchaus strittig. Und gerade in der letzten Zeit sind die Gegensatze recht scharf hervorge- treten. Auf der einen Seite ist der Annahme der Lokalisation in v. M o- nakow ein gewichtiger Gegner erstanden. In seinem groBen Werke: Die Lokalisation im Gro0hirn (Wiesbaden 1914) ffihrt er in konsequenter Weise den Kampf gegen die Lokahsation der psychischen Vorg~nge fiberhaupt durch. Er verwirft auf das entschiedenste die Annahme, ,,dab durch eine rohe L~sion p sycho log i s che Komponenten ana- to misch getrennt, gleichsam auseinandcrgerissen werden kSnnen (z. B. das optische ,Anschauungsbild' vom ,Begriffe' u. dgl.), und auch, dal~ die optische Komponente aus der Objektvorstellung isoliert ausscheiden wfirde (,Verlust der optischen Vorstellung')". Auf der anderen Seite hat die Lokalisation psychischer Funktionen fiberhaupt und der Vorstellungen insbesondere in L e w a n d o w s k y einen ebenso entschiedenen Vertreter gefunden. Er sagt in seinem diesen Gegenstand behandelnd'en Artikel des yon ihm herausgegebenen Handbuches der Neurologie: ,,Die Frage zunachst, ob psychiche Funktionen lokalisiert gedacht werden kSnnen, ist unbedingt zu bejahen. Wenn jeder psychische Vorgang ein Bewegungsvorgang in einem materiellen Substrat ist, so wird er im Prinzip sogar immer ]okalisiert gedacht werden mfissen. Es ist eine durchaus unbegr(indete, wenn auch oft gehSrte Behauptung, dai] die materie]len Vorg~nge, die einem psychischen Vorgange ent- sprechen, sich notwendigerweise iiber das ,ganze' Gehirn erstrecken mfiBten."

Theoretische Erw~gungen sind es also zun~chst, wie man sieht, die L ew and o w s ~ y zu seiner Stellungnahme in dieser Frage veranlal3t haben. Geht aus diesen Erw~gungen aber auch wirklich das hervor, was L e w a n d o w s k y meint, namlich die Notwendigkeit der Annahme der Lokalisation psychischer Funktionen ? Durchaus nicht. Zuniichst

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haben wir gar keine Ahnung davon, wodurch sich der ,,Bewegungs- vorgang im materiellen Substrat", welcher der Vorstellung a, yon dem, welcher der Vorstellung b entspricht, unterscheidet. Wenn wit an- nehmen, dieser Untersehied beruhe darauf, daft in dem einen Falle andere Elemente dieses materiellen Substrates, resp. andere Zusammen- h~nge solcher Elemente, in Funktion gesetzt werden als im anderen Falle, so tun wir dies auf gut Gliick, ohne jeden sicheren Anhaltspunkt fiir die Richtigkeit dieser Annahme; es k6nnte auch so sein, da$ im Falle der Vorstellung b genau die gleichen Elemente des materiellen Substrates erregt werden wie im Falle der Vorstellung a und daft der Untersehied nur darauf beruht, dab die Erregung in dem einen Falle eine andere ist als im anderen Falle, sei es nun qualitatir sei es hin- siehtlich des quanti tat iven VerhSltnisses der Erregungsintensititen der einze'lnen erregten Elemente zueinander. Selbst wenn wit aber berechtigt wiren, anzunehmen, dab tier Verschiedenheit der Vorstellungen eine Verschiedenheit der erregten Elemente des materiellen Substrates ent- spreehe, k6nnten wit noch nieht schlieften, daft die distinkten Elemente, deren Erregung versehiedene Vorstellungen entstehen liefte, auch ver- sehieden lokalisiert sein miiftten, verschieden lokalisiert im Sinne der Lokalisationslehre. E s darf ja nie vergessen werden, daft, wenn yon Lokalisation gesprochen wird, immer aueh eine ganz bestimmte Form der Lokalisation gemeint wird, n~mlich die im Sinne einer ,,landkarten- artigen" Einteilung der Hirnoberfliehe. Eine solehe Lokalisation for psychische Funktionen anzunehmen, wire abet durehaus willkiirlieh; mit der Forderung, dab es sieh bei der einzelnen Vorstellung um die Erregung ganz bestimmter Elemente des materiellen Substrates handle, ver t r ig t sich auch ganz gut die Annahme, daft diese Elemente fiber weite Gebiete der l~inde, vielleicht sogar fiber das ,,ganze Gehirn" him verteilt seien~).

Voraussetzung dieser letzteren Annahme ist niehts anderes als das Vorhandensein eines materiellen Substrates, alas im Gegensatze zu den in Form von, ,Zentren" umschriebenen Projektionsfeldern (Sinnesfeldern, motorischen Feldern), andere Schichten der Rinde einnehmend fiber die ganze Rinde bin ausgedehnt ist. Ein solches allen Rindenfeldern, aueh den ,,stummen", gemeinsames materielles Substrat ist abet zweifel- los tats~chlich vorhanden. Tr~ger der distinkten Leistungen, wie sie den einzelnen Rindenfeldern eigen sind, ist offenbar nicht ,,der gesamte Rindenquersehnitt" (vgl. K r a e p e l i n ) , sind vielmehr nur jene be-

I) Vgl. v. Monakow, der, als er davon spricht, daI] die Umwandlung der Elementarfaktoren in ,,Wahrnehmung" (Erkennen) und sp~ter in ,,Vorstellungen" sich ,,in der ganzen Rinde" vollziehe, hinzuftigt: ,,wenn aueh se lbs tve rs t ind- lieh nicht in gleichm/~13ig diffuser Weise" (v. Monakow, Die Lokalisation im GroBhirn, S. 436).

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stimmten Schichten, ,,durch deren Auftreten, Schwinden oder Teilung im einzelnen Falle die Abweichung yon den Naehbargebieten bedingt wird". Die ffir die einzelnen cyto- und myelotektonisehen Felder (Areae) charakteristischen Unterschiede betreffen namentlich die vierte B r o d - m a n n sche Schicht, die Lamina granularis interna, wi~hrend die anderen Schichten, namentlich die erste bis dritte Sehicht, weniger belangvolle, ,,mehr i~u2erliehe" (v. M o n a k o w ) Differenzen aufweisen. Und yon nicht geringer Wichtigkeit ist es weiter, daft die Nervenzellen der Hirn- rinde, ,,welehe nach Markl~sionen sekundi~r degenerie~en, s ~ m t l i c h in d e n t i e f e n S e h i c h t e n , und zwar nach der B r o d m a n n s c h e n Einteihmg in der IV. bis VI. Sehicht sitzen" (v. M o n a k o w ) . Weist letzteres Moment dahin, daft die IV. bis VI. Schieht mit den in sie einstrahlenden langen Fasern zusammen einen geschlossenen Apparat, den ,,Projektionsapparat", der sich experimentell-tektonisch aus dem fibrigen Cortexgrau gleiehsam ,,herausseh~len" laftt, die I. bis III. Schicht dagegen einen anderen gesehlossenen, aber ,,vom Marl~kSrper direkt n i c h t a b h i~ n g i g e n" Apparat, einen ,,inter- und intracorticalen Asso- ziationsapparat", wie gesagt wurde, bilden, so zeigt uns die durchg~ngig im wesentliehen gleiche Struktur der diesen letzteren Apparat bildenden Schichten, daft wir ihm eine fiber den ganzen Cortex 1) hin ausgedehnte prinzipiell gleichartige und als solche den unterschiedlichen Funktionen der Sinnes- bzw. motorischen Felder gegentiberstehende, ihnen vielleicht iibergeordnete Funktion zuzusehreiben haben.

Einem einheitliehen organisehen Apparate entsprieht ja eine ein- heitliehe Funktion. Die einheitliehe Funktion des ,,inter- und intra- eortiealen Assoziationsapparates" ist offenbar die p s y e h i s e h e im Gegensatze zur sensorisehen und motorisehen Funktion des Projektions- appa.rates. Wenn gesagt worden ist (z. B. yon v. M o n a k o w ) , an einem psyehischen Vorgange sei das ,,ganze" Gehirn beteiligt, so ist dies selbst- versti~ndlieh nieht so zu verstehen, daft die gesamte Hirnrinde einsehlieft- lieh aller Projektionsfelder daran beteiligt sei - - die rein, sensorisehe Funktion der Hirnrinde ist ja ebenso wie ihre rein motorisehe eine apsyehische, vor- bzw. naehpsyehisehe Funktion - - , sondern es kann damit nur gemeint sein, daft sieh jeder psyehisehe Vorgang, wie immer er geartet sein mag, in jenem einheitliehen Rindenapparate abspiele, weleher yon den strukturell fiberall im wesentliehen gleiehen oberen Rindensehiehten gebildet wird, und daft die Annahme nieht gereeht- fertigt sei, daft es innerhalb d ieses Rindenapparates eine LokMisation gebe, wie sie far den Projektionsapparat als erwiesen gelten kann.

Kann nun aber ,,das Psyehisehe '~ als eine im wesentliehen gleieh- artige Funktion angesehen werden ? Die Autoren, die sieh mit Lokali-

l) So. mit Ausnahme des. Gebietes der A m m o n s f o r m a t i o n und wahrschein- ]ich auch der , , re t rosplenialen Haup tzone" (Brodmann).

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sationsfragen besch~ftigen, sind im allgemeinen von dieser Ansicht himmelweit entfernt. Gerade im Gegenteile gehen sie darauf aus, das Psychische - - eben zu Lokalisationszwecken - - in soundso viel ungleich- artige Funktionen zu zerlegen. Anscheinend gelingt es ihnen auch - - aber nur deshalb, weil sie ganz iibersehen, daI~ das, was sie da zerlegen, gar nicht das P s y e h i s c h e ist, sondern die Gesamtheit der Ergebnisse, welche die psychisehe Funktion zuwege bringS, und was speziell das Vorstellen betrifft, das P h y s i s e h e , das K S r p e r l i c h e , an welches das Psyehische (mit dem Ergebnisse: Vorstellung) ankniipft, auf welches es sich bezieht. Wenn man yon optischen, akustisehen usw. Vorstellungen spricht, liegt dem nicllt eine Zerlegung des Psychischen zugrunde, sondern eine Zerlegung des Sensorischen (des durch das Sensorische vermittelten Physisehen), das sozusagen den Inhalt abgibt, in ein Optisches, Akusti- sehes usw. Es wird aueh oft der Umstand, daI~ das Sensorische ffir Wahrnehmungen den Inhalt abgibt, so gedeutet, als ob sich die Wahr- nehmungen aus Sensorischem (aus bewul~t gewordenen Impressionen) a u f b a u t e n . Wenn es nun einerseits ein aus Sensorischem, und zwar aus verschiedenem Sensorischem aufgebautes, andererseits ein zum Sensorischen nur in entfernteren Beziehungen stehendes Psyehisches (die der Wahrnehmungsti~tigkeit in der Regel gegentibergestellten ,,h6heren" Geistest~tigkeiten) g~be, wi~re damit freilich die Ungleich- artigkeit des Psyehischen erwiesen. Es ist aber schon die Pr~misse: Wahrnehmungen bauen sieh aus Empfindungen auf, falseh, besonders wenn noch dazu unter Empfindungen bewul]t gewordene Impressionen verstanden werden. Wahrnehmungen bestehen nicht aus Empfindungen in diesem Sinne, sondern wieder aus Wahrnehmungen, aus einfaeheren Wahrnehmungen, und niemals li~[~t sich auch nur die allereinfachste Wahrnehmung mit dem Erfolge zerlegen, dab Teile resultierten, die den einzelnen Impressionen entspri~chen. Da] diese I m p r e s s i o n e n d e n I n h a l t de r W a h r n e h m u n g e n b e s t i m m e n , steht auBer Frage; - - aber n i c h t in der Weise geschieht dies, dal3 die W a h r n e h m u n g d i r e k t aus i h n e n , e t w a d u r c h Z u s a m m e n s e t z u n g , h e r v o r - g e h t , sich aus ihnen aufbaut, s o n d e r n in der Weise, dal~ eine (psy- ehische) R e a k t i o n a u f d e n b e t r e f f e n d e n K o m p l e x von Im- pressionen erfolgt. Diese psychische Reaktion ist in jeder Hinsicht einer m o t o r i s e h e n Reaktion vergleichbarl), wie sie auf Grund einer sensomotorischen Zuordnung auf einen lmpressionskomplex hin ein- tritt . Geradeso wie diese dem Reizkomplex e n t s p r i c h t , ohne irgend etwas von ihm zu e n t h a 1 t e n, so auch die Wahrnehmung; wie die Be- wegung nur motorische, so enth~lt die Wahrnehmung nur psychische

1) Abgeschen nattirlich davon, dal3 bei der weir subtileren Organisation des psychischen Apparates eine welt mehr ins Feine gehende Anpassung der psychischen Reaktionen an imprcssionale Differenzen mSglich ist.

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Bestandteile. Durch diese Uberlegung ist jener Einwand gegen die Gleichartigkeit alles Psychischen erledigt.

Damit ist aber zugleieh unserStandpunkt einer weiteren theoretischen Erw~gung L e w a n d o w s k ys gegenfiber pri~zisiert, die er mit folgenden Worten ausdrtickt: ,,Ich teile die Bedenken, die H e i l b r o n n e r an anderer Stelle dieses Buches berichtet hat1), nicht. Es scheint mir yon keinerlei Nachteil zu sein, wenn man von akustischen, optischen usw. Vorstellungen sprieht." GewiB kann man von akugtischen, optischen usw. Vorstellungen spreehen; aber man darf damit nichts anderes meinen, als dab die Vorstellung einmal Akustisehes, ein andermal Op- tisches usw. ,,zum Inhalt hat" (vgl. oben), ganz besonders aber nicht, dab den in diesem Sinne versehiedenen Vorstellungen verschiedene Funktionen, also eine eigene akustische, eine eigene optische (usw.) Vorstellungsfunktion, entsprechen, und daraus einen Grund ffir die Annahme eines eigenen akustisehen, eines eigenen optischen (usw.) Vorstellungszentrums ableiten.

Eine weitere theoretische Erw~gung L e w a n d o w s k ys lautet : ,,DAB wir ffir die Vorstellungen ein besonderes Substrat anzunehmen haben, das mit dem der einfachen Projektion der Motiliti~t bzw. der Sensibilit~t nicht fibereinstimmt, das beweist ja schon die fiberwiegende Wiehtigkeit der lin- ken Hemisphere, und aueh innerhalb der einzelnen Hemisphere scheinen die Projektionsfelder mit den Erinnerungs- und Vorstellungsfeldern der ein- zelnen Sinne keineswegs fibereinzustimmen.. . Uber die Ausdehnung der Vorstellungsfelder (man kann sie ebenso gut mnestische, gnostische, Er- innerungsfelder usw. nennen), haben wir noch sehr ungenaue Kenntnisse."

Die von L e w a n d o w s k y ins Treffen geffihrte Superioriti~t der einen, in der Regel der linken, Hemisphere kann keineswegs als Argument ftir die Lokalisation der Vorstellungen verwendet werden. Das ganze Problem der Lateralisation liegt noch im Dunkeln; wir wissen noch nicht, ob und inwieweit wir von einer Lateralisation der psyehischen Funktion selbst im Sinne einer intensiveren Leistung der einen Hemi- sphere zu sprechen das Recht haben. Es wird zwar von einigen Autoren behauptet, dab die Lateralisierung gewisse, oder auch, dab sie alle psychischen ,,Funktionen" in mehr oder weniger erheblichem MaBe betreffe; ein stichhaltiger Beweis ist daffir aber noch yon keiner SeRe beigebracht worden. Was bisher fiber die Lateralisierung in Erfahrung gebracht werden konnte, li~Bt sich vielmehr dahin zusammenfassen, dab diej enigen Vorgi~nge, durch welche die B e z i e h u n g e n z wi s c h e n d e n P r o j e k t i o n s f e l d e r n der Sensibilit~t und der Motiliti~t u n d

~) Diese Bedenken Hei lbronners gelten nicht nur der ,,Lokalisation der Vorstellungen", sondern auch ,,all den Formulierungen: durch welche man sie zu ersetzen versucht hat". Im spezicllen beziehen sie sich auf die Lokalisation der ,,Sprachvorstellungen".

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jenem ,,Assoziationsapparate", als der e i g e n t l i e h e n p s y c h i s c h e ~ S p h i~r e, hergestellt werden, in der superioren Hemisphare besser von- statten gehen als in der anderen, und daft sie hinsichtlieh gewisser Beziehungen sogar ausschlieftlieh oder doch n~hezu aussehliei~lich an die superiore Hemisph~.re gebunden zu sein seheinen. Zur AuslSsung der Wahrnehmungs- und Erkennungsakte (Gnosie) in der psychischen Sph~Lre ist es nStig, daft dieser die Eindrticke aus den Projektionsfeldern der Sensibilit~t in geeigneter Weise vermittelt werden; dies gesehieht in, wenn auch nicht absolut, so doch relativ lokalisierten, und zwar im allgemeinen im Bereiche oder doch in der n~heren Umgebung der betreffenden Projektionsfelder gelegenen (sensorischen) Engramm- feldern. Umgekehrt ist es zur Ausl6sung (Innervation) der gewollten Bewegungen bzw. Handlungen (Praxie) n6tig, dab die in der psychischen Sph~ire aktiv gewordenen Intentionen in geeigneter Weise den betreffen- den Projektionsfeldern der Motilitiit vermittelt werden; dies geschieht wieder in relativ lokalisierten (motorisehen) Engrammfeldern. Diese E n g r a m m f e l d e r Mind nieht etwa als einfache Durehzugsstationen der Erregung zu denken, stellen vielmehr die St~ttten eines wichtigen Zwischenvorgangs dar, und zwar die sensorischen die St~itten einer die psychische Effassung erst erm6glichenden Zurichtung (Zusammen- fassung?) der in den Projektionsfetdern erfolgten Impressionen, die motorischen die St~tten einer die entsprechende Folge yon Inner- vationen erst erzielenden Zurie~atung (Zerlegung?) der von der psyehi- schen Sphi~re ausgehenden Intention. Es lag nun die Versuchung zweifellos sehr nahe, diese Engrammfelder als Vors te l lungsfe lder an- zusprechen. Daft diem aber ein Irrtum war, daft die Engrammfelder nieht der Ort des VorstelIens selbst sind, geht immer kl~rer aus Be- obaehtungen yon Autoren hervor, die wie v. M o n a k o w unvorein- genommen dureh das Dogm~ der ,,Vorstellungszentren" an die Tat- sachen herantraten. Im Falle der Aussehaltung eines bestimmten sen- sorischen Engrammfeldes durch einen pathologisehen Prozel~ verliert der Kranke nicht die Fghigkeit zu Vorstellungen aus dem betreffenden Sinnesgebiete, sondern nur die Fa.higkeit, auf Eindrtieke dieses Sinnes hin mit der Aktivierung der entsprechenden Vorstellungen zu reagieren, und zwar deswegen, well es an der Vermittlung zwisehen demProjekti0ns- felde und der Sphi~re des Vorstellens, d. i. der psyehischen Sphhre fiber- haupt, fehlt. Ebenso verliert er im Falle der Aussehaltung eines be- stimmten motorischen Engrammfeldes (Praxiefeldes) nieht die F~Lhigkeit, sieh die zur Ausfiihrung einer Handtung erforderliche Bewegungsfolge vorzustellen, sondern bloft die F~higkeit, diese Vorstellung sozusagen in die Tat umzusetzen, weil ibm die Vcrmittlung der dazu erforderliehen Innervationen abgehtl).

1) Ausfiihrlicheres tiber diesen Punkt wird spiiter zu sagen sei~.

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Aul~er auf die erw~hnten theoret ischen Erw~gungen grfindet L e w a n - d ows k y seine Ansicht aber noch besonders auf einen speziellen Fall, der fibrigens auch sehon von anderen Autoren zur Argumenta t ion in gleichem Sinne verwendet worden ist. Gemeint ist der Fall, fiber den L e w a n d o w s k y in der Arbei t : Uber Abspal tung des Farbensinnes (Monatsschr. f. Psych. u. Neurol. 23, 1908) ausffihrlieh beriehtet hat.

Es handelt sieh nach L e w a n d o w s k y s zusammenfassender ,,Epikrise" um folgenden Fall: ,,Ein 50j~ihriger Mann, Buchhalter, erleidet eine ohne Bewul]tseins- verlust einhergehende (sehr wahrseheinlieh auf einer Embolie beruhende) Apo- plexie. Nach dem Abklingen einer sensorischen Aphasic, naehdem auch eine be- sonders hartn~ckige subcortieale Alexie fast geschwunden ist, stellt sich ein eigen- tiimliches Symptomenbild heraus. Der Kranke hat eine homonyme Hemianopsie nach rechts. Das Unterscheidungsverm6gen fiir Farben ist, mit den sehiirfsten vorhandenen Methoden untersucht (sc. fiir die reehten Netzhaut-, d. i. linken Ge- sichtsfcldh~lften), v611ig intakt. Dagegen ist der Kranke nicht finstandc, ihm ge- zeigte Farben zu benennen oder ihm benannte zu zcigen. Er ist nicht imstande, die Farben ibm gehiufiger Gcgenst~nde sprachlieh anzugebcn. Er ist ebensowenig f~hig, diese Farben aus einer Auswahl ihm vorgelegter herauszusuchen, trotzdem er angibt, genau zu wissen, was die Gegenst~nde sind, trotzdem er auf Abbildungen die Gegenst~nde erkennt, trotzdem mr sic zum Tell selbst zeiehncn kann. Der Kranke blieb 9 Monate lang unter Beobachtung. Es trat ein geringer Riickgang der St6rung ('in, besonders die spraehliehe Angabe der Farbe gelSufiger Gegensti~nde wurde besser."

In der , ,Analyse" des Falles versucht L e w a n d o w s k y nun zu- n~ehst die Abgrenzung~ die von W i l b r a n d beobachtete und be-

n a n n t e , ,amnestische Farbenbl indhei t" . Hinsiehtlich dieser St6rung 5ul~ert sich L e w a n d o w s k y fibrigens dahin, daI~ ihre Deutung als ,,clue rein aphasische St6rung", die ihr von W i l b r a n d gegeben wurde ~lnd die spi~ter auch ,,in die Neurologie des Auges von W i l b r a n d und S S n g e r (Bd. I I I ) f ibernommen ist", aus der Beschreibung W i l b r a n d s keineswegs hervorgehe. Das Falschbezeichnen v o r g e l e g t e r Farben stiinde freilich mit der Auffassung der St6rung als Folge einer , ,Unter- brechung der Assoziat ionsbahnen zwische~i Farbens innzent rum und corticalem Sprachgebiet" im Einklang, nicht aber auch die Unfahigkeit des Kranken, die Farbe ibm b e k a n n t e r GegenstSnde zu bezeichnen, da ja doch nicht angenommen werden kSnne, daft dazu die Mitwirkung des Farbenzent rums erfordertich sei. Diese letztcre Erscheinung im Symptomenbi lde der W i l b r a n d s c h e n , ,amnestischen Farbenbl indhei t" l~ftt es L e w a n d o w s k y vielmehr als , ,durchaus nicht unm6glich" er- scheinen, dal~ ,,es sich bei den W i l b r a n d s c h e n Kranken um dem von L e w a n d o w s k y beschriebenen i~hnliche Symptomenbi lder gehandelt ha t" , wie denn L e w a n d o w s k y auch einen Fall A d l e r s 1) und den bekannten Fall L i s s a u e r s 2) ffir seine Auffassung reklamieren mSchte,

1) A. Adler, Ein Fall yon subcortiealer Alexie. Berliner klin. Wochenschr. 1890, S. 356.

~) Archiv f. Psych. 21, 222. 1890.

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wenn auch das Recht dazu, wie L e w a n d o w s k y selbst betont~ nicht zu beweisen ist.

Bei der ErSrterung seines eigenen Falles, an die L e w a n d o w s k y sodann geht, betont er zun~chst das F e h l e n y o n F a r b e n b l i n d h e i t einerseits, von S e e le n b l i n d h e i t andererseits and erkl~rt dana, ,,dab es sich u n m S g l i c h u m e ine S p r a c h s t S r u n g a l l e i n oder urn yon ihr abhi~ngige Erscheinungen h a n d el n k a n n". ,,Eine solche Deutung l~13t eben schon der einfaehe Versuch nicht zu, den wir anstellten, den Kranken aus e i n e r R e i h e i h m v o r g e l e g t e r F a r b e n die e i n e s i h m b e k a n n t e n G e g e n s t a n d e s (Btatt, Blut, Himmet usw.) h e r - a u s s u c h e n zu l a ssen . Alle diese Gegenst~nde waren, wie dureh Zwischenfragen festgestellt wurde, dem Kranken bekannt. Trotzdem konnte er die ihnen Zukommende Farbe nicht herausfinden. Schon bei diesem Versuch wird doeh der sprachliche Ausdruck fiir die Farbe gar nicht gebraucht. Es handelt sich fiir den Kranken nut darum, sich die dem Blatt oder dem Himmel zugeh6rige Farbe sinnlich vor- zustelten und sie dana mit dem Finger zu bezeichnen".

Nach L e w a n d o w s k y ergibt sich fiir seinen Fall ,,mit zwingender Notwendigkeit der SchluB, da [3 . . , e i n e A b s p a l t u n g des F a r b e n - s i n n s bzw. d e r V o r s t e l l u n g d e r F a r b e y o n d e r V o r s t e l l u n g d e r F o r m , de r G e s t a l t de r G e g e n s t ~ n d e b e s t a n d , da~ die Asso- ziation zwischen Farbe and Form der Gegeast~nde gesprengt, der Farbensinn yon den iibrigen Elementen der optischen Sphi~re abgetrennt w a r t ~.

An anderer Stelle 1) erkli~rt L e w a n d o w s k y beziiglich dieses Falles: ,,Ich babe es wahrscheinlich zu machen versucht, dab der Mangel des ,Wissens' von der Farbe, also gewissermal3en eine circumscripte In- telligenzst6rung, bedingt war durch das Nichtauftauchen der Vor- stellung der betreffenden Farbe, dal3 das ,Wissen' bei diesem Indi- viduum an das Ankl ingender Vorstellung yon dieser Farbe gebunden war. Ja, es war weiter in diesem Falle sehr wahrscheinlich, dal3 das Nichtbenennenk6nnen yon Farben, das in wahrseheintieh analogen Fallen der sog. Wi lb r a n d schen amnestisehen Farbenblindheit auf die Unterbrechung einer Bahn vom Farbenzentrum zum Sprachzentrum zurtickgeffihrt wurde, nut eine sekund~ire Folge war der Abspaltung der Farbe yon der Form des Gegenstandes, dal3 die rote Farbe als ,Rot' fiir den Kranken eben keinen Sinn mehr hatte, da er sie nicht mehr als die Farbe der Kirsche und des Blutes in der Vorstellung hat te ."

Es ist ohne weiteres zu erkennen, dab dem Falle L e w a n d o w s k y s die gr613te Bedeutung fiir die Entscheidung der prinzipiellen Frage, ob yon einer Lokalisierbarkeit der Vorstelhmgen zu sprechen sei o:ler

1) Handbuch der Neurologie, hcrausgegeben yon Lcwandowsky. Allgem. Neurologie L ]246. 1910.

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nicht, und zwar im positiven Sinne zuk~me, wenn es sich in der Tat erweisen liege, dab die aus L e w a n d o w s k ys eigener Analyse des Falles hervorgegangene Deutung die riehtige sei. Denn, wenn sich der Nach- weis erbringen liege, dab aueh nur e i n e Art yon Vorstellungen, die ,,VorsteUungen der Farbe" (der Gegenst~nde), lokalisiert seien, wi~re es geradezu sinnlos, an der Lokalisierbarkeit der Vorstellungen fiber- haupt zu zweifeln, und mtil3te L ew a n d o ws k y riickhaltlos reeht ge- geben werden, wenn er von ,,Erinnerungs- oder Vorstellungsfeldern der einzelnen Sinne" spricht oder wenn er weiter erkli~rt, dal~ man seiner Meinung nach nicht zu weit geht, wenn man in den Sprachzentren die , ,Sprachvorstellungen" lokalisiert.

Ergibt sich L e w a n d o w s k y Deutung aber wirklich mit zwingender Notwendigkeit ?

Unseres Eraehtens li~Bt sich dem Falle ganz im Gegenteile sehr leieht eine von der L e w a n d o w s k y s c h e n fundamental verschiedene Deutung geben - - und noch dazu geradezu in Anlehnung oder doeh Ankn~pfung an einen Teil der Ausffihrungen L e w a n d o w s k y s selbst.

L e w a n d o ws k y konstatiert - - und unseres Eraehtens mit vollem Reehte - - , dab in seinem Falle der , , B e g r i f f de r F a r b e " , z. B. des Rot, verlorengegangen war, ja noch mehr, ,,dab der Kranke anscheinend auch nicht mehr recht wuBte, was Farbe ist, nicht nur nicht mehr den Begriff der e i n z e l n e n Farbe, sondern aueh den B e g r i f f de r F a r b e f i b e r h a u p t nieht mehr deutlich hat te" .

Worauf beruht beim Kranken L e w a n d o w s k y s dieser Defekt der Farbenbegriffe ? Auch dart~ber linden wir bei L e w a n d o w s k y Aus- kunf t : ,,Man kann . . . sagen, dab jedenfalls die Helligkeit einer Saehe gegenfiber ihrer Farbe in dem BewuBtsein des Kranken eine fiberwertige Rolle spielte. DaB bei der H o l m g r e n s e h e n Probe die einzelnen Woll- proben verschiedene Helligkeit haben, verdritngte das BewuBt~ein von der einheitliehen Farbe, so dal~ er dann sagte: ,Sie sind alle verschieden'. Andererseits konnte er doch die Farbe, die er ~ wenn man den Gegen- satz in diesem Sinne einmal zulassen will - - objektiv so gut unterschied, doch auch subjektiv nicht g a n z vernaehl~ssigen. Denn auch die sub- jektive Sieherheit gewann er vollsti~ndig erst dann, wenn man ihm die Aufgabe stellte, Proben von gleicher Helligkeit u nd gleicher Farbe herauszusuehen. - - Ebenso war der Kranke vSllig sieher, sobald es sich gar nieht um die Farbe, sondern nur um die Helligkeit handelte."

Es ist schwer zu sagen, soweit man naeh den Mitteilungen L e w a n- do w s k y s fiber den Fall urteilen kann, andererseits aber sicherlich auch nicht auszuschlieBen und jedenfalls in Betracht zu ziehen, ob nicht eine gewisse Unsicherheit auf dem Gebiete der Farbenbegriffe bei dem Kran- ken sehon vor der Apoplexie, die das iu Rede stehende Symptomenbild herbeigefiihrt hat, bestanden hat. L e w a n d o w s k y berichtet u .a . ,

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dall sieh der Kranke ,,erinnerte, dab er z. B. seiner Frau, die Modistin gewesen war, bei der Zusammenstellung von Farben behilflieh gewesen war, also eine feint Farbempfindung gehabt haben mfisse". Farben- e m p f i n d u n g freilieh, - - daft er die hatte, ist ja iiberhaupt nicht an- zuzweifeln, zumM ,,das Unterseheidungsverm6gen for Farben", w ozu doeh vor allem richtige Fa rbenempf indung erforderlich ist, auch naeh der Apoplexie ,,v611ig intakt" war; aber tiber den Stand der Farbenbegriffe in der Zeit vor der Apoplexie besagt uns diese Mit- teilung nichts, wird der Kranke doch nieht die ,,Zusammenstellung" der Farben auf (farben-)begrifflichem Wege, sondern an ihm vor- liegenden verschiedenfarbigen Stoffteilen, also auf Grund der Ein- wirkung originaler Farbene m p f i n d u ngen (riehtiger: Farbenwahr- nehmungen) , besorgt, bzw. beurteilt haben. Und selbst, wenn es erwiesen werden k6mlte, dab der Kranke ohne Zuhilfenahme des 0b- jektes Farbenzusammenstellungen zu konzipieren (sinnliche Phantasie- t~i.tigkeit) imstande war, wgre damit noch nieht erwiesen, daft ihm die Farbenbegriffe in richtiger Ansbildung zur Verfiigung gestanden seien; denn zu einer geistigen Leistung der erwiihnten Art bedarf es gar nicht der Farbenbegriffe, sondern bloft der Fahigkeit, sieh Farben v o r z u s t e l l e n und versehiedene Farben ira Geiste, auf dem Wege des Vorstellens, zusammenzubringen.

Damit bertihren wir aber einen wunden Punkt in Lewand~)wskys Analyse des Falles. L e w a n d o w s k y meint: ,,Der Sinn, der Begriff der Farbe hgngt an ihrer Assoziatidn mit den in ihr erscheinenden GegenstS~ndenl). Mit dieser war unserem Kranken auch tier Begriff der Fai'be verlorengegangen und deswegen konnte er auch den Namen der Farbe nicht mehr finden."

