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Zitiervorschlag: Vyvers, jurisPR-TranspR 1/2016 Anm. 1 ISSN 2197-537X juris GmbH, Gutenbergstraße 23, D-66117 Saarbrücken, Tel.: 0681/5866-0, Internet: www.juris.de, E-Mail: [email protected] Der juris PraxisReport sowie die darin veröffentlichten Anmerkungen sind urheberrechtlich geschützt. Kein Teil darf (auch nicht auszugsweise) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form reproduziert werden. © juris GmbH 2016 Herausgeber: Deutsche Gesellschaft für Transportrecht e.V. 1/2016 Erscheinungsdatum: 12.02.2016 Erscheinungsweise: zweimonatlich Bezugspreis: 10,- € monatlich zzgl. MwSt. Inhaltsübersicht: Anm. 1 Haftungsbefreiung für Frachtführer nach Verladefehler des Absenders Anmerkung zu BGH, Versäumnisurteil vom 19.03.2015, I ZR 190/13 von Carsten Vyvers, RA und FA für Transport- und Speditionsrecht Anm. 2 CMR Transport: Kein Rückgriff auf nationales Recht bei Frachtforderungen gegen den Empfänger Anmerkung zu OLG Braunschweig, Urteil vom 08.04.2015, 2 U 123/13 von Jan Otto Bodis, LL.M., RA und FA für Versicherungsrecht, Bodis Rechtsanwälte Anm. 3 Haftung für Sturzunfall eines Fluggastes beim Einsteigevorgang Anmerkung zu OLG Düsseldorf, Urteil vom 25.02.2015, I-18 U 124/14 von Prof. Dr. Wolf Müller-Rostin, RA Anm. 4 Vermeidbarkeit einer großen Flugverspätung durch das Ergreifen zumutbarer Maßnahmen Anmerkung zu AG Hannover, Urteil vom 13.11.2015, 506 C 6346/15 von Ulrich Steppler, RA, Arnecke Sibeth Siebold, Frankfurt am Main / Eva Tiemann, RA'in Anm. 5 Neuerungen in Zollverwaltung & Zollrecht in 2016: Gründung der Generalzolldirektion (GZD) und Geltung des Unionszollkodex (UZK) von Dr. Carsten Weerth, BSc LL.M. M.A., Hauptzollamt Bremen, Lehrbeauftragter an der FOM Hochschule für Oekonomie und Management, Bremen

zzgl. MwSt. Bezugspreis: 1/2016 zweimonatlichjurisPR-TranspR 1/2016 1 Haftungsbefreiung für Frachtführer nach Verladefehler des Absenders Leitsätze: 1. Von der Haftung nach Art

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Zitiervorschlag: Vyvers, jurisPR-TranspR 1/2016 Anm. 1ISSN 2197-537X

juris GmbH, Gutenbergstraße 23, D-66117 Saarbrücken, Tel.: 0681/5866-0, Internet: www.juris.de, E-Mail: [email protected] juris PraxisReport sowie die darin veröffentlichten Anmerkungen sind urheberrechtlich geschützt. Kein Teil darf (auch nichtauszugsweise) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form reproduziert werden.© juris GmbH 2016

Herausgeber: Deutsche Gesellschaft für Transportrecht e.V.

1/2016

Erscheinungsdatum:12.02.2016 Erscheinungsweise:zweimonatlich Bezugspreis:10,- € monatlichzzgl. MwSt.

Inhaltsübersicht:

Anm. 1 Haftungsbefreiung für Frachtführer nach Verladefehler des AbsendersAnmerkung zu BGH, Versäumnisurteil vom  19.03.2015, I ZR 190/13von Carsten Vyvers, RA und FA für Transport- und Speditionsrecht

Anm. 2 CMR Transport: Kein Rückgriff auf nationales Recht bei Frachtforderungengegen den EmpfängerAnmerkung zu OLG Braunschweig, Urteil vom  08.04.2015, 2 U 123/13von Jan Otto Bodis, LL.M., RA und FA für Versicherungsrecht, Bodis Rechtsanwälte

Anm. 3 Haftung für Sturzunfall eines Fluggastes beim EinsteigevorgangAnmerkung zu OLG Düsseldorf, Urteil vom  25.02.2015, I-18 U 124/14von Prof. Dr. Wolf Müller-Rostin, RA

