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Reinhard Gehlen und der Kalte Krieg Die Teilung Deutschlands nach dem II. Weltkrieg wird dem Kalten Krieg zwischen den USA und der So- wjetunion zugeschrieben. Er wird in seinen Erscheinungsformen beschrieben, sein Ursprung bleibt je - doch unklar. Der Begriff fällt in unterschiedlichen Darstellungen im Zusammenhang mit Ereignissen, die sich zwischen 1945 und 1948 zutrugen, und dient später als Erklärungsmuster für die allmählich hochwogende Konfrontation zwischen den Demokratien im Westen und der Sowjetunion. Es ist jedoch nicht auszumachen, welche abträgliche Aktivität der einen oder der anderen Seite ihn vielleicht ausge- löst hat. Die Veränderung der Politik der Amerikaner bezüglich der Sowjetunion wird frühestens auf den Tod des Präsidenten Franklin D. Roosevelt und die Amtsübernahme durch Harry Truman im Früh- jahr 1945 datiert. Bei der Journalistin Marion Gräfin Dönhoff, die im Dritten Reich unter Lebensgefahr Kurierdienste zwischen hochrangigen Persönlichkeiten im Widerstand und Kontaktpersonen im Ausland leistete und die eine hervorragende Rolle in der therapeutischen Öffentlichkeitsarbeit der deutschen Nachkriegselite innehatte, findet sich der Begriff allerdings schon früher. In einem Zeitungsartikel vom 26. Juli 1963 be- scheinigte sie Reinhard Gehlen, dem vormaligen Chef der Abteilung Fremde Heere Ost des General- stabs der Wehrmacht und späteren ersten Chef des BND, ein „präzises Gehirn, einem Elektronenrech- ner gleich“, der „bereits 1944 den Kalten Krieg kommen sah“. Sie kannte Reinhard Gehlen persönlich; vielleicht wusste sie, was sie da sagte. Die weitsichtige Annahme einer späteren Gegnerschaft zwischen den westlichen Alliierten und der So- wjetunion muss erstaunen, denn der Publizist Sebastian Haffner stellte im Londoner Observer am 1. Fe- bruar 1959 fest: „Drei Perioden kennzeichnen die deutsche Geschichte seit 1945. Von 1945 bis 1948 be- mühten sich die westlichen Alliierten und Russland, die deutsche Frage gemeinsam zu lösen.“ Dann be- nennt er die anderen zwei Perioden. Zwischen 1944 und 1948 bleibt aber eine Differenz von mehr als drei Jahren. Trumans Präsidentschaft begann auch erst nach 1944. Welche Rolle spielte Reinhard Geh- len? Nähern wir uns der Lösung des Rätsels mit einem an sich als Bettlektüre für Hobbyhistoriker ge- eigneten Wälzer. Auf tiefrotem Grund ist ein großes weißes Fadenkreuz, darunter ein schwarzer Finger- abdruck, und im oberen Bereich des Einbands steht der Titel des Buches: Geheimdienste in der Weltge- schichte – Von der Antike bis heute. Da steht bestimmt viel Interessantes und Wissenswertes drin; es wäre jedoch ulkig gewesen, wenn der BND da völlig gefehlt hätte. Also erzählte man so ein bisschen, was sowieso niemand zu einem Bild formen kann: „Noch schlechter entwickelte sich der Ostkrieg selbst. Deshalb bereitete sich der zum Generalmajor aufgestiegene Gehlen – wie übrigens viele in den deutschen Eliten – auf den absehbaren Untergang der Herrschaft Hitlers vor. Er tat es allerdings sorgfältiger als die meisten. Einige handverlesene Mitarbeiter ließ er 50 wasser- dichte Kisten mit Geheimdienstmaterial füllen und nach Süddeutschland transportieren. Dass Gehlen dabei, wie so viele vom Kriegsrausch verwirrte Deutsche, von einer Fortsetzung des Ostkrieges mit an- gloamerikanischer Unterstützung träumte, ist nicht auszuschließen. Beweisstücke, wenn es sie je gab, hätte Gehlen wohl später vernichtet. (Noch als BND-Präsident setzte er alle Hebel in Bewegung, um his- torische Untersuchungen über seine Tätigkeit an der Ostfront zu vereiteln.)“ Er hatte auch allen Grund, Untersuchungen über seine Tätigkeit an der Ostfront zu vereiteln, gehörte er doch letztlich zu denen, die mit aller Konsequenz versuchten, den Hitleradolf aus der deutschen Ge- schichte zu nehmen. „Gehlen kannte nicht nur das Vorhaben der Verschwörer, er bewahrte in einer Schreibtischschublade in seinem Hauptquartier den Aktionsplan für die Operation Walküre, die Ermor- dung Hitlers, auf. Zum Zeitpunkt des gescheiterten Attentats selbst lag Gehlen im Lazarett.“ Die Schlüsselrolle, die Reinhard Gehlen bei diesem Staatsstreich von 1944 innehatte, wurde in den Jah- ren nach 1945 nicht erwähnt. Das wäre aber genau der Baustein gewesen, mit dessen Hilfe man auch im Ausland ein völlig anderes Bild von den Absichten der 1949er Führung in Bonn bekommen hätte. Ganz am Rande brabbelte ein Erich Schmidt-Eenboom so vor sich hin: „Wie Gehlen es fertig brachte, von ei - ner der publizistischen Wegbereiterinnen einer neuen, aufgeklärten Ostpolitik als Weggefährte angese- hen zu werden, bleibt sein Geheimnis. Eine plausible Antwort auf die Frage, warum Gräfin Dönhoff ihn in jeder Beziehung zu loben wusste, könnte im Verhältnis beider zum militärischen Widerstand im Drit- ten Reich liegen, der für beide bestimmend für ihr weiteres Leben war.“ Das war durchaus eine plausi- ble Antwort.

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Reinhard Gehlen und der Kalte Krieg

Die Teilung Deutschlands nach dem II. Weltkrieg wird dem Kalten Krieg zwischen den USA und der So-wjetunion zugeschrieben. Er wird in seinen Erscheinungsformen beschrieben, sein Ursprung bleibt je-doch unklar. Der Begriff fällt in unterschiedlichen Darstellungen im Zusammenhang mit Ereignissen, die sich zwischen 1945 und 1948 zutrugen, und dient später als Erklärungsmuster für die allmählich hochwogende Konfrontation zwischen den Demokratien im Westen und der Sowjetunion. Es ist jedoch nicht auszumachen, welche abträgliche Aktivität der einen oder der anderen Seite ihn vielleicht ausge-löst hat. Die Veränderung der Politik der Amerikaner bezüglich der Sowjetunion wird frühestens auf den Tod des Präsidenten Franklin D. Roosevelt und die Amtsübernahme durch Harry Truman im Früh-jahr 1945 datiert.

Bei der Journalistin Marion Gräfin Dönhoff, die im Dritten Reich unter Lebensgefahr Kurierdienste zwischen hochrangigen Persönlichkeiten im Widerstand und Kontaktpersonen im Ausland leistete und die eine hervorragende Rolle in der therapeutischen Öffentlichkeitsarbeit der deutschen Nachkriegselite innehatte, findet sich der Begriff allerdings schon früher. In einem Zeitungsartikel vom 26. Juli 1963 be-scheinigte sie Reinhard Gehlen, dem vormaligen Chef der Abteilung Fremde Heere Ost des General-stabs der Wehrmacht und späteren ersten Chef des BND, ein „präzises Gehirn, einem Elektronenrech-ner gleich“, der „bereits 1944 den Kalten Krieg kommen sah“. Sie kannte Reinhard Gehlen persönlich; vielleicht wusste sie, was sie da sagte.

Die weitsichtige Annahme einer späteren Gegnerschaft zwischen den westlichen Alliierten und der So-wjetunion muss erstaunen, denn der Publizist Sebastian Haffner stellte im Londoner Observer am 1. Fe-bruar 1959 fest: „Drei Perioden kennzeichnen die deutsche Geschichte seit 1945. Von 1945 bis 1948 be-mühten sich die westlichen Alliierten und Russland, die deutsche Frage gemeinsam zu lösen.“ Dann be-nennt er die anderen zwei Perioden. Zwischen 1944 und 1948 bleibt aber eine Differenz von mehr als drei Jahren. Trumans Präsidentschaft begann auch erst nach 1944. Welche Rolle spielte Reinhard Geh-len? Nähern wir uns der Lösung des Rätsels mit einem an sich als Bettlektüre für Hobbyhistoriker ge-eigneten Wälzer. Auf tiefrotem Grund ist ein großes weißes Fadenkreuz, darunter ein schwarzer Finger-abdruck, und im oberen Bereich des Einbands steht der Titel des Buches: Geheimdienste in der Weltge-schichte – Von der Antike bis heute. Da steht bestimmt viel Interessantes und Wissenswertes drin; es wäre jedoch ulkig gewesen, wenn der BND da völlig gefehlt hätte.

Also erzählte man so ein bisschen, was sowieso niemand zu einem Bild formen kann: „Noch schlechter entwickelte sich der Ostkrieg selbst. Deshalb bereitete sich der zum Generalmajor aufgestiegene Gehlen – wie übrigens viele in den deutschen Eliten – auf den absehbaren Untergang der Herrschaft Hitlers vor. Er tat es allerdings sorgfältiger als die meisten. Einige handverlesene Mitarbeiter ließ er 50 wasser-dichte Kisten mit Geheimdienstmaterial füllen und nach Süddeutschland transportieren. Dass Gehlen dabei, wie so viele vom Kriegsrausch verwirrte Deutsche, von einer Fortsetzung des Ostkrieges mit an-gloamerikanischer Unterstützung träumte, ist nicht auszuschließen. Beweisstücke, wenn es sie je gab, hätte Gehlen wohl später vernichtet. (Noch als BND-Präsident setzte er alle Hebel in Bewegung, um his-torische Untersuchungen über seine Tätigkeit an der Ostfront zu vereiteln.)“

Er hatte auch allen Grund, Untersuchungen über seine Tätigkeit an der Ostfront zu vereiteln, gehörte er doch letztlich zu denen, die mit aller Konsequenz versuchten, den Hitleradolf aus der deutschen Ge-schichte zu nehmen. „Gehlen kannte nicht nur das Vorhaben der Verschwörer, er bewahrte in einer Schreibtischschublade in seinem Hauptquartier den Aktionsplan für die Operation Walküre, die Ermor-dung Hitlers, auf. Zum Zeitpunkt des gescheiterten Attentats selbst lag Gehlen im Lazarett.“

Die Schlüsselrolle, die Reinhard Gehlen bei diesem Staatsstreich von 1944 innehatte, wurde in den Jah-ren nach 1945 nicht erwähnt. Das wäre aber genau der Baustein gewesen, mit dessen Hilfe man auch im Ausland ein völlig anderes Bild von den Absichten der 1949er Führung in Bonn bekommen hätte. Ganz am Rande brabbelte ein Erich Schmidt-Eenboom so vor sich hin: „Wie Gehlen es fertig brachte, von ei -ner der publizistischen Wegbereiterinnen einer neuen, aufgeklärten Ostpolitik als Weggefährte angese-hen zu werden, bleibt sein Geheimnis. Eine plausible Antwort auf die Frage, warum Gräfin Dönhoff ihn in jeder Beziehung zu loben wusste, könnte im Verhältnis beider zum militärischen Widerstand im Drit-ten Reich liegen, der für beide bestimmend für ihr weiteres Leben war.“ Das war durchaus eine plausi-ble Antwort.

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Noch in seinen Memoiren, die 1971 unter dem Titel Der Dienst auf den Markt kamen, beklagte er sich, dass kaum jemand wusste, welche Rolle er selbst damals spielte: „Wie andere meiner Freunde wurde auch Oberst von Roenne ein Opfer der nach dem 20. Juli 1944 ausgelösten Verfolgungen. Es ist nicht al-lein das tragische Schicksal vieler, mit denen ich mich verbunden fühlte, das mich veranlasst, mein Wis-sen um die Zusammenhänge und Hintergründe des 20. Juli darzustellen und die mir gegebenen Mög-lichkeiten aufzuzeigen. Ich nehme auch deshalb Stellung, weil mir gelegentlich aus Unkenntnis der Ver-hältnisse vorgehalten wurde, ich hätte mich stärker exponieren und aktiv an der Beseitigung Hitlers be-teiligen sollen.“ Woher sollte man Kenntnis von seiner Rolle haben, wenn keiner darüber sprach?

Wie stand es um die Zusammenhänge und um die Hintergründe? „Im Jahre 1943 wies mich General Heusinger kurz in die Widerstandsvorbereitungen ein. Nach allen Feststellungen und Überlegungen, die immer wieder auf Hitler als den Verantwortlichen für die bevorstehende Katastrophe führten, ka-men mir Heusingers Hinweise nicht überraschend; gehörte doch der General, ebenso wie ich, zum Krei-se derer, denen alle Nachrichten zugänglich und damit auch die Folgen für unser schwer ringendes Va-terland erkennbar waren. In der Folgezeit habe ich mich bemüht, in manchen Unterhaltungen mit mei-nem Regimentskameraden Stieff, damals Chef der Organisationsabteilung, auf die zwingend notwendi-ge Beschränkung des Mitwisserkreises und vor allem auf allergrößte Vorsicht bei der Vorbereitung von Gewaltaktionen zur Beseitigung Hitlers hinzuweisen.“

Tatsächlich sind Gehlens Memoiren geeignet, um das Rätselraten rund um diese Vorgänge zu beenden. Anfang der siebziger Jahre war dieser Kalte Krieg dann schon so gut in Schwung gekommen, die Bedro-hung durch die Atomwaffenarsenale auch der Sowjetunion schon so enorm, dass er wohl meinte, jetzt könne er sich damit brüsten, dass ursprünglich er die Amerikaner auf diese angebliche Gefahr gestupst hatte, die von den Russen ausgegangen sein soll. Damals war es ja längst nicht absehbar, dass einmal für die Amerikaner eine Möglichkeit bestehen würde, mit den Sowjets über ihre tatsächlichen militär-technischen Möglichkeiten in den früheren Jahren ins Gespräch zu kommen; und immer wenn die Rus-sen ihre Unschuld beteuerten, wurde ihnen das ja, wie Sie sich erinnern, nicht geglaubt. Lassen wir uns von ihm in die geheimsten Geheimnisse der Neuzeit einführen: „Jahrelang waren wir gezwungen, mit den Augen des Gegners zu sehen und uns in seine Denkweise und Absichten einzuleben. Schon frühzei-tig konnten wir seine wachsende Siegeszuversicht feststellen und mussten sie als berechtigt anerken-nen. Damit ahnten wir aber auch unausweichlich das Herannahen der Katastrophe voraus. Es ist ver-ständlich, dass sich dabei auch Überlegungen aufdrängten, was getan werden müsse, wenn der Zusam-menbruch einmal eingetreten sei.

Selbstverständlich entstehen solche Überlegungen nicht auf einmal. Unsere Überlegungen reiften in ei-nem langen, durch Zwischenräume, in denen uns die Nöte des Alltages voll beschäftigten, unterbroche-nen, schmerzhaften Denkprozess. An ihm war neben mir vornehmlich mein Vertreter und zweimaliger Nachfolger, der jetzige Generalleutnant a. D. und Präsident des Bundesnachrichtendienstes Wessel, be-teiligt. Unsere Überlegungen wurden dadurch begünstigt und nach außen abgeschirmt, dass der innere Zusammenhalt meiner Abteilung allen Krisen standhielt und dass wir uns vorbehaltlos aufeinander ver-lassen konnten. Selbst der »Nationalsozialistische Führungsoffizier« machte hierbei keine Ausnahme. Dies war nicht überall so. Extreme Haltungen, sowohl in der Form eines ausgeprägten Nationalsozialis-mus wie auch eines hemmungslosen Fatalismus in der inneren Einstellung mancher jüngerer Offiziere außerhalb meiner Abteilung, zeigten doch zuweilen, dass die Dauer des Krieges und die Indoktrination sich auswirkten. [...] Wir konnten uns aber auch nicht mit dem Gedanken abfinden, dass nunmehr end-gültig das Ende Deutschlands gekommen sei. Dieses Sich-nicht-abfinden-Wollen drängte mir darüber hinaus Überlegungen darüber auf, welche Verpflichtungen sich für mich aus meiner damaligen Stellung heraus für die Zukunft nach dem Kriege ergeben.“

„Um das notwendige Schlüsselpersonal für die spätere Arbeit sicherzustellen, wurden drei Gruppen ge-bildet, die sich an drei vorbereiteten Punkten in den Alpen solange – etwa 3 Wochen – aufhalten soll-ten, bis das große Durcheinander, das bei Kriegsende zu erwarten war, in einigermaßen überschaubare Verhältnisse übergegangen war. Dann sollten sich diese Gruppen bei der nächsten amerikanischen Ortskommandantur melden und sich in Gefangenschaft begeben. Da zu erwarten war, dass die Ameri -kaner versuchen würden, dieses Ic-Personal mit längerer Erfahrung in eigener Regie selbst einzusetzen, wurden die Gruppen angewiesen, sich zu keiner Mitarbeit bereitzuerklären, bevor sie einen schriftlichen Befehl von mir persönlich erhalten hätten.“

Dann wurde es Ernst: „Während der beiden Pfingstfeiertage genossen wir die Gastfreundschaft der El-tern Erwins, mit denen wir uns viel zu erzählen hatten. Am Dienstag früh machten wir uns mit unseren

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Rucksäcken auf den Weg zum Bürgermeisteramt, in dem der Ortskommandant sein Domizil aufge-schlagen hatte. Ich kann mich noch gut an meine damaligen Gefühle erinnern. Auf der einen Seite emp-fand ich eine Art Galgenhumor, dass ich – immerhin Generalmajor in einer wesentlichen Stellung wäh-rend des Krieges – mich nunmehr einem jungen amerikanischen Oberleutnant ausliefern musste. An-dererseits gab es kein Zurück. Der Ortskommandant war verständlicherweise sehr aufgeregt, als sich bei ihm ein General und vier Generalstabsoffiziere meldeten. Welchen »Fang« er gemacht hatte, konnten wir ihm nicht auseinandersetzen, da er kein Deutsch und wir damals kein Englisch sprachen. Er rief so-fort bei seiner vorgesetzten Dienststelle an und erhielt die Weisung, uns einzeln nacheinander zu der Division nach Wörgl zu bringen. Ich wurde als erster in einen Jeep der MP [Military Police] verfrachtet und bei dem G-2, dem Feindlagenbearbeiter der Division, in Wörgl abgeliefert. Dieser G-2 erfasste so-fort welche Bedeutung unsere Selbstgestellung hatte und zeigte sich an einer Befragung sehr interes-siert. Ich wurde von ihm in Gegenwart einer Sekretärin vernommen, die über diese Aussagen Protokoll führte. Die wichtigsten Fragen erstreckten sich zunächst allerdings weniger auf meinen früheren Fach-bereich als vielmehr auf die Verhältnisse in Deutschland in der Zeit des Nationalsozialismus.“ Das konnte nicht wirklich überraschen, verdeutlicht aber, worum es den Amerikanern nach dem Sieg ur-sprünglich ging.

