Zwangsheirat –eine gewaltige Menschenrechtsverletzung StGB … · 2019. 2. 15. · Art. 21 Abs. 2: Protection against Harmful Social and Cultural Practices 2. Child marriage and

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Fachstelle Zwangsheirat - Service contre les mariages forcés - Istituto specializzato matrimoni forzati

Zwangsheirat – eine gewaltige Menschenrechtsverletzung

Tagung Zwangsheirat Kanton WallisKantonales Amt für Gleichstellung und Familie / Office cantonal de l’égalité et de la famille

Siders, 7. Februar 2019

Die Inhalte dieser Präsentation stammen von der Fachstelle Zwangsheirat und werden in eine Publikation münden. Die Wiedergabe ist nur mit der Bewilligung erlaubt. Wir freuen uns über Rückmeldungen mit Fragen oder Anregungen, vielen Dank!

Fachstelle ZwangsheiratKompetenzzentrum des Bundes

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Ehre – ein im Recht geschütztes Gut

Ehre: ausschliesslich bei natürlichen oder juristischen Personen

StGB Art. 173-178:Strafbare Handlungen gegen die Ehre─ Üble Nachrede (Art. 173 StGB)─ Verleumdung (Art. 174 StGB)─ Beschimpfung (Art. 177 StGB)


Ehre: individuell oder kollektiv?

Quelle: Fachstelle Zwangsheirat

Individualistisch, neo-progressiv:Selbstbestimmung des Individuums

Mitbestimmung desIndividuums

Holistisch, paläo-konservativ:Fremdbestimmung des Individuums

Würde und Ehre des Individuums stehen über der Ehre des Kollektivs

Die Ehre des Kollektivs steht über der Würde des Individuums

Soziale Gemeinschaft


Verwandtschaftsbasierte Geschlechtergewalt(kin-based-gender-violence)Kin-based (Familialismus):─ Familiäre und verwandtschaftliche Gewalt inklusive Kernfamilie, erweiterte

TäterInnenschaft─ individuell-individualistische Selbstbestimmung ist den Interessen des Kollektivs

untergeordnet─ Fremdbestimmung bei Heirats- oder Beziehungsentscheidungen üblich oder möglichTraditionalismus:─ Familiäres Kontinuum kennzeichnend für Lebenssequenzierung (von der elterlichen zur

ehelichen Familie; Eigenständigkeit und Selbständigkeit von untergeordnetem Wert)─ Heirat und Ehe als Tradierungsmoment bzw. –phase─ Heiratszwänge: Heirat als Norm, Endogamie-Zwang, Heteronormativität, Altersfrage, etc.─ Sexualität nur in der Ehe erlaubt (vgl. Zina)Gender (Patriarchat):─ Geschlechterrollen und Normen sind für beide Geschlechter unterschiedlich ausgeprägt─ Geschlechterrollen: mit Beziehungsverboten und -geboten zementiert und/oder

diszipliniert─ Geschlechterstereotypen werden neu konstruiert (reifizierte Vergeschlechtlichung)─ Kontrolle insbes. der weiblichen Sexualität

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Die Schweiz – ein vielfältiges Land

25.1% ausländische Bevölkerung (CH) 37.1% Bevölkerung ab 15 Jahren mit Migrationshintergrund, bspw. Wallis: 32.5%BFS 2018 (Daten für 2017/2016); Bild: Migrationsanteile nach Kanton


Vielfältige Schweiz: Kinder

56.1%

Kinder nach Migrationsstatus des Haushalts, 2014-2016 (Personen mit «Kind» als Stellung im Haushalt, in Tausend und in Prozent). BFS 2018.


Internationale Liebe: Die Mehrheit heiratet ausländisch


Migration & Menschenrechte(Beg-)leitmotiv: Würde statt WerteWürdeorientiert handeln, statt wertend.

Im vielkulturellen Kontext sind Werte heikel, sie sind bewertend, wertend, führen zu Wertekonflikten. Grundbasis ist Würde, und Würde basiert auf Menschen- und Grundrechten.

«Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren [...]»Art. 1 Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948

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Eine Ehe darf nur im freien und vollen Einverständnis der künftigen Ehegatten geschlossen werden. Art. 16 Abs. 2: Ehefreiheit und Schutz der FamilieAllgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948


Ab 2018 als nationales Kompetenzzentrum

1. Nationales Kompetenzzentrum + lokale AkteurInnen

nicht als Ersatz:

nicht als Ergänzung:

sondern als Erweiterung:«agiles Partnerschaftsmodell»

«1+1 = 3» oder: synergetische Effekte für lokales Casemanagement


Lokales Casemanagement

Ausserkantonale Vernetzung Transnationale Verflechtung

Synergetisches, nationales

Kompetenzzentrum


Mitwirkende im Core-Team, Orbit und Pool (COP)Die Zuteilung ist ein Gedankenspiel

Pool

Orbit

Core

•z.B. Wohn- und Stellenvermittlungen, Fachtherapeutin,...•Weitere?•Kriterien: Punktuelle Mitwirkung, Sensibilisierung und Vernetzung vorhanden

•z.B. Beratungsstellen Häusliche Gewalt, Zivilstandsamt, Einwohnerdienste, Sozialdienste, Psychosozialer Dienst, diverse Beratungsstellen

•Weitere?•Kriterien: Regelmässige Mitwirkung in Fällen, Sensibilisierung und Vernetzung vorhanden

•zentrale Stakeholder, lokal bspw. Opferberatung, Polizei, Migrationsamt, Frauenhaus, Mädchenhaus, lokale Beratungsstellen, national Fachstelle Zwangsheirat. Weitere?

•Kriterien: Erreichbarkeit, Zuständigkeit, Vernetzung, vertiefte Sensibilisierung und hoher Wissensstand

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Produktive Spannung im Kontext von Fallbearbeitungen

─ Behörden (z.B. Asylbehörden): Staatliche Due Diligence (Sorgfaltspflicht), rechtliche Massnahmen, struktureller Ausgangspunkt, im Asylbereich ggf. mit Meldepflicht verbunden (siehe Art. 106 Abs. 1 ZGB).

─ Beratungsstellen (z.B. Fachstelle Zwangsheirat): Vertrauensbindung, Betroffenenschutz-Orientierung, individuell-persönlicher Ausgangspunkt, Schweigepflicht, vgl. Art. 11 OHG.

Mögliche Spannungsfelder durch unterschiedliche Rollen und Aufgaben; gleichzeitig Notwendigkeit von Kooperationen und gegenseitigem Verständnis.


Staat vs. NGO‘s im Kontext von Fallbearbeitungen

In der Schweiz bisher zwei strafgerichtliche Verurteilungen Schaffhausen (2016), Basel-Stadt (2017: Urteil noch hängig)

Beide Spannungsfelder sollten aufrecht erhalten bleiben, dazu sind Kooperationen und gegenseitiges Verständnis notwendig.

Rechtsstaat Beratungsstellen Tatzentriertheit OpferzentriertheitRechtliche Massnahmen (vgl. Art. 181a StGB)Struktureller Ausgangspunkt Individuell-persönlicher AusgangspunktAktueller Vorschlag zur Schwächung der Sistierungsmöglichkeit gem. Art. 55a StGB

Anzeigepflicht gem. Art. 302 StPO Schweigepflicht gem. Art. 11 OHGDue diligence (Sorgfaltspflicht) Vertrauensbindung


Art. 181a StGB, Zwangsheirat

1 Wer jemanden durch Gewalt oder Androhung ernstlicher Nachteile oder durch andere Beschränkung seiner Handlungsfreiheit nötigt, eine Ehe einzugehen oder eine Partnerschaft eintragen zu lassen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft.