Der , ,Sinn" der Farbe, wie ihn sieh L e w a n d o w s k y denkt, ist durehaus nieht, wie er meint, mit dem Begr i f f der Farbe identiseh. Jenen Sinn erhS~lt eine bestimmte Farbe dadureh, daft sie als (optisehe) Eigensehaft eines Gegenstandes ocler einer Reihe yon Gegenst~tnden wahrgenommen wird. --- Eine Fmge yon in diesem Zusammenhange sekundiirer, ftir die Frage der Lokalisierbarkeit psyehiseher Vorg~nge aber allergr61tter Bedeut.ung ist es, ob es erlaubt ist, dieses Sehen der Farben als Eigensehaft yon Gegenst~tnden, das Zustandekommen von Vorstelhingen farbiger Gegenst~,inde, wie es L e w a n d o w s k y gut, als das Ergebnis einer Assoziation zwisehen der Vorstellung der Form des Gegenstandes und der betreffenden Farbvorstetlung hinzustellen: Lewa ndows k y begeht dadureh, dag er in seiner ,,Analyse", die darauf zielt, das Hauptsymptom seines FMles als Folge der ,,Sprengung der Assoziation zwisehen Form and Farbe': wahrscheinlieh zu machen, die

1) Gemeint ist die Assoziation der Farbvorstellung mit den Vorstellun- g e n der Gegenst/i.nde.

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Zur Frage der Lokalisation der Vorstellungen. 223

erw~hnte Annahme ohne weiteres als zweifellos zutreffend hinstellt, den Fehler der petitio principii. U n s e r e s Erachtens trifft diese An- nahme n i c h t zu: es geht nicht an, von reinen F o r m v o r s t e l l u n g e n einerseits, yon sozusagen absoluten Farben v o r s t ell u n g e n anderer- seits zu sprechen; etwas Derartiges gibt es (phiinomenologisch!)nicht, jede vorgestellte Form hat vielmehr auch eine Farbe, wenn uns dies auch nicht immer klar zu Bewul~tsein kommt, was zum Teile damit zu- sammenh~tngt, dab unsere Aufmerksamkeit zumeist speziell der Be- trachtung der Form zu- und dadurch schon v o n d e r Farbe abgewendet ist, und wohl im allgemeinen dadurch mitbegrtindet ist, dab day Vor- stellungsvermSgen ftir Farben - - wenigstens bei der grol~en Mehrheit der Menschen - - gegentiber dem fiir Formen tiberhaupt stark zurtick- t r i t t ; und jede vorgestellte Farbe hat auch, kurz gesagt, eine Form, wenn diese auch, falls es sich uns eben um die Farbe handelt, durchaus gleichgtiltig ist, zumal hier unter Form nicht ausschliel~lich Gegenstgnde im engeren Sinne yon bestimmter Form, sondern fiberhaupt irgend- welche, eine gewisse Farbe zeigende begrenzte Raumteile, also etwa ein Sektor einer verschiedenfarbigen Scheibe, ein Fleck auf einem Tuche, ein Ausschnitt am Himmel usw., zu verstehen sind, - - und daher im Bewufttsein zurticktritt. Die reine ,,Farbvorstellung" im Sinne L e w a n - d ows k ys ist eine willktirliche Abstraktion 1) ohne wirkliche Existenz, geradeso wie seine reine Vorstellung der Gegenst~tnde, d.i . der Form der Gegenstiinde. - - Die ,,optische Vorstellung", richtiger gesagt: die Vorstellung mit (vorwiegend) optisch fundiertem Inhalt, ist also unseres Erachtens als ein durchaus einheitliches Gebilde zu betrachten; von einer Separation ihres Formgehaltes (,,Formvorstellung") einerseits, ihres Farbgehalts (,,Farbvorstellung") andererseits, im Sinne der Ent- stehung zweier selbstgndiger Entiti~ten, kann nicht die Rede sein, und ebensowenig davon, dab der ,,Sinn der Farbe" an ihrer ,,Assoziation mit den in ihr erscheinenden Gegenst~nden" hi~nge. Anstatt dessen ist unseres Erachtens zu sagen: ,,Der Sinn der Farbe h~ngt an den Vor- ,stellungen der in ihr erscheinenden Gegensti~nde." - - Warum sich Le- w a n d o w s k y so ohne weiteres ftir berechtigt hi~lt, die optischen Vor- ;stellungen sozusagen als Ergebnis einer Assoziation von Farbe und Form anzusehen, ist allerdings leicht zu erkennen. Er gehSrt eben zu jenen Forschern, von denen in der Einleitung gesagt wurde, daB sie der irr- ttimliehen Meinung seien, die Vorstellungen bauten sich aus den Im- pressionen auf - - durch einfache Assoziation. Nichts liegt den Forschern dieser Richtung naher als die Annahme, dab den selbstgndige Entiti~ten darstellenden einzelnen Impressionsqualiti~ten (z. B. Farbimpressionen

1) Wir kSnnen uns, mit anderen Worten immer nut Farbiges oder Gefi~rb- tes (z. B. Rotes) vorste]len, nicht aber Farbe, z. B. Rot, kSnnen aber yon der Form als indifferent gegebenenfalls abstrahieren.

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224 J. Be~e:

einerseits, Formimpressionen andererseits) auch selbst~ndige Entit~ten bildende Teilvorstellungen entsprechen mfissen, aus deren Zusammen- treten (Assoziation) erst die komplette (z. B. optische) Vorstellung hervorgehe.

Wie steht es aber um den, von L e w a n d o w s k y als dem ,,Sinn" der Farbe synonym gebrauchten ,,Begriff" der .Farbe?

Das Wesentliche an dem B e g r i f f e einer Farbe ist es, dab er a l l e Erscheinungsarten, also alle verschiedenen Helligkeits-, S~ttigungs- grade, alle versehiedenen Abt6nungen und Abstufungen (Nuancen) dieser Farbe umfaBt. Der Begriff ist der I n b e g r i f f aller Farben der- selben Q u a l i t ~ t , so versehieden sie sonst hinsichtlich der a n d e r e n Ko m p o n e n t e n des Farbensehens sein m6gen. Grundforderung der Bildung des Begriffes der Farben ist also die Heraushebung der Farben- qualit~t als Ordnungsprinzip und Festhaltung dieses Prinzips gegen- fiber dem die Zusammenfassung stSrenden Einflusse der Versehieden- heiten hinsiehtlich der fibrigen Komponenten des Farbensehens. Wo- dureh wird nun die Heraushebung und Festhaltung jenes Ordnungs- prinzipes bewirkt ? Es ist wohl nicht zu bestreiten, dab die Qualit~ts- unterschiede der Farben der Gegenst~nde im allgemeinen danaeh ge- artet sind, die Aufmerksamkeit eines jeden hinsichtlich Farbensehen normal Veranlagten zu erregen, so dab er sozusagen von selbst da rauf verfallen mfiBte, die Farben (wenigstens vor allem) nach den Qualit~ten zu ordnen und sich so die Farbbegriffe zu bilden. Andererseits wird aber auch nicht zu leugnen sein, dab das W o r t , die Bezeichnung der einzelnen Farbenqualit~t, ein m~ichtiges Hilfsmittel der Bildung der Farbbegriffe ist, ein Hilfsmittel, das vielleicht bei gewissen Individuen, bei denen das Farbensehen aus irgendeinem Grunde in dem Sinne alteriert ist, dab sieh bei ihm die Unterschiede der anderen Komponenten oder einer anderen Komponente des Farbensehens gegenfiber denen der Far- benqualit~t in den Vordergrund dr~ingen und die Aufmerksamkeit ffir s ich in Ansprueh nehmen, geradezu unentbehrlich ist. Das Kind hSrt z. B., dab der helle, klare Himmel blau genannt wird, da ] aber aueh sein dunkles Kleid blau genannt wird, macht im Laufe der Zeit die Erfahrung, dab hinsichtlich S~ttigung, Helligkeit, AbtSnung hSchst verschiedene Farben blau hei~en und wird so dazu geffihrt, das einigende Band der gleiehen Qualit~t als maBgebendes Ordnungsprinzip ffir die begriffliche Beurteilung der Farben zu erfassen und zu verwenden. E i n w i c h t i g e r T r ~ g e r d ie ses P r i n z i p s i s t d e m n a e h u n d , wie wir hinzuffigen zu dfirfen glauben, b l e i b t das Wor t l ) . B l e i b t es vielleicht bei den

1) Die enge Beziehung zwischen Wort und Begriff - - im al lgemeinen - - wird von einer Reihe von Psychologen betont. Nach Jerusa lem sind die Begriffe ,,die SubjektwSrter als Tr~ger jener Kr~fte, die in vielen Dingen in gleicher Weise wirksam sind". Each Fri tzsche ist der Begriff ,,die an den Namen geknfipfte,

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Zur Frage der Lokalisation der Vorstellungen. 225

einzelnen Individuen in v e r s c h i e d e n e m Mai3e! Es ist ja denkbar0 dab eine Weiterentwicklung stattfindet, dahingehend, dal3, wenn einmal die Ordnung der Farben nach Qualit~ten, in welchem Mal~e immer das Wort dazu mitgeholfen haben mag, sozusagen geliiufig geworden ist, die jedesmalige Mithilfe des Wortes bei der Subsumtion eines neuen Eindruckes unter den Begriff oder bei der inneren (,,assoziativen") Evokation des Begriffes hinfort mehr oder weniger entbehrlich wird. Immerhin wird diese Emanzipation des Farbbegriffes kaum je so weit gehen, daI3 eine B e e i n t r ~ t c h t i g u n g de r E v o k a t i o n des F a r b - n a m e n s nicht, auch eine B e e i n t r ~ c h t i g u n g d e r E v o k a t i o n des F a r b b ' e g r i f f e s im G e f o l g e haben mtiI3te, besonders wenn etwa zugleich noch eine andere Sttitze der Bildung und Erhaltung der Farb- begriffe, die wir, wie oben erw~hnt, in der urspriinglichen A u f m e r k - s a m k e i t s z u w e n d u n g auf die F a r b q u a l i t i ~ t , in der Heraushe- bung der Farbqualiti~t aus der Gesamtheit der Komponenten des Farbensehens, zue rb l i cken haben, Schaden gelitten hat oder von Haus aus ungenfigend wirksam war.

Von diesem Gesichtspunkte aus ist unseres Erachtens der Fall L e w a n d o w s k y s zu betrachten.

Es waren bei dem Kranken zuni~chst einmal Symptome einer A p h a s i e zu konstatieren, und zwar b o t e r in der ersten Zeit nach der Apoplexie (24. III. 1907) ,,das Bild einer typischen s e n s o r i s c h e n A p h a s i e . Er verstand kein Wort, cr konnte nicht nachsprechen, spontan sprach er ein vSllig unversti~ndliches Kauderwelsch. Er konnte nicht lesen und schrieb paraphasisch, Li~hmungen bestanden nicht, auch keine Facialisparese". Am 10. VII. 1907 stand es mit der Aphasic folgendermal3en: ,,Besinnt sich noch schwer auf alle Eigennamen, selbst auf den N amen der StraI3e, in welcher er wohnt. Bei anderen Worten nur seltener noch geringe StSrungen der Wortbildung im Sinne dcr a m n e s t i s c h e n A p h a s i e . . . Lesen leidlich, aber seiner Angabe nach lange nicht so flieBend, wie vor der .Erkrankung; muI3, um die S~ttze zu verstehen, sie manchmal mehrere Male lesen." Im weiteren Berich.te wird nicht mehr genauer auf die aphasische StSrung eingegangen, sondern nur noch angegeben, dal~ Ende Dezember 1907 ,,der Befund '' - - ob auch der Aphasiebefund, wird nicht speziell bemerkt - - ,,noch immer ungefi~hr der gleiche" war. - - Jedenfalls mu~ also bei der ,,Deu- tung der FarbensinnstSrungen" auch mit dieser SprachstSrung gerechnet werden. Dies stellt iibrigens L e w a n d o w s k y nicht in Abrede, er will vielmehr nur festgestellt wissen, ,,dal] es sich u n m S g l i c h u m e i n e

in der Regel durch eine stellvertretende Einzelvorstellung ersetzte Summe seiner uns wesentlich scheinenden Merkmale" (zitiert nach Eisler, WSrterbuch der philo- sophischen Begriffe).

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226 J. Berze :

S p r a c h s t 6 r u n g a l l e i n oder um von ihr abhi~ngige Erscheinungen 1) h a n d e l n k a n n " .

Zweitens abet will es uns - - aueh naeh genauester Bertieksichtigung aller auf die Ausschlieftung eines solehen Defektes hinweisenden An- gaben in L e w a n d o w s k y s Berieht - - scheinen, dag bei dem Kranken doch aueh eine StSrung im Gebiete der F a r b e n w a h r n e h m u n g vor- l a g . - - D a B eine F a r b e n b l i n d h e i t im eigentliehen Sinne des Wortes, d. h. eine das UnterseheidungsvermSgen einzelner oder aller differenten Farben aufhebende StSrung der Farben p e r z e p t i o n, fehlte, soll selbst- versti~ndlieh nieht in Zweifel gezogen werden. Abet auger dieser Art yon StSrungen sind im Gebiete des ,,Farbensinnes" offenbar noeh eine ganze geihe anderweitiger St6rungen zu unterseheiden, woriiber uns allerdings erst Untersuehungein aus der allerletzten Zeit einige Klarheit zu versehaffen begonnen haben. Namentlieh mug da auf einen Vortrag P S t z l s : l~ber einige Grenzfragen zwisehen Psyehologie und Hirn- pathologie (gehalten im Verein f. Psych. u. Neurol. in Wien, 11. V. 1915) verwiesen werden. , ,P6 tz l 2) hatte Gelegenheit, 12 Fi~lle von Farben- agnosie, d .h . yon erworbenen FarbensinnstSrungen eerebraler Natur zu untersuehen. Er fand, dag sieh Farbenagnostiker bei dauernder Exposition der Farbe ganz ebenso verhalten wie Normale bei allzu fliiehtiger (taehistoskopischer) Exposition. Sie e m p f i n d e n die H e l l i g k e i t , a b e r n i c h t die Qual i t i~ t de r F a r b e . F a r b e n - a g n o s t i k e r k 6 n n e n o f t V e r w e c h s l u n g s f a r b e n r i e h t i g a n - g e b e n , sie b e n e n n e n sie a b e t f a l s c h u n d s e h e n sie a n d e r s als wit1). Ein zweiter Fehler der Farbenagnostiker besteht darin, dab sie, ganz ebenso wie normale ,Farbensehwiiehlinge' bei kiinstlieher Beleuehtung, gewisse im Spektrum benaehbarte Farben, und zwar nut ganz bestimmte derartige Farben nieht unterseheiden. Von diesen St6rungen gibt es 1]berg~,nge zur kompletten Farbenblindheit. An sehleehten Tagen kann bei ein und demselben Kranken komplette Farbenblindheit, an guten blog.optisehe Aphasie bestehen. M a n e h e K r a n k e e r k e n n e n e ine F a r b e r i e h t i g , z e i g e n d a n n a b e r a u f d ie fa l sehe l ) . Die Farbenagnosie beruht auf einer Sej u n k t i o n de r e i n z e l n e n K o m p o n e n t e n des F a r b e n s e h e n s : d e r Qual i t i~ t , H e l l i g k e i t , S ~ , t t i g u n g u n d R a u m q u a l i t ~ t de r F a rb en 3 ) . '' - - Weiter mug in diesem Zusammenhange P o p p e l r e u t e r a) angeftihrt werden, zun~ehst weil er uns neue Beweise filr die Notwendigkeit er-

1) Das ,,allein" im crsten Tei! des Satzcs hat offenbar auch fiir den zweiten Tell Geltung.

2) Zitiert nach Zeitschr. f. d. Neur. u. Psych., Ref.-Bd. I1. a) Im Original nicht gcsperr~! ~) Die psychischcn Sch/~digungen durch Kopfschul~ im Kriege 1914/16, Bd. I.

1917.

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Zur Fntge der Lokalisation der Vorstellungen. 227

I)racht hat, ,,die gr6Bere B r e i t e der Symptome", d. i . den Umstand, .,dab die Schwere der Einbu6en (sc. durch eine Hirnlii, sion) eine s t e t i g e R e i h e bildet, dab w i r e s also mit einem Kont inuum zu tun tmben, welches yon dem sehwersten Ausfalle in allm~thlichen Uberg~ngen bis zur ungeschiidigten NormMleistung geht", zu berticksiehtigen und dem- n%ch au~ter dem , , A u s f a l l e " (sc. einer Funktion) im Sinne der klini- schen Lokalisationslehre aueh noeh die , ,F u n k t i o n s v e r m i n d e r u ng" in ihren verschiedenen Graden zu beachten, bzw. danach zu forsehen und bei der Untersuchung der FMle Methoden in Anwendung zu bringen, die geeignet sind, eine Funktionsverminderung, die sieh oft bei der geliiufigen Untersuchung noch nicht zeigt, aufzudecken, - - dann abet aueh, weil P o p p e l r e u t er , in Verfolgung dieses Prinzips vorgehend, unser Wissen speziell auch auf dem Gebiete der ,,StSrungen der Farben- auffassung" nicht unwesentlich bereichert hat. Aus den hier in Betracht kommenden Ausftihrungen P o p p e l r e u t e r s seien folgende Stellen zitiert: ,,Ungemein h:,tufig ist (ni~mlich) bei Herddefekt.en des Occipital- hirnes e:ine p s y c h i s c h e F a r b e n s c h w ' ~ t c h e , d ie s i ch d a r i n i i uBe r t , dal3 be i f r e i e r f i x i e r e n d e r B e t r a c h t u n g F a . r b e n v e r w e c h s e l t w e r d e n , wiewohl sich nachweisen li~Bt, dab keine Farbenblindheif, keine deutliche StSrung der Empfindung besteht ." Derartiges finder sieh ~mch schon ,,beim Normalen, besonders auch beim Ungebildeten". ,,DAB der Mann keine anormale Farbenempfindung, sondern eine psyctfisehe Farbensehwhche hat, zeigt die Kontrolle, welehe eine gewShnliche Farbeublindheit tmssehtieSt. Es handelt sich hierbei um eine Schw~iehe in d e r A u f f a s s u n g des F ~ r b e n t o n e s . Nicht zu verweehseln ist diese mit der StSrung des Farbenb e n e n n e n s, wiewohl das falsche Benennen auch Ausdruck einer psychischen Farben- schw~iche sein kaml."" Bei einem Falle Po p p e l r e u t e r s (Breiter) war ein Verhalten zu konstatieren, das in nmncher Beziehung an das des Falles L e w ~ n d o w s k y s erinnert.. ,,Als ihm bei der Sortierprobe rein sprachlieh aufgegeben war, die Farblappen der Kasten in vier Haufen, Rot, Grtin, Blau und Gelb zu ordnen, war er zuerst ganz r a t i o s . . . DaB abet die StSrung nicht rein aphasischer Natur war, bewies die Ab~i.nderung der Probe : es wurden ihm auf die vier Felder vor dem Versuch vier entsprechend deutliche Farben gelegt; er brauehte also nut die ibm zugehSrig erscheinenden Farben d&raufzulegen, wozu er den Farbnamen nicht brauchte. Auch bei dieser Probe versagte er g~inzlieh, legte l lo t zu Blau, Blau zu "Gelb usw. Trotzdem aber ergab sieh naehher bei der Betrachtung der vier Haufen wohl eine G e s e t z - m h f ~ i g k e i t i n s o f e r n , a l s d e r H a u f e n y o n R o t u n d B l a u e n t s c h i e d e n d u n k l e r wa r , a ls d e r y o n G e l b u n d Grf in . Breiter hatte sich Mso in etwas nach der H e l l i g k e i t , nieht nach dem ]~'arbenton geriehtet. - - Daraus aber nun auf gest,6rte Farben-

Z. f. d. g. lqeur, u. Psych. O. XI , IV. 16

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228 J, Berze :

empfindungcn, in diesem Falle totale Farbenblindheit zu schlieBen, �9 . . w'i~re ein FehlschluB gewesen. Das zeigten nicht nur die prompten Angaben bei den Nage l schen Tafeln, sondern auch eine andere Probe. Diese wurde so angestelit, dab Breiter zu vier Reihen von verschiedenen FarbentSnen, die nur in einem Exemplar vorhandenen id e n t i s e h e n TSne darauflegen sollte. E r m a c h t e das z w a r sehr l a n g s a m u n d m i t v i e l e m P r o b i e r e n , a b e r g a n z o h n e j e d e n F a r b e n f e h l e r . 1)agegen machte er jetzt einige Fehler in der H e l l i g k e i t . ' : P o p p e l - re u t e r machte an seinen Fi~llen auch ,tachistoskopische Farben- erkennungsversuche", wobei er ,ursprfinglieh auf Aufdeckung von E m p f i n d u n g s s t S r u n g e n z i e l t e . . . Je l~nger aber die Versuche ausgedehnt wurden, desto wahrscheinlicher wurde es, dab es sich auch hier weniger um StSrungen der E m p f i n d u n g e n als um solehe der A u f f as s u ng handelte. Die Zusammenstellung der Ergebnisse zeigt, dab keine sicheren Fi~lle vorliegen, in denen man eine H e r a u f s e t z u n g de r p e r z e p t i v e n S c h w e l l e annehmen kann, und andererseits aber - - und das ist das Uberwiegende - - s i c h e r e F~l le y o n S t 6 r u n g

der A u f f a s s u n g " . Also - - kurz gesagt : Wenn im Falle L e w a n d o ws k y s Farbenblind-

heir erwiesenermaBen fehlte, ist es doch andererseits nicht ausgeschlossen, dab bei diesem Kranken eine StSrung der F a r b e n a u f f a s s u n g oder der Farbenw a h r n eh m u ng vorlag, etwa in dem Sinne, dab ein Mangel der Farbenperzeption gegeben war, der, ohne das Unterscheidungs- verm6gen ftir einzelne oder alle Farben aufzuheben, also o h n e F a r b e n- b l i n d h e i t zu v e r u r s a c h e n , es doch mit sich brachte, dab s ich d ie F a r b e n q u a l i t ~ t e n h i n s i c h t l i c h A u f m e r k s a m k e i t s a t t r a k - t i o n n i c h t g e g e n f i b e r d e n a n d e r e n K o m p o n e n t e n b e h a u p - t e n k o n n t e n , sondern yon diesen, insbesondere, wie es scheint, von der I-Ielligkeit fibertroffen wurden und nur daml einigermagen zur Geltung kommen konnten, wenn ihnen eine hinreichend kr~iftige Unter- stiitzung durch die speziell auf sie gerichtete a k t i v e Aufmerksamkeit zuteil wurde - - oder aber in dem Sinne, dab beim Kranken die Auf- merksamkeit (habituell) immer mehr auf die Helligkeit als auf die Qualifier der Farben ,,eingestellt" war, so dab sich, wie immer es um die Perzeptionsverh~ltnisse bestellt gewesen sein nmchte, eine B e v o r - z u g u n g der H e l l i g k e i t , bzw. e ine V e r n a c h l ~ s s i g u n g der Q u a l i t ~ t der F a r b e n b e i m W a h r n e h m u n g s p r o z e s s e ergeben muBte. Es k6nnte dieser Defekt wenigstens zum Teil schon vor der I~indenerkrankung bestanden haben - - es liegt aber ffir uns durchaus kein Grund vor, uns auf diese Annahme festzulegen - - oder aber, was weir wahrscheinlicher ist, erst durch die Apoplexie herbeigeffihrt

worden sein. Im Vereine mit der sichergestellten a m n es t is e h e n A 10 h as i e wiire

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Zur Fra~'e der Lokalisation der Vorstellungen. 229

aber die yon uns ffir wahrscheinlich gehaltene S t 6 r u n g de r F a r b e n - wahr n e h m u ng geeignet, den.Symptomenkomplex, den der Kranke auf dem Gebiete des ,,Farbensinnes" hot, restlos zu erkliiren.

Was zun~chst die U n f i ~ h i g k e i t des Kranken bet rifft, die F a r b e i b m b e k a n n t e r G e g e n s t ~ n d e zu b e z e i c h n e n , so sei vor allem hervorgehoben, dal3 wit nicht das geringste gecht haben, diesen I)efekt ohne weiteres d i r e k t auf einen entsprechenden Mangel in der Konstitution der V o r s t e I t u n g e n , also auf eine Schi~digung, Aus- schaltung, Abspaltung oder pathologische Umgestaltung des Farb- momentes an den Vorstdlungen zu beziehen oder aus ihm gar auf eine ,,Abspaltung des Farbensinnes" "im Sinne L e w a n d o w s k y s zu sehliet~en. (Wie spater - - nach Er61~erung der ,,l~eperzeptio,l" - - aus- gefiihrt werden soil, dtirfte er dagegen i nd i r ek t . , zu einem Teile wenigstens, mit einem Defekt.e in Zusammenhang stehen, dessen Wesen I eicht zur i r r i g e n D e u t u n g als ,,Abspaltung des Farbensinnes" AnlaB geben kann.) ~Venn ein Kranker die Farbe eines ihm bekannten Gegen- standes nicht bezeiehnen kann, so kann dies fuller in einer St6rung im Bereiche der V o r s t e l l u n g e n aueh begrfindet sein: erstens in einer St6rung im Bereiehe der B e g r i f f e , also speziell der Farbbegriffe, sei es im Sinne einer mangelhaften Ausbildung bzw. Erhaltung oder un- zureichenden Aktivierbarkeit dieser Begriffe, sei es im Sinne einer Un- f'~higkeit der Subsumtion der in der Vorstellung im fibrigen richtig gesehenen Farbe unter den betreffenden Begriff, oder zweitens in einer St6rung im Gebiete der S p r a e h e , sei es im Sinne einer mangelhaften Evozierbarkeit der Farbnamen , sei es im Sinne einer in dieser Hinsicht unzureiehenden Wirkung des aktivierten Begriffes oder endlieh drittens in einer Kombination yon St6rungen in b e g r i f f l i c h e m und im s p r a c h - l i c h e n Gebiete, bzw. im Gebiete der Vorstellungen, der Begriffe und des Sprachlichen.

Wie mag die Sache nun im Falle L e w a n d o w s k y s liegen? Die gr6Bte Bedeutung kommt unseres Erachtens in dieser Be-

ziehung tier siehergest.ellten amnestischen Aphasic zu, ~ nieht aber, als ob es sich einfach um die rein aphasische Unfahigkeit, riehtig vor- gestellte und richtig begriffene :Farben auch richtig zu bezeichnen, ge- handelt hgtte; die path01ogische Grundlage dieses .Defektes dfirfte unseres Erachtens viehnehr yon weir komplizierterer Nat.ur sein. Es wurde oben ausffihrlich fiber die groBe Bedeutung der ~'arbnamen ffir die Bildung, Erhaltung und Evokation der Farbbegriffe gesprochen. Bei dem Kranken mag nun eine aus besonderen individuellen Grfinden besonders tiefgehende Abhi~ngigkeit der Farbbegriffaktivierung yon der Farbnamenaktivierung 1) bestknden haben, so dab schon das weniger

1) Ganz ausgeschlossen ist es iibrigens -- nebenbei bemerkt ~ niehL dab diese Abh/ingigkeit beim Kranken nicht bloIl die Farbbegriffe betraf. Wie es um den

16"

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prompt, in viclen Fitllen aber fiberhaupt nicht, erfolgende inhere An- klingen 1) des Farbnamens zur Folge haben konnte, daI3 die A k t i v i e - r u n g des a u f die s p e z i e l l e V o r s t e l l u n g p a s s e n d e n F a r b - b e g r i f f c s n i c h t g e l a n g , list (lies aber bei einem Kranken der Fall, so kann cr die Farbe clues ihm bekannten Gegenstandes nicht an- geben, wel l er n i c h t weil.~, u n t e r w e l c h e n B e g r i f f er die in de r V o r s t e l l u n g des G e g e n s t a n d e s g e g e b e n e F a r b e , das Farb- pr:,tdikat dieser Vorstelhmg, zu subsumieren hat. Es tiegt uns tibrigen.~ die Vermutung nahe, (la~ dieser Zusammenhang nicht bloB ftir den L e w a n d o w s k y s c h e n Fall Geltung hat, sondern auch ffir einzelne yon den F~llen, (lie als ,,amnestische Farbenblindheit" betrachte( wordeu sind.

Von der eben vorgebrachten Annahme mii~te sell)stverst~ndlich abgegaugen werden, wenn erwiesen w~ire, da~ beim Kranken tats~ichlich. wie L e w a n d o w s k y annim mr, die Vorstellungen im Sinne ,,einer Ab- spaltung des Farbensinnes", d. h. einer Beraubung nm das Farbpr~idikat, um die ,,Vorstellung der F a r b e " nach L e w a n d o w s k y , gesch5digt w~ren. Dies ist aber eben nicht erwiesen! Die einzige unter den von L e w a n d o w s k y zur Untersuchung des Kvanken verwendeten Proben, die sozusagen direkt an die Vorst.ellungen appelliert, wies vielmehr mit Sicherheit darauf, dal3 den Vorstellungen das Farbpr~idikat, uud zwar das zumindest ann~ihernd richtige l!'arbl)riidikat , n i c h t abging. Wenn n~mlich L e w a n d o w s k y ,,dem Krankeu f a l s c h k o l o r i e r t e Ab- b i l d u n g e u in die Hand gab", so war, wenu es auch vorkam, ,,dab er falsche Farben akzeptierte, sogar, (la~ er richt.ige Farben als falsch verwarf", doch zu konstatieren, da[3 ,,i n de r M e h r z a h l de r F ~ i l l e . . . be i d i e s e n V e r s u c h e n d o c h f a l s c h e F a r b e n ( z . B. grtinePferde) v e r w o r f e n w u r d e n , besonders in sp~iterer Zeit, wenngleich die posi- tive Bestimm ung der z~lgehSrigen Farbe nicht gel~ng". L e w a n d o w s k y glaubt daraus nur den Schlu[.~ zieheu zu sollen, da~ immerhin ,,eine Spur yon Assoziation zwischen Farbe und Form der Gegenst~inde noch bestand", nnseres Erachtens aber mu~J daraus geschlossen werden, dab vom Vorliegeu einer ,Abspal tung des Farbensinnes" im Sinue L e w a n d o w s k y s beim Kranken tiberhaupt nicht die Rede sein kann, da einerseits dutch die hhufigen richtigen Reaktionen das Gegebensein t ier Farbpr~,dikate der Vorstellungeu sichergestellt ist, die sp~rlichen

Stand und fiber dic Aktivierbarkeit andersartiger Begriffe beim Krankcn bcstellt war, erfahren wit aus dcr Krankcngeschichte nicbt,, wie denn aueh fiber den all- gemein-psychischen Zustand des Kranken keine Angaben vorliegen, obwohl dieser wohl yon vornherein nicht als fiir die Beurteihmg des Falles ganz irrelevant an- gesehen werden kann.

1) Wir sprecbcn yon einem blo{3en Anklingen des Farbnamens; eine vollbewul~te Vergegenw~rtlgung des ]~arbnamens halten wir n~imlich fiir den in Rede stehcnden Zweck nicht fiir nStig.

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Zur Frage tler I,okalisation der Vorstellungen. 23I

falschen R eaktionm~ andererseits der Erkliirung dutch Abgang der Farbpriidikate keineswegs bediirfen, sondern, wie allerdings noch ge- nauer zu zeigen sein wird, auf die er6rterte St6rung in der (Farben-) begrifflichen Sphfire zurtickffihrbar mind.

Bevor wir weitergehen, sei al~er nooh auf einen Umstand hingewiesen, der 1ms yon vornherein ganz entsehieden gegen (lie Annahme einer ,,Abspaltung des Farbensinnes" zu spreehen seheint. G~tbe esiiberhaupt die M6glichkeit einer ..Abspaltm N des l*'arbensinnes" im Sinne L e w a n - (I o ~vs k y s - - unseres Eraehtens ist sie nur eine u ngliickliche Hypothese- - , d. h. lgge es wirklieh so, dab die ,,Vorstelhmgen der Form, der Gestalt der Gegenstgnde" durch eine ,,Sprengung der Assoziationen'" yon den ,,Vorstelhmgen der Farl)e'" (der Gegenstgnde) abgespalten werden k6nnten, so miiBten im Falle des Eintrittes dieser Eventualitgt auf der einen Seite reine Fonnvorstelhmgen, d.h. Fonnvorstellungen o h n e garbpr:adikat, auf der anderen Seite reine Farbvorstellungen, d .h . Farbvorstelhmgen ohne ,,Raumqualit;,it", resultieren. Was zeigte aber (ler Kranke~ Er wugte zwar nieht anzugeben, dab der Sehnee weil.~ sei, aber er erkF, irte Jim ftir ,,hlau, grtin", die Kohle fiir blau, das Blur fiir grfin usw. N i e m t d s a b e r erkl~ir te er i r g e n d e i n e n y o n den G e g e n s t g n d e n , die ihm genamlt wurden, ffir farblos, oder sagte yon ihm aus, dal.~ er ihn ohne Farl)e sehO). Als er gefragt wurde, ob er sich (-inen Kanarienvogel .,genau in tier Favbe vorstellew" kSnne, erklgrte er dezidiert: ,,GewiB, ganz genau"; so hgtte er abet gewi[.~ nicht ge- ~ultwortet, weml ibm seine Vorstellung des Kanarienvogels nicht eine Farbe, und zwar eine ganz ausgesprochene Farbe, gezeigt h:atte. Alst) Farbe hatten (lie (~egenstandsvorstelhmgen des Kranken zweifellos: die Annahnm einer ,,Absl)a]tung des Farbensinnes'" ist abzulehnen.