Generalmajor Reinhard Gehlen träumte nicht von einer Fortsetzung des Ostkrieges mit angloamerika-nischer Unterstützung. Seine Stellung erlaubte es ihm, den Amerikanern nach dem Krieg weiszuma -chen, er wüsste Schlimmes über das Militär und die Absichten der Sowjets; und das galt es ab 1945 den Amerikanern einzureden, die die Sowjetunion nach der Unterstützung, die ihr Amerika während des Krieges gegen Hitler-Deutschland geleistet hatten, auf dem Weg einer Liberalisierung des kommunisti-schen Reiches sahen. Lassen wir ihn selbst berichten: „Bis jetzt war ich, einschließlich des uns betreuen-den Vernehmungsoffiziers, nur amerikanischen Offizieren begegnet, die die Lage ausschließlich unter dem Eindruck der offiziellen [amerikanischen] Propaganda sahen. Fast alle, mit denen ich bisher ge-sprochen hatte, waren der Auffassung, dass die Sowjetunion sich vom Kommunismus hinweg zu einem liberalen Staat entwickele. Von Stalin wurde immer als von »Uncle Joe« gesprochen. Über die tatsächli-chen expansiven Ziele der Sowjets bestanden bei meinen bisherigen Gesprächspartnern keinerlei Vor-stellungen.“ Unter diesen Umständen wäre es nach dem Krieg gewiss möglich gewesen, eine Liberalisie-rung der Sowjetunion auszuhandeln, sich in der deutschen Frage zu einigen und auch die zeitnahe Rückführung der deutschen Kriegsgefangenen zu erreichen. Doch daraus wurde nichts. Jetzt wurde Reinhard Gehlen erst einmal nach America überführt, wo man ihn intensiv befragte.

„Schon am Tage nach meinem Eintreffen wurde ich am Vormittag in den Garten heruntergeführt, wo mich ein Captain mit Namen Hallstedt begrüßte und sich mit mir in die Sonne auf eine Bank setzte. Captain Hallstedt war ein adrett aussehender, sympathisch wirkender Offizier. Er mochte etwa 35 Jahre alt sein und entsprach in seiner Haltung und seinem Auftreten unseren deutschen Vorstellungen über den Offizier schlechthin. Er war, wie ich später erfuhr, von deutscher Abstammung, Amerikaner in der zweiten Generation. In Hallstedt traf ich den ersten amerikanischen Offizier, der russlandkundig war, der die kommende politische Entwicklung illusionslos einschätzte und sich darüber eigene Gedanken machte. Diese Begegnung sollte die entscheidende sein für die weitere Entwicklung meiner Pläne.“ Da hatte er also sein erstes Opfer gefunden. Wer die Welt sieht, wie ich es mir wünsche, hat Ahnung von der Welt und ist ohne Illusionen. Pluspunkt: wie ein deutscher Offizier. Sigmund Freud lässt grüßen: Diese Begegnung sollte die entscheidende sein für die weitere Entwicklung meiner Pläne.

„Wir führten ein langes Gespräch über die politische und militärische Lage, er erkundigte sich einge-hend nach meiner früheren Tätigkeit. Nachdem er gegangen war, hatte ich nunmehr eine Nacht Zeit, um mir darüber klar zu werden, ob ich die Karten auf den Tisch legen sollte. Ich tat dies nicht sofort in vollem Umfange, sondern wir tasteten uns in mehreren Gesprächen zunächst weiter aneinander heran. Hierbei ergab sich nebenbei die Möglichkeit, allmählich meine Gedanken über die Zukunft sowie über meine Absichten und Zielvorstellungen einfließen zu lassen. Die Reaktion des Captains war positiv. Ich nehme an, dass Hallstedt seinen Vorgesetzten, dem G-2 des Oberkommandos, General Sibert, sowie dem Chef des Stabes, General Bedell Smith, über unseren Dialog laufend vortrug und dabei angewiesen wurde, die Unterhaltungen im positiven Sinne fortzusetzen, denn Hallstedt wurde von Gespräch zu Ge-spräch aufgeschlossener. Wir kamen schließlich überein, eine kleine Gruppe meiner früheren Mitarbei-ter, unter ihnen Wessel, in Stärke von acht Offizieren zusammenzuziehen. Sie sollten den Amerikanern zeigen, über welche besonderen Möglichkeiten und Kenntnisse wir verfügten. Ich gab Hallstedt eine Reihe von Briefen und die Namen der hierfür ausgewählten Offiziere, so dass er sie aus den Kriegsge-fangenenlisten ermitteln konnte, um sie nach Wiesbaden zu holen. Es dauerte viele Tage, bis die Grup-pe zusammen war. Hallstedt erzählte mir nach seiner Rückkehr mit einem amüsierten Lächeln, dass er

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alle Herren zunächst angesprochen hätte, ohne meinen Brief vorzuweisen; sie wären allesamt völlig un-zugänglich gewesen, bis er den Brief, der wie eine Art »Sesam öffne dich« gewirkt habe, hervorzog. Er gab freimütig zu, wie sehr ihn diese Haltung beeindruckt habe.“

Schön, dass sich der Amerikaner so fürstlich amüsiert hat. Auf diese Art hatte Gehlen jedoch abgesi-chert, dass sein Plan aufging. Er nahm sich die Zeit, in Ruhe zu sondieren, ob er mit den Amerikanern Fußball spielen konnte, und nachdem er alles vorbereitet hatte, ließ er die anderen Spielfiguren auf den Tisch holen. Mir fiel auf, dass er die Deutschen in seinem Büchli auf Seite 58 als ungeeignete Verschwö-rer bezeichnete. Kann ja sein, er hatte sich etwas dabei gedacht. „Seinen neuen Verbündeten bot Geh-len, wie er es nannte - »gute Deutsche«, die ideologisch auf einer Linie mit dem siegreichen Westen sei -en.“ Wenn diese Argumentation die Amerikaner überzeugt hat, muss ich leider annehmen, dass sie nicht wussten, wie ein richtiger Nazi getickt hat und was „ein guter Deutscher“ zu jener Zeit vom Wes-ten im Allgemeinen und von America im Besonderen hielt. Aber es ist schön, dass sich die Amerikaner über ihren Erfolg gefreut haben.

„Ein erster Schritt war getan. Ein kleiner Kreis meiner engsten Mitarbeiter war um mich versammelt. Damit waren wir in die Lage versetzt, uns über die verschiedensten Fragen auszusprechen und uns ge -genseitig abzustimmen. Die nächste Zeit verging mit Gesprächen über die verschiedensten Themen aus Vergangenheit und Zukunft. Meine Unterhaltungen mit Hallstedt kreisten immer wieder um das gleiche Thema: Das Zerbrechen des alliierten Bündnisses kann nur eine Frage der Zeit sein. Damit wird der bis-her nur unterschwellig spürbare Ost-West-Gegensatz aufbrechen und zu Gefahren für die Sicherheit Europas wie auch der Vereinigten Staaten führen. Wie können wir angesichts dieser Zukunftserwartun-gen möglichst bald zur Zusammenarbeit gelangen? – Wir beide waren überzeugt, dass es hierzu kom-men müsse, waren uns aber auch der Schwierigkeiten bewusst, die sich zwangsläufig ergeben muss-ten. Zunächst einmal stand noch keineswegs fest, dass mein Vorschlag, das deutsche nachrichtendienst-liche Potenzial für die USA nutzbar zu machen, außerhalb des amerikanischen G-2-Dienstes positiv auf-genommen werden würde. Der G-2-Dienst freilich wusste, wie gering die eigenen Kenntnisse über »Un-cle Joe« und sein Imperium im Augenblick waren. Dem G-2-Dienst musste daher, wie die bisherigen Gespräche gezeigt hatten, das Angebot auf Zusammenarbeit nicht nur einleuchten, sondern sogar verlo-ckend erscheinen. Seine Annahme würde ihm viele organisatorische Arbeit ersparen. Sie gewährleistete außerdem den Zugang zu Erkenntnissen, deren Beschaffung aus eigener Kraft erst nach Jahren möglich gewesen wäre. Aber im allgemeinen Bewusstsein war die Sowjetunion der Verbündete und Siegespart-ner, an dessen Freundschaft und demokratische Entwicklung viele noch glaubten. Waren nicht die Amerikaner auch deshalb in den Krieg gezogen, um den »preußisch-deutschen Militarismus« auszurot-ten? Konnte man der eigenen Öffentlichkeit, ja selbst der Masse der eigenen Offiziere zumuten, ange-sichts der Naziverbrechen, die das Fraternisierungsverbot ausgelöst hatten, nun mit ehemaligen deut-schen Offizieren und früheren Angehörigen des deutschen Nachrichtendienstes zusammenzuarbeiten? [...] Wenn die Sprache auf meine Vorschläge kam, so war noch um die Jahreswende 1945/46 die Reakti -on ausweichend, da man offensichtlich zu diesem Zeitpunkt noch die damit verbundenen politischen Risiken scheute. Uns wurde gesagt, man müsse abwarten, bis sich die öffentliche Meinung gegenüber Deutschland beruhigt und gegenüber den Russen abgekühlt habe. Die Öffentlichkeit müsse erst einmal die Sowjets und das sowjetische Problem so sehen wie es in Wirklichkeit gesehen werden müsste, an-dernfalls würden in einem demokratisch geführten Staat wie den Vereinigten Staaten sowohl außenpoli-tische wie innenpolitische Schwierigkeiten eintreten.“

Verehrtes Publikum! Sie dürfen jetzt nicht lachen, auf welcher Grundlage sich diese Zusammenarbeit zwischen den Westdeutschen und ihren Freunden in America letztlich abspielte. Sie wurde in einem Gentlemen’s Agreement fixiert. Stellen Sie sich also vor, Sie schließen mit jemandem einen Vertrag ab. Es geht darum, dass Sie sich gegen einen Dritten verteidigen und dafür die Hilfe Ihres Partners nutzen wollen. Ihr Partner gedenkt jedoch, nicht unter Ihnen oder auch nur für Sie zu arbeiten, sondern nur mit Ihnen zusammen – aber unter seiner eigenen Regie. Sobald er souverän ist, dürfen Sie ihm jedoch noch nicht einmal mehr die Aufgaben stellen. Doch Sie sollen den ganzen Spaß finanzieren. Ihr Partner gibt Ihnen dafür die Informationen, die er für richtig hält, die Sie allerdings in absehbarer Zeit nicht überprüfen können. Ist Ihr Partner erst einmal souverän, kann er darüber entscheiden, ob die Arbeit überhaupt fortgesetzt wird oder nicht. Sie dürfen den Partner wiederum nur bis zu diesem Zeitpunkt betreuen. Sollte Ihr Partner einmal vor einer Lage stehen, in der Ihr und sein Interesse voneinander ab-weichen, so steht es Ihrem Partner frei, der Linie seines eigenen Interesses zu folgen. Sie hatten sich aber zuvor verpflichtet, Ihrem Partner die dabei entstehenden Unkosten zu begleichen. Wenn Sie das unterschreiben würden, dann sind Sie ein Amerikaner. Sie können diesen Text gerne auch auf den Sei-ten 149 und 150 in Der Dienst von Reinhard Gehlen selbst nachlesen.

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„1.) Es wird eine deutsche nachrichtendienstliche Organisation unter Benutzung des vorhandenen Po-tenzials geschaffen, die nach Osten aufklärt, bzw. die alte Arbeit im gleichen Sinne fortsetzt. Die Grund-lage ist das gemeinsame Interesse an der Verteidigung gegen den Kommunismus.2.) Diese deutsche Organisation arbeitet nicht »für« oder »unter« den Amerikanern, sondern »mit den Amerikanern zusammen«.3.) Die Organisation arbeitet unter ausschließlich deutscher Führung, die ihre Aufgaben von amerikani-scher Seite gestellt bekommt, solange in Deutschland noch keine neue deutsche Regierung besteht.4.) Die Organisation wird von amerikanischer Seite finanziert, wobei vereinbart wird, dass die Mittel dafür nicht aus den Besatzungskosten genommen werden. Dafür liefert die Organisation alle Aufklä-rungsergebnisse an die Amerikaner.5.) Sobald wieder eine souveräne deutsche Regierung besteht, obliegt dieser Regierung die Entschei-dung darüber, ob die Arbeit fortgesetzt wird oder nicht. Bis dahin liegt die Betreuung dieser Organisati-on (später »trusteeship« genannt) bei den Amerikanern.6.) Sollte die Organisation einmal vor einer Lage stehen, in der das amerikanische und das deutsche In-teresse voneinander abweichen, so steht es der Organisation frei, der Linie des deutschen Interesses zu folgen.“

Das hat dieser General Sibert im vollsten Ernst unterschrieben. Für seine Landsleute zwischen dem sonnigen California und New York wurde die Unterschrift unter das Stück Papier verdammt teuer. Soll Herr Gehlen seinen Erfolg selbst kommentieren: „Besonders der letzte Punkt mag verwundern, da hier doch zur Diskussion stehen könnte, ob der Vertreter der Amerikaner dem Deutschen nicht zuviel zuge-standen habe. Gerade dieser Punkt zeugt jedoch von der Weitsichtigkeit des Generals Sibert. Er übersah klar, dass die Interessen zwischen den Vereinigten Staaten und der Bundesrepublik auf lange Zeit iden -tisch sein würden.“ Ein Arzt wird einem Patienten mit Weitsichtigkeit eine Brille empfehlen. An Stellen wie dieser frage ich mich, ob jemand bei der CIA Gehlens Memoiren gelesen hat, und wenn, ob der Zy-nismus in seiner Sprache auffiel. Schon die Stelle Besonders der letzte Punkt macht klar, dass er wusste, dass er dem Amerikaner ein unverschämtes Stück Papier zur Unterschrift vorgelegt hatte.

Genau so schön ist auch dies. Nach dramatischen Wendungen auf der Bühne der großen Politik gab es überraschenderweise schon im Jahre 1949 die deutsche Regierung, von der das Gentlemen’s Agreement noch nebulös orakelt hatte. Hören Sie auch dazu Gehlen persönlich: „Die deutsche Regierung begann, sich für uns zu interessieren. Zunächst verbot mir zwar, am 21. 12. 1949, Mr. M., wohl auf Weisung von Washington, weitere Verhandlungen mit deutschen Regierungsstellen zu führen, die Zukunft der Orga-nisation sei ausschließlich US-Angelegenheit. Es wurde befürchtet, dass wir die Interessen der späteren Verbündeten stören könnten. Dieses Verbot stand nicht im Einklang mit unseren Abmachungen. Es wurde von mir stillschweigend nicht akzeptiert.“ Ich mache nämlich, was ich will. Was wollt Ihr mir denn?

Als Jahrzehnte ins Land gegangen waren, versuchte sich der Journalist der New York Times und zwei-fache Pulitzer-Preisträger Tim Weiner an einer Gesamtdarstellung der nicht besonders glorreichen Ge-schichte des Auslandsgeheimdienstes der Vereinigten Staaten. Sie erschien erst nach der Jahrhundert-wende unter dem Titel CIA – Die ganze Geschichte. Das Vorwort zur deutschen Ausgabe macht klar, wie begierig die bis dahin so siegreichen Amerikaner die „Informationen“ aufsaugten, die Gehlen ihnen anbot: „Im Sommer 1945 erblühte in den Trümmern von Berlin eine seltsame Romanze – amerikani-sche und deutsche Geheimdienstler umwarben einander. Männern wie Captain John R. Boker jr., in dessen Familienstammbaum deutsche Vorfahren zu finden waren, leuchtete das Argument dafür un-mittelbar ein. »Damals war der ideale Augenblick, um Informationen über die Sowjetunion zu gewin-nen – wenn wir je welche bekommen wollten«, sagte er. Als erster Amerikaner rekrutierte Captain Bo-ker General Reinhard Gehlen, den Leiter der Abteilung Fremde Heere Ost in Hitlers Generalstab, der an der Ostfront gegen die Rote Armee eingesetzt war. Die neue Beziehung beruhte auf einem Gedanken, der so alt ist wie der Krieg selbst: Der Feind meines Feindes ist mein Freund.“ Ach so. Diese Logik bleibt mir gerade etwas rätselhaft. Warum sollte der Feind meines Feindes mein Freund sein?Was auf der an-deren Seite die Trümmer von Berlin angeht – in Gehlens Memoiren geht es um eine ganze Reihe von Orten im Süden und Südwesten Deutschlands; von Berlin ist darin ganz bestimmt keine Rede. Wie kam dieser anonyme Autor überhaupt auf die umkämpfte Reichshauptstadt? Die ersten Amerikaner tauch-ten dort erst im Juli auf.Doch bleiben wir im Vorwort: „Gehlen war ganz versessen darauf, für die Amerikaner zu arbeiten. »Von Anfang an«, sagte er später, »haben mich folgende Überzeugungen geleitet: Die entscheidende Kraft-probe zwischen Ost und West ist unvermeidlich. Jeder Deutsche ist verpflichtet, sein Teil dazu beizutra-

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gen, so dass Deutschland die Aufgabe hat, die ihm zufallenden Missionen für die gemeinsame Verteidi-gung der christlichen Zivilisation des Westens zu erfüllen.«“ Das klang in den Ohren der Amerikaner of-fenbar logisch, weil es ihrem Bild von den Nazis entsprach. Hätte Gehlen das jedoch ernst gemeint, dann hätte er nicht gemeinsam mit seinen Männern den Endsieg des Österreichers über die Bolschewis-ten verhindert. Darüber hatte er dieFreunde in America offensichtlich nicht informiert.

