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ökumenische gemeinschaft mit interreligiöser ausrichtung Oktober 2011 Zwischen Räumen

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ökumenische gemeinschaft mit interreligiöser ausrichtung

Oktober 2011

Zwischen Räumen

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Zwischen Räumenvom Abschied und Aufbruch

Liebe Leserinnen und Leser,

Katharina Aktuel l erreicht Sie dieses Mal in etwasanderer Gestalt. Wir zeigen mehr Farbe und ein neuesZusammenspiel von Bild und Text. Ein Wechsel im

Layout, ein neues Logo, das veränderte Setting vonSendeplätzen – al l das ist heutzutage nichts Ungewöhnliches.Es gehört zum Tempo unserer medialen Welt. Mal sanfter, malabrupt wird unsere Aufmerksamkeit in neue Räume gelenkt.Das bislang Vertraute geht dabei immer mit. Auf demHintergrund des Gewohnten fühlen wir uns viel leichtangeregt und offen für das Neue, oder al les sperrt sich in uns,empört über die ungebetene Zumutung?

Wie auch immer: eine neue Bewegung beginnt und wirkt -weit über unsere optischen Sinneskanäle hinaus. DochAchtung! Stel len Sie sich jetzt bitte nicht auf zuviel Neues inSachen Katharina Aktuel l ein. Nicht von ungefähr heisst unserTitel : „Zwischen Räumen“. Was Sie heute in Händen halten, isteine Abschiedsnummer. Wir stel len Katharina Aktuel l ab 201 2ein und wissen noch nicht einmal genau, was folgen wird.

Signale ernst nehmenSeit wir die Signale für eine notwendige Änderungzugelassen haben, spüren wir immer klarer, dass etwas Neuesentstehen wil l . Deshalb sagen wir Ja zum Loslassen, obwohlwir mit unserem bisherigen Produkt zufrieden sind und auchvon Ihnen, l iebe Leser und Leserinnen, viele bestärkendeRückmeldungen erhalten haben. Dafür möchte ich Ihnen andieser Stel le von Herzen danken, ebenso für al le kritischenAnmerkungen, die uns unterstützt haben, unsere Arbeit jeneu zu überprüfen.

Über die Hintergründe unserer Entscheidung erzähle ichgleich mehr. Im Übrigen nehmen wir Sie mit unserennachfolgenden Beiträgen noch einmal in gewohnter Weisemit in Erfahrungen und Themen, die uns aktuel lbeschäftigen. So bewegt sich die letzte Ausgabe vonKatharina Aktuel l „zwischen Räumen“ und bringt viel leichtdie eine oder andere Melodie von Zukunftsmusik zumKlingen. Denn al le Zukunft nimmt ihren Anfang im Jetzt, indem, was wir heute aufspüren und es, ohne es genau zukennen, begrüßen als das, was gerade im Entstehen begriffenist.

Sehen, was istDie Redaktionsarbeit für Katharina Aktuel l hat mir in dergroßen Bandbreite meiner Engagements viel Freudegemacht, nicht zuletzt dank der sprühenden Kreativität inunserem sechsköpfigen Redaktionsteam. Jedes Jahr mehrstieß ich aber auf die Grenzen meines Kraft- und Zeitbudgets.

Das zweimal jährl ich anfal lende Arbeitspaket erwies sichneben meinen zahlreichen Aufgaben als Gemein-schaftsleiterin einfach als zu groß. In meiner Suche nachEntlastung wandte ich mich zunächst ans Team. Dort konntesich aber niemand finden, der/die die Gesamtredaktionneben den tägl ichen famil iären und berufl ichenVerpfl ichtungen hätte übernehmen können und wollen.

Auch eine Umfrage in unserer Gemeinschaft führte zu keinerlangfristigen personel len Lösung, immerhin aber zu einerÜbergangsidee. Aus der Runde unserer jüngeren Mitgl iederhat sich Achim Ruhnau mit seiner gestalterischen Lust undseinem PC-Know-How angeboten und Hans-Jakob Weinz zurEndredaktionsarbeit gemeinsam mit ihm. Dank diesesEinsatzes und der Mithilfe einiger unserer bewährtenAutorInnen ist so noch eine letzte Ausgabe von KatharinaAktuel l entstanden, der wir, wie immer im Herbst, wiederunser neues Veranstaltungsprogramm beilegen.

Loslassen und offen werdenIn der letzten Redaktionssitzung waren wir uns einig: unsereBegegnungen werden uns fehlen, das gemeinsameschöpferische Tun, der intensive spirituel le Austausch, dasUmreissen möglicher neuer Themen. Doch niemand sol ltesich „opfern“, um das l ieb Gewonnene irgendwie – egal umwelchen Preis – weiter zu führen. So wil l igten wir ein in denunvermeidl ichen Abschied. Völ l ig unerwartet bekam genauda unser Austausch eine neue Wende. Wäre es nicht an derZeit, uns ganz anderer Formen, insbesondere der neuensozialen Medien zu bedienen? Könnten wir nicht via Internetandere Zielgruppen, unsere entfernter lebenden Mitgl iederaktiver einbeziehen und uns mehr mit anderenOrganisationen und Bewegungen vernetzen? Geht es jetztnicht darum, uns selbst als Person auszuweiten?