2 Strafbar ist auch, wer die Tat im Ausland begeht, sich in der Schweiz befindet und nicht ausgeliefert wird.

> Schweizweit wegweisendes strafgerichtliches Urteil in Basel (21. Juni 2017); 3.5 Jahre Freiheitsentzug für den Vater


Fachstelle Zwangsheirat Kompetenzzentrum des Bundes seit 2018─ Fünffache Niederschwelligkeit für Betroffene:

1. Strenge Vertraulichkeit2. Flexible zeitliche Erreichbarkeiten auch ausserhalb

Bürozeiten 3. Beratung ortsungebunden (auch vor Ort statt zentralisiert)4. Kostenfreie Beratung5. Mehrkulturelle Kompetenzen im Beratungsteam.

─ Anspruch und Haltung: fallzentriert (Kasuistik), fachorientiert, wissenschaftsbasiert

─ Glokale Vernetzung: breit aufgebaut von lokal über transkantonal bis mehrnational – Mehrheit der Zwangsheiraten haben Auslandbezug

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Fast facts zu den Fällen bei der Fachstelle Zwangsheirat

2’349 Beratungen (31. Dez. 2018), pro Woche im Schnitt 5 bis 9 Fälle─ 16% Männer (2018)─ 21% verlassen ihre Herkunftsfamilie─ ausschliesslich 1.3% präferieren eine Schutzeinrichtung─ 12% lassen sich trotzdem verheiraten, davon sind 40% später

mit der Fachstelle in Kontakt─ Ca. 80% der Zwangsheiratsfälle betreffen Personen, die in

der Schweiz aufgewachsen oder geboren sind─ Juristische Vorgehen machen nicht mal 1% aus,

Strafverfahren liegen im Handzählbereich (Stand März 2018)Die statistischen Angaben der Fachstelle sollen idealerweise um Angaben von anderen Institutionen ergänzt werden, Betroffene, die sich noch nicht an externe Stellen gewagt haben, sollen erfasst werden, damit es statistisch repräsentativ für die Schweiz wird.


Betroffene von Zwangsheiraten in der Schweiz

Typ A: Zwangsheirat, Typ B: Liebesverbot, Typ C: Zwangsehe.

«Vom Typ A [Zwangsheiraten] sind mehrheitlich Personen des Balkans, der Türkei sowie aus Sri Lanka betroffen.»Quelle: Anna Neubauer und Janine Dahinden, in Zusammenarbeit mit Pauline Breguet und Eric Crettaz (2012): «Zwangsheiraten» in der Schweiz: Ursachen, Formen, Ausmass, S. 49.

Betroffene aus dem Asylbereich, Fachstelle Zwangsheirat:Personen aus dem Asylbereich vonSyrien, Afghanistan, Eritrea, Somalia, Irak, Iran, ...


Begriffe im Kontext Zwangsbeziehungen

Zwangsheirat: Fremdbestimmte Eheschliessung ohne freien Willen - eine Menschenrechts-verletzung!Arrangierte Heirat: Umstrittene Fremdbestimmung, mit Einverständnis des BrautpaaresZwangsehe: In der Ehe ausharren müssenMinderjährigenheirat: Unter 18-Jährigen ist es in der Schweiz verboten zu heiraten


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Zwangsheirat und arrangierte Heirat



Minderjährigenheirat: Kinderheiraten, rechtliche Lage, Schweiz und internationaler VergleichDas Mindest-Heiratsalter in der Schweiz beträgt 18 Jahre

Afrikanische Charta der Rechte und des Wohlergehens des KindesArt. 21 Abs. 2: Protection against Harmful Social and Cultural Practices2. Child marriage and the betrothal of girls and boys shall be prohibited and effective action, including legislation, shall be taken to specify the minimum age of marriage to be 18 years and make registration of all marriages in an official registry compulsory.Die Charta wurde 1990 angenommen und trat 1999 in Kraft.