Eine Illustration lieferte Gehlen gleich persönlich. Ihm war nicht unbekannt, dass „die Sowjets in der deutschen obersten Führung über eine gut orientierte Nachrichtenquelle verfügen mussten“, da sie „in kürzester Zeit über Vorgänge und Erwägungen, die auf deutscher Seite an der Spitze angestellt wurden, bis ins Einzelne unterrichtet“ waren. Da stellte sich natürlich die Frage: Wer war es? Probieren Sie mal die Wendungen langes Schweigen, ein Geheimnis, den Schlüssel, verhängnisvolle Rolle, aufs Sorgfäl-tigste, die rätselhaftesten Fälle und engster Vertrauter in zwei Sätzen unterzubringen. Gehlen schaffte das: „Ich will an dieser Stelle mein langes Schweigen um ein Geheimnis brechen, das – von sowjetischer Seite aufs Sorgfältigste gehütet – den Schlüssel zu einem der rätselhaftesten Fälle unseres Jahrhunderts in sich birgt. Es ist die verhängnisvolle Rolle, die Hitlers engster Vertrauter, Martin Bormann, in den letzten Kriegsjahren und danach gespielt hat.“ Der gute Mann schrieb auch nicht: vermutlich gespielt hat. Er hat und fertig; dazu lieferte er keinen Beweis, nichts. Spekulationen und warme Luft. Sein Text gipfelt in den Sätzen: „Zwei zuverlässige Informanten gaben mir in den 50er Jahren die Gewissheit, dass Martin Bormann perfekt abgeschirmt in der Sowjetunion lebte. Der ehemalige Reichsleiter war bei der Besetzung Berlins durch die Rote Armee zu den Sowjets übergetreten und ist inzwischen in Russ-land gestorben.“ Sehen Sie? Dann hat Hitlers Vertrauter alles verraten! Das macht mich sehr betroffen.

Vollkommen unabhängig davon würdigte er 77 Seiten später seinen Kollegen, „den Oberstleutnant Baun, den Leiter der Dienststelle Walli I, in Bad Elster“. Hermann Baun hatte „auch zuletzt noch Ver-bindungen bis unmittelbar nach Moskau unterhalten können“. Während es hier wahrhaftig keiner blü-henden Phantasie bedarf, in Baun die undichte Stelle zu vermuten, äußerte Meister Gehlen bei ihm noch nicht einmal einen Anfangsverdacht. Dafür lenkte er das Augenmerk des Lesers ohne jegliches In-diz auf den Alt-Nazi Martin Bormann, der bekanntermaßen den Bunker des Fuehrers verließ, bevor sich selbiger Fuehrer dort seines Lebens beraubte. Genau der muss es gewesen sein, der den Russen alles verraten hat.

Es erschien mir anfangs recht unwahrscheinlich, dass ein Rambo die Amis allein auf das neue Gleis set-zen konnte; und siehe da, das war gar nicht nötig. General Reinhard Gehlen hatte einen ganzen Anhang im Gefolge: „Viele Freunde und Untergebene des Leiters der Abteilung Fremde Heere Ost (FHO) des Oberkommandos der Wehrmacht, General Reinhard Gehlen, waren in die Verschwörung [gegen Adolf] verwickelt gewesen. An ihrer Spitze stand wohl Alexis Freiherr von Roenne, 1940 zur FHO versetzt, ab 1942 Major und Leiter der Gruppe III der FHO und seit 1944 Oberst und Leiter der Abteilung Fremde Heere West. [...] Gestapo-Chef Heinrich Müller leitete im persönlichen Auftrag Hitlers eine Sonderkom-mission mit 400 Spezialisten zur Untersuchung des Attentats. Die Spur Roenne führte ihn auch zur FHO.“

Heinrich Walle führte in Aufstand des Gewissens aus, dass schon seit der Röhm-Affäre von 1934 und verstärkt durch die unwürdige Ablösung von Generaloberst Werner Freiherr von Fritsch im Jahr 1938 in den oberen Rängen der Wehrmacht das Bedürfnis nach Widerstand gegen den Führer wuchs. „Blom-berg wie auch Fritsch hatten geglaubt, der Wehrmacht durch Anpassung einen herausragenden Platz im Dritten Reich sichern zu können. Bei der übereilt durchgeführten Aufrüstung waren diesen Offizieren jedoch Bedenken vor Sanktionen des Auslands gekommen, vor allem als Hitler am 5. November 1937 vor den Oberbefehlshabern und dem Außenminister die Lösung seiner Lebensraumforderungen durch eine kriegerische Auseinandersetzung in naher Zukunft bekanntgab und die militärische Niederwerfung der Tschechoslowakei und Österreichs 1939 ins Auge fasste. Dagegen hatten Blomberg und Fritsch Ein-wände erhoben. Bei Generaloberst Fritsch hatte sich nach der Röhmaffäre, durch die Eindrücke der zu-nehmenden Kirchenverfolgung und durch dauernde Reibereien mit der SS eine Distanzierung vom Na-tionalsozialismus vollzogen. So kam es Hitler gelegen, den zögernden Kriegsminister und den unbe-quem gewordenen Oberbefehlshaber des Heeres entlassen zu können. Gleichzeitig wurden weitere Ge-nerale entlassen. [...] Dennoch blieb Hitlers Misstrauen gegen das Offizierskorps zu Recht wach. In der Tat begannen als Folge der Fritsch-Affäre die Ansätze zur Bildung einer bürgerlich-konservativen Op-position gegen Hitler. [...] Ihr technisches Zentrum bildete sich im Amt Ausland/Abwehr (Spionage und Spionageabwehr) im OKW unter Admiral Wilhelm Canaris und seinem engsten Mitarbeiter Oberstleut-nant Hans Oster. Diesen Männern waren schon bald auf Grund ihrer eingehenden Informationen die Augen über die verbrecherischen Methoden und Ziele der neuen Machthaber aufgegangen. Canaris und

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vor allem Oster traten mit dem Chef des Generalstabes des Heeres, General der Artillerie Ludwig Beck, in Verbindung. Hatte General Beck 1933 noch den Siegeszug der nationalsozialistischen Bewegung be-grüßt, so kamen ihm schon bald aus vorwiegend fachlich-technischen Gründen ernste Bedenken über die Folgen der neuen Politik. Spätestens nach dem endgültigen Entschluss Hitlers am 30. Mai 1938, die Tschechoslowakei anzugreifen, sah er eine drohende kriegerische Verwicklung mit Frankreich und Eng-land, die den Bestand von Volk und Vaterland ernsthaft gefährden musste. Hier waren für ihn die Gren-zen des militärischen Gehorsams erreicht.“

Es blieb nicht ohne Folgen, dass sich der Widerstand gegen den Krieg gerade in dem Amt Ausland/Ab -wehr (Spionage und Spionageabwehr) bildete. So gelang es letztlich, den Sieg in diesem Krieg davonzu-tragen. Den fanatischen Militärs war dann irgendwann aufgefallen, dass ihre Aufklärungsorgane nichts beziehungsweise nichts Brauchbares auf die Reihe bekamen. Obwohl der Zweite Weltkrieg an sich ja schon eine irre Veranstaltung war, darf davon ausgegangen werden, dass er aus zwei Kriegen bestand: einem Krieg um den Endsieg und dem Krieg um ein schnelles Ende des Krieges. Beide Kriege forderten zahllose Opfer.

Wilhelm Canaris war der Chef der Abwehrabteilung im Reichskriegsministerium, und Reinhard Gehlen war der Chef der Militärspione im Osten. „Als der Ostfeldzug ins Stocken geriet, schob man die Schuld dem zuständigen militärischen Nachrichtendienst, genannt Abteilung »Fremde Heere Ost«, in die Schuhe.“ Inzwischen ist mir klar, dass man es der Abteilung auch nicht umsonst zuschrieb, dass dieser rassistisch motivierte und genauso geführte Krieg vor den Baum ging. Weil es im Westen dann offen-sichtlich wurde, hat man Wilhelm Canaris, den Chef der Spione, 1944 hingerichtet. Wenn Sie Bilder von ihm sehen – ein Vatertyp mit warmen, schönen Augen. Ein Mensch und kein Fanatiker. Die Nazis ha-ben noch nach mehreren Jahren nicht gerafft, dass die Spionagechefs ihre Informationen so hinbogen, dass der Krieg möglichst schnell zu Ende ging, hoffend, dass schon bald einem Attentat auf den Führer der Fanatiker inzwischen Erfolg beschieden sein möge.

In den Memoiren Reinhard Gehlens finden sich unter anderem einige Seiten über Admiral Wilhelm Ca-naris. In der gebotenen Kürze will ich nur ein paar Sätze exemplarisch zitieren, um einen Eindruck vom Verhältnis dieser beiden Männer zu vermitteln: „Die Persönlichkeit des Admirals ist fünfundzwanzig Jahre nach seinem tragischen Tode – er wurde am 9. April 1945 nach einem höchst fragwürdigen Ver-fahren vor einem SS-Gericht in Flossenbürg hingerichtet – noch immer mit einem scheinbaren Schleier des Zwielichtes umgeben. Er teilt dieses Los mit vielen anderen hervorragenden Persönlichkeiten des Nachrichtendienstes im In- und Ausland, wie z. B. mit Oberst Nicolai. In manchen Veröffentlichungen äußern sich Verfasser, die den Admiral sicherlich nicht gründlich gekannt haben dürften, kritisch über seine Persönlichkeit und sein Wirken. Sie werfen ihm Zaudern, mangelndes Stehvermögen und letztlich immer wieder Undurchsichtigkeit vor.“

Dabei lag es im Auge des jeweiligen Betrachters, wie man den Admiral sah. Undurchsichtigkeit werden ihm die Kämpfer für den Endsieg vorgeworfen haben; die Abgeklärten unter den Kriegskameraden sa-hen ihn sicherlich eher so: „Dagegen spricht vor allem die Verehrung, welche die Angehörigen der »Ab-wehr« dem Admiral entgegenbrachten und auch heute noch entgegenbringen.“ Wären aber alle Kame-raden zu den Abgeklärten zu zählen gewesen, hätte Gehlens Abteilung nicht „nach außen abgeschirmt“ sein müssen, und es wäre nicht so wichtig gewesen, dass sich diese Männer „vorbehaltlos aufeinander verlassen konnten“. Bei Gehlen findet sich folgerichtig auch diese Feststellung: „Dem Nationalsozialis-mus stand Canaris ablehnend gegenüber. Ebenso wie Generaloberst Beck litt er ständig darunter, dass seine innere Einstellung dem unter Bezug auf Gott geleisteten Diensteid widersprach.“ Marion Dönhoff, die sich äußerst emanzipiert in der Männerdomäne bewegte, notierte später: „Sehr beschäftigte die Kreisauer auch das Problem der Loyalität in der Diktatur, das Recht auf Widerstand, die Bedeutung des Eides, die Bestrafung der Kriegsverbrecher.“ Bei der Gräfin fand ich auch Worte von Ludwig Beck, dem Chef des Generalstabs der Wehrmacht, an die ihm unterstellten Offiziere: „Ihr soldatischer Gehorsam hat dort eine Grenze, wo Ihr Wissen, Ihr Gewissen und Ihre Verantwortung Ihnen die Ausführung eines Befehls verbieten.“

Vielleicht interessiert es Sie, dass diese Anweisung auf einer Grundfeste des preußischen Befehls basier-te. Er war nur bindend, wenn er höherem Gesetz nicht widersprach. Erst 1934 wurde schließlich jeder Soldat auf den Führer vereidigt, was es dem Gewissen viel schwerer machte, den Führer selbst über die Klinge springen zu lassen. General Ludwig Beck gab auch die Order aus: „Es ist ein Mangel an Größe und an Erkenntnis der Aufgabe, wenn ein Soldat in höchster Stellung in solchen Zeiten seine Pflichten

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und Aufgaben nur in dem begrenzten Rahmen seiner militärischen Aufgaben sieht, ohne sich der höchsten Verantwortung vor dem gesamten Volk bewusst zu werden.“

Heinrich Walle berichtete, wie das Leben auch ohne Beck weiterging: „Becks Nachfolger, General der Artillerie Franz Halder, übernahm am 28. August [1938] das Amt des Chefs des Generalstabs des Hee -res. Er wollte ebenfalls das Risiko eines großen Krieges vermeiden und griff daher frühere Staatsstreich-pläne seines Vorgängers auf, für den Fall, dass Hitler den Angriff gegen die Tschechoslowakei befehlen sollte. [...] Emissäre Halders und Osters informierten Mitglieder der britischen Regierung und versuch-ten, sie zu einem Kurs der Härte gegen Hitlers Forderungen zu bewegen. Oberstleutnant Oster hatte den konservativen Ewald von Kleist-Schmenzin zum damaligen britischen Oppositionsführer Winston Churchill entsandt, General Halder hatte durch den Hauptmann Karl Boehm-Tettelbach mit dem briti-schen Kriegsministerium Verbindung aufnehmen lassen. Im Auftrage des Staatssekretärs des Auswärti-gen Amtes, Ernst Freiherr von Weizsäcker, informierte der Botschaftsrat der deutschen Botschaft in London, Theo Kordt, den britischen Außenminister Halifax über die Pläne der Opposition. Großbritan-nien sollte dadurch zu einer unnachgiebigen Haltung veranlasst werden, damit Hitler das Kriegsrisiko unmissverständlich klargemacht würde. Die Engländer blieben jedoch mißtrauisch. Großbritannien suchte zu einer vertraglichen Lösung der Sudetenfrage zu kommen. Für die Durchführung einer mögli-chen Aktion im Rahmen der Staatsstreichpläne wurde der Kommandierende General des III. Armee-korps und Befehlshaber im Wehrkreis III (Berlin), General der Infanterie von Witzleben, gewonnen. [...] General Halder sollte den auslösenden Befehl geben, General von Witzleben die Durchführung lei-ten. [...] Außer der Verhaftung von Regierungsmitgliedern und Parteifunktionären war die Verhaftung Hitlers in der Reichskanzlei geplant. Hitler sollte nach den Vorstellungen von General Beck und einigen Verschwörern vor Gericht gestellt und abgeurteilt werden. Damit hoffte man die Entstehung einer neu-en »Dolchstoßlegende« zu verhindern. Oster und der an der Verschwörung beteiligte Reichsgerichtsrat Dr. Hans von Dohnanyi wollten ihn durch ein Ärztekonsilium unter dem Vorsitz von Dohnanyis Schwiegervater, dem Psychiater Prof. Karl Bonhoeffer, für geisteskrank erklären lassen. [...] Zur Durch-führung des Staatsstreiches kam es jedoch nicht. Als die Verschwörer bereit zum Losschlagen waren, kam es zur »Münchener Konferenz« am 29./30. September 1938. Hier erklärte sich der britische Pre-mierminister Chamberlain, der französische Ministerpräsident Daladier und der italienische Staatsfüh-rer (»Duce«) Mussolini mit der Angliederung des Sudetenlandes an das Reich einverstanden. Ein Staatsstreich gegen den wiederum erfolgreichen »Führer« war damit unmöglich geworden.“

„Dass ein Umsturz unvermeidlich war, dass man sich dafür voll einsetzen müsse, wurde Peter Yorck schon sehr früh klar. Aber für ihn wie auch für Moltke, die beide sehr bewusst als Christen lebten, war die Vorstellung, Hitlers Ermordung planmäßig zu organisieren, ein schweres Problem, die anderen nicht so zu schaffen machte. Moltke weigerte sich, die Verbrecher mit»Gangstermethoden« zu beseiti-gen: »So kann man keine neue Epoche einleiten!« York teilte seine Meinung nicht ganz so eindeutig, je weiter die Zeit fortschritt. In der letzten Zeit hatte er sich dann auch selbst zur Aktion durchgerungen. Alle miteinander aber hielten es für ihre Pflicht, darüber nachzudenken, was getan werden müsse, wenn es einmal so weit sein würde.“ Sie lesen hier Erinnerungen von Marion Dönhoff. „Viel wurde über die letzten Dinge der Politik gegrübelt, über die Rolle des Staates und die Grenzen der Freiheit. [...] Wäh-rend Peter Yorck und Helmuth Moltke brauchbare, integre Menschen sammelten, die den neuen Staat bauen und verwalten sollten, und während sie sich bemühten, gemeinsam mit diesen moralische und politische Maßstäbe für das nachhitlersche Deutschland zu entwickeln, wurden die oppositionellen Offi-ziere von Zweifeln hin- und hergerissen: In der Phase spektakulärer Siege war es zu früh, Hitler umzu-bringen, zu groß schien die Gefahr der Dolchstoßlegende; und als die Rückschläge einsetzten, war es vielleicht schon zu spät, um etwas anderes als bedingungslose Kapitulation zu erreichen. Dennoch wur-de immer wieder Vorbereitung für ein Attentat getroffen, die immer wieder auf fast magische Weise scheiterte, weil Hitler seine festgesetzten Pläne oder vorgesehen Routen änderte.“

Aber wir waren bei den Fremden Heeren Ost: „Ein neues Management sollte gefunden werden, und so betraute man im April 1942 Gehlen mit der Leitung, obwohl dieser sich nie mit Geheimdienstarbeit be-fasst hatte, keine Fremdsprachen beherrschte und von Russland keine Ahnung hatte. In dieser Verset-zung wurde die Geringschätzung deutlich, welche die Tradition preußisch-deutscher Generalstabsoffi-ziere dem Metier der Geheimdienstleute entgegenbrachte.“ Das kann er der Oma erzählen. Welcher Ös-terreicher hätte aber auch vermuten sollen, dass man aus dieser Abteilung zum Chef machen konnte, wen man wollte, und hatte doch immer denkende Deutsche vor sich, die die Arbeit ihrer Vorgänger fort-setzten? Wie zum Beispiel Alexis Freiherr von Roenne nach Wilhelm Canaris. Und wie behalf sich Geh-len mit den Sprachen? „Ich holte mir als ersten Mitarbeiter (Ia) den Oberstleutnant i. G. Freiherr von Roenne und als Gruppenleiter I den Major i. G. Herre, beides hochqualifizierte Generalstabsoffiziere,

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die auch russisch sprachen, in die Abteilung“, so Gehlen. „Die Gruppe III setzte sich aus Russlandspe-zialisten zusammen, zumeist Deutschen, die in Russland geboren waren, Land und Leute kannten und die russische Sprache wie ihre Muttersprache beherrschten.“

„Gehlen gelang es, die Arbeiten in »Fremde Heere Ost« stärker zu systematisieren, doch die Analysen blieben mäßig bis schlecht.“ Dass sie sich manchmal sogar mäßig ausnahmen, lag am Selbsterhaltungs-trieb Gehlens. Er wäre auch hingerichtet worden, hätte man aus den ausnahmslos schlechten Berichten und Analysen eher geschlussfolgert, dass sich der „Spion“ darum sorgte, dass dieser Krieg nicht mit ei-nem Endsieg für diesen Psychopaten aus Braunau am Inn enden darf, der als Kind immer geärgert wor-den war, er hätte jüdische Vorfahren. Schon als Kind in der größten DDR auf der Welt hatte ich eine Leidenschaft für treffsicheren politischen Humor. So erstaunt es nicht, dass mir ein Spruch des Diplo-maten von Etzdorf gefällt. Bei passender Gelegenheit brachte er „in Anlehnung an den Titel einer Schrift von Schopenhauer: Die Welt als Wille und Vorstellung die wirklichkeitsfremde Denkweise Hit-lers auf den bitteren Nenner: Die Welt als Wille ohne Vorstellung“.

