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Zustandsbestimmung und Beurteilung des Neugeborenen nach der Geburt (U1 und U2)

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Page 1: Zustandsbestimmung und Beurteilung des Neugeborenen nach der Geburt (U1 und U2)

M.Mandl · Neonatologie und pädiatrische Intensivmedizin der Universitätskinderklinik Düsseldorf

Zustandsbestimmung und

Beurteilung des Neugeborenen

nach der Geburt (U1 und U2)

Nachteile einer Hausgeburt und ambulanten

Entbindung aus pädiatrischer Sicht

Zum Thema

Die Zunahme der Haus- und ambulanten

Geburten, aber auch die Verkürzung des sta-

tionären Aufenthaltes nach unkomplizierter

Klinikgeburt, kann zu erheblichen Proble-

men bei der Erstversorgung und Überwa-

chung von Neugeborenen führen. Der Quali-

tätsstandard der Neonatologie ist damit ge-

fährdet.

Während bei Hausgeburten die Erstver-

sorgung und die U1-Kontrolle von der Heb-

amme vorgenommen wird, liegen diese bei

den ambulanten Geburten in der Verant-

wortung der Klinik. Für die weitere Überwa-

chung aber in der Anpassungsphase sind in

beiden Fällen die Eltern verantwortlich, diese

sind häufig überfordert. Die vorgesehenen

Screeninguntersuchungen, deren Nutzen für

das Neugeborene unbestritten ist, werden

nicht immer ordnungsgemäû durchgeführt.

Eine besondere Problematik kann bei

der Entwicklung eines Ikterus neonatorum,

bei postpartalen septischen Krankheitsbil-

dern bei Kindern von Müttern mit latentem

Diabetes mellitus etc. auftreten. Selbst wenn

die notwendigen Laborkontrollen beim nie-

dergelassenen Arzt durchgeführt werden,

können durch verspätete Übermittlung der

Ergebnisse Verzögerungen einer Behandlung

oder notwendigen Verlegung in eine Kinder-

klinik resultieren.

Aus kinderärztlicher Sicht wird deshalb

von Haus- und ambulanten Geburten abge-

raten.

Die Zunahme der Haus- und ambu-

lanten Geburten, sowie die Verkürzung

des stationären Aufenthaltes nach un-

komplizierter Geburt kann zu Proble-

menbei der ErstversorgungNeugebore-

ner führen, die dem heute üblichen

Qualitätsstandard der Neonatologie

ernsthaft gefährden.

Bei Hausgeburten entfällt in den

meisten Fällen die erste Vorsorgeunter-

suchung (U1) durch einen Arzt (Gynä-

kologe und/oder Kinderarzt), sie wird

von der Hebamme durchgeführt. Medi-

zinische Probleme, die sich erst nach

derGeburt zeigen könnenundderen ge-

fährliche Konsequenzen für das Neuge-

borene, stehen bei der Hausgeburt,

ohne Möglichkeit der ärztlichen, bzw.

kinderärztlichen Betreuung an erster

Stelle. Fatale Verläufe von Hausgebur-

ten, deren Folgen man unter klinischen

Bedingungen zumindest hättemindern,

wenn nicht in vielen Fällen sogar ver-

hindern können, sind hinreichend be-

kannt (Aspiration von Fruchtwasser

oder Mekonium, Nabelschnurum-

schlingung, Asphyxie allgemein, intra-

uterin nicht bekannte Fehlbildungen

etc.).

Bei ambulanten Geburten wird die

Erstversorgung, einschlieûlich der U1

in der Klinik durchgeführt, die weitere

präventive Versorgung nach der Entlas-

sung liegt in den Händen der Eltern/

Mutter [1]. Besonders junge und/oder

sozial benachteiligte Eltern können da-

durch überfordert sein. Die Durchfüh-

rung der vorgesehenen Screeningunter-

suchungen (klinische Beurteilung, Ul-

traschallscreening, TSH- und Guthrie-

test, Bilirubinbestimmung) ist dann

nicht gesichert. Da der Nutzen dieser

Untersuchungen unbestritten ist, kann

eine Unterlassung fatale Folgen für das

Neugeborene haben. In unserer Klinik

werden die Eltern bezüglich der bei Ent-

lassung noch ausstehenden Untersu-

chungen ausführlich aufgeklärt und

müssen dies mit ihrer Unterschrift be-

stätigen. Sie erhalten ein Merkblatt mit

den bei der Entlassung, nach ambulan-

terGeburt, noch ausstehendenUntersu-

chungen. Der Vorteil gegenüber Haus-

geburten ist in diesen Fällen die Mög-

lichkeit des ärztlichen Eingreifens bei

Problemen während und nach der Ge-

burt des Kindes.