Minderjährige und Beziehungen - Gesetzeslage

< (weniger als) 16 Jahre: Schutzalter (PartnerIn darf nur 3 Jahre älter oder jünger sein)Art. 187 Abs. 2 StGB

≥ (ab) 16 Jahre: kein SchutzalterArt. 187 StGB

< (weniger als) 18 Jahre: minderjährig, Heirat verbotenArt. 94 Abs. 1 ZGB

≥ (ab) 18 Jahre: volljährigArt. 14 ZGB

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Religiöse Heirat und Zwangsverlobung

Informelle oder religiöse HeiratEine „nicht offizielle“ Verheiratung als kulturelle, traditionelle oder religiöse Formen der Heirat (zum Beispiel Imamehe, kirchliche Heirat, usw.) Diese hat für die involvierten Parteien oft mehr Bedeutung als die standesamtliche Heirat.Es gilt in der Schweiz das Primat der ZiviltrauungEine religiöse Eheschliessung darf vor der Ziviltrauung nicht durchgeführt werden.Art. 97 Abs.3 Schweizerisches Zivilgesetzbuch

Im Gegensatz zu einer informellen Heirat, die in der Schweiz vor der Ziviltrauung verboten ist, kann durch eine Zwangsverlobung die Bestimmung der Ehefähigkeit, z.B. Mindestalter 18, umgangen werden.


Minderjährigenheiraten

─ 12% minderjährige Betroffene (Bundesstudie 2012)─ Vergleich: 29.7% minderjährige Betroffene in Grossbritannien

(FMU 2017)

─ Bei der Fachstelle 2016: 311 Fachberatungen, davon 112 minderjährige Betroffene (=36%, davon 84% weiblich)

─ Bei der Fachstelle 2017: 316 Fachberatungen, davon 107 minderjährige Betroffene (=33.8%, davon 85% weiblich)

─ Bei der Fachstelle bis 31. Dezember 2015 = 5 Fälle von Minderjährigenheiraten im Schutzalter (unter 16 Jahren)

─ 2016: 51 Fälle von Minderjährigenheiraten im Schutzalter

Die statistischen Angaben der Fachstelle sollen idealerweise um Angaben von anderen Institutionen ergänzt werden, Betroffene,die sich noch nicht an externe Stellen gewagt haben, sollen erfasst werden, damit es statistisch repräsentativ für die Schweiz wird.


Ursachen und Hintergründe: Heiratsbürden und –zwänge

Heirat und Ehe sind grundsätzlich immer von gesellschaftlichen Normen, Werten, Erwartungen des Umfeldes und typischen Lebensentwürfen geprägt.Heiratsbürden - Normen und Werte in Bezug auf Heirat und Ehe: ─ Heteronormativität: Norm der Gegengeschlechtlichkeit─ Alter: siehe «3-Wellen-Modell», zudem sollte in der Partnerschaft die Frau

jünger sein als der Mann─ Verengung der Sexualität auf die Ehe─ Ge- und Verbote rund um Endogamie: der/die HeiratspartnerIn muss

innerhalb einer eingegrenzten Personengruppe gewählt werden─ Heiratszwang, Zwangsheirat, Zwangsehe, Liebesverbot, Familien- und

Generationenkonflikte, Jungfräulichkeitskult, Untersexualisierung, Exogamieverbot, übermässige Kontrolle, häusliche Gewalt, etc.

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Häufigkeiten der Betroffenheit für FrauenErhebung der Fachstelle Zwangsheirat

Drei Wellen: Häufigkeit – Erwartung - Zwang Die erste Welle, 18 Jahre, Ehemündigkeitsalter in der Schweiz (Heirat wird gemäss der

Volljährigkeit möglich)Die zweite Welle, 23 Jahre, durchschnittliches Heiratsalter innerhalb der Gemeinschaften,

bei denen in der Schweiz Zwangsheiraten vorkommen.Die dritte Welle, 26 Jahre, kritischer Zeitpunkt. Es wird zunehmend die Schwierigkeit

gesehen, einen Heiratspartner für eine junge Frau zu finden. Die Gefahr besteht, dass sie zur „Übriggebliebenen“ wird.


