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Zwischen Krieg und Frieden

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ATLAN 96 – Die Abenteuer der SOL

Nr. 595

Zwischen Krieg und Frieden von Hubert Haensel

In den mehr als 200 Jahren ihres Fluges durch das All haben die Besatzungsmitglieder des Generationenschiffs SOL schon viele gefährliche Abenteuer bestanden. Doch im Ver-gleich zu den schicksalhaften Auseinandersetzungen, die sich seit dem Tag ereignen, da Atlan, der Arkonide, auf geheimnisvolle Weise an Bord gelangte, verblassen die vorange-gangenen Geschehnisse zur Bedeutungslosigkeit. Denn jetzt – inzwischen ist nach einem weiteren Sturz in die Zukunft das Jahr 3807 Bord-zeit angebrochen – geht es bei den Solanern um Dinge, die die weitere Existenz aller ernstlich in Frage stellen. Immer noch ist Hidden-X, das versteckte Unbekannte, aktiv, obwohl dieser Gegner der SOL durch Atlan und seine Getreuen schon mehr als eine entscheidende Schlappe erlitten hat. Gegenwärtig stellt sich für die Solaner die Lage so dar: Nach der Befreiung aus dem Zeit-tal, der Rückkehr Atlans und dem Sturz in die Zukunft überwindet man die fast 40 Millio-nen Lichtjahre von der ehemaligen Zone-X nach Pers-Mohandot, wo die Solaner auf die feindlich eingestellten Zyaner treffen. In dieser Situation macht Skrempeleck oder Narod II, ein alter, seltsamer Mann, von sich reden. Inmitten der Feinde wirkt er als Verkünder des Positiven und steht ZWISCHEN KRIEG UND FRIEDEN ...

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ATLAN 96 – Die Abenteuer der SOL

Die Hauptpersonen des Romans: Skrempeleck – Ein Verkünder des Positi-ven liefert sich den Zyanern aus. Insider, Jylene Tapsin und Trunk B. Deuergal – Sie begleiten den Verkünder. Breckcrown Hayes – Der High Sideryt und der Arkonide widmen sich neuen Schwierigkeiten an Bord der SOL. Zaut-Zy – Vizeadmiral der Zyaner. Kyrm-Bra, Shert-Gorm und Maut-Irik – Drei prominente Zyaner.

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1.

»... und ich sage euch, Hidden-X’ letzte

Stunde ist nahe. Nichts und niemand kann den Lauf der Zeit noch aufhalten.«

Insider hörte nicht auf Skrempelecks Wor-te, wohl vernahm er dessen warme, ein-schmeichelnde Stimme, die mehr als nur den geübten, überzeugenden Redner verriet, der es verstand, seine Zuhörer mitzureißen. Sie ließ erkennen, daß der Alte an all das glaubte, was er sagte.

»Die Zyaner sind nicht unsere Feinde; sie werden uns helfen, Hidden-X in die Enge zu treiben.«

Der Extra seufzte vernehmlich, was Jylene Tapsin zu einer zynischen Bemerkung veran-laßte:

»Wenn du an Skrempelecks Behauptungen zweifelst, weshalb hast du dich als Pilot zur Verfügung gestellt? Hättest du nicht die Si-cherheit deiner Kabine einem Unternehmen mit unsicherem Ausgang vorziehen sollen?«

»Weil ...« Insider wußte es nicht, zumindest erschien es ihm unmöglich, seine Empfindun-gen auszudrücken. Da war eine seltsame Lee-re in ihm, verbunden mit dem Gefühl des Un-behagens, das jedoch verflog, sobald der ural-te Solaner, der sich selbst Narod II oder Ver-künder nannte, in seine Nähe kam.

Du läßt dich von ihm beeinflussen wie je-der andere auch, schoß es ihm durch den Sinn.

»Verschließe dich nicht vor den Tatsa-chen«, fuhr Jylene fort. »Skrempeleck weiß genau, was er tut – er ist die Rettung, auf die alle gewartet haben. Atlan und er werden Großes vollbringen.«

Der Extra mit dem für menschliche Zungen unaussprechlichen Namen, der Einfachheit halber Insider oder Zwo genannt, schwieg. Er wandte sich wieder dem Bildschirm zu, auf dem die SOL nur mehr als winziger Stern unter vielen auszumachen war. Eingespiegelte Positionsdaten zeigten an, wann das Zusam-mentreffen mit den Zyanern spätestens erfol-gen würde.

Nach wie vor stand die SOL ungefähr 50 Lichtminuten von den beiden Planeten des Deignar-Systems entfernt und damit außer Reichweite der zyanischen Bodenwaffensys-

teme, die zweifellos imstande waren, das Fernraumschiff zu zerstören.

Mit halber Lichtgeschwindigkeit drang die Space-Jet 19 tiefer in das Sonnensystem ein. Narod II hatte ihr den Eigennamen ÜBER-ZEUGUNG gegeben. Blieb zu hoffen, daß dies wirklich ein gutes Omen war.

Die kleine, unscheinbare Sonne in Flug-richtung wirkte düster und beklemmend.

»Ortung!« meldete Trunk B. Deuergal auf-geregt.

Kurz hintereinander tauchten drei halbku-gelförmige Schiffe aus dem Linearraum auf. Jedes von ihnen durchmaß an der Bodenflä-che 240 Meter. Mit unverminderter Ge-schwindigkeit näherten sie sich der Space-Jet, und an ihren Absichten bestanden von vorne-herein keine Zweifel. Der zangenförmigen Umklammerung würde die ÜBERZEUGUNG nicht entkommen können.

Insider erkannte die Gefahr sofort. Ein ra-sches Ausweichmanöver tat not. Aber Skrem-peleck fiel ihm in den Arm, bevor er die Triebwerke hochschalten konnte.

»Nicht«, raunte der Solaner, dessen wahres Alter niemand kannte. »Wir wollen mit ihnen reden.«

»Das bezweifle ich nicht«, erwiderte In-sider. »Allerdings niemals aus einer Position der Schwäche heraus.«

Mit zweien seiner vier Arme versuchte er, Narod II sanft zur Seite zu schieben. Ein Lä-cheln huschte über das Gesicht des Alten, als ihm das nicht gelang.

»Weshalb sträubst du dich gegen das Un-vermeidliche, Insider?« flüsterte Skrempe-leck. »Wir werden den Kurs beibehalten und eine friedliche Verständigung suchen. Die Zyaner haben keinen Grund, auf uns zu schießen.«

»Sie hatten ebenfalls keinen Anlaß, sich mit der SOL anzulegen«, protestierte Insider. »A-ber sie haben es trotzdem getan.«

»Folglich sind wir dazu ausersehen, ihnen ihre Fehler klarzumachen.« Skrempeleck wandte sich zu Trunk B. Deuergal um. »Was kommt über Funk herein?«

»Nichts.« »Dann werde ich zu ihnen sprechen.« Bereitwillig räumte der Buhrlo seinen

Platz. Insider zuckte resignierend mit den

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Armen.

Mittlerweile hatten die Zyaner ihre Zan-genbewegung nahezu vollendet. Einhundert-tausend Kilometer standen sie noch entfernt – ein Entkommen war damit so gut wie unmög-lich geworden.

Aus dem Translator, den der Verkünder be-nutzte, erklangen dumpf grollende Laute. Al-lerdings handelte es sich nur um die Wieder-gabe dessen, was er sagte. Menschliche Stimmbänder waren für die kehlige Sprache denkbar ungeeignet.

Die Zyaner schlossen weiter auf. Hinsicht-lich der Überlegenheit ihrer Feuerkraft konnte es keine Zweifel geben. Insider hoffte nur, daß Narod II recht behielt. Wenn nicht ...

Die Echsenwesen, allem Anschein nach ein Hilfsvolk von Hidden-X, besaßen keinerlei Veranlassung, die ÜBERZEUGUNG zu schonen.

Skrempeleck ließ keine Regung erkennen. Nur sein Tonfall wurde mahnender. Die Frage blieb, ob der Translator in der Lage war, jede Nuance in die fremde Sprache zu übertragen.

Als die Energieortung sprunghaft anstieg, zuckte Insider zusammen.

»Ich aktiviere die Defensivschirme«, sagte er.

»Nein«, erklärte Narod II hart. »Das ist als feindseliger Akt zu werten. Sollen wir da-durch das bestehende Gleichgewicht der Kräf-te gefährden?«

»Gleichgewicht?« stöhnte Insider. »Die Zyaner können jeden Moment ein Tontauben-schießen auf uns veranstalten.«

»Sie werden es nicht tun.« »Bei allen Geistern der Galaxis, was macht

dich dessen so sicher?« Der Verkünder lächelte wissend. Sein Blick

hielt dem des Extras mühelos stand. Irgend-wie war es ein kurzer, stummer Zweikampf, den Insider verlor. Wieder glaubte er, einen Hauch dessen zu verspüren, was nicht nur die beiden Atlantreuen, sondern mittlerweile auch etliche tausend Solaner, Extras und Bordmut-anten zu treuen Anhängern des Verkünders hatte werden lassen. Benommen fuhr er sich mit einer seiner Hände übers Gesicht. Auf seiner Stirn standen Schweißperlen.

»Reduziere bitte unsere Fluggeschwindig-keit, Zwo«, sagte Skrempeleck.

Insider führte die entsprechenden Schaltun-gen aus, ohne weiter darüber nachzudenken. Erst als die neuen Werte über einen Monitor flimmerten, schien ihm klarzuwerden, was er getan hatte.

Das Energieaufkommen bei den Zyanern blieb mittlerweile konstant auf erschreckend hohen Werten. Und sie waren nahe genug, um eine Flucht in den Linearraum zu verhindern.

»Die Schutzschirme ...«, erinnerte der Ext-ra.

»Die Zyaner werden nicht auf uns schie-ßen«, behauptete Skrempeleck.

»Sie brauchen unsere Jet nicht zu fürch-ten.«

»Aber die Feuerkraft der SOL.« »Das ist reine Augenwischerei. Atlan wird

sich hüten, erneut Risiken einzugehen.« »Warum reden alle immer nur von Gewalt?

Es gibt schließlich friedliche Mittel einer Ver-ständigung.«

»Willst du uns das Recht absprechen, daß wir uns gegen einen überlegenen Gegner zur Wehr setzen?« protestierte Insider. »Und sei es nur mit Hilfe unserer Defensivbewaff-nung.«

»Du fürchtest die Zyaner?« Als der Extra mit der Antwort zögerte, fuhr

Narod II unbeirrt fort: »Es ist das alte Spiel der sich gegenseitig

hochschaukelnden Kräfte. Jeder behauptet, den anderen fürchten zu müssen und nur dann in Frieden leben zu können, wenn er selbst aufrüstet.«

Der Funkempfang sprach an. Allerdings meldete sich nur Breckcrown Hayes von Bord der SOL, dessen Besorgnis unüberhörbar war.

»Die Situation entwickelt sich nach unserer Vorstellung«, sagte Skrempeleck und kam damit Insider zuvor. »Wir benötigen keine Hilfe.«

Sein Aufruf an die Zyaner wurde mittler-weile vom Speichermodul des Translators wiederholt. Die Aufzeichnung war noch nicht beendet, als die Bordpositronik Alarm auslös-te.

Von einer Sekunde zur anderen wurde die Zentrale in blendende Helligkeit getaucht. Jylene Tapsin schrie gellend auf und schlug sich die Hände vors Gesicht.

Insiders Finger huschten über sein Schalt-

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pult. Ein halbes Dutzend hektisch blinkender Rotkontrollen erlosch schlagartig. Irgendwo im Innern der Space-Jet begannen Aggregate zu rumoren.

»Ruhig bleiben«, mahnte Narod II. »Du solltest die Energiezufuhr zu den Waffensys-temen wieder drosseln.«

»Woher weißt du ...?« fuhr der Extra auf und erntete dafür einen spöttischen Blick des alten Solaners.

»Das ist kein Angriff. Wenn die Zyaner gewollt hätten, sie hätten uns mit einem ein-zigen Feuerschlag aus dem All gefegt.«

»Ich danke für die Aufmunterung«, erwi-derte Insider barsch. »Die Strahlbahn ging keine zehn Meter an uns vorbei. Was ist jetzt mit deinen Bemühungen? Sie scheinen nicht zu fruchten.«

»Abwarten«, sagte Skrempeleck nur. Der Extra verzog die Mundwinkel zu einem

abschätzenden Lächeln. Er zeigte auf den Bildschirm der Hyperortung, auf dem von verschiedenen Seiten her drei hell leuchtende Reflexe unaufhaltsam dem Mittelpunkt zu-wanderten.

»Das hier«, erklärte er, »ist für mich wich-tiger als jede Gefühlsduselei. Ich bin auch für den Frieden und die Verständigung zwischen den Völkern, und seien diese noch so fremd-artig veranlagt. Aber nicht um jeden Preis, Narod. Die Zyaner haben eindeutig Kollisi-onskurs.«

Die ÜBERZEUGUNG beschleunigte. Gleichzeitig stellte Insider eine Hyperfunk-verbindung zur SOL her. Wenn er überrascht war, sofort mit Atlan sprechen zu können, so zeigte er es jedenfalls nicht.

»Wir werden angegriffen. Noch ist es zu keinen Kampfhandlungen gekommen. Aber falls die Zyaner uns massiert unter Beschuß nehmen, werden wir kaum sehr lange stand-halten können.«

»Was sagt Skrempeleck dazu?« Insider machte ein Gesicht, als habe er so-

eben in eine Zitrone gebissen. »Du kennst seine Reden. Nur sind sie in

dieser Situation fehl am ...« Abrupt brach er ab, verstummte vor der erneut über der Space-Jet zusammenschlagenden Helligkeit.

»Ausweichmanöver eingeleitet«, meldete die Positronik. »Abweichung fünfzehn Grad

grün ...« Wütend schlug der Extra auf einen Schal-

ter. Die mechanische Stimme verstummte daraufhin.

»Jylene, Schadensmeldungen abchecken! Und du, Narod II, geh lieber an deinen Platz und schnall dich an. Es könnte ungemütlich werden.«

Der uralte Solaner schüttelte den Kopf. In seinen Augen lag ein nachsichtiges Lächeln, das Insider verunsicherte.

Wieder rasten zwei Strahlbahnen heran. Optisch waren sie erst im allerletzten Moment auszumachen. Hart nahm Insider die Jet aus dem Kurs. Vorübergehend wurde durch die Polkuppel eines der zyanischen Schiffe sicht-bar. Es stand scheinbar zum Greifen nahe.

»Jylene, verdammt, wo bleibt deine Mel-dung?«

Ein wenig hilflos zuckte das Mädchen mit den Schultern. Der Extra seufzte.

»Die Konsole links von dir. Die Bedienung ist narrensicher.« Er wandte sich wieder dem Funkempfang zu. Auf dem Monitor war At-lans Antlitz nur noch verzerrt zu erkennen. Stärker werdende Störungen überlagerten das Bild.

Der Arkonide schien etwas zu sagen. Ein Krachen und Knistern, das mit einer mensch-lichen Stimme kaum noch Ähnlichkeit hatte, drang aus den Lautsprechern.

»Vergelte nicht Gleiches mit Gleichem!« rief Skrempeleck. »Die Zyaner sind nicht un-sere Feinde ...«

»Aber sie schießen auf uns.« »Warnschüsse.« Insider winkte ab. Einer der halbkugelförmigen Raumer wan-

derte in den Erfassungsbereich der Zieloptik. Die Transformkanonen zeigten Feuerbereit-schaft. Langsam senkte Insiders Rechte sich auf den Auslöser.

Unverhofft fiel Trunk B. Deuergal ihm in den Arm.

»Willst du alles zerstören, was der Verkün-der bisher aufgebaut hat? Weshalb vertraust du ihm nicht?«

»Patsch-uuh!« machte der Extra verblüfft, wie meist, wenn er etwas unangenehm oder bedrückend fand.

Im nächsten Moment packte er zu, drehte

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den völlig überraschten Buhrlo herum und schob ihn einfach von sich.

»Du hast deine Ansichten über Skrempe-leck und ich die meinen. Laß mich jetzt damit zufrieden.«

»Die Kontrollen zeigen Grünwerte«, rief Jylene Tapsin. »Das bedeutet, daß die Zyaner ...«

»... schlechte Schützen sind, sonst nichts.« Obwohl die Space-Jet wieder mit Höchst-

werten beschleunigte, schoben die Angreifer sich näher heran. Bevor die ÜBERZEU-GUNG die für den Übertritt in den Linear-raum erforderliche Eintauchgeschwindigkeit erreichen konnte, mußte es zwangsläufig zur Kollision kommen.

»Mögliche Ausweichkurse berechnen!« be-fahl Insider der Positronik.

Es kam nicht mehr dazu, weil schlagartig sämtliche auf hyperenergetischer Basis arbei-tende Geräte verrückt spielten. Irgendwo mußte eine Aufrißfront größeren Ausmaßes entstanden sein, deren Ausläufer die Space-Jet erfaßten. Die ohnehin gestörte Funkverbin-dung zur SOL brach endgültig zusammen.

»Die Schockwelle kam aus unmittelbarer Sonnennähe«, stellte der Extra fest. »Hoffent-lich sind die Zyaner ebenfalls davon betrof-fen.«

Daß dem nicht so war, mußte er schon we-nige Augenblicke später feststellen. Ein mächtiger Schatten schob sich an die Space-Jet heran. Die heftige Erschütterung, die das Beiboot durchlief, war verbunden mit metal-lisch schabenden Geräuschen an der Außen-hülle.

Jäh entstand eine hell erleuchtete Öffnung über der SJ-19, von der durch die Polkuppel ein Teil einzusehen war.

Ein Hangar ... Insider versuchte, die Jet herumzuziehen.

Aber nichts geschah. Ohnmächtig mußte er mit ansehen, wie die ÜBERZEUGUNG, von kräftigen Greifarmen gepackt, in dem frem-den Hangar abgesetzt wurde. So hatte er sich seine erste Begegnung mit den Zyanern gewiß nicht vorgestellt.

»Wir haben es geschafft«, rief Narod II freudig aus.

»In der Tat«, nickte Insider. »Wenn du da-mit meinst, daß wir Gefangene der Echsenwe-

sen sind, muß ich dir zustimmen.« »O du Kleingläubiger«, versetzte der Ver-

künder. »Was muß geschehen, um dich auf den Pfad des Erkennens zu führen? Genügt dir nicht mein Wort? Die Zyaner werden uns ein Zusammentreffen mit ihrem Vizeadmiral Zaut-Zy ermöglichen.«

»Bisher ist der Zufall dir zu Hilfe gekom-men.«

»Nenne du es Zufall«, sagte Jylene Tapsin. »Wir sind überzeugt davon, daß es die Vorse-hung ist.«

Die Space-Jet war zur Ruhe gekommen, der Hangar schloß sich bereits. Anschließend würde der Druckausgleich erfolgen, denn die Zyaner waren ebenfalls Sauerstoffatmer.

»Du hältst Skrempeleck wirklich für einen Propheten?« wandte Insider sich nach einem flüchtigen Rundblick an Jylene.

»Du nicht?« erwiderte sie heftig. »Sagen wir, ich zweifle seine besonderen

Fähigkeiten an.« »Aber du fliegst die ÜBERZEUGUNG«,

warf Narod II ein. »Warum?« »Vielleicht, weil ich nach einem Beweis

suche ...«, kam es zögernd. »Ja«, nickte Skrempeleck. »Das könnte

sein. Deine Mentalität ist anders als die der Solaner. Was muß ich tun, um dich zu über-zeugen? Ich kann keine Wunder vollbringen, falls du das von mir erwartest.«

»Sie kommen«, unterbrach Trunk B. Deu-ergal.

In Zweierreihen betraten etwa sechzig Zya-ner den Hangar und nahmen rings um die ÜBERZEUGUNG Aufstellung. Die Waffen in ihren Händen redeten eine deutliche Spra-che.

*

In der Hauptzentrale der SOL verfolgte At-

lan das Geschehen. Von Anfang an hatte er eine gewisse Unsicherheit verspürt und mach-te sich Sorgen.

Im nachhinein betrachtet, war es verant-wortungslos, Skrempeleck lediglich in Beglei-tung der beiden Jugendlichen losfliegen zu lassen. Daß Insider bei ihnen war, konnte nicht beruhigen.

Warum quälst du dich, anstatt endlich ein-

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zugestehen, daß du am liebsten selbst mitge-flogen wärst?

Atlan überhörte die spöttische Bemerkung seines Extrasinns geflissentlich. Trotz ihres schier unermüdlichen und vor allem selbstlo-sen Einsatzes während der Gefangenschaft der SOL im Zeittal besaßen Jylene Tapsin und der Buhrlo Deuergal nicht die Erfahrung, die sie zu guten Verhandlungspartnern im Um-gang mit Fremden gemacht hätte.

»Die Zyaner verhandeln nicht«, behauptete Gallatan Herts zum wiederholten Mal. »Auch nicht mit einem Mann wie Skrempeleck.«

»Wir werden sehr bald wissen, wer recht behält«, rief Curie van Herling, die Chefin des Funk- und Ortungspersonals, dazwischen. »Soeben haben drei der großen Schiffe den Linearraum verlassen.«

Früher als erwartet schien die Entwicklung zu eskalieren.

»Ich sehe bloß angespannte Gesichter«, meinte Lyta Kunduran, die Stellvertreterin von Herts. »Wenn ich richtig informiert bin, war ein Zusammentreffen mit den Fremden vorgesehen.«

»Aber keinesfalls so weit außerhalb der Planetenbahnen«, erwiderte Curie. »Die Jet wurde mit entsprechenden Meßsonden aus-gestattet, die sämtliche Werte als Rafferim-puls übermitteln. Im übrigen kannst du dir deinen Spott sparen.«

»Wir überlassen wohl nichts dem Zufall.« »Wenn es sich vermeiden läßt, nein«, sagte

Herts. Die ÜBERZEUGUNG verlangsamte.

Zugleich vollendeten die Zyaner ihre Flug-manöver.

»Erkennt Insider denn nicht, daß sie ihm den Rückweg abschneiden?«

Breckcrown Hayes schaltete eine Funkver-bindung zur Space-Jet. Keineswegs unerwar-tet stellte sich heraus, daß Narod II der Situa-tion durchaus positive Seiten abgewann.

»Wir sollten uns da nicht einmischen«, riet Curie van Herling. »Der Alte weiß genau, was er will.«

»Du redest, als gehörtest du schon zu seiner Anhängerschar.«

»Und wenn dem so wäre?« Gallatan Herts seufzte. »Ich verstehe die Welt nicht mehr. Bloß mit

Worten jemanden zu überzeugen, der gar nicht überzeugt werden will, ist unmöglich. Früher – da hätten wir ordentlich zugepackt und den Zyanern gezeigt, daß sie so nicht mit uns umspringen dürfen.«

»Du trauerst den alten Zeiten nach?« Gallatan Herts schüttelte den Kopf. »Nein, ich glaube nicht«, sagte er. »Die Jet wird angegriffen!« schrie Lyta

Kunduran auf. Eine einzelne Strahlbahn verfehlte den Dis-

kus knapp. »Einschüchterungstaktik«, behauptete der

High Sideryt. »Nichts weiter. Die Zyaner hät-ten ebensogut einen massierten Feuerschlag auslösen können.« Er konnte nicht ahnen, daß zur selben Zeit Skrempeleck ungefähr die gleiche Feststellung traf.

»Funkkontakt!« meldete Curie. »Es ist In-sider.«

»Ich übernehme.« Mit einigen weit ausgrei-fenden Schritten war Atlan bei ihr.

Der Extra schien verwirrt. Nicht nur, was er sagte, auch seine Gesten waren irgendwie zusammenhanglos.

Insider steht Skrempeleck unbewußt ableh-nend gegenüber, behauptete Atlans Logiksek-tor. Das ist der Grund für sein Verhalten.

Auf den Bildschirmen der Hyperortung wa-ren die lichtschnellen Kampfstrahlen, die nach der ÜBERZEUGUNG griffen, als blaßblaue Linien zu erkennen. Diesmal sah es so aus, als würden die Zyaner ernst machen.

»Weshalb aktiviert er nicht endlich die Schutzschirme?« krächzte Herts. »Dieser Narr wartet, bis es zu spät ist ...«

Die Zyaner lassen nicht mit sich reden, durchzuckte es den Arkoniden. Ich hätte es wissen und von Anfang an Skrempelecks Plan mit dem nötigen Nachdruck entgegentreten müssen. Statt dessen habe ich mich überrum-peln lassen.

Gedankenversunken ließ er sich in den nächstbesten Sessel fallen. Wie hatte Skrem-peleck gesagt: »Es ist der einzige Weg, und wir dürfen keine Zeit verlieren.« Das war ges-tern gewesen.

Heute sah vieles anders aus. Nicht, daß At-lan sich wünschte, das Rad der Zeit zurück-drehen zu können, aber es stand zu befürch-ten, daß er nun nie erfahren würde, wer oder

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was Narod II wirklich war.