Bei nur kurzem postpartalen Kli-

nikaufenthalt (1±3 Tage) ist in ähnlicher

Weisewie bei den ambulantenGeburten

die vollständige Durchführung aller

Screeninguntersuchungen nicht mög-

lich. Ebenso kann die zweite orale Vit-

amin K Gabe bei den Neugeborenen

erst imRahmenderU2 beimKinderarzt

erfolgen, wenn sie nicht durch die Heb-

amme vorgenommenwird.

Bei allen oben genannten Patien-

tengruppen, ambulante und Hausge-

burten, sowie solchenmit kurzem post-

partalen Klinikaufenthalt, kann die er-

weiterte postpartale Überwachung des

Neugeborenen hinsichtlich der Ent-

wicklung eines Ikterus, von Infektionen

und anderem mehr, nicht mit der glei-

chen Vollständigkeit erfolgen, die ein

stationärer Aufenthalt gewährleistet.

Laboruntersuchungen in der Praxis des

niedergelassenen Arztes sind schon al-

lein dadurch weniger sicher, daû zwi-

schen Blutentnahme und Vorliegen des

Der Gynäkologe 1´97 17

Der Gynäkologe

1997 ´ 30:17±19 � Springer-Verlag 1997Zum Thema

Dr. M.Mandl,

Abteilung für Neonatologie

und pädiatrische Intensivmedizin,

Universitätskinderklinik Düsseldorf,

Moorenstraûe 5,

D-40225 Düsseldorf

Page 2: Zustandsbestimmung und Beurteilung des Neugeborenen nach der Geburt (U1 und U2)

18 Der Gynäkologe 1´97

Zum Thema

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Ergebnisses bis zu 24 Stunden vergehen

können. Dies ist in manchen Fällen, bei

einer sich rasch entwickelnden Hyper-

bilirubinämie, zu lange um entspre-

chend reagieren zu können. Die daraus,

wenn auch selten entstehendeGefahr ei-

nes Kernikterus, mit bleibenden schwe-

ren neurologischen Schäden, ist nicht

zu übersehen.

Ebenso sind postpartale septische

Krankheitsbilder (in erster Linie B-

Streptokokkeninfektionen), die verzö-

gert einsetzen können, für die kleinen

Patienten äuûerst gefährlich. Eine ver-

spätete Diagnosestellung kann, bei nur

minimalen klinischen Symptomen, zur

Meningitis, mit der Folge lebenslanger

Behinderung oder sogar zum Tod füh-

ren. Infektionsdiagnostik bei vorzeiti-

gem Blasensprung (auch weniger als

24 Stunden vor der Geburt) kann nur

unter stationären Bedingungen sicher-

gestellt werden.

Neugeborene von Müttern mit la-

tentemDiabetes, der bei den Säuglingen

zu ausgeprägten Hypoglykämien füh-

ren kann, werden, wenn Blutzuckerkon-

trollen unterbleiben, gefährdet. Sie

durchleben ausgeprägt hypoglykämi-

sche Phasen, die un- oder zu spät be-

handelt zu cerebralen Krampfanfällen,

Zyanoseattacken und auch bleibenden

cerebralen Schäden führen.

In einer in den Vereinigten Staaten

durchgeführten Untersuchung [3]

zeigte sich bei Säuglingen, die postpara-

tal weniger als 36 Stunden in der Klinik

blieben, eine 2,5mal so hohe Rate der

Wiederaufnahmen in die Klinik wie in

der Vergleichsgruppe, die mindestens

48 Stunden stationär blieb. 60% der

Wiederaufnahmen erfolgtenwegen stei-

genden Bilirubins, 16% wegen des Ver-

dachts auf Infektionen. Aus Deutsch-

land liegen hierfür leider keine Daten

vor, eine prospektive Untersuchung

wäre wünschenswert.