Wenn ich hier behaupte, man hätte aus der Abwehr zum Chef machen können, wen man wollte, so wird das unter anderem damit illustriert, dass auch der nächstbeste Kandidat auf deutscher Seite gekämpft hat und nicht auf der österreichischen, zumindest nicht für Hitlermausi. „Als Gehlens Stellvertreter Gerhard Wessel unterrichtet wurde, dass der Umsturzversuch missglückt war, öffnete er mit einem Nachschlüssel den Schreibtisch seines erkrankten Chefs und vernichtete die belastenden Unterlagen. Als die Gestapo dann am nächsten Tag in Gehlens Büro eindrang, konnte sie keinen Hinweis auf die konspirative Verbindung des FHO-Chefs zum Widerstandskreis mehr finden. So blieb dem General ein ähnliches Schicksal erspart wie dem Abwehrchef, Admiral Wilhelm Canaris, der wenige Monate später im Konzentrationslager Flossenbürg unter dem Fallbeil starb.“

Nein, nicht nur der spätere BND-Chef Gehlen spielte mit dieser Welt Blinde Kuh. Der von den hiesigen Medien erzeugte Eindruck, die Bundesrepublik sei nichts als ein Refugium für antikommunistische Alt-Nazis gewesen, wurde nicht nur von einer Justiz geprägt, die aus ehrlichem Herzen auf dem rechten Auge blind war, sondern er rührte auch daher, dass eine ganze Reihe bedeutender Persönlichkeiten, wie die erste Ministerriege Adenauers oder auch Ministerpräsidenten verschiedener Bundesländer, nicht als Leute aus dem Widerstand geoutet wurden. Wen hätten denn die einheimischen und die aus dem Osten in Konrad Adenauers Reich geflüchteten Nazis auch wählen sollen, wenn klar gewesen wäre, dass beide deutsche Staaten von den „Antifas“ regiert wurden? Auf der anderen Seite wurden dann später lang und breit jene Personen ausgewertet, die politisch vorbelastet waren, um es ganz vorsichtig auszudrücken. Es lässt allerdings auch tiefe Einblicke in die Unabhängigkeit der westdeutschen Medien zu, wenn die Verstrickung von Personen in das Staatswesen der Nazis nicht publik wurde, so diese ihr Wirken später in den Dienst der antifaschistischen Aufklärung stellten wie zum Beispiel der Nachkriegs-Fabulator Günter Grass: , , , ; , , . Der hatte bei der SS Vorgesetzte, Kameraden, Freunde, Feinde – und da hat kei -ner mal einen Leserbrief an die unabhängigen Medien geschrieben?

Ein anderer Akteur, der den Amerikanern nun allerdings mit größerer Berechtigung Angst vor den Mos-kauern einjagte, war Hans Herwarth von Bittenfeld. Er war Ende der dreißiger Jahre ein Diplomat an der deutschen Botschaft in Moskau. „Er erzählte US-Vertrauensleuten alle Einzelheiten der deutsch- sowjetischen Annäherung von 1939. Nach dem Krieg wurde er Protokollchef des Auswärtigen Amtes (bis 1955), Botschafter in London (1955-1961), Chef des Bundespräsidialamtes (1961-1965), Präsident des Goethe-Institutes (1971-1977) und nach der Pensionierung Aufsichtsratsvorsitzender der Deutschen Unilever.“

Wie begeistert der deutsche Diplomat von Hitlers Außenpolitik war, erfahren wir von Strauß: Hans Herwarth von Bittenfeld „war ein hoch angesehener Diplomat, der in den dreißiger Jahren an der Deut-schen Botschaft in Moskau tätig gewesen war und am Tag nach dem Hitler-Stalin-Pakt aus Protest in das Heer eintrat, ein mutiger Schritt, aus dem er nie Aufhebens machte.“ Erläuternd hieß es an anderer Stelle: „denn die Wehrmacht, namentlich das Heer, war keineswegs die Speerspitze des Nationalsozia-lismus, sie war im Gegenteil in gewisser Weise sogar ein Refugium, das vor vielerlei Zumutungen des Regimes eine gewisse Zuflucht bot. Auch Hitler hat das nicht anders gesehen, schließlich kam aus dem Heer der einzige ernst zu nehmende Schlag gegen ihn.“

Sehr viel deutlicher noch als Strauß wurde der Autor Peter Hoffmann in seinem Aufsatz fürAufstand des Gewissens – Militärischer Widerstand gegen Hitler und das NS-Regime: „Vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges gab es im nationalsozialistischen Deutschland offen organisierten Widerstand nur vonsei-

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ten der Kirchen und der Reichswehr; danach stellten sich einzelne, meist an einflussreicher Stelle, aber nicht unter Berufung auf ihre Amtspflicht, sondern in persönlicher Gewissensentscheidung gegen das Regime. Bei Ausbruch des Krieges kamen zu den Berufssoldaten und Wehrdienstpflichtigen Regime-gegner aus zivilen Berufen in die Wehrmacht, z. B. in das OKW/Amt Ausland/Abwehr der Jurist und Reichsgerichtsrat Dr. Hans v. Dohnanyi als Sonderführer (Major), ferner Pfarrer Dietrich Bonhoeffer, die Juristen Dr. Hans Bernd Gisevius und Dr. Josef Müller [über ihn werden Sie mehr hören, und nach weiteren Namen schließt dieser Satz mit] Peter Graf York, Ulrich Graf Schwerin, Hans Herwarth v. Bit-tenfeld dienten im Heer.“

Sollten Sie die Wehrmacht für einen gewöhnungsbedürftigen Fluchtpunkt für oppositionelle Zivilisten halten, dann geht es Ihnen wie mir. Darauf muss man wirklich erst einmal kommen. Aber dort sind die Waffenträger in einer großen Anzahl zu finden, die gegen scheußliche Zustände mehr tun können, als Flugblätter gegen den Krieg verteilen. Die dann von den Leuten noch nicht einmal gelesen werden.Und woher weiß so ein oppositioneller Zivilist, wo er sich hinwenden muss mit seinem Anliegen? Da kann man ja nicht den Flur lang gehen, nach dem Lottoprinzip mal an eine Tür klopfen und sagen: Gu-ten Tag, ich bin der oppositionelle Zivilist. Ich will jetzt mal etwas gegen die scheußlichen Zustände un-ternehmen. Das ging damals böse ins Auge. Aber dieses Vorgehen war 1939 schon nicht mehr nötig: „Oberstleutnant Oster war auch der maßgebliche Verbindungsmann zu zivilen Oppositionellen, vor al-lem aus dem Bereich des Auswärtigen Amtes. Dort hatten einige verantwortungsbewusste Diplomaten ebenfalls die Gefahren von Hitlers außenpolitischem Hasardspiel erkannt.“

Wenn ich den Autoren des Buches Verrat in der Normandie – Eisenhowers deutsche Helfer, den em-pörten Friedrich Georg, richtig verstehe, hatten neben Reinhard Gehlen auch andere deutsche Militärs die Gefahren einer verbrecherischen Kriegsführung erkannt und anschließend dem Krieg den Krieg er-klärt. Die gute National-Zeitung war so freundlich, sein gutes Buch publik zu machen. Friedrich Georg hat in mühevoller Detailarbeit den Weltkrieg nachträglich gewonnen, ein Unterfangen, das ich immer für einen sinnlosen Zeitvertreib für ältere Herren und für kleine Jungs hielt. Im einleitenden Text wird gesagt, dass der Autor der Frage nachgeht, „ob organisierter Verrat und Sabotage durch hohe und höchste deutsche Offiziere den Erfolg der alliierten Landung in der Normandie erst möglich gemacht haben. Autor Friedrich Georg geht zahlreichen Anzeichen nach, dass es im Juni 1944 am Atlantikwall eine organisierte Verschwörung gegeben haben könnte. Neue Erkenntnisse, die sich aus der Freigabe geheimer russischer Archive, aus Berichten von Militärwissenschaftlern, Memoiren der Beteiligten, so-wie kritischen Untersuchungen von Fachleuten ergeben, erfordern nach Ansicht des Verfassers eine völ-lig neue Sicht auf die Invasion. Georg hat eine atemberaubende Indizienkette zusammengetragen, die es unwahrscheinlich erscheinen lässt, dass allein Zufall für das Versagen der deutschen Seite verantwort-lich gewesen ist.“

In einem Interview wurde der Autor gefragt: „Obwohl die Verteidiger am Strand von der deutschen Führung ihrem Schicksal überlassen wurden, hätten diese über Stunden beinahe allein schon die Lan-dung in Bedrängnis gebracht. Die deutsche Hauptmacht aber wartete bis Ende Juli 1944 untätig Ge-wehr bei Fuß auf eine angebliche zweite alliierte Invasion in Pas-de-Calais, die nie kam. Hätte die Inva-sion in der Normandie beim rechtzeitigen Einsatz aller deutschen Einheiten abgewehrt werden können?“ Darauf antwortete der empörte Autor: „Ja, eindeutig. Hier sind sich alle Fachleute auf beiden Seiten der ehemaligen Kriegsgegner einig. Es standen genügend deutsche Truppen bereit, um noch in der Nacht vom 5. auf den 6. Juni 1944 in den Invasionsraum herangeführt zu werden, da hätte man noch nicht einmal die 15. Armee in Pas-de-Calais als Sicherheitsreserve benötigt. Nach der unterbliebe-nen rechtzeitigen Alarmierung der Küstenverteidigung war das Ausbleiben des vom deutschen Kriegs-plan geforderten gepanzerten Gegenstoßes der zweite bisher unerklärliche Kardinalfehler der deutschen Verteidigung. Stattdessen überließ man die Verteidiger am Strand ihrem Schicksal, nachdem man ihnen noch wenige Tage vor der Landung die Hälfte der Munition weggenommen und nach hinten abgefahren hatte. Dennoch brachten die wenigen stationären Divisionen der Strandverteidigung die Invasionstrup-pen zeitweise in große Schwierigkeiten, und so gab es vom 10.–15. Juni 1944 in London eine inoffizielle Erörterung der englischen und US-amerikanischen Stabschefs. Dabei beschloss man sowohl den Aus-bau des Landungskopfes als auch den Rückzug der alliierten Truppen, falls die Wehrmacht ihren Wi-derstand verstärken und innerhalb von sieben bis acht Tagen einen größeren Gegenschlag führen wür-de. Dies fand nicht statt, stattdessen hielten die inadäquaten Handlungen des OKW und der Befehlsha-ber der Heeresgruppen an. Der dritte große Fehler der Deutschen war, die in unmittelbarer Nähe vor-handenen Reserven Wochen oder Monate hindurch nicht einzusetzen. Ein in der Kriegsgeschichte na-hezu einmaliger Vorgang. Trotz allem befanden sich die Alliierten noch Mitte Juli 1944 in einer Krise, was die Deutschen nicht einmal bemerkten.“ Das lag dann sicher daran, dass Deutsche in aller Regel

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doof sind und nichts bemerken. Jeder darf jedoch selbst entscheiden, ob er meint, es habe sich bei den großen Fehlern der führenden deutschen Offiziere wirklich um Fehler gehandelt – und worin die Alter-native bestand.

Der Redakteur der National-Zeitung fragte danach: „Worauf führen Sie zurück, dass die deutschen Ver-teidigungskräfte zurückgehalten wurden und sich auf der Kommandoebene der Deutschen Fehler an Fehler reihte?“ Darauf antwortete der empörte Friedrich Georg: „In Anbetracht der lückenlosen Indizi-enkette mehr als höchst merkwürdiger Ereignisse im Umfeld der Landung, die für die deutschen Betrof-fenen an der Front oft tragisch endeten, bleibt jedem objektiven Betrachter nur der eindeutige Schluss übrig, dass wir es hier mit einer organisierten Aktion hoher und höchster deutscher Offiziere zu tun ha-ben. Gemeinsames Ziel war die eigene Niederlage!“

Auf die Frage: „Wussten die Westalliierten, dass Verrat und Sabotage auf der deutschen Seite ihnen in die Hände spielen würde?“ sagte Herr Georg: „Seit 1943 waren hier aktive Verhandlungen im Gange, um den Alliierten ihre riskante Landung mit deutscher Hilfe zu ermöglichen. Die Verhandlungen liefen vor allem über die Türkei, Spanien und die Schweiz. Maßgebend war wohl das Treffen zwischen Cana-ris, Donovan und Menzies in Santander im Sommer 1943, das alles Weitere in die Wege leitete. Bis Mai 1944 lagen Roosevelt mehrere deutsche Angebote vor, die Invasion zu erleichtern. Aus dem Leverkühn-Brief wissen wir, dass dazu verspätete Abwehrmaßnahmen gehörten, wie sie dann ja auch erfolgten. Ei-senhower durfte also darauf hoffen, dass sein Landungsrisiko verringert werden würde.“ Rückten die Amerikaner später auch deswegen von ihrem Morgenthau-Plan ab, der die dauerhafte Deindustrialisie-rung unseres Landes vorsah? Als Gegenleistung für die Unterstützung ihres Sieges über Nazi-Deutsch-land? Oder ging das nur auf den Einspruch Stalins zurück?

Der Gewinner Georg wurde auch gefragt, „welche hohen und höchsten deutschen Offiziere“ dabei eine entscheidende Rolle gespielt hätten, worauf Georg sagte: „Wir können hier nur von Indizien ausgehen, die aber teilweise recht massiv und überzeugend sind. Danach sind die Handlungen von Canaris, Spei-del, Dollmann, von Roenne, Wagner, Finkh und später von Kluge sehr auffällig – um es milde auszu-drücken. Eine Vielzahl von weiteren Entscheidungsträgern im Westen und bei OKW und OKL haben dabei eifrig mitgewirkt. Ich denke hier nur mal an die Vorgänge bei der Luftwaffe.“ Herr Georg scheint häufig in den einschlägigen Archiven zu sein und selten in den Büchern von Leuten zu schmökern, die sich mit dem Widerstand gegen die Naziherrschaft beschäftigen. Dort findet man Namen der von ihm benannten Männer nämlich wieder. Es wird nun sicher niemanden verwundern, dass die Deutschen, die vom Widerstand führender Offiziere gegen den Endsieg des neuen Napoleon wussten, nach dem Krieg nicht hausieren gingen mit dem Wissen. Der Autor des Buches Verrat in der Normandie – Eisen-howers deutsche Helfer fand nun durchaus keine Erklärung dafür, warum sich Deutsche in Entschei-dungspositionen für den Krieg gegen diesen Krieg entschieden hatten. Als ob man die Motive dieser Männer nicht an wenigen Fingern abzählen könnte, gab er auf eine diesbezügliche Frage die freundlich zurückhaltende Antwort: „Es ist nach über 60 Jahren kaum möglich über die Motive von Leuten zu sprechen, die teilweise noch nicht einmal bekannt sind. Ich möchte mich deshalb hier nicht an solchen Spekulationen beteiligen.“

Nö, an solchen Spekulationen über die Motivationen jener Menschen mochte sich der Herr nicht gern beteiligen; aber über seine Spekulationen zu „Verrat und Sabotage auf der deutschen Seite“ schrieb der gute Mann ein ganzes Buch. Dafür hat seine Zeit gereicht. Je länger ich mich mit der Materie beschäfti -ge, desto mehr weiß ich die mäßigende Wirkung eines guten Pfarrers zu schätzen. Der konnte den klei-nen Jungs beispielsweise schon sehr früh das Bibelwort beibringen, Du sollst nicht töten. Mal abgese-hen von Zeiten des Krieges. Aber dann sollst du nicht viehisch töten. Es gab nämlich auch damals schon verabredete Normen für die Kriegsführung, und wer auch nur Gerüchte darüber gehört hatte, wie mit Partisanen in der Sowjetunion oder mit Partisanen der französischen Resistance umgegangen wurde, wird gebetet haben, dass es hinterher keine Kollektivstrafe für alle Männer gibt, die in deutschen Uni -formen gesteckt hatten, ganz zu schweigen von ihren Frauen in der Heimat. Hier dürfte dann auch ein Zusammenhang zu den Aufständen der Wehrmacht gegen die SS in Wien und in Paris im Zusammen-hang mit dem Attentat von 1944 bestehen.Was den letztendlich geleisteten Widerstand angeht, darf er gewiss auch nur als die Spitze eines Eisber-ges angesehen werden. Nicht jeder, der einmal irgendetwas nicht ganz in Ordnung fand, was da in sei-nem Blickfeld vorging, ist gleich losgezogen und hat Flugblätter unter’s Volk geworfen. Ganz bestimmt nicht. Für alle, die es vergessen haben – 1933 bildete sich in Deutschland über mehrere Monate allmäh-lich eine Diktatur heraus, eine Regierungsform, die bis dahin in Deutschland ohne historisches Vorbild war. Für den Umgang mit diesem Phänomen gab es also auch keine fertige Handlungsanleitung. Seit

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dem späten Mittelalter waren die Leute in unserem Raum an eine funktionierende Rechtsprechung ge-wöhnt, und es ist umso höher zu würdigen, wenn einer unter den neuen Umständen auf eigene Faust oder ganz und gar zusammen mit anderen etwas gegen die neue Erfahrung einer Willkürherrschaft un-ternahm. Ich habe am Ende der achtziger Jahre auch in Bautzen gewohnt und wusste, dass es dort einen Stasi-Knast gab und habe mich nicht davor gestellt und protestiert. Man hat in aller Regel auch nur unter vertrauten Menschen Kritik an dem System geübt. Ich ging nach der Wende für einige Jahre nach Kassel, und nachdem sich meine Macke in Wohlgefallen aufgelöst hatte, wies man mich darauf hin, dass ich mich am Anfang überall immer erst umgesehen habe, wer um uns herum war. Diese Schutzhandlung war in meiner Diktatur so in Fleisch und Blut übergegangen, dass sie sich erst ganz langsam verlor.