In seiner Kabine hatte der Alte ihn aufge-sucht und ihm Dinge erzählt, die keiner außer den Stabsspezialisten wissen konnte. Wahr-scheinlich war es das gewesen, was ihn Skrempeleck gegenüber zu nachgiebig ge-macht hatte.

Taschenspielertricks, wisperte der Extra-sinn. Narod II hat dich damit verblüfft.

Das ist lächerlich, erwiderte der Arkonide in Gedanken.

Weshalb grübelst du dann noch immer dar-über nach? Du weißt nicht, ob du einen Feh-ler begangen hast, aber du befürchtest es.

Es ging Atlan keineswegs besser als unzäh-ligen Solanern. Er war verwirrt, kannte den Grund dafür, konnte sich aber dennoch nicht aus dem Teufelskreis lösen. Hinzu kam, daß Skrempeleck mit seinem Ansinnen, bis zu Zaut-Zy vorzustoßen, um den Vizeadmiral vom Unrecht seines Handelns zu überzeugen, offene Türen eingerannt hatte. Und das zu einem Zeitpunkt, da die Pattsituation zwi-schen Zyanern und SOL deutlich offenbar wurde.

Erkundungsflüge, von Hayes veranlaßt, selbst Robotsonden, hatten die Echsen erbit-tert abgewehrt. Bei allem, was man über das Deignar-System zu wissen glaubte, war man auf die Ergebnisse der Fernortungen angewie-sen, die keineswegs sehr aufschlußreich aus-fielen.

Die Waffen der beiden planetaren Stütz-punkte kontrollierten den gesamten inneren Bereich des Sonnensystems. Sogar die SOL war ihrer Feuerkraft nicht gewachsen, so daß man an das geheimnisvolle Objekt innerhalb der Korona des unscheinbaren, roten Sterns vorerst nicht herankam.

Genau dieses künstliche Gebilde aber, von Oggar-Rems »Dimensionsspindel« genannt, schien den einzig gangbaren Weg zu Hidden-X darzustellen. Eine Meinung, die Narod II hartnäckig vertrat, und die Atlan letztendlich dazu veranlaßt hatte, dessen Drängen nach-zugeben.

Lag jenseits der Dimensionsspindel tatsäch-lich das Sternenuniversum? Eine Frage, die sich nur auf eine Weise beantworten ließ.

Weshalb der Verkünder die von Atlan vor-geschlagene Begleitmannschaft abgelehnt und

statt dessen Jylene Tapsin und den Buhrlo Trunk B. Deuergal ausgewählt hatte, konnte der Arkonide ebenfalls nur vermuten.

»Sie kapern die ÜBERZEUGUNG!« Atlan schreckte auf. Es war zu spät, um mit

der SOL eine Hilfsaktion zu starten. Die Hyperortung zeichnete schlecht. Trotz-

dem ließ sich erkennen, daß der winzige Punkt der Space-Jet mit einem der größeren verschmolz, die die zyanischen Schiffe dar-stellten.

»Zumindest haben sie die SJ-19 nicht sofort vernichtet.«

»Du glaubst, daß das Skrempelecks Wirken zuzuschreiben ist?«

Curie van Herling nickte. »Bisher haben sie stets erbarmungslos zu-

geschlagen.« »Besteht noch Funkverbindung?« wollte

Atlan wissen. »Die Störungen überlagern alles«, sagte

Herts. »Es sieht so aus, als sei die Dimensi-onsspindel aktiviert worden. Die starken Im-pulse auf Hyperbasis haben ihren Ausgangs-punkt jedenfalls in unmittelbarer Sonnennä-he.«

»Breiskoll soll kommen. Irgendwie müssen wir erfahren, was auf der ÜBERZEUGUNG geschieht.«

Aber schon kurze Zeit später stand fest, daß die Telepathen nicht das geringste aufnehmen konnten. Die energiereichen Störfronten beeinflußten auch ihre parapsychischen Sinne.

2.

»Veranlasse bitte, daß die Schleuse geöff-

net wird«, sagte Skrempeleck. Insider erschrak. »Vorher solltest du denen da draußen klar-

machen, daß wir in friedlicher Absicht ge-kommen sind. Sie sehen nicht eben aus, als wüßten sie es bereits.«

»Geduld«, erwiderte Skrempeleck, »ist die Stütze der Schwäche, Ungeduld hingegen der Ruin der Stärke.«

»Ich verstehe dich nicht.« »Ich meine, daß wir uns den Zyanern erge-

ben sollten. Wie anders als durch Sanftmut können sie lernen, daß ihr Leben in falschen Bahnen verläuft. Nicht Waffen und kriegeri-

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sche Auseinandersetzungen bringen die Erfül-lung, sondern Zuneigung, Freundschaft und Liebe.«

Wie eine aus Stein gehauene Statue stand der Verkünder inmitten der Zentrale, die kno-chigen Hände vor dem Körper gefaltet.

Für einen Moment glaubte Insider, das Be-sondere der Aura zu spüren, die Narod II um-gab. Aber es war nichts Greifbares, nichts, was er mit Worten hätte ausdrücken können.

Der Extra fühlte den Blick der wasserblau-en Augen auf sich ruhen. Als er aufsah, lä-chelte der Verkünder.

»Öffne die Schleuse!« bat er in einem warmen, weichen Tonfall, dem niemand sich entziehen konnte.

Die flirrenden Mündungen zyanischer Waf-fen waren auf die Unterseite der Space-Jet gerichtet.

»Wir gehen ihnen entgegen«, entschied Skrempeleck, der die Fremden auf den Bild-schirmen minutenlang studiert hatte.

»Willst du den Schutz des Schiffes verlas-sen?«

Skrempeleck zeigte keine erkennbare Re-gung.

»Du solltest auf deinen Strahler verzichten. Was habe ich getan, daß du mir noch immer nicht vertraust?«

Bitternis und Selbstvorwürfe schwangen in dem letzten Satz mit. Insider fühlte sich da-von seltsam berührt. Obwohl dies keineswegs seine Absicht gewesen war, warf er die Waffe auf den Kartentisch.

Eine Gruppe Zyaner erwartete sie im unte-ren Schleusenhangar; sie mußten sich neben-einander aufstellen und wurden durchsucht. Die Echsen gaben überraschte Laute von sich, als sie nichts fanden.

»Wir kommen in Frieden«, sagte Narod II. Die Zyaner schien seine Beteuerung herz-

lich wenig zu interessieren. Recht unsanft zwangen sie ihre Gefangenen, die Space-Jet zu verlassen.

»Wohin bringt ihr uns?« wollte Trunk wis-sen. Seine Frage blieb unbeantwortet.

Insider achtete weniger auf Skrempeleck und die beiden Atlantreuen als vielmehr auf seine neue Umgebung. Vieles ähnelte den Gegebenheiten auf der SOL und war nach praktischen Gesichtspunkten konstruiert. Der

Extra war bemüht, sich den Weg einzuprägen, den die Zyaner nahmen.

Nach wenigen Minuten erreichten sie eine große Halle. Im Gegensatz zu der normalen Atmosphäre innerhalb der Korridore und An-tigravschächte schlug ihnen hier eine stickige Schwüle entgegen. Überrascht blieb Insider stehen, wurde aber sofort weiter vorwärts gestoßen.

Seine Füße berührten feuchten, schwan-kenden Boden. Bläulich schimmernde Gräser verdrängten hier die sterile Reinheit kalten Metalls. Es roch nach Moder und nassem Erd-reich; die Sicht war auf wenige Meter be-schränkt.

»Da entlang!« hieß es, bevor der Extra Zeit fand, sich gänzlich auf die neue Umgebung einzustellen. Ein grimmig blickender Zyaner wies ihm den Weg. Zumindest glaubte In-sider, die Mimik des Echsenwesens so deuten zu können.

»Was immer geschehen mag«, sagte Skrempeleck, »vergeßt nie, daß jeder unserer Schritte vorgezeichnet ist. Vertraut dem Glauben an das Gute im Kosmos, dann wird auch euch die Macht zufließen.«

Ein Geflecht rankenartiger Pflanzen ver-sperrte den Blick. Als sein zyanischer Bewa-cher für einen Augenblick vorausging, nutzte Insider die sich bietende Chance. Blitzschnell warf er sich zur Seite, teilte die grüne Wand mit den Händen, riß Wurzeln und Blattge-flecht ab und tauchte hinein in das dampfende Dickicht, ohne zu wissen, was ihn erwartete.

Insider blickte nicht zurück. Jeder Meter, den er gewann, ehe sein Verschwinden be-merkt wurde, zählte. Plötzlich glaubte er nicht mehr daran, daß Narod II es schaffen würde, die kriegerischen Zyaner in sanfte Lämmer zu verwandeln. Eigentlich hatte er nie wirklich daran geglaubt.

Schweiß brach ihm aus allen Poren – es fiel schwer, sich gegen den zähen Morast zu be-haupten. Hatten die Echsen hier ein Stück der Landschaft ihrer Heimatwelt nachgestaltet? Insider sank allmählich tiefer ein. Mit einer seiner vier Hände bekam er einen dünnen Ast zu fassen, der seinem Gewicht standhielt. Als hinter ihm Schreie laut wurden, hatte er sich bereits halb befreien können.

»Kehre um, Insider, laß die Zyaner wissen,

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daß wir guten Mutes sind und nichts vor ih-nen zu verbergen haben.«

Das war Skrempelecks Stimme. Der Alte mußte übergeschnappt sein, sich auf die Seite der Angreifer zu stellen. Hoffte er noch im-mer, sie mit milden Worten umstimmen zu können? Narod II mußte den Blick für die Realität verloren haben.

»Du kannst ihnen nicht entkommen«, rief Narod II.

Schwätzer, dachte der Extra wütend. Das Dickicht wurde lichter, wich den

Stämmen mächtiger Urwaldriesen. Dahinter glaubte Insider die Umrisse großer Maschinen zu erkennen, war sich seiner Sache aber nicht sicher.

Im nächsten Moment trieb ein fürchterli-cher Schlag ihm die Luft aus den Lungen. Eine grelle Sonne schien vor ihm zu explodie-ren, als er zurückgeschleudert wurde und hart aufschlug.

Ein Energieschirm! durchzuckte es ihn. Dann war nur noch lähmende Stille und

Finsternis.

* »Sie drehen ab.« Curie van Herlings Feststellung war eigent-

lich überflüssig, weil ohnehin jeder das Flug-manöver der Zyaner auf den Ortungsschirmen mitverfolgen konnte. Aber etwas von der An-spannung drückte sich darin aus, die in der Zentrale Einzug gehalten hatte.

»Es war zu erwarten, nachdem sie die Ü-BERZEUGUNG kampflos aufgebracht ha-ben«, nickte Lyta Kunduran.

»Sonst hast du nichts dazu zu sagen?« »Ist das nicht genug?« »Es ist herzlich wenig«, ereiferte sich Cu-

rie. »Ich bin dafür, Insider und den anderen zu

folgen«, sagte Gallatan Herts. »Skrempeleck würde dies gewiß nicht gut-

heißen.« »Es gibt vieles, was er für falsch hält. Aber

wir können die Zyaner in wenigen Minuten eingeholt haben.«

»Du glaubst tatsächlich, Gal, daß sie auf uns warten werden?« warf Vorlan Brick ein, der größere der beiden Chefpiloten.

»Wahrscheinlich rechnen sie nicht damit, daß wir ihnen folgen.«

»Oh«, machte Uster Brick. »Hast du eine Ahnung. Alles, was die Echsen bisher taten, hatte Hand und Fuß. Sie scheinen zum Teil über hervorragende Piloten zu verfügen ...«

»Wie wir auch«, bemerkte Breckcrown Hayes.

»Danke«, nickte Vorlan. »Endlich jemand, der das einsieht.«

»Unterbrich mich nicht, Bruderherz«, schimpfte Uster. »Ich wollte sagen, daß ich, gerade weil die Zyaner gute Leute haben, nicht glauben kann, daß sie uns bis auf Schußweite an sich herankommen lassen.«

»Wetten, daß ich es schaffe.« »Mit dir wette ich nicht.« »Weil du weißt, daß ich von uns beiden der

bessere bin.« »Quatsch.« »Du darfst es ruhig zugeben, Uster. Die

Tatsachen kennt ohnehin jeder an Bord.« Bei-fallheischend blickte Vorlan Brick sich um.

»Wenn wir etwas unternehmen wollen, bleibt keine Zeit für lange Diskussionen«, sagte Breckcrown Hayes.

Atlan hatte das kurze Streitgespräch bislang schweigend verfolgt. Nun wandte er sich an SENECA:

»Erbitte Gegenüberstellung der Entfer-nungsdaten SOL/Zyaner sowie jeweils zum äußersten Wirkungsbereich der planetaren Abwehrforts.«

Die Hyperinpotronik antwortete ohne Ver-zögerung. Zugleich wurden die Daten inner-halb eines 3-D-Diagramms auf einem der Hauptbildschirme eingeblendet. Demnach betrug die Entfernung zwischen der SOL und den drei zyanischen Einheiten 261 Millionen Kilometer, also genau 14,5 Lichtminuten. Von den beiden Planeten wurde einer inzwi-schen halb von der Sonne Deignar verdeckt, während der andere knapp 45 Lichtminuten von der SOL und rund 490 Millionen Kilome-ter von den drei halbkugelförmigen Raum-schiffen entfernt stand.

»Ein Vabanquespiel«, gab Hayes zu beden-ken, »bei dem unser Einsatz fast zu hoch ist. Vielleicht sollte ich daran erinnern, daß alle vier Besatzungsmitglieder der ÜBERZEU-GUNG freiwillig aufgebrochen sind. Sie wuß-

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ATLAN 96 – Die Abenteuer der SOL

ten genau, was sie erwartet.«

»Wußten sie das wirklich?« fragte Vorlan Brick. »Immerhin besitzt Narod II ein gewis-ses Maß an Überzeugungskraft. Gib mir einen Kreuzer, und ich hole unsere Leute notfalls aus der Hölle zurück. Es ist doch offensicht-lich, daß sie ihr Ziel nicht erreicht haben.«

Zornig stemmte Uster die Fäuste in den Hüften.

»Kommt überhaupt nicht in Frage, Großer, daß du allein die Lorbeeren einsammelst. Immerhin bin ich auch noch da.«

»Das ist nichts für dich.« »Schluß damit!« rief Hayes. »Keiner von

euch wird fliegen.« »Es muß nicht unbedingt ein Kreuzer sein«,

protestierte Vorlan. »Eine kleine Space-Jet ...«

»Nicht einmal einen Ein-Mann-Jäger stelle ich zur Verfügung. Skrempeleck war vom Erfolg seiner Mission so überzeugt, daß wir ihm keinesfalls vorgreifen dürfen.«

»Ach«, machte Vorlan verbittert und zog ein Gesicht, als wären ihm sämtliche Felle davongeschwommen.

»Das kann nicht dein letztes Wort sein«, meinte Uster vorwurfsvoll. »Weshalb sollte ich ...?«

»Weil wir nicht wissen, was mit unseren Leuten geschehen ist. Die Annahme, daß Na-rod II doch Erfolg haben wird, ist noch nicht aus der Welt.« Breckcrown Hayes gab deut-lich zu verstehen, daß er dieses Thema damit als erledigt betrachtete.

»Funkempfang!« meldete Curie van Her-ling überraschend. »Auf der ÜBERZEU-GUNG wurde der automatische Notruf ausge-löst.«

Betroffenheit erschien in den Gesichtern al-ler Anwesenden. Jeder war sich darüber klar, was das bedeutete.

»Jetzt ist es zu spät für den Einsatz von Beibooten.« Vorlan Brick zeigte auf die Bild-schirme. »Was immer dort draußen geschehen sein mag, wir dürfen niemanden im Stich las-sen.«

Schon Sekunden später beschleunigte die SOL.

*

Schwer wie Blei waren seine Lider. Trotz-dem schaffte er es mit einiger Anstrengung, die Augen aufzuschlagen.

Dunkelheit umgab ihn – eine schier un-durchdringliche Schwärze. Er lauschte dem heftigen Pochen seines Herzens und dem Rauschen des Blutes in seinen Schläfen. Seine tastenden Finger berührten kaltes Metall.

Da war ein Geräusch, irgendwo vor ihm, in unmittelbarer Nähe. Es wiederholte sich.

»Wer ist das?« Unwillkürlich versteifte In-sider sich. Er hatte keineswegs vergessen, was geschehen war.

»Möglicherweise haben wir unser Ziel er-reicht«, erklang es zögernd. Der Extra erkann-te Jylene Tapsins Stimme. Auch Narod II ließ sich vernehmen.

»Die Fremden können zwar unsere Bewe-gungsfreiheit einschränken, keinesfalls aber die Freiheit unserer Gedanken. Auch wenn sie es noch nicht wissen, die Saat der Liebe und Verständigung keimt bereits in ihren Herzen.«

Der Extra erwiderte nichts darauf. Er stieß nur einen erschreckten Aufschrei aus, als we-nige Minuten später jäh eine grelle Lichtflut hereinbrach.

Er ahnte die Zyaner mehr als er sie sehen konnte, weil die plötzliche Helligkeit blende-te. Kräftige Hände umklammerten seine Arme und zogen ihn mit sich. Der Extra verzichtet auf Widerstand.

»Sieht so aus, als wollten sie uns verhö-ren«, flüsterte Jylene Tapsin. »Laß Narod reden, Insider, er kann es am besten.«

Ein Korridor, durch den sie kamen, besaß zu beiden Seiten großflächige Glasscheiben. Dahinter lag dichte Vegetation, angefangen von Schlingpflanzen bis hin zu weit ausla-denden Bäumen, deren Wipfel sich im herr-schenden Dunst verloren.

Skrempeleck schien von alldem keine Notiz zu nehmen. Lediglich die beiden Atlantreuen blickten sich überrascht um.

»Ich glaube nicht, daß wir uns noch an Bord eines Raumschiffs befinden«, stellte Insider fest. »Bei nur zweihundertvierzig Me-ter Basisdurchmesser lassen sich keine sol-chen Anpflanzungen unterbringen.«

»Wo sollten wir dann sein?« fragte Trunk. »Auf einer der Welten des Deignar-

Systems.«

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Dieser Gedanke schien dem Buhrlo einiges

Unbehagen zu bereiten. »Unmöglich«, sagte er, »daß die Zyaner von uns unbemerkt lan-den konnten.«

»Vielleicht war das, was wir für den Durchgang in eine Halle hielten, ein verbor-gener Transmitter. Wir ...«

»Schweigt!« fauchte eine der Echsen, und der Translator gab sogar den wütenden Ton-fall wieder. Insider fügte sich, wenn auch wi-derwillig. Er nahm sich Zeit, die Zyaner einer genaueren Betrachtung zu unterziehen.

Diese Wesen waren entfernt hominid. Ihre graugrün geschuppten Körper waren die von zwei Meter großen Echsen mit zwei Armen und zwei Beinen. Sehr wahrscheinlich hatten sie sich im Lauf ihrer Evolution von reinen Wasserbewohnern zum Landvolk entwickelt und die übergangslos im Gesicht vorkom-menden Nasenlöcher sowie die kleinen, zwi-schen den Schuppen liegenden und nur mit Mühe erkennbaren Ohren waren Rudimente aus jener Zeit. Einst mochten sie durch Haut-lappen verschließbar gewesen sein.

Sowohl der überbreite Mund als auch das mächtige Gebiß deuteten zudem darauf hin, daß die Vorfahren der Zyaner gefürchtete Räuber gewesen sein mußten. Oder waren sie es noch? Insider schauderte bei dem Gedan-ken daran. Trotz ihrer schweren Körper und des wegen der kurzen Beine schwankenden Ganges bewegten die Echsen sich überaus geschmeidig.

Der Extra fühlte brennende Blicke auf sich ruhen. Als er aufsah, sprang eine eisige Kälte auf ihn über, und noch deutlicher wurde ihm bewußt, daß selbst Narod II gegen dieses Volk hilflos sein mußte.

3.

»Nichts«, sagte Bjo Breiskoll. »Ich kann

nicht einmal einen Gedankenfetzen auffan-gen. Daß diese Hyperstrahlung gerade jetzt auftritt, ist kein Zufall.«

Auch die drei zyanischen Schiffe beschleu-nigten mittlerweile. Sie hatten sich getrennt und flogen offensichtlich verschiedene Ziele an.

»Wir verfolgen den Raumer, der die Ü-BERZEUGUNG an Bord genommen hat«,

entschied der High Sideryt. Gallatan Herts zuckte unwillig mit den

Schultern. »Sie können Skrempeleck und die anderen

längst durch einen Transmitter geschickt ha-ben. Unter den augenblicklichen Gegebenhei-ten ist es für uns schwer, einen solchen Im-puls anzumessen.«

»Mir liegt keine entsprechende Auswertung vor«, bestätigte Curie van Herling.

Die Distanz zu den Verfolgern schrumpfte. Zweifellos würde man das halbkugelförmige Schiff bald eingeholt haben.

»Ihre einzige Chance liegt darin, durch den Linearraum zu entkommen«, bemerkte Hayes. »Wir lange noch bis zum Eintauchmanöver?«

»Unter Beibehaltung der augenblicklichen Beschleunigung benötigt der Zyaner vier Mi-nuten achtunddreißig«, meldete SENECA. »Der SOL hingegen ist ein Übertritt ohne erhöhten Energieaufwand bereits in exakt eins null fünf möglich.«

Hayes blickte kurz zu Atlan hinüber, der sinnend vor dem Kartentisch stand und eine Projektion des Deignar-Systems studierte. Der Arkonide nickte flüchtig.

»Koordinaten programmieren!« wandte der High Sideryt sich dann an die Brick-Zwillinge. »Wir setzen uns dem Zyaner so dicht an den Kurs, daß er gezwungen ist, zu verzögern.«

Uster Brick ließ ein amüsiertes Lachen ver-nehmen.

»Ich vermute, eine Kollision soll um Haa-resbreite vermieden werden.«

»Bitte kein Husarenstück«, warnte Hayes. »Ich will das fremde Schiff nicht als Schrott einsammeln.«

Kurz darauf glitt die SOL in den Linear-raum hinüber. Das flüchtige Abbild der Libra-tionszone auf den Schirmen wich aber sofort wieder der Sternenvielfalt des Einsteinraums.

Scheinbar zum Greifen nahe stand das zya-nische Raumschiff. Alarm heulte durch die Hauptzentrale der SOL.

»Kollisionskurs!« warnte SENECA. »Kor-rektursteuerung nur manuell möglich. Sämtli-che automatischen Systeme wurden desakti-viert.«

»Es gibt eben keine besseren Piloten als uns«, lachte Uster Brick. »Die Automatik

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hätte eine solche Präzisionsarbeit nur zunichte gemacht.«

Breckcrown Hayes wollte zu einer heftigen Erwiderung ansetzen, als der Zyaner über-gangslos verschwand.

»Verdammt«, schimpften Vorlan und Uster Brick wie aus einem Mund. »Das war nicht geplant.«

»Sie sind in den Linearraum übergetreten«, behauptete Curie van Herling. »Ich messe einen enorm hohen Energiepegel an.«

»Zumindest kommen sie nicht weit«, nickte Gallatan Herts.

»Weit genug wahrscheinlich, um uns in die Reichweite der Abwehrforts zu bringen.«

»Ich glaube nicht, seht.« Curie überspielte die Ortungsdaten auf den Hauptbildschirm. »Einige Konverter müssen infolge der hohen Belastung ausgefallen sein. Anders kann ich es mir nicht erklären, daß sie so dicht vor dem schützenden Sektor den Rücksturz einleiten.«

»Also haben wir noch eine Chance.« »Der Notruf ist abgebrochen. Wir ... halt,

da kommt etwas anderes herein. Auf dersel-ben Frequenz. Das muß Insider sein.«

Aus den Lautsprechern erklang eine ver-zerrte, von Störungen überlagerte Stimme. Dennoch war sie einigermaßen verständlich.

»... konnten uns aus der Gewalt ... befreien ... wird von Traktorstrahlen festgehalten ... erbitten dringend Hilfe, sonst ...«

Als die Sendung mit einem letzten Krei-schen abrupt endete, sahen die Stabsspezialis-ten sich fragend an.

»Uns bleibt keine Wahl«, sagte Vorlan Brick. »Je schneller wir handeln, desto größer die Wahrscheinlichkeit, daß wir die Besat-zung der ÜBERZEUGUNG heraushauen können.«

Die SOL beschleunigte abermals mit Höchstwerten. Vorübergehend waren sogar die Arbeitsgeräusche der Impulstriebwerke zu vernehmen.

»Du mußt den armen verblendeten Intelli-genzen helfen, die den Krieg als eine Art per-sönliche Bestätigung ansehen«, zitierte Uster Brick. »Zeige ihnen, was Liebe ist, und sie werden ihre Fehler erkennen.«

»Hat Narod II noch keine Zeit gefunden, mit den Zyanern zu reden?« wollte Vorlan wissen.

»Bin ich Telepath?« stellte sein Zwillings-bruder die Gegenfrage.