Anm. 4 Vermeidbarkeit einer großen Flugverspätung durch das Ergreifenzumutbarer MaßnahmenAnmerkung zu AG Hannover, Urteil vom  13.11.2015, 506 C 6346/15von Ulrich Steppler, RA, Arnecke Sibeth Siebold, Frankfurt am Main / Eva Tiemann, RA'in

Anm. 5 Neuerungen in Zollverwaltung & Zollrecht in 2016: Gründung derGeneralzolldirektion (GZD) und Geltung des Unionszollkodex (UZK)von Dr. Carsten Weerth, BSc LL.M. M.A., Hauptzollamt Bremen, Lehrbeauftragter an der FOMHochschule für Oekonomie und Management, Bremen

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jurisPR-TranspR 1/2016

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Haftungsbefreiung für Frachtführer nachVerladefehler des Absenders

Leitsätze:

1. Von der Haftung nach Art. 17 Abs. 1 CMRist der Frachtführer gemäß Art.  17 Abs.  4lit.  c CMR befreit, wenn die Beschädigungdes Gutes auf einen Verlade- oder Verstau-fehler des Absenders zurückzuführen ist. EinVerladefehler kommt in Betracht, wenn eswegen einer Notbremsung zu einer Höher-stauung der Ladung kommt.

2. Eine zur Haftungsbefreiung des Fracht-führers gemäß Art.  17 Abs.  4 lit.  c CMRführende mangelhafte Ladung oder Stauungdes Transportgutes kann vorliegen, wennder Absender bei der Beladung die behörd-lich genehmigte Transporthöhe überschrei-tet.

Orientierungssatz zur Anmerkung:

Die Verladung des Gutes durch den Absen-der umfasst nicht nur das bloße Verbringendes Gutes auf das Transportfahrzeug, son-dern auch dessen Befestigung und Siche-rung. Dabei sind die vorhersehbaren Trans-portbedingungen zu berücksichtigen, zu de-nen unter anderem auch die Möglichkeit ei-ner Voll- oder Notbremsung durch das Trans-portfahrzeug zählen.

Anmerkung zu BGH, Versäumnisurteil vom 19.03.2015, I ZR 190/13von Carsten Vyvers, RA und FA für Transport-und Speditionsrecht

A. Problemstellung

Wer genau welche Pflichten bei der Verladungdes Gutes und der Ladungssicherung hat, er-scheint auf den ersten Blick nicht immer klar ge-regelt. § 412 Abs. 1 HGB ordnet diese Pflicht imZweifel zwar dem Absender zu, in der CMR fehlteine hiermit korrespondierende Vorschrift je-doch. Art. 17 Abs. 4 lit. c CMR befreit den Fracht-führer von seiner Haftung, wenn der Verlust

oder die Beschädigung des Gutes zurückzufüh-ren ist auf die Behandlung, das Verladen, Ver-stauen oder Ausladen des Gutes durch den Ab-sender, den Empfänger oder Dritte, die für denAbsender oder Empfänger handeln. Die Ausle-gung und Reichweite dieser Vorschrift war Ge-genstand der vorliegenden Entscheidung.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Die Klägerin, ein Speditionsunternehmen, be-auftragte die Beklagte mit der Durchführung ei-nes aus mehreren Sendungsstücken bestehen-den Schwerguttransportes. Die Beklagte führ-te diesen Transport nicht selber durch, sondernbediente sich hierfür der Streithelferin. Die ge-nehmigte Transporthöhe für die Transportfahr-zeuge belief sich auf 4,35 m, tatsächlich warendie Fahrzeuge jedoch bis zu 4,51 m hoch bela-den. Die Beladung erfolgte ohne Mitwirkung derFahrer durch Mitarbeiter der Warenverkäuferinunter Aufsicht eines Mitarbeiters der Klägerin.Eines der vier Fahrzeuge kollidierte mit einerBrücke. Wegen des hierbei vermutlich entstan-denen Schadens erhob die Klägerin eine Fest-stellungsklage gegenüber der Beklagten. Erst-und Zweitgericht hatten der Klage jeweils statt-gegeben und dabei eine leichtfertige Schadens-verursachung durch die Streitverkündete, wel-che die Beklagte sich zurechnen lassen müs-se, bejaht. Begründet wurde dies damit, dassder Fahrer hätte erkennen können, dass die La-dung die genehmigte Höhe von 4,35 m deut-lich überschritten habe und er die Ladungshö-he nicht kontrolliert habe. Der BGH hat die Ent-scheidung auf die Revision der Beklagten undStreitverkündeten hin aufgehoben und zur er-neuten Entscheidung an das OLG Schleswig zu-rückverwiesen.