Einen Eindruck von seinen persönlichen Gefühlen in den dreißiger Jahren lieferte mein Namensgeber, Onkel Reinhard, der 1924 geboren wurde, in Spiegelbilder meiner Entwicklung: „Wenn in der jüngeren Vergangenheit ein namhafter Politiker [gemeint war Helmut Kohl, CDU] den Begriff der »Gnade der späten Geburt« prägte und damit meinte, Gott sei Dank in eine Zeit hineingeboren zu sein, die eine »Schuldzuweisung für die Gräuel der Nazizeit« nicht mehr zulasse, so kann bei meiner Generation wohl eher von einem »schicksalhaft gnadenlosen Geburtstermin« gesprochen werden. Mit dem politischen Umbruch 1933 wurden Weichen gestellt, die unsere Nation direkt ins Verderben lenkten. Als das Volk den neuen Herrschern zujubelte, waren wir noch Kinder, und so prägte mich diese Zeit nachhaltig. Frühzeitig geriet ich in einen Zwiespalt. Mein sozialdemokratisches Elternhaus lehnte das an die Macht gekommene Regime ab. Schule und Hitlerjugend verlangten von mir, der neuen Ideologie bedingungs-los zu folgen; und das, obwohl uns diese Institutionen – aus heutiger Sicht betrachtet – gnadenlos und systematisch auf einen Krieg vorbereiteten, der ohne den Endsieg nicht vorstellbar war. Ich kann sagen, dass die damals erlernte Maxime, etwas zu akzeptieren, was ich selbst bzw. mein Elternhaus ablehnte, sowohl meine Kindheit als auch die Zeit darüber hinaus stark beeinflusst hat.“

Warum wurde diese für Deutschland historisch neue Zwangssituation für die Nachgeborenen nicht rea-listisch vermittelt? Warum wurde so verfahren, wie es der Journalist und spätere Diplomat Günter Gaus beschrieben hat: „Der in der Bundesrepublik mehrheitlich anerkannte Widerstand gegen die damalige Mehrheit des deutschen Volkes, die nationalsozialistischen Bürokraten, Handlanger und Mitläufer in allen Schichten der Gesellschaft, war bald nach der Staatsgründung im Jahre 1949 auf die Opposition in Stabsquartieren, auf Rittergütern und in großbürgerlichen Herrenzimmern eingegrenzt worden. So wurde der befremdliche Vorgang von Verweigerung, von Unangepasstheit für die – tonangebende, breit gewordene, in manchen Formen neuartige, in den Machtstrukturen und Abhängigkeiten jedoch weithin restaurierte – Mittelstandsgesellschaft in Kreise versetzt, zu denen man aufblicken konnte, ohne sich im Verhalten und Benehmen mit ihnen vergleichen zu müssen. Ein Widerstand – nicht tatsächlich, aber in der öffentlichen Vorstellung – wie auf dem satinierten Papier der »Eleganten Welt«. Des Widerstands aus der Wohnküche, in Arbeitervierteln der Großstädte, der sich in aller Ohnmacht früher regte als der auf den Landsitzen und in Generalkommandos, wurde nach dem Kriege fast immer nur in betroffenen Zirkeln gedacht, wenig oder gar nicht von Staats wegen. Das Verschwinden des sozialdemokratischen Stadtverordneten aus der kleinbürgerlichen Nachbarschaft im Lager – das hätte selbst noch in der Erin-nerung verlegen machen können.“ Und hätte, wäre es behutsam angewandt worden, heilsam gewirkt; stattdessen wurde die Erinnerung an diese Form des Widerstands verdrängt und abgewürgt.

Wenn da aber viele in den deutschen Eliten, viele, die dafür in die KZs gegangen wurden, und viele, die nicht den Arsch in der Hose hatten, etwas zu unternehmen, gegen diesen größenwahnsinnigen Krieg und diesen furchterregenden Rassismus waren, so kann man mit Sicherheit nicht mehr von einem Dolchstoß reden. Dann hatte der Österreicher am Tage seiner Machtergreifung eher eine entsicherte Handgranate geschluckt. Eine Diktatur hat eben ihre eigenen Spielregeln, und es ist nicht einfach, dann brauchbare Leute zusammenzukriegen, mit denen man am Ende Pferde stehlen kann. So hat man sich das vorgestellt. Die Leute haben ruhiggehalten, also wollten sie tote Juden. 98,7 Prozent.

Wenn jemand mal Zeit übrig hat, kann er mir ja erklären, warum wir hier einfach kein ausgewogenes Geschichtsbild zustande bekommen. Kann man nicht sagen, dass sich in den dreißiger und vierziger Jahren bei den Deutschen ein Zivilisationskampf abspielte? Die einen waren in ihrem Übereifer zu jeder Schandtat bereit und hatten leider die Staatsführung auf ihrer Seite, und die anderen hatten leider Got-tes zu jener Zeit die Staatsführung und die Justiz nicht auf ihrer Seite. Wem ist denn nur damit gedient, wenn die Ablehnung jenes völlig überhöhten Nationalismus in einer vergangenen Zeit heute zu einer pauschalen Verurteilung des Nationalstolzes führt? Sonst hätte man nach dem Krieg konsequenterweise

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auch diese Autobahnen wegreißen müssen. Ausgerechnet von Reinhard Gehlen stammt diese Erkennt-nis: „Dieses wahrhaft stolze Gefühl meiner französischen Partner, ja aller Franzosen über die Parteien hinweg, hat mich häufig beeindruckt. Es drückte sich aus in den Worten eines französischen Freundes, der mir einmal sagte: »Nur der kann ein zuverlässiger Europäer werden, der zunächst einmal ein guter Franzose, ein guter Engländer, ein guter Italiener oder ein guter Deutscher ist und auf das Gute in der geschichtlichen Tradition seines Landes stolz ist.«“ So kann man das auch betrachten. Stefan Luft trat mit einem Buch für ein anderes Konzept bei der Integration von Zuwanderern nach Deutschland auf den Plan. Dort zitierte er unter anderem aus einem Artikel von Reinhard Müller, der am 3. November 2005 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung stand: „Woher soll der Stolz von Einwanderern auf das neue Heimatland kommen, wenn selbst die einheimische Elite ein distanziertes Verhältnis dazu pflegt? Deutschland ist ein Land, in dem Minister Probleme mit Amtseid und Hymne haben; in dem man selbst in Veranstaltungen des Goethe-Instituts mitunter kaum ein deutsches Wort hört; wo auf mancher Kon-ferenz der Max-Planck-Gesellschaft ausschließlich deutsche Teilnehmer auf englisch radebrechen; ein Land, dessen führende Konzerne sich global nennen und gebärden, obwohl doch alle Welt sie als deutsch (oder gar bayerisch) wahrnimmt; ein Land, das das Interesse der Welt an seiner Sprache und an seinem Rechtssystem mit der Kürzung der Mittel für den Kultur und Wissenschaftsaustausch beant-wortet. Warum sollte sich ein Türke zu diesem Land bekennen, das dessen eigene Bürger verachten?“ Schön ist auch sein Hinweis, dass in diesem Land jede Kultur willkommen ist, die nicht mit dem Attri-but deutsch in Verbindung steht. Ich wünsche mir, dass den Kindern mit Stolz von den Männern und den Frauen erzählt wird, die in vielen Bereichen der Gesellschaft das ihnen Mögliche für das Ende der Herrschaft der Nazis und für ein Ende des Krieges getan haben. Mit Nationalstolz. Weil es nicht hilft, ihn wegzudiskutieren. Das gelingt ohnehin nur in einem Spektrum, das nicht zum Nazismus neigt, und überlässt sinnigerweise den Stolz auf dieses Land und seine Geschichte denen, die dem Namen dieses Landes Bärendienste erwiesen haben und noch heute erweisen.

Als erstes Zeichen der schon lange überfälligen Perestroika in diesem Land will ich nie mehr verlogene Reden am 3. Oktober, dem Todestag von Franz Josef Strauß und späteren Tag der deutschen Einheit, hören müssen. Dieses Datum hatte sein bester Intimfeind, Helmut Kohl, cool ausgewählt. Mein rechter, rechter Platz ist leer, ich wünsche mir den 15. November als deutschen Staatsfeiertag, den Geburtstag von Claus Philipp Maria Graf Schenk von Stauffenberg. Wegen der Wahrheit und Klarheit der deut-schen Politik.

Damit komme ich zurück zu Aufstand des Gewissens – Militärischer Widerstand gegen Hitler und das NS-Regime. Die Beteiligung eines Franz Josef Strauß an der Verschwörung wurde in dem Produkt aus dem Jahre 1985 noch nicht erwähnt. Zu jener Zeit gab er seinem Publikum noch den Beelzebub. Hätte man um dieses Detail früher gewusst, wäre er von einigen wohl eher für den Dolchstoß gehalten wor-den. In dem Buch wurde zumindest angemerkt: „Schon die Ermittlung der Fakten war und ist – wie sich das angesichts des Untersuchungsgegenstandes fast von selbst versteht – äußerst schwierig. Trotz-dem hat die historische Forschung in mehr als drei Jahrzehnten ohne Zweifel Bedeutendes geleistet, so dass die Militärgeschichte in vielen wichtigen Bereichen auf einigermaßen gesichertem Boden steht. Selbst diese Ergebnisse sind jedoch in der Bundeswehr und in der Öffentlichkeit keineswegs so verbrei-tet, dass die Teilnehmer der Diskussionen über dieses Thema – und der 40. Jahrestag des 20. Juli 1944 wird in besonderer Weise zu intensiver Diskussion anregen – von einer gemeinsamen Wissensgrundla-ge ausgehen können.“ Diese „gemeinsame Wissensgrundlage“ hätten aber auch die Alliierten gut ge-brauchen können. Die Forschung hinkt ja sowieso immer hinterher; doch die Beteiligten haben ge-wusst, wer an den verschiedenen missglückten Staatsstreichen beteiligt war; schwiegen sich darüber al-lerdings aus und forderten Schlesien zurück.

Die mehr oder minder korrekte Info, die Fachleute wie Hans, Franz oder der Reinhard ihrenfri-ends in America gaben, hatte jedenfalls den gewollten Effekt – den Amerikanern wurde in Gestalt der Sowjetunion ein neues rotes Tuch vorgehalten, auf das sie sich jetzt konzentrieren konnten. Man muss demokratisierwütige Amis einfach beschäftigen. Die Amerikaner haben daraus anschließend den Schluss gezogen, jetzt bestünde die Notwendigkeit des Feldzuges gegen den Kommunismus, und unter-stützten dann selbst die rauhbeinigsten Diktaturen überall, so sie nur antikommunistisch genug waren. Nicht schön. Supermacht.

Der Autor von Weiners Vorwort war amüsiert: „Allen Dulles, einer der Gründungsväter der Central In-telligence Agency, fand die Anwerbung von General Gehlen prachtvoll: »Im Spionagegeschäft gibt es selten Heilige. Er ist auf unserer Seite, und nur das zählt.« Das Interesse der Amerikaner am Erwerb auch noch der geringfügigsten Informationen, die Gehlen über die Sowjets besaß, wog schwerer als die

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Frage, was er und seine Leute während des Krieges getan hatten.“ Genau wie Markus Wolf gingen sie davon aus, dass sie alles über Herrn Gehlen wussten, und haben großzügig verziehen, „was er und seine Leute während des Krieges getan hatten“. Sie wussten aber gar nicht, was er und seine Leute während des Krieges getan hatten und was sie ihnen verzeihen sollten; es gab nämlich auch damals schon mehre-re Deutsche, und die haben in dieser Diktatur auch nicht alle das gleiche getan. Vorurteile sind einfach mal schädlich.

In einer Zusammenstellung von Interviews mit amerikanischen Zeitzeugen, erschienen 1991 unter dem Titel Die Rattenlinie – Fluchtwege der Nazis, kann man nachlesen, wie die Amerikaner geleimt worden waren. Victor Marchetti, der in der Rattenlinie als früherer Chefaufklärer der CIA über die Sowjetunion bezeichnet wird, erinnerte sich in einem der Interviews an „Informationen über die chemische und bio-logische Bewaffnung der Russen“ und beklagte, dass sie „von einer gefährlichen Ungenauigkeit“ gewe-sen seien. Er bemerkte, einige Jahrzehnte zu spät, die Mitarbeiter von Generalmajor Reinhard Gehlen „stützten sich auf unzusammenhängende Indizien, die sie durch eigene Interpretationen miteinander in Verbindung brachten. Auf diese Weise kamen sie zu dem Schluss, dass die Sowjets weit höhere Kapazi -täten auf diesem Gebiet hätten, als es tatsächlich der Fall war.“

Marchetti war felsenfest davon überzeugt, dass „diese Informationen sehr schlecht waren“, äußerte je-doch nicht die Vermutung, dass er den Deutschen auf den Leim gegangen war. Nachdem die Informa-tionen in die entscheidenden Köpfe eingedrungen waren, war die Führung in Washington also der Mei -nung, der Diktator in Moskau verfüge über Massenvernichtungswaffen. Haben sie wenige Monate spä-ter auch aus diesem Grund zwei Atombomben auf Japan abgeworfen? Wollten sie so verhindern, dass Stalin vielleicht auf die Idee kommt, biologische oder eventuell auch chemische Massenvernichtungs-waffen gegen Städte in Westeuropa einzusetzen? Sie wissen ja: beim Russen weiß man nie. Es gibt da übrigens eine Parallele zum zweiten Irak-Krieg. Auch da waren es BND-Infos, die den Amis Massenver-nichtungswaffen vorgaukelten, nachzulesen 2004 bei Erich Schmidt-Eenboom und 2006 im Spiegel. 2007 stand es dann auch in Legacy of Ashes in Amerika.

Sie dürfen aber nicht annehmen, dass bei dem Amerikaner auch nur ein böses Wort über die Deutschen steht. Im Gegenteil. Nach dem Krieg waren die Kriegsgefangenenlager von den Sowjets unterwandert worden und die falschen Infos, die den Irakkrieg auslösten, kamen von treuen Partnerdiensten: „Die Geschichte, die größte Aufmerksamkeit erregte, war die über die mobilen Laboratorien für biologische Waffen. Der Informant war ein Iraker, der sich in die Obhut des deutschen Nachrichtendienstes bege-ben hatte. Sein Deckname war »Curveball«.“ Als die Amis ihn mal sehen wollten, war das leider nicht möglich. Schönen Dank für solche Partner. Man muss Freund und Feind schon unterscheiden können. Unter dem Jahr 1951 werde ich von einem Kim berichten, von dem der BND Tag und Nacht Berichte bekam. Die waren für die Amerikaner gedacht, aber dieser Kim wollte sie dem BND geben, damit der sie an die Amerikaner weitergab. Das haben die Amerikaner dem BND im wahrsten Sinne des Wortes abgekauft. Als sie bemerkten, dass diese Informationen nicht zutrafen, sollte eine Untersuchung des Falles stattfinden, da stellte ein Kollege beim BND fest, dass dieser Kim an einer unbehandelten Lunge-nerkrankung verstorben war. Es ist davon auszugehen, dass die Amerikaner ein Beileidsschreiben an den Partnerdienst hinter dem Atlantik geschickt haben. Einen solchen Kim gab es ganz bestimmt nicht, seine Informationen aber schürten die Angst der Amerikaner vor den Sowjets.

Die besondere Bedeutung der militärtechnischen Informationen von General Gehlen dürfte in ihrer Ex-klusivität gelegen haben. Marchetti bestätigt, dass die Amerikaner in der zweiten Hälfte der vierziger Jahre noch „nichts Nennenswertes hinter dem Eisernen Vorhang“ hatten. Und danach haben sich die Russen abgeschottet und niemanden mehr sehen lassen, was sie wirklich vorrätig hatten. Das war so verständlich, wie es bedauerlich war. Es wäre interessant zu erfahren, ob Washington 1945 zumindest in Moskau nachgefragt hat, ob man sich vor Ort ein Bild von den Stätten machen dürfe, die ihnen Herrn Gehlens Spitzenleute beschrieben hatten, und ob das in Moskau vielleicht abgelehnt wurde.