Nach einer zweiten kurzen Linearetappe fiel die SOL keine tausend Kilometer vor dem zyanischen Schiff in den Normalraum zurück. Von den beiden anderen Raumern fehlte jede Spur; sie schienen mittlerweile gelandet zu sein.

»Soll ich Feuerbereitschaft anordnen?« »Vorerst nur Bereitschaft auf Defensiv-

schirme, Gal. Die Echsen werden sich hüten, lediglich mit einer Einheit anzugreifen. Aller-dings glaube ich kaum, daß uns sehr viel Zeit bleibt. Fünfzehn Minuten allerhöchstens, län-ger brauchen die Zyaner trotz Start und Be-schleunigungsphase nicht, um hier zu sein.« Breckcrown Hayes wandte sich dem Interkom zu und beorderte zwei Einsatzmannschaften zu ihren Schiffen. »... ihr habt Freigabe für Alarmstart!«

Nachdenklich auf seiner Unterlippe kauend, verfolgte Atlan die Anordnungen.

»Was sagen deine Ortungen, Curie?« »Nicht sehr viel. Kaum nennenswerter

Flugbetrieb im atmosphärischen Bereich.« »Und außerhalb?« »Gleich null.« Mit der geballten Rechten schlug der Arko-

nide sich mehrmals auf die linke Handfläche – ein deutliches Zeichen seiner inneren An-spannung.

»Weshalb reagieren die Zyaner nicht? Sie können uns nicht einfach übersehen.«

»Start der beiden Kreuzer 3 und 8 erfolgt in zwanzig Sekunden«, meldete SENECA.

Irgend etwas stimmte nicht; Atlan fühlte es ganz deutlich, nur eben nicht greifbar genug, um seinen Verdacht artikulieren zu können. Die fast völlige Ruhe auf seiten der Echsen irritierte ihn. Auch sein Extrasinn meldete sich nicht.

Was willst du hören? Etwas, was meine Vermutungen unter Um-

ständen bestätigt. Du kennst die Zyaner, genügt das nicht? Die beiden Kreuzer zogen dicht über die

SOL hinweg. Sie flogen das zyanische Schiff von verschiedenen Seiten her an. Dreißig Se-kunden später hatten sie sich dem Gegner bis auf wenige hundert Meter genähert und be-fanden sich in relativem Stillstand zu diesem.

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»Die Entermannschaften beginnen mit dem

Ausschleusen«, meldete Curie van Herling. »Weshalb aktivieren die Zyaner ihre

Schutzschirme nicht?« »Möglicherweise haben sie seit dem ge-

waltsamen Linearflug Probleme mit der Ener-gieversorgung.« Das wäre eine Erklärung gewesen, wenn auch keine allzu plausibel klingende. Offen blieb die Frage nach dem Rest der Flotte.

»Mir ist nicht wohl dabei«, sagte Atlan. »Du vermutest eine Falle? Insider hätte sich

nie dafür hergegeben.« »Wer behauptet, daß wirklich der Extra den

Notruf abgesetzt hat?« »Narod II hätte sicherlich andere Worte ge-

braucht.« »Wenn die Zyaner es geschickt anstellen,

kann der Funkspruch mit Hilfe eines Transla-tors fingiert worden sein. Zugang zur Space-Jet besitzen sie ohnehin.«

»Sollte doch meine Vermutung zutreffend sein, daß unsere Leute längst von Bord ge-schafft wurden?« fragte Gallatan Herts.

Atlan zuckte merklich zusammen. Siehst du den Wald vor Bäumen nicht?

wisperte sein Extrasinn. So ungefähr, gab er lautlos zurück. Du hät-

test mich warnen können. Und an Curie ge-wandt, fuhr er fort: »Wo befinden sich die Entermannschaften jetzt?«

»Beide Gruppen haben unbehelligt das Schiff erreicht und beginnen soeben damit, Schleusen aufzubrechen.«

»Sie sollen sich zurückziehen! Sofort! Das ist eine Falle.«

*

Gesenkten Hauptes betrat der Verkünder

den zentraleähnlichen Raum. Nur ein einzel-ner Zyaner hielt sich hier auf, doch die Art, wie die anderen sich ihm näherten, ließ an seiner gehobenen Stellung im Führungssys-tem der Echsenwesen keine Zweifel aufkom-men.

Insider hingegen dachte nicht daran, in ir-gendeiner Form Demut zu bekunden.

»Bist du der Anführer?« herrschte der Zya-ner ihn an.

Der Extra glaubte nicht, Vizeadmiral Zaut-

Zy vor sich zu haben. Dafür waren sie wohl zu unbedeutend. Er zeigte auf den Verkünder.

»Narod II ist unser Sprecher.« »Gut.« Auf eine flüchtige Handbewegung

hin ergriffen zwei der Echsen Skrempeleck alias Narod II, zerrten ihn einige Meter weiter und zwangen ihn, sich zu verbeugen. Der Zy-aner starrte ihn von oben herab durchdringend an.

»Ich bin Kyrm-Bra, der Kommandant die-ses Stützpunkts. Euer Raumschiff hat uns große Schwierigkeiten bereitet; glaubt nicht, daß ich das schnell vergesse.«

»Wir sind in Frieden gekommen und um mit euch zu verhandeln«, ließ Narod II ver-nehmen.

Kyrm-Bra stieß ein lautes Zischen aus, in dem sich wohl seine ganze Verachtung aus-drückte.

»Kein Zyaner verhandelt mit seinen Fein-den.«

»Du sprichst von Feinden, Kommandant, wir aber wollen euch zu Freunden gewinnen.«

»Indem ihr unserer Flotte entgegentretet? Zwischen uns kann es nur Sieger und Besieg-te geben.«

»Wir waren bemüht, wo immer möglich, das Leben von Zyanern zu schonen«, sagte Narod II in seinem warmen, nachgiebigen Tonfall. Indem er sich selbst dadurch zum Diener bestimmte, gewann er Macht über seine Zuhörer.

»Ein Zeichen von Schwäche«, zischte Kyrm-Bra.

Der Verkünder sah ihn an, als habe er den Sinn seiner Worte nicht verstanden.

»Aus dir spricht mehr vom Wesen Hidden-X, als ich vermutet hätte«, stellte er nach einer Weile fest.

»Wer ist Hidden-X?« »Jene Wesenheit, die euch den Befehl er-

teilte, die neue Heimat der Pers-Oggaren an-zugreifen. Sie selbst gab sich viele Namen – versuche, dich zu erinnern.«

Der Kommandant des Stützpunkts (jeden-falls wußte man nun, daß man sich tatsächlich auf einer der beiden Welten des Deignar-Systems befand) war aufgesprungen und durchmaß den Raum mit ausgreifenden Schritten. Unvermittelt blieb er stehen.

»Wer bist du, daß du es wagst, mir solche

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Dinge zu sagen?«

Als Narod II nicht antwortete, wiederholte Kyrm-Bra seine Frage. Aber der Verkünder schwieg weiterhin.

»Ich glaube«, versuchte Jylene Tapsin zu beschwichtigen, »Narod II hat dich nicht ver-standen.«

»Kann er mir das nicht selbst sagen?« Der Kommandant ergriff den Verkünder an der Schulter und zwang ihn, ihm ins Gesicht zu sehen. »Wage nicht, noch einmal von Ver-gangenem zu sprechen.«

Narod II nickte, obwohl er kaum sicher sein konnte, daß sein Gegenüber diese Geste rich-tig deutete.

»Euer Volk wurde gezwungen, Dinge zu tun, die es nicht wirklich will. Weshalb ver-sucht ihr nicht, euch dem fremden Einfluß zu entziehen? Wir Solaner sind bereit, jede er-denkbare Hilfe zu gewähren.«

»Hör endlich auf damit!« rief Insider, aber der Alte schien ihn weder zu hören noch die Reaktion zu erkennen, die er bei den Zyanern hervorrief.

»Du widerst mich an«, fauchte Kyrm-Bra. »Kehrt zu eurer Heimatwelt zurück!«

mahnte Narod II. »Vielleicht lebt dort der Rest eures Volkes in Frie...«

Mit einem gellenden Aufschrei schnellte der Kommandant sich vorwärts. Seine kräfti-gen Finger umklammerten Skrempelecks Hals.

Der Verkünder wehrte sich nicht. Er schien überhaupt nicht wahrzunehmen, was geschah. Sein Blick war in weite Ferne gerichtet.

»Du bringst den alten Mann um!« schrie Insider. Im nächsten Moment sprang er auf, warf sich auf Kyrm-Bra, ehe seine Bewacher reagieren konnten, und zerrte den Zyaner zu-rück. Nach Luft ringend, kam Skrempeleck frei.

Der Kommandant war ein zäher Gegner, den man selbst mit Dagor-Griffen nicht aus-schalten konnte. Diese Erfahrung war für In-sider mit Schmerzen und Hautabschürfungen verbunden.

»Trunk, Jylene, warum helft ihr mir nicht?« Das charakteristische Fauchen eines Scho-

ckers veranlaßte ihn, sich herumzuwerfen. Aber mitten in der Bewegung fühlte er seine Muskeln schlaff werden. Als hätte eine un-

sichtbare Faust ihn getroffen, stürzte er zu Boden und mußte in ohnmächtigem Zorn mit ansehen, wie Zyaner sich über ihn beugten, ihn aufhoben und davontrugen.

Er war hilflos und schalt sich selbst einen verdammten Narren. Mit etwas mehr Ge-schick hätte er Kyrm-Bra als Geisel benutzen können.

Die Zyaner sperrten ihn in einen engen, nur spärlich erhellten Raum. Die Pritsche, auf die sie ihn warfen, war nach ihren Körpermaßen gefertigt und dementsprechend unbequem. Zum Glück spürte er nichts davon, denn die Lähmung würde einige Stunden anhalten.

Er konnte nicht einmal die Augen schlie-ßen, sondern war gezwungen, unentwegt die Decke über sich anzustarren. Und er ver-wünschte Narod II, der im falschen Augen-blick haargenau das Falsche gesagt hatte. Was mochte nur in ihn gefahren sein, daß er die deutliche Warnung des Kommandanten derart überhört hatte?

*

Angespannt verfolgte Atlan, wie die En-

termannschaften sich an Bord ihrer Schiffe zurückzogen.

Du läßt dich selten von Gefühlen leiten, wisperte sein Extrasinn.

Diesmal erscheint es mir angebracht, gab der Arkonide ebenso lautlos zurück, bevor er sich an Curie van Herling wandte.

»Was sagen die Ortungen?« »Unverändert. Lediglich im planetaren Be-

reich ist eine erhöhte energetische Tätigkeit anzumessen.«

Atlan wußte noch immer nicht, worauf er eigentlich wartete. Aber jenes untrügliche Gefühl, daß etwas geschehen würde, ließ sich nicht vertreiben.

»Nichts«, sagte auch Bjo Breiskoll, der wiederholt versucht hatte, eine gedankliche Verbindung zu Skrempeleck und dessen Be-gleitern herzustellen.

Jäh sprang gleißender Feuerschein von den Bildschirmen herab und tauchte die Zentrale in zuckende, blendende Helligkeit, die selbst die Filter nicht völlig zu dämpfen vermoch-ten. Niemand wußte, was geschehen war, und der Alarm sorgte für zusätzliche Verwirrung.

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Lautstarke Kommandos, Flüche und Verwün-schungen jagten einander. Endlich fand je-mand Zeit, den Alarm abzuschalten.

»Ortung!« schrie Curie. »Mindestens fünf-zig Einheiten haben soeben den Linearraum verlassen. Sie fliegen Kollisionskurs. Atlan, wir müssen weg von hier.«

»Wo stehen die beiden Kreuzer?« Der Ar-konide ließ sich von der allgemeinen Hektik nicht anstecken.

»Sie driften ab. Funkverbindung ist unter-brochen. Es hat den Anschein, als wäre die 3 schwer beschädigt.«

»Versuche, Kontakt herzustellen. Distanz-meldung Angreifer!«

Über einen Monitor flimmerten ellenlange Zahlenkolonnen – Entfernungsangaben, be-zogen auf ein mehrdimensionales Kontinuum. Atlan nickte bitter. Die erste Welle war be-reits gefährlich nahe.

»HÜ-Schirme aktivieren!« »Sind aufgebaut.« »Da kommen noch mehr – es müssen weit

über hundert sein. Wo haben die bloß ge-steckt?«

»Im Ortungsschatten der Sonne«, vermutete der Arkonide. »Der simpelste Trick, den ich kenne, und wir sind darauf hereingefallen wie Kadetten auf der Akademie.«

»Ich habe die 3 auf Hyperkom«, meldete Curie.

Eine verzerrte, von Störungen überlagerte Stimme hallte durch die Zentrale.

»... schwere Ausfälle. Es hat Verletzte ge-geben, die dringend einer Behandlung ... Feu-er im Ringwulstbereich nicht mehr zu kon-trollieren ... müssen das Schiff aufgeben, sonst ...« Krachend brach die Verbindung ab.

Fast gleichzeitig rasten die ersten licht-schnellen Strahlbahnen auf die SOL zu, mit bloßem Auge nicht zu erkennen. Die Zyaner schienen alles aufzubieten, was sie besaßen. In der Tat wimmelte es wenige Lichtsekunden im Umkreis von fremden Raumschiffen. Mehrmals hintereinander leitete SENECA Kurskorrekturen ein, um Zusammenstößen zu entgehen. Dabei näherte die SOL sich unge-wollt dem Planeten.

»Sie versuchen, uns in die Reichweite ihrer Bodenforts zu bringen«, erschrak der High Sideryt. »Wir müssen nach der anderen Seite

durchbrechen.« »Nicht bevor unsere Männer und Frauen

wieder an Bord sind.« Atlan zog ein Mikro-phon zu sich heran. »SOL ruft Kreuzer 8. Wie sieht’s bei euch aus?« Er mußte seinen Ruf mehrmals wiederholen, ehe eine Antwort kam.

»Schlecht. Haltet uns die Zyaner vom Leib, dann schaffen wir es vielleicht.«

Auf den Bildschirmen war zu erkennen, daß beide Kreuzer höchstens noch fünfzig Meter auseinander standen. Die ersten Besat-zungsmitglieder verließen soeben ihr bren-nendes Schiff. Eine Evakuierung über Trans-mitter wäre in der augenblicklichen Situation zwar weitaus ungefährlicher gewesen, die aus Sonnennähe emittierten Hyperimpulse wirk-ten sich jedoch auch hier störend aus.

Wie ein Schwarm angriffslustiger Insekten stürzten sich die zyanischen Raumschiffe auf die SOL, deren Schutzschirme dem Angriff mühelos standhielten.

»Belastung 85 Prozent.« Man näherte sich den beiden Kreuzern, als

eine heftige Detonation das Fernraumschiff erschütterte.

»Ausfall der Schirmfeldsektoren S 13 und 17«, meldete SENECA. »Reparaturarbeiten werden eingeleitet.«

»Wie lange?« »Unbestimmt. Zur Sicherung wird Sperr-

feuer aus den Transformkanonen empfohlen.« »Das bedeutet«, fuhr Gallatan Herts auf,

»daß die meisten Hangars für uns blockiert sind.«

»Richtig«, erwiderte die Hyperinpotronik emotionslos. »Ausweichmöglichkeiten beste-hen aber auf der SZ-1.«

»Du hast wohl auf alles eine Antwort?« Daß der Leiter der Hauptzentrale gereizt rea-gierte, war durchaus verständlich.

»Es ist meine Aufgabe, die Schiffsführung zu unterstützen«, sagte SENECA. »Auswer-tung: Die Schirmfelder wurden von zwei zya-nischen Beibooten aufgebrochen. Es handelt sich um robotgelenkte Einheiten mit bis zur Pulsation überladenen Energiespeichern.«

»Vermutlich ist etwas Ähnliches die Ursa-che für den Totalausfall unseres Kreuzers«, erschrak der High Sideryt. »Die Zyaner haben schnell gelernt.«

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»Übernahme der Schiffbrüchigen ist abge-

schlossen«, ließ Curie wissen. »Gut«, nickte Hayes erleichtert. »Gib

Wajsto Bescheid. Er soll die 8 übernehmen.« Erneut wurde die Schiffszelle schwer er-

schüttert, obwohl es gelungen war, zwei wei-tere zyanische Boote unmittelbar vor dem Zusammenprall abzuschießen.

Auf den Bildschirmen zeichnete sich der anfliegende Kreuzer bereits als doppelt faust-große Kugel ab, von mindestens einem Dut-zend großer Raumer verfolgt.

»Distanz achtundzwanzigtausend.« »Die kommen viel zu schnell herein«, be-

hauptete Curie. »Dann haltet ihnen die Zyaner vom Hals.« »Leicht gesagt ...« Es gab keine Möglichkeit, zwischen be-

mannten und robotischen Schiffen der An-greifer zu unterscheiden. Erst wenn es auf-grund großer Annäherung fast schon zu spät war, konnte man sicher sein. Mehrmals hin-tereinander wurden die Schirmfelder der SOL mit erschreckend hohen Werten belastet. Das hatte anfangs niemand erwartet. Grelle Entla-dungen zuckten durch die Schwärze des Alls und vermischten sich mit den Glutbällen der Transformsalven.

Nur langsam stieg die Geschwindigkeit des mächtigen Fernraumschiffs. Mit höheren Werten zu beschleunigen, hätte bedeutet, mit der verheerenden Wucht eines Geschosses in die Flotte der Echsen einzudringen. Abgese-hen von den unwägbaren Schäden, die ein solches Manöver auf der SOL selbst verur-sacht hätte, waren weder Atlan noch Breckc-rown Hayes bereit, den Tod vieler intelligen-ter Lebewesen billigend in Kauf zu nehmen.

Offensichtlich wollten die Zyaner das Ein-schleusen des Kreuzers mit allen Mitteln ver-hindern.

»Wenn wir nicht gezielt zurückschießen, schaffen unsere Leute es nicht«, ächzte Galla-tan Herts. »Das ist falsche Rücksichtnahme.«

Der High Sideryt vollführte eine unwirsche Handbewegung. Fast gleichzeitig brachen die Schutzschirme des anfliegenden Beiboots zusammen. Mehrere heftige Detonationen mittschiffs rissen zudem den Ringwulst auf.

SENECA reagierte schneller, als jedes menschliche Besatzungsmitglied dies jemals

vermocht hätte. Zugstrahlen griffen nach dem angeschlagenen, vom Kurs abweichenden Kreuzer, ehe er der SOL gefährlich nahe kommen konnte. Trotzdem gelang es nicht, dessen Restgeschwindigkeit aufzuheben. Mit halb ausgefahrenen Landestützen schlug er unmittelbar hinter der Hangarschleuse auf. Wie Streichhölzer splitterten die Stützen unter der Wucht des Aufpralls.

Die Hyperinpotronik hatte die Bilderfas-sung auf den betreffenden Hangar umgeschal-tet. So konnte jeder in der Zentrale mit anse-hen, wie der Kreuzer eine Trennwand ein-drückte, als bestünde sie aus dünnem Papier und keineswegs aus hochverdichtetem Terko-nitstahl.

Mehrere Impulstriebwerke zündeten. Zum Glück blieb ihre Schubwirkung äußerst ge-ring, sonst wäre es zur Katastrophe gekom-men. Erst unmittelbar vor dem Innenschott kam der Kreuzer zur Ruhe. Dichter Qualm schlug aus seiner aufgerissenen Außenhülle.

Sekunden später drangen die ersten Ret-tungsmannschaften in den Hangar ein. Robo-ter errichteten energetische Sperrfelder, die ein Entweichen des einströmenden Sauer-stoffs ins Vakuum verhindern sollten, wäh-rend Solaner mit Löschgeräten die überall aufzuckenden Flammen erstickten.

Gallatan Herts hatte die Hände zu Fäusten geballt, um seine Mundwinkel zuckte es wü-tend.

»Das zahle ich den Echsen heim«, fauchte er. »Sollen sie nur kommen, sie werden sich blutige Köpfe holen.«

»Den Teufel wirst du tun«, fuhr Hayes ihn an. »Noch besteht Hoffnung auf eine friedli-che Verständigung.«

Herts lachte schrill, sagte aber nichts mehr. Mit aktivierten HÜ- und Paratronschirmen

raste die SOL in die glutenden Ausläufer ihrer eigenen Transformsalven hinein, während die Formation der Angreifer sichtlich in Bewe-gung geriet.

»Sie weichen zurück«, triumphierte Curie van Herling. »Weil sie wissen, daß sie uns nichts entgegenzusetzen haben.«

Nur noch in Flugrichtung entstanden die Glutbälle neuer Explosionen. Einige zyani-sche Schiffe wurden dabei offensichtlich mehr oder minder stark beschädigt, denn der

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Beschuß ließ schlagartig nach.

Hayes verzichtete schließlich auf einen weiteren Linearflug. Die Zyaner schienen eingesehen zu haben, daß ihr Angriff fehlge-schlagen war.

»Mag sein, daß sie Narod II und seine Be-gleiter gegen uns verwenden werden«, über-legte Herts. »Was dann?«

Daran hatte bisher niemand gedacht. Breckcrown Hayes zuckte überrascht mit den Schultern.

»Abwarten«, sagte Atlan nur. »Es wird sich immer ein Weg finden.« Fast ein wenig un-willig wirkte er, als Lyta Kunduran am Inter-kom lautstark auf jemand einzureden begann.

»Was ist?« wollte er wissen. »Einer, der es nicht für nötig hält, die Bild-

übertragung einzuschalten.« »Was will er?« »Den High Sideryt sprechen. Er sagt, es sei

von Wichtigkeit ...« »Gib her!« verlangte Hayes. Schon nach den ersten Worten, die er mit

dem Unbekannten gewechselt hatte, schaltete er auf Lautsprecher um. Eine rauhe, offenbar mit technischen Mitteln entstellte Stimme erklang.

»... ich wiederhole mich nur ungern, aber spätestens bis morgen, 12.00 Uhr Bordzeit, haben sämtliche Stabsspezialisten und der High Sideryt ihren Rücktritt zu erklären. Das gilt auch für den Arkoniden. Wenn nicht ...«, die Stimme machte eine unverhältnismäßig lange Pause, »... wenn nicht, hat jeder von euch die Folgen selbst zu verantworten.«

»Hauptdeck«, stellte Lyta Kunduran fest, kaum daß die Verbindung unterbrochen wor-den war. »Der Sprecher hat den Interko-manschluß beim Lastenantigrav benutzt.«

Hayes schickte sofort Roboter los. »Was hältst du davon?« wollte er von Atlan

wissen. »Wahrscheinlich wieder ein Jugendli-cher, der von sich reden machen will.«

»Ich glaube kaum«, erwiderte der Arkoni-de. »Das klang ernst. Ich weiß zwar nicht, was der Mann vorhat, aber es könnte trotzdem für uns recht unangenehm werden.«

Die Roboter meldeten sich. Sie hatten den betreffenden Interkom erreicht, außer einem kleinen Kristallspeicher aber nichts gefunden. Die Spur des Anrufers vermischte sich mit

denen von etlichen Dutzend unbeteiligten Solanern.

Die Aufzeichnung enthielt nichts wesent-lich Neues:

»Verlaßt die SOL bis morgen Mittag. Wenn nicht, werden viele sterben ...«

»Ein Verrückter«, sagte Lyta spontan. »Verrückte sind gefährlich«, nickte Galla-

tan Herts. »Ich fürchte, wir müssen das Ulti-matum ernst nehmen. Als hätten wir nicht schon genug Ärger.«

»Morgen ist der 20. September.« Breckc-rown Hayes musterte die Anwesenden der Reihe nach. »Wir haben also noch rund zwan-zig Stunden ... Zeit genug, um einen Psycho-pathen ausfindig zu machen.«

4.

Als Insider aufwachte, benötigte er zu-

nächst einige Augenblicke, um sich zurecht-zufinden. Ihm war übel – sicherlich eine Fol-ge der nicht gänzlich überwundenen Läh-mung. Mühsam wälzte er sich auf die Seite. Seine Knochen schmerzten.

Im trüben Schein verborgener Lichtquellen sah er keine zwei Meter vor sich den Verkün-der stehen. Narod II wandte ihm den Rücken zu.

»Du hast wirklich alles in deiner Macht Stehende getan, um uns die Zyaner zu Fein-den zu machen.« Insider konnte sich einen bissigen Kommentar nicht verkneifen.

Aber der Verkünder achtete nicht auf ihn. Er tat vielmehr so, als habe er die Bemerkung nicht wahrgenommen.

Insider fühlte eine unbändige Wut in sich aufsteigen. Wenn das Narods ganze Fähigkeit war, begriff er immer weniger, weshalb so viele Solaner ihm folgten. Ein alter Schwät-zer, der es wie kein anderer verstanden hatte, sich zum Mittelpunkt des Geschehens zu ma-chen, das war Skrempeleck. Er konnte von Glück reden, daß die Ereignisse ihm bisher derart in die Hände gespielt hatten.