Endogamie – über das Verbot ausserhalb der eigenen Ethnie, Religion,… zu heiraten

Das internationale Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung wurde 1965 von den Vereinten Nationen abgeschlossen. Art. 5 d) iv) besagt aber zum Heiraten: Das Recht auf Ehe und auf freie Wahl des Ehegatten sollte ohne Unterschied der Rasse, der Hautfarbe, des nationalen Ursprungs, oder des Volkstums gewährleistet sein.


Zusammenhänge


Zusammenhänge

─ Religion─ Disziplinierung─ Heteronormativität (Gegengeschlechtlichkeit)─ Vergeschlechtlichung (Geschlechterrollen)─ Sexualität─ Ruf der Familie wichtiger als Ehre des Individuums─ Community Bonding (Gemeinschaftsfessel)─ Neo-Ethnisierung─ Neo-Religionisierung─ Neo-Traditionalismus─ Diskriminierung ─ Abgrenzungsstrategie─ Desintegration─ Wirtschaftslage─ Einreisestrategie─ Transnationalismus─ Adultismus (Macht der Älteren)

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Das Familienkontinuum: Von der elterlichen zur ehelichen FamilieBeratungsmethode:SUS (seit 2017): ─ Selbstbestimmung, Unabhängigkeit und Selbstständigkeit─ Rückfälle sind häufig nach Institutionen/Interventionen: aus

Einsamkeit zurück in die alten Zwangskonstellationen─ Deshalb: Abhängigkeiten von Fach- und Beratungsstellen

vermeiden und stattdessen Förderung von SUS

Lebenssequenzierung:Eine Erklärung (nicht monokausal)3E Eltern – Eigenständigkeit – Ehe2E Eltern – Ehe


Inverse Regredierung.

─ Zwang

Zwang


Normierung von Sexualität bei traditionalistisch-konservativen Gesellschaften─ Starke moralische Normen rund um Sexualität ─ Normierung durch Religion, Kultur, Tradition, ...─ Heirat, Ehe als Institution zur Legitimierung von Sexualität ─ Sexualität vor, während bzw. ausserhalb, und nach der Ehe illegitim und

unsittlich─ Aber: Sexualität als grundlegendes menschliches Bedürfnis─ Verengung von Sexualität auf die Ehe bringt einen Heiratszwang mit sich─ Dieser Heiratszwang kann in einer Zwangsheirat münden


Jungfräulichkeit

Zeitung 20min vom 10. Dezember 2015

„Fünf bis zehn Bestellungen im Monat kommen aus der Schweiz, Tendenz steigend.“ (Geschäftsführerin Virginia Care)„Das Hymen der deutschen Firma Virginia Care. Es besteht aus zwei Zellulose-Häutchen, zwischen denen sich steriles gefriergetrocknetes Blutpulver befindet.»

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Über- & Untersexualisierung

Kontextualisierung von Sexualitätsvorstellungen:


«Hast du einen Freund?» Gleiche Frage – einmal ja, einmal nein


Transnationalität:Zwangsheiraten und Auslandbezug─ 77% der Zwangsheiratsfälle haben einen Auslandbezug: bspw.

transnationale Beziehungen, EhegattInnennachzug (Bundesstudie Zwangsheirat 2012:63)

─ 90% Zwangsheiratsfälle mit Auslandbezug (FMU Grossbritannien, 2017)─ Deutschland, 2011: 52% der Zwangsheiraten finden im Ausland statt oder

sind dort geplant*─ Deutschland, 2011: In 34% aller Fälle von Zwangsheirat hat ein

dauerhafter Umzug ins Ausland (Heiratsverschleppung/Outplacement) stattgefunden*

* Mirbach, Thomas, Schaak, Torsten & Triebel, Katrin. 2011. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Zwangsverheiratung in Deutschland – Anzahl und Analyse von Beratungsfällen (Kurzfassung): S. 39.