Auf jeden Fall bekam Gehlen nach den Worten von Murat Williams, der als US-Botschafter in Ungarn in den fünfziger Jahren vorgestellt wird, Gelegenheit, das amerikanische Bild von den militärischen Möglichkeiten der Sowjetunion zu beeinflussen. In diesem Interview heißt es: „Unsere Gefühle gegen-über dem Kalten Krieg wurden intensiviert. Das hätte man vermeiden müssen. Dieser Kalte Krieg wäre nicht notwendig gewesen.“ Dieser Kalte Krieg war überflüssig wie ein Kropf, und er widersprach den In-teressen der Vereinigten Staaten von Amerika sowohl wirtschaftlich als auch in dem Wunsch nach de-mokratisch strukturierten Gesellschaften weltweit und nicht nur in Bayern. Harry Rositzke, der als Ge-burtshelfer der militärischen Aufklärung gegen die Sowjetunion bezeichnet wird, sagte leider erst nach

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dem Ende des furchtbar kalten Krieges: „Heute, nach vierzig Jahren, wo das sowjetische Reich zum Teil auseinanderbricht, hat diese unsere Politik des »Containments« zur Folge, dass die zwei stärksten Wirt-schaftsmächte in der Welt, die japanische und die westdeutsche, in direkter Konkurrenz zur amerikani-schen Wirtschaft stehen. Heute, wo allmählich jeder akzeptiert, dass ökonomischer Wohlstand der wichtigste Maßstab des politischen Erfolgs ist!“

Ein Schnellmerker. Da war die Rechnung Gehlens aber schon sehr lange aufgegangen gewesen. „In der Einstellung unserer amerikanischen Freunde zum weiteren Schicksal der »Organisation Gehlen« hatte sich ab Ende 1950 ein bemerkenswerter Wandel vollzogen. Sie hatten – vor allem Mr. M., aber auch die beiden Chefs der CIA, zuerst General Walter Bedell Smith, dann Allan Dulles (ab Januar 1953) – er-kannt, dass sich meine Konzeption von 1945 realisieren würde, zu der sich als erster General Sibert im »Gentlemen’s Agreement« bekannt hatte. Sie zogen daraus den Schluss, die Überführung der Organisa-tion in die Hände der Bundesregierung mit allen Kräften zu unterstützen. Amerikanische Beauftragte führten deshalb im Laufe der Jahre mehrere Gespräche mit dem Bundeskanzleramt über technische Fragen der Überführung und bewogen auf den verschiedensten Wegen auch die anderen Alliierten dazu, die gleiche zustimmende Haltung einzunehmen. Sie taten dies in der selbstverständlichen Erwar-tung, dass die enge Zusammenarbeit des Dienstes mit ihnen und den anderen Alliierten auch in Zukunft bestehen bleiben würde. Die CIA war darüber hinaus davon überzeugt, dass sich diese positive Haltung später in der zukünftigen politischen Partnerschaft der Bundesrepublik mit den Westalliierten bezahlt machen würde. Diese Rechnung ging selbstverständlich auf; die vertrauensvolle kameradschaftliche Partnerschaft trug für alle Teile reiche Frucht.“ Für den Westen Deutschlands auf jeden Fall. Der Rest der Welt hat seine Steuergelder in die Aufrüstung gesteckt.

Von Günter Gaus hatten Sie etwas über den Ursprung der sowjetischen Gefahr erfahren. Als langjähri-ger Redakteur des Spiegel wusste er allerdings auch, dass Medien wie Der Spiegel zur Unausrottbarkeit des von ihm kritisierten Blödsinns „von der kommunistischen Welteroberung“ über Jahrzehnte beitru-gen. Gaus benannte auch den offensichtlichen Widerspruch, der sich vermutlich unbemerkt in den Köp-fen einnistete: „einerseits kommt morgen der Russe, aber andererseits werden wir demnächst siegreich durchs Brandenburger Tor marschieren und den Annaberg in Schlesien zurückerobern“. Ganz selbst-verständlich hatten die Polen und die Russen vor den Deutschen Angst. Und alle anderen Nachbarn auch. Aber die intellektuelle Elite, die den Widerspruch säte, dürfte sich des Widerspruchs doch wohl bewusst gewesen sein?!

Zur Unausrottbarkeit dieser zweckdienlichen Verschwörungstheorie trugen logischerweise auch unab-hängige Wissenschaftler der bunten Republik bei. Wer unabhängige westdeutsche Geschichtsschrei-bung vom Feinsten haben will, muss unbedingt Prof. Dr. Heinrich August Winkler lesen. In Der lange Weg nach Westen heißt es bei ihm über den beginnenden Kalten Krieg: „Amerika übernahm mit dem Marshallplan jene Führungsrolle in Europa, vor der es nach dem Ersten Weltkrieg noch zurückge-schreckt war. Die Folgen der damaligen Zugeständnisse an den politischen Isolationismus waren den verantwortlichen Akteuren der USA sehr wohl bewusst. Eine Spätfolge dieser Zurückhaltung war, dass Hitler bei seiner Expansionspolitik lange Zeit auf keinen wirksamen Widerstand gestoßen war.“

Welchen Satz schloss Prof. Dr. Winkler an diesen nachvollziehbaren Gedanken über Hitlers Expansi-onspolitik an? Ohne neu Luft zu holen, setzte er an dieser Stelle fort: „Einer weiteren Ausdehnung der sowjetischen Hemisphäre wollte Amerika nicht tatenlos zusehen. Die Politik der »Eindämmung« war der Versuch, aus der Geschichte zu lernen – ein gelungener Versuch, wie man rückblickend feststellen muss.“ Hier benutzt Winkler die antizipierte Überzeugung seines Publikums, dass Hitlers Expansionis-mus völlig zu Recht ein Riegel vorgeschoben wurde, und überträgt dieses Gefühl kurzerhand auf die So-wjetunion. Damit sein Trick funktioniert, lässt er einfach das Argument weg, dass die sowjetischen Truppen in den osteuropäischen Ländern (scheinbar) die einzigen Garanten für die östlichen deutschen Nachkriegsgrenzen waren. Noch stärkeren Tobak findet man in dieser Frage bei Helmut Schmidt in den achtziger Jahren. Ihm schien es noch nach dem Amtsantritt Gorbatschows „unklug, unsere eigene Poli-tik auf ein tatsächliches Ende des russisch-sowjetischen Expansionismus zu gründen“. Schräge Argu-mentationen von dieser Klangqualität bestärkten mich, mir selbst ein Bild von den Vorgängen in unse-rem Land zu machen. Wenn dieser Professor Doktor Winkler rückblickend feststellen muss, dass der amerikanische Versuch gelang, klingt das übrigens auch nicht so, als hätte jemand darauf gehofft.

Er gelang aber erst 1990. Rückblickend muss man auch feststellen, wie rabiat Bonn offensichtlich fünf-undvierzig Jahre lang die Amerikaner an der Nase herumgeführt hat. Aber schon im Vorwort zur deut-schen Ausgabe des über achthundertseitigen Bandes CIA – Die ganze Geschichte vermerkte ja der an-

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onyme Autor, Staaten hätten keine Freunde, nur Interessen. Das war trefflich angemerkt. In Tim Wei-ners Buch fand ich die traurige Bestätigung dafür, dass es den Deutschen leicht gemacht wurde, die Amerikaner über den Tisch zu ziehen. Nach Weiners Buch darf ich mir sicher sein, dass es in Amerika vor dem Zweiten Weltkrieg ernstlich so wenig Interesse an Europa gab, dass die USA noch keinen Ge-heimdienst für das Ausland hatten. Das dürften die Herren Canaris und Gehlen gewusst haben, und darauf werden sie ihre Hoffnungen gesetzt haben. Es ist kein Witz, in Tim Weiners Buch steht, dass sie ihr Erfahrungsdefizit in diesem Bereich wettzumachen trachteten, indem sie sich Entwicklungshilfe im befreundeten England und eben allen Ernstes in der Hoffnung auf Hilfe gegen eine befürchtete Gefähr-dung durch die Sowjetunion beim Kriegsgegner Deutschland suchten. Als Ost-Deutscher kann ich dar-über leider nicht lachen. Ohne den Dummen Krieg der Amerikaner gegen die Sowjets hätten wir heute nicht den Zirkus mit den West-Deutschen, die sich jetzt als meine Retter aus der Not aufspielen. Der Chef von Gehlens Spionageabwehr, Heinz Felfe, hat dann bis zum Beginn der sechziger Jahre „die we-sentlichen Einzelheiten aller wichtigen CIA-Aktionen gegen Moskau verraten. Dazu gehörten annä-hernd siebzig größere Geheimoperationen, die Identität von mehr als hundert CIA-Agenten und unge-fähr fünfzehntausend Geheiminformationen. [...] Die CIA war in Deutschland und in ganz Osteuropa so gut wie aus dem Geschäft, und es brauchte ein Jahrzehnt, um diesen Schaden wettzumachen.“ So weit der anonyme Autor des Vorwortes. Ich gehe davon aus, dass den Freunden in Amerika am Beginn der sechziger Jahre klar wurde, dass Felfe und auch nur Felfe einen letzten Verrat begangen haben konnte. Damit wir uns hier nicht falsch verstehen – der Autor hält an der Version fest, dass der Westen ein-schließlich des BND von Felfes bösem Tun bitter enttäuscht war und „am 6. November 1961 wurde Heinz Felfe, der Chef der Spionageabwehr beim BND, von seiner eigenen Sicherheitspolizei verhaftet“.

Was blieb dem BND auch anderes übrig, als den Mann zu opfern, als er unhaltbar geworden war? Von Markus Wolf ist zu erfahren, dass Felfe schließlich im Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen um eine Bundespräsidentenwahl ausgerechnet auf Wunsch Unseres Ministers für Staatssicherheit, Erich Mielke, 1969 „im Austausch gegen einundzwanzig in der DDR inhaftierte Personen“ wieder die Sonne zu sehen bekam. Im Vorwort zur deutschen Ausgabe ist auch zu finden, dass das Wettrüsten zwi-schen den beiden „Supermächten“ nicht nur kurz nach dem Weltkrieg sondern noch in den späten fünf-ziger Jahren durch falsche Informationen vom BND angeheizt wurde. Da es sich 1945 um eine absichtli-che Irreführung der Amerikaner handelte, habe ich keinen Grund, die späteren Fehlinformationen so zu deuten wie der Autor des deutschen Vorworts zu Tim Weiners Buch über die CIA: „Der BND schluckte sowjetische Fehlinformationen – darunter in den späten fünfziger Jahren die Behauptung, Moskau be-sitze Tausende von Kernwaffen, die es nachweislich nicht hatte.“ In den fünfziger Jahren war Nikita Sergejewitsch Chruschtschow der oberste Boss in Moskau. Gemeinsam mit Eisenhower, dem Boss in Washington, D.C., suchte er Wege zur Beendigung des Kalten Krieges, um mit den freiwerdenden Mit-teln die wirtschaftliche Überlegenheit seines Wirtschaftssystems zu demonstrieren. Welcher Teufel hät-te die sowjetische Führung denn reiten sollen, zu hohe Angaben über die eigene Rüstung über den BND nach Amerika zu lancieren? Aber dafür gab es ja Phantome wie diesen Kim. Sicher erinnern Sie sich an den erst lungenkranken und danach toten Agenten Kim, der Tag und Nacht Infos anschleppte, wie es in Felfes großartiger Sammlung der Märchen, Sagen und Legenden aus seinem Leben für die Sowjetuni-on Im Dienst des Gegners so schön heißt.

Bei Weiner fehlt mir in den drei Textpassagen, in denen es um Heinz Felfe geht, die Überlegung, dass Gehlens Abwehrchef im Auftrag seines Bosses die CIA geleimt haben könnte. Es klingt nicht gut, wenn man in den beruflichen Erinnerungen des ehemaligen BND-Kollegen Oskar Reile schon 1990, und so-mit anderthalb Jahrzehnte vor Weiners Buch, zu lesen bekommt: „Bereits vor diesem Fall – im Winter 1952/53 – hatte ich General Gehlen zwei Verdachtsmeldungen gegen den in einer Außenstelle der »Org« [der Organisation Gehlen] tätigen Heinz Felfe, einen ehemaligen SS-Obersturmführer, vorgelegt, in denen ich darauf hinwies, dass die Meldungen auf Feststellungen beruhten, die vom Verfassungs-schutz in Düsseldorf getroffen waren. Mit diesen Meldungen befasste sich anschließend auftragsgemäß die Sicherheitsabteilung der »Org«. Zu meinem und anderer Mitarbeiter Erstaunen wurde Felfe trotz der vorliegenden Verdachtsmeldungen in die Zentrale der »Org« geholt und ausgerechnet der Abteilung Gegenspionage zugeteilt. Felfe gewann sehr bald das Vertrauen Gehlens, während mein Stern beim ho-hen Chef zu sinken begann. [...] In den Jahren bis zu meinem Ausscheiden aus dem Bundesnachrich-tendienst im Dezember 1961 erlebte ich noch so manches Mal, dass General Gehlen bei Entscheidungen eine unglückliche Hand hatte. Unter anderem schlug er mir und Mitarbeitern von mir bedeutende ge-heimdienstliche Unternehmen, die wir angebahnt hatten, aus der Hand und übertrug sie anderen.“ Es klingt ebenfalls nicht gut, wenn Marion Gräfin Dönhoff mit ihrem einzigartigen Charme dem geliebten Publikum im Juli des Jahres 1963 erläuterte: „Erst wenn man weiß, wie lange es dauert, einen verdäch-

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tigen Spion in den eigenen Reihen zu überführen, bekommt man eine Ahnung von den Schwierigkei-ten.“ Huch! Ja, ist es denn die Möglichkeit?

In seinen Memoiren klagte der geheimnisvolle Mr. Gehlen: „Es müsste den Rahmen meines Rückblicks sprengen, wenn ich an dieser Stelle auf die zahlreichen falschen Behauptungen, Übertreibungen und Vereinfachungen eingehen würde. Ich will mich deshalb auf einige wenige Feststellungen beschränken, die nach meiner Ansicht dennoch geeignet sind, diesen schwerwiegenden Verratsfall in einem anderen Lichte erscheinen zu lassen.“ Um es vorwegzunehmen: das gelang ihm nicht. Dafür ist seine Sprache zu unsachlich. Überhaupt habe ich mich nach meinem Übergang vom Sozialismus zum Kapitalismus ge-wundert, wie ähnlich Propaganda in allen Teilen der Heimat eines Dr. Josef Goebbels klang. Sie können das in Der Dienst auf den Seiten 286 bis 289 ja selbst nachlesen. Am Ende der Darstellung kündigt Gehlen sogar besondere seherische Qualitäten an: „Es ist damit zu rechnen, dass in Kürze unter Felfes Namen Memoiren erscheinen werden, für die das sowjetische KGB Material freigegeben hat.“ Das war etwas verfrüht. Im Dienst des Gegners erschien erst 1986. „In Kenntnis aller Zusammenhänge und Hin-tergründe habe ich indes Anlass zu der Ansicht, dass Felfe nicht so erfolgreich gearbeitet hat, wie seine Auftraggeber erwartet haben und wie es nach seinem geplanten Buch den Anschein haben wird.“ Wie man das eben so betrachtet. Aber vielleicht waren „annähernd siebzig größere Geheimoperationen, die Identität von mehr als hundert CIA-Agenten und ungefähr fünfzehntausend Geheiminformationen“ auch noch keine Katastrophe.

Im Unterschied zu Reinhard Gehlen befand das Gericht: „Seine Schuld wiegt schon angesichts des au -ßerordentlich großen Umfangs seiner langjährigen Verratstätigkeit und der hohen Bedeutung des von ihm gelieferten Materials überschwer. Auch seine persönliche Gefährlichkeit war groß, vor allem wegen seiner dienstlichen Stellung, seiner hohen Intelligenz und seiner Gewissenlosigkeit.“

Clever gingen Gericht und Medien mit der „Aufarbeitung“ dieses Falles um. Dort wurde das Augenmerk des Publikums pädagogisch wertvoll auf das eigentliche Thema der Zeit nach einem Kanzler Hitler ge-lenkt. „Im Juli 1963 fanden dann die Massenmedien rasch ihre Sensation: Im Prozess gegen Felfe und seine Komplicen, der leider in öffentlicher Verhandlung anlief, galt das Hauptinteresse nicht mehr dem Verräter und seinem Tun, sondern der angeblich »verfehlten Personalpolitik« des Dienstes. Felfes Ver-gangenheit, er war während des Krieges als Kriminalbeamter in den SD übernommen worden, was er verschwiegen hatte, stand im Mittelpunkt zahlreicher Presseartikel, in denen der Dienst mit einem ebenso subjektiven wie oberflächlichen Analogieschluss als »Sammelstelle für alte Nazis« bezeichnet wurde.“ Damit leisteten die Medien ihren Beitrag zur Verschleierung der Umstände und zugleich zur antifaschistischen Umerziehung der Westdeutschen.

