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RECHTSPRECHUNG 576 MedR 2003, Heft 10 DOI: 10.1007/s00350-003-1026-0 Zur Rechtzeitigkeit der Patientenaufklärung BGB § 823 Der Schutz des Selbstbestimmungsrechtes des Pa- tienten erfordert grundsätzlich, daß ein Arzt, der einem Patienten eine Entscheidung über die Duldung eines operativen Eingriffs abverlangt und für diesen Eingriff bereits einen Termin bestimmt, ihm schon in diesem Zeitpunkt auch die Risiken aufzeigt, die mit diesem Eingriff verbunden sind. Eine erst später er- folgte Aufklärung ist zwar nicht in jedem Fall verspä- tet. Eine hierauf erfolgte Einwilligung ist jedoch nur wirksam, wenn unter den jeweils gegebenen Umstän- den der Patient noch ausreichend Gelegenheit hat, sich innerlich frei zu entscheiden. Deshalb ist bei stationä- rer Behandlung eine Aufklärung erst am Tag des Ein- griffs grundsätzlich verspätet. BGH, Urt. v. 25. 3. 2003 – VI ZR 131/02 (OLG Koblenz) Zum Sachverhalt: Der Kl. begehrt Schadensersatz und Schmer- zensgeld nach zwei vom Bekl. zu 2) im Klinikum der Bekl. zu 1) durchgeführten Bandscheibenoperationen, die nach seiner Behaup- tung zu einer kompletten Lähmung seiner Blase geführt haben. Die Indikation zu der ersten Operation stellte der Bekl. zu 2) an- hand der vom Kl. mitgebrachten Krankenunterlagen am 12. 4. 1989. Weil kein Bett frei war, ließ er den Kl. für den 15. 4. 1989 zur Ope- ration vormerken. Am Nachmittag des 15. 4. 1989, dem Tag der Aufnahme im Krankenhaus, klärte er den Kl. über die Operationsrisi- ken auf. Das vom Kl. unterzeichnete Einwilligungsformular erwähnt hand- schriftlich als mögliche Komplikationen: „Blutung, Nachblutung, ent- zündliche Komplikationen, neurologische Ausfälle“. Gegen 20.00 Uhr erfolgte dann die Operation durch den Bekl. zu 2). Da der Kl. weiterhin über Beschwerden klagte, wurde er in der Klinik der Bekl. zu 1) nach neuerlicher Aufklärung mit Hinweis auf neurologische Ausfälle als Risiko am 26. 5. 1989 erneut operiert. In der Folgezeit kam es beim Kl. zu Blasenentleerungsstörungen in Form einer Blasenlähmung und zu Sensibilitätsstörungen und Lähmungen im Bereich der unteren Extremitäten. LG und OLG haben die Klage abgewiesen. Die Revision des Kl. führte zur Aufhebung des OLG-Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das OLG. Aus den Gründen: I. […] II. […] 1. Die Beschränkung der Revisionszulassung auf die Frage, ob die Aufklärung rechtzeitig erfolgte, hindert den erkennenden Senat nicht, auch zu prüfen, ob das Beru- fungsgericht rechtsfehlerfrei die Überzeugung gewonnen hat, daß der Kl. am 15. 4. 1989 ausreichend aufgeklärt worden ist. Wird die Revision zugelassen, so erfaßt die Zu- lassung den Streitgegenstand, über den das Berufungsge- richt entschieden hat (vgl. Senatsurt. v. 25. 4. 1995 – VI ZR 272/94 –, VersR 1995, 841; BGHZ 141, 232, 233 f.; und 130, 50, 59 m.w.N.; BGH, Urt. v. 5. 2. 1998 – III ZR 103/97 –, NJW 1998, 1138, 1139). Gegen die Auffassung des Berufungsgerichts, daß der Kl. inhaltlich ausreichend aufgeklärt worden sei, ist aus revi- sionsrechtlicher Sicht nichts zu erinnern. a) Die Feststellung des Berufungsgerichts, daß der Bekl. zu 2) den Kl. am 15. 4. 1989 u. a. auf das Risiko einer, möglicherweise auch dauerhaften, Blasenlähmung hinge- wiesen hat, läßt entgegen der Auffassung der Revision einen Rechtsfehler nicht erkennen. […] b) […] c) Ohne Erfolg macht die Revision geltend, das von den Bekl. verwendete „Einwilligungsformular für einen ärztli- chen Eingriff“ sei völlig unspezifisch und unzureichend ge- wesen. Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats bedarf es zum Zwecke der Aufklärung grundsätzlich des vertrauensvollen Gesprächs zwischen Arzt und Patienten, auf dessen Inhalt das Berufungsgericht bei seiner Überzeu- gungsbildung zulässigerweise abgestellt hat (vgl. Senatsurt. v. 8. 1. 1985 – VI ZR 15/83 –, VersR 1985, 361, 362). Das schließt die ergänzende Verwendung von Merkblättern nicht aus, in denen die notwendigen Informationen zu dem Eingriff einschließlich seiner Risiken schriftlich festgehalten sind. Daß der Kl. infolge der Verwendung des Formulars bezüglich der Risiken des Eingriffs, etwa durch deren ver- harmlosende Darstellung, irregeführt worden wäre, ist nicht ersichtlich und wird vom Kl. auch nicht behauptet. 2. Mit Recht wendet sich die Revision allerdings gegen die Auffassung des Berufungsgerichts, daß die Aufklärung am Nachmittag des 15. 4. 1989, des Operationstags, recht- zeitig erfolgt sei. Problemstellung: Der Arzt muß seinen Patienten über Art und Risiken seines Vorgehens nicht nur inhalt- lich zureichend, sondern – außer in Notfällen – auch so frühzeitig aufklären, dass der Patient für seine Entschei- dung das Für und Wider der Maßnahme eigenständig abwägen kann. Die dafür nötige Zeit ist bestimmt durch die Befindlichkeit des jeweiligen Patienten und die Be- deutung der Risiken für seine Lebensführung; abstrakte Fristen gibt es dafür nicht. Allerdings hat der BGH seit langem den Richtsatz entwickelt, dass der Patient bei einem stationären Eingriff spätestens am Vortag (nicht erst: am Vorabend) aufzuklären ist, bei sehr schweren Risiken einige Tage früher. Hierauf haben sich Opera- teur und Krankenhaus organisatorisch einzurichten; wo das aus welchen Gründen nicht rechtzeitig gelingt, muß die Operation grundsätzlich auf später verschoben wer- den. In dieser Verteidigung des Selbstbestimmungspo- stulats gegenüber Einwänden der Behandlungspraxis ist der BGH strikt. Ausnahmen hat er bisher nur für dia- gnostische Untersuchungen und für ambulante Eingriffe zugelassen: um die Behandlung für den Patienten nicht unverhältnismäßig zu erschweren, kann hier – je nach Art und Schweregrad der Maßnahme – eine Aufklärung am Behandlungstag selbst noch rechtzeitig sein, wenn dem Patienten zwischen Aufklärung und Maßnahme Zeit für eine Entscheidung gelassen wird. Im Streitfall ging es um eine stationäre Bandscheiben- operation, über deren Risiken der Patient erst am Ope- rationstag aufgeklärt worden war, obschon der Opera- tionstermin von dem Operateur schon drei Tage vorher festgelegt worden war. Die Vorderrichter hatten das aus- nahmsweise für ausreichend gehalten, weil der Patient den Operationstermin schon seit Tagen kannte, sich nach erfolgter Aufklärung mit Vater und Freund, beides Ärzten, noch telefonisch hätte besprechen können und das Risiko einer Blasenlähmung sehr selten sei. Der BGH indes hat diese Umstände für ein Abweichen von seinen Mindestanforderungen an die dem Patienten zur Entscheidungsfindung einzuräumende Zeit nicht genü- gen lassen. Dazu hat er zudem – obiter – klargestellt, dass der Patient sogar schon am 12. 4. 1989, dem Tag der Festlegung des Operationstermins, hätte aufgeklärt werden müssen. Der (erste) Eingriff am 15. 4. 1998 war deshalb mangels rechtzeitiger Aufklärung als rechtswid- rig zu bewerten und kann – trotz Durchführung lege artis im übrigen – zur Haftung von Operateur und Krankenhaus für die geltend gemachten Schäden führen, wenn und soweit er für sie mitursächlich gewesen sein sollte.

