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Zur Methodik der Geschwindigkeitsmessung im Nerven

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Page 1: Zur Methodik der Geschwindigkeitsmessung im Nerven

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(Aus dem physiologischen Institut der Universitht KSnigsberg i Pr.

Z u t M e t h o d i k d e r G e s e h w i n d i g k e i t s m e s s u n g ira N e r v e n .

Von

L. H e r m a n n .

In einer dankenswerthen experimentellen Arbeit Ober die Leitungsgeschwindigkeit im Riechnerven des Hechtes macht G. Fr. N i c o 1 ai 1) eine in der Hauptsache zutreffende Bemerkung tiber die Schlasse aus Geschwindigkeitsmessungen nach dem H e l m h o l t z - schen Prinzip. Da dieselbe aber den Gegenstand nicht erschSpft, halte ich es fur natzlich, darauf zur{]ckzukommen.

Hat man zwei Reizstel]en a und b am Nerven, b sei dem Erfolgs- organ n~ther, so ist es, wie N i c o l a i richtig bemerkt, unzul~ssig, die Diffe�9 der beiden Latenzzeiten Z y Z~.allgemein gleich der Zeit zu setzen, welche die Erregung zur Zuriicklegung der Strecke ab gebraucht hat. Denn wenn z. B. die Leitung mit beschleunigter Ge- schwindigkeit erfolgte, so wt~rde die Strecke von b bis zum Erfolgs- organ weit schneller zurt~ckgelegt werden, wenn die Erregung von a, als wenn sie von b ausgeht; die obige Betrachtung setzt aber offert- bar die Leitungszeit zwischen b und dem Erfolgsorgan in beiden Vergleichsversuchen als gleich voraus.

N i c o l a i meint nun aber irriger Weise, der obige Schluss sei

nur bei gleichmassiger Geschwindigkeit zul~tssig. Er ist vielmehr, wie leicht einzusehen ist, auch dann richtig, wenn die Leitungs- geschwindigkeit ungleichm~ssig ist, aber an jeder Stelle nur von der Beschaffenheit jedes durchlaufenen Nervenelementes abhangt; denn auch in diesem Falle bleibt die Zeit, welcbe die Erregung von b bis zum Endorgan verbraucht, von der Reizstelle unabh~ngig. Ein all- gemeiner analytischer Beweis ist unten S. 192 Anm. gegeben.

1) Dieses Archiv Bd. 85 S. 65. 1901. Siehe daselbst S. 77 ff.

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190 L. Hermann:

Ein andere5 praktisch weniger erheblicher Irrthum liegt in den von :Nico la i benutzten Schematen. Es ist ganz richtig, dass wir durch die Bestimmung einer Leitungszeit im Nerven niemals direkt

die Geschwindigkeit, sondern immer nur die mittlere~ oder besser gesagt, die Totalgeschwindigkeit 1) er�9 d. b. diejenige Ge-

schwindigkeit, welche anzunehmen sein wtfrde, wenn die ganze Strecke mit gleichfSrmiger Geschwindigkeit durchlaufen worden wi~re.

Aber unrichtig ist es, dass diese Totalgeschwindigkeit bei gleich- massiger Beschleunigung oder gleichmiissiger Verlangsamung gleich

der mittleren, d. h. der in der Mitte der Strecke vorhandenen, zu setzen sei. Denn wenn wir z. B. eine gleichmassige Beschleunigung e) annebmen, so ist, wenn der Nerv die x-Axe bildet,

d x d T ~ c ~ - k ( x - - x o),

worin c die Anfangsgesehwindigkeit an der Reizstelle xo und k eine

Konstante bedeutet. Dann ist die von Xo bis ~ verbrauehte Zeit x

t ~ f_ dx 1 c + k ( x - - x ~ ) + k (x--Xo) -~ ]~ log nat j e �9 C

X o

Die hieraus sich ergebende Totalgeschwindigkeit ist, wenn wir die Strecke x - - x o --~ 1 setzen,

1 k l V t - - - - - - ~ -

t log nat �99 + kll'c/

Ist k l nicht gr5sser als c, d. h. vermehrt sich die Geschwindig-

keit in der Strecke l nicht bis tiber das Doppelte, so k0nnen wir

rien Logarithmus in eine nach Potenzen von k fortschreitende Reihe

entwickeln, und erhalten, da ( k l ) kl k~F ks13

lognat l ~ c - - c 2c 2 + 3c 8 -+" " ' "

1) Dieser Ausdruek ist analog dem l~ngst gebr~ur ,Totalindex der Krystalllinse ~' fiir den Index der sabstituirten homogenen Linse von gleicher Form und ]3rennweite.

2) Selbstversti~ndlieh ist hier unter gleichmi~ssiger Beschleunigung oder Ver- langsamung immer nur eine solche nach der zuriickgelegten Strecke und nieht (wie beim freien Fall) naeh der Zeit verstanden, und so ist es auch bel Nicolai der Fall. Eine solehe Besehleunigung kSnnte etwa mit der Pfltiger'schen Vorstellung vom lawinenartigen Anschwellen der ablauf› Erregung in Zu- sammenhang gebracht werden.