Der leider in öffentlicher Verhandlung anlief. Gehlen war ein Meister seines Fachs. Soll Tim Weiner be-richten, wie der Fall in den USA gesehen wurde: „Da es der US-Armee nicht gelang, die Organisation Gehlen unter ihre Kontrolle zu bringen, obgleich sie deren Operationen freigiebig finanzierte, versuchte sie wiederholt, sie in die CIA abzudrängen. Viele von Richard Helms’ Mitarbeitern waren strikt dagegen. Einer gab zu Protokoll, es schüttele ihn beim Gedanken, mit einem Netz von »SS-Leuten mit bekannter Nazi-Vergangenheit« zusammenzuarbeiten. Ein anderer meinte warnend: »Der amerikanische Nach-richtendienst ist ein reicher Blinder, der die Abwehr als Blindenhund benutzt. Das einzige Problem: die Leine ist viel zu lang.« Helms selbst äußerte die nur allzu berechtigte Befürchtung: »Ohne Zweifel wis-sen die Russen, dass wir diese Operation durchführen.« »Wir wollten da nicht ran«, sagte Peter Sichel, damals in der CIA-Zentrale verantwortlich für die deutschen Operationen. »Das hatte gar nichts mit Moral oder Ethik zu tun, sondern in erster Linie etwas mit Sicherheit.« Doch im Juli 1949 übernahm die CIA, unter dem hartnäckigen Druck der Armee, die Organisation Gehlen. Gehlen residierte in einem außerhalb Münchens gelegenen ehemaligen Nazi-Hauptquartier und nahm Dutzende prominenter Kriegsverbrecher mit offenen Armen in seinen Kreis auf. Ganz wie Helms und Sichel befürchtet hatte, war die Organisation Gehlen auf höchster Ebene von den Nachrichtendiensten Ostdeutschlands und der Sowjetunion unterwandert. Der schlimmste Maulwurf kam erst ans Tageslicht, als sich die Organi-sation Gehlen schon längst in den westdeutschen Bundesnachrichtendienst verwandelt hatte. Gehlens langjähriger Chef der Spionageabwehr hatte die ganze Zeit für Moskau gearbeitet.“ Das war Herr Felfe.

Wen es interessiert, wie Felfes Verhältnis zu den Kameraden der braunen Fraktion beschaffen war, kann auch gleich Reinhard Gehlens Autobiographie lesen. Felfe mochte die blinden Fanatiker auch kei-nen Deut mehr als sein Herr und Meister. Das dürfte Felfe in dem Jahrzehnt mit Gehlen aufgefallen sein. Trotzdem rückt er ihn in seinem Werk in die braune Schmuddelecke und bestätigt im Osten das braune Image des Strategen in Pullach. Daneben räumt Heinz Felfe schon ein, dass im BND nicht nur

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üble Gesellen beschäftigt waren: „Unter den alten, langjährigen Mitarbeitern des RSHA [Reichssicher-heitshauptamt], die sich einen Platz in der Organisation suchten, waren subjektiv ehrliche, anständige Menschen, sogenannte Idealisten, die nicht die Naziideologie vertreten, sondern mit gutem Gewissen ihre dienstlichen Pflichten erfüllt und sich in jeder Hinsicht korrekt verhalten hatten.“

Felfe brachte die Widersprüche auf den Punkt: „Wie war es eigentlich gekommen, dass unmittelbar nach der bedingungslosen Kapitulation, nach dem Untergang des Dritten Reichs und der Auflösung der Wehrmacht, Rudimente dieses Kriegsapparates weiterexistieren und mit amerikanischer Hilfe ihre Ar-beit fortsetzen konnten, als wäre nichts geschehen? Wie war es möglich, dass die Amerikaner dem end-lich niedergerungenen Feind erlaubten, gegen den bisherigen Verbündeten dieselbe Arbeit fortzusetzen, die in der 12. Abteilung des Generalstabs des Heeres, der Abteilung Fremde Heere Ost (FHO), bis zum Kriegsende betrieben worden war? Und was waren das für Leute, die ihr Leben als Generalstabsoffiziere fortsetzen durften, die keine Umerziehung durchzumachen brauchten, wie es wenigstens die Briten mit den Kriegsgefangenen in Wilton Park gemacht hatten, die nach ihrer Auffassung geeignet sein konnten, am Aufbau eines neuen deutschen Staatswesens mitzuarbeiten?“ Er hatte Fragen über Fragen, bei de-nen Felfe seine Tränen nur mit Mühe zurückhalten konnte. Fragen, auf die der Amerikaner Tim Weiner auch zwei Jahrzehnte nach dem Ende des Kalten Krieges noch immer keine Antworten fand. Er suchte aber auch in Korea, in China, in der Sowjetunion und zu Hause in Amerika nach guten Antworten. Bei den Deutschen geht er jedoch in CIA – Die ganze Geschichte nicht ins Detail. In Deutschland war alles klar. Deutschland war aber der neuralgische Punkt nach diesem Krieg. Dort hätten seine Analysen be-ginnen und enden müssen.

Selbst der Umstand, dass lange vor Felfes bösem Tun Tausende Blitz-, Schock- und Eilmeldungen in den Jahren direkt nach dem Weltkrieg namentlich aus Berlin, Wien und aus den Kriegsgefangenenla-gern in Deutschland kamen, weckte bei Weiner nicht den Verdacht, es könne sich eventuell um eine Verschwörung unter den Agenten gehandelt haben. Stattdessen vermutet er hinter dieser Flut an falschen Infos die Gier nach Produkten wie Zigaretten. Sehr verständnisvoll. Nach den Worten Weiners traf diese Informationsschwemme auf Amerikaner, die nicht in der Lage waren, Dichtung von Wahrheit zu unterscheiden. Schade auch.

Putzig ist natürlich auch die Passage, in der Felfe vermerkt, er habe Anfang der fünfziger Jahre Herbert Wehner zum ersten Mal getroffen, der „Vorsitzender irgendeines Bundestagsausschusses“ gewesen sei. Es muss erstaunen, dass ihm entfallen war, dass Wehner damals der Vorsitzende des Bundestagsaus-schusses für gesamtdeutsche und Berliner Fragen war, denn er selbst war zu dieser Zeit im Bundesmi -nisterium für gesamtdeutsche Fragen beschäftigt – ein guter Grund, um Herbert Wehner hin und wie-der zum ersten Mal zu begegnen. Was sich durch logisches Kombinieren zum Verdacht verdichtete, ist beim Lesen der Autobiographie Heinz Felfes zur Gewissheit geworden. Natürlich hat Felfe für Gehlen böse Planungen der Amerikaner den Sowjets verraten. Wissenswert ist ebenfalls, dass ihn im Vorfeld seiner Aktivitäten in der Organisation Gehlen der britische Geheimdienst MI 6 fallen gelassen hatte, weil man bei ihm schon im Jahr 1946 eine Doppelagententätigkeit vermutet hatte, wie Wikipedia zu be-richten weiß. Er selbst konnte sich daran jedoch nur noch schwach erinnern: „Vorher hatte ich mich üb-rigens bei der Polizei beworben, nachdem ich durch mein Studium in Bonn die Voraussetzungen dafür geschaffen hatte. Die Engländer verhinderten jedoch meine Einstellung. Ihre Gründe dafür sind mir bis heute unbekannt.“ Genauso unbekannt wie der MI 6. Vielleicht noch ein Wort zu Wikipedia. Dort wur-de Heinz Felfes Buchtitel Im Dienst des Gegners – Autobiographie kreativ umgewandelt in Im Dienst des Gegners – 10 Jahre Moskaus Mann im BND. Falsche Zitate sind kein Ost-Phänomen.

Bleibt nur noch anzumerken, dass Heinz Felfe von einer sowjetfreundlichen Uncle-Joe-Stimmungin Amerika nichts wusste, die andere Zeitzeugen wie Siegfried Zoglmann jedoch nach 1990 bestätigten. Dafür untermauerte Heinz Felfe mit vorgeblichem Insider-Wissen die Weltverschwörung gegen Deutschland. Ihm sei schon während des Krieges zu Ohren gekommen, dass Briten und Amerikaner Deutschland teilen und gegen den russischen Bären in Marsch setzen wollten. Das scheint mir nicht glaubhaft, da er selbst auf der Seite 149 konstatierte, dieser Kalte Krieg habe erst „Mitte 1947“ einge-setzt. Das war aber nicht vor sondern nach dem Zusammentreffen der Amis mit Reinhard Gehlen.Je mehr Darstellungen ich zur Nachkriegsgeschichte lese, um so besser fügen sich die Puzzleteile zu-sammen und ergeben ein Bild. Anders als bei einem Puzzlespiel gibt es im richtigen Leben aber deutlich mehr Einzelteile als für das Bild nötig sind, so dass es darauf ankommt, die brauchbaren von den un -brauchbaren Teilen zu trennen, um langsam ein realistisches und lebenstaugliches Bild vor seinem geis-tigen Auge zu entwickeln. Es war ganz gewiss eine gute Idee Im Dienst des Gegners von Heinz Felfe erst zu lesen, nachdem ich das Feld rundum abgegrast hatte. Dieses Meisterwerk der deutschen Literatur

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steht in der großen Tradition von Wissenschaftlern wie Wilhelm und Jacob Grimm, wenn es sich auch bei den Bildern auf schwarz-weiße Fotos beschränkt. Der Künstler zeigt sich befähigt mit der Mutter -sprache umzugehen wie ein Chamäleon mit seinen Farben. Angepasst an den Inhalt changiert er in ei-nem beeindruckenden Spektrum zwischen der nüchternen Sprache des Agenten im Krieg, der keinen Zweifel lässt an seinen fachlichen Qualitäten und seiner Eignung, und einer Sprache, die bis hin zu den Feinheiten der Wortwahl jeden Journalisten des Neuen Deutschland aus Ost-Berlin in den Schatten stellt. In dieser Art schreibt kein Eiferer für eine Ideologie. So schreibt ein Profi, der weiß, wie Leute funktionieren.

Mit einem lachenden und einem weinenden Auge stelle ich fest, dass der Ost-Berliner 001 Markus Wolf nach der richtigen Methode vorging; er setzte die Puzzleteile zusammen; und er hatte Recht, als er meinte, dass die gegnerische Seite auch nur mit Wasser kochte. Bleibt nur zu ergänzen, dass ein Ge-richt, das ein Hobbykoch wie Wolf mit Wasser bereitet, häufig nicht annähernd die Qualität hat wie ein Gericht, das ein Fünf-Sterne-Koch wie Gehlen mit dem gleichen Wasser kreiert.

Jossif Wissarjonowitsch Stalin dürfte es nach dem Interventionskrieg vieler Staaten gegen das kommu-nistische Land Anfang der zwanziger Jahre und dem deutschen Überfall im Sommer 1941 vorrangig um die Sicherheit seines Vielvölkerstaates sowie um Reparationsleistungen für die Kriegsschäden als Wie-deraufbauhilfe gegangen sein. Darüber hinaus wünschte er einen Friedensvertrag mit dem besiegten Land bei Anerkennung der polnisch-deutschen Grenze an der Oder und der Görlitzer Neiße. Weitere Ziele, wie eine Ausdehnung der sowjetischen Innenpolitik auf Deutschland oder einen Teil davon, durf-ten den übergeordneten Zielen zumindest nicht im Wege stehen. Wenn ich westdeutsche Propaganda lese, die von einer geplanten Bolschewisierung ganz Deutschlands spricht, frage ich mich unwillkürlich, wie das hätte funktionieren sollen. Der Westen stand ja unter dem Schutz von drei Mächten; hätte Sta-lin sie denn alle wegbomben sollen? Dann hätte er auf den Ärger nicht lange warten müssen. Pläne die-ser Art hatten die Amerikaner jedoch nach Reinhard Gehlens vermeintlichen Kassandra-Sprüchen jahr-zehntelang befürchtet.

Das Bedürfnis nach Sicherheit für die Sowjetunion dürfte sich weiter verstärkt haben, nachdem der amerikanische Präsident im August am Beispiel zweier japanischer Städte demonstriert hatte, dass er in der Lage und bereit war, Atomwaffen einzusetzen. Dafür sprechen auch Stalins Verzicht auf den Ein-fluss in Finnland und in Österreich, nachdem ihm diese Länder Sicherheitsgarantien gegeben hatten. Auch für Deutschland stand dieses Angebot bis Mitte der fünfziger Jahre.

Da es nach 1945 nun weder zu einem Friedensvertrag noch zu Sicherheitsgarantien oder zu einer Festle-gung völkerrechtlich verbindlicher Grenzziehungen kam, blieb Jossif Stalin gar nichts anderes übrig, als seine Truppen dort stehen zu lassen, wo sie waren, und abzuwarten, wann sich in Bonn irgendetwas be-wegt. Vielleicht darf man ja auch bei einem Diktator strategisches Denken annehmen. Richtig ist aller-dings, dass sich im Windschatten der großen Politik deutsche Kommunisten ihren Lebenstraum vom Sozialismus auf heimatlichem Boden erfüllte. Über die Bemühungen Walter Ulbrichts, nichtkommunis-tische Kräfte, gegen die die Sowjets damals durchaus nichts hatten, aus den lokalen Verwaltungen hin-auszudrängen, kann man eine gute Darstellung in einem Buch des Historikers Norbert Podewin unter dem Titel Walter Ulbricht – Eine neue Biographie finden. Die Russen waren nach diesem Krieg schon froh, als sie in Deutschland nicht nur auf Nazis stießen.

Erinnern Sie sich, wie Herr Prof. Dr. Heinrich A. Winkler versuchte, uns den Ursprung des Kalten Krie-ges zu erläutern? Die Einschätzung, die Helmut Kohls Chefunterhändler bei den „Zwei-plus-Vier“-Ver-handlungen von 1990, Dieter Kastrup, im Jahr 1991 über die 1945er politischen Ziele Moskaus abgab, klingt dann schon nachvollziehbarer: „Der Zweite Weltkrieg war von der Sowjetunion zur Befreiung ih-res Territoriums und der anschließenden Niederwerfung des Nationalsozialismus geführt worden. Die dabei erbrachten ungeheuren Opfer sind bekannt. Die Behandlung des besiegten Deutschland war in verschiedenen Absprachen der vier Siegermächte niedergelegt worden, insbesondere im sogenannten Potsdamer Abkommen. Die Sowjetunion hat stets den Standpunkt bezogen, die Politik, die sie in ihrer Besatzungszone betrieben habe, sei eine der Entnazifizierung, Entmilitarisierung und Demokratisie-rung gewesen. Diese Politik ist von der sowjetischen Gesellschaft als Frucht der erbrachten Opfer be-griffen worden. [Es ging um die Enteignung von Großgrundbesitz auf Grund des Potsdamer Abkom-mens bzw. um die Rückgabe der Flächen.] Sie nachträglich zur Disposition des besiegten Deutschland zu stellen, hätte bei der sowjetischen Bevölkerung das Gefühl wecken können, die sowjetische Nach-kriegspolitik in Deutschland sei nutzlos geblieben, die Opfer der sowjetischen Bevölkerung im Zweiten Weltkrieg seien vergebens gewesen.“ Sagte der CDU-Mann.

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Wenn es in den unabhängigen Medien der BRD auch so selten deutlich gesagt wird, erfüllt es mich doch mit Genugtuung, dass zumindest hin und wieder einmal so etwas zu finden ist: „Ein großer Teil der Bundesbürger glaubt ganz ehrlich, dass die Russen und die deutschen Kommunisten Deutschland ge-spalten hätten, und nicht sie selbst und die Westmächte.“ Sie glauben das freilich deshalb ganz ehrlich, weil Ihnen so selten eine andere Wahrheit zu Ohren kommt. Andererseits betrübt es mich durchaus, wenn Sebastian Haffner in seinem zweiten Teilsatz nicht nur den Eindruck von einer mächtigen Welt -verschwörung gegen Deutschland hätschelt, sondern sein dumm gehaltenes Wahlvolk auch noch für diese jahrzehntelange Spaltung unseres Landes in Haftung nimmt. Ein jeder denkt nur, was er denken kann. Und für die richtigen Ableitungen benötigt man korrekte Informationen. Sonst wird man und frau politikverdrossen. Politikverdrossen macht allerdings auch, dass derselbe Schlauberger (freilich 17 Jahre zuvor) seine Leserschar über Staatsmänner im Osten und im Westen informiert hatte, die ihre Politik angeblich auf die dauerhafte Teilung Deutschlands gründeten. Und an den Text aus diesem bun-desdeutschen Propagandaschinken Die SBZ von A bis Z – Ein Taschen- und Nachschlagebuch über die Sowjetische Besatzungszone Deutschlands erinnern Sie sich doch bestimmt: „Immer wieder behauptet das Regime der SBZ, Deutschland sei nach 1945 von den Westmächten und politischen Kreisen West-deutschlands gespalten worden. Bei seiner Wahl zum Präsidenten der Republik betonte Wilhelm Pieck am 11. 10. 1949 vor der Volkskammer: »Von den westlichen Besatzungsmächten . . . wurde Deutschland gespalten«, doch »niemals wird die Spaltung Deutschlands . . . von der DDR anerkannt werden«.“ Hauptsache immer drei Punkte. Und wer stand da noch?

Für die Meinungsbildung über die sowjetische Nachkriegspolitik ist es durchaus von Bedeutung, dass die Sowjetunion erst 1949 über erste atomare Sprengkörper verfügte; die Jahre zuvor aber entschieden über das Schicksal Europas in der zweiten Hälfte des XX. Jahrhunderts und über viele Biographien, darunter auch den Verbleib hunderttausender deutscher Soldaten in der Kriegsgefangenschaft und die Karriere des Dachdeckerlehrlings Erich Honecker, die ihn an die Spitze eines neuen deutschen Staates führte. Dem Bürgermeister von Ost-Berlin, Friedrich Ebert, ließ er 1971 durchaus nicht den Vortritt, wie mir der Historiker Norbert Podewin berichtete. Friedrich Eberts Papa war ja wenigstens Reichspräsi -dent. Damit konnte in Bonn keiner dienen.