Zur Rechtzeitigkeit der Patientenaufklärung

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Page 1: Zur Rechtzeitigkeit der Patientenaufklärung

R E C H T S P R E C H U N G

576 MedR 2003, Heft 10

DOI: 10.1007/s00350-003-1026-0

Zur Rechtzeitigkeit der PatientenaufklärungBGB § 823

Der Schutz des Selbstbestimmungsrechtes des Pa-tienten erfordert grundsätzlich, daß ein Arzt, dereinem Patienten eine Entscheidung über die Duldungeines operativen Eingriffs abverlangt und für diesenEingriff bereits einen Termin bestimmt, ihm schon indiesem Zeitpunkt auch die Risiken aufzeigt, die mitdiesem Eingriff verbunden sind. Eine erst später er-folgte Aufklärung ist zwar nicht in jedem Fall verspä-tet. Eine hierauf erfolgte Einwilligung ist jedoch nurwirksam, wenn unter den jeweils gegebenen Umstän-den der Patient noch ausreichend Gelegenheit hat, sichinnerlich frei zu entscheiden. Deshalb ist bei stationä-rer Behandlung eine Aufklärung erst am Tag des Ein-griffs grundsätzlich verspätet.BGH, Urt. v. 25. 3. 2003 – VI ZR 131/02 (OLG Koblenz)

Zum Sachverhalt: Der Kl. begehrt Schadensersatz und Schmer-zensgeld nach zwei vom Bekl. zu 2) im Klinikum der Bekl. zu 1)durchgeführten Bandscheibenoperationen, die nach seiner Behaup-tung zu einer kompletten Lähmung seiner Blase geführt haben.

Die Indikation zu der ersten Operation stellte der Bekl. zu 2) an-hand der vom Kl. mitgebrachten Krankenunterlagen am 12. 4. 1989.Weil kein Bett frei war, ließ er den Kl. für den 15. 4. 1989 zur Ope-ration vormerken. Am Nachmittag des 15. 4. 1989, dem Tag derAufnahme im Krankenhaus, klärte er den Kl. über die Operationsrisi-ken auf.

Das vom Kl. unterzeichnete Einwilligungsformular erwähnt hand-schriftlich als mögliche Komplikationen: „Blutung, Nachblutung, ent-zündliche Komplikationen, neurologische Ausfälle“. Gegen 20.00Uhr erfolgte dann die Operation durch den Bekl. zu 2).

Da der Kl. weiterhin über Beschwerden klagte, wurde er in derKlinik der Bekl. zu 1) nach neuerlicher Aufklärung mit Hinweis aufneurologische Ausfälle als Risiko am 26. 5. 1989 erneut operiert. Inder Folgezeit kam es beim Kl. zu Blasenentleerungsstörungen in Formeiner Blasenlähmung und zu Sensibilitätsstörungen und Lähmungenim Bereich der unteren Extremitäten.

LG und OLG haben die Klage abgewiesen. Die Revision des Kl.führte zur Aufhebung des OLG-Urteils und zur Zurückverweisungder Sache an das OLG.

Aus den Gründen: I. […] II. […]1. Die Beschränkung der Revisionszulassung auf die

Frage, ob die Aufklärung rechtzeitig erfolgte, hindert denerkennenden Senat nicht, auch zu prüfen, ob das Beru-fungsgericht rechtsfehlerfrei die Überzeugung gewonnenhat, daß der Kl. am 15. 4. 1989 ausreichend aufgeklärtworden ist. Wird die Revision zugelassen, so erfaßt die Zu-lassung den Streitgegenstand, über den das Berufungsge-richt entschieden hat (vgl. Senatsurt. v. 25. 4. 1995 – VIZR 272/94 –, VersR 1995, 841; BGHZ 141, 232, 233 f.;und 130, 50, 59 m.w.N.; BGH, Urt. v. 5. 2. 1998 – IIIZR 103/97 –, NJW 1998, 1138, 1139).

Gegen die Auffassung des Berufungsgerichts, daß der Kl.inhaltlich ausreichend aufgeklärt worden sei, ist aus revi-sionsrechtlicher Sicht nichts zu erinnern.