Nicht al le von uns fühlten sich auf Anhieb von der Ideebeflügelt, in den großen Raum des World Wide Webeinzutreten. Doch zugegeben: wie sich dort Menschen inkürzester Zeit verbinden, Kräfte mobil isieren und sichgegenseitig zu konkreten Aktionen für Frieden undGerechtigkeit inspirieren, das ist schon beeindruckend. „Lasst

Das Redaktionsteam v.l.n.r. :

Katharina Burgdörfer, Sibylle Ratsch, Lisa Wortberg-Lepping,

Hans-Jakob Weinz, Heidi Rudolf, Norbert Lepping

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es uns doch versuchen! Viel leicht finden wir so neueMitstreiterInnen?" Immer mehr Feuer entstand und zwei vonuns lockte es schl ießl ich, an der Idee aktiv weiterzustricken,um herauszufinden, ob da etwas Handfestes ins Fl ießenkommt.

Verschiedenheit zulassenZugleich spüren wir, dass wir auch mit Menschen inVerbindung bleiben wollen, die sich ungern oder gar nicht imInternet bewegen und es befremdlich finden, spirituel leImpulse via E-Book, Smart-Phone oder PC zu empfangen. Ab201 2 werden wir Ihnen al len, sofern Sie nicht ohnehin schonim Verteiler sind, unseren Katharina-Rundbrief zukommen

lassen. Auf künftig vier Seiten werden wir dort weiter je einesunserer aktuel len Projekte oder Engagements vorstel len,angereichert mit einer thematischen Vertiefung und einemspirituel len Impuls.

Wir möchten Sie außerdem auf die Zeitschrift WeltWeitaufmerksam machen, an deren Herausgabe wir zusammenmit neun anderen Schweizer Gemeinschaften beteil igt sindund an deren inhaltl icher Gestaltung wir regelmässig miteigenen Beiträgen mitwirken. Im Fokus der sechsmal jährl icherscheinenden Zeitschrift stehen Entwicklung und

Partnerschaft im Dienst globalerGerechtigkeit. Wer Interesse hat,kann ein kostenloses Probe-abonnement anfordern: Weltweit,

Postfach 345, CH-1701 Fribourg,

Telefon 0041-(0)26 422 11 36,

[email protected] oder sich übers Internet einen erstenEindruck verschaffen: www.weltweit.ch

Kraft in der VernetzungMeinen grossen Dank möchte ich dem Redaktionsteam undal len AutorInnen aussprechen. Uns waren viele beflügelndeMomente geschenkt, aber auch so mancher treue Fleissabgefordert. Im Angesicht der neuen Protestbewegungenund demokratischen Aufbrüche in der Welt fragten wir uns,was eigentl ich geschieht, wenn Visionen unter Menschensoviel verbindende Kraft gewinnen. Gelangen wir dankInternet zu ganz neuen menschl ichen Möglichkeiten –jenseits der hinreichend bekannten Gefahrenzonen?

Oft wird in diesem Zusammenhang von Schwarmintel l igenzgeredet. Jetzt im Herbst sind die Vogelschwärme ja wiederunterwegs, ziehen über Tausende von Kilometern in großenScharen gen Süden, aerodynamisch optimal abgestimmt,ohne Zentrum oder sichtbare Führung. Wohin und wie esgeht, entspringt ihrem kollektiven Know How. Wie durchWunderhand vol lzieht sich jede noch so kleine nötigeKursänderung. So sichern diese Vögel ihr Überleben -gemeinsam!

Und wir Menschen? Auch wenn wir keine Vögel sind, die manschon von weitem am gleichen Gefieder erkennt, stehtdringend an, uns in unseren menschl ichen Potenzialen zuverbinden, um unser Überleben zu sichern. Ich wünscheIhnen und uns dazu viel Mut und Vertrauen!

Sibyl le Ratsch, Gemeinschaftsleiterin ktw

Alle Zukunft nimmt ihren Anfang im Jetzt,in dem, was wir heute aufspüren und es,ohne es genau zu kennen, begrüßenals das, was gerade im Entstehen begriffen ist.

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Du fällst nicht – Du gehst

Halt an, bleib doch stehen,möchte ich rufen.Aber traumwandlerisch sichergehst du weiter...

Und ich werde stil lbei dem, was dir geschieht.Kein Aus-Weg, kein Halt in Sicht.Stehenbleiben, dich Umdrehnhilft nicht.Es muss gegangen sein.Zwischen Räumendroht dein Absturz.

Doch du gehst weiter,Schritt für Schritt -und das Wunder bleibt nicht aus:dein Wegentsteht beim Gehen.

Lisa Wortberg-Lepping

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Das Gelobte LandSchritt für Schritt - der Vision folgen

Das Buch Numeri erzählt im 1 3.Kapitel, wie MosesKundschafter ausschickt, um zu überprüfen, ob dasgelobte Land, das den Kindern Israel als Ziel ihrer

langen Wanderung gilt und in dem „Milch und Honig fl ießen“sol l , auch wirkl ich seinem Ruf gerecht wird. Nach ihrerRückkehr bestätigen sie mit einer Traube, die von zweiMännern getragen werden muss – so riesig ist sie – dieErwartungen.