»Ich warte noch immer auf eine Antwort.« Narod II blieb stumm. »In meinen Augen bist du ein Scharlatan«,

rief Insider wütend. »Rechtfertige dich, wenn du kannst, ehe du uns den Zyanern ans Mes-ser lieferst.«

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ATLAN 96 – Die Abenteuer der SOL

»Insider!« kam es von Jylene und Trunk

wie aus einem Mund. Schärfer hätte ihre Zu-rechtweisung kaum sein können. Weil die beiden, die eben noch am Boden gekauert hatten, aufsprangen, schien Narod II endlich aufmerksam zu werden. Langsam wandte er sich um. Seine Bewegungen, sein ganzer Ge-sichtsausdruck hatten etwas unendlich Trauri-ges an sich. Sekundenlang trafen sich Insiders Blick und der seine, und der Extra hatte dabei das Gefühl, in einem endlosen Abgrund zu versinken. Es war keine unangenehme Emp-findung, doch instinktiv sträubte er sich dage-gen. Hatte er zum erstenmal etwas von dem Flair verspürt, das den Verkünder umgab? Es fiel schwer, einen passenden Ausdruck dafür zu finden.

»Warum sagst du nichts?« Narods Blick hing an Insiders Mund, als

wolle er ihm jedes Wort von den Lippen able-sen. Er vollführte eine ausschweifende Geste, faltete dann aber sofort wieder die Hände vor dem Körper.

»Was willst du hören, Freund?« Hatte der Alte seine Frage tatsächlich nicht

verstanden? Insider wiederholte, was er ge-sagt hatte.

Narod II las von seinen Lippen ab. Jetzt, wo der Extra ihn genau beobachtete, fiel ihm dies deutlich auf. Obwohl der Verkünder sich offenbar Mühe gab, es zu verbergen. Er war taub.

»Was würdest du einem Blinden sagen, der versucht, dir die Schönheiten eines von Gala-xien übersäten Sternenhimmels zu erklären?«

Narod II zuckte mit den Schultern. »Worauf willst du hinaus?« »Daß du nicht der richtige Mann bist, um

mit den Zyanern zu verhandeln ...« »Narod II wird den Erfolg haben, den er

uns verspricht«, protestierte Jylene Tapsin. »Weshalb versuchst du, dich ihm in den Weg zu stellen?«

»Weil ich uns alle vor einer großen Dumm-heit bewahren will.«

»Du bist ein Narr, Insider.« Herausfordernd stemmte Jylene sich die Fäuste in die Hüfte. »Der Blinde, von dem du vorhin sprachst, der scheinst du selbst zu sein.«

»Es gibt ein altes Sprichwort«, bekräftigte Trunk B. Deuergal. »Der Verkünder hat es

irgendwann einmal gebraucht: Mit Irrtümern beginnt die Erfahrung und mit Erfahrung die Weisheit. Ich meine, deutlicher läßt es sich nicht ausdrücken.«

»Du glaubst, daß ich mich irre?« »Natürlich.« »Dann wünsche ich euch, daß dem wirklich

so ist. Denn wenn nicht ...« Der Extra über-ließ es den Atlantreuen, sich die möglichen Folgen selbst auszumalen.

»Ich habe noch immer keine Antwort, Na-rod II.«

Daß der Alte erneut schwieg, war ihm Be-weis genug. Nicht nur Atlan, sondern die ge-samte Führung der SOL hatte ihre Hoffnun-gen auf einen Mann gesetzt, der taub war und infolgedessen unfähig, wirkliche Verhandlun-gen zu führen. Unverständlich, daß so etwas überhaupt geschehen konnte, aber nun galt es, das Beste daraus zu machen.

Warum nur hatte er seine Zweifel nicht rechtzeitig geäußert, als es noch möglich ge-wesen war, die ÜBERZEUGUNG zu stop-pen? Insider hätte sich selbst dafür ohrfeigen können. Der Verkünder mochte es zwar aus-gezeichnet verstehen, von den Lippen der Solaner zu lesen, bei den fremdartigen Zya-nern aber mußte er naturgemäß versagen. Das Mißverständnis mit Kyrm-Bra ließ keinen anderen Schluß zu.

Insider wurde aus seinen Überlegungen aufgeschreckt, als ein Schott aufglitt. Bewaff-nete Zyaner stürmten herein.

»Mitkommen!« Ihm blieb keine andere Wahl, als sich zu

fügen. Den kalten Lauf eines Strahlers im Rücken, ging er langsam hinter den anderen her.

»Wohin bringt ihr uns?« »Du wirst es früh genug erfahren«, fauchte

eines der Echsenwesen. »Euer Raumschiff ist uns wieder entkommen.«

Geiseln! durchzuckte es den Extra. Sie wol-len uns benutzen, um an die SOL heranzu-kommen.

Wenn alles geschehen durfte, das nicht. Ohne zu überlegen, wirbelte Insider herum.

Ein Strahlschuß verfehlte ihn um wenige Zentimeter. Er spürte die sengende Hitze auf seiner Haut. Der Zyaner kam nicht mehr dazu, die Waffe ein zweites Mal abzufeuern. Mit

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den Händen seiner beiden unteren Arme zerr-te Insider den Lauf des Strahlers zur Seite, während er mit den beiden anderen Fäusten zuschlug.

»Tu’s nicht!« schrie Narod II gequält auf. »Bitte, keine Gewalt.«

Der Extra achtete nicht darauf. Bevor der zweite seiner Bewacher sich von seiner Über-raschung erholen konnte, hatte er ihm den Kolben der Waffe an den Kopf geschmettert. Lautlos brach die Echse zusammen.

Insider war schon immer unheimlich schnell in seinen Bewegungen gewesen. Jetzt übertraf er sich selbst. Er hatte erkannt, daß die Zyaner zögerten, auf ihn zu schießen, weil sie befürchten mußten, Narod II zu treffen, der unmittelbar neben ihm stand. Ohne auf die lautstarken Proteste des Verkünders zu achten, zog Insider den alten Mann an sich. Den Strahler richtete er auf die Echsen.

»Ihr bekommt uns nicht lebend.« Trunk und Jylene starrten ihn aus weit auf-

gerissenen Augen an. Sie waren bis an die Gangwand zurückgewichen.

»Gib auf, Insider, du kommst nicht weit.« Narod II klang gequält. Er zitterte.

»Hast du Angst?« fauchte der Extra. Skrempeleck reagierte in keiner Weise.

Fünf Meter hinter ihm war ein geschlosse-nes Schott. Insider wußte nicht, wohin es führte, aber eine andere Chance besaß er nicht.

»Wer die Waffe auf andere richtet, wird selbst dadurch umkommen«, warnte der Ver-künder.

»Erzähl das lieber denen da.« Insider riß den Strahler hoch. »Stehenbleiben!« rief er, weil zwei Zyaner Anstalten trafen, ihm zu folgen.

Die Waffe war fremdartig; der lange, von zwei verschieden starken Röhren umwundene Lauf endete in einem durchlöcherten Schaft. Sie war schwer zu halten, aber als Insiders Finger in die Löcher hineinglitten, mußte er ungewollt den Abzug berührt haben. Bis eben hatte er nur geblufft, nun brach ein gleißender Strahl aus der Mündung hervor und schlug schräg über ihm in die Decke ein. Glutflüssi-ges Plastik spritzte herab. Trunk und Jylene schrien entsetzt auf. Bevor sie fähig waren, ihre Überraschung zu überwinden, hatten die

Zyaner sie überwältigt. Insider konnte auf die beiden keine Rücksicht nehmen.

Suchend glitten zwei seiner Hände über die Wand neben dem Schott. In halber Höhe spürte er eine winzige Erhebung. Als er dar-über hinweg tastete, glitt das Schott auf.

»Du machst alles nur noch schlimmer.« Na-rods Stimme hatte einen beschwörenden Klang angenommen. »Höre auf mich, Zwzwko, es ist auch in deinem Interesse. Wie willst du dich innerhalb dieses Stützpunkts über längere Zeit hinweg verbergen? Ich bitte dich, gib auf – was du vorhast, ist keine Lö-sung.«

Das Schott hatte sich vollständig geöffnet. Dahinter erstreckte sich ein weiterer Gang, der sich vielleicht dreißig Meter entfernt a-bermals verzweigte. Insider berührte den Öff-nungsmechanismus ein zweites Mal; das Schott begann sich wieder zu schließen. Er hatte den Eindruck, daß die Zyaner sich nicht mehr lange würden hinhalten lassen.

»Wirf die Waffe weg ...« Er konnte diese Reden von Frieden und

Gewaltlosigkeit nicht mehr hören. Je länger er in Narods Nähe weilte, desto größer wurde seine innere Ablehnung, obwohl er anfangs dessen Plänen zugestimmt hatte.

»Ich wünsche dir trotzdem viel Glück. Vielleicht schaffst du es tatsächlich auf deine Weise.« Insider wußte, daß der Alte ihm nicht hören konnte, wohl aber wandte dieser sich in dem Augenblick halb um, als sein Griff sich löste.

Das Schott schlug hinter dem Extra zu. Er begann zu rennen. Im Laufen riß er den Strah-ler hoch und feuerte auf den Durchgang. Glut-flüssiges Metall verschweißte das Schott mit dem Rahmen. Wenigstens für eine Weile würden die Verfolger dadurch aufgehalten werden.

Die Abzweigung. Insider entschied sich für den rechten Korridor, der abwärts führte. Je-den Moment erwartete er, mit Zyanern zu-sammenzuprallen, die von den anderen alar-miert worden waren. Aber alles blieb ruhig.

Gefühlsmäßig zum Teil unscheinbaren Gängen folgend, mochte er zwei oder drei Kilometer zurückgelegt haben, als ein farbig gezeichnetes Schott seine Aufmerksamkeit weckte. Auch besaß es einen rein mechani-

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schen Öffnungsmechanismus. Insider mußte seine ganze Kraft aufwenden, um das Hand-rad zu bewegen.

Er war enttäuscht und erleichtert zugleich, dahinter das Teilstück eines engen, nur spär-lich erleuchteten Stollens vorzufinden. Drei-ßig Meter weiter gab es ein zweites Schott. Der Korridor war in bloßen Fels gehauen. Nicht mit Desintegratoren gegraben oder mit Thermogeschützen, sondern mit veralteten Steinbearbeitungsmaschinen, wie die vielfäl-tigen Spuren bewiesen. Beide Schotte hatte man nachträglich angebracht; sie waren seit-lich unlösbar mit dem Fels verschmolzen.

Insider eilte weiter. Hinter dem zweiten Durchgang begann eine enge Wendeltreppe, die in unbestimmbare Tiefe führte. Die Stufen bestanden nur aus nackten, rostigen Eisenstä-ben.

Flüchtig hielt der Extra inne. Aber er durfte nicht umkehren. Wahrscheinlich hatten die Zyaner inzwischen seine Spur aufgenommen.

In unregelmäßigen Abständen angebrachte, energielos funktionierende Leuchtstoffröhren ließen ihn erkennen, wie verwahrlost dieser Abschnitt war. Die Vermutung, daß die Ech-sen so gut wie nie hierher kamen, lag auf der Hand. Und gerade deshalb begann Insider, sich allmählich sicherer zu fühlen.

Wie tief er sich mittlerweile unter der Ober-fläche des Planeten befand, konnte er nicht einmal schätzen. Als die Treppe in einer gro-ßen, domförmigen Halle endete, hielt er erst einmal inne, um zu verschnaufen. Die Luft hier unten war warm und stickig, und von irgendwoher erklang ein leises Plätschern. Wahrscheinlich ein unterirdischer Fluß.

Aber da war auch noch ein anderes Ge-räusch.

Insider wirbelte herum – und erstarrte. Er hatte den kegelförmigen Roboter zu spät be-merkt.

In dem Moment, in dem die Maschine ihre Waffenarme hob, warf der Extra sich zur Sei-te.

*

Es ging auf Mitternacht zu. Die alte Pattsituation zwischen SOL auf der

einen und Zyanern auf der anderen Seite war

wiederhergestellt. Das hantelförmige Fern-raumschiff hatte sich zurückgezogen, und die Echsen trafen keinerlei Anstalten, erneut an-zugreifen.

An Bord herrschte eine trügerische Ruhe. Die überwiegende Zahl der Solaner vertraute Skrempeleck alias Narod II und dessen selt-samen Fähigkeiten. Für sie existierten folglich keine Probleme – zumindest ignorierte man, daß es vom Verkünder und dessen Begleitern bislang keinerlei Lebenszeichen gab.

Wer trotz vorgerückter Stunde keinen Schlaf fand, das waren die Stabsspezialisten und Atlans Team. Bjo Breiskoll, Federspiel und Sternfeuer versuchten unablässig, inmit-ten der Solaner, Extras und Bordmutanten jene eine Person aufzuspüren, die von dem kleinen Kristallspeicher und dem Ultimatum wußten. Aber sie hatten keinen Erfolg. Die von der Sonne Deignar her einfallende Strah-lung beeinträchtigte ihre telepathischen Fä-higkeiten selbst auf kürzeste Distanz. Zwar war es nicht unmöglich geworden, die Ge-danken von Besatzungsmitgliedern zu erfas-sen, aber doch überaus kräftezehrend.

»Lohnt der Aufwand eigentlich?« wollte Lyta Kunduran irgendwann wissen.

Breckcrown Hayes sah sie erstaunt an. »Solange wir nicht wissen, was der Unbe-

kannte vorhat ...« »Das ist es eben«, wurde er von Lyta unter-

brochen. »Mag sein, daß dieser Jemand uns nur zum besten hält.«

»Nein.« Der High Sideryt schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht.«

»Dann nenne mir ein Motiv. Wer sollte ausgerechnet jetzt ein Interesse daran haben, die Verteidigungsbereitschaft der SOL zu schwächen?«

»Jemand, der selbst an die Macht kommen will.«

»Er muß damit rechnen, von den Telepa-then aufgespürt zu werden.«

»Du hast Sannys Meinung gehört; sie hält die Erpressung für echt.«

Ein lautes Stöhnen, begleitet vom dumpfen Fall eines menschlichen Körpers, hinderte Lyta Kunduran an einer Erwiderung. Jemand rief nach einem Medorobot.

Sternfeuer war zusammengebrochen. Ihre samtig-braune Haut hatte jede Farbe verloren,

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ihre Wangen wirkten eingefallen, und die schmale Nase trat scharfkantig hervor. Die Anstrengung mußte zuviel für sie gewesen sein.

Federspiel kniete bereits neben ihr und ver-suchte, sie ins Bewußtsein zurückzurufen. Endlich kam der Medo.

»Sie braucht vor allem Ruhe«, lautete die Diagnose. »Sternfeuer ist gerade noch an ei-nem Kreislaufzusammenbruch vorbeigekom-men.«

»Es hat keinen Sinn, weiterzumachen«, sagte Atlan, an ihren Zwillingsbruder und Breiskoll gewandt. »Ihr seid ebenfalls mit euren Kräften am Ende.«

»Es ist ein Fehler, ausgerechnet jetzt auf-zugeben«, erwiderte Federspiel trotzig. »Sternfeuer wäre sicher derselben Meinung.«

»Vielleicht brauchen wir euch bald nöti-ger«, ergriff Hayes Partei. »Ihr werdet euch einige Stunden hinlegen. Und keine weitere Diskussion.«

»Wir stehen dicht vor dem Ziel«, wider-sprach Federspiel.

»Ihr werdet nichts erreichen. Mit wem auch immer wir es zu tun haben, entweder ist er über die störende Hyperstrahlung informiert, oder er versteht es ausgezeichnet, seine wah-ren Gedanken geheimzuhalten. Alles, was wir vorerst tun können, ist abzuwarten ...«

»... oder einen fähigen Kriminalisten loszu-schicken, der sich aufs Spurenlesen versteht. Nicht wahr, Chef, für uns beide wäre das eine reizvolle Aufgabe.«

Von allen unbemerkt, hatten Hage Nocke-mann und sein etwas seltsamer Roboter die Hauptzentrale betreten. Ausgiebig kratzte Blödel sich seinen Bart aus grünen Plastik-haaren.

»Ich bin Galakto-Genetiker und kein Kri-minalist«, entgegnete der Wissenschaftler. Daß er dabei puterrot anlief, mochte ein Zei-chen seiner Erregung sein.

»Macht nichts, Chef«, tröstete Blödel. »Niemand kann alles wissen. Wie gut, daß du einen Roboter wie mich hast. Ich werde dir beibringen, was du wissen mußt.«

»Du ...?« ächzte Nockemann und ließ sich in den nächstbesten Sessel fallen. Er war of-fensichtlich erschüttert.

»Also«, wandte Blödel sich an Atlan. »Du

hast es vernommen, Großer Meister, ich stehe zur Verfügung.«

Grinsend schüttelte Hayes den Kopf. »Ich fürchte, daraus wird nichts. Wir sind

zum Abwarten verurteilt.« »Weil keine brauchbare Spur vorhanden

ist?« »Auch das, richtig.« »Ist doch Blödsinn«, widersprach der Ro-

boter. »Stimmt’s, Chef, du bist mit mir einer Meinung? Da war zum Beispiel die Sache mit den Giftampullen, als die SOL im Zeittal fest-saß. Ich habe davon gehört.« –

»Das ist längst ausgestanden. Wir haben sämtliche Ampullen sichergestellt.«

»Dann eben nicht«, meinte Blödel belei-digt. »Es war nur ein Vorschlag zur Güte. Wenn ich allerdings nicht gebraucht werde ...« Mit seinen zu voller Länge ausgefahrenen Armen vollführte er eine theatralische Geste, wandte sich dann abrupt um und watschelte von dannen.

»Wir alle sollten uns ein wenig Ruhe gön-nen«, sagte Atlan. »Unter Umständen steht uns ein stürmischer Tag bevor.«

*

Narod II breitete die Arme aus und ließ die

Zyaner seine leeren Handflächen sehen. »Es tut mir leid«, sagte er. »Unser Freund

glaubt, das Richtige zu tun.« Eine der Echsen packte ihn und stieß ihn zu

den beiden Atlantreuen hinüber. Die anderen versuchten, das Schott zu öffnen, was ihnen aber nicht gelang.

»Ich hoffe, ihr bekommt wegen der Flucht Zwzwkos keine Unannehmlichkeiten. Er weiß nicht, was es heißt, auch seinen Gegnern mit Achtung zu begegnen.«

»Spar dir dein Gerede. Los, geht endlich weiter. Was den Vierarmigen anbelangt: er wird bald wieder bei euch sein.«

»Verzeiht ihm seinen Fehler.« Verwirrte, fragende Blicke trafen den Ver-

künder. »Wovon sprichst du?« »Bestraft Insider nicht für seine Flucht. Es

ist der Leichtsinn der Jugend und des Unglau-bens, der ihn so handeln läßt.«

»Dafür wird er büßen.«

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»Insider ist verzweifelt, weil ihm alles

fehlt, was glücklich macht. Er weiß noch nicht, was es bedeutet, den inneren Frieden zu finden.« Mit einer ruckartigen Bewegung riß der Verkünder seinen wallenden Umhang aus hellblauem Kunststoff über der Brust auf. Ein feuchter Schimmer trat in seine Augen. »Tötet mich, tut es gleich, aber laßt Zwzwko Gele-genheit, seine Fehler einzusehen.«

Einige der Zyaner blieben abrupt stehen. Es kam zu einem kurzen, fauchenden Wortwech-sel mit den anderen, die weiterdrängten. Dann wandten sie sich Narod II zu.

»Du willst für ihn sterben?« fragten sie. »Warum?«

Es war schwer, in ihrer Mimik zu lesen. Aber sie schienen verwundert und überrascht zugleich.

»Weil ich den Frieden mehr liebe als mein Leben.«

Ehe er reagieren konnte, schlug eine der Echsen mit dem Kolben ihrer Waffe zu. Trunk B. Deuergal, dem der Angriff galt, ver-suchte nicht einmal, abwehrend die Arme hochzureißen. Ächzend krümmte er sich zu-sammen und sank vornüber auf die Knie.

»Verteidige dich!« zischte der Zyaner. Trunk schüttelte den Kopf, als ein Fußtritt

ihn vollends fällte. »Feigling!« Der Zyaner entblößte seine

Zähne. »Nennst du den einen Feigling, der bereit

ist, für das Gute zu leiden?« Narod II erhielt keine Antwort. Aber nie-

mand hinderte ihn daran, daß er Trunk hilf-reich unter die Arme griff, als dieser versuch-te, wieder hochzukommen.

»Sie lernen es nie«, ächzte der Buhrlo. »O doch«, widersprach der Verkünder lä-

chelnd und strich ihm mit der Hand über die Stirn. »Du brauchst Geduld, Trunk. Keiner kann sich dem Einfluß der Liebe entziehen. Es gibt nichts und niemanden, der wirklich und von Grund auf böse ist.«

Die Zyaner zwangen sie weiterzugehen. Einmal erhaschten sie einen flüchtigen Blick auf einen im Sonnenglast liegenden Raumha-fen. Dort herrschte reges Treiben, und Narod II zählte an die fünfzig Raumschiffe. Weit im Hintergrund erstreckte sich die Silhouette eines ausgedehnten Gebirgszugs; davor ragten

die Geschützkuppeln planetarer Abwehrforts in den fast wolkenlosen Himmel.

»Wir werden euer großes Schiff vernich-ten«, bemerkte einer der Zyaner. »Es ist nur eine Frage der Zeit.«

»Damit tötet ihr hunderttausendfach intelli-gentes Leben«, fuhr Jylene Tapsin auf. »Be-deutet euch das gar nichts?«

»Es ist eine Notwendigkeit.« »Weil Hidden-X dies befohlen hat?« »Schweig!« Unbewußt hatte Jylene densel-

ben Fehler begangen wie Narod II, als sie Kyrm-Bra gegenüberstanden. Als der Zyaner seine Waffe auf sie richtete, ließ sie sich ein-fach fallen, rollte sich ab und kam federnd wieder auf die Beine. Aber schon griffen schuppige, kräftige Hände nach ihr und hiel-ten sie unbarmherzig fest.

Der Zyaner stieß krächzende Laute aus, die wohl das Äquivalent menschlichen Lachens waren.

»Für jeden weiteren Fluchtversuch«, er-klang es aus dem Translator, »werden wir einen von euch erschießen.«

Ehe Jylene überhaupt in der Lage war zu begreifen, löste er seine Waffe aus. Unmittel-bar vor Narod II begann der Bodenbelag sich blasenwerfend aufzuwölben. Der Verkünder zuckte mit keiner Wimper.

»Du fürchtest den Tod nicht, alter Mann?« Narod II lächelte. In diesem Augenblick

strahlte sein eingefallenes Gesicht wieder jene Lebensfreude und Zuversicht aus, die rasch auf seine Zuhörer übersprang. Bisher hatte er bei den Echsenwesen allerdings keinen blei-benden Eindruck damit hinterlassen.

»Ist es nicht ein Glück, dem Bösen in unse-rem Universum entrinnen zu können? Was anderes ist der Tod als ein Hinüberwechseln in die Vollkommenheit, als ein Verlust der fleischlichen Hülle, die viel Böses gebärt?«

Der Strahler zielte nun genau auf den Ver-künder. Er wich dem Blick des Zyaners nicht aus, aber in seinen Augen lag ein Hauch von Traurigkeit. Sie schienen unergründlich zu sein, als spiegelte sich ein Teil der Ewigkeit in ihnen.

Die Finger des Zyaners senkten sich in die Löcher des Schafts.

»Ich verzeihe dir«, sagte Narod II leise. »Du hast nie gelernt, was es bedeutet, Leben

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zu achten.«

Im letzten Moment ruckte die Waffe hoch, und der Glutstrahl bohrte sich etliche Meter hinter dem Verkünder in die Decke.

»Ich weiß nicht warum, aber ich glaube dir, daß du in friedlicher Mission gekommen bist. Weiter jetzt – Lort-Cham wird ungehalten sein über die Verzögerung.«

5.

Beide Waffenarme des Roboters folgten

seiner Bewegung. Als Insider sich blitzschnell duckte, fauchten zwei Thermostrahlen dicht über ihn hinweg. Glutflüssiges Gestein ver-spritzte nach allen Seiten, einige Tropfen fra-ßen sich durch die Bordkombination hin-durch. Der Extra biß die Zähne zusammen, um nicht laut aufzuschreien.

Er wußte, daß er verloren war, wenn er nur eine Sekunde zögerte. Mit der Geschmeidig-keit eines wilden Tieres kam er wieder auf die Beine, während da, wo er eben noch gelegen hatte, der Felsboden zu kochen begann.

Keine zehn Meter entfernt ragte eine Grup-pe mächtiger Stalagmiten auf. Hinter ihnen mußte er wenigstens vorübergehend Schutz finden. In wilden Zickzacksprüngen hetzte Insider darauf zu, und noch im Laufen ver-suchte er, die fremde Waffe auszulösen. Ein erster Schuß verfehlte den Roboter weit, der zweite ging ebenfalls fehl, weil der Extra selbst ausweichen mußte. Die Maschine, zweifellos eine Konstruktion der Zyaner, folgte ihm.