a) Die Feststellung des Berufungsgerichts, daß der Bekl.zu 2) den Kl. am 15. 4. 1989 u. a. auf das Risiko einer,möglicherweise auch dauerhaften, Blasenlähmung hinge-wiesen hat, läßt entgegen der Auffassung der Revisioneinen Rechtsfehler nicht erkennen. […]

b) […]c) Ohne Erfolg macht die Revision geltend, das von den

Bekl. verwendete „Einwilligungsformular für einen ärztli-chen Eingriff“ sei völlig unspezifisch und unzureichend ge-wesen. Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senatsbedarf es zum Zwecke der Aufklärung grundsätzlich desvertrauensvollen Gesprächs zwischen Arzt und Patienten,auf dessen Inhalt das Berufungsgericht bei seiner Überzeu-gungsbildung zulässigerweise abgestellt hat (vgl. Senatsurt.v. 8. 1. 1985 – VI ZR 15/83 –, VersR 1985, 361, 362).Das schließt die ergänzende Verwendung von Merkblätternnicht aus, in denen die notwendigen Informationen zu demEingriff einschließlich seiner Risiken schriftlich festgehaltensind. Daß der Kl. infolge der Verwendung des Formularsbezüglich der Risiken des Eingriffs, etwa durch deren ver-harmlosende Darstellung, irregeführt worden wäre, istnicht ersichtlich und wird vom Kl. auch nicht behauptet.

2. Mit Recht wendet sich die Revision allerdings gegendie Auffassung des Berufungsgerichts, daß die Aufklärungam Nachmittag des 15. 4. 1989, des Operationstags, recht-zeitig erfolgt sei.

Problemstellung: Der Arzt muß seinen Patientenüber Art und Risiken seines Vorgehens nicht nur inhalt-lich zureichend, sondern – außer in Notfällen – auch sofrühzeitig aufklären, dass der Patient für seine Entschei-dung das Für und Wider der Maßnahme eigenständigabwägen kann. Die dafür nötige Zeit ist bestimmt durchdie Befindlichkeit des jeweiligen Patienten und die Be-deutung der Risiken für seine Lebensführung; abstrakteFristen gibt es dafür nicht. Allerdings hat der BGH seitlangem den Richtsatz entwickelt, dass der Patient beieinem stationären Eingriff spätestens am Vortag (nichterst: am Vorabend) aufzuklären ist, bei sehr schwerenRisiken einige Tage früher. Hierauf haben sich Opera-teur und Krankenhaus organisatorisch einzurichten; wodas aus welchen Gründen nicht rechtzeitig gelingt, mußdie Operation grundsätzlich auf später verschoben wer-den. In dieser Verteidigung des Selbstbestimmungspo-stulats gegenüber Einwänden der Behandlungspraxis istder BGH strikt. Ausnahmen hat er bisher nur für dia-gnostische Untersuchungen und für ambulante Eingriffezugelassen: um die Behandlung für den Patienten nichtunverhältnismäßig zu erschweren, kann hier – je nachArt und Schweregrad der Maßnahme – eine Aufklärungam Behandlungstag selbst noch rechtzeitig sein, wenndem Patienten zwischen Aufklärung und MaßnahmeZeit für eine Entscheidung gelassen wird.

Im Streitfall ging es um eine stationäre Bandscheiben-operation, über deren Risiken der Patient erst am Ope-rationstag aufgeklärt worden war, obschon der Opera-tionstermin von dem Operateur schon drei Tage vorherfestgelegt worden war. Die Vorderrichter hatten das aus-nahmsweise für ausreichend gehalten, weil der Patientden Operationstermin schon seit Tagen kannte, sichnach erfolgter Aufklärung mit Vater und Freund, beidesÄrzten, noch telefonisch hätte besprechen können unddas Risiko einer Blasenlähmung sehr selten sei. DerBGH indes hat diese Umstände für ein Abweichen vonseinen Mindestanforderungen an die dem Patienten zurEntscheidungsfindung einzuräumende Zeit nicht genü-gen lassen. Dazu hat er zudem – obiter – klargestellt,dass der Patient sogar schon am 12. 4. 1989, dem Tagder Festlegung des Operationstermins, hätte aufgeklärtwerden müssen. Der (erste) Eingriff am 15. 4. 1998 wardeshalb mangels rechtzeitiger Aufklärung als rechtswid-rig zu bewerten und kann – trotz Durchführung legeartis im übrigen – zur Haftung von Operateur undKrankenhaus für die geltend gemachten Schäden führen,

wenn und soweit er für sie mitursächlich gewesen seinsollte.