Zweifel und WiderständeEinigen der Ausgesandten ist die Sache aber dennochungeheuer: „Sie hätten neben dem wunderbaren Landgesehen, dass die Einwohner wie Riesen seien, gewaltig vieleund unüberwindbar.“ Und die Reaktion der Kinder Israel? Sielassen sich beeindrucken von den Angst auslösendenSchilderungen und tendieren zur Umkehr zurück nachÄgypten; ja sie wollen diejenigen, die vorwärts drängen,sogar steinigen. So ist das mit dem Neuen. Zunächst erhoffenwir uns „gelobtes Land“: Al les wird wunderbar sein, danntauchen Ängste vor dem Neuen, Unbekannten auf undprovozieren Rückzugstendenzen. Am liebsten sol lte sich garnichts verändern. Wer kennt nicht den Stoßseufzer am Tagvor dem Start in den Urlaub: „Warum müssen wir hierüberhaupt weg? Zuhause ist es doch auch schön!“

Jahwe lässt die Zweifler an einer Seuche sterben (undZweifeln, Grübeln, Misstrauen verseucht Glaube undZuversicht); um weiter gehen zu können, müssen auch wir inuns die Stimmen zum Schweigen bringen, die uns nur dasSchwierige, Beängstigende, Unmögliche einflüstern. Nurdiejenigen, die vertrauensvol l und beharrl ich den ein-geschlagenen Weg verfolgen, haben die Chance, dasNeuland zu erreichen.

Wüstenzeiten überlebenDas ganze 4.Buch der Tora betrifft die Zeit zwischen demAufbruch aus der Sklaverei und dem Erreichen des gelobtenLandes. Das Volk befindet sich in der Wüste. In langen Listenwerden Verhaltensregeln aufgeführt, die das Zusammen-leben verbindl ich regeln sowie das Vertrauen in Jahwestärken sol len.

Wie eine Wüste empfinden wir auch oftmals Zwischenzeiten.Nicht zu wissen, wie es weitergeht, wenn doch der Beginn soviel versprechend war, ist mühsam und oft auch wüsten-trocken. Da braucht es immer wieder die Rückbindung: anGott als den Herausforderer zum Aufbruch ins Neue, an denRuf, die Berufung, an das Vertrauen, dass das gelobte Landverheißen ist. Dazu helfen Regeln und Rituale. Dann werden

Schritte möglich, die auf den ersten Bl ick unmöglicherscheinen. Wie der kleine König einfach geht und im Gehendie Untiefen, die Gefährdungen, die Abgründe meistert.

Die Vision wach haltenMose selbst und der Generation der zweifelnden Israel iten istes verwehrt, das Gelobte Land zu betreten. Vom Berg Neboaus darf er es in seinem ganzen Ausmaß überbl icken. Auchdas gehört zur Geschichte der Menschheit und viel leichtauch zur eigenen: Verheißungen in eine gute, bessereZukunft brauchen Geduld und einen langen Atem. Sie lassensich nicht kurzfristig verwirkl ichen. Ich denke dabei an dieaktuel len pol itischen Entscheidungen für den Aufbauumweltgerechter Energiequel len, an die lange Geschichteunserer Kirchen und Rel igionen hin zu größerer Toleranz undAchtung voreinander, an die noch längst nicht verwirkl ichteVision von Gleichheit und Gerechtigkeit für al le Menschen.Für Mose und sein Volk war immer die Treue Gottes und dasVertrauen in seine Führung maßgebend. Darf das nicht auchfür uns gelten?

Katharina Burgdörfer ktw

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Und jetzt alleDer Schwarm als neues Paradigma

Der achtundzwanzig Jahre alte peruanische FischerJuan Narciso Ucañan fährt am 1 4. Januar 2004 inseinem Cabal l ito (Schilfboot) bei Huanchaco hinaus

aufs Meer. Er ist zwölf Kilometer von der Küste entfernt, alsihm etwas sein wertvol les Netz zerfetzt. Um nachzusehen,taucht er. Da erbl ickt er über sich einen riesigenFischschwarm, der ihm den Weg zur Wasseroberflächeverwehrt. Juan Narciso Ucañan bezahlt diesen Tauchgang mitseinem Leben, denn der Schwarm über ihm läßt ihn nichtmehr zurück.

So beginnt der Roman von Frank Schätzing mit dem Titel „DerSchwarm“. Das Buch gibt Schwärmen eine Macht, die derMensch ihnen bis dahin nicht zugetraut hatte.Schwarmbildungen im Meer sorgen dafür, dass dieMenschheit fast einer ökologischen Katastrophe erl iegt. Al leMacht dem Schwarm? Alle Macht im Schwarm? Seit derLektüre dieses Buches in den Sommerferien mit der Famil ieam Mittelmeer hat mich das Thema nicht mehr verlassen. Wiefunktionieren eigentl ich „Schwärme“? Warum organisierensich Lebewesen al ler Art in Schwärmen? Was versteht manunter „Schwarmintel l igenz“? Zeigt sich hier ein Gesetz desLebens, von dem die Menschheit lernen könnte?

Ein zweites Erlebnis. Die meisten Menschen, die sich am 25.Januar 201 1 zu den ersten Protesten in Kairo treffen, sindFreunde – virtuel l , verbunden durch Facebook. Sie gehörengrößtenteils der so genannten Generation Mubarak an, dienie einen anderen Präsidenten erlebt hat als den heute 82-Jährigen. Sie sind aber auch Teil der Generation Internet, fürdie es völ l ig normal ist, sich in sozialen Netzwerken zubewegen. Facebook bot den jungen Ägyptern die idealePlattform, um sich in pol itischen Gruppen zusammen-zuschl ießen. Die Revolution in Ägypten beginnt im „Netz“, imInternet. Sie nutzt Facebook als das modernste Medium, dasSchwarmbildung ermöglicht und geradezu fördert.