Mit einem Hechtsprung warf er sich in De-ckung. Hinter ihm zerbarst eine der Säulen mit lautem Knall.

Ihm blieb keine Zeit, sich auf die neue Si-tuation einzustellen, denn der Roboter kam schneller heran als befürchtet. Wieder schoß Insider. Die fremde Waffe war schwer zu handhaben; seine Finger begannen zu schmerzen. Entweder waren die Bewegungs-abläufe der Zyaner anders, oder sie verfügten über ein zusätzliches Gelenk.

Plötzlich versiegte der Glutstrahl. War das Energiemagazin ausgerechnet jetzt

erschöpft? Zitternd betätigte Insider nochmals den Auslöser.

Nichts geschah. Allerdings begann es im

Innern des Strahlers zu knistern. Wenig Gutes ahnend, holte der Extra aus

und schleuderte die Waffe in hohem Bogen von sich. Noch in der Luft erfolgte eine ver-heerende Detonation. Sekundenlang schien eine winzige Sonne inmitten der Höhle aufzu-flammen, dann fegte ein wahrer Orkan durch die unterirdischen Stollen.

Der Roboter, der dem Explosionszentrum nahe gewesen war, stürzte.

Einige Stalagmiten neigten sich zur Seite. Die völlige Lautlosigkeit des Geschehens erschreckte Insider. Dann erst begriff er, daß der Lärm ihn hatte taub werden lassen.

Seine Deckung brach zusammen. Aufge-wirbelter Staub erschwerte die Orientierung. Etwas streifte ihn an der Hüfte und ließ ihn einknicken. Trotz des brennenden Schmerzes raffte er sich sofort wieder auf und taumelte weiter. Hinter ihm brachen die Tropfsteine vollends zusammen.

Insider wußte nicht, ob der Roboter zerstört worden war. Er verspürte auch keine Lust, es herauszufinden. Vielleicht hatte die Maschine eine übergeordnete Stelle informiert, und jede Minute konnten Suchmannschaften der Zya-ner eintreffen.

Die Sicht reichte kaum wenige Meter weit; nur langsam senkte der Staub sich wieder. Der Extra stellte fest, daß er in einen der Stol-len geraten war, die zu Dutzenden von der Höhle aus ins Ungewisse führten.

Hier gab es keine Lampen mehr, doch Flechten und ausgedehnte Moospolster ver-breiteten einen grünlichen Schimmer. Flüch-tig spielte Insider mit dem Gedanken, umzu-kehren; vermutlich wäre er dabei – wie Atlan es ausdrückte – vom Regen in die Traufe ge-kommen.

Der Gang führte sanft aufwärts. Bedeutete dies, daß er bald irgendwo an der Oberfläche mündete?

Noch immer vernahm Insider nichts ande-res als das Rauschen des Blutes in seinen Schläfen.

Kurz nachdem der Stollen sich zu verengen begann, war irgendwann die Decke eingebro-chen. Lehmiges Erdreich und scharfkantige Felsbrocken machten ein Weiterkommen na-hezu unmöglich. Aber auf dem Bauch krie-chend schaffte der Extra es schließlich, den

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Engpaß zu überwinden.

Er gelangte in eine kleine Höhle. Hell auf-lodernde Flammen blendeten ihn. Sie schie-nen aus dem Boden zu kommen und züngel-ten meterhoch empor.

Insider konnte nicht erkennen, wovon sie gespeist wurden. Er vermutete, daß Erdgas durch winzige Felsspalten aufstieg.

Nur – wer hatte das Feuer entzündet? War der eingestürzte Gang keineswegs ein Zufall gewesen?

Allmählich gewöhnten seine Augen sich an die Helligkeit. Da waren Schatten im Hinter-grund der Höhle. Und es hatte den Anschein, als bewegten sie sich. Insider mußte zweimal hinsehen, um sich wirklich sicher zu sein. Das war keine Täuschung, hervorgerufen durch das zuckende Spiel des Feuers. Dort kamen irgendwelche Wesen auf ihn zu.

Langsam kehrte sein Gehör zurück. Er ver-nahm krächzende Laute und ein gedämpft klingendes Plätschern, dessen Ausgangsort schwer zu lokalisieren war.

In aller Eile wandte er sich nach links, weil er den Zyanern nicht in die Hände fallen woll-te. Aber er kam nur wenige Schritte weit.

Völlig unverhofft tat sich der Boden unter ihm auf. Insider versuchte noch, sich nach vorn zu werfen, verfehlte die rettende Kante aber um mehrere Handbreit.

Er stürzte, ohne erkennen zu können, wo-hin.

*

Das Leben an Bord der SOL nahm seinen

gewohnten Gang. Nichts deutete darauf hin, daß mit Ablauf des Ultimatums besondere Ereignisse bevorstanden.

Atlan hatte in der vergangenen Nacht ledig-lich drei Stunden geschlafen. Daß er sich dennoch ausgeruht und erholt fühlte, verdank-te er seinem Zellaktivator.

Zusammen mit Hage Nockemanns Roboter hatte er nochmals das Hauptdeck betreten und den Interkomanschluß beim Lastenantigrav aufgesucht. Mit demselben negativen Ergeb-nis wie bereits zuvor. Auch Blödel konnte keine neuen Spuren feststellen.

»Mein Chef behauptet, ich sei endgültig übergeschnappt«, erzählte der Roboter. »Er

meint, ich solle mich da heraushalten, weil ich ohnehin alles nur durcheinanderbrächte. Kannst du dir das vorstellen? Ich frage dich, Atlan, kannst du das?«

Der Arkonide hatte Mühe ernst zu bleiben. »Hage wird seine Gründe haben«, meinte er

nur. »So? Hage ist ein alter Sklaventreiber,

wenn du es genau wissen willst. Immer hat er an mir etwas auszusetzen. Blödel, mach das, laß jenes, arbeite sorgfältiger ... Zum Glück habe ich eine solch eiserne positronische Konstitution, sonst wäre ich längst verzwei-felt.«

Atlan konnte nicht mehr anders, als lauthals herauszuplatzen. Es tat gut, wieder einmal nach Herzenslust zu lachen.

Beinahe hätte er das leise Summen über-hört, das von seinem Handgelenk ausging. Mit einem raschen Griff aktivierte er das Armbandgerät. Lyta Kunduran, Herts’ Stell-vertreterin, erschien auf dem kleinen Bild-schirm. Ihre Miene verriet nichts Gutes.

»Es gibt Schwierigkeiten, Atlan. Unser Un-bekannter hat sich in die Bordnachrichten eingeschaltet.«

»Wie?« Die Frau zuckte mit den Schultern. »Wir wissen es noch nicht. Ein Trupp Ro-

boter ist unterwegs und dürfte die Sendezent-rale in dieser Minute erreichen.«

»Gut«, nickte Atlan. »Wir kommen sofort zu dir.«

»Geh du schon mal alleine zu«, meinte Blödel schnoddrig. »Ich habe noch zu tun.«

Der Arkonide musterte den Roboter durch-dringend.

»Wenn du zur Sendezentrale willst, gib mir umgehend Bescheid, falls du etwas findest.«

»Vielleicht kann ich Gedanken lesen.« Blödel schien etwas sagen zu wollen,

wandte sich dann aber wortlos um und ent-fernte sich.

»Nein«, hörte Atlan ihn noch murmeln, »das kann er nicht.«

*

Atlan kam zu spät, um die Mittagsnachrich-

ten noch live zu erleben. Deshalb spielte Lyta Kunduran ihm die Aufzeichnung vor. Nie-

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mand konnte sagen, wie der Unbekannte an das Bildmaterial gelangt war, das er zur Un-termalung seines »Aufrufs an alle vernünftig denkenden Solaner« verwendet hatte.

»Eines muß man ihm lassen«, stellte Vorlan Brick unumwunden fest. »Das Ganze ist psy-chologisch geschickt aufgemacht. Es sollte mich wundern, wenn nicht mancher darauf hereinfällt.«

Auf dem Bildschirm wechselten Aufnah-men von Raumschlachten einander in rascher Folge ab. Dazu ertönte die jedem in der Hauptzentrale bereits bekannte Stimme:

»Unsere Heimat ist die SOL, wir dürfen niemals zulassen, daß sie von andersdenken-den, selbstsüchtigen Menschen der Vernich-tung preisgegeben wird. Wir alle haben erlebt, was in letzter Zeit geschehen ist, welchen Angriffen unsere Heimat ausgesetzt war. Und nun sieht es so aus, als wären wir am Ende unserer Odyssee angelangt. Die Zyaner besit-zen Waffen, denen wir unterliegen müssen.

Ich frage euch, Solaner, wer ist an allem schuld? Nicht nur Atlan und der High Sideryt werden uns ins Verderben führen, sondern auch die Stabsspezialisten. Sie kennen den Frieden nicht, den der Verkünder des Positi-ven uns versprochen hat. Für sie gibt es nur ein Ziel, gibt es nur die Befriedigung ihrer ganz persönlichen Bedürfnisse – und dieses Ziel heißt Kampf gegen Hidden-X, heißt Kampf bis zur Vernichtung der SOL, denn einen Erfolg wird es niemals geben.«

Die Bilder wechselten in immer rascheren Sequenzen. Jeder, der sie sah, fühlte sich selt-sam berührt.

Endlich fuhr der Sprecher wieder fort: »Wer das Schwert gegen andere erhebt,

wird durch das Schwert umkommen. Das, Brüder und Schwestern, hat Narod II uns ge-lehrt, und das ist eine Wahrheit von wirklich kosmischer Bedeutung.

Nur die Schiffsführung richtete sich nicht danach. Keiner von denen hat begriffen, was Narod II uns mit seiner Botschaft nahebringen wollte. Und nun ist der Verkünder bei den Zyanern verschollen. Doch in unseren Herzen lebt sein Wort fort – er darf nicht umsonst gestorben sein.

Deshalb müssen wir Atlan, Hayes und die anderen stürzen und durch eine demokratisch

gewählte Führung ersetzen ...« An dieser Stelle brach die Sendung ab. »Die Roboter mußten erst das Schott zum

Senderaum aufschweißen«, sagte Lyta Kun-duran entschuldigend. »Es war blockiert.«

»Wir wären ohnehin zu spät gekommen«, meinte der High Sideryt. »Unser Gegner scheint zu allem entschlossen. Er bringt Skrempeleck auf eine Art und Weise ins Spiel, die uns schlagartig jeder Sympathie berauben kann.«

»Der Verkünder würde sich nie darauf ein-lassen.«

»Sage das den Solanern, Vorlan. Ich fürch-te, jede Gegendarstellung hätte wenig Sinn.«

Der Interkom summte. Da das Gespräch unmittelbar in die Hauptzentrale durchgestellt wurde, mußte es von Wichtigkeit sein.

Der Bildschirm blieb jedoch dunkel. »Du hast den Aufruf gehört, Atlan. Verlaß

die SOL bis spätestens 20.00 Uhr Bordzeit, oder ihr werdet einen verdammt harten Stand haben.«

Ein Knacken verriet, daß die Verbindung von der anderen Seite her unterbrochen wor-den war.

»Es kommt zu spontanen Mißtrauenskund-gebungen in beiden SOL-Zellen«, meldete SENECA. »Lediglich im Mutterschiff herrscht noch Ruhe.«

Lyta Kunduran warf dem Arkoniden einen flüchtigen Blick zu, in dem sich ihre Ratlo-sigkeit nur zu deutlich ausdrückte.

*

Lort-Cham unterschied sich schon äußer-

lich von den anderen Zyanern. Nicht nur daß er um gut vierzig Zentimeter kleiner war als der Durchschnitt, ein Unfall hatte ihn ge-zeichnet. So fand sich keine Schuppe auf sei-nem kahlen Schädel, und zwei wulstige, schlecht verhornte Narben zogen sich quer über die vorgewölbte Mundpartie.

Trotzdem hatte er es geschafft, sich in der diktatorischen Hierarchie emporzuarbeiten. Mancher seiner Gegenspieler war für immer spurlos verschwunden, und Nachforschungen nach ihrem Verbleib verliefen stets im Sand.

Auf menschliche Verhältnisse übertragen, war Lort-Cham so etwas wie ein Polizeichef,

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ATLAN 96 – Die Abenteuer der SOL

wobei seine Befugnisse selbstverständlich allumfassend waren.

Aus kleinen, funkelnden Augen starrte er die drei Solaner durchdringend an. Daß Narod II seinem Blick standhielt, schien ihn zu ver-wirren. Jedenfalls richtete er sich in seinem schalenförmigen Sitz abrupt auf.

»Drei Wachen genügen«, bellte er. »Die Gefangenen sind ...«, versuchte je-

mand zu erklären. »Raus!« fauchte Lort-Cham. »Drei Mann,

habe ich gesagt.« Er wandte sich wieder den Solanern zu. »Du bist der Anführer?« fragte er Narod II.

»Von uns steht keiner über dem anderen«, erwiderte der Verkünder. »Wir leben für den Frieden und die Verständigung zwischen den Völkern.«

»Das ist gut.« Lort-Cham lachte spöttisch. »Dann wirst du mir sagen, wie wir endlich das große Raumschiff besiegen können.«

Er hatte den Kopf auf die Handflächen ge-stützt, so daß Narod II seine Mundbewegun-gen nur teilweise verfolgen konnte. Wahr-scheinlich aus diesem Grund zögerte der Ver-künder mit einer Antwort.

»Was ist?« fauchte der Zyaner ungehalten. »Hat es dir die Sprache verschlagen?«

»Gewalt ist keine Lösung«, sagte Trunk B. Deuergal. »Warum verbündet ihr euch nicht mit uns?«

Lort-Cham schien verblüfft. Im nächsten Moment sprang er wütend auf.

»Du wagst viel«, rief er aus. »Sehr viel so-gar.«

»Trunk spricht nur das aus, was wir alle denken«, sagte Narod II.

»So?« Der Zyaner wandte sich dem Ver-künder zu. »Ich habe dich nicht nach deiner Meinung gefragt.«

»Wer schweigt, unterdrückt den Frieden«, fuhr Narod II ungerührt fort. »Nicht Waffen zählen bei der Begegnung fremder Völker, sondern der Verstand und die Fähigkeit, den anderen als gleichberechtigt anzuerkennen.«

»Frieden«, fauchte Lort-Cham. »Gleichbe-rechtigung. Das ist das Geschwätz rechtloser Sklaven. Ich nehme nicht an, daß du ein Skla-ve bist.«

»Jeder ist Gefangener seiner Gefühle. Ich kenne keinen anderen Herren als das Streben

nach Vollkommenheit – und vollkommen ist nur, wer Haß und Neid, die Brutstätten jeder kämpferischen Auseinandersetzung, aus sei-nem Herzen verbannt hat.«

»Ich will euer Schiff nicht mehr.« »Du wirst es nie bekommen«, erwiderte Jy-

lene Tapsin. »Nicht auf deine Weise.« Lort-Cham schnellte förmlich nach vorne,

seine Finger schlossen sich um ihren Hals. »Mach dich nicht unglücklich.« Sanft legte

der Verkünder eine Hand auf die Schulter des Zyaners. Narod II war um mehr als einen Kopf größer, aber das war es sicherlich nicht, was Lort-Cham unvermittelt innehalten ließ.

»Du wirst Jylene nicht töten, weil ihr Tod sinnlos wäre und dir nichts nützt. An deinen Händen klebt ohnehin viel Blut.«

Der Zyaner ließ die Arme sinken. Sekun-denlang stand er wie versteinert, und nur die Narben in seinem Gesicht zuckten.

»Niemand hat je gewagt, mir so etwas vor-zuwerfen.«

Narod II lächelte stumm. Wutentbrannt riß Lort-Cham seinen Strah-

ler aus dem Gürtel. »Wenn ich schon durch deine Hand sterben

muß«, sagte der Verkünder, »dann vergiß nicht, was ich über den Frieden gesagt habe.«

In dem Moment, in dem der Zyaner den Auslöser betätigte, warf sich eine der drei Wachen nach vorne und fing den Thermo-strahl ab, der für Narod II bestimmt war.

Mehr verwundert als erschüttert senkte Lort-Cham die Waffe. Er warf dem Verkün-der einen scheuen Blick zu.

»Ich weiß nun, was du meintest, als du vom Glück gesprochen hast«, flüsterte der Ster-bende. »Ich wünsche dir ...«

»Warum hat er das getan?« donnerte Lort-Cham.

Es war den beiden anderen Zyanern anzu-sehen, daß sie um ihre Fassung rangen. End-lich fand sich einer von ihnen bereit zu ant-worten.

»Er hat eingesehen, daß wir den falschen Weg gehen, und ist gestorben, um dem Frie-den zwischen zwei Völkern den Weg zu eb-nen.«

Sekundenlang sah es so aus, als wolle Lort-Cham sich auf den Zyaner stürzen, dann aber gab er sich einen merklichen Ruck.

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»Schafft ihn weg und geht mir aus den Au-

gen!« Als das Schott zufiel, wandte er sich wieder

an den Verkünder. »Was hast du mir anzubieten?« Narod II schüttelte den Kopf. »Ich gehe keinen Handel ein, der nicht dei-

nem wirklichen Willen entspringt. Wärest du reif für den Frieden, würdest du andere Worte gebrauchen.«

Auffordernd streckte er seine Hände aus. Zur Überraschung der beiden Atlantreuen griff Lort-Cham zu.

Es bedurfte keiner weiteren Worte. Jeder wußte, daß sie in diesem Zyaner einen Freund gefunden hatten.

»Ich danke dir«, sagte Narod II. »Und ich bin gewiß, du wirst deine Entscheidung nicht bereuen.«

*

Jeder Muskel in seinem Körper war ver-

krampft, als der Aufprall erfolgte. Eine eisige Woge schlug über ihm zusammen und raubte ihm vorübergehend die Besinnung.

Als er wieder zu sich kam, trieb er an der Oberfläche eines wildbewegten Flusses in nahezu völliger Dunkelheit. Die seitlich und über ihm dahinhuschenden Schemen erkannte er als tief herabhängende Felsen.

Eine, heftige Strömung wirbelte ihn mit sich, gegen die anzukämpfen unmöglich war. Der Extra wußte, daß er zumindest vorerst vor den ihn verfolgenden Zyanern in Sicherheit war, doch hatte er diese Sicherheit teuer er-kauft. Er versuchte sich zu erinnern, ob ledig-lich trügerisches Gestein unter ihm eingebro-chen oder ob er in eine wohlvorbereitete Falle gegangen war.

Er ließ sich treiben und ruderte nur hin und wieder mit den Armen, um sich über Wasser zu halten. Nach einer ganzen Weile wurde die Strömung schwächer. Insider glaubte, aus weiter Ferne ein anschwellendes Rausches zu vernehmen. Dann endlich zeigte seine Umge-bung sich in trübes Zwielicht getaucht. Erste Sonnenstrahlen tanzten über die Wasserober-fläche.

Auf einer Breite von gut zweihundert Me-tern trat der Fluß ans Tageslicht. Soweit der

Extra blicken konnte, säumte Wald die Ufer. Das Rauschen wurde lauter. Erste mächtige

Findlinge ragten aus dem Wasser, von hoch aufspritzender Gischt umschäumt. So schnell er konnte, strebte Insider dem rechten Ufer zu. Das Wasser zerrte wieder heftiger an ihm.

Als er dem Ufer endlich bis auf wenige Meter nahe war, wurde es steiler. Weiter flu-ßabwärts verschleierte Gischt die Sicht. To-send brach sich dort das Wasser zwischen mächtigen Klippen. Insider ahnte, daß er ei-nen Zusammenprall mit den Felsen nicht ü-berleben würde. Von jäher Furcht getrieben, suchte er nach einem Halt. Aber das teilweise unterspülte Erdreich war glitschig und brach unter seinen zupackenden Händen aus.

Immer rascher näherte er sich den Strom-schnellen. Mehr zufällig bekam er einen Wur-zelstrang zu fassen und verkrallte sich darin. Er fühlte, wie seine Hände dennoch langsam abrutschten, aber mit letzter Kraft gelang es ihm, sich emporzuziehen.

Minutenlang hing Insider wie betäubt zwi-schen Erde und Wasser, bevor die Kälte ihn zu sich selbst zurückfinden ließ.

Nicht aufgeben! schoß es ihm durch den Sinn. Allein der Gedanke an Atlan und die SOL ließ ihn durchhalten. Er mußte einen Weg finden, die Freunde von Narods Versa-gen zu informieren.

Als er endlich erschöpft auf dem Uferstrei-fen lag, zog die Abenddämmerung herauf. Aus dem nahen Wald erklangen vielfältige Tierstimmen. Insider wußte, daß diese erste Nacht auf einer fremden Welt wohl die schlimmste seines Lebens werden würde. Nicht nur, daß in der Dunkelheit möglicher-weise Tiere und Pflanzen auf Beute lauerten, den Zyanern würde es nach Sonnenuntergang leichter fallen, mit Hilfe von Infrarotsuchgerä-ten seine Spuren zu finden.

Taumelnd kam er auf die Beine. Unange-nehm klebte die nasse Kombination auf seiner Haut, aber damit mußte er sich abfinden.

Aus der Ferne hatte der Wald dichter ge-wirkt. Der Extra war froh, einigermaßen leicht voranzukommen. Es gab kein Unterholz, das ihn behinderte. Um nicht völlig die Orientie-rung zu verlieren, wandte er sich flußabwärts. Noch wußte er nicht, wie er es anstellen soll-te, mit der SOL in Verbindung zu treten. Vor-

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erst allerdings gab es wichtigere Probleme, als sich darüber den Kopf zu zerbrechen.

Er stieß auf eine Art Trampelpfad, der zum Fluß hinführte. Der Boden war hier steinhart und ohne jeden Pflanzenwuchs. Tiere, die zur Tränke zogen, mochten diesen Pfad getreten haben.

Ein leises Rascheln ließ ihn aufmerken. Aus der beginnenden Düsternis zuckte ein bleicher Schädel hervor, gefolgt von einem gedrungen wirkenden, schuppigen Körper. Witternd schnellte eine gespaltene Zunge auf Insider zu, der in diesem Moment zum zwei-tenmal bereute, den zyanischen Strahler verlo-ren zu haben.

Das entfernt an eine übergroße Echse erin-nernde Geschöpf schob sich ruckartig näher. Unvermittelt peitschte die Zunge heran und fegte den Extra von den Beinen. Schnaubend richtete das Tier sich auf.

Im Liegen ertastete Insider einen großen, kantigen Stein. Notfalls konnte er sich damit verteidigen. Die gut zwei Meter messende Eidechse war zweifellos ein ernstzunehmen-der Gegner.

Irgendwo in der Nähe erscholl ein wüten-des Schnauben, das von der Echse sofort be-antwortet wurde. Als Insider gleich darauf das splitternde Krachen vernahm, mit dem kleine-re Bäume umstürzten, gab es nichts, was ihn noch halten konnte. Der flüchtige Anblick eines zweiten bleichen Schädels löste Panik in ihm aus, denn dieses Tier war um vieles grö-ßer als das andere.

Blindlings stürmte er davon. Äste peitsch-ten ihm ins Gesicht – er achtete nicht darauf. Die Dunkelheit ließ seine Schritte unsicher werden. Mehrmals stolperte er, raffte sich aber immer wieder auf und hastete weiter.

Völlig unerwartet traten die Bäume vor ihm auseinander. Er hatte den Waldrand erreicht. Zuerst hielt er die fernen Lichter für Sterne, bis die Scheinwerfer eines landenden Raum-schiffs jene Region aus dem Dunkel der Nacht herausrissen, die auf einem mehrere Kilometer entfernten Hochplateau lag.

Insider erkannte stählerne, festungsähnliche Bauwerke. Hinter ihnen erstreckte sich der Raumhafen. Und überall ragten Geschützkup-peln auf.

Das herüberfallende Streulicht reichte aus,

um ihn auch einen Teil seiner näheren Umge-bung sehen zu lassen. Die meisten Bäume trugen kein Laub. Wie Knochenfinger ragten ihre Äste anklagend in die Höhe. Mehr als einmal mochten die Glutorkane startender Raumschiffe über sie hinweggefegt sein.

Zwei vogelähnliche Geschöpfe starrten zu ihm herüber. Plötzlich ruckten ihre Hälse in die Höhe. Krächzend und mit schwerfälligen Flügelschlägen stiegen sie auf und zogen dicht über dem Boden davon.

Kurz darauf bemerkte auch Insider die bei-den Lichtpunkte, die vom Firmament herab-fielen. Das verhaltene Brummen von Trieb-werken lag in der Luft.

Auf dem Absatz warf er sich herum. Er hat-te erst die vierte oder fünfte Baumreihe er-reicht, als zwei Gleiter im Tiefflug vorbeiras-ten.

Das Herz schlug ihm bis zum Hals. Jeden Moment mußten die Zyaner ihn bemerken. Insider gab sich keinen Illusionen hin. Ein zweites Mal würde er ihnen nicht mehr ent-kommen können.