Der einzig gangbare Weg besteht

zur Zeit in verstärkter Aufklärung von

Hebammen und niedergelassenen ¾rz-

ten, in deren Hand die Vorsorgeunter-

suchungen liegen [2, 6]. Beispielsweise

müssen Grenzwerte, die zu einer statio-

närenEinweisung führen festgelegtwer-

den (Hyperbilirubinämie).

Von Haus- und ambulanten Gebur-

ten ist aus kinderärztlicher Sicht drin-

gend abzuraten, die Dauer des stationä-

ren Aufenthaltes sollte, bei unkompli-

ziertem Verlauf und vaginaler Entbin-

dung, mindestens 48 Stunden betragen

[4, 5], wenn danach die Betreuung

durch den niedergelassenen Kinderarzt

gesichert ist. Der Zeitpunkt der Entlas-

sung sollte nicht zuletzt von dem sub-

jektiven Eindruck des behandelnden

Arztes und der Krankenschwestern ab-

hängig gemacht werden, die die Sicher-

heit der Mutter/der Eltern im Umgang

mit demNeugeborenen ambesten beur-

teilen können. Der genannte Zeitraum

erlaubt eine gute Anleitung der Eltern/

Mutter im Umgang mit dem Kind, An-

leitung beim Stillen, Information über

den weiteren Ablauf nach Entlassung,

so daû Eltern/Mutter dann auchmit Ge-

fühl den gestellten Erwartungen gerecht

zu werden, nach Hause gehen können.

Wir haben mit dem oben genann-

tenMerkblatt und ausführlicherAufklä-

rung der Eltern gute Erfahrungen ge-

macht und können dieses Vorgehen

empfehlen. Durch die Unterschrift der

Eltern über die erfolgte Aufklärung be-

züglich der noch ausstehenden Unter-

suchungen bei Entlassung aus der Kli-

nik wird auch die Sicherheit der be-

handelnden ¾rzte gegenüber unbe-

rechtigten juristischen Vorwürfen in

Schadensfällen gefördert.

Fazit für die Praxis

Daû bei der Überwachung von Neugebore-

nen nach Hausgeburten, aber auch nach sehr

kurzen Klinikaufenthalten Probleme auftre-

ten können, ist hinreichend bekannt. Eine

verstärkte Aufklärung der niedergelassenen

Hebammen und ¾rzte, die die Vorsorgeun-

tersuchungen vornehmen, ist wichtig. Vor

allem aber sollten die Eltern hinreichend auf

die anstehenden Kontrollen und Untersu-

chungen und die Gefahren bei deren Ver-

nachlässigung aufmerksam gemacht wer-

den. Bewährt hat sich dabei das vom Autor

angegebene Merkblatt, dessen Erhalt durch

Unterschrift bestätigt werden sollte.

Literatur

1. Parisi VM, Meyer BA (1995) To stay or not to

stay? that is the question. N Engl J Med 333:

1635±7

2. Yanover MJ, Jones D, Miller MD (1976) Perinatal

care of low-risk mothers and infants: early

discharge with home care. N Engl J Med 294:

702±705

3. Conrad PD, Wilkening RB, Rosenberg AA (1989)

Safety of newborn discharge in less than 36

hours in an indigent population.Am J Dis Child

143: 98±101

4. American Academy of Pediatrics, American

College of Obstetricians and Gynecologists.

Guidelines for perinatal care. 3rd ed. Elk

Grove Village, III.: American Academy of Pediat-

rics 1992

5. American Academy of Pediatrics, Committee

on Fetus and Newborn. Hospital stay for

healthy term newborns. Pediatrics 96: 788±90

6. Zinke M (1996) Die Frühentlassung Neugebo-

rener ± Strategien zur Qualitätssicherung in

Hamburg. der kinderarzt 5: 622±626

Anhang: Merkblatt für Eltern

Der Gynäkologe 1´97 19