Herausforderungen: Outplacement

Eine geschlechtsspezifische Form der DisziplinierungAndere Begriffe: „Heiratsverschleppung“, „achterlaating“, „abandonment“: (Out-)Placement: spezifisch auf den Kontext Zwangsheirat bezogen; deutschsprachiger

Raum: „Heiratsverschleppung“ Situation der Betroffenen: unter der Kontrolle der Familie „platziert“,

fehlende Netzwerke, Hinderung an der Rückkehr Nicht immer im Herkunftsland, auch anderes Ausland. Nicht immer ist eine Zwangsheirat involviert

Formen von Heiratsverschleppung: 5A + D1. Ahnungslos2. Angelockt3. Angebandelt4. Angenommen5. Angedroht

+ D = Disziplinierung

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Outplacement: Eidesstattliche Erklärung


Ursachen und Zusammenhänge: Multilokale Effekte

─ Herkunftseffekt (Herkunftsgesellschaft)─ Migrationseffekt (in Transitionsphase)─ Diaspora-Effekte (im Wohnland)


Herkunftsseffekt

Reaktion auf Gesetzesebene in Diasporaländern im Bereich ZwangsheiratenBeispiel Dänemark ─ Verwandtenheirat gilt automatisch als Indiz für eine Zwangsheirat─ Der Familien- bzw. Ehegattennachzug ist erst mit 24 Jahren erlaubt

Exemplarisch: Verwandtenehen in kulturellen Kontexten: ─ In türkischen Gemeinschaften sind Verwandtenheiraten häufig (bei

der Fachstelle Zwangsheirat 34% der türkisch-stämmigen Betroffenen); in srilankischer Kultur waren Kreuzcousins-Heiraten rückläufig, seit 2010 (nach Kriegsende im Herkunftsland) steigen Verwandtenheiraten wieder

─ In albanischsprechenden Gemeinschaften (z.B. im Kosovo) sind Verwandtenheiraten verpönt


Migrationseffekt (im Prozess der Transition)Anteil von minderjährig verheirateten syrischen Personen:─ in Syrien: 13%─ in den syrischen Flüchtlingslagern in Jordanien: 32%

Quelle: UNICEF 17. Juli 2014

Syrisches Flüchtlingslager Zaatari, Jordanien

(ActionSyria/UNHCR)

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Diaspora-Effekt:

Beispiel:«More importantly, men perceive that they are losing power just as women are gaining power both within and outside the home in the new host community. In dealing with the destabilization of masculinity that results from broader social, political, and economic sources outside the home, men may use violence against their intimate partner because their partners are easier targets than these more abstract sources, as a way to attempt to regain a sense of control over their lives.»

Quelle: Alcalde Cristina M. (2011), Masculinities in Motion. Latino Men and Violence in Kentucky, in: Men and Masculinities, 14(4), 2011, S. 450-469. Hervorhebung durch den Autoren.


Kulturalisierung vs. Kultur-Nihilierung«Alles ist Kultur» vs. «Nichts ist Kultur»

Kulturperspektive

Erkl

ärun

gskr

aft

Aurea Mediocritas= der goldene Mittelweg

schwach starktief

hoch

‘Kultur-Nihilierung’ ‘Kulturalisierung’


Fremdeinfluss und Selbstbestimmung: RSP-ModellAurea Mediocritas = der goldene Mittelweg


Umgang mit Fällen und Bewältigungsstrategien: RSP-Modell von der Fachstelle Zwangsheirat─ Nachgeben: Regressiver Weg; Zwangsheirat (vorerst)

mitmachen, eine Menschenrechtsverletzung!─ Durchsetzung: Subversiver Weg; Trennung von der Familie,

«abhauen»─ Unterlassung / symbiotischer Kompromiss / Synergie:

Progressiver Weg; peu-à-peu zusammen mit den Eltern Selbstbestimmung in der PartnerInnenwahl erreichen! Aureamediocritas – der goldene Mittelweg

Zwischen den Wegen kann es Übergänge geben, z.B. wenn bei progressivem Ansatz die Gewalt steigt, kann zu subversivem Weg gewechselt werden.