~Venn nun die Vorstelhmgen des Kranken uicht ()line Farbpr~idikat waren und wenn wir, wie wir welter b('tonen mOctlten, keinen rechten Grund zur Annahme haben, dab dieses learbpritdikat der Vorstelhmgen beim Kranken hinsichtlieh der Qualitiit lmthologisch verfiilseht war. wie war es dann m6glieh, wird man fragen, dab tier Kranke, wenn er aufgefordert wurde, aus ihm v o r g e l e g t e n F a r b e n die F a r b e

~) MOglieh w/ire der Einwurf, dab der Kranke, ohne Farben in don Vorstellungen zu habem solche angegeben ha~, weft er w u Bte, (|aS die betreffenden Gegenst/inde Farben haben. Dabei habe er sieh, we ibm nicht rein sprachliehe Ao.~oziationen zu Hilfe standen, wie .,du himmeiblauev See", .,grasgrfin", .,kohlrabensehwarz", ,,b/an bliiht ein BJiimelein, (las heigt Ve~gi/lniehtmein", aufs Erraten verlegen miissen; daher die vielen Fehler. Doeh ist dieser Einwurf nieht anfreehtzuerhalten : es ist gar nieht einzuseh(,n, warum sieh der Kranke darauf verlegt hab(,n sollte. seinen Oefekt in einem anderen Lichte erseheinen zu |assen, aueh sprieht da.s ganze Verhalten des Kranken, sehl Bemtihen, die Farben der vorgestellten (4egenstitnde zu bezeiehneu, vor allem seine Angabe, er kiimm sieh z. B. (,inen Kan,.u'ienvogel ganz genau in der Farbe vorstellen, gegon dio,~e kmlahme.

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232 J. Berze :

e i n e s i h m b e k a n n t e n G e g e n s t a n d e s h e r a u s z u s u c h e n , in vielen FMlen v e r s a g t e und z.. B. als Farbe yon Gras gelb und rot, als Farbe yon Blut griin usw. herausholte? Wie war es m6glich, dal.~ er, wie sich L e w a n d o w s k y an einer Stelle auch ausdlqickt, z .B. ,,das yon ihm unmittelbar gesehene Rot mit der F~irbung des Blattes fiilschlich identifizierte, w~ihrend er das ebenso gesehene Griin ver- warf" ?

Wie oben ausgefiihrt worden isf, diirfte bei dem Kranken e i n c S t S r u n g de r F a r b e n~-ahr neh m u ng im Sinne einer Prii p o n d e r a n z de r H e l l i g k e i t f iber die Qual i t : , i t im F a r b p r ~ i d i k a t e d e r (Gegens tands - )Vors te l lungen vorgelegen sein. Betrachtete er also (lie ihm vorgelegten Farbenproben. so mugten sich ihm vor allem die Helligkeitsdifferenzen derselben aufdriingen, ~ h r e n d ihm die Qualitiits- differenzen in den Hintergrund traten, geradeso wie dem mit normaler Farbenwahrnehnmng Begabten die Qmdit/ttsdifferenzen welt mehr auf- fallen als die der Helligkeit. Sollte er daher die Farbe bestimmen, welche der ihm jeweils in der betreffenden Vorsfelhmg vorschwebenden Farbe entsprach, so hMf er sich zuvSrderst an die Helligkeit und vernachl~ssigte infolgedessen in eincr grogen Zahl yon Fallen die Qualit~it geradeso wie sich der hinsichtlich Farbenwahrnehmmig Normale in- folge der weitaus sichereren, festeren, in vielen FSllen wohl geradezu aus- schlieBlichen Einstelhmg auf die Qualitiit, wie Kontrollversucbe er- geben, sehr oft in der Helligkeit vergreift.

Dazu ist abet noch ein anderes Moment zu ber~icksiehtigen. Wie P o p p e l r e u t e r (loc. ctr.) bei Besprechung der bereits erw~ihnten ,,psychischcn Farbensehw:,iche". (lie sieh iibrigens nahe mit der Farben- Wahrnehnmngsst6rung, <tie wir fib" den Fall L e w a n d o w s k y s an- nehmen m6chten, bertihrt, erw~ihnt...liegt bei vielen Personen, nicht- optischen Typen, oft k e i n e a n s c h a u l i c h e V o r s t e l l u n g de r be- t r e f f e n d e n F a r b e der riehtigen L6smlg der Aufgabe (sc. aus einer grSBeren Anzahl Farben (lie N,mncen etwa des Schwefels. des Kaffecs usw. herauszusuchen) zugrunde, sondern nut ein Wiedererkennen". Unseres Erachtens geht die Behauptung, dab bei diesen Personen , ,ke ine anschauliche Vorstelhmg der betreffenden Farbe'" in Betracht komme, zu welt. schon deshalb, well ein Wiedererkennen nur dam, m6glich ist, wenn eine, wenn auch b]ol.~ andeutungsweise ausgebildete ,,anschau[iehe Vorstelhmg" zu Gcbote steht, und ist nur zuzugeben, dag es - - worauf cs iibrigens P o p p e l r e u t er offenbar auch eigentlich abgesehen hat - - . nicht wenige Personen geben mag, (lie auBerstande sind, halbwegs lebhafte 1) ,,Farbvorstelhmgen" willcnsm.iiBig bei sich hervorzurufen, resp. Personen. deren Gegenstands~-orstelhmgen :~iuBerst

1) Vom Wesen der ,.Lehlmftigkeit" der Vorstcllungon wird m/ten ausfiihrlieh gesproehen werden.

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Zur Frage der Lokalisation der Vorstellun~en. 233

farbenschwach sind. Abgesehen von diesen Personen, die sozusagen das eine Ext rem darstellen, und von einzelnen hiusichtlich des Farben- vorstellungsvermSgens besonders begabten Personen, die das andere Extrem darstellen, ist aber unseres Erachtens g a n z a l l g e m ei n zu kon- statieren, daft unsere optisehen Vorstellungen, jede ftir sieh genommen, welt farbenschwiicher sind, als gew6hnlich angenommen zu werden pflegt - - worauf diese [3berschiitzung beruhen dtirfte, wird noeh aus- zuftihren sein - - , daft unser VorstelhmgsvermSgen fiir die Farben einzelner Gegensti~nde im allgemeinen reeht gering ist. Je farben- schwiieher nun aber die optisehen Vorstelhmgen einer Person sind, desto schwieriger mug es ffir sie sein, die richtige Farbe, die ihr eine best immte ei nz el n e optisehe Vorstelhmg zeigt, aus vorgelegten Farben- proben herauszusuchen; abet aueh schon bei durehsehnittlicher In- tensiti~t der Farbenkomponente, (lie ja, wie gesagt, nieht besonders groB anzunehmen ist, muB diese Aufgabe sehwer fallen, wenn noeh dazu wie im FMle L e w a n d o w s k y s (lie F a r b e n w a h r n e h m u n g im bezeichneten Sinne gestSrt ist.

E s mug. nun aber weiter darauf hingewiesen werden, dab die An- nahme, .die Aufgabe, aus Farbenprohen die Farbe eines vorgestellten Gegenstandes herauszusuehen, werde einfach auf dem Wege eines Ver- gleiehes der e i n z e l n e n V o r s t e l l u n g dieses Gegenstandes mit den vorgelegten Farbenproben gel6st, wohl unrichtig istl). Unter normalen Verh~ltnissen gibt es da viehnehr eine mSchtige HiKe. Diese Hilfe liegt in der zugleich mit der Aktivienmg der betreffenden V or s t el l u n g oder doch im unmittelbaren Ansehlusse erfolgenden Aktivierung des entspreehenden F a r b b e g r i f f e s . die dureh das W i s s e n um die Farbe (nicht zu verweehseln mit der Vorstellung der Farbe!)er le iehter t wird.

Werde ich z. B. aufgefordert, <tie Farbe des Himmels aus den Farben- proben herauszusuehen, so wird in mir zugleieh mit der Vorstellung des Himmels aueh das Wort Blau und au<,h der Begriff Blau so weit waeh, dag aUerlei anderes Btaue waeh wird und sozusagen seine Farbkompo- uente mit ins Treffen schickt und somit in meiuem BewuBtsein weit mehr yon Blau bzw" yon Himmelblau, wirksam maeht, als die einzelne Vorstelhmg des Himmels allein zu r imstande w5re. Dies, neben-

l) N~iher kommt offenbar der Wirkliehkeit die Auffassung des zur LSsung dieser Aufgabe ftihrenden Vorganges als Wiede re rkennen (vgl. Poppelberg). Ganz befriedigt unseres Eraehtens aber aueh sie nicht. Zum Wiedererkennen ist bekannt- lieh noah eine ganz sehleierhafte und noch dazu b/oB mehr dureh einen gMehen originalen Eindruck hebbare Vorstellung zureiehend. DaB derart sehwache l+arb- vorstellungen dem Kranken Lewandowskys nicht fehlten, bewies er nun dutch sein Verhalten gegeniiber falseh kolorierten Abbildungen ibm bekannter Gegen- st/~nde; trotzdem aber war er nicht imstande, ,,die positive Bestimmung der zu- gehgrigen Farbe" (dutch Ausmwhen aus den Farbenproben) zuwege zu bringen.

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234 J. Berze :

bei bemerkt, wohl auch einer der Grfinde, aus welchen die meisten Personen die Farbenst~rke ihrer optischen Vorstellungen iiberschhtzen!

Der Kranke L e w ~ n d o w s k y s entbehrte nun aber der Hilfe, die unter normalen UmstSnden der aktivierte F a r b b e g r l f f bringt, weil es bei ihm nicht zu entsprechender Aktivierung des Begriffes kam und dies wieder deshalb, weil die einzelne , ,Farbvorstelhmg" nieht f~hig war, den F~rbnamen prompt anklingen zu machen (vgl. oben). Die einzelne Vorstellung sclbst, auf sich allein angewiesen, war aber in ihrer Farbkomponente zu schwaeh, mn eine gentigende Direktive fiir das Heraussuchen der richtigen Farbe abgeben zu kSnnen.

AuBerdem bestand abcr im Falle L e w a n d o w s k y s , worauf wb' nun wieder zuriickkommen, wahrscheinlich ~ueh eine StSrung der F a r b e n w a h r n e h m u n g - - als Teilerscheinung der Sch~digung der l i n k e n optisehen SphSre.

Beztlglieh der umnit telbar konstatierbaren Symptome dieser Sch~di- gung erw~ihnt L e w a n d o w s k y folgendes, und zwar 20. IV. 1907: g e m i a n o ps i e nach rechts. Uberschfissiges Gesiehtsfeld des rechten Auges im Aquator 15 o, des linken 30". - - 10. VII . : In der rechten HMfte des Gesichtsfeldes fehlt vSllig die Unterscheidung fhr die Farben bei gleichzeitiger H e m i a m b l yo pi e, die Gegenst~nde erscheinen rechts noeh dunkler als links, und es werden nur ziemlich grol]e Testobjekte in der rechten Gesichtsh~tlfte wahrgenommen. Bei Priifung mit einem weiften quadratisehen Feld von 3 cm Seite erscheinen die Gesichtsfeld- grenzen fast normal. Bei Prfifung mit einem Feld yon 1 em ungefShr so wie frtiher, weml man dem Kranken aufgibt, den Augenblick zu bezeichnen, wo er etwas WeiBes auf schwarzem Grunde sieht. Dal~ sich etwas im Gesichtsfeld bewegt, sieht er rechts schon viel frfiher. .... 2. X. : Gesiehtsfeld mlver~ndert. Die Hemiamblyopie besteht noeh.

Als ein Moment von hSchster Bedeutung fiir die ganze Frage, um die es sich handelt, will es uns erscheinen, dab die erw:,~hnten optischen StSrungen (lie l i n k e HemisphSre betrafen, zumal auch in den beidel~ von W i l b r a n d angeffihrten FMlen yon ,,amnestischer Farbenblind- heit", wit iibrigens aueh L e w a n d o w s k y betont, cine r e c h t s s e i t i g e H e m i a n o p s ie zu konstatieren war. Dieser Umstand weist uns darauf bin, das Symptom auch yon dem Gesichtspunkte aus. der mls (lurch (lie richtige Wiirdigung des Wesens der L a t e r a l i s i c r u n g erSffnet wird, zu betrachten.

Lateralisiert haben wir uns, wie eingangs erwShnt, die sensorisehe, Engramme, d .h . den Sitz jener Vorg~tnge zu denken, welche sich an die Aufnahme der Sinnesreize anschlief~en, um der b e w u l t t e n E r - r a s s u ng der sinnlichen Eindriicke (in der Wahrnehmung) sozusagen vorzuarbeiten, und zwar haben wir anzunehmen, dal.~ die Lateralisierung eine mn so ausgesprochenere ist, je komplizierter der Vorbereitungs-

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Zur Praue der Lokalisation der Vorstellungen. 235

effekt ist. Dies bedeute t aber fiir mlseren speziellen Fal l : Wghrend die

Vorberei tung der Wahrnehmmlg , soweit sie blog zur psychischen

Differenzierung der F a r b e n ( , ,Unterscheidungsverm6gen") erforderlieh ist, aueh noeh yon der inferioren Hemisphiire in durehaus zureiehendem MaBe zustande gebraeht Werden kann , wird die feinere Vorberei tung

(ler W a h r n e h m u n g - - sic h:~ttte in tier Hauptsae he in ein er H erau sheb un g

der Fa rbenqua l i t g t aus der Gesamthei t der K o m p o n e n t e n des Farben-

sehens zu bestehen - - , wie sie zur b e g r i f f . l i e h e n B e s t i m m u n g d e r

F a r b e n q u a l i t g t unerli~Blieh ist, fast aussehlieBlieh (allgemein? oder nur bei einer mehr oder weniger grol3en Gruppe yon Ind iv iduen?) yon

der superioren Hemisphitre aufgebraeht. Es kSnnte also zweifellos dureh eine einseitige Sehgdigung des in Frage kommenden Bezirkes

der Oeeipitalr inde') , und zwar der superioren (linken) Hemisphgre.

eine U n f i i h i g k e i t z u r b e g r i f f l i e h e n E r f ~ s s u n g d e r F a r b e n (-Quali t5ten) b e i gleiehzeitigem E r l l a l t e n s e i a de s F a r b e n u n t e r - s e h e i d u n g s v e r m 5 g e n s l~edingt werden2).

1) Gemeint ist selbstverstiindlieh das linke ,,Farbelffeld". Da8 ein Feld an- zunehmen sei, in welcbem die erste Aufnahme der Farben-I m pre s sio ne n crfolgt. und aueh ein Feld, in welchem die Vorbere i t u ng der bewugten Effassung zu- standekommt, also ein Feld, das als Farben-[ m pressio n sfeld, und dann aueh ein solehes, das als Farben-Engrammfeld anzusehen w/~re, wird kaum zu be- streiten sein. Wit wissen a her nicht, wie auch L e w ~t n d o w s k y anfiihrt, ,,ob ein lParbenfeld r~ium]ich yon dem Liehtfeld ganz isoliert besteht oder nicht". Hin- sichtlich der Lokalisation ties ,,Farbenfeldes" sprieht Lewt~ndowsky - - unter Hinweis darauf, (lab in seinem Falle zugleich subcorticale Alexie zu konstatieren war -- die Vermutmlg a us, da/3 dafiir vor allem das niiehste Gebiet nach dem Gyrus angularis zu in Betraeht zu ziehen sei.

~') DaB in einem solchen Falle aueh dic , ,n iederen Sehleistungen", wenn auch weniger ausgesprochen, so doch immerhin merklieh st~irkcr gestSrt sind als im Falle des Sitzes der L~ision in der inferioren Hemisphere, m~ssen wir zumhldest ftir hSchst- wahrscheinlich halten. So will es uns z. B. dm'ehaus nicht als Zufall erscheinen, da[~ cs sich bei der iiberwiegenden Mehrzahl der ausgesprocheneren F~ille yon ,,psychi- seher Farbenschw/~che", iiber die P o p p e h ' c u t e r (1. c.) berichtet, um L/isionen chq' supcrioren (linken) Seitc handelt. Vor allem weist der yon P o p p e l r e u t c r als Para- digm,~ aufgeftihrte Fall Breiter (,,sehr schwere psyehische FarbenschwSMle und fal- sches Farbenbenennen") Hemianopsie naeh rech ts auf, der Fall Grad (psychisehc lStrbenschw~ehe nicht nut beim tachistoskopisehen Versueh. sondern auch bei dcr Sortierprobe) Hemianopsie nach rech t s und Amblyopie des linken unter(,n Quadranten, dcr Fall Manfrass (psychische Farbenschwiiche nur tachistoskopisch. nicht beim Sortieren) Quadrantenhemianopsie nach rech ts ram,n, der Fall Heinze (deutliehe Herabsetzung der Farbenauffassung inl tachistoskopischen Experiment) mlvollst~indige Hemiachromatopsic nach rech ts und weitere St6rungen im rech tdn Sehfeld (,,wenngleich H. imstande ist, im rechten Sehfeld aufzufassen. wenn scine Aufmerksamkeit ausdriicklieh darauf hingelenkt wurde und im linken Sehfeld keine anderweitigen Eindrfwke waren, so ergab sich doeh oft ciri Nicht- beaehten der rechts gelegenen Eindriicke, besonders dann, wenn ein im linken Seh- feld gclegenes Objekt die Aufmerksamkeit in Ansprueh nahm . . ." usw.). Lcieh- tere (;rade der StSrung fanden sich aueh bei reeht.~soitiger L/ision, so im Fall,

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Es ist nun keine Frage, dab uns die Annahme einer derartigen L~sion i,i) Falle L e w a n d o w s k y s - - vom klinischeu Gesichtspunkt aus steht, ihr nichts im Wege --- fiber alle Schwicrigkeiteu der Erklarung der Farbenauffassungsst.6rung in der einfachsten Weise hinweghelfen wiirde. Aber die Sicherheit hinsichtlich der Berechtigung, zu ihr zu greifen, wird unseres Erachtens wesent.lich dadurch beeintriichtigt, daB, wie oben ausgeftihrt worden ist, in diesem Falle eine St6rung im Bereiche der F a r b e n b e g r i f f e anzunehmen ist, welche St6rung an sich schon eine StSrung im Bereiche der Farbena u f f a s s u n g mit sich zu bringen geeignet ist..

Suchen wir uns nhmlich Klarheit dartiber zu verschaff~L welche Faktoren beim Zustandekommen des einzelnen Farbenauffassungsaktes im Spiele sind, so werden wir ungef~ihr zu folgendem Ergebnisse kommen miissen: Auf der einen Seite haben wir es da mit dem S i n n e s - e i n d r u c k e , bzw. der durch ihn inhaltlich best immteu Perzeption, aLIf der anderen Seite mit der A u f m e r k s a m k e i t zu tun, (lie, wie bereits gelegentlich erw/ihnt, 1,. a. die Heraushebung der Farben q u a l i- t ht aus der Gesamtheit der Farbenkomponenten, wie sic in (ler Per- Zel)tion vertreten sind, zustande bringt. Wie wird nun aber der Faktor, (ler hier unter Aufmerksamkeit verstanden wird, auf- bzw. zur Wirksam- keit gebracht ? Diese Frage mul.~ ja in jedem einzelnen Falle einer Aufmerksamkeitsleistung gestellt werden, da ,,die Aufmerksamkeit" nichts anderes ist als ein Sammelbegriff ftir auf die versehiedenste,~ Antriebsfaktoren zuriickzuffihrende Erscheinuugsformen psychischer Aktivit~it. Wit haben uns im speziellen Falle - - mit anderen Worten --- zu fragen, wodurch etwa die psychisehe Disposition zur richtigen be- grifflichen Erfassung der Farben der Qualit~it nach geschaffen werde. U~ld da kann es nun Wieder keiuem Zweifel unterliegell, dal.~, da unter begrifflicher Erfassung der Farbenqualit~tten nichts anderes zu ver- stehen ist als (lie Subsumtion des Farbel~eindruckes unter den ent- sprechenden Begriff, (lie Schaffung der psychischen Disposition zu jellem Akte nut in der besseren Bereitstelhmg der lVarbenbegr i f fe , bzw. ihrer Versetzung in (len Zustand einer mSglichst leichten und pcompten Aktivierbarkeit (Funktionsbereitscllaft) bestehen kann. Be- steht also eine St6rung im (;ebiete der Farbenbegriffc. so mu[3 sie,

F~nter (Hemianopsie m~ch link~), doch handelte cs sich gerade in diesem ]?alle um cinen ,,GewehrdurchschuB", der auch die iinke Hemisphitre in nicht genau fest- gestellter Ausdehnung mitverlctzt hat, und war der Fall dadurch kompliziert, dab ,,d.~s allgemeine Wesen des Mannes sichtlich schwer mitgenommen war", und zwar in dem Sinne, ,,dal~ man mitunter an eine psychotische Hysterie clenken konnte". -- DaB andererseits im Falle Zieran trof.z Hemianopsie nach rechts (und Amblyopie des linken oberen Quadranten) k eine psychische Farbenschw~che bestand, zeigt nur, dab nicht jede L~ion der linken Sehsphii.re psyehische Farbenschw/iche maeht, was ja aneh yon vornherein anzunehmen war.

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Zur Frage der Lokalisation der Vorstellun~en. 237

wie immer sie begriindet und gear.tet sein mag, atteh eine Verminderung der Fahigkeit, die Farben (der Qualit~t nach) begrifflich zu erfassen mit sich bringent).

Unsere Absicht ist es nun durchaus nicht, auf Grund der eben vor- gebrachten Uberlegungen, (lie Annahme einer Sehadigung eines be- s t immten Teiles der linken Occipitalrinde, des linken ,,Faxbenfeldes", ftir den Fall L e w a n d o w s k y s in Zweifel zu ziehen. Was wit damit bezwecken, ist vielmehr nur der Hinweis darauf, dab wir angesichts des Umstandes, da[3 bei dem Kranken auch eine - - unseres Erachtens mit der amnestisch-aphasischen Komponente in n~ichster Beziehung stehende - - St6rung im Bereiche der (Faxben-)Begriffe anzunehmen wax, allen Grund haben, der angenommenen L~sion im Occipitalgebiete nicht die v o l l e Schuld an der Faxbenauffassungsst6rung zuzuschreiben und demgem~ig auch hinsichtlich der Absch~tzung der I n t e n s i t i i t dieser L~ision vorsichtig zu sein. Unseres Erachtens reicht eine leichte Sch~digung des Gebietes der die Farbenauffassung vorbereitenden Engramme zur Erkl~rung der FaxbetmuffassungsstSrung in diesem Falle vollauf aus,

Alles in allem genommen, kommen wir also zu dem Sehlusse, dag uns die a m n e s t i s e h e A p h a s i e i m V e r e i n e m i t e i n e r l e i e h t e n S t 6 r u u g i m G e b i e t e des l i n k e n , , F a r b e n f e l d e s " das Symptomenbild, welches L e w a n d o w s k y als Abspaltung des Faxbensinnes gedeutet hat, roll zu erkliiren vermag, (lab sich uns also kein AnlaB, geschweige denn zwingender. Grund, ergibt, (tie Erklarung des Symptomenbildes durch eine .,Abspaltung der Vorstellung der Farbe yon der Vorstelhmg der Form, der Gestalt der Gegensti~nde", wie sie L e w a n d o w s k y far den Fall gibt, zu akzeptieren. Damit ist abet aueh gesagt, da[3 wir n ic h t z u ge b e n k 6 n n e n, da$ der besproehene Fall L e w a n d o w s k y s die L o k a l i s i e r b a r k e i t de r V o r s t e l l u n g e n beweise. - -

Es wiirde den Rahmen dieser Studie welt iiberschreiten, abgesehen

1) Es soll an dieser Stelle gesagt werden, dal3 dieser Gesichtspunkt, dem ja a llg e m ei n e Geltung fiir die Wahnlchmungsvorg/inge zukommt, auf dem Gebiet.(, der Lokalisationslehr(, nut zu oft g/inzlich vernachl~ssigt worden ist. Die wenigsten Autoren haben sich darfiber Klarheit zu verschaffen gesucht, wieviel b egri ffli c h e Arbeit (begriffliche Formung und Deutung) auBer dem rcinen Gewahrwerden des Eindruckes, dqs ihre Beachtung ausschlieBlich in Anspruch nimmt, auch im an- scheinend einfachsten Wahrnehmungsakt steckt, inwieweit (hher auch das Er- gebnis dicses Aktes durch St6rungen in der begrifflichen Sph/irc alteriert, gesch/i- digt, veriindert werden kann. Wo es sich, wie beim ,.UnterscheidungsvermSgen'" um Akte handelt, die mit der begrifflichen Sph/ire noch nichts Wesentliches zu tun haben, kann diese AuBcrachtlassung allerdings noch hingenommen werden: woes sich aber geradezu mn die begriff l iche Erfassung des Wahrgenommenen handelt, kann sic die lh'sache sehwerer [rrtiimer yon weittragender Bedeu'tung fiir die Lokalisationslehre werden.

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238 .l. Borzo :

davon, dal3 eiue ersch6pfende Behandlung des Gegenstandes bei der Ftille des in der Literatur fiber ihn bereit.s niedergelegten Stoffes ein Ding der Unm6gliehkeit ist, wollten wir ghnlieh, wie w i r e s fiir den eben besproehenen Fall versucht haben, auch nut die wiehtigeren Be- obaehtungen, aus denen Argumente fiir die Loka.lisierbarkeit der Vor- stellungen abgeleitet worden sind, einer eingehenden Besprechung unter- ziehen. Dagegen ist es mOglieh, auf eine Reihe von allgemeinen Ge- sichtspunkteu hinzuweisen, deren Bertieksiehtigung den Grogteil jener Beobachtungen in einem anderen Liehte erscheinen liigt.

Der wiehtigste you diesen Oesichtspunkten ist namenttich yon v. M o n a k o w h.erausgestellt worden: Man muB gemm unterscheiden zwisehen den V o r s t e l l u n g e n s e l b s t und der A k t i v i e r u n g ( E k - p h o r i e ) de r V o r s t e l l u n g e n bzw. den Vorgiingen, dureh welche die Vorstellungen aktiviert, (zur Ekphorie gebracht) werden. Der zur Aktivierung einer best immten Vorstellung fiihrende gorgang ist nieht immer der gleiche, sondern versehieden je nach der Art des A n s t o B e s zur Aktivierung; und zwar ist vor allem zu unterscheiden zwischen dem ,,5ugeren'" und dem , inneren" Anstol3, d. h. zwischen der Weekung der Vorstelhmg v o n d e r Peripherie her. also dureh dml Sinneneindruek (z. B. des Wortes w)m ,.Khmgbild" oder yore ,Sehriftbild" usw. her) und der Weekung w m d e r psychischen Seite her, dureh die ,,Apper- zeption"~). - - Dal.~ nun von eincr ,,Lokalisation optischer, taktiler. akustiseher und anderer Vorstelhmgen2), resp. yon Erimlerungsbildern yon solehen, die in diesen und jeneu Wiudungen deponiert seien", ge- sprocheu wird, ist nach v. M o n a k o w durehaus verfehlt, zumal (S. 73) ,,doeh schon eine einfaehe Uberlegung ]ehrt, daf~ p s y e h i s c h e Ge- sehehnisse, sellast auf der niedrigsten ontogenetisehen Stufe, aus sehr mamligfaehen, e h r o n o g e n e n o r m v e r s e h i e d e n a r t i g e n Faktoren bestehen, aus Faktoren, deren anatomisehe Repriisentanten wohl kaum anders als in der ga n zen Rindenoberfliiehe und in diffuser, wenn aueh selbstversthndlieh nieht in gleiehmSgig diffuser Weise zerstreut ge- daeht werden (sie sind das Produkt einer fiber die ganze Hemisphitre ausgespannten weehselwirkenden TStigkeit)", abgesehen davon, dal.~ zu jeder Vorstellung aueh das vorstellende Ieb geh6rta), oder, wie sieh v. M o n a ko w ausdrfiekt (S. 314), .,ira ,komplet.ten Groghirneiudruek"

1) v. M onakow verwendet den Ausdruek Apperzeption ,,ira 8inne Stein- tha ls" (1. c. S. 577). ,,Die Apperzeptionen stellen S tufen in der assozia t iven Vet a rbe i tung von kombin ie r t en Sinneseindr i ieken dar und sind eharak- tm'isiert dutch weitere Ableitungen aus solehml (Objekte, Zustii.nde, Beziehungen t lSW.) . ~

2) Mit Recht betont i~brigens v. M o n a k o w auch (S. 72): ,,Ausdriieke wie ,op- tische Vorste]lungen' u. dgl. sind, da wir keine Vorslellungen kennen, deren In- halt nu t ~us Liehtreize.n zusammengesetzt ist, anl besten zu vermeiden."

a) l~ine Vor~t~.lhmg oImo ein lch. das si(, hat. ist ein Nonsens.

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Zur Fraffe der Lokalisati,m (ler V()rstelhmge.. 239

jeder Reiz noch das geis t ige Band der P e r s S n l i c h k e i t erhMt", was selbstverstgndlich nicht durch die Wiederbe|ebung eines in einem der inself6rmigen Zentren ,,deponierten" Erinnerungsbildes, sondern nut dutch die Funktion der Gesamtrinde, soweit sie eben der Sitz der psychischen Funktion is*t, geschehen kann. Was dagegen tats~i.ch- lich l o k a l i s i e r b a r ist , das sind die der A k t i v i e r u n g b e s t i m m t e r V o r s t e l l u n g e n yon bestimmten Richtungen her dienenden Vor- g~nge. Vor alleln gilt dies ganz zweifellos fiir die Aktivierung vonder Peripherie her; lokalisierbar sind ja zun~ichst die Sinnessphgren (hn- pressionsfelder), welche die ,,wesentlichsten corticalen Eintrittspforten ffir die nerv6sen Reize aus den primiireu Siuneszentren" darstellen, (relatjv) lokalisierbar sind dann auch noch die der ersten Verarbeitung bzw. Vorbereitung ffir die bewu/3te Erfassung dienenden Vorg~nge (Engrammfelde~c), oder, ,wie sich v. Mona ko w ausdrfickt, die ,,I n ner- va t i onswege , welche der u n m i t t e l b a r e n E r w e c k u n g resp. dem M a n i f e s t w e r d e n " der ,,Erinnerungsbilder" d i e n e n . - Daher handelt es sich im einzelnen bei den Folgen einer Herderkrankung nicht um ein ,,vollsti~ndiges Erl6schen" yon Vorstelhmgen oder um eine voll- st~ndige Ausschaltung der betreffenden (z. B. optischen, akustischen) Komponente aus Vorstellungen (nicht um eine durch den Herd hervor- gebrachte ,,Spaltung des ,Erkennens' nach SinnesqualitSten"), sondern um die Schwierigkeit, bzw. Unm6glichkeit, die Vorste]lung von einer bestimmten Seite her zu erwecken, aus der Erinnerung zu sch6pfen (nicht also um eine Ged~ichtnisst6rung im ,,alltagspsychologischen" Sinne, sor~dern um eine Erinnerungsst6rung). So betont v. M o n a k o w, da~ ,,bisweilen noch, selbst nach Zerst6rung be ider Sehsph[tren,... dem Patienten nicht nur die sog. optischen Vorstellungen erhalten bleiben k6nnen (freilich abgeblaBt; die Vorstelhmg fiir die Farben scheint zu schwinden), sondern . . . gelegentlich auch noch Gesichtshalluzinationen m6glich sind (eigene Beobachtung). Was dem komplett ]~indenblinden indessen total und dauernd verlorengeht, das i s t . . , die M6glich- ke i t des E r w e c k e n s der v e r s c h i e d e n e n S t u f e n des Sehens d u r c h die t~e t inare ize" (S. 437). Und ebenso ffihrt v. Monakow im Kapitel fiber die St6rung der ,,inneren" Sprache aus: ,,Tats:,ichlich ist, wie ich reich durch wiederholtes Ausfragen von Aphasierekonvales- zenten (namentlich der sensorischen Aphasie) fiberzeugt babe, bei dem Aphasischen: mit StSrung der inneren Sprache, der Besitz und der Gebrauch der Wortbilder und Siitze keineswegs ausgefallen . . . . sondern sie k6nnen den Besitz nicht mehr aktivieren, und zwar meistens nur yon ganz bestimmten Richtungen nicht (vom Klangbild oder yore Sehriftbild, yon der Apperzeption usw.)" (S. 617).

Die Ve rwechs lung der Ver l egung eines A k t i v i e r u n g s - weges, bzw. der Ausschaltung der Funktion eines bestimmten Akti-

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2'~0 J. Berze :

viertmgsvorg:,tngen dienenden (Engramm-)Feldes a ls Folge einer Herd- erkrankung der l~inde mit dem Ver lus te der V o r s t e l l u n g e n se lbs t is t , wie bereits eingangs erw:,thnt wurde, die wesentlichste Ur- sache des Irrtu01s, der mit der Annahme der Loka.lisation der Vor- stellungen begangen worden ist und immer noch wieder begangen wird. Wie leicht zu verstehen ist, lag vielen Autoren diese Verwechshmg besonders dann nahe, wenn es sich um die Verlegung eines H a u p t - weges ftir die Aktivierung bzw. um Schadigung des Engrammfeldes, welches bei der Aktivierung der betreffenden Vorstellungen die Ha u pt- rolle spielt, handelte, also um die Verlegung des Weges yon dem be- treffenden Sinnesfelde her.