Aber die Gleiter kehrten nicht zurück, son-dern verschwanden in derselben Richtung wie die großen Vögel. Sekunden später sah der Extra es aufblitzen und hörte den Einschlag von Impulsstrahlen. Er wußte nicht, was ge-schehen war, aber er war froh, daß die Schüs-se nicht ihm galten.

Der Baum, auf dem die Tiere gesessen hat-ten, besaß eine weitverzweigte Krone. Nach allem, was er bisher erlebt hatte, erschien es Insider sicherer, die Nacht in luftiger Höhe zu verbringen.

Als dann durch das Geäst die Sterne zu ihm herabblinkten, konnte er lange Zeit nicht ein-schlafen. In Gedanken weilte er auf der SOL. Was hätte er dafür gegeben, jetzt in seiner Koje liegen zu können.

6.

Lort-Cham hatte ihnen angenehmere Quar-tiere zugewiesen als das düstere Loch, in dem sie schon etliche Stunden verbringen mußten. Zwar standen noch immer Wachen vor dem Raum, doch hatten diese Befehl, den drei So-lanern innerhalb gewisser Grenzen jede ge-wünschte Auskunft zu erteilen.

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»Die Macht der Liebe ist unüberwindlich«,

sagte Narod II zu den beiden Atlantreuen, deren Blicke wißbegierig an seinen Lippen hingen. »Ihr habt es wieder erlebt, und ihr werdet es öfter erleben, je länger wir auf die-ser Welt weilen. Unser Kosmos kennt viele Gesetze, aber nur eines, das allgemein gültig ist: das Gesetz der Liebe und des Verständnis-ses füreinander. Wir sind lediglich winzige Rädchen in dem gigantischen Mahlwerk der Geschichte, doch irgendwann in ferner Zu-kunft wird es keine Kriege mehr geben, wer-den weder Neid noch Haß und Mißgunst län-ger die Herzen verdunkeln.«

»Woher schöpfst du deine Zuversicht, Ver-künder?« wollte Trunk B. Deuergal wissen.

»Aus der Erkenntnis, daß Menschen sich ändern können. Du wirst es heute nicht be-greifen, vielleicht aber in einigen Jahren: auch ich habe mich verändert. Ich weiß jetzt, wo mein Ziel ist. Gut und Böse liegen so oft dicht beieinander – das Gute in vielen Menschen hat mich bis hierher geführt ...«

Narod II unterbrach seinen Redefluß, weil er bemerkte, daß die Haltung der beiden So-laner sich unwillkürlich versteifte.

Vor ihrem Quartier war es laut geworden. Eine befehlsgewohnte Stimme ertönte.

Gleich darauf glitt das Schott zur Seite. Ein Zyaner stampfte herein, sah sich wütend um und zeigte dann auf den Verkünder.

»Was habt ihr mit Lort-Cham gemacht? Er war ein fähiger Polizeichef, bis ihm der Ge-danke kam, das fremde Raumschiff zu scho-nen.«

»Was ist daran verwerflich?« erwiderte Trunk.

Der Zyaner entblößte seine Zähne in einer unmißverständlichen Geste.

»Ich habe ihn gefragt«, donnerte er. Langsam hob Narod II den Blick. Etwas

Träumerisches lag in seinen Augen. »Ich bin glücklich, Freunde gefunden zu

haben. Lort-Cham ist ein fähiger Mann, der es noch weit bringen wird.«

»Er wird seiner Stellung enthoben und alle Rechte verlieren.«

»Wer bist du?« fragte der Verkünder über-gangslos. »Die Verbitterung steht dir schlecht ... Warum siehst nicht auch du ein, daß es einen anderen Weg gibt?«

»Einen anderen Weg?« Der Zyaner wirkte verwirrt. Die Ausstrahlungskraft von Narod II machte vor ihm nicht halt.

»Liebe, Freundschaft, Glück ... Wir wurden nicht geboren, um uns andere Untertan zu machen – wir wurden geboren, um die Schönheiten der Schöpfung zu schauen, und um etwas zu schaffen, das unvergänglich bleibt, selbst wenn eines Tages das Univer-sum in sich zusammenstürzt.«

»Wovon sprichst du?« »Von der Liebe, Zyaner. Oder gibt es etwas

anderes, das Äonen überdauern kann, ohne an Kraft zu verlieren? Sie ist stärker als jede Waffe, aber sie zerstört nicht.«

»Stärker als alle Gegner?« »Liebe und Verständnis besiegen jeden

Feind, indem sie sich mit ihm verbünden.« Jylene Tapsin antwortete für den Verkünder. Sie hatte bemerkt, daß Narod II mehr und mehr in Gedanken versank. Fast schien es, als sei sein Körper nur mehr eine leere Hülle, während sein Geist rastlos umherstreifte.

Ein seltsamer Glanz lag in seinen Augen. Jylene schauderte unwillkürlich, denn ihr war, als blicke sie geradewegs in die Ewigkeit.

Zögernd machte der Zyaner einige Schritte vorwärts. Und ebenso zaghaft wandte er sich wieder um.

»Ich beginne zu verstehen, was du mir sa-gen willst. Mag sein, daß wir bis heute das Falsche getan haben. Aber vielleicht war das nicht immer so.«

»Hast du die Kraft, es zu ändern?« wollte Jylene wissen.

Der Zyaner musterte sie vorwurfsvoll und zeigte auf Narod II.

»Seine Worte besitzen einen anderen Klang als die deinen, ihnen kann ich mich nicht ent-ziehen. Deshalb will ich deine Frage beant-worten: ich bin Vizekommandant dieser Sta-tion; mir sind einzelne Flottenteile unmittel-bar unterstellt.«

»Dann kannst du uns zu Zaut-Zy bringen?« platzte Trunk heraus.

»Der Weg zu ihm führt für euch nur über den Kommandanten. Aber er hat befohlen ...«

»Es interessiert mich nicht, was Kyrm-Bra vorhat«, sagte Jylene. Sie spürte den Wall von Zuversicht, den Narod II verbreitete, und sie profitierte davon. Bereits an Bord der SOL

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hatte sie diese unsichtbare Aura gefühlt, seit sie aber Gefangene der Zyaner waren, wuchs die Ausstrahlung des Verkünders rasch an.

Endlich schien der alte Mann zu sich selbst zurückzufinden.

»Wir müssen zu Kyrm-Bra«, sagte er. »Und du, Shert-Gorm, wirst uns führen.«

Der Vizekommandant starrte ihn entgeistert an.

»Ich wüßte nicht, wann ich dir meinen Na-men genannt hätte.«

Narod II lächelte gütig. »Ich kenne ihn eben.«

* Viele Solaner forderten lautstark Aufklä-

rung über das Schicksal von Narod II. Zum Glück blieben alle Proteste friedlich. Insofern schien die Saat des Verkünders aufgegangen zu sein, denn Atlan mußte daran denken, daß es Zeiten gegeben hatte, als Demonstrationen gegen die Schiffsführung weit weniger glimpflich verlaufen waren.

Ein zweiter Speicherkristall wurde von dem Unbekannten Sanny in die Hände gespielt. Stunden vorher schon hatte die Molaatin be-rechnet, daß es dazu kommen mußte.

Der Kristall enthielt nicht viel Neues. Le-diglich die Behauptung, daß es zur endgülti-gen Konfrontation mit den Zyanern kommen würde, wenn Atlan und seine Freunde sich den Forderungen nicht beugten.

In gewisser Weise war man hilflos und ge-zwungen, die weitere Entwicklung abzuwar-ten. Sternfeuer hatte sich inzwischen von ih-rem Zusammenbruch so weit erholt, daß sie förmlich darauf brannte, mit ihrem Zwillings-bruder weitere Nachforschungen zu unter-nehmen.

»Der Medo hat dir Ruhe verordnet, und du wirst dich daran halten«, sagte Atlan. »Sonst muß ich dich einsperren.«

Sternfeuer lachte. »Du brauchst mich, und ich bin wieder in

Ordnung. Warum also ...« »Nein!« Die Mutantin stockte. Ihre Augen vereng-

ten sich, als sie Atlan überrascht ansah. »Du würdest es wirklich tun? Ja, ich glau-

be, du wärest dazu fähig.« Auf dem Absatz

machte sie kehrt und verließ schmollend die Zentrale.

Im Lauf des Nachmittags fand Atlan dann keine Zeit mehr, sich ihrer anzunehmen. Zu-viel anderes gab es, was von Wichtigkeit schien. Bjo Breiskoll glaubte, eine brauchbare Spur gefunden zu haben.

Die Menge rief nach Narod II. Verlautba-rungen des High Sideryt blieben unbeachtet.

»Schließt endlich Frieden!« hallte es durch die SOL. »Niemand braucht die Zyaner zu fürchten, wenn es der Verkünder nicht getan hat.«

Breckcrown Hayes schüttelte den Kopf. »Sie wissen nicht, wie gerne ich dieser

Forderung nachkäme. Aber die Zyaner warten nur darauf, daß wir uns eine Blöße geben.«

Atlan nickte bedrückt. »Erkläre das den Solanern. Ich fürchte, sie

würden es nicht verstehen, weil sie es nicht verstehen wollen. – Wahrscheinlich habe ich einen großen Fehler begangen.«

»Du?« »Ich hätte mir diesen Skrempeleck genauer

ansehen müssen. Möglicherweise hat er auch mich beeinflußt.«

»... einen Mentalstabilisierten, der noch da-zu über den Erfahrungsschatz von Jahrtausen-den verfügt?« Breckcrown Hayes konnte nicht recht glauben, was Atlan eben gesagt hatte. Aber der Arkonide winkte ab.

»Im Laufe der Menschheitsgeschichte hat es immer wieder große Redner gegeben, die die Massen zu begeistern und mitzureißen wußten. Nur meist waren es düstere Kapitel, die von ihnen geschrieben wurden.«

»Narod II ist anders, ist selbstlos und ...« Hayes unterbrach sich und fuhr sich dann zögernd mit der Hand übers Gesicht. »Ein seltsamer Einfluß, den der alte Mann ausübt. Man kann sich ihm kaum entziehen, selbst wenn man glaubt, dagegen gefeit zu sein.«

Blödel kam in die Zentrale gestürmt und hastete auf den Arkoniden zu.

»Ich habe gehört, unser unbekannter Freund hat sich wieder gemeldet. Wo ist der Speicherkristall?« Er hatte einen Arm zur vollen Länge ausgefahren und tastete damit ungeduldig umher. »Ich brauche das Ding zur Spurensicherung.«

»Wir haben schon alles unternommen, was

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irgendwie möglich war«, ließ Hayes den Ro-boter wissen.

»Trotzdem«, beharrte er. »Mein Chef be-hauptet, ich sei unfähig, etwas wirklich Sinn-volles zu tun. Das lasse ich mir nicht bieten.«

Atlan gab ihm den Speicherkristall. »Aber Vorsicht«, warnte er. »Kann sein,

daß wir die Aufzeichnung noch benötigen.« Blödel öffnete eine der vielen Klappen sei-

nes Körpers und ließ den – Kristall darin ver-schwinden. »Übrigens«, begann er, »ich komme gerade von Bjo. Die Spur, die er ver-folgte, hat sich als falsch herausgestellt.«

Breckcrown Hayes wirkte ärgerlich. »Warum sagst du das erst jetzt?« Mit seinem einen Auge blinzelte der Robo-

ter ihm vertraulich an. »Ich hatte es vergessen.« »Vergessen?« echote der High Sideryt un-

gläubig. »Ausgerechnet du, eine Hoch-leistungspositronik ...«

Blödel hatte die Untersuchung des Spei-cherkristalls beendet. Ganz unten an seinem Körper öffnete sich eine andere Klappe und spie etwas aus, was nur noch entfernte Ähn-lichkeit mit dem Würfel besaß.

»Was ist das?« wollte Atlan wissen. »Das ... äh – ich habe sämtliche Spuren ge-

sichert.« »Ich frage dich, was das ist«, beharrte der

Arkonide. »Es sieht aus, als ob ...« »Na ja«, räumte Blödel vorsichtig ein.

»Möglicherweise war die Säurekonzentration zu stark. Es kann auch sein, daß bei der ener-getischen Prüfung der Schmelzpunkt ein we-nig überschritten wurde.«

»Spare dir deine Ausreden«, sagte Hayes ärgerlich. »Am besten, du läßt uns in Ruhe.«

Der Roboter stieß ein Geräusch aus, das beinahe wie ein Seufzer erklang.

»Das wird dir noch leid tun.« Sprach’s, machte ruckartig kehrt und watschelte von dannen.

*

Insider schlief schlecht in dieser Nacht.

Mehrmals schreckte er schweißgebadet hoch, weil er glaubte, von zyanischen Gleitern auf-gespürt worden zu sein. Stets waren es aber nur die Geräusche startender oder landender

Raumschiffe, die zu ihm herüberklangen. In gewisser Weise war der Extra froh, als

endlich der Morgen dämmerte und er wieder in Richtung Raumhafen aufbrechen konnte. Zwar blieb er in der Deckung des Waldes, wäre aber gerade deswegen ums Haar in die Falle gelaufen. Er hatte es mehr einem Zufall zu verdanken, daß er den regelmäßig geform-ten Erdhaufen überhaupt beachtete und dabei die winzige Antenne entdeckte, die aus dem Gras emporragte. Ungefähr hundert Meter weiter gab es einen zweiten solchen Hügel.

Instinktiv hob Insider einen morschen Ast auf und schleuderte ihn von sich. Ein kurzer, kaum wahrnehmbarer Blitz zuckte auf, dann fiel der Ast zersplittert zu Boden.

Ein Schutzschirm, der sich rund um den Raumhafen und die Festungsanlagen erstreck-te? Was hatten die Zyaner auf ihrer eigenen Welt zu befürchten?

Der Extra wußte, daß er zumindest vorerst keine Antwort auf diese Fragen finden würde. Hoffentlich waren nicht alle Anlagen der Zy-aner auf diese Weise abgesichert. Er wandte sich nun nach Osten, und allmählich wurde der Baumbestand spärlicher. Nur noch verein-zelt ragten mächtige Riesen wie Monumente einer anderen Zeit zwischen Büschen und halb mannshohem Schilfgras empor. Am Ho-rizont erstreckte sich jene Bergkette, die In-sider schon vom Raumhafen aus gesehen hat-te.

Die Luft über der Ebene flimmerte und ver-zerrte die Entfernungen. Weit vor sich ge-wahrte der Extra die Umrisse von Gebäuden. Zügig ging er darauf zu, denn irgendwann mußte er schließlich versuchen, wieder mit der SOL in Kontakt zu treten.

Ein Vogelschwarm begleitete ihn. Weithin mußten die krächzenden Rufe zu hören sein. Er hatte das Gefühl, daß die Tiere ihn beo-bachteten, doch solange sie keine Anstalten machten, sich ihm weiter als bis auf zehn Me-ter zu nähern, störte es ihn nicht.

Im Laufe des Vormittags traf er die Fest-stellung, daß er sich beim Abschätzen der Entfernung gewaltig geirrt hatte. Zwar ließ sich inzwischen mehr erkennen als nur die vagen Umrisse von Bauwerken, doch mußten diese noch immer etliche Kilometer entfernt sein. Insider gewann den Eindruck, daß es

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sich um eine ausgedehnte Fabrikationsanlage handelte. Außerdem schienen die Zyaner Erze und andere Rohstoffe im Tagebau zu gewin-nen, wie die hoch aufragenden Abraumhalden verrieten.

Oft schweifte sein Blick über das Firma-ment. Er mußte damit rechnen, daß überra-schend Gleiter auftauchten, obwohl unwahr-scheinlich war, daß die Echsen so weit von ihrem Raumhafen entfernt nach ihm suchten.

Bald vernahm er die ersten Arbeitsgeräu-sche. Schwere Maschinen rissen die Kruste des Planeten auf, um ihn auszubeuten. Auch die SOL war von Zeit zu Zeit darauf angewie-sen, sich auf diese Weise mit Rohstoffen zu versorgen.

Das hohe Gras bot hinlänglich Deckung, dennoch ließ Insider Vorsicht walten. Schließlich kletterte er eine der Abraumhal-den hinauf.

Von hier aus bot sich ihm ein hervorragen-der Rundblick. Bis an den fernen Horizont erstreckte sich die Grube; sie mochte an ihrer tiefsten Stelle bereits gut vier oder fünf Kilo-meter weit ins Planeteninnere vorgetrieben worden sein. Gigantische Fräsen wühlten sich unersättlich in den Boden, und es spielte kei-ne Rolle, ob sie dabei auf weiches Erdreich oder gewachsenen Fels stießen. Insider sah die Maschinen unablässig in sich hineinfres-sen, in einer Geschwindigkeit, die ihm Angst werden ließ. In einigen Jahren würde diese Welt keine Wälder mehr besitzen, und ihre Narben würden wohl nie verheilen.

Das Abraumgestein wanderte über breite Transportbänder auf die Halden. Da die ge-wonnenen Rohstoffe nicht fortgeschafft wur-den, vermutete Insider, daß die Fräsen in ih-rem Innern über Transmitter verfügten und man die Erze auf diese Weise einer sofortigen Weiterverarbeitung zuführte.

Ein heiserer Warnschrei riß ihn aus seinen Betrachtungen. Die Vögel stoben in alle Rich-tungen davon.

Ein Raumschiff senkte sich herab. Insider erschrak, ein unvorsichtiger Tritt

ließ loses Geröll ausbrechen. Er stürzte, fand keinen Halt mehr und glitt inmitten einer rasch anwachsenden Lawine aus Lehm und Steinen den Abhang hinunter.

Mit allen vier Armen um sich schlagend,

versuchte er seinen Sturz abzufangen, schürfte sich dabei aber nur die Handflächen auf. Die halbe Halde schien mittlerweile in Bewegung geraten zu sein. Insider befürchtete, daß die Besatzung des Raumschiffs aufmerksam wür-de, als es sich dann aber in Richtung auf einen langgestreckten Gebäudekomplex entfernte, atmete er erleichtert auf.

Sein Sturz endete in den Ästen eines ent-wurzelten Strauchs. Nachfolgendes Erdreich verschüttete ihn halb, aber es fiel ihm leicht, sich daraus zu befreien.

Das Dach einer der Hallen glitt zur Seite. Gewölbte metallene Platten schwebten daraus hervor und wurden an dem wartenden Rau-mer verankert. Es waren Teile der Außenhülle von Raumschiffen, die vermutlich irgendwo auf diesem Planeten endmontiert wurden.

Noch immer konnte Insider keine Zyaner entdecken. Doch dafür tauchte jetzt ein Trupp Roboter auf. Es war derselbe Typ, mit dem er bereits wenig angenehme Bekanntschaft ge-schlossen hatte. Und sie schwebten in seine Richtung.

So schnell er konnte, zog der Extra sich zu-rück, bemüht, die Halde zwischen sich und die Roboter zu bringen. Doch auch von der anderen Seite her näherten sich etliche Kampfmaschinen. Er war gezwungen, wieder in die Ebene auszuweichen.

Schlagartig begannen die Roboter zu feu-ern. Aber nicht ihm galt der Angriff, sondern den großen Vögeln, die über dem Gelände kreisten. Vielleicht wurden sie von den Zya-nern als schmackhafte Leckerbissen ge-schätzt.

Zwzwko jedenfalls hatte es eilig, möglichst rasch eine größere Distanz zwischen sich und die Roboter zu bringen.

Völlig unverhofft stieß er nach einiger Zeit auf einen tiefen, zum Teil mit Wasser gefüll-ten Krater, dessen Wände nahezu senkrecht abfielen. Gut zwei Kilometer betrug der Durchmesser der Senke, und ihre Ränder wirkten glasig, als wären sie unter extrem hohen Temperaturen geschmolzen.

Insiders Interesse war geweckt. Mittlerwei-le hatte er herausgefunden, wie es möglich war, weite Strecken schnell und ohne zu er-müden zurückzulegen. Er hatte sich eine Art Laufschritt angewöhnt, wobei er immer nur

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ein Bein mit seinem Körpergewicht belastete.

Innerhalb von zehn Minuten hatte er den Krater nahezu zur Hälfte umrundet. Auf dem Grund der ausgedehnten Talsenke, die sich anschloß, zeugte nur noch das ausgetrocknete, überwiegend verschüttete Bett von dem eins-tigen breiten Fluß, der aus den Bergen ge-kommen sein mußte.

Ein Ruinenfeld erstreckte sich hier, Über-reste eines wahren Feuerorkans, der über die Ansiedlung hinweggefegt war. Fast überall fanden sich Schlacke und geschmolzenes Ge-stein. Flüchtig dachte Insider daran, daß die-ses Gebiet radioaktiv verseucht sein könnte.

Die Gebäude hatten ursprünglich eine run-de Form besessen. Viel mehr war nicht zu erkennen. Eine reichhaltige Flora hatte bereits begonnen, alles zu überwuchern.

Jenseits des Flußbettes ragte ein stählernes Gerippe in den Himmel. Es mochte ein Turm gewesen sein oder eine Art Rampe. Erst als der Extra näher kam, entdeckte er auch das zigarrenförmige Gebilde, das halb unter an-gewehtem Erdreich verborgen lag. Obwohl fast vollständig zerstört und vom Rost zer-fressen, ließ sich doch feststellen, was es einst gewesen war: ein Raumschiff, gut dreißig Meter lang, mit Stabilisierungsflossen und wuchtigen Treibstoffbehältern. Die eigentli-chen Mannschaftsräume mußten oben im Bug gelegen haben und hatten wohl höchstens ein Zehntel des Gesamtvolumens ausgemacht.

Ein Relikt aus der Vergangenheit der Zya-ner?

Insider mochte nicht recht daran glauben. Eher lag die Vermutung nahe, daß dieser Pla-net von intelligentem Leben bewohnt gewe-sen war, bevor die Zyaner Fuß gefaßt und ihren Stützpunkt errichtet hatten.

Wahrscheinlich hatte es sich bei dem Turm um eine Versorgungsplattform für das Raum-schiff gehandelt. Kabelstränge und andere Leitungen baumelten jetzt noch lose aus der Höhe herab.

Da waren die Vögel wieder, ließen sich auf abgeknickten Stahlträgern und rostigen Platt-formen nieder. Neugierig beäugten sie den fremden Eindringling.

Zum erstenmal hatte Insider Gelegenheit, die Tiere aus allernächster Nähe zu betrach-ten. Sie waren gut 1,50 Meter groß, und ihre

Spannweite betrug das Doppelte. Ihr dichtes Gefieder schimmerte in allen Farben, wobei helle Töne vorherrschend waren. Als er zu ihnen aufsah, hielten sie die Köpfe schief und begannen, aufgeregt mit den Flügeln zu schlagen. Ihm fiel auf, daß ihre Schwingen in fingerähnlichen Greiffortsätzen ausliefen, und daß unmittelbar am Rumpfansatz verkümmer-te Hände vorhanden waren.

Ein jäher Gedanke durchzuckte ihn. »Wir sind Freunde«, rief er aus und streckte

den Vögeln seine Handflächen entgegen. Sie gerieten sichtlich in Aufregung und hüpften näher.

Insider aktivierte den Translator, den er nach wie vor bei sich trug, und der hoffentlich alles heil überstanden hatte. Nach einigen auffordernden Worten wartete er darauf, ob es tatsächlich gelang, sich mit den Wesen zu verständigen.

Ein besonders großes »Tier« (Insider ge-brauchte diese Bezeichnung inzwischen nur noch unter Vorbehalt) ließ sich unmittelbar vor ihm nieder und beäugte den Translator. Dann öffnete es seinen kurzen, aber dafür um so breiteren Schnabel zu einer wahren Flut verschiedenster Laute.

Insider war nun überzeugt davon, daß sein Verdacht zutraf. Diese Vögel waren die Ur-einwohner des Deignar-Systems.

»Du bist anders als die Zyaner«, erklang es plötzlich aus dem Translator. »Wir wollen mit dir reden.«

7. Shert-Gorm, der Vizekommandant des

Stützpunkts, hatte es durchgesetzt, daß der Kommandant sich nochmals mit den drei So-lanern befaßte.

»Wenn meine Untergebenen unfähig sind, die Gefangenen zu verhören, werde ich mich eben selbst darum kümmern«, hatte Kyrm-Bra seinen Vize wutentbrannt angeschrien. »Aber das wird Folgen haben.«

Shert-Gorm hatte die Rüge emotionslos ü-ber sich ergehen lassen. Auch jetzt, als er und ein halbes Dutzend weiterer Zyaner Narod II und den beiden Atlantreuen gegenübersaßen, war er keiner Empfindungen fähig. Er wußte, daß er einen Fehler begangen hatte, aber er

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ATLAN 96 – Die Abenteuer der SOL

konnte nicht anders. Der alte Mann besaß eine Ausstrahlung, der er sich nicht zu entziehen vermochte.

Kyrm-Bra führte das Verhör höchstpersön-lich. Zumeist antworteten die junge Frau und der Mann mit der gläsern wirkenden Haut. Nur hin und wieder äußerte sich auch Narod II, aber was er sagte, erregte den Zorn des Kommandanten.