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Zur Methodik der Geschwindigkeitsmessung im Nerven.

dureh Ausfiihrung der Division den Werth k l k 2 l ~ k 8 1 a

v t ~ ~ - c + 2 1 2 c - l - 2 4 c ~ - ' + " " ' "

wi~hrend die mittlere Geschwindigkeit ist

v,~--~ c + k l 2 "

Es ist also bei gleichmi~ssiger Besehleunigung

v,,~ ~ Vt.

Bei gleiehmi~ssig verlangsamter Leitung ware

d x - - c - - ~ ( x - - x o ) ,

d t

woraus sich auf gleichem Wege ergiebt 1 c 1 ( ~ l )

t = ~ log - - . c - - k ( X - - X o ) k l~ 1 - - - -

Die Entwieklung naeh Potenzen von k ergiebt hier k 1 k 21 ~ k 8 l a

v e = c - - - ~ - - 1 2 ~ - - 24c -~ . . . . '

k l wi~hrend v,~,, = c - - - -

2 " Hier ist also eben�9

Vin ~ Vt,

Die N i e o l a i ' s e h e Annahme ist also

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gr6sser der Beschleunigungsko• k und je l~nger die Strecke~

und ist erst dann richtig, wenn die Beschleunigung oder Verlang- samung so klein ist, dass man die Glieder mit k ~ und hSheren

Potenzen vernaehl~ssigen kann. Es ist also aueh in demselben Grade ungenau, dass das Verh/~ltniss der Totalgesehwindigkeiten bei langer

und kurzer Streeke dem Beobaehter bei gleiehm/~ssiger Besehleunigung ebenso erseheinen muss, wie bei geradliniger Abnahme der/)rtliehen Geschwindigkeiten.

Um zu entseheiden, ob die Gesehwindigkeit gleiehm/~ssig ist, oder sieh, sei es naeh dem Orte, sei es naeh der L~nge der durch- laufenen Streeke, ~ndert, muss man die beiden Reizstellen l~tngs des

Nerven versehieben, oder, was auf dasselbe hinauskommt, mehr als

zwei Reizstellen haben. Wir wollen der Einfachheit halber an- nehmen, dass zwei Reizstellen a und b bei konstantem Abstande 1 verschoben werden.

Wenn man weiss, dass die Geschwindigkeiten nur von den Orten

abhangen, so folgt aus den obigen Ausfahrungen ohne Weiteres,

um so ungenauer, je

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192 L. Hermann:

dass die Differenz der Latenzzeiten )~~ - - )~b, welche ja hier die zwischen a und b verbrauchte Zeit wirklich darstellt, direkt Aufschluss giebt

t~ber die Geschw]ndigkeit in der Strecke a b ; und somit t~ber die ganze Kurve der Geschwindigkeiten, wenn man nur die Strecke liber

den ganzen Nerven wandern lltsst, und so kurz macht, wie es die

Genauigkeit des Verfahrens gestattet. Ob aber die Gesehwindigkeiten nur vom Orte abhi~ngen, kann

man d~durch ents~heSden, dass m~n die beiden l~eizstellen a und b

fest liegen l~tsst, aber den Abstand des Erfolgsorgans variirt. Dies

letztere ist aber nur dann mi)glich, wenn man als Erfolg den phasischen Aktionsstrom am Langsschnitt, oder weit einfacher, wie

es ja in der N i c o l a i ' s c h e n Arbeit geschehen ist, die negative Schwaakung des Demarkationsstroms nimmt. Man braueht dann

nur die GrOssen )~~ und L~ einmal bel vol]er Lange des Nerven, einmal nach Anlegung eines ni~heren Querschnitts zu bestimmen.

Aendert sich hierbei die Differenz )~y - - L~ ni c h t , so h~mgen die Ge- schwindigkeiten nur vom Orte ab. Aendert sie sich, so muss ein

Einfluss der durchlaufenen Strecke, also Beschleunigung oder Ver,

langsamung vorliegen. Der Sinn dieses Einflusses ist stets bestimmbar. Folgende Be-

trachtung gilt ganz allgemein, sowohl far gleichmi~ssige wir flir un-

gleichmhssige Beschleunigungen resp. Verlangsamungen. Ist die Geschwindigkeit irgend eine Funktion der zurlickgelegten

Strecke, so ist far die Stelle x, wenn Xr die Reizstelle:

d x d~ = f ( x - - x~),

und die von xy bis x verbrauchte Zeit

X

f f g x - - T ' ( x - - x,.) - - F (0), t - = ( x - - - x 0

Xr d x

wenn T'(x) das allgemeine Integral von - f (~b eze i ch n e t . Sind nun

zwei Reizstellen a und b vorhanden, und p der Abstand zwischen b

und dem Erfolgsorgan, �9 a b - - - l , so ist Z~~ --- T" (1 + p) - - T" (0) ~~ = T" (p) - T" (o)

also ~ ~~ --4; , ~- T" (l + p) - - F (p) O.