In der Tat diirfte ja ttueh die Verlegung des Hauptweges der Akti- vierung von der Peripherie her, besonders wenn sie noeh durch die Ungangbarkeit eines oder des anderen Nebenweges (z. B. der ,,Sprach- vorstellungen" von den ,,Schriftbildern'" her) kompliziert ist, einen Zu- stand schaffen, welcher dem Zustande, wie er einem Verluste oder doch weitgehenden Seh~tdigungen der Vorstellung selbst entspr~iche, recht nahekommt. Dies um so mehr, als - - ein Gesiehtspunkt, der, soviel ich sehe, von den Autoren bisher kaum beachtet worden ist - - die Verlegung des Hauptweges der Vorstelhmgsaktivierung mit der Zeit auch eine Beeintrgchtigung der Soliditat der Erinneruugsbilder und damit der Vividitgt der auf ihrer Wiederbelebung beruhenden Vor- stellungen, auf welchem Wege immer sie erfolgen mag, mit sich bringen muB. Wie ja schliel~lich alles, was in unserer Vorstellungswelt ist - - a u c h das inhaltlich bloB scheinbar Neue, das durch assoziative oder apperzeptive Kombination entsteht - - aus der Sinnestgtigkeit stammt (nihil in intellectu, quod non prhls fuerit in sensu), so ist zweifellos auch die E rha l t ung der Erinnerungsbilder in einem leicht ekphorierbaren Zustande und in einer zur Bildung wirklichkeitstreuer und lebhafter Vorstellungen zureichenden Verfassung das Ergebnis ihrer, man kSnnte sagen, Auffrischung durch neuerliche Erregung vonder Peripherie her (als Wahrnehmungsvorstellung). Die Unterbindung dieses Erregungs- weges mul~ Mso nach einer absehbaren Zeit zumindest zu einem mehr oder weniger weitgehenden Abblassen der Vorstellungen fiihren, einem Abblassen, das nur dadurch gehindert werden kann, Mlm~ihlich zu einem v611igen Vergessen im Sinne eines veritablen Vorstellungs- verlustes fortzusehreiten, dal~ die, unter Mlen Umstgnden weir seltenere und unvollstgndigere Al~tivierung von anderen Sinnessph~ren her auf assoziativem Wege und besonders von der Denksphgre her (,,durch die Apperzeption") immerhin noch vonst~tten gehen kann. JedenfMls wird man den nur mehr auf solche Art zur Ekphorie gebraehten Vor- stellungen immer einen sozusagen blol~ schemenhaften Charakter und eine Zusammensetzung, in welcher Begriffliches immer mehr die Ober-

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Zur Frage der Loka]isation der Vorstellungen. 241

hand fiber das eigentlich Vorstellungsm/iBige crh~lt, zuzuschreiben haben.

Auf diese Weise kann also der Eindruck eines Verlustes der Vor- stellungen, we es sich bloB um die Aufhebung der F/~higkeit der Akti- vierung auf einem oder mehreren wichtigen Wegen handelt, hervor- gerufen werden. Zur Erkl~rung aber daffir, daB, wie aus ma.nchen An- gaben der Patienten hervorgeht, die Vorstellungen doch ,,nicht ganz" verlorengegangen sind (richtig: auf dem einen oder dem anderen Wege doeh noeh aktiviert werden kSnnen), ist man aber mit der These stets bereit, durch die Herderkrankung sei das betreffende ,,Vorstellungs- zentrum" (,,Erinnerungsfeld") im speziellen Falle nicht ganz vernichtet worden und der noch vorhandene funktionsf/~hige, wenn auch nicht voll funktionstfichtige Rest genfige eben zum Zustandekommen der noch konstatierbaren Vorstellungen. Daran, dalt ein solcher Rest sich so allgemein und aueh dann oft linden sell, wenn die L~sion, wie die ana- tomische Untersuchung erweist, das ganze Gebiet, das man sonst als das betreffende Vorstellungszentrum anzusprechen geneigt ist, ein- gonommen oder seine Grenzen sogar um ein Erkleckliches iiberschritten hat, pflegt man bei dieser Argumentierung merkwfirdigerweise keinen Anstand zu nehmen.

Abet noeh ein weiterer Gesichtspunkt kommt offenbar in Be- tracht, ein Gesichtspunkt, in dessen weiterer Verfolgung es sich - - nebenbei bemerkt - - vielleicht zeigen wird, daB, so unfiberbrfiek- bar einerseits auch die Kluft zwischen der Annahme der Lokalisier- barkeit und der der Nichtlokalisierbarkeit der Vorstellungen ist, doeh andererseits die Grundlagen, von denen ausgehend die einen zu jener, die anderen zu dieser Ansicht kommen, nieht so prin- zipiell gegens~tzlieh sind, dab nicht sozusagen ein Vermittlungsweg offenbliebe.

DaB die Wa hr n e h m u n ge n lokalisierbar seien (in den sog. Wahr- nehmungszentren oder Wahrnehmungsfeldern) wird von vielen ffir sicher gehalten. Da nun aber andererseits die Ansicht sehr verbreitet ist, dab wir in der Vorstellung nichts anderes zu sehen haben als eine Reproduktion einer Wahrnehmung, dr~ngte sich vielen die Annahme, dab die Vorstellung geradeso lokalisierbar sein mfisse wie die Wahr- nehmung, geradezu auf. Aber auch die Autoren, welchen das Ver- h~ltnis zwisehen Vorstellung und Wahrnehmung in einem anderen Lichte erscheint, haben sich dadureh nur zu der Annahme veranlaBt gesehen, dab wir, wie z .B . L e w a n d o w s k y (Handbueh I, S. 1246) sagt, ffir die Vorstellungen ,,ein besonderes Substrat anzunehmen haben, das mit dem der einfachen Projektion der Motilit~t bzw. der Sensibflitat nicht fibereinstimmt", keineswegs aber zur Annahme, dab die Vor- steUungen nicht lokalisierbar seien.

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242 J. Berz~ :

Wie steht es aber nun zun~ichst um die angeblich so sicherstehendc Lokalisierbarkeit der Wahrnehmunge1~!

Die Beantwortung (lieser Frage hat eine entsprechende Orientierung i'tber das Wesen des Bewul~tseinserlebnisses, welches wit Wahrnehmung nennen, zur Voraussetzung, eine Orieutierung, die aber keineswegs alle Seiten des Problems zu umfassen braucht - - wir haben daher auch keinen Anlaf~, auf alle die Ansichten, welche namentlich in der letztGn Zeit wieder fiber die Wahrnehmung vom psycho]ogischen und veto erkenntnistheoretischen St, andpunkte aus vorgebracht worden sind, hier einzugehen - - , sondern sich blo[~ auf den Punkt zu erstrecken hat. welcher in Hinblick speziell auf die Lokalisationsfrage yon besonderem Belang ist. Dieser l?uukt betrifft den Vorgaug, bzw. die Vorg'~tnge, in der l~iude, deren Ergebnis die Wahrnehmung (a.ls psychisches Korrelat) ist.

Trotzdem von einem Teile der Psychologen immer wieder betont wird, da[3 in den Wahrnehmungeu ,Empfin(lungselemente" nicht nach- weisbar seien, bzw. dab die Wahruehmung keineswegs eiufach als , ,Empfiudungskomplex" ~ufgefaf~t werden dtirfe, halteu doch die meisten Autoren auf dem Gebiete der Lokalisationslehre, wie aus ihrGn "~u~erungen hervorgeht, noch immer an Anschauungen fest, die, wie bereits erwiihnt, beili~ufig darauf hinauslaufen, daIt sich ,,die Wahr- nehmung" aus den Empfindungen dm'ch eine Art Zusammensetzung aufbaue, so wie etwa ein Haus aus Ziegeln und sonstigGm BaumateriMe aufgebaut ist.

Tatsachlich liegt die Sache wohl so : Wir erleben in der Wahruehmung z w e i e r l c i , wie Mlerdings dem Ph~tnomene selbst nicht umnittelbar anzusehen ist, da dieses Zweierlei als in eines verschmolzen im Bewu[~t: sein erscheint, wig vielmehr blol~ aus den Voraussetzungen und Be- dingungen des Zustandekommens�9 " der Wahrnehmungen und aus ihren Wirkungen im Bewui3tsein geschlossen werden kann. Eiuerseits wird uns n~imlich in der Wahrnehmung ein S in n e s e i n d r uc k. andererseits aber ein G e g e n s t a n d bewul~tl).

Der S i n n e s ei nd r u c k ist das Werk der yon den Dingen ausgehenden

1) Bcides, wig eben gesagt, in eines verschmolzen; Sinneseindruck ~+ Gegenstand ergibt so die Wahrnchnnmg. Ob im normale~l Wachzustande auch SinucsGindriicke isoliert (ohne GGgenstandsbewul3tsein) vorkommen k6nnGn, ist fraglich. Messer (Empfindm~g uud Denken, Leipzig 1908) meint, da~ GS ,,verein- zelt (iibrigens) doch vorkommt, da~ Empfindungen yon uns mit yeller Aufmcrk- samkeit erlebt werdcu und doch - - wenigstens eine Zeitlang - - keine gegenst:ind- liche Deutuug erfahren". DGm BeispiG1, das cr fiir diese Annahme aus eigener Er- fahrung (l. c.) anfiihrt, kann abet eine rechte Beweiskraft kaum zuerkannt werden, zumal cs Gin Erlebnis nach dcm ,,Auffahren aus dem Schlafe", also in einem Zu- stande betrifft, der unseres Eraehtens noeh nieht als der richtige Waehzustand an- gesehen werden kann.

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Zur Frage der Lokalisation der Vorstellungen. 243

und auf unseren zentralen Sinnesapparat einwirkenden Reize. Ihm haften daher aueh in seinen Teilen die gleiehen Unterschiede (der Qualit~t, Intensit~t, Extensit~tt usw.) an wie den Reizen selbst, zu deren Aufnahme und Differenzierung unsere Sinnesapparate f~hig Hind. Auf ihn pal3t daher auch die Auffassung als , ,Em pf i nd u ngs ko m p le x" (bewuftt gewordener, d. i . perzipierter, Impressionskomplex)l).

Der G e g e n s t a n d int das Ergebnis der Steliungnahme des Ieh (des Subjekts) gegeniiber dem perzipierten Sinneseindruck. Das Ich ent- faltet in dieser Stelhmgnahme T~tigkeit (geistige Ti~tigkeit, psyehisehe Aktivitiit). Diese Ti~tigkeit ist ihrer speziellen Form nach eine vor- stellende, ein Vorstellen (andere Formen der geistigen T~tigkeit sind z. B. das Begreifen, das Denken); und, was sie zuwege bringt, ist eine Vorstellung, - - eine Vorstellung, die wir, weil sic im Rahmen des ge- samten Vorganges der Wahrnehmung entstanden ist, mit Reeht als W a h r n e h m u n g s v o r s t e l l u n g bezeichnen.

Die Wahrnehmungsvorstellung e n t s p r i e h t dem perzipierten Sinnes- eindruck~) - - je besser sie ihm entsprieht, desto ,,genauer" ist s i e - - , abet sic hat sozusagen materiell n i c h t s mehr m i t i h m g e m e i n . Das Medium, in welchem sich die Wahrnehmungsvorstellung darstellt, ist ein anderes als das des Sinneseindruckes. Die Wahrnehmungsvor- stellung ist etwas Geistiges (die Vorstellung ist das Ergebnis einer geistigen T~tigkeit, geradeso wie es ein Gedanke, ein Begriff, eine Wollun.g usw. ist), w~hrend der Sinneseindruck eben Sitinliches ist. Wenn daher auch die Qualit~ts-, Intensit:~tts- und ~nderen U n t e r s c hi e d e der Impressi- onen, wie sic den betreffenden Impressionskomplexen eigen sind, in der Wahrnehmungsvorstellung sozusagen wiedergegeben sind, so ist doch yon den I m p r e s s i o n e n se l l )s t nichts in der Wahrnehmungs- vorstelhmg.

Dagegen bildet der 1)erzipierte impressionskomplex, der , , E m p - f in d u rigs kom])lex", einen w e s e n t l i c h e n B e s t a n d t e i l d e r W a h r - u e h m u n g als G a n z e s genommen, d .h . , wie bereits erw~hnt, des BewuBtseinserlebnisses, das sich aus der Verschmelzung des perzipierten Sinneseindruckes mit del' Wahrnehmungsvorstellung zu einer Einheit ergibt.

In der Wahrnehmung wird also zweierlei erlebt, konstatiert, ,,er- kannt": 1. ein bestimmter G e g e n s t a n d , 2. sein w i r k l i c h e s Da-

1) Pr/izise gcfal.~t, ist er die unmittelbar(~ ps.vchische Reaktion ~ uf den lmpr( �9 .~ionskomplcx.

~) Im Falle der n or m a] e n Wahrnehmung. l~hr steht die [11 u si o u gegenilber~ welche in der ~'cisc zustande kommt, dab eine Wahrnehmungsvorstellung erregt wird, wclchc dem perzipierten Sinneseindrucke inhaltlich nieht oder doeh nicbt v-iil]ig entspricht. Gcradv die ]l|uslon zeigt uns so die Notwendigkeit der Auseinr anderha]tung yon (perzipiertem) Sinneseindnmk und Wahrnehmungsvorstellung~

Z. f. d. g. Neur. u. Psych. O. XLIV. 17

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244 ,1. Berze :

s e i n (,,Wirklichkeitscharakter", ,,Externalit~itsfaktor", , ,unmittelbare Beziehung auf die AuBenwelt" usw.). D e r G e g e n s t a n d i s t i n d e r W a h r n e h m u n g s v o r s t e l l u n g g e g e b e n , s e i n W i r k l i c h d a s e i n d u r c h d e n p e r z i p i e r t e n S i n n e s e i n d r u c k a n g e z e i g t .

Will man nun an die Frage der Lokalisation der W a h r n e h m u n g herantreten, so wird man sich diesen ihren z w e i f a c h e n U r s p r u n g vor Augen halten miissen, d .h . man wird zwischen den Vorg~ngen, aus welchen sich der Sinneseindruck ergibt, und denen, aus welchen die Wahrnehmungsvorstellung hervorgeht, strenge zu unterscheiden haben. W~thrend der S i n n e s e i n d r u c k und seine n~ichste Verar- beitung l o k a l i s i e r b a r sind, und zwar ersterer absolut (Impressions- felder), letztere relativ (Engrammfelder), k a n n y o n e i n e r L o k a l i ~ s a t i o n d e r W a h r n e h m u n g s v o r s t e l l u n g k e i n e R e d e sein .

Nun i s t aber - - was gewbhnlich iibersehen wird - - d ie r e i n e V o r s t e l l u n g k e i n e s w e g s e i n e r e p r o d u z i e r t e W a h r n e h m u n g , s o n d e r n blol3 e i n e r e p r o d u z i e r t e W a h r n e h m u n g s v o r s t e l - lu ngl), oder mit anderen Worten: eine Reproduktion dessen, was nach Abzug des Sinneseindruckes yon der Wahrnehmung fibrigbleibt2). Da die Vorstellung somit mit der lokalisierbaren Komponente der Wahr- nehmung nichts zu tun hat und nur mit ihrer n i c h t lokalisierbaren Komponente, der Wahrnehmungsvorstellung, in eine Linie gestellt werden daft, muB gesagt werden, dab dem Schlusse aus der angeblichen Lokalisierbarkeit der Wahrnehmung auf die Lokalisierbarkeit der Vor- stellung jede Berechtigung abzusprechen ist.

Nun kann man aber einwenden: Zugegeben, dab die Vorstellung der Rolle nach, die sie gew6hnlich im psychischen Leben spielt, bloB als Reproduktion der W a h r n e h m u n g s v o r s t e l l u n g anzusehen ist nnd dab auch der Vorgang, welcher zur Verdeutlichung einer Vorstellung

1) Bei Beriicksichtigung dieses Verhiiltnisses gewinnt man auch Icicht Orien- tierung in der, yon Psychiatern namentlich in der ,,Theorie der Halluzinationen" immer wieder aufgeworfenen und mit mehr oder weniger Geschick und Verst~ndnis behandelten Frage, ob zwischen Wahrnchmung und V~)rstellung ein blofl quanti- tativer Unterschied und daher ein ,,~bergang" yon der einen zur anderen anzu- nehmen oder ob der Unterschied zwischen beiden Ph~nomenen als ein ,,iibergahgs- los qualitativer" anzusehen sei. Ersteres w~re nur dann mSglich, wenn die Wahr- nehmung nur in der Wahrnehmungsvorstellung bestiinde; da in der Wahrnehmung abet aul3er dieser noch der Sinneseindruck ist, welcher in der Vorstellung fehlt, kann yon einem Obergang zwischen der Wahrnehmung als Ganzes und der Vor- stellung nicht die Rede sein.

~) Diese Fassung wurde absichtlich gew~hlt, um anzudeuten, dal3 wir geradezu aus der Erscheinungsform der Vorstellung auf den Inhalt der Wahrnehmungsvor- stellung schlieflen kSnnen ~ was deswegen yon grofler Wichtlgkeit ist, weft uns elne auch noc.h so genaue Betrachtung der Wahrnehmung selbst zu keinem Resul: tare in dleser Hinsicht fiihren kann, da im Ph~nomen Wahrnehmung der Sinnes- eindruck mit der Wahrnehmungsvorstellung, wie oben erw~hnt, in eines ver- nchmolzen im BewufJtsein erscheint.

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Zur Frao'e der Lokalisation der Vorstellungen. 245

- - fiber das Mar3 der Deutliehkeit der Vorstellung im ,,assoziativen Getriebe" hinaus - - ffihrt, ffir gewShnlich in niehts anderem besteht, als in der , ,Konzentration" auf die nieht lokalisierbare Vorstellung, so ist doch andererseits die Annahme zumindest nicht v o n d e r Hand zu weisen, daB, wenigstens unter bestimmten Umsti~nden, aueh jene l o k a l i s i e r b a r e n Vorgiinge, die bei der Wahrnehmung dell S i n n e s - e i n d r u c k ergeben, beim Vorstellen irgendwie zur Geltung kommen.

Damit ist eine Frage berfihrt, an die nur mit der grSi3ten Vorsieht und mit aller Reserve herangetreten werden darf.

In der Lehre v o n d e r Entstehung der H a l l u z i n a t i o n e n - - rich- tiger: g e w i s s e r Halluzinationen bzw. der Halluzinationen im Rahmen g e wi s s e r Geisteskrankheiten; denn bei der groi3en und oft prinzipiellen Verschiedenheit der Gehirnveriinderungen, auf Grund deren Hallu- zinationen entstehen kSnnen, und bei der groi3en Verschiedenheit der Erscheinungsform und der Bedeutung der bei den verschiedenen Geistes- krankheiten auftretenden Halluzinationen bzw. der als Halluzinationen, zuweilen wohl nicht einmal mit Recht, aufgefal3ten Phi~nomene, kann von vornherein nicht an eine durchg~ngig gleiehe, einheitliche Ent- stehung derselben gedacht, mul3 viehnehr auch auf Verschiedenheiten, und zwar oft sogar fundamentale Verschiedenheiten, der Genese der Halluzinationen geschlossen und Fall ffir Fall die Theorie der besonderen Natur der speziellen Form der Geisteskrankheit. angepa~t werden - - in der Lehre von de r Entstehung der Halluzinationen spielt immer wieder ein in verschiedenen Fassungen auftauchender Begriff eine bedeutende Rolle, der von K a h l b a u m als R e p e r z e p t i o n bezeichnet worden ist. Wi~hrend beim Wahrnehmungsvorgange zuerst das Sinneszentrum und dann erst die Vorstellungssphi~re erregt werde, sollen Halluzinationen in der Weise-entstehen, dal3 durch eine ,,rfickl:~tufige Welle" vom ,,Be- griffszentrum" aus das Sinneszentrum 1) in entsprechende Erregung versetzt werde. Durch diesen Vorgang werde aus der v o r g e s t e l l t e n Sinnlichkeit e m p f u n d e n e Sinnlichkeit.

Es ist gegen das Prinzip der Reperzeption von einer ganzen Reihe von Autoren zu Felde gezogen worden; aber es wird wohl niemand behaupten kSnnen, daf~ yon ihnen auch nur ein einziges Argument vorgebraeht worden sei, das ihre ablehnende Haltung zu rechtfertigen oder gar die Nichtdiskutierbarkeit dieses Prinzips zu erweisen ge- eignet wgre. Und es ist sehr interessant und bezeiehnend, dab ein Autor, der von der Reperzeption absolut nichts wissen will - - wir meinelr RfilfZ), der u .a . erkli~rt, er glaube, mit diesem Begriffe ,,nichts an-

1) Nach Wernicke handelt es sich um riickl/iufige Erregung des ,,Organ- empfindungszentrums" vom ,,Erinncrungszentrum" her.

2) j. Rtilf, Das Halluzinationsproblem. Zeitschr. L d. ges. Neut. u. Psych. ~4. 1914.

17"

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246 J. Berzo :

fangen zu k6nnen, da ~vir mit ihm alles erkliiren kOnnen'" -- , das steto ,,Mithalluzinieren der Sinue". das naeh der Or ies ingersehen An- sehauung sehon unter normalen Umst.anden begleitek auf ,,ein mehr oder minder starkes Erregtwerden gewisser R indenstellen bei dem im iibrigen auf die gesamte Hirnrinde sieh erstreekenden Erregungsvor- gange" zuriiekfiihrt. DaB der in Redo stehende Vorgang -Reperzeption genannt worden ist. hat seinen (:h'und nur darin, dab die betreffenden Autoren die Erregung des Sinneszentrmns (oder naeh R tilf: der sinn- lichen Vorstellungsresiduen) als gegeniiher der Erregung in der Vor- stellungsph~ire (resp. im .,Begriffszentrum") sekundfir nnd daher etwa dutch eine ,,rfteklihffig" yon diesem zu jenem gehende Erregungswelle hervorgebraeht sieh denken zu m0ssen geglaubt haben. Und im Orunde genommen l~tnft tmeh I / a l f s Ansieht auf dasselbe hinaus; denn es ist doeh wirklieh ganz gleieh und eigent.lieh nur ein Wortstreit, wenn an Stelle der Version, dall das Sinneszentrum yon der Vorst.elhmg, d .h . yon tier ,.gesamten Hirnrinde". her erregt, werde, die Version gesetzt wird, dab bei Erregnng der ,,gesamten Hirnrinde" die ,,gewissen Rinden- stellen", in welehen die .,sinnliehen Vorstellungsresiduen" liegen, , ,mit- e r w e e k t " werden. Sekund~ i r erweekt oder miterweekt ist, also der ganze Untersehied. ein Unt.ersehied, dessen Geringfiigigkeit~ mit der sehroffen Dezidiertheit tier Ablehnung, welehe die R.eperzept~ion bei Rt i l f erf:,ihrt, in einem auffiilligen Kontrast. st.eht. Und noeh dazu k6nnte man sagen, dab jene .,Miterweekung" der ,,sinnliehen Vor- stellungsresiduen" selbst naeh P,.i'dfs e igener Darst.ellung ein Vorgang yon ausgesproehen sekundiirem (so. gegenaber der Erregung der ,,ge- sam'~en Hirnrinde") Charakter ist, sagt doeh R f d f u. a.: ,,Der eine ist imstande, mehr seine opfisehen, dot andere mehr seine akustisehen, motorisehen usw. Vorstellungsresiduen zu grSBerer Lebhaftigkeit~ an- zuregen." Wie sollte dieses .,Anregen zu gr6gerer Lebhaftigkeit" denn anders erfotgen, als dadureh, dab eine Erregung, die zuniiehst die ge- samt;e Hirnrinde bef.rifft, oine Erweekung tier ,,Vorstellungsresiduen" herbeifiihrt, also n a e h sieh zieht?

Worauf wit in diesem Zusammenhange Weft legen, ist blog der Hinweis darauf, dab wir Grund zur Annahme haben, dab in der Rinde die Bedingungen fiir die Herbeifiihrmlg einer Erregung in der jeweils in Betraeht kommenden Sinnessphiire - - analog der Erregung, welehe bei der Wahrnehmung den Sinneseindruek ergibt - - yon der nieht lokalisierten Vorstellung her, sei es dureh eine ,,riiekli~ufige Welle", sei es dureh ,,Miterweekung", gegeben seien, fiir eine Erregung, deren Ergebnis im nonnalen G eistesleben die B eleb ung, wie wir kurz sagen wollen, des vorgestellten Gegenstandes, d. h. die Ausstattung der Vor- stellung init einer mehr oder weniger intet~siven , , s i n n l i e h e n Be- t o n n n g " , wie gew6hnlieh gesagt wird, und mlt.er bestimmten pat, ho-

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Zur Frage der Lok~lisation der Vorstellungea. 247

logischen Verh:~iltnissen das H a l l u z i n i e r e n wSrel) . W o m i t gesagt

ist, d a ] wir d a m i t zu r e c h n e n h a b e n , da{~, w e n n a u c h die V o r s t e l l u n g e n

selbs t als d u r c h a u s u n l o k a l i s i e rb a r a n z u s e h e n sind, v ie l le icht doch

d e m Vorgange , welcher e b e n als B c l e b u n g der Vor s t e l l ungeh beze i chne t

worden ist, e in gegent iber der e r s ten E r w c c k u n g dcr Vor s t e l l ung sekun- (li~rer 1 o k a l i s i e r b a r e r R i n d e n v o r g a n g en t sp r i ch t .

1) Dem Halluziniercn liegt also in d i e s e n F i t l l e n , d.h. in den Fiillen, f i i r we lche d ie , , R e p e r z e p t i o n " i i b e r h a u p t i n B e t r a c h t k o m m t , ein Vorgang zugrunde, dcr mit einein auch im normalen Geisteslcbcn stattfindenden Vorgang, q u ~ l i t ~ t i v geradezu identisch ist. D~mit ist auch den Ehlw~nden begegnet, welche Ri i l f in dic Worte kleidet: ,,Dcr Umstand, dal3 bci Geisteskrankheiten das h~ufig als Halluzinatioa erscheint, was unter normalen Umst~inden sich in unsercr Phantasie vielleicht nur als einc lebhaft simflich betonte Wunsch- oder Abwehr- vorstellung kundgibt, kaml doch nun unmSglich auf cinmal den Leitungsvorgang im Gehirn prinzipiell umwandeln.'" Freilich nicht ; wird auch gar nicht behauptet ! Worauf es bei dieser , ~ t der Genese yon Halluzinationen ankommt, ist vielmehr nur ein rein q u a n t i t a t i v e r Untcrschied: (lie Wirk ung der ,,Reperzeption" kommt in sti~rkerem Mal]e zur Ge]tung, a ls dies uJltcr normalen Umst~nden der Fall ist, in so starkem Ma~e, dalt (lie bctreffcHde Vorstclhmg eben den Wahrnehmungs- charakter amfimmt, zur Halluzi~mtion wird. Die Steigerung der ,,l~eperzeption'" aber ist in (lea pathologisclwn V('riind~'rungen (h'r [r begriindet, auf denen die vorliegende (~eisteskra~lkheit beruht. Welcher Art diese Veriinderung~,n scin und wie sic diese Stcigcrung bedingeu mSgcn ? ZunSchst k:~tme eiue a~lg e m e i n e 0 b e r e r r c g b a r k e i t der Rinde in Betracht; sic kSnnte zur Folge haben, dai~ die Erregung im Sinnesgcbiete schon bei einer Vorstellungst~ttigkeit yon durchschnitt- licher Intensit~it das uorm'fle M ~ so weit iiberschreilet, dai~ halluziniert wird. Das gleiche kSnnte sich aus ebler auf die betreffende Sinnessph~re b e s e h ra n k t e n ()berregbarkeit ergeben; diescr Fail diirfte wohl hSchst setten vorkommen, seine MSg]ichkeit direkt yon der Hand zu weisen, wie es einzehm Autoren versuehen, ist aber unseres Erachtens gauz ungerechtfertigt. AuBer in einer ('Jbererregbarkeil kann das Halluzinieren aber zweifellos al~ch in a n d e r s ~ r t i g e n VerSt n d e r unge,~ der Rindent~tigkeit begriindet sein, in Veri~nderungen, auf dcren Vorhandensein wit freilich, zumal ca sich fit der Regel um solche funktionellcr Natur handeln wird, nur aus den Symptomen der betreffenden Geistesl~rankheit schlie[~en kSnnen. Unter diesen Ver~nderungen kommen wahrscheinlich z. B. diejenigen in Betracht, welche die Neigung zur ,,E i ne ng u ng d e s B ew u [~tsci ns (mit funktionierendem R e s t ) " - - d i e Bedeutung dieses pathologischen Faktors ftir dic Genese gewisser Halluzinationen ist yon mi r ber~'its 1897 (Berze , (~ber das Bewu[3tsein der Hallu- z inierenden. Jahrb. f. Psych.) erkannt und betont worden; Gold st ei n , dem ,,die Grundlage" meiner Theorie zuniichst, wie er in seiner im Archiv f. Psych. 44 er- schienenen Arbeit sagt, ,,sehr angreifbar" erschi(.n, hat sich sp~ter ( G o l d s t e i n , Die Italluzination, ihrc Entstehung usw., Wiesbaden 1912) ganz zu meiner Ansicht bekehrt - - zum psychischen Korrelat haben. - - Aber das Halluzinieren iafolge g e s t e i g e r t e r Reperzeption (bzw. Miterweckung der ,,simflichen Residuea") ist offenbar liberhaupt von ttaus seltenerer als das Halluzinieren auf Grund yon Ver- i i n d e r u n g e n d e r R i n d e n t ~ t t i g k e i t , we l che d ie U n t e r s c h e i d u ng z w i s c h e n Vor s t e l l u nge n u nd W a hr n eh m u nge n stSren, in dem Sinne, da~ Vorstelhmgen im BewuBtsein die Rolle yon Wahrnehmungen spielen, was namentlich fiir den Groflteil der als Dementia praeeox zusammcngefai~ten Fiille zutreffen diiffte (vgl. Berze , Die primi~re l'nsuffizienz der psychischen Aktivit~it. Leipzig und Wien 1914, udd auch Rii l f, Das Halluzinationsproblem, Zeitschr. f. d. ges. Neur. u. Psych. 1914).

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248 J. Be~e:

Es mag zunachst scheinen, als hatten wir mit dieser Konstatierung selbst ein Argument gegen die yon uns behauptete Nichtlokalisierbarkeit der Vorstelrungen zur Sprache gebracht; wenn Vorstellungen durch einen lokalisierten Vorgang ,,belebt" werden k6nnen, wie soll man dann noch, k6nnte man vielleicht fragen wollen, daran glauben, daft die Vorstellungen an sich n ich t lokalisierbar seien? Dabei wiirde man aber tibersehen, dab j ener lokalisierbare Vorgang noch kein p s y c hi s e h e r Vorgang ist (dab wir uns also auch seine Wirkung nicht etwa in der Weise vor sich gehend denken dtirfen, daBdie sekund~ir erregten ,,sinn- lichen Vorstellungsresiduen" einfach zu der bereits erweckten Vor- stellung hinzutreten), sondern ein a p s y c h i s c h e r (auBerbewuftter), rein somatischer Vorgang, der erst wieder durch seine Riickwirkung auf die ge samte H i r n r i n d e , insoweit sie Tr~igerin der psychischen Aktivit~t ist, seine psychische Wirkung entfalten kann, - - wie denn auch yon den Forschern, welche sich dell Begriff der geperzeption zu eigen gemacht haben, ganz allgemein tibersehen wird, daft die Reper- zeption, wie sie gewShnlich definiert wird, d.h. die Herbeiffihrung einer dem Vorstellungsinhalte entsprechenden Erregung in der be- treffenden Sinnessph~ire dutch Einwirkung auf diese Sph~ire yon der Vorstellungssph~ire (dem ,,Begriffszentrum") her, nur sozusagen die eine, die erste Phase des Vorganges, den man meint, darstellt, an die sich als zweite Phase eben erst die psychische Erfassung des ,,Reperzi- pierten", die (sekundiire) A p p e r z e p t i o n des durch die Erregung in der Sinnesph~tre eben erbrachten Sinnlichen, anschliel~en muB, wenn dieses im Psychischen zur Geltung kommen soll.

Wenn sich also aueh bei genauerer Betrachtung herausstellt, dab uns auch die Annahme einer Beteiligung der lokalisierten Sinnessphare, etwa im Sinne der Reperzeption oder im Sinne eines ihr im Erfotge gleichkommenden andersartigen Vorganges (,,Mit.erweckung"?), an dem psychisehen Vorgange nicht dazu ftihren kann, die Vor- s t ell u n g e n s e 1 b s t als lokalisiert anzusehen, so ergibt sich eben doch, wie bereits oben angedclltet worden ist, auf dem Wege der Dcutung der Belebung der Vorstellungen als Ergebnis jenes Vorganges in der betreffenden Sinnessphiire, resp. in den betreffenden Sinnessphi~rel~, anscheiuend eine gewisse Anni~herung an den Standpunkt der Autoren. welche die Lokalisierbarkeit der Vorstellungen vertreten - - und wir(I so jedenfalls wieder eines von den Momenten ersichtlieh, welche diesc Autoren zu ihrer Annahme verleitet haben m6gen --, besonders wenn man noch dazu annimmt, dab die in Frage kommende Erregung der Sinnessphgren das Vorstellen auch schon im gewShnlichen psychi- schen Leben, d. h. also auch dann, wenn nicht erst durch besondere Konzentration auf die Vorstellung ihrer Verdeutlichuug und Betebung zugestrebt wird, begleitet (etwa im Sinne eines ,.Mithalluzinierens

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Zur Frage der Lokalisation der Vorstellungen. 249

der Sinne"), d .h . also, wenn man annimmt, dal3 die Beteiligung der Sinnessph~iren an dem Vorstellungsvorgange geradezu zur Norm gehSre und einen integrierenden Bestandteil dieses Vorganges ausmache.