»Er ist von seinen Äußerungen überzeugt«, fühlte Shert-Gorm sich zu sagen veranlaßt. »Mag sein, daß er wirklich in Frieden kam.«

»Du bist ein Narr«, entgegnete Maut-Irik heftig. Ihr oblag die technische Verwaltung des Stützpunkts, und in gewisser Weise war sie die rechte Hand des Kommandanten.

»Weshalb können wir nicht zu einer friedli-chen Verständigung gelangen?« fragte der Verkünder.

»Weshalb?« echote Kyrm-Bra. »Ihr seid Feinde.«

»Wir alle sind Kinder des Kosmos«, fuhr Narod II fort, ohne auf die Erwiderung des Kommandanten zu achten. »Nichts ist schäd-licher, als einander mit Mißtrauen zu begeg-nen.«

»Wir werden die Wahrheit aus euch he-rausbekommen.«

»Du kannst uns foltern lassen«, sagte Jyle-ne Tapsin, »aber du kannst niemals unseren Glauben an die umfassende Liebe zerstören.«

»Vertraue mir«, bat Narod II. »Wenn du es wünschst, werden wir dich mit Atlan zusam-menbringen. Ich bin sicher, der Arkonide wird sich auch in deine Gewalt begeben, nur um dich zu überzeugen.«

»Wer ist das?« »Atlan ist ein Mann, wie du ihn kein zwei-

tes Mal finden wirst. Er besitzt die Kraft, Völker zu lenken und zum Guten hin zu füh-ren.«

»Dieser Atlan ist euer Kommandant?« wollte Maut-Irik wissen.

»Ja und nein«, erwiderte Trunk. »Befiehlt er über den Einsatz eurer Waf-

fen?« »Er ist bemüht, Konflikte zu vermeiden.« »Lächerlich«, spottete die Zyanerin. Doch

unter Narods Blick zuckte sie zusammen. »Du nennst den Frieden lächerlich«, wie-

derholte der Verkünder ungläubig. »Hat Hid-

den-X euch schon so in seinem Griff?« Unwillkürlich rückte Maut-Irik einige

Schritte von ihm ab. Sie spürte die Aura, die ihn umgab, und das irritierte sie.

Was Kyrm-Bra als Verhör geplant hatte, drohte schon jetzt recht einseitig zu werden. Im Verlauf der folgenden Minuten kristalli-sierte sich immer mehr heraus, daß die Zyaner sich keineswegs einig waren.

Der Kommandant verbot Narod II schließ-lich wütend, Worte wie Frieden und Freund-schaft noch einmal in den Mund zu nehmen. Der Verkünder allerdings tat, als habe er nichts gehört, und versuchte unbeirrt weiter, die Echsenwesen von seiner Auffassung zu überzeugen. Einige Zyaner unterstützten ihn sogar.

»Weshalb sollen wir unsere Kräfte gegen-seitig aufreiben?« fragte schließlich der Vize-kommandant. Maut-Irik protestierte mit allem Nachdruck, was dazu führte, daß Kyrm-Bra aufsprang und sich zwischen die beiden stell-te. Zuerst hatte es den Anschein, als wolle er die Solaner kurzerhand niederschießen, dann aber kreuzten sich sein Blick und der des Verkünders, und er zögerte.

»Mag sein, daß du recht hast«, wandte er sich an Shert-Gorm. »Und möglicherweise existiert ein anderer Feind, der uns bedroht.«

»Wer kennt die Vergangenheit unseres Volkes?« stimmte der Vizekommandant zu.

Empört schrie Maut-Irik auf. Aber sie fand bei Kyrm-Bra keine Unterstützung gegen die-sen Frevel.

»Wer bist du, daß du den Worten dieses ... dieses Wilden Glauben schenkst?« brüllte sie außer sich. »Merkst du denn nicht, was hier gespielt wird?«

»Du wagst es, in diesem Ton mit mir zu sprechen.« Der Kommandant wirbelte blitz-schnell herum und hieb ihr mit der Faust auf die empfindlichste Stelle des vorspringenden Mundes. Heiß und kalt fühlte Maut-Irik es in sich aufwallen, aber sie beherrschte sich.

»Kommt!« forderte sie die Zyaner auf, die noch zu ihr hielten. »Hier haben wir nichts mehr verloren.«

*

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Bjo Breiskoll klang aufgeregt. Lyta Kundu-

ran, die seinen Anruf am Interkom entgegen-genommen hatte, wußte im ersten Augenblick nicht, was geschehen war.

»Sofort Medoroboter in Bruce-Zys Kabine! Mach schon!«

Atlan war bereits am Schott. Zusammen mit dem High Sideryt erreichte er SOL-City, wo man dem Zyaner einen Raum zur Verfü-gung gestellt hatte. Fast gleichzeitig kamen die Roboter. Bjo Breiskoll stand im geöffne-ten Schott. Sein Gesicht wirkte eingefallen und übernächtigt.

»Was ist geschehen?« Müde schüttelte der Telepath den Kopf. »Ich weiß es nicht«, sagte er. »Ich weiß

nur, daß mit Bruce-Zy irgend etwas nicht stimmt. Als ich seine Kabine betrat, lag er zusammengekrümmt im Durchgang zur Naß-zelle.«

»Verdammt«, machte der High Sideryt. »Ausgerechnet jetzt muß das passieren.«

Die Medos verabreichten dem Zyaner eine Injektion, ansonsten schienen sie mehr oder weniger ratlos zu sein.

»Wahrscheinlich eine Vergiftung«, stellten sie fest.

»Wird er durchkommen?« »Wir wissen zu wenig über seinen Metabo-

lismus. Das ist eine Frage, über die morgen entschieden wird oder noch später.«

»Welche Art von Toxika?« »Vermutlich durch Lebensmittel in den

Körper gelangte Gifte.« »Wurden Wasserproben entnommen?«

fragte Atlan spontan. Die Roboter verneinten. »Wie kommst du darauf?« wollte Breckc-

rown Hayes wissen. »Ich mußte eben an Blödel denken«, erwi-

derte der Arkonide. »Er hat gestern den Vor-fall mit den Giftampullen erwähnt, der inzwi-schen einige Wochen zurückliegt.«

»Aber sind nicht alle Ampullen wieder auf-getaucht?«

»Der Meinung waren wir bisher. Offenbar wurden damals jedoch nicht der Inhalt von zwei, sondern nur von einem Röhrchen dem Trinkwasser zugesetzt.«

»Und du glaubst, daß Blödel mehr darüber weiß, als er bislang zugegeben hat? Wo steckt er überhaupt?«

»Ich habe keine Ahnung«, gestand Atlan. »Aber ich werde ihn suchen lassen. Norma-lerweise ist er immer da, wo etwas los ist.«

Als Hage Nockemanns Laborroboter sich eine halbe Stunde später noch nicht gemeldet hatte, begann auch Breckcrown Hayes zu ah-nen, daß es zwischen den Geschehnissen eine Verbindung gab.

Bruce-Zys Zustand war besorgniserregend. Man konnte nur hoffen, daß er es überstehen würde.

*

Und ob er mit ihnen reden wollte. Insider

wußte nun, daß diese großen vogelähnlichen Wesen die Ureinwohner des Deignar-Systems waren. Sie waren intelligent genug, um zu-mindest flüssigkeitsangetriebene Raumschiffe zu bauen. Das würde die Verständigung mit ihnen ungemein erleichtern.

Es dauerte eine Weile, bis der Translator einen genügend großen Wortschatz gespei-chert hatte, um eine reibungslose Unterhal-tung zu gewährleisten. Wie Insider dabei In-formationen über sich selbst und die Solaner preisgab, erfuhr er, daß die Vögel ihre Welt und deren Sonne Klipp und sich selbst Klip-per nannten. Nachdem sie vor mehreren Pla-netenumläufen von den Zyanern mit Waffen-gewalt vertrieben worden waren, lebten sie nun überwiegend in kleinen Gruppen und in Verstecken.

Selbst für ein Sprachgenie wie Insider, der mitunter fast einen Translator ersetzen konnte, waren die Namen der Klipper nahezu unaus-sprechlich. Krrrzchl, so nannte sich sein Ge-sprächspartner, gab ihm zu verstehen, daß sie sich in den Ruinen des einstigen Raumfahrt-zentrums befanden. Vor wenigen Planetenum-läufen war man noch stolz darauf gewesen, die Nachbarwelt erreicht zu haben. Heute mußten die Klipper täglich darum bangen, daß ihre Unterkünfte nicht von den fremden Aggressoren aufgespürt wurden. Falls die Zyaner eines Tages wieder abzogen, würden sie eine öde, leblose Wüste zurücklassen.

»Wir beobachten dich seit deiner Flucht«, sagte Krrrzchl. »Leider mußte einer von uns sterben, als er versuchte, zwei zyanische Glei-ter von deiner Spur abzulenken. Er gab sein

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Leben für eine bessere Zukunft. Wir sind oh-nehin nicht mehr viele. Sollte es uns aber ei-nes Tages wieder vergönnt sein, unsere Gele-ge unter dem Licht der Sonne zu bauen, wird unser Volk rasch anwachsen.« Sein Blick suchte den nahen Horizont ab. »Kommt jetzt. Die Zyaner tauchen überall da auf, wo mehre-re von uns über längere Zeit hinweg zusam-men sind. Sie scheinen ein Gespür dafür zu haben.«

Insider folgte dem Vogelwesen zwischen die Überreste der Startrampe. Dort, unter ei-nem scheinbaren Gewirr von Trümmern, gab es einen steil in die Tiefe führenden Schacht. Niemand, und mochte er noch so neugierig sein, konnte den hervorragend getarnten Zu-gang entdecken.

In Meterabständen ragten hölzerne und me-tallene Trittstangen aus den lehmigen Wän-den. Für Insider wurde der Abstieg zur Qual, und er bewunderte die Vogelwesen, die ge-schickt von Stange zu Stange hüpften.

Schätzungsweise dreißig Meter unter der Oberfläche führte ein horizontaler Gang wei-ter, bis er schließlich in einer geräumigen, von dicken Betonwänden umgebenen Halle ende-te.

»Wir fürchteten von Anfang an, daß Kon-takte mit anderen raumfahrenden Rassen auch kriegerische Auseinandersetzungen mit sich bringen würden«, erklärte Krrrzchl. »Deshalb waren wir vorbereitet, als die Zyaner kamen.«

Etwa hundert Klipper lebten hier auf engem Raum zusammen. Insider konnte sich vorstel-len, was es gerade für sie bedeutete, unter der Erde hausen zu müssen.

Sie waren ein gastfreundliches Volk, das dem Fremden selbst die Nester mit frisch ge-legten Eiern zeigte.

»Das Sonnenlicht fehlt«, klagte Krrrzchl. »Viele Junge schlüpfen nicht aus.«

»Vielleicht kann ich euch helfen«, sagte In-sider.

»Du?« kam es erstaunt. »Du brauchst selbst Hilfe.«

»Sagen wir, eine Hand wäscht die andere.« Der Extra berichtete von der SOL und den Kampfhandlungen mit den Zyanern. »Ich bin sicher, daß Atlan für euch eintreten wird, so-bald er erfährt, was geschehen ist.«

Krrrzchl stieß ein freudig erregtes Krächzen

aus. »Es gibt Möglichkeiten, dein Schiff zu in-

formieren«, sagte er. »Ich kenne den Weg, den du bei deiner Flucht genommen hast. Die unterirdischen Gänge wurden von unserem Volk angelegt – nur konnten wir sie nie voll-enden und befestigen. Die Zyaner haben sie lediglich abgeschottet und durch Kampfma-schinen gesichert. Wenn du den Roboter wirklich zerstört hast, könnten wir es schaf-fen.«

»Wann?« »Morgen. Immerhin bedarf es gewisser

Vorbereitungen.« In dieser Nacht schlief Insider wieder ruhig.

Die Klipper hatten es sich nicht nehmen las-sen, ihrem Gast ein neu erbautes Nest zur Verfügung zu stellen.

*

Maut-Irik hatte die Gefahr erkannt, die von

diesem seltsamen Fremden ausging. Es sah so aus, als würden sie innerhalb des Stützpunkts bald mehr Freiheiten genießen als mancher Zyaner.

Wütend schüttelte sie den Kopf. Wenn das stimmte, was ihr soeben übermit-

telt worden war, dann mußte sogar der Kom-mandant die Sinne verloren haben. Wie konn-te er jemals zustimmen, die Gefangenen zu Zaut-Zy zu bringen? Vielleicht war es endlich an der Zeit, ihn in seinem Amt abzulösen.

Auch sie hatte die Ausstrahlung gespürt, die von jenem Narod II ausging. Aber sie war ihr nicht verfallen wie die anderen.

»Was wird geschehen«, fragte einer ihrer Freunde, »wenn der Gefangene zu Zaut-Zy gelangt und ihn ebenfalls für sich einnimmt?«

Maut-Irik schnaubte verächtlich. »Das«, sagte sie, »werden wir wirksam zu

verhindern wissen.«

*

»Wir haben es geschafft«, stellte etwa zur gleichen Zeit Jylene Tapsin freudig fest. »Wenn wir erst dem Vizeadmiral gegenüber-stehen, ist das ein Sieg für die Idee des Frie-dens.«

»Mich drückt die Sorge um Insider«, sagte

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der Verkünder, ohne auf die Frau einzugehen. »Hoffentlich haben die Zyaner ihn nicht getö-tet.«

»Wir werden Zaut-Zy fragen, nachdem nicht einmal der Vizekommandant informiert war«, meinte Trunk.

»Zaut-Zy kann uns sicher Auskunft geben«, vermutete Narod II und hob dann erst den Blick, um die beiden Atlantreuen zu mustern. Als der Buhrlo klarstellte, genau das habe er eben auch zum Ausdruck bringen wollen, zuckte der alte Mann nur mit den Schultern.

Kyrm-Bra ließ sie stundenlang warten – immerhin hatte er ihnen gesagt, daß es schwer sein würde, bis zum Vizeadmiral vorzudrin-gen. Als er endlich kam, war die Nacht he-reingebrochen. Zwei Tage weilten sie nun schon im Stützpunkt der Zyaner, und während dieser Zeit fehlte jeglicher Kontakt zur SOL.

Zaut-Zys Herrschersitz lag abseits des übli-chen Getümmels. Viel von den Äußerlichkei-ten des Bauwerks bekamen die Solaner nicht zu sehen, weil sie den größten Teil des Weges durch einen Transmittersprung zurücklegten.

Neben dem Kommandanten des Stütz-punkts begleiteten fünf weitere Zyaner Narod II und die Atlantreuen. Kontrollposten konn-ten sie ungehindert passieren. Jeder kannte Kyrm-Bra und brachte ihm den Respekt ent-gegen, der ihm gebührte.

Aber dann geschah es, daß unvermittelt ein Schott vor ihnen zuschlug. Im nächsten Mo-ment fauchten Thermostrahlen durch den Korridor. Zwei Zyaner brachen tödlich getrof-fen zusammen. Die anderen feuerten sofort in die Richtung, aus der der Angriff erfolgt war, aber ihnen fehlte jedes Ziel. Der oder die Gegner mußten hinter der letzten Biegung lauern.

Mit hoch erhobenem Haupt, die Arme vor dem Brustkorb verschränkt, stand Narod II da.

»Geh in Deckung!« schrie Kyrm-Bra ihn an.

Der Verkünder schien nicht zu hören. Un-beirrt schritt er den Angreifern entgegen. Ein Strahlschuß schlug neben ihm in die Wand, er achtete nicht darauf.

»Haltet ihn zurück!« befahl Kyrm-Bra, doch Jylene und Trunk stellten sich seinen Männern in den Weg.

»Laß ihn. Narod II weiß, was er tut.« Die Zuversicht des Verkünders wuchs, seit

die ÜBERZEUGUNG von den Zyanern auf-gebracht worden war. Und im gleichen Maß verstärkte sich seine Fähigkeit, andere vom Positiven überzeugen zu können.

Er fühlte, daß er den richtigen Weg einge-schlagen hatte und daß es an der Zeit war, all das zu tun, was getan werden mußte.

Lächelnd schritt er weiter aus. Noch zehn Meter ... Der Lauf eines Strah-

lers richtete sich auf ihn. Der Verkünder fühlte keine Furcht. Er wuß-

te, daß der Zyaner nicht schießen würde. Endlich stand er den Angreifern Auge in

Auge gegenüber. »Maut-Irik schickt euch«, sagte er leise.

»Sagt ihr, daß ich ihr den Anschlag auf unser Leben verzeihe. Aber sie soll darüber nach-denken, ob es nicht lohnender ist, sich ande-rem zuzuwenden. Unsere Völker könnten in Frieden miteinander leben.«

Ungläubig starrten die Zyaner ihn an. Dann erst schienen sie das Vorgefallene zu begrei-fen. Als wäre der Leibhaftige hinter ihnen her, rannten sie davon.

»Sie werden ihre Strafe erhalten«, donnerte Kyrm-Bra los. Doch Narod II vollführte eine abwehrende Handbewegung.

»Sie wissen es nicht besser. Gib ihnen und ihrer Herrin Gelegenheit, sich zu besinnen.«

Den Rest des Weges schwieg der Kom-mandant. Schließlich erreichten sie ohne wei-tere Zwischenfälle die Spitze des Gebäudes, von der aus sich ein umfassender Rundblick bot.

Allerdings blieb ihnen kaum Zeit, sich um-zusehen, weil zwei Ordonnanzen erschienen, um sie unverzüglich zu Zaut-Zy zu führen.

Der Kommandant zeigte sich verwundert. »Für gewöhnlich läßt er jeden Besucher

warten. Das bedeutet nichts Gutes.« Minuten später standen sie dem Vizeadmi-

ral gegenüber. Zaut-Zy war ein selbst für zya-nische Verhältnisse großer und kräftig gebau-ter Mann. Hart und verbissen wirkte sein Ge-sichtsausdruck. Er hatte sich hinter einem wuchtigen Schaltpult verschanzt, das zu bei-den Seiten von Kampfrobotern flankiert wur-de.

»Vorsicht«, raunte Kyrm-Bra.

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»Ihr seid gekommen, um mit mir zu ver-

handeln«, begann der Vizeadmiral. »Ich glau-be, ihr verkennt eure Situation.«

»Ist es verwerflich, über den Frieden zu sprechen?« wollte Jylene wissen.

Zaut-Zy blickte sie unverhohlen feindselig an.

»Maut-Irik hat mir anders berichtet – über euch und meinen Kommandanten. Ihr sollt erfahren, daß ich keine Aufrührer in meiner Nähe dulde.«

Die Roboter schossen fast gleichzeitig. Das letzte, was Narod II noch wahrnahm, ehe eine tiefe Bewußtlosigkeit seine Gedanken versie-gen ließ, war ein Gefühl des Triumphs. Zaut-Zy hätte sie auch sofort töten können.

*

Die Stimmung bei den Verantwortlichen

auf der SOL hatte einen Tiefpunkt erreicht. Dem Zyaner ging es nach wie vor unverändert schlecht. Hätte Bjo Breiskoll ihn nur eine Stunde später aufgefunden, wäre vermutlich jede medizinische Hilfe zu spät gekommen.

»Ich hatte vor, mit Bruce-Zy zusammen ei-nen der zyanischen Stützpunkte anzufliegen«, sagte Atlan. »Mit dem Sohn des Vizeadmirals an Bord hätte ich keine Feindseligkeiten zu erwarten gehabt. Aber unter diesen Umstän-den ...«

»Atlan«, rief Lyta Kunduran, »da ist Blödel in der Leitung. Er sagt, er wolle nur mit dir sprechen.«

»Frage ihn, wo er die ganze Zeit über ge-steckt hat.«

»Das habe ich bereits. Er gibt mir keine Antwort.«

Der Arkonide seufzte. »Manchmal könnte ich dieses Unikum auf

irgendeinen Mond schießen.« »Dann geht Hage Nockemann dir ganz ge-

wiß an den Kragen«, gab Breckcrown Hayes zu bedenken.

»Blödel, wo steckst du?« Sichtlich unwillig nahm Atlan das Interkomgespräch entgegen.

»Auf der SZ-2«, lautete die lapidare Ant-wort.

»Möchte wissen, was du da zu suchen hast. Wir warten in der Hauptzentrale auf dich.«

»Es dürfte besser sein, wenn du zu mir

kommst, Atlan. Und bringe einige Kampfro-boter mit. Möglich, daß es bald heiß hergeht.«

»Hast du etwas gefunden? Wo bist du ge-nau?«

Blödel nannte seinen augenblicklichen Standort.

»Das ist ein allgemein zugänglicher Inter-komanschluß«, bemerkte Hayes.

»Hältst du mich für so dumm, von der Ka-bine des Verdächtigen aus anzurufen? Es reicht, wenn Sternfeuer dort Wache hält.« Ehe jemand etwas erwidern konnte, unterbrach der Roboter die Verbindung.

Der High Sideryt zuckte mit den Schultern. »Worauf warten wir? Mag sein, daß Blödel

wirklich etwas herausgefunden hat.« Zehn Minuten später betraten sie eines der

vielen Nebendecks auf der SZ-2 in unmittel-barer Nähe der hydroponischen Anlagen. In Atlans und Hayes’ Begleitung befanden sich Breiskoll und drei Kampfroboter.

»Dauert das immer so lange?« wurden sie von Blödel ungeduldig begrüßt. »Immerhin«, er musterte die Roboter mißtrauisch von der Seite, »habt ihr schwere Geschütze mitge-bracht.«

»Was ist nun? Hast du eine Spur?« »Eine heiße sogar.« Blödel lotste sie durch mehrere Seitengän-

ge, bis sie auf Sternfeuer trafen. »Er ist bisher nicht gekommen«, sagte die

Mutantin. »Wir haben Glück.« »Von wem sprichst du?« »Von dem Bewohner dieser Kabine.« Stolz

schwang in Blödels Stimme mit. Zugleich begann er, mit Hilfe mehrerer aus seinem Körper ausgefahrenen Sonden am Schloß zu manipulieren. »Wir haben den Raum bereits durchsucht und dabei mehr gefunden als er-wartet.«

Atlan fiel auf, daß Sternfeuer noch immer verhältnismäßig blaß wirkte.

»Du hättest dich schonen sollen.« »Nicht in dem Fall. Denn mit einer solchen

Entwicklung hat gewiß niemand gerechnet.« Sie unterbrach sich, weil das Schott aufglitt.

Die Kabine war wie viele andere auch. Ei-nige persönliche Habseligkeiten ihres Be-wohners, aber nichts, was ungewöhnlich ge-wesen wäre.

»Wer lebt hier?« wollte Atlan wissen.

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»Haile Newman. Ein Durchschnittssolaner,

bislang nicht unangenehm aufgefallen. Einige Pollen Blütenstaub auf dem Speicherkristall brachten mich auf seine Spur. Sie stammen von einer exotischen Pflanzenart, die aus-schließlich auf der SZ-2 kultiviert wird. Und dann hat Sternfeuer mir ein wenig geholfen.«

»Hier ist etwas«, sagte Breiskoll unvermit-telt. »Es sendet schwache telepathische Im-pulse aus.«

»Genau das hatte ich ebenfalls festgestellt«, nickte die Mutantin.

Blödel öffnete einen Wandschrank, wühlte darin herum und zog ein kleines, rundes Ding daraus hervor, das auf den ersten Blick wie ein gläserner Ball anmutete.

»Es stammt nicht von der SOL. Seht her.« Er berührte den Ball mit einem Diamantboh-rer, woraufhin dieser schlagartig die Farbe wechselte.

Bjo Breiskoll ächzte schmerzvoll, während Sternfeuer taumelnd nach einem Halt suchte. Auch Atlan und Hayes verspürten einen plötzlichen unangenehmen Druck in ihren Schläfen.

Hypnotische Impulse! bemerkte der Extra-sinn.

»Ich vermute, die Roboter des Schlafenden Heeres haben uns dieses Kuckucksei ins Nest gelegt«, erklärte Blödel. »Immerhin gelang es einigen von ihnen, an Bord zu kommen. In-filtration nennt man so etwas, Untergrabung der gegnerischen Moral. Hier hast du die Ur-sache für die Unruhe an Bord und die Giftan-schläge. Hidden-X hat einen für uns denkbar ungünstigen Zeitpunkt abgewartet – wahr-scheinlich arbeitet dieser Hypnosender voll-kommen eigenständig.«

Atlan befahl den Kampfrobotern, den glä-sernen Ball in ein Energiefeld zu hüllen. Eine genaue Untersuchung würde zweifellos Ein-zelheiten ans Licht bringen.

Gerade als sie die Kabine verlassen woll-ten, kehrte deren Bewohner zurück. Er war zu überrascht, um an Gegenwehr zu denken.

Aus unmittelbarer Nähe erkannte Bjo Breiskoll sofort, daß Haile Newman völlig im Bann eines Hypnoseblocks stand. Es würde Tage dauern, ihn wieder zu einem normal denkenden Solaner zu machen, und wahr-scheinlich würde er sich dann nur düster an

das Vorgefallene erinnern können.