Die Streitverkündete behauptete, eine voran-gegangene Notbremsung habe zu einem Ver-schieben und Aufstauen der Ladung geführt.Die höhere Beladung allein sei nicht als scha-densursächlich anzusehen, da ein anderer LKW,welcher keine Notbremsung vorgenommen hat-te, jedoch auch 4,51 m hoch beladen gewesensei, die Brücke problemlos habe passieren kön-nen. Dieses Vorbringen, welches die Vorinstan-zen als unerheblich angesehen hatten, durftenach Auffassung des BGH nicht einfach ignoriertwerden. Denn dieser Vortrag war bereits dazugeeignet, den Vorwurf eines kausalen Fehlver-haltens des Fahrers, erst recht den einer leicht-

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fertigen Schadensverursachung, zu widerlegen.Auch die Tatsache, dass die Verladung des Gu-tes in Abwesenheit der Fahrer durch Mitarbeiterder Warenverkäuferin und unter Aufsicht einesMitarbeiters der Klägerin erfolgt ist, hätte dasInstanzgericht nach Auffassung des BGH stärkerberücksichtigen müssen. Ein komplettes Aus-blenden dieser Abläufe, wie es in den Vorent-scheidungen geschehen war, verbunden mit ei-ner Übertragung der Verantwortung allein aufden Fahrer, sei jedenfalls unzulässig gewesen.Die Organisation der Verladung durch die Klä-gerseite führt nach Auffassung des BGH viel-mehr dazu, dass diese sich auf jeden Fall einMitverschulden an der Schadensentstehung zu-rechnen lassen müsse.

Den Haftungsausschluss des Art. 17 Abs. 4 lit. cCMR hatte das Berufungsgericht offensichtlichgar nicht gesehen bzw. geprüft. Dabei hätte einmögliches Überschreiten der genehmigten La-dungshöhe von 4,35 m dem BGH zufolge auchdem für die Verladung zuständigen Mitarbeiterder Klägerin auffallen müssen. Ob die mangel-hafte Ladungssicherung, welche schließlich zueinem Verrutschen der Ladung geführt hat, vomFahrer überhaupt hätte bemerkt werden kön-nen, muss noch weiter aufgeklärt werden.

C. Kontext der Entscheidung

Verlademaßnahmen, welche ohne die Anwesen-heit des Fahrers erfolgen, führen im Schadens-fall immer wieder zu Diskussionen (vgl. hier-zu beispielsweise BGH, Urt.  v. 22.05.2014 - IZR 109/13 und den Beweiswert einer angeblich„blind“ unterzeichneten Empfangsquittung, vgl.dazu Thume, jurisPR-TranspR 1/2015 Anm. 2).Der BGH nimmt im vorliegenden Fall eine inter-essengerechte Risikoverteilung vor, indem er– ausgehend vom gesetzgeberischen Grundge-danken – die Hauptverantwortung für die Durch-führung der Verladung und für etwaige, hierausresultierende Schäden auf Seiten des Absen-ders sieht. Die Anforderungen an den Vortragder Beklagtenseite dürften daher nicht über-spannt werden.

D. Auswirkungen für die Praxis

Ist der Fahrer bei der Beladung des Fahrzeugesnicht anwesend, sollte dies höchst vorsorglichauf dem Frachtbrief oder anderen Begleitdoku-

menten vermerkt werden, um unnötige Diskus-sionen über die Verantwortung für die Ladungs-sicherung und ggf. hieraus resultierende Schä-den zu vermeiden.

E. Weitere Themenschwerpunkte der Ent-scheidung

Bei einer Drei-Personen-Konstellation Kläger-Beklagte-Streitverkündete hilft die normale Re-lationstechnik allein nicht weiter. Herauszuar-beiten ist zunächst das Vorbringen der Streit-verkündeten, welches die Beklagte ggf. nichtexplizit aufgegriffen hat, sondern sich ledig-lich konkludent zu eigen gemacht hat. Dies istbei der Entscheidungsfindung durch das Gerichtgleichwohl zu berücksichtigen. Es reicht hier-für nach Auffassung des BGH aus, wenn die Be-klagte solchem Vorbringen der Streitverkünde-ten nicht ausdrücklich widersprochen hat.

Nur wenn die Beklagte explizit zu erkennengibt, dass sie den Vortrag der Streitverkündetennicht gegen sich gelten lassen möchte, darf dasGericht diesen Vortrag außer Acht lassen.