Wenn der Schwarm ausschwärmt, beginnen Systeme zuwanken. Was aber ist eigentl ich ein „Schwarm“ und was daranist so besonders?

Vom Netzwerk zum SchwarmSpätestens seit den 80er Jahren ist uns bewusst geworden,dass jeder von uns eingebunden ist in eine unüberschaubareVielzahl von sich ausbreitenden und verdichtendenNetzwerken: technische, soziale, wirtschaftl iche, pol itische.Das Internet als "Netz der Netze" wurde zur technischenMetapher, die unsere Vorstel lung von der Welt und ihrenZusammenhängen geprägt hat. So wurde das „Netzwerk“zum zentralen Leitbild der letzten drei Jahrzehnte.

Überal l gründeten sich neue Netzwerke und wurdenAusdruck eines modernen Bewusstseins. Der Mensch zappeltim Netz? Wird gehalten von ihm? Die neuen Möglichkeitender technischen Vernetzung von PCs haben eine weitereInnovationsdynamik in Gang gesetzt. Im Zentrum dieser neuaufkommenden Bewegung steht nun das Bild des Schwarms

als neues Bild und als aufregendes soziales Orga-nisationsprinzip. Der Schwarm beginnt das Netz abzulösenoder zumindest zu erweitern.

Schwarmintel l igenz findet man in der Natur insbesondere beisozialen Insekten wie Ameisen und Bienen sowie bei Vögeln.In den Kolonien dieser Insekten scheint jedes einzelne Tierseine Aufgabe zu erfül len, ohne dass es einer Überwachungbedarf. Dennoch wirken diese Kol lektive hoch organisiert.Wenn Bienen ein neues Zuhause suchen, entscheidet nichtdie Königin, sondern die Gemeinschaft. Bei Vögeln gilt: Fl iegeso schnel l wie die anderen. Behalte die nächsten siebenNachbarn vor, neben und hinter dir im Auge. Dies sindRegeln, durch die sich hundert Stare zu einem Schwarmformieren – der selbst lebendig zu sein scheint.

Von Emergenz – um ein weiteres Stichwort einzuführen -spricht man dann, wenn ein Ganzes über Eigenschaftenverfügt, die erst aus dem Zusammenspiel, der Verbindungseiner Teile entstehen, wenn eine neue, ungeahnte Qual itätins Spiel kommt. Emergenz schafft etwas Neues, das nichtvorhersehbar war.

Schwarm und Emergenz sind zwei Begriffe, die für michunmittelbar zusammenhängen: "Das Ganze ist nicht nurmehr, sondern etwas ganz anderes als die Summe seinerTeile." sagt z.B. der US-amerikanische Physiker Phil ip W.

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Mein Schwarm Katharina-WerkIch fände es faszinierend, die Metapher des Schwarms einmalauf das Wachsen des Reiches Gottes in einer geistl ichenGemeinschaft wie das Katharina-Werk zu übertragen.Folgende Gedanken inspirieren mich zum Weiterdenken:

1 . Die ständige Interaktion zwischen Menschen wird alsselbstverständl iche Ressource für Entwicklung verstanden.Wir handeln gemeinsam. Niemand wird abgeschnitten. Ichtrete nicht die Verantwortung an die anderen ab, sondernnutze die Schwarmstruktur für eine neue Ermächtigungmeiner und al ler anderen Kräfte.

2. Schwarmintel l igenz wird als Potential für Veränderungs-prozesse innerhalb und außerhalb der Gemeinschaft genutzt.Liquidität bekommt ein anderes Gesicht: Eine l iquide

Gemeinschaft kommt in Fluss aufgrund des reichenCharismas ihrer Mitgl ieder.

3. Schwarmintel l igenz sucht nach Möglichkeiten, Feedbackzu geben, zu werten und die Ergebnisse der Wertung denenwieder zur Verfügung zu stel len, die sie fürWeiterentwicklungsprozesse brauchen. Schwarmintel l igenzentwickelt und pflegt ein organismisches Hören undSprechen. Niemand wird übersehen oder überhört. Wirbehalten ein hohes Maß an Individual ität bei gleichzeitigerIntel l igenz für das Ganze.

4. Wir als Katharina-Werk lernen von unseren „Umwelten“und die Umwelten lernen von uns. Wir sind offen fürdynamische Formen der Zugehörigkeit und Bindung undgehen in einen offenen Lernprozess mit der „Welt“.

Anderson. Wenn sich in einem System die Akteure offen undkreativ aufeinander einlassen, entsteht etwas ganz Neues,etwas, von dem niemand vorher auch nur ahnte, dass esentstehen könnte. Ist Emergenz ein anderes Wort für denHeil igen Geist?Kann man Trinität möglicherweise auch als ein emergentesSystem denken?