Page 2: Zur Rechtzeitigkeit der Patientenaufklärung

Rechtsprechung MedR 2003, Heft 10 577

a) Insoweit geht das Berufungsgericht zwar im Ansatzvon der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senatsaus, nach der der Patient vor dem beabsichtigten Eingriff sorechtzeitig aufgeklärt werden muß, daß er durch hinrei-chende Abwägung der für und gegen den Eingriff spre-chenden Gründe seine Entscheidungsfreiheit und damitsein Selbstbestimmungsrecht in angemessener Weise wah-ren kann (vgl. Senatsurtt. v. 17. 3. 1998 – VI ZR 74/97 –,VersR 1998, 766, 767; v. 4. 4. 1995 – VI ZR 95/94 –,VersR 1995, 1055, 1056 f.; v. 14. 6. 1994 – VI ZR 178/93–, VersR 1994, 1235, 1236; v. 7. 4. 1992 – VI ZR 192/91–, VersR 1992, 960 f.). Zum Schutz des Selbstbestim-mungsrechtes erfordert dies grundsätzlich, daß ein Arzt, dereinem Patienten eine Entscheidung über die Duldung einesoperativen Eingriffs abverlangt und für diesen Eingriff be-reits einen Termin bestimmt, ihm schon in diesem Zeit-punkt auch die Risiken aufzeigt, die mit diesem Eingriffverbunden sind. Allerdings ist eine erst später erfolgte Auf-klärung nicht in jedem Fall verspätet. Vielmehr hängt dieWirksamkeit einer hierauf erfolgten Einwilligung davon ab,ob unter den jeweils gegebenen Umständen der Patientnoch ausreichend Gelegenheit hat, sich innerlich frei zuentscheiden (Senatsurtt. v. 7. 4. 1992 – VI ZR 192/91 –,a.a.O.; und v. 14. 6. 1994 – VI ZR 178/93 –, a.a.O.). Jenach den Vorkenntnissen des Patienten von dem bevorste-henden Eingriff kann bei stationärer Behandlung eine Auf-klärung im Verlaufe des Vortages grundsätzlich genügen,wenn sie zu einer Zeit erfolgt, zu der sie dem Patienten dieWahrung seines Selbstbestimmungsrechts erlaubt (Senats-urt. v. 17. 3. 1998 – VI ZR 74/97 –, a.a.O.). Hingegenreicht es bei normalen ambulanten und diagnostischen Ein-griffen grundsätzlich aus, wenn die Aufklärung am Tag desEingriffs erfolgt. Auch in solchen Fällen muß jedoch demPatienten bei der Aufklärung über die Art des Eingriffs undseine Risiken verdeutlicht werden, daß ihm eine eigenstän-dige Entscheidung darüber, ob er den Eingriff durchführenlassen will, überlassen bleibt (vgl. Senatsurtt. v. 4. 4. 1995 –VI ZR 95/94 –, a.a.O.; und v. 14. 6. 1994 – VI ZR178/93 –, a.a.O.).

b) […] Wie im Senatsurt. v. 7. 4. 1992 dargelegt, wirdein Patient auch bei Aufklärung am Vorabend einer Opera-tion in der Regel mit der Verarbeitung der ihm mitgeteil-ten Fakten und der von ihm zu treffenden Entscheidungüberfordert sein, wenn er – für ihn überraschend – erstmalsaus dem späten Aufklärungsgespräch von gravierenden Ri-siken des Eingriffs erfährt, die seine persönliche zukünftigeLebensführung entscheidend beeinträchtigen können. Obdas im Streitfall verwirklichte Risiko ein solches Gewichthatte, kann dahinstehen, da die Aufklärung ohnehin erst amTag des Eingriffs erfolgte. Das war nach den dargelegtenGrundsätzen jedenfalls verspätet. Der erkennende Senat hatin diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, daß sogarbei größeren ambulanten Eingriffen mit beträchtlichen Ri-siken eine Aufklärung erst am Tag des Eingriffs nicht mehrrechtzeitig sein dürfte, zumal solchen Operationen ge-wöhnlich Untersuchungen vorangehen, in deren Rahmendie erforderliche Aufklärung bereits erteilt werden kann(Senatsurt. v. 14. 6. 1994 – VI ZR 178/93 –, a.a.O.).