Interessant ist natürlich, wie sich letztlich auch die Sowjetunion durch den Bau von Atomwaffen nach 1949 allmählich zu einer Supermacht mauserte. Vom Kriegsende bis 1949 waren die Sowjets ja noch in der misslichen Lage, auf eventuell herunterfallende amerikanische Atombomben mit dem Panzer T 34 beziehungsweise mit ihrem erstklassigen Maschinengewehr Kalaschnikowreagieren zu müssen. Richtig gut wäre es dann aber schon gewesen, hätten sie auch eigene Atombomben zur Abschreckung vorrätig gehabt. Es fällt ins Auge, dass einige Forscher, die am Bau einer deutschen Wunderwaffe betei-ligt waren, nach dem Krieg in die USA gingen und andere in die Sowjetunion. Unter den letzteren war auch Manfred von Ardenne. Im Westen hieß es später immer, er sei von den Russen einkassiert und in den Winter Sibiriens verschleppt worden, wo er dann die russische Bombe entwickelt habe. Dieser Dar-stellung mag ich keinen rechten Glauben schenken, da die sowjetischen Ingenieure, die seit 1945 mit ihm gemeinsam eine solche Waffe entwickelten, noch nach vielen Jahren die gleichen leuchtenden Au-gen ob des netten Herrn aus Deutschland bekamen wie die amerikanischen Spezialisten, wenn sie über Wernher von Braun sprachen. Mal ganz ehrlich – man kann ja einen Forscher schon zwangsverpflich-ten. Aber zwingen Sie doch mal einen richtigen deutschen Forscher, seine mathematischen Berechnun-gen für den Gegner richtig auszuführen. Ein klitzekleiner Fehler und die Russen hätten keine Bombe ge-habt. Was wäre dann wohl aus dem Kalten Krieg geworden? Pustekuchen.

Weil die Sowjets, denen der deutsche Emigrant und dann Los Alamos-Experte Klaus Fuchs „das Kon-struktionsschema der Plutoniumbombe »Fat Man« geliefert“ hatte, schon 1945 mit den Vorarbeiten an ihrer ersten Atombombe beginnen konnten, wurde nichts aus dem mit dem Besitz dieser Bombe ver-bundenen amerikanischen Traum „die Mächte des Bösen, ja alle Mächte zu verabschieden und sich in einem Weltstaat zusammenzufinden“. Während die Amerikaner im Jahr 1945 alle Staaten einluden, um in Kalifornien die UNO zu gründen, begannen die Sowjets mit Hilfe der Deutschen eigene Atomwaffen zu entwickeln.

Dass der Moskauer Staatschef 1945 doch die Sowjetisierung eines Teils von Deutschland oder eine pro-letarische Revolution am Rhein und in den schönen Alpen angeregt hätte, wurde meines Wissens noch von niemandem mit Quellen belegt. Davon völlig unbeeindruckt wird es immer wieder behauptet. Es gab ja wirklich einmal eine Formulierung von einer Weltrevolution. Aber das Thema war meines Erach-tens vom Tisch, als Wladimir Iljitsch Uljanow alias Lenin sich 1917 mit seiner Vorstellung durchgesetzt hatte, es in einem einzelnen und mit seinem Russland obendrein in einem ökonomisch recht schwach

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entwickelten Land zu versuchen. Mit Unterstützung durch den Deutschen Kaiser. Die Idee einer Welt-revolution bezog sich darüber hinaus auf Aufstände des Proletariats gegen die Bourgeoisie in den ein-zelnen Ländern. Von Kriegen, die eine Revolution in ein Land tragen sollten, war meines Wissens nir-gendwo die Rede. Ich lasse mich aber gern berichtigen. Die zahlreichen Äußerungen über den Optimis-mus, dass sich Proletarier in den Ländern des Westens von der Ausbeutung bald befreien würden, dür-fen ihrerseits als innenpolitische Demagogie verstanden werden. Das fruchtete freilich auch in den Wei-ten der Sowjetunion eher als in Ungarn, in der ČSSR oder der DDR, wo sich schnell herumsprach, dass es mit der Ausbeutung der Proletarier im Westen nicht überschlimm gewesen sein kann und dass dort sogar ehemalige Proletarier mit dem Arbeitslosengeld besser lebten als ein Arzt im eigenen Land.

Die rigorose Demontage von Industriegütern und die Abpressung der Reparationen für ganz Deutsch-land aus der einen Zone, auf die Stalin nach dem Beginn des Kalten Krieges noch Zugriff hatte, deuten übrigens auch nicht darauf hin, dass dem Chef in Moskau der Aufbau eines Vasallenstaates in Deutsch-land vorgeschwebt hätte. Nach Angaben von Helmut Kohl hat die DDR Reparationen in Höhe von um-gerechnet 727 Milliarden D-Mark gezahlt. John Dornberg veröffentlichte 1968 in Wien ein Buch, in dem es hieß: „Erst nach der Genfer Konferenz von 1955, als die diversen Wiedervereinigungspläne ad acta gelegt worden waren, erhielt Ulbricht grünes Licht zum wirtschaftlichen Aufbau.“ So war das. Und wäre Stalin nicht durch die Bonner Verweigerung einer Grenzanerkennung und die offizielle Unterstützung Bonns durch die NATO-Partner zum vermeintlich einzigen militärischen Garanten des polnischen Staa-tes geworden, hätte er seine Truppen auch dort nicht belassen können. Die Polen haben die sowjeti-schen Truppen genauso widerwillig ertragen wie die Westdeutschen die US-Amerikaner oder die Briten und die Franzosen. Fragen Sie mal die älteren Semester.

Abgesehen davon kann ich mir auch sehr gut vorstellen, dass die Führung in Moskau ohne die Ausein-andersetzung zwischen den späteren sozialistischen Ländern und den Demokratien des Westens nicht so brachial mit den Kritikern ihres Systems umgegangen wäre, was ihr in der Folge viele weitere Kriti -ker erspart hätte. Dass es übrigens einen Zusammenhang zwischen den Kriegsvorbereitungen in Berlin und den Gewaltexzessen in der Sowjetunion in den späten dreißiger Jahren gab, wird jetzt noch nicht verraten. Vorfreude ist und bleibt die schönste Freude.

Zu spät, um diese Amerikaner noch von ihrer Verfolgungsangst abzubringen, kam die Entwarnung: „Doch die Spekulationen der Nachrichtendienstler über die Sowjets waren Bilder, wie sie ein Zerrspie-gel zurückwirft. Stalin hatte weder einen umfassenden Plan zur Beherrschung der Welt noch die Mittel, einen solchen durchzusetzen. Der Mann, der nach seinem Tod schließlich die Macht in der Sowjetunion übernahm, nämlich Nikita Chruschtschow, erinnerte sich später, beim Gedanken an eine weltweite Aus-einandersetzung mit Amerika habe Stalin »gezittert« und »gebibbert«.“

Wenn aber von der Sowjetunion gar keine Bedrohung für den Rest der Welt ausging, dann muss das doch aber ein paar Agenten aufgefallen sein, die gegen das Reich des Bösen eingesetzt waren. Nach ih-nen habe ich genauso gefahndet, wie nach Wolfs Agenten in der Bundesrepublik, von denen ja irgendei-ner bemerkt haben muss, dass es auf gar keinen Fall das Ziel der Bonner Staatsführung gewesen sein kann, sich Unsere DDR „einzuverleiben“, wie es ja in der Ost-Berliner Propaganda immer hieß. Wäh -rend ich leider keinen Hinweis auf solche Gedankengänge bei einem DDR-Agenten in der BRD fand, entdeckte ich bei Tim Weiner einen Ami, der seinem eigenen Verstand mehr traute als der üblichen an-tisowjetischen Propaganda zu Hause. Im Jahr des Amtsantritts von Gorbatschow 1985 wurde Aldrich Hazen Ames der Leiter der Spionageabwehr der Amerikaner gegen die Sowjetunion und Osteuropa. „Er hielt die Behauptung für absurd, dass die Bedrohung durch die Sowjetunion immens sei und immer größer werde. Er war überzeugt davon, es besser zu wissen. Er erinnerte sich, dass er dachte: »Ich ken -ne die Sowjetunion in- und auswendig, und ich weiß, was für die Außenpolitik und für die nationale Si -cherheit [der Vereinigten Staaten] das Beste ist. Und entsprechend werde ich handeln.«“ Von dieser Er-innerung erfuhr Weiner bei einem Besuch im Bezirksgefängnis von Alexandria in den Weiten der USA, da der arme Kerl das eigenständige Denken zum Wohle der USA jetzt mit einer lebenslangen Haftstrafe bezahlt.

Beginnend mit Kanzler Adenauer pflegte derweil die Staatsführung in Bonn unter den Kanzlern Erhard, Kiesinger, Schmidt und Kohl weiter sorgfältig die zarte Blume dieses Kalten Krieges. Nach Gesprächen mit Bonner Politikern im Jahr 1953 sah der Journalist Sebastian Haffner in Bonn zwei außenpolitische Strömungen am Werk. Die einen wollten mithelfen, „den Kalten Krieg zu beenden, um die Teilung zu überwinden, die Deutschland nicht durch eigene Schuld erlitten hat, und die Konsequenzen seines ver-lorenen Krieges zu tragen. Andere vertreten die Ansicht, dass es im deutschen Interesse liege, auf die

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Wiedervereinigung zu verzichten und statt dessen den Kalten Krieg anzuheizen, um schließlich die Kon-sequenzen des eigenen, verlorenen Krieges zu annullieren. Der große politische Kampf in Deutschland wird in den nächsten vier Jahren zwischen diesen beiden Lagern stattfinden.“ Bei den nächsten vier Jahren blieb es jedoch nicht, und der Kalte Krieg und das schöne Leben in West-Deutschland zogen sich bis 1990 hin.

Bei Willy Brandt, der sich rührend, wenn auch vergeblich, um ein Ende des Kalten Krieges bemühte, findet sich die folgende Einschätzung des ersten Kanzlers: „Adenauers Nachkriegs-Konsequenz zielte darauf, die Verhältnisse zu stabilisieren. Er fürchtete in diesen Jahren nichts mehr, als dass sich die Sie-germächte einander wieder nähern könnten. Das sah ich anders. Er verneinte die Chance zur deutschen Einheit und nutzte die Vorteile Westeuropas für den westdeutschen Staat. Dem ließ sich – in dem Maße, in dem die Voraussetzung ohne Alternative blieb – immer weniger widersprechen. [...] Der »Alte« hat über weite Strecken anders geredet als gedacht. [...] Ob sich mit einem anderen – gesamt -deutschen – Ansatz mehr hätte erreichen lassen, bleibt eine offene Frage.“

Bei Strauß liest sich dieses Motiv so: „So reagierte er außerordentlich empfindlich, manchmal überemp-findlich, geradezu gereizt, wo immer sich eine Verständigung oder Annäherung zwischen den USA und der Sowjetunion abzeichnete. Dann herrschte bei ihm Alarmstimmung. Er hatte eine Art »Cauchemar von Potsdam«, eine tiefeingewurzelte Angst, dass sich die Sieger und ehemaligen Alliierten über Deutschland hinweg einigen könnten.“

Dass Dr. Adenauer Angst haben musste, dass die Amerikaner Moskau dabei ein Stück der freien Welt überlassen hätten, kann mit Sicherheit ausgeschlossen werden. Also hatte Adenauer Angst, dass Russen und Amerikaner bei einem Festessen im Kreml im Interesse ihrer Staatskassen die Vereinigung Deutschlands und Europas verfügten, weil sie doch sahen, dass sich die Deutschen längst mit der neuen Gebietslage abgefunden hatten. Dann war es also ernst gemeint, als es in einem Informationstext über das Berliner Lokal »Staev«, benannt nach der ehemaligen Ständigen Vertretung der BRD in der DDR, lächelnd hieß, man habe in den Politiker-Klausen zu Bonn „die Welträtsel gelöst“. Diese Formulierung war in gesellige Worte eingepackt: „Dieses Milieu traf sich später in der »Schumann-Klause« in Bonn – man lebte dort, machte die Nacht zum Tag. Der Staatsschutz vom K 14 saß immer dabei. Demonstratio-nen wurden vorbereitet, die Welträtsel gelöst und endlos gezecht.“ Zum Zechen wird man den Staats-schutz ja vielleicht nicht benötigt haben. Unter dem Jahr 1949 werden Sie mehr zu diesem „Milieu“ er-fahren.

Einer einvernehmlichen Lösung der deutschen Frage unter den vier Alliierten stand eine Anerkennung der Westverschiebung Polens auf Kosten ostdeutscher Gebiete auf gar keinen Fall im Wege, auch wenn die drei westlichen Mächte den Deutschen selbst die Anerkennung der neuen Ostgrenze überlassen wollten. So sollten Reaktionen wie die auf den Vertrag von Versailles (1919) vermieden werden. Damit hatten die Russen den Schwarzen Peter allein in der Hand. Auf der Potsdamer Konferenz im Sommer 1945 hatten sich die Alliierten nur geeinigt, eine schlussendliche Grenzregelung erst in einer Friedens-konferenz vorzunehmen. Und an diesem juristischen Haken setzten die Bonner Spitzenpolitiker an.

Die Verhinderung einer Friedenskonferenz hatte zumindest für die Einwohner der westlichen Besat-zungszonen einen recht wohltuenden „Nebeneffekt“. Der spätere Ministerpräsident von Bayern, Franz Josef Strauß, schrieb darüber in seinen unbedingt lesenswerten Memoiren: „Wenn wir einen Friedens-vertrag schließen, dann verlangt man von uns Reparationen. Da wir aber nicht bereit und nicht in der Lage sind, Reparationen zu zahlen, wollen wir auch keinen Friedensvertrag. Die höhere und die niedere Mathematik der Politik trafen hier zusammen – das Offenhalten der deutschen Frage und das Vermei-den gigantischer Reparationszahlungen.“ Das ist einer jener von mir so liebevoll gesammelten Texte, die ohne jeden Kommentar klären, dass die DDR kein Kind der bösen Russen war, sondern vielmehr ein Kind der guten Deutschen. Der besseren Deutschen. Wenn man die „deutsche Frage“ offenhalten woll-te, durfte sie gar nicht beantwortet werden. Die Amis erwiesen Helmut Kohl somit einen Bärendienst, als sie die Vereinigung Deutschlands an ihm vorbei und über seinen Kopf hinweg erzwangen. Wie ich hörte, gibt es in Frankreich inzwischen ein Buch, dass genau das publik machen möchte. Helmut Kohl wollte alles andere als eine Vereinigung unseres Landes. Sonst wäre er nämlich auch nicht länger als ein Willy Brandt der Kanzler in Bonn am Rhein geblieben.

Diese Überlegung zu den Reparationen für die Kriegsschäden wurde durch den Aufstand des Jahres 1989 ganz plötzlich brandaktuell. In den Erinnerungen des Bonner Außenamtschefs Genscher findet sich dieses Motiv dann so: „Eine Friedenskonferenz konnte ebensowenig in Frage kommen wie ein Frie-

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densvertrag. [...] Die Verhandlungen hätten sich an der Frage der Reparationen festgefahren.“ Im Jahr 1990 ist es dem Diplomatenduo Hans-Dietrich Genscher und Helmut Kohl tatsächlich endgültig gelun-gen, eine reguläre Friedenskonferenz zu verhindern. Aber große Sprüche über das Leid des Krieges klopfen. Sie erinnern sich – 727 Milliarden DM haben die Leute in Ostdeutschland in den Entschädi-gungstopf eingezahlt. Die haben übrigens für Investitionen in die Wirtschaft dann auch nicht zur Verfü-gung gestanden. Das war doppelt verheerend, weil sie gerade in den Aufbaujahren nach dem Krieg ge-fehlt haben. Die Menschen im Osten hätten auch mit der Planwirtschaft besser leben können; man erin-nere sich, dass man in den späten sechziger Jahren in West-Deutschland vom zweiten deutschen Wirt-schaftswunder – in der DDR – sprach, die damals freilich noch als SBZ bezeichnet wurde. Erst danach wirkte sich allmählich die neue „Wirtschaftspolitik“ des diktatorischen Dachdeckerlehrlings aus.

Aus der heutigen Perspektive lässt es sich einfach erklären, wie es den Bonnern gelungen ist, die großen Staaten gegeneinander in Stellung zu bringen und ihnen ihre angstgeladene Außenpolitik vorzugeben. Während Murat Williams überzeugt war, dass „die Gehlen-Leute sich immer schon dem Krieg gegen die Sowjetunion verschrieben hatten“, verriet der aus Funk und Fernsehen bekannte Geheimdienstexperte Erich Schmidt-Eenboom, wenn auch erst 2004: „Gehlen hat zwar im vertrauten Kreis häufig eine gewis-se Nähe zum Widerstand des 20. Juli 1944 betont, besonders, wenn es ihm als Appell an gemeinsame Grundanschauungen nützlich erschien, die Rolle Wessels jedoch nie öffentlich gemacht.“ Gerhard Wes-sel war damals Gehlens Stellvertreter und wurde später dann auch sein Nachfolger an der Spitze des BND, was vom Chef des DDR-Auslandsgeheimdienstes, Markus Wolf, als Beleg für eine vermeintliche faschistische Kontinuität der BRD gedeutet wurde. Schmidt-Eenboom setzte fort: „Auch im frühen Nachkriegsdeutschland führte Gehlen dieses Doppelspiel zwischen stiller Sympathie für die Gegner Hit-lers in der Wehrmacht und taktischer Distanz zu ihrem gescheiterten Anschlag auf Hitler weiter.“

Der Politologe Ferdinand Kroh vermerkte bezogen auf die achtziger Jahre: „Hier lag aber keine Ver-schwörung [der Sowjetunion und der USA] vor, sondern ein langwieriger und komplizierter Politikpro-zess, dessen Ziel von beiden Seiten unter völlig unterschiedlichen Interessenlagen öffentlich formuliert war: die Beendigung des Kalten Kriegs. Während die Amerikaner das Sowjetimperium damit zu Fall bringen wollten, war es das Ziel der Sowjets, ihr Reich mit derselben Strategie zu retten.“ Und Gräfin Dönhoff äußerte über General Gehlen, der den Ärger nach dem Krieg überhaupt erst ausgelöst hatte, ihre schlecht gespielte Überraschung darüber, „dass ein Mann, dessen Metier es mit sich brachte, dass er seit Jahrzehnten den Osten als den potenziellen Gegner betrachten mußte, sich so freigehalten hat von antikommunistischen Komplexen“. Und da war er, wie Sie sich gewiss erinnern, auch beileibe nicht der einzige Schönfärber des Sozialismus, der in der Bundesrepublik auf den Plan trat.