1) Is t die Geschwindigkeit aur vom Ort abh~mgig, so ist ” d~ = f(x),

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Zur Methodik der Geschwindigkeitsmessung ira Nerven. 193

Um zu sehen, ob die Differenz )~~ )~~ mit p z u - o d e r abnimmt. muss man ermitteln, ob

d d�87 [2' (l + p) 2 ' t p ) ]

positif oder negativ ist. Nun ist aber nach der Definition von /~' d F ( x ) 1

d x - - - f ( x ) ; es kommt also darauf an, ob

] 1 f (1 -+-~v) f ( p ) '

al.b. ob f ( p ) - - f (1 + p)

positiv oder negativ ist. Da abe�9 diese Funktionen eben die Ge-

schwindigkeiten nach Zurticklegung der Strecken 2 und 1 + 2 be- deuten, so ist der Ausdruck positiv, wenn die Geschwindigkeit eine verlangsamte ist, d. h. bel jeder Art von verlangsamter Geschwindig-

keit ist die Differenz ~~~--)~~ um so gr6sser, je grOsser p, d. h. je

entfernter vom Erfolgsorgan die Strecke ab liegt. Ist die Differenz bei kleinerem Abstand vom Erfolgsorgan grSsser, so ist umgekehrt die Geschwindigkeit besehleunigt.

Es lassen sich hiernach alle VerhMtnisse vollstandig ermitteln,

ausser wenn die Geschwindigkeit s o w o h l vom Ort als auch von der Lange der zuriickgelegten Strecke abhi~ngt. Dann wird man

niemals etwas ganz Bestimmtes �9 kSnnen.

In den von N i c o l a i herangezogenen Versuchen H. M u n k ' s ' ) , welche Verf. leider nicht ira Original nachgesehen zu haben scheint, waren drei Reizstellen von gleichen Abstanden vorhanden, und M u n k

rand die Differenz zwischen den Latenzzeiten bei oberer und mittlerer Reizstrecke sehr riel grSsser als bei mittlerer und unterer. Es war

X2

f d x und t - - j f (~ -- F(x~) -- F(xl).

Xl

Liegt nun das Erfolgsorgan an der Stelle x - - w, so ist bel Reizung in xl und in xz: ~~.~ - - F ( w ) - - F ( x ~ )

~~~ - - F ( w ) F ( x ~ ) ,

also ;t~,~ - - ).x~ ~ . " ( x 2 ) F ( x l ) ,

d. h., wie schon oben angeftihrt, die Differenz der Latenzzeiten gleich der zwischen beiden Reizstellen verbrauchten Zeit, und unabhhngig von der Entfernung des Er�9

1) Arch. f. Anat. u. Physiol. 1860 S. 798. Siehe daselbst S. 819.

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also die Differenz �9239 eine gleich lange Strecke kMner, wenn sie dem Muskel n~ther lag. Hiernach war, wie M u n k auch ganz richtig

schliesst, entweder die Fortleitung eine verlangsamte, oder die dem Musl~el nhhere Strecke schneller leitend, oder es war beides der

Fall l) . Durch einen Versuch mit negativer Schwankung (s. oben)

wiirde man zwischen den beiden ersteren M5glichkeiten haben ent- scheiden kSnnen. Wohl in Fo]ge eines sinnstSrenden Schreib- oder Druckfehlers in der M u n k ' s c h e n Arbeit ~) sind die Schlasse mehr-

fach in Referaten ungenau und selbst verkehrt wiedergegeben worden. So wird in einem Referat von J. R o s e n t h a 18) �9 eine Arbeit

von H e l mh o 1 t z und ebenso an der von Ni c o 1 ai citirten Stelle meines Handbuchs 4) falschlich M u n k die Behauptung einer be- schleunigten Leitung zugeschrieben. Das Einzige, was N i e o l a i

M u n k vorwer�9 kann, ist, dass er ira Resum› statt von Differenz der Latenzzeiten zweier Reizstellen von der zwischen beiden ver- brauchten Leitungszeit spricht. Der gezogene Sehluss ist trotzdem

richtig.

Dass sp~tere Untersucher, besonders die letzten, R. du B o i s - Re y m o n d und E n g e 1 m an n, die Leitungsgeschwindigkeit im

Nerven abweichend von M u n k gleichfSrmig gefunden haben, ver- mindert, so lange die Frage nicht far alle erregungsleitenden

Organe endg~ltig entschieden ist, das Interesse der von ~ i c o l a i

und mir behandelten Fragen nicht. Aber schon die Verpflichtung, meine und Anderer Darstellung des M u n k ' s c h e n Resultates zu be- richtigen, wird diese kurze Arbeit rechtfertigen.

1) Strenggenommen giebt es noch eine vierte MSglichkeit, n~tmlich, dass das eine zutrifft, und vom andern das Gegentheil, der erstere Einfluss aber i]berwiegt.

2) 0ffenbar muss es daselbst S. 819, Zeile 17, D F statt B D heissen. 3) Centr~tlbL f. d. med. Wissensch. 1870 S. 691. 4) Bd. 2 Th. 1 S. 25. 1879.