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K4-ModellKontrollierte kaskadenartige Konflikte mit KompromissWie kann Selbstbestimmung in einem Umfeld mit starker Zwangsausübung, aber ohne akute Gefährdung praktiziert und erweitert werden? Ansatz «indirekte Mediation»: Handeln ausschliesslich durch betroffene Person, parallel Vor- und Nachbereitungen durch Fachberatung im HintergrundKontrollierte kaskadenartige Konflikte mit Kompromiss (= controlledcascaded conflicts with compromise)

─ Kontrolliert: die Sicherheit der Betroffenen wird nicht gefährdet, die Situation bleibt unter Kontrolle, Situation antizipieren

─ Kaskadenartig: alle Massnahme erfolgen peu-à-peu, Gefahren vermeiden (siehe Aurea Mediocritas)

─ Konflikte: sind in einem gewissen Masse notwendig, bei Menschenwürde geht man keine «faulen Kompromisse» ein

─ Kompromiss: nicht bei Zwangsheiraten, aber bei flankierenden Massnahmen oder Zugeständnisse in anderen Lebensbereichen


Handlungsebene: Methoden-Auswahl bei Fachberatungen

Instrumente: Psychogenese, Soziogramm, Phyloprüfung, GefährdungsmanagementBeratungsmethoden:─ Problemzentriert: Erörterung der Ursachen und Folgen─ Ressourcenorientiert: Stärkung der Eigenressourcen─ Kontrafaktisch: Umkehrabhängigkeiten─ Netzwerkvermittelnd: institutionell und privat─ Affektiv (seit 2016): Emotionale Einbettung und soziales

Sicherungsnetz─ SUS (seit 2017): Selbstbestimmung, Unabhängigkeit und

Selbstständigkeit, gleichzeitig keine Überbetreuung─ «Vertrauensfamilien» (seit 2017)


Abklärungen im Rahmen des Gefährdungsmanagements

1. Psychogenese: Labilität und Stabilität der Betroffenen2. Phyloprüfung: verwandtschaftliche Beziehungen,

transnationale Bezüge, Wertung (positiv/negativ) und Gewichtung (wichtig/unwichtig) der Beziehungen

3. Soziogramm: soziale und institutionelle Einbettung, auch wichtig für trail track record

+ bei Outplacement:4. Netzwerkanalyse


Gefährdungskriterien: Hinweise, keine Nachweise

Katalog von 47 Initialkriterien (agile Anpassungen, Stand Feb. 2019)

Je nach Fall kommen andere Kriterien zum Zug und werden unterschiedlich gewichtet:

Fall Gefährdung+ Fallspezifische Kriterien des Gefährdungsmanagements

Einschätzung+ Kriterien aus Wissenschaft und Erfahrungswerten

Einschätzung(+ Kriterien im Zusammenhang mit involvierten Institutionen, z.B. polizeiliches Rayonverbot)

Einschätzung

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Umgang mit Fällen und Bewältigungsstrategien: Gefährdungsmanagement bei der Fachstelle Zwangsheirat

Gefährdungsskala 0 bis 10 (< = kleiner als / ≥ = ab)< 5: Betroffene bleiben Zuhause und versuchen, mit ihren Fa-milien Lösungen zu finden (indirekte Mediation)≥ 5: Betroffene verlassen ihr Zuhause: Ortswechsel ≥ 6: Ortswechsel intrakantonal oder regional, Schutzeinrichtung≥ 7: Kantonswechsel, zusätzlich Namensänderung und Signalement≥ 8: Opakisierung: bewusst «falsche Fährten legen» (bspw. ins Ausland ausgewandert, Mobiltelefon an einem anderen Ort, etc.)≥ 9: z.B. Zeugenschutzmassnahmen