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CMR Transport: Kein Rückgriff aufnationales Recht bei Frachtforderungengegen den Empfänger

Leitsatz:

Art.  13 Abs.  2 CMR steht in seinem An-wendungsbereich einer nationalen Rege-lung entgegen (hier Art. 51 des polnischenGesetzes über das Beförderungsrecht), diedem Frachtführer unter erleichterten Vor-aussetzungen einen Anspruch auf Erstat-tung der Beförderungskosten gegen denEmpfänger einräumt.

Anmerkung zu OLG Braunschweig, Urteil vom 08.04.2015, 2 U 123/13von Jan Otto Bodis, LL.M., RA und FA für Versi-cherungsrecht, Bodis Rechtsanwälte

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A. Problemstellung

Die CMR ist ein völkerrechtliches Übereinkom-men, das die vertraglichen Beziehungen zwi-schen dem Absender und dem Straßenfracht-führer bei grenzüberschreitenden Straßentrans-porten zwingend regelt. Der in diesem Über-einkommen angesprochene Vertrag ist, wie derim deutschen Recht kodifizierte Frachtvertrag,ein Vertrag zugunsten Dritter, bei dem Absen-der und Empfänger gleichermaßen Ansprüchewegen Verlust, Beschädigung oder Lieferfrist-überschreitung gegen den Frachtführer geltendmachen können (sog. Doppellegitimation). DieCMR sieht vor, dass der Frachtführer als Ge-gengewicht zur Doppellegitimation seinerseitsseine Frachtansprüche alternativ von Absenderoder Empfänger in einer Art von Gesamtschuldbeanspruchen kann. Den Anspruch gegen denEmpfänger, der am Frachtvertrag nicht beteiligtist, stellt die CMR aber unter erschwerte Voraus-setzungen. So fordert Art. 13 Abs. 2 CMR, dassder Empfänger die ihm nach Art. 13 Abs. 1 zu-stehenden Rechte geltend gemacht, insbeson-dere die Auslieferung verlangt hat, und dassder zu zahlende Frachtbetrag aus dem CMR-Frachtbrief hervorgeht. Da in der Praxis die-se Anforderungen so gut wie nie erfüllt wer-den, geht diese Vorschrift – wie im Übrigenauch §  421 Abs.  2 HGB – meistens ins Leere.Es ist daher verständlich, dass Frachtführer beieiner Insolvenz des Absenders versuchen, aufnationale Vorschriften des unvereinheitlichtenRechtes zurückzugreifen, die – zum Schutz vonFrachtführern – gesetzliche Ansprüche gegenden Empfänger gewähren, die geringere Anfor-derungen aufstellen als Art. 13 CMR (vgl. z.B.LG Koblenz, Urt. v. 17.03.2015 - 3 HKO 33/14- TranspR 2015, 166, zu Art. L 132-8 des fran-zösischen Handelsrechtes). Die deutsche Recht-sprechung zur CMR lehnt – wie die zu referieren-de Entscheidung – einen derartigen Rekurs aufnationale Vorschriften mit dem Argument desVorranges der CMR regelmäßig ab. Ein völker-rechtlicher Vertrag, der zwingende Vorschriften(Art. 41 CMR) für Verträge über einen internatio-nalen Straßentransport aufstellt, geht nationa-len gesetzlichen Ansprüchen vor, die die völker-vertraglichen Regelungen überlagern und denFrachtführer bewusst schützen sollen.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Der polnische Frachtführer, der Transportevon Blechabfällen von Polen nach Deutschlanddurchführte, wurde von dem in Insolvenz ge-fallenen Absender nicht bezahlt. Er verklagtedaraufhin den deutschen Empfänger mit demHinweis auf Art.  51 des polnischen Gesetzesüber das Beförderungsrecht. Dort sei geregelt,dass der Empfänger zur Zahlung verpflichtetsei, wenn er das Gut mit dem Frachtbrief an-nehme. Diese Vorschrift gelte neben der CMRund verlange, anders als Art.  13 Abs.  2 CMR,zur Auslösung der Zahlungspflicht des Empfän-gers, lediglich die Übergabe des Frachtbriefesund des Gutes. Da die CMR in Art.  13 Abs.  2CMR lediglich die Konsequenz aus Art. 13 Abs. 1CMR geregelt habe, wonach der Frachtführerverpflichtet sei, auf Anforderung des Empfän-gers das Gut herauszugeben, liege für den Fall,dass die Sendung dem Empfänger freiwillig –ohne dessen ausdrückliche Aufforderung – ab-geliefert wurde, eine Lücke vor, die das ergän-zend anzuwendende polnische Recht schließe.Damit verwies die Klägerin wohl auf die ähnli-che Rechtsprechung des Cour de Cassation zuArt. L 132-8 (vgl. Legros, Transport Law in Fran-ce, S. 151, m.w.N.) der zufolge die CMR – nachfranzösischem Verständnis – hinsichtlich einesDirektanspruches des Frachtführers gegen denEmpfänger auf Frachtzahlung eine Lücke ent-hält und bei lückenfüllender Anwendung desfranzösischen Rechtes ein Direktanspruch aufFracht gegen den Empfänger gegeben sein soll.