Letzteres trifft nun allerdings unseres Erachtens n i c h t zu, was freitieh erst dann klar wird, wenn man erw~gt, dall die ,,Belebung" der Vorstellungen, wie sie sieh aus der Reperzeption ergeben mull, nicht verwechselt werden darf mit der Verdeutlichung einer Vorstellung im Sinne einer intensiveren Auspr~gung ihrer sinnlichen Elementel), wie sie ja sehon dutch eine mSglichst intensive Wiederbelebung der Vorstellungsresiduen selbst erreicht wird. Was wir einstweilen als Be- lebung der Vorstellung dutch geperzeption bezeichnet haben, geh6rt nicht zum Wesen des Vorstellungsvorganges selbst; die Belebung ftigt vielmehr sozusagen ein Plus zur bereits fertigen Vorstellung hinzu.

Welcher Art ist nun dieses Plus? - - Aus der g e p e r z e p t i o n kann sich in qualitativer Hinsicht nichts anderes ergeben als aus der P e r - z e p t i o n . Das Ergebnis der Perzeption ist abet die wahrgenommene Sinnlichkeit; die Reperzeption mul3 demnach etwas q u a t i t a t i v d e r w a h r g e n o m m e n e n S i n n l i e h k e i t E n t s p r e c h e n d e s zum Er- gebnisse haben, also ein neues Moment zur Vorstellung hinzufiigen, das gleichsam eine Ann~iherung der vorgestellten Sinnlichkeit an die wahrgenommene bedeutet 2) und, falls die Reperzeptionswirkung die Perzeptionswirkuug quanti tat iv erreichte, der wahrgenommenen Sinn- tiehkeit geradezu gleichk~me.

Diesem letzteren Effekte steht offenbar im atlgemeinen zun~ichst schon der Umstand im Wege, dall die ~ui~eren Sinnesreize mhehtigere Erregungsfaktoren fiir die Sinnesfelder abgeben als die yon der Vor- stellungssphiire ausgehenden Reize yon selbst gr6llter (sc. innerhalb der physiologischen G r e n z e n ) I n t e n s i t ~ t a ) , - weiterhin vielteicht auch eine

1) Sr you sinnlichen Elementen, wofiir man auch dell Ausdruek a n s c h a u- l iche Elemente gebrauehen k6nnte, wird oft millbri~uchlich yon ,,Empfindungs- elementen in der Vorstellung" gesproehen (vgl. z. B. Jaspers , 1. c.). In tier re inen Vorstellung gibt es nur Vorstellungselemente (Elemente vorgestellter Sinnliehkeit), aber nicht ,,Empfindungs"-Etemente (Elemente wahrgenommener Sinnlichkeit). Und zwischen den Vorstellungs- und den ,Empfindungs"-Elementen besteht jener .,iibergangslose qualitative Unterschied", den Jaspers als ,,zwischen den Emp- findungselementen yon Wahrnehmung und Vorsteltung" bestehend annimmV.

2) Durch den Vorgang der ,,Belebung" wird also aus der (reinen) Vorstellung sozusagen ein Mittelding zwisehen Vorstel lung und Wahrnehmung. Aueh dieses Mittelding enth/ilt noeh keine votl ausgebildeten ,,Em pfi n d u ngsele- m ent e", abet immerhin schon Elemente, welehe Vorstufen der .,Era p fin d u ng s- etemente" darstellen.

3) In diesem Sinne bet.ont z. B. auch Riilf, dab ,,der physiologische Weft tier intracerebralen, sei es zentrifugalen oder zentripetalen Erregungen sieh nieht gut vergleiehen l~f~t mit dem physiologisehen Wert eines yon der Sinnesperipherie an das Gehirn herantretenden Ner venstromes".

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250 J. Berze :

in der Anlage der ,,Perzeptionszellen , wie gew6hnlich gesagt wird. der corticalen Sinneszellen, wic unscrer Meinung nach zu sagen w~re. oder (bzw. u nd) in der Anlage ihrer Verbindungen begl~indcte Differenz der Ansprechbarkeit dcr Sinnesfetder zugunsten der Ansprechung von der Peripherie her1). So bleibt unter n o r m a l e n VerhMtnissen trotz Reperzeption der Unterschied zwischeu vorgcstellter und wahrgenom- mener Sinnlichkeit doeh im Mlgemeinen so weir erhalten, d,~$ die Unt.er- scheidung zwischen Vorstellung und Wahrnehmung nieht in Frage ge- stellt wird; kS kommt, wie oben gesagt, blof~ zur Aml~herung an den Charakter der wahrgenommenen Simflichkeit - - nicht, zu seiner Er- reichung.

Naheliegend ist da nun die einwendende Frage: Ist denn die An- nahme einer solehen Anngherung tiberhaupt mSglich, we doch die wahrgenommene Sinnlichkeit, also die Sinnliehkeit, wit sit uns dureh den origiualen Sinnestindrutk bei der Wahrnehmung vermittelt wird. zugleich W i r k l i c h k e i t ist (ira Gegensatz zur Niehtwirklichkeit der ,,blog" vorgestellten Sinnlichkeit) ?

Es hat bereits eine Reihe von Autoren in ~hnlichtm Zusammen- hange mit Recht betont, dab et, was mlr entweder wirklieh stin kSmm oder nieht, dab dagegen tJberg~nge veto Wirkliehen zum Niehtwirklichen nicht m6glich seien, daf~ es etwas wie Grade der Wirkliehkeit, nicht geben k6nne. Manche glauben, dieser Feststellung aber auch die Fassung geben zu dtirfen, dab es keinen l~bergang zwisehen den psychisehen Phi~nomenen Vorstellung und Wahrnthmung geben kSnne; dagegen muB nun aber entschieden Verwahrung eingelegt werden; ~ alle Theorie kommt gegen die Tatsache night auf, dab wir unter gewissen besonderen Umst~ndtn die Unterseheidung, ob Vorstellung oder Wahrnehmung, nicht zu treffen verm6gen. Und wenu z .B. J a s p e r s erklgrt, t r sei ,,nicht imstande, eine I n t e n s i t : , i t s r e i h e vom leisen e m p f u n d e n e n Ton zum leisen v o r g e s t e l l t e n zu konstatieren", er finde ,,keine Reihc. sondern t in Entweder-Oder", so kann uns dies angesichts dieser Tat- sache nur besagen, dab J a s p e r s bei seiner Suche nach der fraglichen Reihe auf eine falsche Ft~hrte geraten ist bzw. sich davon, wie diese i~eihe aussehen miif~te, also davon, welcher Art das Moment ist, hin-

1) Einzelne Autoren (Parish, Jendrass ik u. a.) hMten die ,,riickl~iufige'" Er- 1~gung der Sinneszentren bekamltlich fiir ,,ganz unphysiologisch'" bzw. fiir leitungs. physiologisch unm6glich mad meinen, dal} die Perzeptionszellen iiberhaupt nur yon der :Peripherie her angesproehen werden kSnnen. Mit Recht sagt abel' Goldstei n, daB.,,man anatomisehen Bedenken (se. gegen die ,,rfickli~ufige" Erregung) beiunseren ungeniigenden Kenntnissen fiber diese Verh~ltnisse iiberhaupt nicht soviel Bedeu- tung beimessen sollte", und fiihl~ zugleieh aus: ,,Aueh ist es gar nieht gesagt, da[~ nur eine Bahn besteht; naeh der Griesingersehe~ Anschauung finder ja aueb normalerweise eine Erregung der Wahrnehmungszentren start, warum soll~ hier- fiir nieht eine zweite Leitungsbahn vorhanden sein ?'"

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Zur Frage der Lokalisation der Yorstellungen. 251

sichtlich dessen die diese l~eihen biklenden Stufen graduelle Differenzen aufweisen, keine richtige Vorst.ellung gemacht und daher die l~eihe gesueht hat., wo sie freilich nieht zu linden ist, namlieh in der Riehtung der Verlt~ngerung der Reihe yore lauten Kanonendonner bis zum kaum h6rbaren Laut naeh unten.

Psychologiseh feststellbar ist der Ubergang zwisehen Wahrnehmung und Vorstelhmg zun~chst yon der Seite der W a h r n e h m u n g her; es zeigt sich, dab z.B. der Wahrnehmungseharakter bei Gerauschen, deren Intensit~,t allm~hlich unter sin gewisses Maf~ herabgeht, yon einem gewissen Zeitpunkte an so wenig ausgesprochen ist, dat~ die Konstatierung, ob noeh wahrgenommen oder schon nur mehr vorgestellt wird, geradezu umn6glieh wird. Dies erkl~rt sich daraus, dal~ ftir dis Konstatierung des Wahrnehmungseharakters das Vorhandensein yon [mpressionen yon jeder beliebigen Intensit~it an sieh noch nieht geniigt. sondern, und zwar deswegen, well auch die P e r z e p t i o n der Im- pressionen dazu notwendig ist, ein gewisses Minimum an Intensit~tt und was wieder fiir andere F:,~lle yon wesentlichem Belang ist, aueh an l)auer der Impressionen dazu erforderlieh ist. Dieses Minimum ist selbstverst~ndlich nieht als ein k o n s t a n t e s MaB anzusehen; denn, abgesehen yon weitgehenden individuellen Differenzen, weehselt die Perzeptionsf~higkeit, die durchaus nicht verwechselt werden d~rf mit der Impressionsfiihigkeit, mit der jeweiligen BewuL~tseil~sverfassung des IndivMuums innerhMb betrSehthcher Grenzen.

Es gibt ,~ber z~ eifellos aueh einen ['bergang vonder Seite der V or- s t e l l u n g her. Bekannt ist folgendes Beispiel: In Erwartung eines Bahnzuges glauben wir nieht selten das Hera.nrollen ganz deutlieh zu hSren~ wenn der Zug - - nifolge einer Versp~itung, die uns zur Zeit noeh" nieht bekannt ist - - noch so weir entfernt ist, dab yon einem wirklichen HSren gar nieht die l~ede sein kann. In manchen Fallen mag es sieh dabei wohl um illusion~ire Umdeutung anderer Gert~usehe bzw. um l~'ehler der se ku nd~ren Identifizierung handeln; immerhin bleibt a~'er ein bemerKenswerter Rest von F:,illen iibrig, in denen eine T~tusehung vorliegt - - eine Thusehung, dis darauf zuriiekzuftihren ist,, da$ die V o r s t e l l u n g des Gerhusches des heranroUenden Zuges wider Gebiihr den W a h r n e h m u n g s c h a r a k t e r a n g e n o m m e n hat.

Man pflegt zur Erklarung dieses Vorkommnisses in der R.egel auf die L e b h a f t i g k e i t , welche die Vorstellung durch dig Konzentration der Aufmerksamkeit auf sit, dutch den begleitenden Affekt (so ist in dem oben angefiihrten Beispiel die Erwartung ein entsehieden affektiver Zustand, wenn auch der Affekt keineswegs ihr Um und Auf ausmacht) und et.wa noeh andere mitwirkende Faktoren erlangt hat. Und kS diirfte gegen diese Auffassung auch niehts einzuwenden sein, vorausge- setzt, dab unter Lebhaftigkeit das Richtige verstanden wird. Gew6hn-

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252 J. Berze :

lich ist letzteres aber nicht der Fall. Mit Recht ftihrt ja J a s p e r s (loc. cit.) aus: ,,Man spricht (ebenso) irreffihrend von L e b h a f t i g k e i t , wenn die Ausgeftihrtheit, Reichhaltigkeit und die Deutlichkeit der Vorstellungen gemeint ist." Die Lebhaftigkeit in diesem Sinne ist es nieht, welche einer Vorstellung den Wahrnehmungseharakter verleihen kann; denn es gibt, wie sehon mehrmals betont, Vorstel|ungen, die an ,Deutlichkeit, Klarheit, Detailliertheit, Reichhaltigkeit" unfibertrefflieh sind und eben doch nicht als Wahrnehmungen imponieren. Es muB v i e l m e h r u n t e r L e b h a f t i g k e i t e in M o m e n t an d e n be- t r e f f e n d e n V o r s t e l l u n g e n v e r s t a n d e n w e r d e n , w o d u r c h sie p h a n o m e n o l o g i s c h d e n m i t d e m W i r k l i c h k e i t s c h a r a k t e r a u s g e s t a t t e t e n (,,Leibhaftigkeit" zeigenden) W a h r n e h m u n g e n g e n a h e r t w e r d e n . Und es liegt wohl nichts nigher als, wie be- reits ausgeftihrt wurde, die Annahme, da[~ das H i n z u t r e t e n d ieses M o m e n t e s z u r V o r s t e l l u n g v o n g e w S h n l i c h e r E r s c h e i - n u n g s a r t a u f d e m W i r k s a m w e r d e n d e s s e l b e n F a k t o r s be- r u h t , w e l e h e r d e n W i r k l i c h k e i t s c h a r a k t e r d e r W a h r n e h - m u n g b e g r t i n d e t , d .h . a u f e i n e r e n t s p r e c h e n d e n E r r e g u n g i m S i n n e s f e l d e , einer Erregung, die eben auf dem Wege der R e p e r - z e p t i o n oder, wenn man will, auf dem Wege der M i t e r w e c k u n g herbeigeftihrt wird.

Die Reperzeption (Miterregung der Sinnessphi~re yon der Vor- stellungssphi~re her) hat offenbar unter normalen Umst~inden, d. h. bei normalen corticalen ErregungsverhMtnissen, reeht enge Grenzen. Nut ein ganz g e r i n g e s MaI3 von Sinneserregung, wiees leisen Ger~uschen. tichtschwachen Gesichtseindrticken usw. entspriehO), kann auf diesem Wege zustandekommen und dies auch nur dann, wenn eine b e s o n d e r s i n t e n si v e A n r e g u n g von der Vorstellungssph~re ausgeht ; eine Er- regung der Sinnessphi~ren in dem Mal3e, welches intensiveren Sinnes- eindrticken adiiquat ware, ist dagegen ganz ausgeschlossen. Nur ffir Vorstelhmgen yon entsprechend s. v. v. wenig ,,intensiven" Gegen- st~inden (ira weitesten Sinne) ist daher bei normalen Verh~]tnissen die U s u r p a t i o n des W i r k l i c h k e i t s e h a r a k t e r s auf dem Wege der Reperzeption mSglich ; Vorstellungen dagegen von Gegenst~nden, denen Sinneseindrticke von grS~erer Intensiti~t entsprechen, kSnnen auf dem Wege der l~eperzeption bei normalen Verh~iltnissen nur an jener Leb- haftigkeit gewinnen, welche, wie oben ausgeftihrt wurde, psychologisch

x) Vielleicht ist auch dies noch zuviel gesagt. Es kSnnte n~imlich sein, dab es sich nur um einen HSchstgrad von reperzeptiver Erregung handelt, der aber doch dem Grade der Erregung, wieer bei dec Perzeptiort gesetzt wird, immer noch bloB nahekommt und dab das vermeintliche Erleben einer Wahrnehmung in FhUen nach Art des erw~ihnten Beispieles immer noch sozusagen auf einer V e r w e c h sl u n g der lebhaften Vorstelluug mit einer Wahrnehmung beruht.

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Zur Frage der Lokalisation der Vorstellungen. 253

als V o r s t u f e de r L e i b h a f t i g k e i t zu betrachten ist, zu ihr grada- tim 1) hinfiberffihrt.

So betrachtet stellt sich die Bedeutung der Reperzeption erst im richtigen Lichte dar: sie ist nicht nur dazu da, um, wie yon einigen Gegnern ironisierend hingestellt worden ist, zur gelegentlichen Ver- wischung des Unterschiedes zwischen Vorstellung und Wahrnehmung und unter gewissen pathologischen Verhi~ltnissen zur Entstehung yon Halluzinationen zu fiihren, sondern diesem kleinen erkenntnispraktischen Nachteile, der noch dazu durch das korrigierende Urteil, je nach Marl der Urteilsfa.higkeit des Individuums, welter reduziert wird, steht der in seiner Bedeutung nicht genau zu tiberbliekende, aber jedenfalls durchaus nicht geringe G e w i n n gegentiber, welcher dem Geistesleben aus der Fhhigkeit der Hervorrufung lebhafter Vorstellungen erwiichst.

J a s p e r s ffihrt (loc. cit.) auch aus: ,,Manche Mensehen kSnnen sich viele Farben nieht vorstellen, sondern sehen in der Vorstellung alles grau, w is s e n aber doch in der Vorstellung auch yon diesen Farben und merken, daI~ ihre Vorstellung nicht den Farben entspricht. Zwischen den Extremen, dal~ sich jemand jede Farbe und Farbennuance vor- stellen kanrL und dem, dal] er blo[~ Schattierungen von Grau vorstellen kann, gibt es alle Ubergi~nge. Hier variiert bei verschiedenen Menschen die Vorstellungsf~,higkeit fiir Empf indungse lemente . Sie miissen sich damit begniigen, fiir Empfindungselemente, die sie nicht vorstel|en kSnnen, andere s t e l l v e r t r e t e n d eintreten zu ]assen. Nun besteht nattirlich eine Reihe zunehmender A n n ~ i h e r u n g an die der Wahr- nehmung entsprechend vorgestellte Empfindung. Es ist das nur ein Ausdruck der Tatsache, daI~ wir an sinnlichen Elementen w e n i g e r

1) Die Lebhaftigkeitsintensit~tsreihe, d.h. die Reihe, welche aus den ver- schiedenen Graden der Lebhaftigkcit, wie sie yon der Vorstellung zu Wahrneh- mungen ftihren, zusammengesetzt gedacht wird, hat selbstverst~indlieh mit den ,,Reihen der Empfindungs-Intensit~iten" (Jaspers, 1. e. So ,,ordnen sieh" die akustischen Eindrticke ,,in Reihen vom kaum hSrbaren Laut bis zum Kanonen- donner" die optischen in solche ,,vom eben merklichen Schein bis zum blendenden Sonnenlicht") nichts zu tun. ,,Man kann", wie Jaspers sagt, ,,eine Empfindung, z.B. einen Lichtschein, immer welter an Helligkeit abnehmen lassen, er geht nieh t schliel~|ich in dic Vorstellung fiber... Die (jetzt gemeinte) Intensit~tsreihe geht nicht in die Vorstellung tiber, wird vielmehr selber vorgestellt. Wir stellen uns den leisen Ton leise und den lauten Kanonendonner laut vor". - - Wollte man das Verh~ltnis des Systems der Lebhaftigkeitsreihen zu einer Empfindungs-Intensit~ts- reihe graphisch darstellen, so hi~tte man auf die Gerade, welche die letzte Reihe darstellt, so viele Senkrechte (yon einer beliebigen Seite her) zu errichten, als man [ntensit~itsgrade aus der Empfindungs-Intensit~itsreihe herausheben will, und der liicken]osen Empfindungs-Intensit~itsreihe entspr~iche eine Fl~che, die in jener Geraden ihre Begrenzung nach der einen Seite finder. Denn jedem einzehmn Empfindungs-Intensitiitsgrad, z. B. aus der Reihe vom kaum hSrbaren Laut his zum Kanonendonner, entsprieht eine ganze eigene Lebhaftigkeits-Intensit~itsrcihe, yon der reinen Vorstellung his zur Wahrnehmung.

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254 .I. Berze :

vorstellend als wahrnchmend erlcben kSnnen. Manche Sinne, wie der Geruchssinn, fallen in der Vorstellung ffir die Menschen fiberhaupt ganz aus." Was den Gedanken. dell J a s p e r s da ausspricht, betrifft, stimmen wir ihm im ganzen zu ; doeh glauben wir, ihm in einem wichtigen Punkte eine andere Fassuug geben zu mtissen: Unseres Erachtens sehen die Menschen, die ,,sich viele Farben nicht vorstellen kSnnen" - - nach unserer Meinung handelt es sich tibrigens d~ zumeist um a l l e F a r b e n - - nicht ,,in der Vorstellung allen g r a u " , sondern tiberhaupt farblos, wenn unter Farbe soviel wie Farben e m p f i nd u n g verstanden wird. Wenn sie angeben, alles g r a u zu sehen, so liegt dies nur daran, daI~ uns ein Ausdruck eigens ftir jenes Etwas. das in der VorsteUung ,,stellver- ti 'etend" fiir die Farben eintritt und ,,dan Wissen yon den Farben in der Vorstellung" begriindet, lficht zu G'ebote steht und es bei dem Um- stande, dal~ es sich eben uln ein (lie Farben Vertretendes handelt. naheliegt, zur Bezeichnung dieses Etwas zu einem Farbennamen zu greifen und zwar bezeichnenderweise zu Grau als dem Namen der indifferentesten Farbe. Das ,,Grau", in welchem die Vorstellungen erscheinen, ist ebensowenig dem ,,wahrgenommenen" Grau ,,adi~quat" (urn J a s p e r s Ausdriicke zu gebrauchen), wie etwa das ,.Grau" irgendeiner wirklichell Farbe ad~quat ist, das man meint, wenn man erkl~rt, grau sei jede Theorie. Man kSmlte sagen, ,,grau'" sei in jenem Zusammenhange eine Bezcichmmg fiir etwas N e g a t i v e s , n:~imlich ffir den Abgang dessen. was wir als Lebhaftigkeit als Vorstufe der Leibhaftigkeit bezeiehnet haben. Das Positive an dem die Farben in der Vorstellnng ersetzenden und so ,,das Wisscn yon den Farben in der Vorstellung'" ausmachenden Etwas ist aber mit der Bezeichmmg Grau gar nieht bertihrt - - begreif- licherweise; dem~ wir wissen yon ihm nur, was es ftir uns ftir einen Weft hat, n:~imlich, dab es uns die Farben in der Vorstellung ersetzt, nichts aber dartiber, was es seinem Wesen nach ist, abgesehen davon, daL~ es zu dem gehSrt, was wir als ,,vorgestellte Simdiehkeit" bezeichnet haben. Anf keinen Fall aber kann, wie J a s p e r s meint, der Farbelmrsatz, resp. (lie Farbenvertretung, in der Vorstellung in ei nero ,,sinnlichen Elenmnte" gegeben sein, das wie ,,das bloBe G r a u ' " - ,,irgendeiner mSglichen wahrgenommeuen" Empfindung ,,ad:,tquat'" int. Wie kann man denn tiberhaupt lmr daran denken, dal] einer der , ,Extremen", die sich blo$ ,,Schattierungen yon Grau vorstelletl kSnnen", tin Wissen yon den v e r s c h i e d e n e n Farben ,,in den Vorstellungen" haben soll, wenn miter Grau, wie J a s p e r s aundriicklich sagt. ein dcm wahrgenommenen Grau ,,Adhquates" verstanden wird~). ~ Nein, die Behauptung, die

1) Dabei ist besonders zu bcriicksichtigcn, dall das Grau in seinen vcrschie- denen ,,Schattierungen" nichts anderes ist als cine Rcihe von (~bergangsstufen zwischen Weir] und Schwarz, also ein ,,System" der reinen Hel l igke i t semp- f indungen , wobei in diesem Fal]e der Zusatz ,,rein" die Abwcsenhei$ farbiger Empfindungen andeutet (Wundt).

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Zur Frage der Lokalisation der Vorstellm,gen. 255

J a s p e r s in die Worte kleidet: ,,Jeder v o r g e s t e l l t e n Empfindung entsprieht nun aber irgendeine mSgliche wahrgenommene (nicht jeder wahrgenommenen eine vorgestellte), und sei es auf optischem Gebietc ein bloges Grau", diese" Behauptung ist durchaus zu verwerfen. Einer einzelnen ,,vorgestellten Empfindung" ents13richt niemals , , i r g en d - e i n e mSgliehe", sondern immer eine g a n z b e s t i m n l t e ,,wahrgenom- mene" Empfindung; es ist ganz unm6glich, zu denken, daB ein vor- gestelltes Grau und iiberhaupt irgendeine einzelne einer mSglichen ,,wahrgenommenen (Farben-)Empfindung" ,,adequate" ,,vorgestellte Empfindung" in ihren ,,Schattierungen ''1) ffir a n d e r e bzw. fiir a l le Farben eintrete. Man kSnnte natiirlich trotzdem, wenfi man gerade will, das Medium, welches die Farben in der Vorste]lung vertritt , als Grau b e z e i c h n e n ; aber besser tut man es nicht, um das Mil~ver- stKndnis zu vermeiden, das Vorstellungs-,,Grau" habe irgend etwas mit dem wahrgenommenen Grau gemein oder sei ibm gar ,,ad~iquat".

Wir k5nnen in diesem Punkte wieder nut, wenn wir strenge zwischen vorgestellter und wahrgenommener Sinnlichkeit unterscheiden, klar sehen und gelangen dann zu folgender Fassung des in dem oben an- geffihrten Zitate ( J a s p e r s ) ausgedrfickten Gedankens: Manche Men- schen kSnnen sich viele Farben bloB als r e i n e Vorstellung (im oben bezeichneten Sinne) vorstellen, d. h. sie sehen in der Vorstellung alles bloB mit jenem Etwas ausgestattet, das ihnen das Wissen vor~ den Farben (in der Vorstellung) verschafft, ohne ihnen zugleich etwas yon jener L e b h a f t i g k e i t der Farben zu gew~hren, welche die Vorstufe der Leibhaftigkeit (sc. der wahrgenommenen Farbe) bildet. Zwischen d e m Extrem, dab sich jemand jede Farbe und Farbennuance ~uBerst. l e b h a f t vorstellea kann und dem, da[~ er sie sich bloB r e i n vorstellungs- m~Big, d .h . eben o h n e L e b h a f t i g k e i t der Farben, blo6 in (Vor- stellungs-),,Grau", vorstellen kann, gibt es alle ~bergange.

Diese Uberg~nge sind nun unseres Erachtens zurtickzufiihren auf die individuellen Gradunterschiede der F~higkeit zur R e 13 e r z e 13 t i o n ~) ; denn diese, (tie Erweckung einer der vorgestellten Sinnlichkeit qualitativ

~) Was Jaspers den ,,Schattierungen" (yon Grau) zuschreibt, kSnnten nut Nuancen (z. B. Blaugrau, Griinlich, Grau, Br~unliehgrau) leisten. H/ttte jemand .solche Nuancen in der Vorstellung, kSJmtc man yon ihm abet wieder nicht behaup- ten, er kSnne sich ,,blo6 Schattierungen yon Grau vorstellen"; denn die Vorstellung z. B. yon Blaugrau hat die ,,Vorstellungsf/ihigkeit" fiir B]au zur Voraussetzung.

2) Unsere Reperzep t ions fah igke i t ist nicht ffir alle Sinnesgebiete bzw. -teilgebiete gleieh grog. Im allgemeinen ist sie im optisehen Gebiete am grSl3ten, w~ihrend bei manehen Personen vielleicht die akustischc Reperzeption an erster Stelle steht; und ebenso ist sie im allgemeinen im Gebiete des Geruchssinoes am geringsten, bzw. in der Regel g!eich Null. X)araus erkl/irt es sieh, dab manehe behaUpten~ wir h~tten iiberhaupt keine Geruchsvorstellungen (z. B, Jaspers , vgl. obiges Zitat). Diese Behauptung ist selbstverst/r falseh -- was wir wahrgenommen haben, ktinnen wir auch vorstellen --; richtig ist nur. dab wit es

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256 J. Berze :

ad~tquaten S i n n e s e r r eg u ng (Erregung im Sinnesfeldc resp. in den Sinne'sfeldern) ist es unserer Meinung nach, worauf die Lebhaftigkeit, pri~ziser: die Ausstattung der Vorstellungen mit Lebhaftigkeit, im riehtigen Sinne, beruht. N i c h t also die S i n n l i c h k e i t an sich - - sie ist als vorgestellte aueh in der r e i n e n Vorstellung gegeben - - , wohl aber die L e b h a f t i g k e i t , die Ann~therung der vorgestellten an die w a h r g e n o m m e n e Sinnlichkeit ergibt sich, wie wir meinen, aus dem ,,Mithalluzinieren der Sinne" beim Vorstellcn.

Dies alles gilt nicht nur ftir die Farben in den ,,optischen Vor- stellungen", sondern ffir a l le Sinnesqualiti~ten und -teiIqualit~ten, - - auch das, dal] das die Elnpfindung in der Vorstellung Vertretende, das aus ihr fiir die Vorstellung Resultierende, etwas anderes ist als die Empfindung selbst und daI~ es aueh nicht eine ,,mnemische" Empfindung (ira Gegensatze zur ,,originalen") ist, wie 11. a. R i c h a r d S e m o n meint. Was z .B. den Empfindimgen, die sich aus der optisch-motorischen Funktion ergeben, in der ,,optischen V o r s t e l l u n g " entspricht, das ist die F o r m des Gesehenen, und was diesen Empfindungen im Ver- eine mit einer Unzahl anderer kin~isthetischer Empfindungen in der Vorstellung entspricht, ist die L o k a l i s a t i o n des Gesehenen im R a u m e ; und wenn Form und Lokalisation im Raume in der Wahr- nehmung gegeben sind, so ist dies somit nicht ein unmittelbares Er- gebnis der Perzeption des Sinneseindruckes, sondern darauf zuriick- zuftihren, dab in der Wahrnehmung au$er diesem auch noch die ent- sprechende V o r s t e l l u n g steckt, ist doeh die Wahrnehmung, wie oben ausgefiihrt wurde, ein sozusagen aus der Verschmelzung yon (perzipiertem) Sinneseindruck und Vorstellung (Wahrnehmungsvor- stellung) hervorgegangenes psychisches Geb.ilde. Was dagegen der in der Wahrnehmung gesehenen Form das Attribut der Leibhaftigkeit verleiht, das ist der in ihr gleichzeitig zur Geltung kommende (optisch- kinhsthetisehe) S i n n e s ei n d r u c k ; und ebenso beruht die gegebenen- falls in Erscheinung tretende Lebhaftigkeit einer vorgestellten Form auf einem cntsprechcnden Malte von auf dem Wege der Reperzeption gesetzter Erregung in dem bezeichneten Sinnesgebiete.

Nebenbei bemerkt stimmt mit dieser Auffassung (blol~ gradueller Unterschied zwischen Lebhaftigkeit der Vorstellung und Leibhaftigkeit der Wahrnehmung) iiberein, was in letzter Zeit, unseres Eraehtens mit Reeht, fiber das Verhaltnis zwischen objektivem Raum (wirklicher Raum, Wahrnehmungsraum) und subjektivem Raum (Vors~/ellungs-, Bewul~tseinsraum) vorgebracht worden ist. W~hrend n~mlich u. a, yon G o l d s t e i n , J a s p e r s behauptet worden ist, da$ es aus dem

im allgemeinen nicht zu lebhaf ten Geruchsvorstellungen bringen, und zwar unseres Erachtens, weil uns eben die F/~higkeit der Reperzeption auf dem Gebiete des Geruchsinnes abgeht.

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Zur Frage der Lokalisation der Vorstellungen. 257

einen Raum in den anderen ,,keinen t3bergang, sondern nur einen Sprung" gebe, d. h. dal~ keine Kontinuiti~t, sondern vollkommene Dis- kontinuiti~t zwischen ihnen bestehe, hat dann E d u a r d t t i r t 1) zu zeigen versucht, dab an dieser Ansieht nieht festgehalten werden kSnne, und hat Ri i l f (loc. cit.), im Anschlul~ an H i r t und unter Hinweis darauf, dal~ der R a u m nur eine F o r m u n s e r e s A n s e h a u e n s ist (Kan t ) , mit Recht erkli~rt, da~ die Frage nach dem Unterschied zwischen wahr- genommenem und vorgestelltem Raum ,,iiberhaupt nieht existiert" und dai~ es ,,einen Unterschied zwischen wahrgenommenem und vorge- stelltem . . . nur insofern gibt, als wir die Form unseres Anschauens das eine Mal auf die Eigenprodukte unseres Vorstellens, das andere Mal auf die Wirkliehkeit selbst anwenden. Tun wir das letztere, so scheint der Raum an der Wirkliehkeit selbst teilzunehlnen, also zu einem ,wahr- genommenen' Raum zu werden." Und so meinen auch wir: Es gibt nur e i n e n Raum (als Faktor unserer 5ul~eren Erfahrung); insolange und insoweit in ihm Wirklichkeit gesehen wird, ist er objektiv, insolange und insoweit aber ,,biol"" Vorgeste]ltes in ihm gesehen wird, ist er subjektiv. Nieht der Raum, in welchem ein Gegenstand erscheint, macht diesen einmal zu einem wahrgenommenen, das andere Mal zu einem vorgestellten, sondern umgekehrt: der wahrgenommene Gegen- stand macht den Raum, in dem er erseheint, zum objektiven, der vor- gestellte zum subjektiven. Jedenfalls ist unseres Eraehtens also auch mit dem Hinweise darauf, dal~ die Wahrnehmungen im objektiven Raume erscheinen (mit dem ,,~ul~eren Auge" gesehen, mit dem ,,~ul~eren Ohre" geh6rt werden), die Vorstellungen dagegen im subjektiven Raume (mit dem ,,inneren Auge" gesehen, mit dem ,,inneren Ohre" gehSrt werden) nicht um ein Jota mehr gesagt als mit der Bemerkung, dab die Wahrnehmungen den Wirklichkeitseharakter haben, die Vor- stellungen dagegen nicht; die bloB erkenntnispraktisch gegebene ,,Dis- kontinuiti~t" zwisehen beiden ,,Ri~umen" ist nur ein anderer Ausdruck ftir den ebenso bloB erkenntnispraktisch gegebenen ,,fibergangslosen Unterschied" zwischen Wirklichkeit und Nichtwirklichkeit (des Vor- gestellten). Es liiflt sich aus Betrachtungen tiber ,,die beiden Raum- anschauungen" trotz G o l d s t e i n , J a s p e r s usw. kein Argument gegen die Annahme eines Uberganges v o n d e r reinen Vorstellung fiber die lebhafte Vorstellung - - start lebhafter Vorstellung wird bekanntlich oft von ,,sinnlich betonter" Vorstellung gesprochen ~) - - zur Wahr- nehmung (leibhafter Vorstellung) ableiten.