Partnerschaftsmodell für Casemanagement von Zwangsheiraten

1. Institutionelle bedachte und schnelle Reaktionen und Aktionen

2. Resilienz: d.h. Wagemut der Betroffenen mit Langmut fördern und neue (Dauer-) Abhängigkeiten vermeiden

Im Zentrum:Agilität bei Institutionen – Resilienz bei Betroffenen


Handlungsebene: Vorgehensweisen für Fachpersonen

─ «One chance rule»: wenn Betroffene Unterstützung suchen, ist das eine vielleicht nicht wiederkehrende Gelegenheit (Ambivalenz)

─ Bei Betroffenen sind, weil sie betroffen sind, oft ambivalent, Abweichungen vom «Normalverhalten» normal

─ Ernstnehmen und Differenziertheit: kein Tappen in kulturrelativistische Fallen («Banalisierung oder Barbarisierung»)

─ Keine negativen Äusserungen über Eltern/Gemeinschaft─ Kein Kontakt mit Familie und Gemeinschaft diesbezüglich, keine

Vorinformation über evtl. eingeleitete Massnahmen─ Keine Mediation und Begleitung auf eigene Faust─ Keine unüberlegten, ungeplanten Interventionen─ Keine emotionalen Verstrickungen ─ Kein Abbruch von Vorgesprächen/Erstberatungen ohne begleitete Triage


Direkte Mediation: Vorsicht walten lassen

«Mediation, reconciliation and family counselling as a response to forcedmarriage can be extremely dangerous. There have been cases of victims beingmurdered while mediation was being undertaken. Do not undertake any of theseactivities, as you may unwittingly place a victim in further danger.» Forced Marriage Handling Guide, Forced Marriage Unit, England, 2009

«The danger of family counselling and mediation: Forced marriage should not be viewed as a “generational or culture clash” that can be solved by mediation.»Dealing with cases of forced marriage, Foreign & Commonwealth Office / London, 2007

Je höher der «interne» Druck, desto sensibler reagieren Zwangsausübende auf «externe» Interventionen. Dies kann zu einer Verschärfung der Zwangssituation und Erhöhung des Gefahrenpotenzials führen.

Indirekte Mediation möglich, im Sinne von «Arbeit» mit den zwangsausübenden Personen via der betroffenen Person (vergleiche Aurea Mediocritas)

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Angebot der Fachstelle – Workshop und Coaching

─ Altersgerechte Workshops für Schülerinnen und Schüler; z.B. zum Thema «Liebe, Beziehung, Sexualität und Heirat – ohne Zwang»

─ Fachspezifische Workshops und Weiterbildungen für Berufs-und Fachpersonen; z.B. zum Thema «Minderjährigenheiraten» oder «Zwangsheirat im Schulkontext»

─ Beratung von Betroffenen in Zwangssituationen─ Coaching für Fachpersonen im Casemanagement


Nationales Monitoring zu Zwangsheiraten und –ehen


Synopsis (Vergleichende Übersicht = Profil)Mehrkultureller Kompetenz

Kognitiv (awareness)«Kopf»: Verstehen, Knowhow, WissenKenntnis spezifischer Dimensionen, z.B. Soziogramm Hintergrundwissen der Herkunft der Person und UmgebungLänder- und immigrationsspezifische Kenntnisse

Affektiv (sensitivity)«Herz»: Einstellungen, Empfindungen, WerteSoziale Kompetenzen: Sympathie, Empathie, Polyzentrismus, Aufgeschlossenheit, Lernbereitschaft, Toleranz,…

Konativ (adroitness)«Hand»: Fähigkeiten, Fertigkeiten, Handeln Handlungen und Umsetzung von Kenntnissen und Einstellungen, Kommunikationsfähigkeit, mehrkulturelles Bewusstsein


Schluss

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und Mitwirkung!

Fachstelle Zwangsheirat - Kompetenzzentrum des [email protected]

Helpline: 0800 800 007, kostenfrei, auch ausserhalb BürozeitenOffice: 021 540 00 00, Bettina Frei, GeschäftsleitungÖffentlichkeitsarbeit: 079 911 00 00, Anu Sivaganesan, Präsidium

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