Schwärme sind so alt wie die Natur und doch soinnovativDer entscheidende Perspektivwechsel besteht nun darin,dass es im Kern nicht mehr nur um Austausch oderKommunikation geht, sondern um eine neue Art der

Kooperation . Am Horizont leuchtet hier eine neue Kultur derZusammenarbeit auf, von dem der Berufsvisionär Sir ArthurC. Clarke behauptet, dass es sich dabei um "one of thegreatest transformations of human society - perhaps evenmore profound than the development of writing" handelt –„einer der größten Transformationsprozesse der Menschheit“!

Auch in der Evolutionstheorie vol lzieht sich ein al lmähl ichesUmdenken. Lange hielt man die Geschichte des Lebens füreinen vom Eigennutz geprägten Überlebenskampf.„Kooperation“, so das Ergebnis neuester Forschungen, „ist keinKuriosum, sondern eine grundlegende Eigenschaft derEvolution.“ Auch wenn die meisten Naturwissenschaftlerdiesen Gedanken nicht teilen, bildet sich eine wachsendeGruppe von Biologen heraus, die Kooperation für dieeigentl iche Triebfeder der Evolution halten.

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5. Das Thema „Leitung“ ist in diesem Zusammenhang sehrkompliziert, denn Leitungen in einem Schwarm wechselnständig. Für eine große Kernkompetenz von Leitung in einemSchwarm halte ich das Wahren des Überbl icks über laufendeProzesse und die Verknüpfung von Elementen, die dieEntwicklung positiv beeinflussen. Leitung erhält so vor al lemmoderierende Funktion, denn im Schwarm ist jeder Rand undZentrum zugleich.

6. Überhaupt die Frage nach dem Zentrum: Es gibt keinesichtbare Mitte, um die herum sich ein Schwarm bildet. Er ist„zentrumslos“. Dennoch gibt es eine geheimnisvol le Kraft, dieeinen Schwarm fest zusammenhält. Er hat eine „Mitte“, dieaber nicht als sichtbares „Zentrum“ identifizierbar wäre. Sie istnicht lokal isierbar, sondern findet sich auf einer höherenEbene. Es ist nicht seine Mitte, auf die hin sich ein Schwarmausrichtet, sondern der Schwarm selbst ist seine Mitte.

7. Schwärme sind in einem hohen Maß beweglich, denn siestel len kein „Netz“ dar, in dem die „Schwärmer“ gefangenwären. In der Vielfalt sind al le aufeinander bezogen.

8. Ein solches systemisches Gemeinschaftsverständnis nimmtdie Einzelnen mit al lem, was sie einzubringen haben, ernstund setzt sie zugleich in Beziehung mit dem Potentialanderer. Al le Charismen werden (und sind ihrer Natur nach)„sozialpfl ichtig“. Al le tragen dazu bei, dass der gesamte Leibsich selbst auferbaut. Schwarmintel l igenz ist immer dieIntel l igenz der Vielen.

Ich lebe seit vielen Jahren mit dem Begriff „Schwarm“ undhabe es immer als sehr bereichernd und auch beunruhigenderlebt, seine Konnotationen in al l mein Denken quasi wieeine Sub-Struktur einzuziehen, wie eine gefährl icheErinnerung an etwas, das meine festgefahrenen Denk-strukturen auflöst.

Fragen habe ich natürlich auchIst Wahrheit etwas, was die Gemeinschaft formuliert? Kannder einzelne auch in der Masse untergehen? Überhaupt dasNachdenken über das Thema Masse: Wer oder was korrigiertirrende Schwärme? Wie sichert ein Schwarm mein Bedürfnisnach Einsamkeit? Was geschieht mit denjenigen, die ausdem Schwarm herausfal len? Es gäbe weitere Fragen, ohnedass der Schwarm als neue Metapher seine Faszinationverl iert.

Mit der Übertragung des Begriffs Schwarmintel l igenz aufProzesse im menschl ichen Miteinander entsteht eine neueQual ität von Vergemeinschaftung, Vergesel lschaftung undEntscheidungsfindung in al len sozialen und auch spirituel lenFragen. Diesen Transformationsprozess beobachten wiral lerorten. Expertenwissen wird nur in dem Masse vonBedeutung sein, wie es interdiszipl inäre Teams sinnvol lweiterbringt. Gemeinschaften und Organisationen alsinterdiszipl inäre Teams? Ich finde: Dafür und davon lohnt essich zu schwärmen!

Norbert Lepping ktw

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Chatprotokoll

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Impressum

Kürzlich las ich auf einem Plakat „Mach die Augen aufund du wirst sehen, die Welt ist von Gott erfül lt!“ Giltdas eigentl ich auch für die Welt des Internet? In den

letzten Jahrzehnten ist das WorldWideWeb ja zunehmend Teilunseres Lebens geworden, aber ist es auch Teil unserer Welt,eine Erweiterung der Weltwirkl ichkeit? Oder ist das „Netz“doch letztl ich nur eine Gelegenheit, mich der Real ität meinerWelt und meiner selbst zu entziehen?

Ereignisse in jüngster Zeit zeigen mir, wie Menschen überdas Internet Real ität "schaffen", z.B. wenn Blogger wiedersichtbar machen, was Despoten von der Bildfläche der Welt„löschen“ wollten: unl iebsame Ideen, Namen undGeschichten von Menschen, die im Gulag verschwanden,Gesichter der Opfer von Gewalt und Folter...; z.B. wenn vir-tuel le Netze per facebook, twitter, youtube usw. Schwärmevon Freiheitsdurstigen formieren und despotische Systemeerschüttern oder gar hinwegfegen, wie wir es gerade erleben.