1) Ed uard Hirt , Zur Theorie der Trugwahrnehmungen. Zeitschr. fiir Patho- psych. 1912.

*) Aus dem Zusammenhange gcht in dcr Regel klar hervor, dal] unter ,:si nn. l icher Be tonung" - - auch ich babe iibrigcns diescn Ausdruck in einer ganzen Reihe friiherer Arbeiten gebraucht - - die Lebhaf t igke i t in dcm in dieser Arbeit ausgefiihrten Sinne zu verstehen ist.

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258 J. Berze :

Wenn es mm eine Reperzeption, wie wir sic nennen, n~imlich als dcm Sinneseindrucke bei der Perzeptiou analoge Erregung in den be'- treffenden Sinnesfeldern wirklieh gibt, so mtissen zugleich mit den Wahrnehmungsst6rungen, welche auf einer pathologischen Hypo- oder auch Dysfunktion der corticalen Siuncsfelder beruhen, auch analoge St6rungen des Vorstellungslebens zu beobachten sein. Der Nachweis, dal~ dies in der |?at der Fall ist., wird sich begreiflicherweise nieht immer erbringen lassen; immerhin sprechen einige Beobachtungsergebnisse entschieden daftir, u . a . der oben ausfiihrlich besprochene Fall L e w a n d o w s k y s , auf den wir daher bier noch einmal kurz zurfick- kommen. Wir haben uns veranlal]t gesehen, in diesem Falle eine St6rung der Perzeptio~l anzunehmeu, und habeu auf diese PerzeptionsstSrung die koustatierte St6rung der Farbenwahrnehmung zuriickgefiihrt. Auf der anderen Seite aber fanden sich in diesem Falle auch S{6rungen der , ,Farbenvorstellung" (der Farbenkomponente der Vorstellung), weiter der , ,Farbenbegriffe" (ihrer Bildung oder ihrer Aktivierung), welche zum Teile auch auf eine jener Perzeptionsst6rung analoge St6rung der Reperzeptiou bezogen werden k6nnen. Der Kranke litt offenbar an einem Defekte im Bereiche seiner Gesichtsvorstellungen, der darin bestand, dab er es - - wie (tie ,,nicht-optischen Typen" - - zu ,,keiner anschaulichen Vorstellung der betreffenden Farbe" (vgl. P o p p e l r e u t e r loc. cir.) bringen konnte. Was bedeutet aber , , a n s c h a u l i c h e Vorstellung" in diesem Zusammenhange? ,,Anschaulich" ist j ede Vorstellung; es nmB also unter ,,anschaulich" hier etwas gemeint sein, worauf dieser Aus- druck strenggenommen nicht paBt., und zwar etwas, was den be- treffenden Vorstellungen gegeniiber den Vorstelhmgen, die nieht damit ausgestattet sind, ein Plus verleiht, ein Plus, das danaeh angetan ist, z .B. ,,zur richtigen LSsung der Aufgabe, aus einer grS[teren An- zahl Farben (lie Nuancen etwa des Sehwefels, des Kaffees usw. heraus- zusuehen", zu verhelfen. Es liegt auf der Hand, dait mit diesem Plus nichts anderes gemeint ist als die L e b h a f t i g k e i t der Vorstelhmg in mmerem Sinne, also jenes Moment, we]ehes wir als das Ergebnis der Reperzeption betrachten. Diese ist es, welehe den .,nicht optischen Typen" fehlt und diese ist es offenbar aueh, welehe dem Kranken L e w a n d o xxs k y s fehltel). "Abet aueh die Heraluninderu ng der F~thig-

t) Lewa ndowsky zieht (vgl. oben) daraus, dal] dcr Kranke f'~lsche Farben koloriertcr Abbildungcll in der Mehrz,~hl der F/tlle verwarf, den SchluiL dab bei ibm immerhin ,,eiue Spur yon Assozia.tion zwischen Farbc und Form der Gegen- st/indc noch bestand". Uuseres Eraehtens uber folgt darttus, dab cr die Farben- Vorstel lu ng besa~. Und dull el' trotz diescs Besitzes gewisse Leistungen nicht aufbringen konnte, dic yore Vorstcllca abhiingig sind, erkl/irt sich daraus, da] cr keine I e b h a f t e n bzw. keine z u r ei e h e n d h.bhMtcn Vorstellungen besa 8 (sondern I)h)B rei ae Farben-Vor stell u ngc u; ~o ist unscres Eracht6zts zu deuten, was Le- w a.udowsky als ,,Spur yon Assozi,~tion..." bezeichnet) -- letzteres ebeu aus dem (trunde, well die Farben.Reperzeption bei ibm beeintr~ichtigr war.

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Zur Frage der Lokalisation der Vorstellungen. 259

keit der Farbenbegriffsaktivierung, die wir bei dem Kranken anzunehmen haben, l~iBt sich yon diesem Gesichtspunkte betrachten. Wie .oben ausgeftihrt worden ist, haben wir den Farbnamen als den vornehmsten Tr~ger der Farbenbegriffe zu betrachten, was u. a. darin seinen Aus- druck finder, dab eine Beeintrii, chtigung der Evokation des Farb- namens auch eine Beeintr~chtigung der Aktivierung des betreffenden Farbbegriffes mit sich bringt - - dies allerdings in sthrkerem, stSrendem MaBe nut dann, wenn gleichzeitig andere Hilfen der Begriffsaktivierung versagen. Den eigentlichen AnstoB zur Aktivierung des Farbbegriffes gibt aber selbstverst~ndlich immer die betreffende Vorstellung selbst. Wovon h~ngt nun aber'der Grad der Eignung einer Vorstellung, diesen AnstoB zu geben, wovon h~ngt - - mit anderen Worten - - die Intensit~t dieses yon der Vorstellung ausgehenden AnstoBes ab ? Zun~chst unter allen Umst~nden yon der Intensit~t der Vorstellung, speziell der F a r b - vorstellung (Farbkomponente in der Vorstellung); aber nicht yon ihr allein. Es wird n~'tmlich nicht zu leugnen sein, dab die Wahrnehmung auch in dieser Beziehung mehr zu leisten vermag als die Vorstellung; dies besagt uns aber auch, dan die Vorstellung einen um so intensiveren AnstoB zur Evokation des Farbnamens zu geben vermag, je l e b h a f t e r sie ist, und dab sich umgekehrt ein um so schwererer Defekt in dieser Hinsicht zeigen muB, je mehr durch eine pathologische Ver~nderung die Belebung der Vorstellung - - durch Reperzeption - - beeintr~chtigt ist. Es mag tibrigens gerade hinsichtlich der Evokation der Farbe (und also sekund~r auch der Farbenbegriffe) wieder bedeutendere in- dividuelle Differenzen geben. Auch L e w a n d o w s k y denkt daran und spricht, im Hinblick auf seinen Fall, von Individuen, ,,welche den Far- benamen eines Gegenstandes nicht wissen, nicht nach einem abstrakten Begriffe sprachlich ausdriicken kSnnen, bei d e n e n v i e l m e h r de r F a r b n a m e a b h ~ n g i g i s t v o n d e m A u f t a u c h e n de r z u g e h S - r ige n F a r b e". Unserer Ansicht ist da aber nicht die Gegenfiberstellung yon Begrifflichem (,,abstraktem Begriff") und Anschaulichem (,,Auf- tauchen der Farbe':), sondern yon r e i n e r Vorstellung und l e b h a f t e r Vorstellung am Platze; und wir m5chten daher von Individuen sprechen, denen Farbnamen so schwer evozierbar sind, dab die r e i n e n Farbenvorstellungen (das bloBe ,,Wissen v o n d e r Farbe in der Vor- stellung") dazu nicht genfigen, dab dazu vielmehr eine gewisse Leb - h a f t i g ke i t der Farbenrepr~sentation erforderlich ist. Zu einem solchen Individuum ist aber der Kranke L e w a n d o w s k y s , wie wir annehmen, durch seine amnestische Aphasie geworden. - - Es ergeben sich also in der Tat Anhaltspunkte dafiir, dan im Falle L e w a n d o w s k y s der Perzeptionsst6rung auch eine Reperzeptionsst6rung parallel ging.

Auf einen Punkt yon nicht geringem Interesse m6chten wir bei dieser Gelegenheit noch eingehen. Wie oben hervorgehoben wurde,

Z, f. d. g. Near. u. Psych. O. XLIV. ] 8

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260 J. Berze :

bestand im Falle L e w a n d o w s k y s allen Anzeiehen nach eine blo2 einseitige, und zwar die superiore (linke) Hemisphere betreffende Schi~digung des fiir die Farbenperzeption in Frage kommenden Oecipital- rindengebietes 1) und steht es damit im Einklange, dab bei dem Kranken Unf~higkeit zur begriffliehen Erfassung der Farben(-QualitSten) bei gleichzeitigem Erhaltensein des Farbenunterseheidungsverm6gens zu konstatieren war. Warum braehte es dieser Kranke nun nicht zu einer Lebhaftigkeit seiner Farbvorstellungen, wie sie naeh unserer Annahme bei ihm zur riehtigen Evokation der Farbnamen erforderlieh gewesen w~re, we doeh seine Oeeipitalrinde der rechten Seite aller Wahr- seheinlichkeit nach intakt war ? Die Antwort kann uns nieht sehwer fallen, wenn wir bedenken, dag die Anregung der Reperzeption eine psychisehe Leistung, d. i . ein Ergebnis der T~tigkeit der psyehisehen Sph~tre ist: da n~mlich die Beziehungen der psyehisehen zur impressio- nalen Sphi~re (Projektionsfelder) tiberhaupt, und so aueh zu den einzelnen Sinnesfeldern, der s u p e r i o r e n Hemisphi~re im allgemeinen regere, intimere sind, als zu denen der inferioren Hemisphi~re, haben wit an- zunehmen, dag aueh die l~eperzeption in einem dieser funktionellen Differenz der beiden Hirnh~lften entsprechenden Ausmage intensiver und prompter in der superidren Hemisphere, d. i . dureh Anspreehung der Sinnesfelder die ser Hemisphere, vonstatten geht als in der anderen; es mug sieh daher eine Sch~digung des gerade in Frage kommenden Sinnesfeldes der superioren Seite empfindlieh ftihlbar machen, um so empfindlieher, je h6hergradig die funktionelle Differenz der beiden Hirnhi~lften des betreffenden Individuums ist. Im Falle L e w a n - dows k y s kommt speziell der Grad der funktionellen Differenz der beiden S e h s p h ~ r e n und besonders der beiden , , F a r b e n f e l d e r " , d. i. der Grad der Differenz ihrer Anspreehbarkeit von der ,,Vorstellungs- sphSze" (psyehisehen SphSze) her, in Betraeht; es w~tre daher, wie ilbrigens aueh aus manehem anderen Grunde (Wahrnehmungsst6rung bei blog einseitiger Cortexl~sion usw.) - - nebenbei bemerkt - - yon nieht geringem Interesse, zu wissen, ob der Kranke L e w a n d o w s k y s zu den Mensehen mit starker oder zu denen mit geringer Differenzierung der Hirnhi~lften gegeneinander (vgl. S t i e r , loc. cit.) geh6rt.

Mit der Reperzeption, wie wir sie meinen, mtissen selbstverst~ndlieh, sell sie als annehmbar angesehen werden k6nnen, aueh die Beobachtungen im Einklange stehen, die wit an Personen zu maehen Gelegenheit haben, welehe einerseits eine Cortexl~sion aufweisen, dutch welehe ein oder

1) Von manchen wird dieses Gebiet bekanntlich als ,,Farbenfeld" bezeichnet. Mit diesem Worte verbindet sich aber nur zu leicht die Vorstcllung eines aus- schlieBlich der Farbenperzeption dienenden Feldes, es sollte daher, da wir noch nich~ wissen, ,,oh ein Farbenfeld r/iumlich von dem Lichtfeld ganz isoliert besteht oder nicht" (vgl. Lewandowsky, 1. c.), besser vermieden werdera

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Zur Frage der Lokalisation der Vorstellungen. 261

das andere Sinnesfeld mehr oder weniger schwer gesch~digt wird, andererseits an Halluzinationen leiden, die nach unserer Auffassung auf eine gesteigerte reperzeptive Erregung in dem Sinnesgebiete, dem jenes Sinnesfeld zugehSrt, zurfickzuftihren w~tren.

So einfach liegt die Sache nun freilich nicht, dal~ man die Ergebnisse der Beobachtungen erwithnter Art geradezu als einen Beweis ffir die I~ichtigkeit der Lehre yon der Reperzeption im allgemeinen und der Annahme der Bedeutung der (gesteigerten) Reperzeption ffir die Genese gewisser Halluzinationen verwenden kSnnte. Ein Fall Picks1.), bei dem die Halluzinationen einen dem zentral bedingten Skotom ent- sprechenden Defekt aufweisen, sieht allerdings zun~ichst danach aus, hat abet, wie G o l d s t e i n richtig bemerkt, ,,wohl immer noch keine befriedigende Erkliirung gefunden"~). Zudem ist, er bisher durchaus vereinzelt geblieben. Auch zeigen, wie u . a . K r a e p e l i n a) hervor- hebt, z .B . ,,halbseitige Gesichtst~usehungen niemMs hemiopische Be- grenzung, wie man bei ihrer Entstehung in den Sinneszentren erwarten sollte" 4).

Es wurde eben gesagt, dab der erw~ihnte Fall P i c k s vereinzelt ge- blieben sei. Wit kSnnen ni~mlich nicht zugeben, dab die tibrigen Fiille, welche G o l d s t e i n als ,,FMle, in denen bei Erkrankungen der Sinnes- felder, die zu abnormer Funktion derselben fiihrten, auch die evtl. auf- tretenden ttalluzinationen im selben Sinne abge~ndert waren", mit diesem FMIe in eine Linie gestellt werden. Wenn G o l d s t e i n bei der

1) Pick, CTber Halluzinationen bei zentralen Defekteu des Gesieht~feldes. Prager med. Wochenschr. 1883.

2) Kraepe l in sagt in seinem Lehrbnche: ,,Man h a t . . . Wandern der Trug- wahrnehmungen mit den Augenbewegungen und Verdoppelung dutch Prismen oder bei seitliehem Druck auf den Augapfel gesehen, Erseheinungen, die auf die Bceinflussung der Trugwahrnehmung dureh wirk]iehe, wenn aueh vielleieht ganz unklaxe Gesiehtsbilder hinweisen k6nnten. Es w~ire aber mSglich, dal~ die feste GewohnheiL die r~umliche Lage des Gesehenen aus den Augenmuskelbewegungen zu erschlieBen, aueh die Verlegung der Tiiusehungen naeh aui3en beeinfluBte, und da~ die prismatische Verdoppelung nebenher wirklich gesehener Gegenstande aueh auf die unabh~ngig yon der Netzhaut entstandene Tragwahrnehmmlg iibergriffe, wle es bei hypnotischen Tauschungen beobaehtet worden ist." So ware es unseres Eraehtens aber auch mSglich, dal3 das Skotom im FalIe Pic ks sozusagen auf dem Wege der Autosuggestion (zurtiekzufiihren auf das Wissen vom Skotom) aueh an den Halluzinationen in Erscheinung trat.

3) Kraepe l in , Psychiatrie, 1. Bd., S. 217. ]909. 4) Goldstein scheint allerdings solehe Fiille zu kennen, da er geIegentlich

die Frage aufwifft: ,,Wie kommt es z. B., dab die Halluzinationen bei Hemianopsie, wo der Reiz doch nur an einer Sehsphiire ansetzt, nur ganz ausnahmsweise hemi- anopisehen Charakter aufweisen?" R iilf fiihrt gelegentlieh an: ,,la einem yon Hoehe erw~hnten Falle mit Hemianopsia inferior erschienen dem Kranken die Gesichtshalluzhlationen am Fixierpunkte wie abgeschnitten. Der Autor erkliirt selbst den Fall ftir einen funktionellem" Wenn er funktionell war, ist er nicht im Sinne der Bemerkung Goldsteins verwendbar.

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262 J. Berze :

Anffihrung der F~lle, die seiner Meinung nach hierher geh5ren, Wer- n ickes 1) Aul~erung zitiert, dab ,,bei der progressiven Paralyse, der- jenigen Krankheit, die immer auch zu einer 5rtlichen Erkrankung der Projektionsfelder ffihrt, entstellte oder ganz sinnlose Worte haufig halluziniert werden", so muB ihm entgegengehalten werden, dab die Richtigkeit der Annahme Wern ickes , die Entstellungen der vou Paralytikern halluzinierten Worte seien auf die ,,Srtliche Erkrankung der Projektionsfelder" zurfickzuffihren, durchaus nicht erwiesen ist - - weit wahrscheinlicher ist es unseres Erachtens, da~ sie sich aus der allgemeinen Rindenschadigung bzw. IntelligenzstSrung, ergeben --, wogegen im erw~hnten Falle Pic ks zweifellos nur eine Sinnesfeldl~sion vorlag. Und wenn Go lds t e in in einem Atem mit diesem Falle einen anderen Fall P icks nennt, ,,der friiher an sensorischer Aphasie gelitten hatte" und spater ,,GehSrshalluzinationen von ausgepr~gt parapha- sischem Charakter hatte", sowie einen Fall von H o l l a n d , von dem bei bestehender Aphasie unverstandliche Phrasen halluziniert wurden, so muB wieder gesagt werden, dab diese F~lle mit ersterem nicht ohne weiteres vergleichbar sind, da aphasische, paraphasische u. dgl. StS- rungen nicht auf Sch~digungen von Sinnesfeldern, sondern auf solchen von Engrammfeldern beruhen, mit welchen wohl in der Regel eine Sch~digung der ersteren einhergehen wird, aber nicht unbedingt einher- gehen muB.

Mit letzterer Bemerkung soll aber keineswegs behauptet werden, dab es mit Sicherheit ausgeschlossen werden kSnne, dab Sch~digungen yon Engrammfeldern die Reperzeption in dem Sinnesgebiete, welchem sie zugehSren, zu stSren, und zwar im Sinne ihrer eigenen Funktions- sch~digung zu stSren vermSgen. Es ware ja immerhin m5glich, dal~ der Weg des Erregungs-,,R~icklaufes" yon der Vorstellungssph~re in die Sinnesfelder fiber die Brficke der respektive n Engrammfelder geht; sichere Anhaltspunkte haben wir daffir aber nicht, - - und wir werden bei dem, wie zugestanden werden muff, hypothetischen Charakter der ganzen Reperzeptionslehre besser tun, ihre weitere Belastung durch diese Nebenhypothese zu vermeiden, zumal sie nicht einmal besonders viel Wahrscheinlichkeit ffir sich hat und es, wie Go lds t e in selbst (loc. cit., S. 63) mit Recht erkl~rt, noch gar nicht ausgemacht ist, dab der Weg, welchen die Erregung bei der Reperzeption zum Sinnesfeld nimmt, d:er gleiche sein mfisse wie der, welchen sie bei der Perzeption vom Sinnesfelde weg einschl~gt (,,Auch ist es gar nicht gesagt, dab nur eine Bahn besteht; nach der Griesingerschen Anschauung finder ja auch normalerweise eine Erregung der Wahrnehmungszentren statt, warum sollte hierffir nicht eine zwei~e Leitungsbahn vorhanden sein ?").

Auf keinen Fall kann aber, wie noch besonders betont sei, ein blo B

1) Wernicke, GrundriB der Psychiatrie 1900, S. 204.

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Zur Frage der Lokalisation der Vorstellungen. 263

bis in die betreffenden Engrammfelder gehendes ,,Rficklaufen" der yon der Vorstellungssph~re herkommenden Erregung die Wirkung haben, welche wir unter Reperzeption verstehen, ist dazu vielmehr unter allen Umst~nden ein Vordringen dieser rfickl~ufigen Erregung his in die S i n n e s f e l d e r s e l b s t erforderlich. Wenn man an ersteres oder an etwas dem ~hnliches gedacht hat, so ist daran nur der Umstand schuld, dag man sich in den Engrammfeldern bzw. in den ,,Zentren", welche der Lage nach den Engrammfeldern entsprechen, ziemlieh all- gemein ,,l~esiduen" der S i n n e s e i n d r f i c k e selbst ,,deponiert" denktl), durch deren Erweckung (,,Wiederbelebung") die Reproduktion des ,,Sinnlichen" zustande komme. Diese Auffassung ist aber nicht zu stfitzen; in den sensorischen Engrammfeldern ist, wie bereits ausgeffihrt wurde, ebensowenig etwas Sensorisches (als ,,Residuen") ,,deponiert" wie in den motorischen Engrammfeldern etwas Motorisches, sind vieL mehr nur ,,Residuen" von V o r g S n g e n , und damit ,,Dispositionen" zum Wiederzustandekommen dieser Vorg~nge gegeben, deren A us- 15sung immer erst d u r c h die vom Sinnesfelde her einwirkenden (originalen) I m p r e s si o n e n geschieht.

Was nun aber das Auftreten von GehSrshalluzinationen von aus- gepr~gt paraphasischem Charakter bei einer Person, die friiher sensorisch- aphasisch war, und das Halluzinieren unverst~ndlicher Phrasen bei b estehender Aphasie betrifft (P i c k, H o 11 a n d), so ist noch zu bemerken, dab selbstverst~ndlieh die durch pathologisch alterierte Vorarbeit ent- stellten Wahrnehmungsvorstellungen ebenso in den Vorstellungsschatz des Individuums fibergehen wie die normal gebildeten und von ihnen der AnstoB zur Reperzeption geradeso ausgehen kann wie von diesen, ja in der in Frage kommenden Zeit vielleicht noch leiehter als yon diesen, well sie die rezenteren und darum auch die leichter in zureichender Intensit~t reproduzierbaren sind, und dab somit die Annahme nahe- liegt, dag in solchen Fhllen Unverst~indliches, paraphasisch Entstelltes deswegen halluziniert wird, weil der AnstoB zur Reperzeption yon schon derart entstellten Vorstellungen ausgeht ~ und nicht etwa, weil die von einer normal gebildeten ,,Sprachvorstellung" ausgehende Er- regung erst in den Engrammfeldern eine Umformung erfhhrt, die eine Entstellung des Reperzeptionsergebnisses nach sich z6ge.

Wir kSnnen also, wenn wir uns nieht der Gefahr aussetzen wollen, mit unseren Uberlegungen ganz ins Uferlose zu geraten, bei unserer Betrachtung nur solche F~lle berficksichtigen, in denen bei Erkrankungen, die erwiesenermal3en bestimmte Sinnesfelder selbst gesch~tdigt oder zerst6rt haben, Halluzinationen auf demselben Sinnesgebiete beobaehtet worden sind.

x) So G ol d s tei n, de r ,,yon sinnlichen Residuen der Wahrnehmungen" (vgl. G o]dstein, Zur Theorie der Halluzinationen, Archiv f. Psych. 44, S. 83) spricht.

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264 J, Berze :

Gerade wenn wir uns diese Beschri~nkung auferlegen, treten aber aus der Gesamtmasse der einschl~gigen Beobachtungen solche in be- tri~chtlicher Zahl um so deutlicher hervor, welche, zuni~chst wenigstens, geeignet zu sein scheinen, der l~eperzeptionslehre den Boden zu ent- ziehen; gemeint sind vor allem die Beobachtungen von (Gesichts-) H a l l u z i n a t i o n e n im h e m i a n o p i s c h e n G e s i c h t s f e l d e .

G o l d s t e i n hilft sich damit, dab er ftir diese F~lle ,,einen Reizzu- stand in dem nicht zerstSrten Teil des Sehzentrums, v o n d e r krank- haften Stelle aus hervorgerufen", annimmt. Abgesehen davon, da[~ wir, wie hier nebenbei bemerkt wird, die Ansicht, zur Entstehung yon Halluzinationen sei ein ,,Reizzustand" in dem betreffenden Sinnes- zentrum unbedingt nStig, fiberhaupt verwerfen, da wir die abnorm starke Erregung im Sinnesfelde in den Fi~llen yon ,,komplizierten" Halluzinationen, in denen eine solche tiberhaupt anzunehmen ist, viel- mehr als Effekt des abnorm starken Anstoi~es yon der Vorstellungs- sphere her ansehen, kSnnen wir mit dem erwi~hnten Erkli~rungsver- suche G o l d s t e i n s schon deswegen nichts anfangen, weit unseres Er- achtens eine Halluzination yon dieser Genese nicht durch Erregung b e l i e b i g e r Perzeptionselemente entstehen kann, sondern nur durch Erregung genau derselben Perzeptionselemente, deren ,,originale" Er- regung seinerzeit die Wahrnehmung des gleichen Inhaltes bzw. den dieser zugrunde liegenden Sinneseindruck, hervorgerufen hat, an den ganz wunderbaren Zufall aber gar nicht zu denken ist, dai~ bei einer Erkrankung des,,Sehzentrums" gerade die Elemente, die zur Bildung der betreffenden Halluzinationen erforderlich sind, erhalten und nur solche, die dazu nicht gebraucht werden, geschi~digt oder zerstSrt wi~ren. Und schlieBlich haben wir es nicht selten auch mit F~llen zu tun, in denen von einem ,,nicht zerstSrten Teil des Sehzentrums" nicht gut die Rede sein kann, bzw. ein solcher funktionsttichtiger Rest dieses Zentrums gerade nur der Theorie zuliebe trotz aller Bedenken eigens angenommen werden mtiBte.

Unseres Erachtens ist die Erkli~rung fiir die Halluzinationen im hemianopischen Gesichtsfelde in ganz anderen Zusammenhgngen zu suchen.

Man pflegt, wenn man von der Sinnesfeld-Miterregung bei der Ent- stehung yon Gesichtshalluzinationen spricht, nur an e in optisches Sinnesfeld zu denken, ngmlich an das opt ische Sinnesfeld, dessen ein- seitige ZerstSrung, resp. AuBerfunktionsetzung, eben Hemianopsie macht, also an das Sinnesfeld, in welchem die p r im i~ ren (direkten) optischen und zugleich s p e z i f i s c h optischen Impressionen zustande kommen. Hat man dazu aber ein Recht ? MuB man nicht auch an die Erregung des Sinnesfeldes denken, in welcher die s e k u n d ~ r e n (in- direkten) optischen Impressionen, d. i. die , ,B e w e g u ngs empfindungen",

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Zur Frage der Lokalisation der Vorstellungen. 265

welche aus der Funkt ion des motorischen Sehapparates resultieren, ent- stehen ? Ja, muB man die Erregung dieses Feldes nicht noch weir mehr im Auge haben, wenn man erw~gt, dab die Lebhaft igkeit der Vorstel- lungen, wie wir sie gewShnlich - - d. h. wenn w i r e s nicht gerade ganz besonders oder gar ausschlieBlich auf Helligkeit oder Farbe abgesehen haben - - durch absichtliche Konzent ra t ion erzielen, ganz besonders Lebhaft igkeit der F o r m des vorgestellten Gegenstandes istl), und da~ das optische Halluzinieren in der Regel doch der Hauptsache nach

- - was bisher fibersehen worden ist - - ein Halluzinieren von gesehenen F o r m e n , ein , , G e s t a l t e n " - S e h e n ist, dem gegenfiber das L i c h t - und besonders das F a r b e n s e h e n so entschieden in den Hin te rgrund tr i t t , dab die Kranken nur ganz selten, geradezu ausnahmsweise, fiber- haup t imstande sind, fiber dieses Moment halbwegs pr~zise Angaben zu machen, und, wenn doch, sich oft genug in einer Weise i~ul3ern, welche erkennen l~13t, dab ihre Gesichtshalluzinationen gerade in dieser Hinsicht keineswegs besonders lebhaft sein kSnnen, sondern einen recht wenig differenzierten Charakter haben oder gar geradezu ,,grau in g rau" gesehen werden dfirften ? Unseres Erachtens ist anzunehmen, dab zur Ents tehung yon Gesichtshalluzinationen die Reperzept ion im Felde der lmpressionen o p t i s c h - m o t o r i s c h e r Provenienz a l l e i n schon hinreicht, wie es ja auch i m a l t g e m ei n e n kaum anders mSglich ]st, als dab die Reperzeption, wenn sie sich auch nur auf eine einzige K o m p o n e n t e irgendeiner Vorstellung erstreckt, dieser Vorstellung i m g a n z e n den Wi~klichkeitscharakter verschaffen mui3, sofern sie nur den dazu e r f o r d e r l i c h e n G r a d erreicht2). Die Erregung des spezifisch opt ischen Sinnesfeldes ist wohl unerlaBliche Vorbedingung der s e k u n -

1) Die individuellen Differenzen scheinen freilich auch in diesem Punkte "wieder recht groB zu sein.

2) Damit ist uns auch ein Weg ftir die Erkli~rung gegeben, dab die Pseudo- halluzinationen ,,in ~ ielen F/illen an simllich lebhafter F/~rbung die Halluzinationen Obertrcffen" (vgl. Rfilf) und eben doch ihren Charakter als Pseudohalluzinationen bewahren, d.h. ,,nicht den Externalit/itsfaktor an sich tragen" und daher als ~orstellungen genommen werden; wir brauchen n/imlich nur anzunehmen, dal3 bei den besonders lebhaften P s e u d o h a l l u z i n a t i o n e n die Reperzeption sich gleichm/iflig auf alle Teilqualit/iten erstreckt und dabei einerseits hinreichend ,intensiv ist, um eben die groBe ,,sinnliche Lebhaftigkeit" zu erzcugen, andererseits aber doch hinsichtlich keiner Teilqualit/~t so weir geht, dab dadurch diese und mit ihr die ganze Erscheinung Wirklichkeitscharakter gew/inne, daft dagegen bei den weniger ]ebhaften tt all u zi n a ti o n e n die Reperzeption hinsichtlich einer Teilqualit/~t wohl so welt geht, dab sie der Erscheinung den Wirklichkeitscharakter verschafft, hinsichtlich anderer oder der anderen Teilqualitiiten aber so welt zuriick- blcibt, dab es ihr in der oder jener Beziehung an ,,sinnlicher Lebhaftigkeit" gebricht, dal3 z. B. eine hinsichtlich Form scharf ausgepr/igte Gesichtshalluzination licht- und farbenschwach erscheint. - - Ganz abgesehen davon, dab es auch vom Zustande <les BcwuBtseins abh~ngt, ob eine Vorstellung yon zureichender Lebhaftigkeit als Pseudohal]uzination oder als echte HaUuzination wirkt.

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d i~ren Erregung des optisch-kinasthetischen Sinnesfeldes - - im Falle der Wahrnehmung, also der P e r z e p t i o n , sie ist aber nicht unbedingt erforderlich ffir den Fall der Erzielung lebhafter Vorstellungen, bzw. der Entstehung yon Halluzinationen, durch R e p e r z e p t i o n im optisch- mot~)rischen Sinnesfelde. D i e s e r R e p e r z e p t i o n s v o r g a n g k a n n a b e r d u r c h e ine Li~sion, die blol3 das s p e z i f i s c h o p t i s c h e S i n n e s f e l d b e t r i f f t , n i c h t t a n g i e r t o d e r ga r a u f g e h o b e n w e r d e n , w o r a u s s ich d ie M S g l i c h k e i t d e r H e r v o r r u f u n g leb- h a l t e r V o r s t e l l u n g e n wie a u c h de r E n t s t e h u n g y o n H a l l u - z i n a t j o n e n im h e m i a n o p i s c h e n G e s i c h t s f e l d e e rg ib t .

Ja, es w~re nicht unmSglich, da~ durch eine solche L~sion ftir diesen Reperzeptionsvorgang sogar gfinstigere Bedingungen geschaffen werden, als unter normalen Verh~tltnissen gegeben sind.

Es ist eine allbekannte Tatsache, dab uns die Hervorrufung lebhafter Vorstellungen unter sonst gleichbleibenden Umst~nden um so besser gelingt, je besser es uns gelingt, i~ul~ere Eindriicke, namentlich des- selben Sinnes, abzuhalten; wir schlie[3en daher, wenn wir uns etwas lebhaft optisch vorstellen wollen, die Augen oder verdecken sie uns noch besser mit der Hand u. dgl. Auch ist es eine unbestreitbare Tat- sache, dab das Halluziniercn bei vielen Kranken durch Verminderung der ~ul]eren Eindriicke begtinstigt wirdl). Treffend sagt darfiber K r a e p e l i n (Psychiatrie 1, 214): ,,Eine wesentliche Vorbedingung ftir die Entstehung yon Wahrnehmungsthuschungen ist offenbar die Steigerung der Erregbarkeit in den Sinneszentren. Eine solche Steigerung scheint sich, entsprechend etwa dem Adaptationsvorgange in der Netz- haut, bei Abschw~chung oder AusschluB der i~ul3eren Sinnesreize ein- zustellen. Schon beim Gesunden bieten Dunkelheit und Stille am h~ufigsten Gelegenheit, das Auftreten von lebhaften Gesichtsbildern oder yon akustischen Trugwahrnehmungen zu beobachten." Ebenso pflegen sich bei vielen Kranken ,,Gesichtst~uschungen ganz vorzugs- weise in der Nacht" einzustellen; Geh6rst~uschungen sind ,,in der lautlosen Einsamkeit des Zellengefi~ngnisses fiberaus hi~ufig". ,,Bei starker Schwerh6rigkeit oder Taubheit begegnen uns nicht selten aus- gepr~gte und hartn~ckige Geh6rsti~uschungen; R a n s c h b u r g be- obachtete eine Kranke, die vorzugsweise auf ihrem rechten, tauben Ohre halluzinierte. Blinde mit Erkrankungen des Sehnerven oder des Auges, Linsen- oder Hornhauttriibungen haben bisweilen sehr lebhafte Gesichtsti~uschungen; sie stellen sich 6fters nach Augenoperationen im Dunkelzimmer ein." Die letzterw~hnten Beobachtungen k6nnen wir

1) Diese Tatsache wlrd in der Theorie der Halluzinationen zu wenig beriick- sichtigt. Ich habc ihre Bedeutung in dieser ttinsicht schon in einer ~ilteren Arbeit (B e r z e, t~ber das Bewul3tsein der Halluzinierendcn, Jahrbuch f. Psych. u. Neur. 16, 1897) entsprechcnd beleuchtet.