Das OLG Braunschweig folgte dieser Auffassungnicht und kam mit der herrschenden Meinungzu der Auffassung, dass die CMR auch hinsicht-lich der Frachtansprüche gegen den Empfängerabschließend sei und keines Rückgriffs auf dasergänzend anzuwendende polnische Recht be-dürfe.

C. Kontext der Entscheidung

Diese Entscheidung, die im Ergebnis richtig seindürfte, überzeugt in ihrer dogmatischen Be-gründung nicht. Richtig ist zunächst, dass dieCMR als völkerrechtlicher Vertrag nach Art.  3Abs. 2 EGBGB Vorrang vor sonstigem autono-mem deutschen Kollisions- und Sachrecht be-sitzt. Völkerrechtliche Verträge, die ein ein-heitliches Sachrecht für internationale Sach-verhalte schaffen, verdrängen in ihrem sachli-

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chen, persönlichen und zeitlichen Anwendungs-bereich die nationalen Kollisions- und Sachnor-men (vgl. von Hoffmann/Thorn, InternationalesPrivatrecht, 9.  Aufl., §  1 Rn.  65; v. Bar/Man-kowski, Internationales Privatrecht, 2. Aufl., § 2Rn. 58, 63; Erman/Hohloch, BGB, 12. Aufl., Art. 3EGBGB Rn. 6). Man hätte nun eine detaillierteAuseinandersetzung mit dem Anwendungsbe-reich der CMR erwartet, die das Oberlandesge-richt leider nicht vornimmt. Die CMR regelt nachihrem Art. 1 CMR jeden Vertrag über die entgelt-liche Beförderung von Gütern über die Straße.Es geht mithin bei der CMR allein um vertragli-che Rechte und Pflichten. Von den vertraglichen(Haftungs-)Vorschriften der CMR darf durch Ver-einbarungen nicht abgewichen werden (Art. 41CMR). Nach Art. 28 CMR bleiben demgegenüberaußervertragliche Ansprüche des anzuwenden-den Rechtes im Grundsatz unberührt.

Diesen Vorschriften ist zu entnehmen, dassdie CMR vorrangig, wenn nicht sogar aus-schließlich, den internationalen (Straßen-)Be-förderungsvertrag im Fokus hat und die daraufbezogenen Rechte und Pflichten regeln möchte.Kein Gegenstand der CMR sind außervertrag-liche Ansprüche des anzuwendenden Rechtes.Damit stellt sich die Frage, ob es sich bei derVorschrift des Art. 51 des polnischen Gesetzesüber das Beförderungsrecht tatsächlich um eineals vertraglich zu qualifizierende Vorschrift han-delt oder um eine außervertragliche gesetzlicheVorschrift, die möglicherweise bereits deshalbnicht vom Anwendungsbereich der CMR um-fasst wird. Man denkt bei dieser Fragestellungsofort an die Vorschriften § 437 HGB (ausfüh-render Frachtführer) und § 509 HGB (ausführen-der Verfrachter), denen eine quasi-vertraglicheQualität zugesprochen wird und die dennoch imIPR nach den Grundsätzen über außervertragli-che Ansprüche behandelt werden (vgl. Herberin: MünchKomm HGB, 3. Aufl. § 437 Rn. 51, undHerber in: MünchKomm HGB, § 509 Rn. 64). Obein Anspruch bzw. Recht als vertraglich oder au-ßervertraglich zu qualifizieren ist, richtet sichentweder nach dem völkerrechtlichen Vertragselbst oder, wenn dieser keine Kollisionsrege-lungen enthält, nach den nachrangigen Regel-werken wie hier der Rom I- oder Rom II-Verord-nung. Im französischen Recht wird diskutiert, obder Direktanspruch gegen einen Subunterneh-mer und auch der Direktanspruch des Fracht-führers gegen den Empfänger als quasi-delikti-sche Ansprüche und damit außervertraglich zuqualifizieren sind (vgl. Bauerreis, ZEuP 2011,