Ist diese neue Welt auch be-rufen ein Ort der Gegenwartdes Göttl ichen sein wie der„Rest“ der Welt?

Ganz persönl ich fand ich eine Spurder GEGENWART beim küzl ichenTod meiner Frau Gabi. In derBegegnung mit der virtuel len Kirche derInternetstadt Funcity hatte Gabi schon vorJahren gespürt, dass sich dort ein neuer Raum eröffnet, imAustausch mit Glaubenden und Suchenden die Gegenwortdes Göttl ichen im Netz zur Sprache zu bringen. AlsSeelsorgerin in der Funcitykirche kam sie u.a. als Moderatorinder Kirchenchats mit Menschen ins Gespräch, die sich imSchutz des virtuel len Raum als Suchende in großer Offenheitzu zeigen wagten. Manche fanden über dieseGesprächskontakte Zutrauen, in Einzelchats und Email-kontakten – oft zum ersten Mal – ihre Nöte, Verletzungen zuoffenbaren und Begleitung zu suchen. Hier geschah wirkl icheBegegnung, das „Netz“ wurde zum Ort von Heilung undVersöhnung, Berührung mit der heilenden GEGENWART.

Zwei Tage nach Gabis Tod brannten auf dem virtuel lenKerzenständer in der Funcitykirche viele Kerzen für Gabi,Zeichen der Trauer und des Dankes der Menschen, die Gabidort begegnet waren. Einige Tage später versammelte sichdie „Gemeinde“ der Internetkirche, um in einem Chat-gottesdienst Abschied zu nehmen von Gabi und noch einmalins Wort und ins Gebet zu bringen, was Gabi ihnen bedeutethatte, und sich mit al len – also auch mit mir – zu verbinden,die um Gabi trauern.

Als ich das Chatprotokol l des Gottesdienstes später lesendurfte, schossen mir die Tränen in die Augen, nicht so sehraus Trauer sondern aus tiefer Dankbarkeit, hier – an diesemOrt – die Berührung der tröstenden GEGENWART spüren zudürfen: Auferstehung!

Hans-Jakob Weinz ktw

Berührung in der virtuellen Welt

Herausgeber:Katharina-WerkHoleestr. 1 23, CH-401 5 BaselTelefon: 0041 -(0)61 -307-23-23www.katharina-werk.org

Redaktionsausschuss:Katharina Burgdörfer, NorbertLepping, Sibyl le Ratsch, Heidi Rudolf,Lisa Wortberg-Lepping, AchimRuhnau (Layout / Endredaktion),Hans-Jakob Weinz (Endredaktion),

Druck:CCS VON DER OSTEN GmbHSchwarzwaldstr. 67D-79539 Lörrach

Bildnachweise:TitelbildPanoramio, johnney1 963Seite 2/3Norbert LeppingSeite 4/5"schreitender König", G. SambaleFoto: Tim Wollenhaupt

Seite 6/7Bert van 't Hul / www.sxc.huSeite 8Vladimer Shioshvil i / fl ickr.deSeite 9www.kirche.funcity.de/Seite 1 0Bruce Skinner / www.sxc.huSeite 1 1Hans-Jakob WeinzSeite 1 2Inga Nielsenwww.gatetonowhere.de

Spendenkonten:CHF: PostcheckkontoKatharina-Werk Basel,PC 40-71 41 42-2

EUR: Katharina-Werk Deutschlande.V.Bank für Sozialwirtschaft, KarlsruheBLZ 66020500,Konto: Nr. 1 708503

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Silja Walter schreibt in einem wunderschönenSchöpfungshymnus: „Immer ist al les dem Wechsel undWandel verschrieben“. Das Wunder der Wandlung

erleben wir jedes Jahr neu. Wenn der Herbst seinen Abschiedvom Sommer mit leuchtenden Farben malt und doch auchVorbote des Winters ist, indem die Natur wieerstorben scheint, ahnen wirdas Wunder der immer-währenden Erneuerung;denn wir wissen es ausErfahrung: Der Frühl ingbringt uns das Lebenzurück, das in den Knospenbereits angelegt ist.

Leben ist AuferstehenLeben und Auferstehengehören zueinander. Siegeben uns die Botschaft:Leben ist Bewegung. Es istVergehen und Entstehen.Letztl ich ist unser ganzesLeben vom Geheimnis derWandlung geprägt und esentspricht auch unseremWesen zu sagen: „Ich bin dieAuferstehung und dasLeben.“So zentral ist dieses Ver-wandlungsgeschehen inunserem Leben, dass dasChristentum die Ver-wandlung ins Zentrumseines Glaubens geholt hat.Im Johannesevangel iumwird es auf den Punktgebracht, wenn Jesus vonsich sagt: „Ich bin dieAuferstehung und dasLeben“ (Joh 1 1 ,25). In jeder Eucharistie feiern wir sie.Verwandlung meint, dass das Eigentl iche, das Wesentl icheund Ganze durchbricht durch das Uneigentl iche, auch durchdie Oberfläche der Ereignisse.