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selbstversti~ndlich zur Beweisftihrung ftir unseren Fall nicht u n m i t t e l - ba r heranziehen, da es sich bei ihnen um i n t a k t e Sinnesfelder bei peripheren St6rungen handelt; doch darf immerhin darauf hingewiesen werden, dag wie jede andere, so auch eine durch derartige St6rungen bedingte Verminderung der Inanspruchnahme der Felder der prim/~ren Impressionen auch eine solche der Felder der sekund~ren Impressionen, Mso speziell im optischen Gebiete des Feldes der optisch-motorisch begrfindeten Impressionen, mit sich bringt.

Da nun die optisch-motorische Sphere jeder .Hemisphere, wenn auch nicht ausschlieBlich, so doch bei weitem vorwiegend ihre An- regunger/im Dienste der Perzeption aus dem spezifisch-optischen Sinnes- felde derselben Seite empf~ngt, bedeutet eine L~sion dieses Sinnes- feldes, die Hemianopsie macht, ftir sie eine sehr weitgehende Ver- minderung der perzeptiven Anregungen und damit eine entsprechende S t e i g e r u n g d e r A n r e g b a r k e i t fiir von d e r V o r s t e l l u n g s s p h ~ r e ausgehende Anst6fte, werden also durch eine derartige Li~sion sogar gtinstigere Bedingungen ffir die geperzeption, bzw. ffir die Entstehung von auf gesteigerter geperzeption beruhenden Halluzinationen, ge- schaffen, yon Halluzinationen allerdings, die ihren Wirklichkeitscharakter bloB der optisch- k i n ~ s t h e t i s c h e n Reperzeption verdanken.

Schlieglich ist auch daran zu denken, dab in manchen F~llen im Zusammenhange mit der Li~sion, welche durch Schi~digung des spezifisch- optischen Sinnesfeldes die Ausfallserscheinung Hemianopsie setzt, im optisch-kinSsthetischen Felde ein Reizzustand besteht, welcher das Auftreten von Halluzinationen auf Grund optisch-kini~sthetischer Reperzeption geradezu begtinstigt. G o l d s t e i n s oben erwi~hnter Ge- danke erhi~lt damit einen ftir uns akzeptablen Inhalt; denn, wenn auch unseres Erachtens, wie gesagt, ein geizzustand in dem betreffenden Sinneszentrum zur Entstehung yon Halluzinationen nicht unbedingt erforderlich ist, so ist ein solcher Reizzustand, wie er zweifellos ,,yon der krankhaften Stelle aus hervorgerufen" werden kann, doch unstreitig geeignet, den l~eperzeptionsvorgang zu erleichtern bzw. sein Ergebnis zu steigern.

Eine andere anscheinend gegen die Annahme der Reperzeption sprechende Erscheinung ist das b ei H e mi a n o p s ie beobachtete Auf- treten v o l t s t ~ n d i g e r Halluzinationen yon Gegensti~nden, die beiden Gesichtsfeldseiten, also zum Teile auch der hemianopischen, angeh6ren. H e n s c h e n 1) erkl~rt in der Tat: ,,Da bei der ttemianopsie die eine Seite des Gesichtsfeldes yon gr6geren Gegenst~nden fehlt, so spricht die Beobachtung vollst~ndiger Halluzinationen ohne Zweifel daffir, dag die Halluzinationen nicht im Sehzentrum entstehen, sondern

1) Zitiert nach Goldstein (vgl. I. c., S. 83).

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irgendwo anders. Es sind also Halluzinationen nieht den Perzeptionen sondern den Vorstellungen analoge Phi~nomene."

Wer die Erregung der spezifisch-optischen Sinneszentren, der St~tten der direkten optisehen Impressionen, fiir unerl~tBlich zur Entstehung yon Gesiehtshalluzinationen hSlt, wird dureh dieses Vorkommnis vor ein kaum 16sbares l~ tse l gestellt. G o l d s t e i n glaubt eine LSsung ge- funden zu haben. Er h~lt die ,,Annahme, dab zum Zust~ndekommen vollkommener Gesiehtsbilder die gleiehzeitige TStigkeit beider Seh- zentren notwendig .sei, nieht so ohne weiteres als sicher riehtig." ,,Aueh der Hemianopische vermag sieh vollkommene Gesiehtsfelder zu ver- sehaffen, indem er dutch Augenbewegung vermittels des ibm t~brig- gebliebenen Gesiehtsfeldes die AuBenwelt abtastet", d .h . indem er, was er auf den ersten Bliek nicht erfassen konnte, in einem weiteren Blick oder in mehreren weiteren Blicken mit entspreehend geSnderter Riehtung zu erfassen trachtet. Ist dies aber riehtig? Kann sieh der Hemianopisehe auf diesem Wege tin vollkommenes , , G e s i c h t s b i l d " versehaffen? Durchaus nieht; was er sieh versehaffen kann, ist nieht t in vollkommenes Gesichtsbild, sonderu eine vollkomme~m Vor - s t e l l u n g . Ein vollkommenes Gesiehtsbild kann er sieh darum nicht bilden, weil das erste Teilbild gar nieht mehr da ist, wenn er das zweite erlebt; eine vollkommene Vorstellung aber kann er sieh auf dem Wege eines ausgesprochen ,,intellektuellen" Zusammenfassungsaktes bilden, weil er die auf Grund des ersten Sinneseindruekes gewonnene (Wahr- nehmungs-)Vorstellung festhalten und daher mit der weiteren bzw. den weiteren Teilvorstellungen entsprechend verbinden kann. Er be- finder sieh in einer i~hnliehen Lage wie der Gesunde, der sieh eine Totalvorstellung z .B. eines Turmes versehaffen will, den er, ganz in ~einer Nahe stehend, nieht mit einem Sehlage, sondern nur in Teflen, zu t~berblicken vermag. ,,Vollsti~ndige Halluzinationen", d .h . Halluzina- tionen, die dem Kranken einen g a n z e n Gegenstand, den er wegen seiner Hemianopsie nieht mit einem Blieke tiberschauen k6nnte, mit einem Schlage zeigen wtirden - - und um solche handelt es sich ja - - , lassen sich also auf dem von G o l d s t e i n angegebenen Wege nicht erkli~ren, es mtiI~te sich denn um Halluzinationen handeln, bei welehen die Miterregung <les Sinneszentrums tiberhaupt nicht in Betracht kommt (siehe oben); ~olche hat G o l d s t e i n aber gewil~ nicht im Auge. - - Der M6glichkeit derartigen Uberlegungen l~aum zu geben, hat sich G o l d s t e i n aber dadurch beraubt, da{~ er nicht zwischen Sinneseindruck und Wahr- nehmungsvorstellung unterscheidet~). So erkli~rt sich, nebenbei be-

1) Goldsteins Unterseheidung zwisehen einer ,,sinnliehen" und diner ,,rein intellektuellen Komponente" der Wahrnehmung besagt etwas ganz anderes; dean das ,,Sinnliche" ist nach unserer Auffassung auch in der Wahrnehmungs- vorstellung enthalten.

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merkt, auch die im Anschlusse an die oben zitierten vorgebrachte J~uBerung G o l d s t e i n s : ,,Es ist auch wohl kaum anzunehmen, dal~ etwa die sinnlichen Residuen der Wahrnehmungen in beiden Sehfeldern analog der Verschiedenheit der ihnen entsprechenden different anzu- nehmen wgren." Unseres Erachtens ist es nicht nur nicht anzunehmen, sondern geradezu ausgeschlossen, dab die V o r s t e l l u n g e n , welche durch ,,Wahrnehmungen in beiden Sehfeldern" gewonnen werden, von- einander in dem von G o l d s t e i n bezeichneten Sinne different seien; dagegen ist es nicht nur anzunehmen, sondern geradezu als selbstver- sti~ndlich anzusehen, dab sich die S i n n e s e i n d r t i c k e in beiden Seh- feldern und damit auch ,,die sinnlichen Residuen der Wahrnehmungen", worunter ja nichts anderes verstanden werden kann als die Residuen des Sinneseindruckes, ,,analog der Verschiedenheit der ihnen ent- sprechenden Gesich~sfelder" unterscheiden, d .h . dab der eine Sinnes- eindruck die rechte, der andere die linke Pattie des Gegenstandes be- trifft. - - G o l d s t e i n erklart weiter: ,,Der grSBte Tell des corticalen Sehfeldes steht wahrscheinlich iiberhaupt nur in sehr loser Beziehung zu unseren Wahrnehmungsresiduen, als deren Depot wir wohl wesent- lich nur die zentrale Projektion der Macula anzusehen haben. Dafiir spricht die bekannte Effahrung, dab wir immer, wenn wir uns ein Objekt genau einpr~gen wollen, dieses mit der Macula abtasten; daffir spricht vor allem die Tatsache, dab bei doppelseitiger Hemianopsie kein Verlust der Erinnerungsbilder zu bestehen pflegt, so lange ein zentrales Ge- sichtsfeld erhalten ist, dab dagegen, wenn auch dieses geschwunden ist, ,,eine sehwere Schi~digung des optischen Gedi~chtnisses und der optischen Phantasie eintri t t" (Niess l y o n M a y e n d o r f ) . . . Ver- legen wir aber den Erwerb der Erinnerungsbilder wesentlich in die Macula, so f~llt ein wesentlicher Unterschied zwischen den mit den rechten und mit den linken Netzhauth~lften gewonnenen Eindrticken ohne weiteres weg. Es ist deshalb anzunehmen, dab sich die sinnlichen Erinnerungsbilder, die in beiden Sehzentren deponiert sind, nicht wesent- lich voneinander unterscheiden, wodurch sich wohl am besten die nor- male Perzeption bei Fehlen einer ganzen Hemisphere erkl~rt. - - Be- steht diese Anschauung zu Recht, so ist ohne weiteres klar, dab v o l l - s t i~nd ige G e s i c h t s h a l l u z i n a t i o n e n d u r e h e i n s e i t i g e R e i z e entstehen kSnnen." Richtige, wenigstens zum grSl]ten Teile riehtige, Beobachtungen in unseres Erachtens unrichtiger Beleuchtung! Es ist riehtig, dab wir die Objekte ,,mit der Maeula abtasten"; unrichtig aber ist es, dat] wir dies tun, um uns dieselben genau ,,einzupragen", das Abtasten hat vielmehr ~uni~chst das m5gliehst d e u t l i c h e Sehen der Objekte zum Zwecke bzw. Ergebnisse, woraus sieh dann weiter das ,,Einpr~gen" in entsprechender Deutl.iehkeit (sc. der Vorstellungen) sozusagen von selbst ergibt, wogegen die I n t e n s i t i~ t der Einpr~gung

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des Sinneseindruekes - - und auf sic kommt es ja in diesem Zusammen- hange welt mehr an als auf die ,,Genauigkeit" - - wohl vor allem yon der Dauer des Eindruckes abhi~ngt, gleichviel ob er aus der Macula oder aus ihrer engeren oder weiteren Umgebung kommen magi). Ganz unrichtig ist offenbar weiter die Annahme, dab aus der Tatsache des ,,Abtastens mit der Maeula" zu schliei3en sei, daB ,,wir wohl wesentlich nur die zentrale Projektion der Macula als Depot unserer Wahrnehmungs- residuen anzusehen haben". Unseres Eraehtens spricht das ,,Abtasten mit der Macula" nur dafiir, (-lab wir a uc h ein ,,Depot" der so gewonnenen ,,genauen" optischen Teilbilder besitzen diirften, nicht abet, dab wit kein ,,Depot" fiir die grSBeren Uberblicksbilder haben. Es ist auch keine Beobachtungstatsache bekannt geworden, die uns die Annahme nahelegen wtirde, dab die Macula in dieser Hinsieht, wie G o l d s t e i n meint, ein nahezu ausschlieBliches Privilegium besitze. Und was nament- lich die Halluzinationen betrifft, welehe wir durch Miterweekung der betreffenden Sinneseindrticke zu erkl~iren geneigt sind, kann sehon gar nieht behauptet werden, dab sic daftir sprechen; dean man kann nicht einmal yon einer deutlichen Pr~valenz von Halluzinationen, welchen Erinnerungsbilder entspreehen, deren ,,Erwerb" wir ,,wesent- lich in die Maeula" zu verlegen hi~tten, reden, geschweige denn davon, da[t ausschlieBlich solche Halluzinationen vorki~men. - - Schlieftlich darf nieht iibersehen werden, daf~ G old s t ei n mit seiner Argumentierung den Streitpunkt versehoben hat. Das Wesentliche an dem Problem der ,,vollsti~ndigen Halluzinationen bei Hemianopsie" liegt darin, wie man sich erkli~,ren soll, dab in diesen Halluzinationen aueh diejenigen Teile der (halluzinierten) Gegenst~nde enthalten sind, welche vom Kranken n i c h t g l e i e h z e i t i g mit den anderen w a h r g e n o m m e n werden k6nnten, weil sie nach der ganzen Sachlage (grol3er Umfang bei geringer Distanz usw.) in den Bereich seines Gesichtsfelddefektes fallen mtiBten. Go lds t e in setzt abet an die Stelle der so charakterisierten Halluzina- tionen solche, denen Erinnerungsbilder entsprechen, deren , ,Erwerb" wir ,,wesentlieh in die Macula" oder gar nur in die eine (die, kurz gesagt, gesunde) H~lfte der Macula zu verlegen h~tten - - also Halluzinationen, fiir welche der Gesichtsfelddefekt bedeutungslos ist. D.h . G o l d s t e i n verli~i~t das Thema quaestionis und macht eine Diversion auf eine Saehe, die an sieh tiberhaupt kein Problem bietet; derek, dab Gegensti~nde, die nach der Saehlage ,,vollst~ndig" wahrgenommen werden kSnnen, auch ,,vollst~ndig" halluziniert werden k6nnen, war yon vornherein nieht fraglich.

Unseres Erachtens ist die Erkl/irung ftir das Vorkommen ,,voll-

1) Da das ,,Abtasten'" mit enormer Raschheit vor sich geht, is~ did Dauer der Eindriicke seitens der einzelnen Maculateilbilder eine /iuBerst geringe. Die Aus- sichten auf eine intensivere ,,Einpr/igung" sind also gerade fiir sie nicht groil.

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st~ndiger" Halluzinationen bei Hemianopsie wieder darin zu suchen, dab zur Entstehung yon Gesichtshalluzinationen die Reperzeption im o p t i s c h - k i n ~ s t h e t i s c h e n Impressionsfelde allein schon genfigti). dab dazu also die im optisch-sensorischen Felde, im eigentlichen optischen .Sinneszentrum, gar nicht unbedingt erforderlich ist.

Diese Auffassung lieBe sich nut dann nicht halten, wenn es sich er- geben sollte, dab ,,vollst~ndige" Gesichtshalluzinationen auch dann vorkommen, wenn durch den pathologischen ProzeB (Herderkrankung) nicht nur das optisch-sensorische, sondern auch das optisch-kini~sthe- ~ische Feld tier einen Seite ausgeschaltet ist. Wie ein Uberblick fiber die einschli~gige Literatur lehrt, sind aber Fi~lle dieser Art bisher nicht beobachtet worden.

Das Auftreten ,,vollsti~ndiger" Halluzinationen bei Hemianopsie kann also ebensowenig als Argument gegen die Lehre yon der Reper- zeption gelten wie das yon Halluzinationen im hemianopischen Ge- sichtsfelde.

Dagegen werden wir durch die Betrachtung dieser Halluzinationen yon dem bezeichneten Gesichtspunkte aus zu einer Reihe von Uber- legungen hinfibergeleitet, welche yon nicht geringer Bedeutung ffir die ganze Lehre yon der Rezeption sind.

G o l d s t e i n ffihrt (loc. cir.) aus: ,,Wenn wir eine Vorstellung (es .sei hier der Einfachheit halber zun~chst eine optisch-taktile gew~hlt) in uns waehrufen, so haben wir zuni~chst das Bewu~tsein eines Kom- plexes r~umlicher Verhi~ltnisse; von da aus klingen mehr oder weniger deutlich die sinnliehen Bestandteile der Farbe, der Tastempfindung, der Bewegungsempfindung an. Den wesentlichen Bestandtefl optisch- taktiler Wahrnehmungen repr~sentieren aber in der Erinnerung die r~umlichen Vorstellungen derselben. - - J~hnlich wie mit den optisch- taktilen Vorstellungen, wenn auch nicht so durchsichtig, verh~lt es sich mit den akustischen. Auoh die akustische Wahrnehmung enthi~lt neben einem sinnlichen Faktor einen intellektuellen, der sich als Er- fassung des Verh~ltnisses der T6ne zueinander darstellt. Diese eigen- artige In terval lvors te l lung. . . l i~t sich ebenfalls auf motorische An- teile zurfickffihren. S t o r e h hat es wahrscheinlieh gemacht, dab die Stelle der Augenmuskulatur bei den Gesichtswahrnehmungen hier die l~Iuskulatur der phonetischen Organe einnimmt. Mit jedem Laut kom- biniert sieh eine bestimmte Bewegungskombination der diese erzeugenden

1) Es kSnnte sein, da~ auf diese Weise mehr lichtschwache und farblose, ,,schattenhafte" Halluzinationen, ein bloBes ,,Gestalten-Sehen", zustande kommt. Aus der Schilderung, welche die Autoren yon den ,,vollst~ndigen" Halluzinationen geben, ist leider nicht sicher zu entnehmen, ob diese Hal|uzinationen in der Regel einen derartigen Charakter haben oder nicht - - auch nicht, ob vielleicht in dieser Hinsicht Differenzen der dem rechten und dcr dem linken Gesichtsfelde angeh6rigen Partie des halluzinierten Gegenstandes bestehen.

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phonetischen Muskeln. . . AuBerdem existiert ffir alle akustischen Wahrnehmungen eine dem Einstellreflex des Auges entsprechende, allerdings viel unvollkommenere Einstellbewegung des Ohres und ganzen KSrpers . . . Die Erinnerungsbitder akustischer Wahrnehmungen enthalten bei den meisten Menschen nur sehr wenig Sinnliches; was zuriickbleibt, ist wesentlieh die Vorstellung der TSne zueinander, die sog. Intervallvorstellung." ,,Zeigen die akustischen Erinnerungsbilder schon bei einer grof~en Anzahl Menschen nur eine reeht geringe Re- produktionsf~higkeit, so tritt dies bei den olfactorischen und gusta- torisehen in noeh wait h6herem MaBe hervor . . . Die Menschen, die sieh den Gerueh einer Rose oder den Geschmaek einer Speise frei repro- duzieren kSnnen, gehSren zu den Ausnahmen." Dies liegt daran, weil ,,aueh hier nieht die spezifisch sinnlichen Bestandteile in die Vorstellungen eingehen, sondern die sie be.gleitenden r~umlichen Momente, die wegen ihrer Unbestimmtheit recht schlechte Abbilder der wirklichen Wahr- nehmungen sind". - - ,,t~berall finden wir als das Wesentliehe der Vor- stellung einen eigenti~mliehen psyehisehen Vorgang, der sich auf die die spez i f i s chen E m p f i n d u n g e n b e g l e i t e n d e I n n e r v a t i o n b e s t i m m t e r M u s k e l g r u p p e n zurtickfilhren l~Bt. Wir verstehen daraus einerseits, warum die Erinnerungsbilder des Gesichts- und Tast- sinns, deren Wahrnehmungen von einer ausgesprochensten Muskel- tatigkeit stets begleitet sind, so sehr viel ausgeprs sind als die des Geschma.cks und Geruchs, deren Wahrnehmungen fa.st v611ig der motorischen Komponente entbehren."

In zwei Punkten stimmen wir wohl mit Go lds t e in nicht iiberein: erstens ist es n~mlieh unseres Erachtens unrichtig, wenn Go lds t e in in diesem Zusammenhange das ,,BewuBtsein des Komplexes r~umlieher Verh~ltnisse" und dessen, was sonst noch gleicherweise ,,auf motorische Anteile" zuriickgefiihrt wird, als , , i n t e l l ek t ue l l en" Faktor dem ,,sinn- lichen" Faktor gegeniiberstellt, gr~indet sich doeh die ,,spezifische raumliche Vorstellung"l), wie Go lds t e in an anderer Stelle selbst er- kI~rt, auf ,,Muskelaktionen", bzw. auf die aus ihnen resultierendea ,,Muskelempfindungen", zweitens gilt, was G o l d s t e i n in der zitierten Bemerkung sagt, unseres Erachtens nicht vom Wachrufen der Vor- stellung schleehtweg, der r e i n e n Vorstellung, wie wir sagen, sondern von jenem V0rgange, den wir als Belebung der Vorstellung bezeiehnet haben, von dem Vorgange also, der zur Gewinnung einer l e b h a f t e n Vorstellung ftihrt. Mit diesem Vorbehalte nehmen ~4r aber Golds te i ns Ansicht voll an: in der Tat gelangt, wenn wir es zu einer lebhaften Vorstellung zu bringen suchen, zun~chst das motorisch Fundierte, also bei der Gesichtsvorstellung die Formkomponente, zu einem mehr oder

1) Um die r/iumliche Vorstellung hande]t es sich hier, nicht um den l%aum Ms ,,apriorische" Form unserer Anschauung.

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wenigor hohen Grad von Lebhaftigkeit und erst dann beginnt aueh die betreffende s p e z i f i s c h sinnliche Komponente, also bei der Ge. sichtsvorstellung die Helligkeits- und Farbenkomponente, Lebhaftigkeit zu gewinnen.

Diese Tatsache mul~ uns auf den Gedanken bringen, dab wir jenen Innervationsvorggngenl), welchen wir zungchst die Belebung der Vor- stellungen hinsichttich des rhumlichen Momentes u. dgl. zu verdanken haben, zugleich eine a l l g e m e i n e Bedeutung ffir die E i n l e i t u n g : des Reperzeptionsvorganges zuzuerkennen haben.

Der Hergang k6nnte folgender sein: Dutch die Innervat ionsakte - - ihre Ausl6sung braucht selbstversti~ndlich nicht dutch eine absiehtlich direkt auf sie gerichtete Intention herbeigefiihr~ zu werden, sondern kann sich scho~ aus dem blol~en Streben nach einer l e b h a f t e n Vor- stellung ,,yon selbst" ergeben ~ werden zuni~chst entspreehende Be- wegungsempfindungen hervorgerufen. Wie ? Auf welchem Wege ? Zweier,- lei ist da denkbar; entweder k6nnte es durch die Innervation 2) tatsi~chlieh zu einem Ansatz-zu den in Betracht kommenden ,,Muskelaktionen'.' (Er~ hShung der Spanmmg in den betreffenden Muskeln o..dgl.) und so~ - - indirekt - - auch zur Hervorrufung der entsprechenden kini~sthetisehen Empfindungen kommen, oder aber, was uns als wahrseheinlieher erscheint, es ist (lurch das Vorhandensein geeigneter (,,assoziativer") Wege vom Innervationsfelde zum Felde der kini~sthetisehen Empfin-- dungen (resp. zwischen den diesen beiden Funktionen dienenden eor- ticalen ,,Elementen") die M6glichkeit far eine sich aussehtie$1ich im Cortex abspielende, also sozusagen direkte, Anregung des letzteren vom ersteren her geboten. Sei es nun so oder so, ist die Anregung im kin-. iisthetischen Gebiete einmal erreicht, so ist damit ein Faktor wach- gerufen, der auch die Reperzeption in dem jeweils in Frage kommenden spezifisch sinnlichen Gebiete, also z .B. bei Gesichtsvorstellungen im spezifisch-optischen Felde, begtinstigen mul3, da man ja jedenfalls innige Assoziationen zwischen den versehiedenen Feldern t in und des- selben Sinnes anzunehmen hat.

1) Golds~ein schildert diese Vorg~lge an Beispielea treffend wie folgt:- ,,Ich stelle mir eine StraBcnlaterne vor, deren G]asgeh~use etwas komplizierte rs Verh~ltnisse bietet, und mix nur unklar zum Bewu~tsein kommt. Jetzt fiihre ieh in der Vorstellung meine Augen die einzelnen Kanten des Geh~uses entlang und zugleich wird mit dem BewuBtwerden gewisser Bewegungsempfindungen die r~iumliche Vorstellung selbst klarer. Das gleiche finder start, wenn ich mir passiv meine Hand in die der vorzustellenden Form cntsprechenden Stellungen bringen lasse, d. h. die Bewegungsempfindungen ]ebhaft anrege. Die Bedeutung der Be- wegungsempfindungen fiir die Festsetzung der Vo~tellung liegt also in der leb- hafteren Anrcgung der r~umlichen Momente der Vorstellung, die sie veranlassen."-

~) Es ist tibrigens fraglich, ob wirktiche I n n e rvat io n erforderlich ist oder o b ,

nieht vielmehr die I n t e n t i o n zur I nne rva t i on geniigt.

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274 J. Berze :

Es zeigt sich also ein W e g z u r R e p e r z e p t i o n f ibe r die Mo- t o r i k , wie wir kurz sagen mSchten, ein Weg, der die ganze Lehre von der Rezeption vielleicht auch denen akzeptabler erscheinen 1ABt, welche sich gegen die Annahme einer ,,rficktAufigen" Erregungswelle aus- sprechen zu mtissen glauben - - sie mfiBten denn aueh die Annahme gangbarer Verbindungen vom Innervations- zum zugeordneten kin- Asthetischen Felde ablehnen, woffir unseres Erachtens aber plausible Grfinde durchaus nicht vorliegen.

Erst die Berticksichtigung der R e p e r z e p t i o n bzw. dessen, was man etwa an ihre Stelle setzen will, um den Tatsachen, die wir auf die Reper~eption beziehen, gerecht zu werden, 1ABt uns u .a . auch klar sehen, was v o n d e r angeblichen Lokalisation der W o r t v o r s t e l l u nge u resp. Sprachvorstellungen; zu halten ist.

DaB wir beim Studieren der Aphasien auf Schritt und Tri t t auf Er- scheinungen stoBen, welche die Lokalisation der Sprachvorstellungen unbedingt zu beweisen scheinen, ist nicht zu leugnen. Es kann aber unseres Erachtens t rotzdem gezeigt werden, dab diese Annahme, die seit der Entdeckung der , ,Sprachzentren" yon den meisten Autoren geradezu ffir unwiderlegbar gehalten wird, auf einer irrigen Austegung der Tatsachen beruht.

Es muB daran festgehalten werden, dab die Hauptfunkt ion der Sprachzentren in der V e r m i t t l u n g der Spraehe zwischen AuBenwelt und BewuBtsein (und umgekehrt) besteht, und zwar in der Weise, dab auf der rezeptorischen Seite eine Arbeit geleistet wird, die vielleicht als Z u s a m m e n f a s s u n g (sc. der akustischen Perzeptionen zum Wort usf.) zu bezeichnen ware, auf der emissorischen Seite hinwiederum eine Arbeit, die sich als Z e r l e g u n g (sc. des Wortes in die zur richtigen Aussprache derselben erforderlichen Teilintentionen) darstellt. DaB es durchaus nicht zu rechtfertigen ware, aus d i e s e r Funktion ein Argument ffir die Annahme der Lokalisation der Wortvorstellungen abzuleiten, steht fest; die Engramme sind nicht Residuen von Vorstellungen, sondern Residuen yon VorgAngen, die einerseits (receptorische Seite) der Erweckung der nicht lokalisierbaren Vorstellungen, andererseits (emissorische Seite) der Ubertragung der yon den nicht lokalisierbaren Vorstellungen her ins Sprachmotorium gehenden (Sprach-) Impulse auf dieses dienen.

Wie steht es nun aber um die weitere Funktion, welche diese Zentren hinsichtlich der ,,i n n e r e n" S p r a c h e erffillen ? Spricht die SchA- digung der ,,inneren" Sprache durch Li~sionen im Bereiche der Sprach- zentren nicht klar und deutlich fiir die Lokalisation der Wortvor- stellungen ?

Es herrseht auf diesem Gebiete grol~e Verwirrung, die vor allem daher s tammt, dab niemand genau zu sagen weii~ und die wenigsten

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Zur Frage der Lokalisation der Vorstellungen. 275

sich iiberhaupt Klarheit dartiber zu verschaffen versucht haben, wie es um die re ine Wortvorstellung bestellt ist, wie sie im Bewut3tsein erscheint, mit welchen ,,Etementen" sie ausgestattet ist, und dab es daher den meisten ganz entgangen ist, dal~ das, was sie als Wortvor- stellung ansprechen, siclierlich - - wenigstens in der Regel - - e twas ande res ist als eine re ine Vorstellung, und zwar, wie wir glauben, jenes andere, das aus der reinen Vorstellung erst wird, wenn zu ihr das Plus hinzutritt, welches, wie oben ausgeftihrt wurde, das Ergebnis tier R e p e r z e p t i o n ist, und zwar im speziellen Falle der Reperzeption, die far gew6hnlich wohl weir vorherrschend im akustischen Gebiete erfolgt, in manchen Fallen allerdings (verschiedene T~3pen!) auch, aber wohl nie ausschliel31ich, alas sprach-kinasthetische Gebiet betrifft, dab also die Wortvorstellung, wie sie gewShnlich genommen wird, kurz gesagt, eine l e b h a f t e Vorstellung - - ,,lebhaft" im Sinne der obigen Ausfiihrungen - - ist.

Was uns in dieser Auffassung best~rken mug, ist die Tatsache, dab die Symptome, welche man auf eine ,,StSrung der inneren Sprache" zu beziehen pflegt, fast ausnahmslos vonde r Art sind, da$ sie, wie mehr oder weniger leicht zu erkennen ist, auf die Unf~thigkeit, es zu l e b h a f t e n Wortklang- bzw. Wortlautvorstellungen zu bringen, und nicht auf einen Verlust bzw. auf eine schwere Schgdigung der r e i n e n Wortw~rstellungen zurtickgeftihrt werden k6nnen.

Ein Kranker, dem die reinen ,,Wortvorstellungen" an sich schon fehlten, kSnnte nut vonder Existenz tier Worte wissen, d. h. sich dessert bewuftt sein, dal3 es far diesen oder jenen Gegenstand bzw. Gegenstands- teil, Vorgang, Zustand usw. ein ganz bestimmtes Wort gibt, mfil3te aber nicht nut aul3erstande sein, sich yon dem speziellen Wortlaute ,,ein Bild zu machen", sondern auch ganz unfi~hig sein, ein ihm auf irgendeinem gangbaren Wege yon aul3en her tibermitteltes Wort als richtig zu erkennen, bzw. als unrichtig zu verwerfen, weft dazu der Vergleich mit der Wortvorstellung nStig ist. Das dies je bei einem auf einer circumscripten L~i~sion beruhenden ~alle yon Aphasie zugetroffen habe, ist nun abet durchaus nicht erwiesen. Dagegen hat sich v. Mona- kow, wie schon einmal erw~hnt, ,,durch wiederholtes Ausfragen yon Aphasierekonvateszenten (namentlich der sensorischen Aphasie) iiber- zeugt, da$ bei dem Aphasischen, mit StSrung der inneren Sprache, der Besitz und der Gebrauch der Wortbilder und S~tze keineswegs ausgefaUen ist - - wie die Aphasiekranken denn auch selber genau wissen, da$sie falsch operieren, daher, nach den richtigen Bestandteflen, die ihnen gleichsam auf der Zunge liegen, suchen - - sondern sie kSnnen den Besitz nicht mehr aktivieren, und zwar meistens nur von ganz be- stimmten Richtungen nicht (vom Klangbild oder vom Schriftbild, yon der Apperzeption usw.)." Die Aphasiekranken kSnnten nicht ,,genau

Z. f. d. g. Neut . u. ]Psych. O. X L I V . 19

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276 J. Berzs :

wissen, dab sie falsch operieren", sie kOnnten auch nicht , ,nach den rich- t igen Bestandte~len suchen" bzw. die Leis tung des Anerkennens der richtigen, des Verwerfens der unr icht igen , ,Bestandtei le" aufbringen, ~ e n n sie nicht aufter dem Wissem um die Exis tenz des Wortes auch

noch ein gewisses Wissen um die F o r m des Wortes, um den W o r t -

l a u t , hi~tten. Was ihnen aber dieses l e t z t e r e Wissen verschafft, das ist die (reine) Wortvors te l lung. Jene , ,Aphasiekranken mit StSrung

der inneren Sprache" sind also im Besitze von Wortvors te l lungen,

allerdings aber nur yon r ei n e n Wortvors te l lungenl) . U nd was jedem

einzelnen Aphasischen an sprachlichen Vorstel lungen fehlt, sind erst die

l e b h a f t e n Wor tvors te l lungen 2) im Bereiche des Sinnesgebietes, in

1) Die rei ne Gesichtsvorstellung ist (vgl. oben) ein blokes Wissen (in der Vor- stellung) yon der Form, Farbe usw. eines Sehgegenstandes, die l ebhaf te Gesichts- vorstellung dagegen ein tats~chliches Gegcnw/~rtighaben (in der Vorstellung) der Form, Farbe usw. selbst.. Ebenso ist die r e ine akustische Wort:corstellung blog ein Wissen yore Klange des Wortes - - und erst die l ebhaf te , d. h. die durch aku- stische Reperzeption belebte, akustische Wortvorstellung ist ein tats~chlichcs Gegenw~rtighaben der Klangform des Wortes. Und gleich ist auch das Verh~ltnis zwischen der reinen und der lebhaften motorisch-kin~sthetischen Wortvorstellung.