c) Die Umstände des Einzelfalls geben keinen Anlaß,von den in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzenabzuweichen. Der Bekl. zu 2) konnte den Kl. bereits am12. 4. 1989 über die Risiken der Bandscheibenoperationaufklären, als er ihm zu dem operativen Eingriff riet undzugleich einen Operationstermin mit ihm vereinbarte. Dieswäre der richtige Zeitpunkt für die Aufklärung gewesen,auch wenn eine rechtzeitige Aufklärung – notfalls durchzusätzliche Einbestellung des Patienten – noch zu einemspäteren Zeitpunkt möglich gewesen wäre. Da der Kl. demBekl. zu 2) nach den Feststellungen des Berufungsgerichtsam 12. 4. die Krankenunterlagen mitbrachte, lagen zu die-

sem Zeitpunkt alle wesentlichen Informationen vor, diedann auch zu der Entscheidung für die Operation führten.Am 15. 4. 1989 haben sich bei der Aufnahmeuntersuchunggrundlegend neue Gesichtspunkte nicht ergeben. Wennwegen des fehlenden Bettes am 12. 4. 1989 die stationäreAufnahme für den 15. 4. 1989 vereinbart wurde, kann fürdiesen Tag von einer „notfallmäßigen Aufnahme“ nichtgesprochen werden.

Bei dieser Sachlage ist die Aufklärung am Nachmittagdes Operationstages in Anbetracht der möglichen erheb-lichen Folgen des Eingriffs für die Lebensführung des Pa-tienten nicht rechtzeitig erfolgt. Der Bekl. zu 2) hat bei sei-ner Parteivernehmung selbst darauf hingewiesen, daß essich bei der Operation um eine Stelle handelte, die zu denempfindlichsten des Menschen überhaupt zähle, und derOperateur in einen Bereich eintrete, in dem die Nerven u. a. der Blase, des Darms und des Damms verliefen undbeeinflußt werden könnten. In Anbetracht dieser mög-lichen gravierenden Folgen benötigte der Kl. zur Wahrungseines Selbstbestimmungsrechts eine längere Bedenkzeit füreine Einwilligung in die Operation. Der Umstand, daß erbereits seit einigen Tagen von dem Operationsterminwußte, kann nicht zu einer anderen Wertung führen, weiles bei der Abwägung entscheidend auf die Kenntnis vonden Operationsrisiken ankommt. […] Bei der hier gegebe-nen möglichen besonders schweren Belastung für die Le-bensführung des Patienten war die rechtzeitige Informationüber das Risiko für die Einwilligung des Patienten auchdann von Bedeutung, wenn sich das Risiko sehr selten ver-wirklicht (vgl. Senatsurtt. BGHZ 90, 103, 107; und 144, 1,5; v. 2. 11. 1993 – VI ZR 245/92 –, VersR 1994, 104,105). Gerade solche schwerwiegenden Risiken können denPatienten veranlassen, eine Operation auch bei bestehenderIndikation zu hinterfragen und sich über etwaige Alterna-tiven zu informieren, selbst wenn es sich dabei aus Sicht desbehandelnden Arztes nicht um eine gleichwertige Behand-lungsmöglichkeit handeln sollte.

d) Der nicht rechtzeitig aufgeklärte Patient muß aller-dings substantiiert darlegen, daß ihn die späte Aufklärung inseiner Entscheidungsfreiheit beeinträchtigt hat, und plausi-bel machen, daß er, wenn ihm rechtzeitig die Risiken derOperation verdeutlicht worden wären, vor einem echtenEntscheidungskonflikt gestanden hätte, wobei allerdings andie Substantiierungspflicht zur Darlegung eines solchenKonflikts keine zu hohen Anforderungen gestellt werdendürfen (vgl. Senatsurtt. v. 17. 3. 1998 – VI ZR 74/97 –,VersR 1998, 766, 767; v. 14. 6. 1994 – VI ZR 178/93 –,VersR 1994, 1235, 1236; v. 7. 4. 1992 – VI ZR 192/91 –,VersR 1992, 960, 962). Insoweit weist die Revision jedochdarauf hin, daß der Kl. solche Gründe in der Berufungsin-stanz vorgetragen hat.

[…]

(Bearbeitet von VorsRiBGH a. D. Dr. iur. Erich Steffen,Kriegsstraße 258, D-76135 Karlsruhe)

Verschulden bei der Herbeiführung einer Suchtdurch einen Arzt StGB §§ 15, 223, 229

1. Kausalität und Abgrenzung zwischen bewussterFahrlässigkeit und bedingtem Vorsatz bei der Her-beiführung einer (weiteren) Sucht durch einen Arzt an-lässlich einer Substitutionsbehandlung durch Verschrei-bung von kontraindizierten Medikamenten mit eige-nem Suchtpotenzial.