Verwandlung erfahren ...Unsere Grenzen, unsere Unfähigkeiten, unsere Krankheiten,unsere Brüchigkeit, unser ungelebtes Leben, al les gehört zuuns und weist darauf hin, dass in uns ein etwas Größeres,

noch Wesentl icheres wartet, aufzutauchen. Erfahren wirVerwandlung, dann wird die bisherige Last plötzl ich zu einemkostbaren Schatz. Unzähl ige bibl ische Geschichten berichtenuns von solchen Verwandlungen. Manchmal weisen siedarauf hin, dass zunächst unsere Dunkelheiten ausgeräumt

werden wollen, wie beiJakob, der in der Nacht amJabbok sich einer dä-monischen Gestalt stel lt undmit ihr ringt. (Genesis Kap.32). Al les Unversöhnte seinerLebensgeschichte mag dazum Austragen gekommensein. Al le Angst und Schuld,die sich an-gesammelt hat,taucht auf vor derungewissen Be-gegnung mitdem be-trogenen Bruder.Am Ende des Kampfes undam Ende der Nacht ist Jakobein Gesegneter.

... in unseren BrüchenWir könnten uns an den un-nützen Dornbusch erinnern,durch den Mose Gottbegegnet. Er brennt undverbrennt nicht. Gott scheintdurch ihn hindurch und sowird er zum Ort derGegenwart Gottes. Und erstnoch dieser stotternde, vonMinderwertigkeitsgefühlengeplagte Mose, der in derKraft Gottes zum größtenAnführer seines Volkesgewandelt wird.Mit einem inneren Lächelnvergegenwärtigen wir unsdie Verwandlung des Paulus,

der vom hohen Ross heruntergeholt wird und dem allesbisherige Sehen genommen wird, damit er anfängt, aus einerneuen Perspektive sehen zu lernen (ApostelgeschichteKap.9).Wie durch Berührung, durch einen barmherzigen Bl ick, durcheinen Anruf Verwandlung geschieht, das hat uns Jesusvorgelebt. Gebeugte wurden aufgerichtet, Kranke wurdengesund, Schuldbeladene konnten wieder frei atmen,Menschen bekamen eine neue Lebensausrichtung. Immergeschah Wandlung in der Zuwendung, die wir als

Geh in der Verwandlung ein und aus R.M. Rilke

Vom Sterben und Auferstehen

Immer ist alles demWandelund Wechselverschrieben.Vergehenmuss geschehn.Es trägtdurch die Furtin die neue Geburt…Dein Leben,dein LebenO Gloria Gott!

Silja Walter

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schöpferische und ver-wandelnde Liebe erkennen.Begegnungen, in denen wirin unserem Wesen gesehensind, lassen uns – manchmalunverzügl ich – ganz und neusein.

Berufen zu wandelnEs ist Gott, der verwandelt.Und doch: „Der Mensch istberufen – ZU WANDELN“,lese ich in „Antwort derEngel“. Und das meint:Mensch, lebe eine neueMacht! Eine, in der GottesKraft und Deine zu einerKraft geworden ist. Dann, –so Teilhard de Chardin –sprich das doppelte Wortüber die die ganze Welt: DASIST MEIN LEIB – DAS IST MEINBLUT. In der Wechsel-wirkung von Erleben undVerstehen wird das Lebenseiner selbst und seiner Fül legewahr.Das ist das Wunder derVerwandlung, dass unserscheinbar so sinn- und wert-loses Leben etwas unendl ichKostbares, Freude bring-endes, al les Leben ringsumBereicherndes darstel lt, jadass es vergöttl icht wird.Daran, wie wir uns selbst unddie Welt betrachten, ver-wandeln wir uns und ver-wandelt sich die Welt. Dieganze göttl iche Kraft be-währt sich darin, al les ganzanders zu sehen bis hin, dassselbst der Tod ins Lebengeholt ist. Freil ich müssenwir es wagen: Mensch, geh inder Verwandlung ein undaus!

Hildegard Schmittful l ktw

Abschied von Gabi Weinz

Als Theologin, Famil i-enfrau und spirituel leWeggefährtin hat

Gabi Weinz mit uns ihreGedanken und Erfahrungenin vielen Ausgaben vonKatharina Aktuel l geteilt. Un-ter dem Titel „Der Ahnungfolgen“ erzählte sie im April ,wie sie in der Auseinander-setzung mit ihrer Krebser-krankung ganz neueAusdrucksformen im Malenund Schreiben gefundenhat. Ihr Buch „Ich fal le nicht –ich gehe“ stel lt tief bewe-

gende Bilder und Texte vor. Zur Vernissage der gleichnami-gen Ausstel lung konnte Gabi Weinz ein letztes Mal nach Baselreisen. Kurz danach ist sie am 1 7. Mai im Kreis ihrer Nächstenin Bonn gestorben. Wir trauern um sie, gemeinsam mit ihremMann Hans-Jakob, ihrer Famil ie und al len WeggefährtInnen.

Gabi ist mit ihrem Mann 1 986 ins Katharina-Werk eingetreten.In dieser Zeit der Öffnung für al le Lebensformen haben beidewichtige Pionierarbeit geleistet, besonders in der Paar- undFamil ienspiritual ität und in der Ökumene. Gabi war eine Fraugroßer Leidenschaft. Mit tiefer Hingabe hat sie sich auf ihrepriesterl iche Berufung eingelassen. Ihrer Kirche war sie dabeistets verbunden, trotz der Grenzen, die ihr dort in ihrem Wir-ken als Frau gesetzt waren. Im Team mit anderen war sie hochkreativ, neue Formen von Gottesdiensten, spirituel len Begeg-nungen, Exerzitien und Seelsorge zu entwickeln. Bis zu Be-ginn ihrer Erkrankung hat sie unsere Jahreskurse geleitet, woMenschen auf den Eintritt in unsere Gemeinschaft vorberei-tet werden. Und bis zuletzt hat sie innerl ich Anteil an unserenEntwicklungen und den Wegen derer genommen, mit denensie verbunden war.

