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ZÜRICHSEE-ZEITUNG OBERSEE MITTWOCH, 6. FEBRUAR 2013 2 REGION Zwischen den Perioden der Futteraufnahme sitzen Seidenschwänze in Gruppen zusammen, pflegen ihr Gefieder oder ruhen. Bilder: Klaus Robin An der Tränke zanken zwei Seidenschwänze und drohen mit aufgerissenen Schnäbeln. In den sonnigen Mittagsstunden jagen Seidenschwänze nach Insekten. Seidenschwänze – Gäste aus dem hohen Norden ORNITHOLOGIE. Seit rund drei Wochen ziehen in der Linthebene Seidenschwänze umher. Das Brutgebiet dieser starengrossen Vögel erstreckt sich von Nordskandinavien über Sibirien bis Kanada. KLAUS ROBIN Zumeist überwintern Seidenschwänze im Brutgebiet. Bei hohen Beständen und Futterknappheit ziehen sie jedoch in den Süden und erreichen auch Mitteleuropa. Seidenschwänze sind gesellig und meist in Trupps unterwegs. Im Sommerhalb- jahr ernähren sie sich und ihre Brut über- wiegend von Insekten. Im Winter hin- gegen fressen sie nicht geerntetes Obst und allerhand Beeren. Dazu besuchen sie auch Privatgärten, Schulanlagen und Friedhöfe. Im Kaltbrunner Riet nehmen sie überwiegend Beeren des Gemeinen Schneeballs und der Mistel auf. Interes- sant ist die Beobachtung, dass Seiden- schwänze sofort, wenn erste Fahrspuren auf den Kieswegen aper geworden sind, Magensteinchen aufnehmen. Diese har- ten Kiesel dienen dazu, die zähhäutigen Beeren im Magen zu zerreiben und so das Fruchtfleisch verfügbar zu machen. Manchmal fressen sie auch Flechten. Haben Seidenschwänze eine geeig- nete Nahrungsquelle gefunden, bleiben sie, wenn sie ungestört sind, den ganzen Tag auf kleinem Raum, ruhen auf Ein- zelbäumen, fressen Beeren und Magen- steinchen in unmittelbarer Nähe und trinken regelmässig aus einem Gewässer. Bei näherer Betrachtung fallen unter den bunten Farbtupfern im lachsfarbigen Gefieder die lackartigen karminroten Spitzen der Flügelfedern auf. Diese Be- sonderheit hat dem Vogel seinen engli- schen Namen – Waxwing/Wachsflügel – eingebracht. Alte schweizerische und deutsche Be- zeichnungen wie Sterbevögeli, Pest- oder Kriegsvogel muten uns heute seltsam an. Sie alle stellen einen Zusammenhang her zwischen dem unvorhersehbaren und invasionsartigen Erscheinen dieser Vo- gelart in strengen Wintern und dem zeit- gleichen Leiden und Sterben der mittel- alterlichen Bevölkerung in Pest-, Kriegs- und Hungerzeiten. Naturfreunde unse- rer Tage können sich über das Erscheinen dieses spektakulären Vogels nur freuen. Zwischen Eisschollen schlürft einer der Vögel Schmelzwasser. Ein Seidenschwanz hat eine Schneeballbeere auf der Zunge platziert, bevor er sie schluckt.

Zwischen den Perioden der Futteraufnahme sitzen … · 2015. 10. 23. · ein seidenschwanz hat eine schneeballbeere auf der Zunge platziert, bevor er sie schluckt. Zwischen eisschollen

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Page 1: Zwischen den Perioden der Futteraufnahme sitzen … · 2015. 10. 23. · ein seidenschwanz hat eine schneeballbeere auf der Zunge platziert, bevor er sie schluckt. Zwischen eisschollen

Zürichsee-Zeitung OberseeMittwoch, 6. Februar 20132 regiOn

Zwischen den Perioden der Futteraufnahme sitzen seidenschwänze in gruppen zusammen, pflegen ihr gefieder oder ruhen. bilder: Klaus robin

An der tränke zanken zwei seidenschwänze und drohen mit aufgerissenen schnäbeln. in den sonnigen Mittagsstunden jagen seidenschwänze nach insekten.

Seidenschwänze – Gäste aus dem hohen Norden

OrnithOlOgie. Seit rund drei Wochen ziehen in der Linthebene Seidenschwänze umher. Das Brutgebiet dieser starengrossen Vögel erstreckt sich von Nordskandinavien über Sibirien bis Kanada.

Klaus Robin

Zumeist überwintern Seidenschwänze im Brutgebiet. Bei hohen Beständen und Futterknappheit ziehen sie jedoch in den Süden und erreichen auch Mitteleuropa. Seidenschwänze sind gesellig und meist in Trupps unterwegs. Im Sommerhalb­jahr ernähren sie sich und ihre Brut über­wiegend von Insekten. Im Winter hin­gegen fressen sie nicht geerntetes Obst und allerhand Beeren. Dazu besuchen sie auch Privatgärten, Schulanlagen und Friedhöfe. Im Kaltbrunner Riet nehmen sie überwiegend Beeren des Gemeinen

Schneeballs und der Mistel auf. Interes­sant ist die Beobachtung, dass Seiden­schwänze sofort, wenn erste Fahrspuren auf den Kieswegen aper geworden sind, Magensteinchen aufnehmen. Diese har­ten Kiesel dienen dazu, die zähhäutigen Beeren im Magen zu zerreiben und so das Fruchtfleisch verfügbar zu machen. Manchmal fressen sie auch Flechten.

Haben Seidenschwänze eine geeig­nete Nahrungsquelle gefunden, bleiben sie, wenn sie ungestört sind, den ganzen Tag auf kleinem Raum, ruhen auf Ein­zelbäumen, fressen Beeren und Magen­steinchen in unmittelbarer Nähe und

trinken regelmässig aus einem Gewässer. Bei näherer Betrachtung fallen unter den bunten Farbtupfern im lachsfarbigen Gefieder die lackartigen karminroten Spitzen der Flügelfedern auf. Diese Be­sonderheit hat dem Vogel seinen engli­schen Namen – Waxwing/Wachsflügel – eingebracht.

Alte schweizerische und deutsche Be­zeichnungen wie Sterbevögeli, Pest­ oder Kriegsvogel muten uns heute seltsam an. Sie alle stellen einen Zusammenhang her zwischen dem unvorhersehbaren und invasionsartigen Erscheinen dieser Vo­gelart in strengen Wintern und dem zeit­gleichen Leiden und Sterben der mittel­alterlichen Bevölkerung in Pest­, Kriegs­ und Hungerzeiten. Naturfreunde unse­rer Tage können sich über das Erscheinen dieses spektakulären Vogels nur freuen.

Zwischen eisschollen schlürft einer der Vögel schmelzwasser.ein seidenschwanz hat eine schneeballbeere auf der Zunge platziert, bevor er sie schluckt.