8. Krrrzchl hatte ihre Chancen höher einge-

schätzt, wenn sie nur wenige waren, und des-halb brachen lediglich er, Insider und zwei weitere Klipper auf. Der unterirdische Stollen, durch den sie sich bewegten, verlief parallel zum Fluß.

Zeitweise kamen sie nur mühsam vorwärts, weil Erdrutsche den Gang verschüttet hatten. Dann hieß es, kräftig anzupacken und Fels-brocken und Erdreich beiseite zu schaffen. Der Extra staunte über die Kräfte, die die Vo-gelwesen dabei entwickelten.

Schweißgebadet erreichten sie endlich eine kleinere Höhle.

»Von hier aus führt ein Verbindungsgang weiter«, sagte Krrrzchl. »Wir müssen auf je-den Fall vorsichtiger sein als bisher.«

Insider war zwar überzeugt davon, daß die Klipper notfalls sogar ihr Leben opfern wür-den, aber er bezweifelte doch, daß sie mit ihren altertümlichen Projektilwaffen über-haupt ernstzunehmende Gegner für die Ech-sen darstellten.

Die Handlampen, die bisher für ausrei-chende Helligkeit gesorgt hatten, wurden so reguliert, daß ihr Schein kaum mehr weiter als einen Meter reichte. Immer öfter blieb Krrrzchl stehen und lauschte in die Finsternis. Aber bis auf das Plätschern des Flusses blieb alles ruhig.

Dann öffnete sich der Stollen zur großen, domförmigen Halle. Die Klipper verharrten in sicherer Deckung. Krrrzchl hielt Insider zu-rück, als dieser an ihm vorüber wollte.

»Warte. Wir kennen die Zyaner; sie können heimtückisch sein.«

Eines der Vogelwesen trug einen kleinen Beutel mit sich. Der Extra hatte schon lange fragen wollen, was sich darin verbarg. Es war ein unterarmlanges, sechsbeiniges Tier, das der Klipper nun aussetzte. Mit hastigen, me-terhohen Sprüngen verschwand es tiefer in die Höhle.

Von irgendwoher erklangen metallische Geräusche. Im nächsten Moment blitzte es an zwei gegenüberliegenden Stellen auf. Die Strahlbahnen kreuzten sich dort, wo das Tier

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eben gewesen war.

»Keine Sorge«, meinte Krrrzchl. »So ein Smoosh ist das flinkste Wesen, das du dir vorstellen kannst. Wir setzen sie oft ein, wenn es darum geht, Waffensysteme der Zyaner abzulenken. Leider konnten wir bisher noch nicht den ganz großen Erfolg erzielen.«

Wieder flammten für Sekundenbruchteile mehrere Strahlbahnen auf. Insider erkannte, daß in der Höhle mindestens fünf oder sechs Roboter verborgen sein mußten.

»Sie schießen auf alles, was sich bewegt. Hier kommen wir jedenfalls nicht weiter.«

»Es hängt viel davon ab, daß ich mein Schiff verständigen kann.«

Der Klipper schlug aufgeregt mit den Flü-geln.

»Keiner hat ein größeres Interesse daran als wir, schließlich wollen wir wieder auf der Oberfläche von Klipp leben.«

»Müssen wir nicht damit rechnen, daß alle unterirdischen Zugänge zur Station der Zya-ner mehrfach bewacht werden?«

»Wir haben schon einige von uns auf diese Weise verloren«, bestätigte Krrrzchl.

Insider konnte sich vorstellen, daß gerade Wesen wie die Klipper nicht tatenlos zusahen, wie Fremde ihre Welt zerstörten. Es mußte genügend Freiwillige geben, die, auch auf die Gefahr hin, daß sie nicht zurückkehren wür-den, Sabotageakte ausführten. Jedes Volk, das auf mehr als die Hälfte dezimiert worden war, würde diesen Weg einschlagen.

Der Extra wußte, daß ein Funkspruch an die SOL auf wenige Worte beschränkt sein mußte. Alles darüber hinaus erhöhte die Ge-fahr, von den Zyanern überwältigt zu werden.

Oder hielt er doch noch einen Trumpf in der Hinterhand?

»Ist euch der Name Zaut-Zy ein Begriff?« wollte er von seinen Begleitern wissen.

Krrrzchl vollführte eine hastige kröpfende Bewegung.

»Der Vizeadmiral der Zyaner. Er residiert in einem Gebäudekomplex abseits der eigent-lichen Befestigungsanlagen.«

»Gibt es eine Möglichkeit, zu ihm zu ge-langen?«

»Wir besaßen einen Tunnel zu einem der Nebengebäude. Allerdings wurde er vor kur-zem gesprengt. Niemand kann auf diesem

Weg noch an Zaut-Zy herankommen.« Siedendheiß durchfuhr es den Extra. Auf

diesem Weg, hatte Krrrzchl gesagt. »Und wenn wir durch die Luft kommen?« »Kein Klipper fliegt schnell genug, um ih-

ren Waffen zu entgehen.« »Du verstehst mich falsch. An Bord eines

zyanischen Gleiters würde uns niemand ver-muten. Kontrollieren sie ihre eigenen Fahr-zeuge?«

»Nein«, machte Krrrzchl überrascht. »Ich glaube nicht.«

»Aber dazu brauchen wir einen Gleiter.« Wieder schlug der Klipper mit den Flügeln.

Diesmal allerdings schien er Freude damit ausdrücken zu wollen.

»Nichts leichter als das. Am Anfang haben wir versucht, die Technik der Fremden zu studieren; leider ist sie uns unverständlich. Wenn auch beschädigt, so konnten wir im-merhin zwei Gleiter erbeuten. Falls es dir möglich ist, sie in Gang zu setzen ...«

Von da an ging Insider alles viel zu lang-sam. Er fieberte förmlich dem Augenblick entgegen, da sie diesen engen, stickigen Stol-len wieder verließen.

*

Als Narod II wieder zu sich kam, brach ihm

der Schweiß aus allen Poren. Eine Treibhaus-atmosphäre hätte schwüler nicht sein können. Um ihn her war dichtes, üppig wucherndes Gestrüpp. In die Höhe blickend, gewahrte er einen grünen, wolkenlosen Himmel, der zum Greifen nahe schien und doch gleichzeitig unendlich weit entfernt.

»Gib dich keinen Illusionen hin.« Kyrm-Bra achtete nicht darauf, daß der Verkünder ihm nach wie vor den Rücken zuwandte. »In wenigen Minuten werden wir ohnehin tot sein.«

»Tot?« Auch Jylene und Trunk waren eben erst aus ihrer Bewußtlosigkeit erwacht.

Kyrm-Bra nickte. »Zaut-Zy wird sich an dem Schauspiel er-

götzen, das wir ihm bieten werden.« »Welches Schauspiel?« erschrak Trunk.

»Wovon sprichst du überhaupt?« Der Zyaner drehte sich einmal um sich

selbst. »Das hier«, sagte er. »Wilde Tiere

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werden uns zerreißen. Und daß mir die zwei-felhafte Ehre zuteil wird, mit euch zusammen sterben zu dürfen, bedeutet nichts anderes, als daß ich beim Vizeadmiral in Ungnade gefal-len bin.«

Wie zur Bestätigung des Gesagten erscholl ein durchdringendes Zischen aus allernächster Nähe. Unwillkürlich fuhr Kyrm-Bras Linke zur Hüfte. Aber man hatte ihm die Waffe ab-genommen.

Keine zehn Meter entfernt teilten sich die Äste. Ein mächtiger, bleicher Schädel wurde sichtbar, und eine lange, gespaltene Zunge zuckte über den Boden.

Jylene taumelte zurück. »Narod«, rief sie mit zitternder Stimme.

»Was sollen wir tun?« Der Verkünder wirkte wie erstarrt. »Er hat Angst«, bemerkte Kyrm-Bra. »Narod? Niemals!« Der Zyaner bedeutete Trunk zu schweigen.

Das Tier schob sich rasch näher heran. Zwei Reihen fingerlanger Reißzähne wurden sicht-bar, vor denen es kaum ein Entrinnen geben konnte.

»Nur auf die Vorderläufe achten«, riet Kyrm-Bra. »Wenn es die Muskeln anspannt, sofort zur Seite, sonst ...«

Aus einer anderen Richtung erklang lautes Gebrüll. Das echsenähnliche Tier wandte kurz den Schädel, dann duckte es sich. Jylene schrie gellend auf, als fast schon zum Greifen nahe vor ihr eine gefleckte Raubkatze zwi-schen den Büschen erschien.

»Du bietest Zaut-Zy das Schauspiel, das er sich wünscht.« Trunk entwickelte so etwas wie Galgenhumor.

Endlich wurde auch der Verkünder auf-merksam. Im selben Moment schnellte die Echse nach vorne. Kyrm-Bra stieß Jylene zur Seite, er selbst ließ sich einfach fallen und rollte sich ab. Das Tier kam zwischen ihnen auf, seine gespaltene Zunge fegte den Buhrlo von den Beinen.

Auch die Raubkatze sprang. Jylene fand keine Zeit, wieder auf die Beine zu kommen – das Raubtier war plötzlich über ihr.

»Ruhig!« sagte Narod II leise. Dennoch war seine Stimme wie ein Peitschenschlag scharf und einschneidend. »Ganz ruhig!«

Knurrend wandte die Raubkatze sich ihm

zu. Für einige Augenblicke verwischten sich die Gesichtszüge des Verkünders, wurden weicher, als wäre er schlagartig um Jahrzehn-te jünger. Doch niemand außer Jylene sah es, und sie war zu verstört, um es wirklich aufzu-nehmen.

»Ihr werdet doch meinen Freunden nichts tun.« Narod II streckte seine Hand aus, und er zuckte nicht einmal, als die Katze nach ihm schnappte. »Ruhig!« sagte er wieder und griff in die Mähne des Tieres, dessen Fauchen zu einem behaglichen Schnurren wurde.

Auch die Echse kam näher. Ihre Zunge tas-tete über Narods Beine. Sanft tätschelte er ihre Schnauze.

»Alle Geschöpfe sind Freunde. Nicht wahr, ihr wißt das. Aber es gibt Wesen, die es nicht begreifen wollen.« Mit einer Kopfbewegung forderte er Jylene auf, näherzukommen. »Du mußt sie sanft berühren, wenn sie dich aner-kennen sollen. Nur zu, du brauchst keine Furcht zu empfinden.«

Allmählich wuchs jeder über sich selbst hinaus. Trotzdem blieb man gefangen – in einem knapp zweihundert Meter durchmes-senden Energiekäfig.

»Ich bin gespannt, was der Vizeadmiral nun unternimmt«, sagte Kyrm-Bra. »Immerhin hast du ihn um sein Vergnügen betrogen.«

Eine halbe Stunde verging, ohne daß etwas geschah. Dann erschienen schwerbewaffnete Roboter vor der Energiewand, und gleich dar-auf bildete sich ein schmaler Durchlaß.

»Vorwärts!« Jylene und Trunk gingen als erste. Bevor

jemand überhaupt begreifen konnte, was ge-schah, stürmte die Echse hinter ihnen her und stürzte sich fauchend auf die Kampfmaschi-nen. Zwei Roboter wurden unter der Wucht des Aufpralls förmlich zerquetscht, ein dritter zerbarst zwischen den nadelscharfen Reiß-zähnen, die Metall zerfetzten wie Papier. Die anderen schossen fast gleichzeitig.

»Zurück!« rief Narod II der Raubkatze zu, die ihnen ebenfalls folgte. Zunächst zögerte das Tier, schließlich verschwand es mit weit ausgreifenden Sätzen im Dickicht. Der Ener-gieschirm schloß sich wieder.

»Die Roboter haben Befehl, uns zu Zaut-Zy zu führen«, behauptete Kyrm-Bra, und er soll-te recht behalten. Nur Minuten später standen

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sie dem Vizeadmiral zum zweitenmal gegen-über.

»Du«, sagte er und deutete auf den Ver-künder. »Wer bist du wirklich?«

»Nenne mich einen Botschafter des Frie-dens. Wir wollen nichts anderes, als unnötiges Blutvergießen vermeiden.«

Wer Narod II kannte, spürte, daß er sich weiter verändert hatte. Ein Hauch von Zufrie-denheit strahlte von ihm aus, dem niemand sich entziehen konnte. Selbst Zaut-Zy wurde zunehmend ruhiger.

»Warum haben die Tiere euch nicht zerris-sen?«

»Das Positive kann mächtiger sein, als du es dir jemals vorzustellen vermagst. Ich habe nichts anderes getan, als sie von einem Zwang zu befreien – dem Zwang, kämpfen zu müs-sen.«

Der Vizeadmiral zögerte. »Ich verstehe den Vergleich und was du

damit sagen willst.« »Dann laß uns in Frieden auseinanderge-

hen.« »Euer Schiff stellt eine zu große Gefahr

dar.« »Für wen? Doch nicht für die Zyaner,

höchstens für Hidden-X, und das ist euer Feind.«

Der Vizeadmiral wirkte irgendwie hilflos. »Ihr seid Sklaven; selbst du bist im Netz

deiner eigenen Vorstellungen gefangen«, fuhr der Verkünder fort. »Nur du, Zaut-Zy, kannst das Denk- und Sprechverbot auf Dinge der Vergangenheit aufheben, das euch auferlegt wurde. Nur du kannst die 100.000 deines Volkes endlich in die geistige Freiheit führen. Zögere nicht, es zu tun. Ich bin ein Fremder, aber sogar ich habe meinen Teil dazu geleis-tet.«

Erst sah es so aus, als wolle der Zyaner sich auf Narod II stürzen, dann aber erbebte er innerlich. Er focht einen schweren Kampf mit sich selbst aus, und allein die Nähe des alten Solaners half ihm, den von Hidden-X ver-hängten Zwang regelrecht zu zerbrechen.

»Es ist ein seltsames Gefühl, sich an die Vergangenheit zu erinnern«, begann Zaut-Zy endlich. »Unsere Heimatwelt liegt in der Ga-laxis Xiinx-Markant. Von dort wurden wir durch einen geistigen Befehl gerufen, der uns

zugleich untersagte, über das Gewesene auch nur einen Gedanken zu verlieren. Eigentlich wäre ich gezwungen, nun die Todesstrafe über mich zu verhängen, nachdem ich dieses Gesetz gebrochen habe.«

»Das Gesetz eures größten Gegners«, erin-nerte Narod II. »Erkennst du nun, welcher Wahnsinn sich dahinter verbirgt?«

Zaut-Zys Blick ging ins Leere. Es war, als breche schlagartig alle Erinnerung in ihm auf, die er bislang mühsam unterdrückt hatte.

»Wir waren lange im Universum jenseits der Dimensionsspindel und haben dort an der Wiederherstellung eines gigantischen Spie-gels gearbeitet. Vor nicht allzu langer Zeit wurden wir nach Pers-Mohandot geschickt, um gegen Feinde unseres ...« Der Vizeadmiral stockte. Mühsam kam es dann über seine Lip-pen: »Um gegen Feinde unseres Herrn zu kämpfen.«

»Die Pers-Oggaren und Oggar, vor denen Hidden-X sich offenbar noch immer fürchtet? Erkennst du nun, daß die Zyaner nichts ande-res waren als Handlanger einer fremden Macht?«

»Dennoch kann ich mich nicht mit euch verbünden. Ich fühle mich zwar frei, und mein Volk wird es ebenfalls bald sein, und wir haben dir viel zu verdanken, aber niemals werde ich Seite an Seite mit einem Volk in den Kampf gehen, das meinen Sohn getötet hat.«

»Bruce-Zy?« »Du kennst seinen Namen ...« »Versuche, deinen Schmerz zu überwin-

den.« »Wie soll ich vergessen können, daß bei

Vasterstat sein Schiff von euch zerstört wur-de?«

»Und wenn ich ihn dir zurückbringen kann ...«

In Zaut-Zys Augen trat ein jäher Hoff-nungsschimmer.

»Dein Sohn befindet sich an Bord der SOL. Gib mir die Möglichkeit, sie anzurufen. Atlan kann innerhalb kürzester Zeit mit ihm hier sein.«

*

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»Es ist Skrempeleck!« Verblüffung folgte Curies erstauntem Aus-

ruf. Plötzlich redeten alle wild durcheinander. Doch sie schwiegen abrupt, als das Abbild des Verkünders überlebensgroß auf einem Bildschirm sichtbar wurde.

»Unserer Mission ist der erhoffte Erfolg beschieden«, sagte der alte Mann. »Ich bitte dich, Atlan, mit Bruce-Zy zum Stützpunkt I zu kommen, dann wird auch der letzte Bann gebrochen sein, der die Zyaner noch zögern läßt. Der Vizeadmiral hat mir bereits zu ver-stehen gegeben, daß ihn bald nichts mehr in diesem Raumsektor hält. Vielleicht sind wir ab sofort so etwas wie Verbündete.«

»Ich habe befürchtet, daß sie Bruce-Zy se-hen wollen«, bemerkte Gallatan Herts. »Wie willst du seinen besorgniserregenden Ge-sundheitszustand erklären?«

»Das beste ist, bei der Wahrheit zu blei-ben«, erwiderte Atlan. Dann konzentrierte er sich wieder auf das, was der Verkünder zu sagen hatte.

»... die Dimensionsspindel, von den Zya-nern nicht gebaut und nicht verstanden, je-doch in sämtlichen Funktionen beherrscht, soll uns übergeben werden, damit wir gegen den wahren Feind vorgehen können. Zaut-Zy hat sich bereit erklärt, unsere Techniker ein-zuweisen. Danach werden er und seine Leute abziehen.

Und noch etwas: der Vizeadmiral hat kraft seines Befehls die Gedankensperre aufgeho-ben, das heißt, daß die Zyaner sich wieder an ihre Vergangenheit erinnern dürfen. Die be-wirkt die völlige Loslösung praktisch aller von Hidden-X.

Atlan, wir warten hier auf dich.« Damit brach die Funkverbindung ab. Verbitterung beherrschte die Miene des

High Sideryt, als er sich dem Arkoniden zu-wandte.

»Was willst du tun?« »Es bleibt keine andere Wahl, oder sollen

wir auf noch ein Wunder warten? Gib Order, daß eine Space-Jet startklar gemacht wird.«

»Sollten wir nicht versuchen ...?« Atlan ließ Herts gar nicht erst zu Wort kommen.

»Ich fliege allein. Nur Bruce-Zy begleitet mich.«

*

Wie ein gefangenes Tier in seinem Käfig, schritt Maut-Irik unruhig auf und ab. Sie war wütend über die neuen Anordnungen des Vi-zeadmirals. Nur die Fremden konnten hinter diesem ungeheuerlichen Verrat stehen.

Maut-Irik hatte erkennen müssen, daß Na-rod II durch nichts aufzuhalten war. Sein Einfluß wuchs von Stunde zu Stunde, und sie begann sich zu fragen, weshalb ausgerechnet sie und einige ihrer Vertrauten davon ver-schont blieben.

»Er ist nur ein manipuliertes Werkzeug. Auf Atlan müssen wir uns konzentrieren, denn ich vermute, daß er sehr bald unseren Stützpunkt anfliegen wird.«

»Du willst ihn töten?« »Ich muß es tun.«

* Fast einen ganzen Tag hatte Insider benö-

tigt, um einen der beiden zyanischen Gleiter wieder flugfähig zu machen – eine kleine, lediglich dem Piloten ausreichenden Platz bietende Konstruktion. Das andere Fahrzeug besaß nur noch Schrottwert.

Es gab eine Reihe unverständlicher Skalen und Schalter, trotzdem schaffte der Extra es, wenngleich mit aufheulenden Triebwerken, Höhe zu gewinnen. Dann war er allein und raste dicht über dem Land dahin. Mehr als zehn Minuten vergingen, bis er endlich am Horizont die Bauten von Zaut-Zys Residenz auftauchen sah.

Und noch etwas fesselte seine Aufmerk-samkeit: Ein Raumschiff fiel vom Himmel.

Insider fühlte es abwechselnd heiß und kalt über seinen Rücken laufen. Er konnte sich nicht irren. Das war eine Space-Jet, die so-eben zur Landung ansetzte.

Erheblich langsamer folgte er dem kleinen Raumschiff, das nur von der SOL gekommen sein konnte. Niemand achtete auf ihn, als er nach der gelandeten Jet suchte. Sie war auf einem freien, von Bäumen gesäumten Platz zwischen den Gebäuden niedergegangen.

Insider setzte seinen Gleiter keine zwei-hundert Meter entfernt auf. Er konnte Atlan erkennen und Narod II, die soeben einander

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die Hände reichten. Etwas abseits standen Jylene und Trunk neben einer Gruppe von Zyanern, unter denen sich vermutlich der Vi-zeadmiral befand.

Er hat es also doch geschafft! durchzuckte es den Extra.

Im nächsten Moment entdeckte er die bei-den Echsenwesen, die, hinter einer Gruppe von Bäumen verborgen, auf die Versammel-ten anlegten.

»Aufpassen, Atlan!« schrie er instinktiv. Eine andere Möglichkeit, noch einzugreifen, besaß er nicht.

Gleichzeitig feuerten die Zyaner. Atlan blickte überrascht auf. Aber selbst er

hätte nicht mehr schnell reagiert, wäre nicht Skrempeleck gewesen, der sich schützend vor ihn warf. Die Schüsse, die dem Arkoniden gegolten hatten, ließen ihn zusammenbrechen.

Eine zweite Gelegenheit, ihren Fehler aus-zubügeln, erhielten die Attentäter nicht. Den ersten streckte Insider mit einem Schlag der Handfeuerwaffe nieder, die er von den Klip-pern erhalten hatte; dem zweiten blieb keine andere Wahl, als sich der Übermacht zu erge-ben, denn gut ein Dutzend Strahler waren auf ihn gerichtet.

Skrempeleck war tödlich getroffen. Blut rann aus seinen Mundwinkeln. Aber er schien keine Schmerzen zu empfinden. Atlan kniete neben ihm und stützte seinen Kopf mit beiden Händen.

»Es tut mir leid ...« »Sage das nicht, Arkonide.« Wie gebannt

hingen die Augen des Verkünders an seinem Mund. »Mein Tod ist nicht tragisch – ich fühlte, daß es an der Zeit war. Das Schicksal meint es gnädig mit mir im Vergleich zu dem Opfer, das du eines nicht mehr fernen Tages zu erbringen hast.« Seine Stimme wurde schwächer.

»Wer bist du, und woher stammt deine Kraft, durch Reden zu überzeugen?«

Ein Aufleuchten huschte über Skrempe-lecks Gesicht, das zusehends verfiel.

»Ich bin ein Solaner, Atlan, das solltest du wissen. Und noch etwas: du kannst Hidden-X besiegen.«

Der Verkünder bäumte sich auf, ein Lä-

cheln erschien auf seinen Lippen. Dann verlo-ren seine Augen jeglichen Glanz. Langsam ließ Atlan ihn zu Boden gleiten.

»Die Zukunft wird erweisen, ob er ein Pro-phet war.«

Auf jeden Fall, wisperte der Extrasinn, hat Narod II sein Geheimnis mit in den Tod ge-nommen. Vielleicht kannte er es selbst nicht einmal.

*

Ein Tag verging wie im Flug. Es gab so

vieles, was das Verhältnis zwischen Zyanern und den Menschen der SOL belastete. Doch Zaut-Zy erwies sich als verständnisvoller, dem Geist des Verkünders auch jetzt noch aufgeschlossener Verhandlungspartner.

Und er war froh, seinen Sohn wiederzuse-hen.

»Ist es nicht ein Ausgleich zwischen uns?« sagte er. »Bruce wird wieder genesen, dessen bin ich mir sicher – ihr aber habt einen großen Mann verloren, den niemand wirklich erset-zen kann.«

Mit der ÜBERZEUGUNG kehrte Insider zu den Klippern zurück, um Krrrzchl und ei-nige andere seines im Untergrund lebenden Volkes in den Stützpunkt zu bringen. Inner-halb kürzester Zeit kam es zur völligen Eini-gung zwischen den Vertretern der drei in ih-rem Wesen so grundverschiedenen Rassen.

Wie hatte Narod II immer wieder betont: »Wir alle sind Kinder dieses Kosmos.«

Die Dimensionsspindel gehörte praktisch schon den Solanern. Und die Klipper, vor zwei bis drei Jahren von ihrer Welt vertrieben, durften endlich wieder das Licht der Sonne sehen, ohne einen Feind fürchten zu müssen. Sie hatten von allen am meisten verloren, aber für sie begann nun die Zeit des Wiederauf-baus.

Die SOL näherte sich der Dimensionsspin-del bis auf eine Lichtminute. Breckcrown Hayes bereitete eine erste weitergehende Er-kundung vor.

ENDE

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Weiter geht es in Band 97 der Abenteuer der SOL mit:

Narods Traum von Arndt Ellmer

Impressum: © Copyright der Originalausgabe by Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt Chefredaktion: Klaus N. Frick © Copyright der eBook-Ausgabe by readersplanet GmbH, Passau, 2008, eine Lizenzausgabe mit Genehmigung der Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

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