Gabi, Du fehlst uns. Danke für al les, was Du uns in DeinemDa-Sein, in Deinen vielen Gaben geschenkt hast. Du hinter-lässt uns einen grossen Schatz.

Sibyl le Ratsch ktw

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Energetische Brücken über den Raum

Seht ihr den Mond dort stehen? Er ist nur halb zusehen und ist doch rund und schön.So sind wohl manche Sachen, die wir getrostbelachen, weil unsre Augen sie nicht sehn.

Matthias Claudius

M atthias Claudius spricht in seinem Lied „Der Mondist aufgegangen“ eine Erfahrung von Zwischen-Räumen an, die uns im Leben oft begegnet: das

Nicht-Mehr und das Noch-Nicht. Gottes Schöpfung macht esvor: Brach-Zeiten, sind für das Leben, für jede Entwicklung,für al les Vergehen und Werden not-wendig. Wir können denTag nicht in der Nacht erzwingen, und die Nacht nichtwährend des Tages. Damit die Bäume Früchte tragen, müssenim Herbst die Blätter fal len. Manchmal ist es so, dass wir dieVision vom Neuen schon sehen und loslassen undaufbrechen müssen, ohne zu wissen, ob uns die Ankunft imNeuen wirkl ich vergönnt ist.

Beim Schreiben ist mir Moses in den Sinn gekommen:gerettet von der Königstochter, war er wie ein Sohn für denPharao. Er hätte sich bequem einrichten und aus seinerprivilegierten Stel lung heraus versuchen können, seinem Volkzu helfen. Doch tief in ihm drinnen meldete sich eine andereStimme. Als er den brennenden Dornbusch sah, spürte er,dass er sich trotz al ler Unsicherheit, al lem Nichtwissen, dieserStimme anvertrauen muss, diesem so verzehrenden Brennen,

dem er begegnete. Nun hiess es: al les loslassen und sich mitdem immer wieder murrenden Volk auf den Weg machen,Durststrecken aushalten, ohne zu wissen, wohin der langeWeg es führte und ob man je ankommen wird in jenemgelobten Land. Mose bl ieb nichts als sein Vertrauen darauf,dass Gott ihnen voranging. Das Ziel vor Augen hielt er durchund durfte es wenigstens aus der Ferne schauen: das neueLand.

Loslassen, ohne das Neue genau zu kennen, ist wohl dasSchwierigste: einen l ieben Menschen, einen Ort mitFreunden, eine bekannte Arbeit, die Heimat. Manchmalwerden wir ungewollt dazu gezwungen, manchmal drängtuns das innere oder äussere Brennen. Einen Zwischen-Raumauszuhalten verlangt Ausdauer und Wartenkönnen, bis dasNeue sich ganz entfaltet. Manchmal kommen wir dann wiedie Israel iten auf ihrem Weg durch die Wüste in Versuchung,das Alte bewahren zu wollen oder am liebsten wiederumzukehren, zurück zu den „Fleischtöpfen Ägyptens“.Zwischen-Räume muten uns Ungewissheiten zu und lösendeshalb oft Angst und Unsicherheit aus. Viel leichtresignieren wir oder wollen das Neue herbeizwingen, ohnees reifen zu lassen. Aber Zwischen-Räume sind auch nützl ich,um Altes ganz zu verabschieden. Denn solange es noch daist, bin ich nicht wirkl ich frei für Neues,

Übung für Zeiten des UmbruchsIch setze mich - z.B. im Frühherbst - mit einem Apfel in derHand an den Waldrand, betrachte die farbigen Blätter derBuchen und den fruchtigen Apfel in meiner Hand. Kann ichvertrauen, dass die prachtvol len Blätter fal len, damit imFrühjahr wieder zartes Grün wächst – neu, wirkl ich neu? Dassan den kahlen Apfelbäumen Knospen und Äpfel reifenwerden? Kann ich mich auf die Brach-Zeit einlassen inVorahnung und Vorfreude auf das Neue? Der Saft des Apfels,den ich esse, und das ruhig-werdende Vertrauen machenmeine Sinne offen für den Atem, den befreienden Geist, derdurch den Zwischen-Raum bläst und mein Vertrauen, stärkt,ja viel leicht sogar Vorfreude weckt auf das gewisseUngewisse.

Manchmal entstehen in diesem Atem-Geist Worte, Töne,Bilder – Zwischen-Töne, Raum-Worte, Übergangs-Bilder. DerAtem fül lt den Raum, ohne ihn zu verstopfen. Worte, Töne,Bilder, sind bei den Menschen unterschiedl ich. Aber sie sindwie energetische Brücken über den Raum, die bleiben, ohneverharren zu wollen und geleiten, wenn wir uns ihnenanvertrauen vom Alten ins Neue. So können wir atmend denZauber der Verheissung erschl iessen, der uns in Zwischen-Räumen verborgen entgegenweht!

Heidi Rudolf ktw