2) Es soll nicht fibergangen werden, dab der Verlust der Lebhaftigkeit der Wortvorstellungen vielen, vielleieht den meisten, Betroffenen subjektiv als eine mehr oder weniger schwere Beeintr~chtigung der ,,inneren Sprache" fiihlbar werden mu6 - - dies dcswegen, weil wir alle gew6hnt sind, mehr oder weniger l ebha f t e Woctvorstellungen (und zwar in der Regel akustische Wortvorstellungen) zu haben und uns ihrer bei den verschiedenen im engeren nnd weiteren Sinne spraehlichen Leistungen zu bedienen, der einzelne Kranke daher um so weniger imstande sein wird, sich mit reinen (nicht lebhaften) Wortvorstellungen zu behelfen, den Ab- gang der Lebhaftigkeit der Wortvorstellungen somit um so mehr vermissen wird, je ausgesprochener diese bei ihm unter normalen Verh~ltnissen gewesen ist, und derjenige, dessen Wortvorstellungen vorher eine habituelle Lebhaftigkeit be- sonders hohen Grades aufgewiesen haben, durch den Verlust der Lebhaftigkcit der Wortvorstellungen sogar nahezu so schwer betroffen werden mu$, als hiitte er diese Vorstellungen selbst verloren - - ganz besonders in der ersten Zeit nach Eintritt dieser Ver~nderung, w~hrend sieh in der Folge Mler(lings eine mehr oder weniger weitgehende Anpassung an die neuen Verh~ltnisse einstellen kann. - - DaB unsere Wortvorstellungen so gewShnlich I qb h a f t sind, d. h. daI~ uusere Wortvorstellungen so leicht dureh akustische Reperzeption den Charakter der Lebhaftigkeit annehmen, beruht zweifellos auf einem Umstande, den die Autoren meinen, wenn sic sagen, da[.~ generell ,,fiber den Sehliffenlappen gesprochen'" werde (vgl. u. a. Hell b r o n n e r in L e w a n d o w s k y s,,Hand buch"); denn mit dieser Inanspruchnahme des Schli~fen- lappens beim Sprechcn ist offenbar ganz gewShnlieh auch ein gewisser Grad yon akustischer Reperzeption verbunden, die aus der reinen eine mehr oder weniger lebhafte Wortvorstellung werden l~.6t. Infolge dieser g e n e r e l l e n Reperzeption beim Sprechen geht iibrigens die Auslbsung der Reperzeption vonde r (reinen) Wortvorstellung mit soleher Leichtigkeit vor sich, daI~ sie nicht nur beim Spreehen, sondern auch dann in gewissem, individuell verschiedenem Grade eintritt, wenn die Wortvorstellung zu anderem Zwecke aktiviert wird. So aueh beim ])enk-n, namentlich beim ,,abstrakten" Denken. - - Offenbar ist nebenbei bemerkt, die akustischc Reperzeption beim Sprechen nur ein, alIerdings besonders wiehtiger,

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Zur Frage der Lokalisation der Vorstellungen. 277

dem die StSrung sitzt. So wei/.~ der sensorisch Aphasische um die akustische Form des einzelnen Wortes (er hat eine reine akustische Vorstellung des Wortes); aber er kann es nicht zu einer l e b h a i t e n akustischen Vorstellung des Wortes bringen, weil dazu die geperzept ion im akustischen Gebiete erforderlich ware, welche jedoch durch die Lgsion eben verhindert ist. Dieser Mangel wird stets zu St6rungen {iihren, w o e s auf die Lebhaftigkeit der akustischen Wortvorstellung ankommt ; so vor allem beim Sprechen. Der Gesunde spricht m i t Z u h i l f e n a h m e des S c h l i ~ f e n l a p p e n s (nicht einfach ,,fiber den Schl~tfenlappen", wie gewShnlich gesagt wird) und zieht daraus einen doppelten Gewinn: erstens wird auf diesem Wege (Reperzeption) die r e i n e Wortvorstellung zur l e b h a f t e n vers t i rk t und dadurch in ihrer eigenen Wirksamkeit auf das Feld der Sprechengramme (motorischen Sprachengramme) gef6rdert, zweitens geht yon der miterregten akusti- schen Sph~tre zugleieh ein d i r e k t e r Impuls ins Sprachmotorium ab, welcher der Wortvorstellung durchaus adiiquat ist und daher die Treff- sicherheit ihrer eigenen Wirkung erh6ht bzw. sie erst schafftx). In dem- selben Male, in dem der sensorisch-Aphasisehe dieser MiVhilfe der akustischen Sph~tre entbehrt, muft sich bei ihm U n s i c h e r h e i t in der Aktivierung der entsprechenden Sprechengramme - - im Auftreten p a r a p h a s i s c h e r St6rungen - - zeigen, wie dies ja tatsi~chlich zutrifft. Selbstversti~ndlieh bleiben ja wohl bei ausschlieBlicher Schi~digung des a k u s t i s c h e n Sprachgebietes noch a~(lere Reperzeptionsm6glichkeiten (kinisthetisehe, optische) tibrig; doch ist die Nolle der akustisehen Reperzeption auf dem Gebiete der S1)rache im allgemeinen eine so

Spezialfall, der dem a l lgemeinen Prinzip entsprieht, dal] die Lebhaftigkeit dann yon besonderer Bedeutung ist und daher auch intendiert wird, wenn es sich um die Erzielung eines dem Inhalte der betreffenden Vorstellungen mSglichst genau ad/~quaten motorischen Erfolges handelt. So wird eine mSglichst lebhafte optische bzw. kin/~sthetische Vorstelhmg zur korrekten Ausffihrung einer noch nicht genfigend eingeiibten und daher sozusagen noch nicht selbst/~ndig (zu einer ,,Fertigkeit") gewordenen Handlung erforderlich sein, wh'd der bildende Ktinstler, besonders wenn er nieht ,,nach der Natur" arbeitet, auf mSglichst lebhafte optische, der Tonkfinstler auf m 6glichst lebhafte akustische Vorstellungen angcwiesen sein usf. Je nach Anlage und Obung gibt es in diesem Punkte zweifellos recht weitgehendo individuelle Differenzen.

x) Derart ,,konkurrierende Erregungen", wie man sagen.kSnnte, spielen fiber- haupt, wie es scheint, eine nicht unbetr~ichtliche Rolle (und zwar nicht nur auf dem Gebiete der Sprache) in gfinstigem oder abet im ~mgiinstigen Sinne. In unserem Falle unterstiitzt die yon der aknstischen Sph/~re her bewirkte sozusagen pr/~pa- ratorische Erregung im Sprachmotorium den yon der psychischen Sph/ire (yon der reinen Wortvorstellung) ausgehenden Impuls. Die nach der Aktivierung eines be- stimmten Sprechengrammcs zurfiekbleibende erhShte Disposition dieses Sprechen- grammes zur abermaligen Aktivierung stellt umgekehrt eine ,,konkurrierende Erregung" dar, welche leieht zu jener St5rung fiihren kann, die in persevera- tor iscb bedh~gten paraphasischen Fehlreaktionen zutage tritt.

19"

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weitaus dominierende, dab sie, auBer vielleicht bei den mehr oder weniger ,,motorischen" Typen, durch die Reperzeption in einem anderen Sinnes- gebiete wohl kaum in einem halbwegs nennenswerten MaBe ersetzt werden kann.

Wie mit den akustischen verhglt es sich aber auch mit jeder anderen Art von Wortvorstellungen: es gibt keincn auf eircumscripter Li~sion beruhenden Aphasiefall, der bewiese, dab es auf Grund einer derartigen L~tsion zum Ausfalle irgendwelcher Wortvorstellungen in r e i n e r Ge- stalt kommen k6nne; dagegen kommt es jedesmal zur Herabsetzung bzw. zum Verluste der Fi~higkeit der Bildung l e b h a f t e r Wortvor- stellungen auf dem Sinnesgebiete, welches jeweils von der Li~sion be- troffen ist, - - weil durch diese die Reperzeption im Gebiete dieses Sinnes erschwert worden oder geradezu unmSglich geworden istZ).

Es kann also behauptet werden, dab aueh die ,,StSrungen der inneren Sprache" kaum je v o n d e r Art sind, dab sich aus ihnen ein sicheres Argument fiir die Annahme der Lokalisierbarkeit der Vorstellungen ableiten lieSe.

Nicht.geleugnet soil, wie bereits an mehreren Stellen erwi~hnt worden ist, werden, dab tier Verlust eines Engrammfeldes nicht selten StSrungen mit sich bringt, deren Wesensart auf einen Verlust der betreffenden Vorstellungen selbst zu weisen scheint. Da aber in anderen sonst ganz gleich liegenden Fifllen diese StSrungen nicht zu konstatieren sind bzw. aus den Angaben der Kranken nicht auf ihr Vorhandensein zu schliel3en ist, wird man wohl berechtigt sein, hier individuelle Differenzen 2) anzunehmen in dem Sinne, dab gewisse Personen zu be- stimmten geistigen Leistungen l e b h a f t e r Vorstellungen, d .h . also der ungestSrten Reperzeption, bedtirfen, wi~hrend andere dieselben Leistungen sehon unter Verwendung der einfaehen (reinen) Vorstellungen zustande zu bringen vermSgen und daher in dieser Hinsicht vom Stande der ReperzeptionsmSgliehkeit im ganzen unabhiingig sind. Freilich hat der Hinweis auf individuelle Differenzen wie immer so aueh in diesem Falle alas MiBliche an sieh, dab ihm gegentiber der Einwand naheliegt, mit der Annahme individueller Differenzen lasse sich schliel31ieh alles

1) Abgesehen davon, dab auch hier wieder im Laufe der Zeit ein ,,Abblassen" der (reinen) Vorstellungen infolge Verminderung, bzw. Wegfa]les der Auffrischung durch Anregung yon der Peripherie her, eintreten mul3.

2) Individuelle Differenzen im Bereiche des Vorstellungslebens sind schon vo~ vielen Autoren betont worden. Goldstein (Zur Theoric der ttalluzinationen) betont nach einem Hinweise auf Galton, Fechner , H. Meyer u. a . . . . dab die Reproduktionsf/~higkeit der sinnlichen Komponente der Wahrnehmung nicht bei allen Menschen in gleichem MaBc vorhanden ist". ,,Es liegt. . , die Annahme nahe, dab ftir jeden Menschen auf jcdcm Sinnesgebiete eine bestimmte obere Grenze der sinnlichen Lebhaftigkeit der Erinnerungsbilder bes~eht, d ie . . , yon der An- lage und (Tbung im einzelnen abh/~ngig sein diirfte.. 2'

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Zur Frage der Lokalisation der Vorstellungen. 279

beweisen. Aber um einen Beweis handelt es sich in diesem Falle gar nicht, sondern nur um eine E r k l ~ t r u n g ffir Erscheinungen, die f t ir die Annahme der Lokalisation zu sprechen seheinen, wahrend unseres Erachtens die Unhaltbarkeit dieser Annahme bereits als auf Grund anderer Anhaltspunkte erwiesen anzusehen ist.

Zudem daft nicht vergessen werden, daI3 neben der Herderkrankung immer auch der Zustand der Gesamtrinde zu berticksiehtigen ist. Wie wichtig eine regelmi~Bige und nicht bloI3 gelegentliche Beaehtung dieses Momentes fiir die ganze Lokalisationslehre ist, hat bekanntlich in letzter Zeit wieder v. M o n a k o w besonders deutlich gezeigt. Und dazu f~llt noch ins Gewicht, dab v. M o n a k o w in der Regel Grund hatte, sich bei seiner Argumentierung auf die s e h w e r e n ,,diffusen Rindenver- hnderungen", wie z. B. ,,die diffusen Gefhl3ver~tnderungen" bei Fi~llen von malacischen Herden, zu beschri~nken, w~hrend zur Herbeiffihrung der StSrungen im Bereiche des Vorstellungslebens bei im Sinne einer habituell sti~rkeren Inanspruchnahme der l~eperzeption Veranlagten, bereits reeht geringftigige diffuse Rindenver~nderungen, wie sie bei der groI3en Mehrzahl der Herderkrankungen, welche die tatsi~chliche Grundlage in Lokalisationsfragen abgeben, gegeben sein dtirften, und aueh solche schon, die sich einstweilen dem anatomischen Naehweise und vielleicht auch der Erkennung auf Grund anderweitiger psyehiseher StSrungen entziehen, ausreichen dtirften. Es liegt ja auf der Hand, da~ sich ffir den, kurz gesagt, reperzeptiv Veranlagten, ebenso auch ffir den im Laufe des Lebens an die Reperzeption GewShnten 1) und daher von ihr auch abh~tngig Gewordenen, da sie ja schon durch die aus der Herderkrankung resultierende UnmSglichkeit (oder doeh ver- minderte MSglichkeit) der Rep.erzeption selbst schwer betroffen sind, auch eine noch so geringe diffuse Rindenveri~nderung von schwer nach- teiligen Folgen ftir das Vorstellungs- wie ftir das hShere, auf Vorstellungen basierende Geistesleben 2) b'egleitet sein mul3, zumal diese Personen zur Erzielung des Ausgleiches des durch die StSrung bzw. den Verlust der l~eperzeption bedingten Defektes ihrer Vorstellungen im Grunde sogar eine "gegenfiber der zur Zeit vor der Erkrankung (Li~sion) erforderlieh gewesenen erhShte psychische Leistung aufzubringen h~tten. Und w~hrend bei Personen, die weniger reperzeptiv veranlagt sind, die

1) Goldstein sagt (l. c.): ,,Es ist kein Zufall, daft sehr ]ebhafte sinnliche Erinnerungsbilder so h~ufig bei Kiinstlern, Frauen und Kindern gefunden werden (vgl. Fechner; besonders auch Galton), also bei ]ndividuen, deren ]nteresse im allgemeinen mehr auf die sinnliche Komponente der Wahrnehmung a]s auf die nichtsinnliche gerichtet ist, dab im Gegensatze hierzu die sinnlichen Erinnerungs- bilder der Gelehrten meist so schwach sind."

2) Gemeint sind Begriffsbildung auf Grund yon Vorstellungen, Denkt~tigkeit, Wahlakte, Strebungen, sprachliche j~ul3erungen und psychische Vorg~nge aller Art, soweit sie des AnstoBes seitens der Vorstellungen bediirfen.

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Insuffizienz in der I{egel nur dann, wenn die besonders qualifizierte, die lebhafte Vorstellung notwendig ist, zutage treten wird, mui3 sie dem reperzeptiv Veranlagten auch dann schon ffihlbar werden, wo es blol3 auf Vorstellungen von gew6hnlicher Ausbildung und Intensitat ankommt.

Jedenfalls spitzt sich, wie man sieht, die ganze Frage der Lokali- sation der Vorstellungen darauf zu, ob die Annahme als zureichend be- griindet anzusehen ist oder nicht, daf~ die bei Herderkrankungen von entsprechender Lokalisation in Erscheinung tretenden Mi~ngel der Vor- stellungen, soweit sie nicht etwa in die Herderkrankung begleitenden diffusen Veri~nderungen der l~inde begrfindet sind, auf die durch die Erschwerung bzw. UnmSglichkeit der Reperzeption bedingte Beein- tri~chtigung bzw. den durch sie bedingten Verlust der Lebhaftigkeit der Vorstellungen auf dem in Betracht kommenden SinnesgCbiete zuriick- zuftihren seien. Wer die Auffassung der Lebhaftigkeit der Vorstellung als Ergebnis der Reperzeption verwerfen zu miissen oder etwa gar die Existenz des Reperzeption genannten Vorganges bestreiten oder doeh in ihrer Ver- wendung zur Begrfindung der bezeiehneten Auffassung nichts underes als ein billiges Auskunftsmittel von zumindest zweifelhafter Berechtigung erblicken zu mtissen glaubt, wird nach wie vor geneigt sein, aus den bei Herderkrankungen beobachteten M~ngeln der Vorstellungen auf eine Lokalisation der Vorstellungen zu sehliel~en und die Tatsache, dal3 in solchen Fi~llen nicht ein vSlliger Verlust, sondern blof3 ein mehr oder weniger weitgehendes ,,Abblassen" der Vorstellungen zu konstatieren ist, immer wieder auf Reehnung der Unvollkommenheit der L~sion zu setzen, mag diese nun erwiesen sein oder - - wie in der Regel - - nicht. Wer aber die Annahme der [r und ihrer grof3en Bedeutung im physiologisehen wie im pathologisehen Geistesleben anerkennt und die hier vertretene Ansicht, daI3 die Lebhaftigkeit der Vorstellungen auf Reperzeption beruhe, ftir richtig h~ilt, wird zugeben mtissen, daf~ dem Schlusse aus den bei Herderkrankungen in Erscheinung tretenden M~ngeln tier Vorstellungen auf die Lokalisation der Vorstellungen jede Berechtigung fehlt. - -

Wenn nun nicht nur, wie allgemein angenommen wird, der Wille die Gedanken, die Geftihle, sondern weiters, wie wir meinen, aueh die Vorstelhmgen - - inklusive der Wahrnehmungsvorstellungen, also aueh der Wahrnehmungen, deren integrierender Bestandteil sic sind - - nicht lokalisiert sind, was 4)leibt denn dann an lokalisiertem Psyehisehem iiberhaupt noch tibrig ?

Als einfaehster psyehiseher Vorgang wird gewShnlieh die E m p- f i n d u ng, d. h. der Vorgang, durch welehen eine Impression, worunter die rein somatisehe Wirkung eines in dem betreffenden Sinnesprojektions- felde anlangenden Reizes zu verstehen ist, bewul~t (zu einem Bewul3t-

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Zur Frage der Lokalisation der Vorstellungen. 281

seinsinhalte) wird, angesehen. Und als selbstverst~tndlich gilt es daher den meisten Vertretern der Lehre der Lokalisation p s y c hi s c her Vor- g~nge, dab vor allem die Empfindungen lokalisiert seien. - - Aber diese Auffassung ist falsch von Grund auf. Es ist ja richtig, daB, was Emp- findung genannt wird, ein auf ,,unmittelbares" Erleben zurtickzuftihren- der BewuI3tseinsinhalt yon hSchster qualitativer Einfachheit ist. Daft aber aus dieser Einfachheit der Empfindung als Bewul3tseinsinhalt auch auf die Einfachheit des psychischen V o r g a n g e s der Empfindung ge- schlossen werden ? Genau betrachtet, ist die Annahme, dab letzteres der Fall sei, nur darin begriindet, dab man einen Gesichtspunkt, der ftir den rein somatischen Tell der Sinnesreizaufnahme (Rezeption) in den Projektionsfeldern gilt, ohne jede Berechtigung auch auf den psychischen Perzeptionsvorgang angewendet hat. Es unterliegt ja keinem Zweifel, dab die (rein somatische) Gesamtimpression im Pro- j ektionsfelde aus der Summation yon Einzelimpressionen, die mittets der einzelnen Nervenfasern zugeleitet werden, hervorgeht. Dal~ dasselbe aber auch fiir den psychischen Vorgang der Perzeption gelte, d .h . dab jede Impression zun~chst einzeln perzipiert werde, mit dem Er- gebnisse: Empfindung, und dab dann erst die so einzeln gewonnenen Empfindungen im Psychischen zusammengeftigt werden, mit dem Er- gebnisse: Wahrnehmung, ist nichts als ein naiver Glaube, dem schon die einfache Tatsache entgegensteht, dal3 die isolierte Empfindung als solche im konkreten Erleben nicht vorkommt, sondern stets einen Teil yon Wahrnehmungen bildet (vgl. E i s 1 e r) and dal3 die Empfindung blo~ als das durch psychologische A n a l y s e zu gewinnende Element der Vorstellung (vgl. W u n d t ) anzusehen ist. Wenn wir aber diejenigen Verhi~ltnisse zu Rate ziehen, unter denen nur die allerprimitivste psy- chische T~tigkeit entwickelt wird, die uns also dartiber belehren kSnnen, worin der einfachste psychische Vorgang bestehe, kommen wit zur Er- kenntnis, dal3 gerade das Gegenteil der Annahme, da~ dieser in einem Geschehen, welchem das bewui~te Erleben der isolierten Empfindung entspr~che, zu erblicken sei, zutrifft. Gehen wir zun~,chst der ersten Entwicklung des psychischen Lebens nach, suchen wir uns eine Vor- stellung yon dem Bewu!~tseinsinhalte des Neugeborenen zu machen, so kSnnen wir zu keinem anderen plausibeln Ergebnisse kommen, als dal3 in seinem Bewu[ttsein nichts anderes sei als ein nach Einzelheiten

"noeh nicht differenzierter G e s a m t ei n d r u c k, eine ,,verworrene Vor- stellung" (vgl. L e i b n i z ) , welche die psychische Reaktion auf die Ge- samtheit der zur Zeit yon allen Sinnesprojektionsfeldern her wirkenden Impressionen darstellt. Aus diesem allumfassenden Chaos heben sich dann unter dem Einflusse der verschiedensten Faktoren (sti~rkere In- tensiti~t, oftmalige Wiederkehr gewisser Impressionskomplexe, ,,Affekt- betonung", welche einzelne Impressionskomplexe durch ihre Beziehung

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282 J. Berze :

zu Strebungen erhalten) im Laufe der Zeit immer mehr Teileindriicke ab, d. h. es kommt zur Wahrnehmung yon ,,Gegenstgnden", indem diese sozusagen aus der Gesamtmasse herausgehoben, herausgegriffen (,,apper- zipiert") werden. Auch die Wahrnehmungen sind zungchst wohl noch ,,verworren" im frtiher erwghnten Sinne, gehen sozusagen erst nut auf das Ganze; die weitere Entwicklung geht aber dann dahin, dab immer mehr Einzelheiten an den Gegenstgnden fiir sich erfaI3t werden, so dab die Gegenstandswahrnehmung immer detaillierter und damit immer ,,deutlicher" wird. Damit, dab die ftir sich erfal3ten Einzelheiten dan~ welters immer subtiler, immer ,,einfacher" werden, n~hert sich die. Teilwahrnehmung immer mehr der ,,einfachen Empfindung", ohne sie ~ber je zu erreichen; denn auch die allereinfachste Wahrnehmung bleibt eben doch immer noch eine Wahrnehmung, der ein sozusagen psychisch unspaltbarer Impressionskomplex entspricht. Also nicht ein Fortschreiten yon den ,,einfachen" Empfindungen zu den Wahrneh- mungen und schliel31ich zur Erfassung der Gesamtsituation, sondern gerade umgekehrt ein Fortschreiten vom indifferenzierten Gesamtein- druck zur immer mehr ins Feine gehenden Heraushebung des einzelnen z) ! - - Ebenso bleibt in Zust/inden, und zwar physiologischen und patho- logischen, in welchen die psychische Funktionsbereitschaft auf ein Minimum reduziert ist, sich die psychische T~tigkeit auf die einfachsten Akte beschr~nkt, nicht anderes tibrig als ein vager, undifferenzierter, der jeweiligen impressipnalen Gesamtsituation entsprechender Total- eindruck, aus welchem sich nur ab und zu unter dem Zwange intensiverer Impressionskomplexe eine oder .die andere Gegenstandswahrnehmung mehr oder weniger deutlich abhelSt.

Aus diesen Tatsachen ergibt sich far uns der SchluB, dab auch die ,,allereinfachste" Wahrnehmung - - isolierte Empfindungen far sich werden, wie erwghnt, wahrscheinlich iiberhaupt nie bewuBt - - gleich den komplizierteren und kompliziertesten Wahrnehmungen auf Grund eines Affiziertwerdens des G e s a m t bewul3tseins zuwege kommt, indem auch sie erst sozusagen sekund~r durch den psychischen Akt der Wahr- nehmung aus dem momentanen Gesamteindruck herausgehoben wird.

Wie bei einer solchen Sachlage daran zu denken sein solle, dab die ,,einfachsten" Wahrnehmungen, d. h. die einfachstcn Impressionskom- plexen als l~eaktion im Psychischen entsprechenden Wahrnehmungen - - die Empfindungen, wie gewShnlich gesagt wird - - im Gegensatze zu den komplizierteren (Gegenstands-)Wahrnehmungen lokalisiert seien, ist unerfindlich.

z) Umgekehrt geht oft der Aufbau eines komplizierteren Gegenstandskomplexes aus vorher einzeln Erfal3tem im BewuBtsein vor sich. Aber dieser sekund/ire, bereits ausgesprochen ,,intel]ektuelle" Vorgang daft mit dem ursprtinglichen Gange der Wahrnehmung an sich nicht verwechselt werden.

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Zur Frage der Lokalisation der Vorstellungen. 283

Es hat demnach unseres Erachtens v. M o n a k o w voll recht, wenn er (1. c., S. 897) sagt: ,,Es ist vor allem zu betonen, daB, wenn auch die- corticalen ,Sinnessphiiren' zweifellos primiire Eintrittspforten (hSchst- wahrscheinlich nicht die einzigen) far die aus den einzelnen Sinnes- organen flieBenden Erregungswellen darstellen, hieraus noch nicht die Berechtigung abgeleitet werden daft, die elementaren p s y c h o - physio- logischen Vorg~nge, welche sich an die erste corticale Inanspruchnahme der Sinnessphis kniipfen, ebenfalls in die Schranken der betreffenden Sinnessph~re oder in die dieser benachbarten, sch~rfer begrenzten Windungsbezirke zu verlegen. Viel cher diirfte die Auffassung be- friedigen, dab schon bci einem psychischen Vorgang, wie cr ctwa der ,,Anschauung" oder ,,Apperzeption" der Psychologen entspricht, ii b e r- die g a n z e I{ inde d i f f u s s ich v c r b r e i t e n d e N e u r o n e n k o m - - p le x e nebst der Subst. molecularis unter fortgesetzter Wechselwirkung- in Anspruch genommen werden (wenn auch sclbstverst~ndlich in zeitlich und 6rtlich nicht gleichmi~f~iger Wcise)"x).

Also: V o m P s y c h i s c h e n is t t i b e r h a u p t n i c h t s , auch der ein-- fachste psychischc Vorgang nicht, l o k a l i s i e r t . Wo das Psychische. beginnt (Wahrnehmung) hSrt das Lokalisierte (Sinnessph~tren) auf, um auf der anderen Seitc crst wieder einzusetzen (motorische Innervations- felder), wo das Psychische bereits aufgehSrt hat. Oder mit anderen Worten: Lokalisiert ist nur das Vorpsychische (Sensorische) und daa Nachpsychischc (Motorische), nicht aber das Psychische selbst.

Und der Funktionsinhalt der Engrammfelder, ist der nicht p s y - c h i s c h e r (pri~ziser: psycho-physiologischer) Natur, wird man fragen, wo doch die Gnosien wie die Praxien zweifellos psychischer Erwerb sind (Sehen-Lerncn, HSren-Lernen usw., Erlangung motorischer ,Fert ig- keiten", vor allem der Sprache), und steht diese Tatsache nicht mit der

1) Was die Erw/~gungen betrffft~ welche fiir v. Monakow mal3gebend waren, diese Ansicht zu vertreten, k6nnen wir ihm allerdings nicht immer folgen. So, wenn er (1. c., S. 685) sagt: ,,Reine Einzelsinneswahrnehmungen sind meines Er- achtens nur bei ganz jungen Kindern mSglich, wo Kombinationen in ausgedehn- teren Verbgnden noch nicht stattgefunden haben. Nur beim Kinde l~$t sich daher an eine gewisse Lokalisation von Wahrnehmungen denken. Was sich aber urspriing- lich in Gestalt 5rtlicher Vorg~tnge einzeln, d. h. fiir sich abspielte, wird unter fortwirkender wechselwirkender Mitbetatigung yon zahlreichen nerv6sen Ver- b/~nden im Cortex zum Gemeinbesitz der ganzen Rinde, in welcher der ur- spriingliehe Mutterboden fiir die perzeptiven Akte vielleicht nur noch die Bedeu- tung einer AuslSsungsst/~tte besitzt." Aus unserer Darstellung geht hervor, dalt wir an eine ,,Lokalisation von Wahrnehmungen" unter keinen Umst/inden, auch beim Kinde nieht, denken kSnnen. Wenn v. Monakow eine solehe MSglichkeit often 1/~13t, zeigt er, da] er die letzte Konsequenz in der Frage der Lokalisation noch nicht gezogen hat -- wahrscheinlich, weft er vom Wesen des Wahrnehmungs- vorganges eine Ansieht hat, mit der sich die Annahme einer Lokalisation immerhir~ noch vertriige.

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Annahme, dab das Psychisehe ohne Ausnahme nieht lokalisiert sei, in direktem Widerspruche? - - Aber eine solche Meinung kann nur aufkommen, wenn man nieht unterscheidet zwischen der psychischen Funktion selbst und ihren Ergebnissen. Bei der Elektrolyse scheidet sich der eine Bestandteil der zersetzten Substanz an der Anode, der andere an der Kathode aus; trotzdem fi~llt es niemandem ein, zu behaupten, das A g e n s der Elektrolyse sei an den Elektroden lokalisiert. Die Augenwelt (einschlieglieh des eigenen K6rpers) bildet mit der psychischen Sphi~re - - bildlich gesproehen - - einen Stromkreis, die Projektions- felder sind dabei die Sti~tten einerseits des Einbruehes der Erregungs- wellen in die psychisehe Sphere, andererseits ihres Austrittes aus dieser, sind die Bertihrungsfl~tehen der psychischen Sph~tre mit dem Sensorium und dem Motorium, in deren Umgebung sich daher unter der Einwirkung der psyehisehen Funktion die , ,Formen" ansetzen, in welehe in Hin- kunft das Sensorisehe erst ,,gegossen" wird (vgl. R i e g e r , fiber Apparate in dem Hirn, 1909), bevor es den Wahrnehmungsvorgang erregend auf die psychische Sphere wirkt (sensorische Engramme), in welche anderer- seits in H/nkunft die yon der psychisehen SphSre ausgehende Intention erst ,,gegossen" wird, bevor sie auf die motorischen Felder wirkt (mo- torisehe Engramme). Was in den Engrammfeldern ,,niedergelegt" ist, ist also nicht psychisch seinem Wesen nach, sondern nur seiner Genese nach. Es vollzieht sieh auch in ihnen selbst niehts Psychisehes, sondern, wie bereits erw~hnt, nur die Vermittlm:g zwisehen dem Sensorischen und dem Psychisehen einerseits, dem Psychisehen und dem Motorischen andererseits. Die (relative) Lokalisation der Engrammfelder steht also mit der Behauptung, dab das Psyehisehe ausnahmslos der Lokalisation entbehre, keineswegs in Widersprueh.

Die Perspektive, die sieh somit ffir die L o k a l i s a t i o n s f o r s e h u n g im gel~ufigen Sinne ergibt, ist folgende: N u r das S e n s o r i s c h e u n d das M o t o r i s e h e , einschlieglich der Vermittlungsapparate zwisehen Sensorisehem bzw. Motorisehem und Psyehischem, kann i h r G e g e n - s t a n d sein. Und ihre Erfolge werden um so gr6Ber und um so ge- sicherter sein, je mehr sie lernen und darauf bedaeht sein wird, das Sensorisehe und Motorische mSglichst rein aus dem Psyehisehen zu 15sen und so jede Vermengung und Verweehslung des Sensorisehen mit dem Psyehischen, das sieh an das Sensorisehe knfipf.t, sowie des Moto- risehen mit dem Psyehischen, das dem Motorisehen voraufgeht, zu vermeiden.

Was aber die ein gesehlossenes Ganzes bildende psyehisehe Sphhre der Hirnrinde darstellt, wird sieh vielleieht einmal eine G l i e d e r u n g in S c h i c h t e n (vgl. u .a . W e r n i e k e , K r a e p e l i n ) m i t v e r s e h i e - d e n e m , , F u n k t i o n s i n h a l t " , im Sinne des Gebundenseins gewisser spezieller Leistungsergebnisse der einheitliehen psyehisehen Funktion

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an die einzelnen Schichten, erweisen lassen. Einstweilen haben wires abet noch nicht einmal zu sicheren Anhaltspunkten ffir das Gegebensein einer solchen Differenzierung tiberhaupt, geschweige denn ftir das 1)rinzip, nach welchem die einzelnen Schichten zugehSrigen psychischen Teilvorg~nge etwa differieren, gebracht. DaB die Aufdeckung des Tat- si~chlichen auch auf diesem Gebiete eine Aufgabe der Lokalisations- forschung im w e i t e r e n Sinne ist, wird selbstversti~ndlich nicht bestritten.