408: „Direkter Zahlungsanspruch des Subunter-nehmers gegen den Auftraggeber nach franzö-sischem Recht unabhängig von der durch dieParteien getroffenen Rechtswahl“). Allerdingsspricht die Bindung an das Hauptvertragsver-hältnis eher für eine vertragliche Qualifikation(vgl. Junker in: MünchKomm BGB, 6. Aufl., Art. 1Rom  II-VO Rn. 24). Aber trotz der Bindung andas Hauptvertragsverhältnis möchte zumindestdie deutsche Kommentarliteratur die Ansprü-che gegen den ausführenden Frachtführer/Ver-frachter nach deliktischen Grundsätzen anknüp-fen. Würde man damit zu dem Ergebnis kom-men, dass es sich möglicherweise bei dem An-spruch des Frachtführers gegen den Empfän-ger nach Art.  51 des polnischen Rechtes zumBeförderungsrecht nicht um einen vertraglichzu qualifizierenden Anspruch, sondern um ei-nen deliktisch anzuknüpfenden Anspruch han-deln könnte, der qua Gesetz und nicht vertrag-lich den Frachtführer schützen soll, dann würdedieser Anspruch möglicherweise aus dem An-wendungsbereich der CMR bereits deshalb her-ausfallen, weil die CMR allein vertragliche An-sprüche betrifft. So wäre es eine interessanteFrage, ob bei hilfsweiser Anwendung deutschenRechtes ein Anspruch gegen den ausführendenFrachtführer im Rahmen eines CMR Transpor-tes in Betracht kommt, obwohl die CMR in ihrenArt. 34 ff CMR die Pflichten der aufeinanderfol-genden Frachtführer möglicherweise abschlie-ßend regelt.

Trotz dieses Begründungsdefizits dürfte die Ent-scheidung des OLG Braunschweig richtig sein.Art. 51 des polnischen Beförderungsrechtes fin-det sich in den Regelungen über den Beförde-rungsvertrag. Ebenso wie §  421 Abs.  2 HGB,den das OLG Braunschweig zusätzlich und we-nig konsequent, wenn auch ablehnend, prüft,betrifft Art.  51 des polnischen Beförderungs-recht genau die Inhalte, die die CMR für denVertrag im internationalen Straßen-Güterver-kehr für den Anspruch des Frachtführers ge-gen den Empfänger regeln möchte. Es soll-te jedoch überlegt werden, ob man perspekti-visch das Frachtbrieferfordernis bzw. die Ein-tragungspflicht der Fracht fallen lässt. DieseAnforderungen lassen die Frachtansprüche ge-gen den Empfänger ebenso leerlaufen wie diePflicht zur Übergabe von Frachtbrief und Güternbei aufeinanderfolgenden Frachtführern die An-wendung der Art.  34  ff. CMR obsolet werdenlässt. In letzter Hinsicht haben sich englischeGerichte und kürzlich auch der Hoge Raad in

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Holland (Eerste Kamer, Urt.  v. 11.09.2015 -14/03211) von dem Erfordernis eines durchge-henden Frachtbriefes abgewandt.

D. Auswirkungen für die Praxis

Da die Entscheidung sich in die bisherige Recht-sprechung einfügt, sind die Auswirkungen aufdie Praxis begrenzt. Allerdings bleibt es ein Wer-tungsungleichgewicht, wenn dem Empfängerzwar ermöglicht wird, Schadensersatzansprü-che gegen den Frachtführer geltend zu machen,er aber in der Praxis faktisch nicht verpflichtetwerden kann, die Fracht zu zahlen. Im Rahmender CMR fehlt es regelmäßig am Ablieferungs-verlangen und an dem Eintrag der Frachtenim Frachtbrief. Frachtführer müssen sich des-halb bei grenzüberschreitenden Straßentrans-porten ihre Vertragspartner gründlich aussu-chen und bei Erfordernis ihr Pfand- und Zu-rückbehaltungsrecht ausüben. Ansonsten wer-den sie mit Forderungsausfällen leben müssen.Von den Empfängern erhalten sie in aller Regelnichts.

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Haftung für Sturzunfall eines Fluggastesbeim Einsteigevorgang

Orientierungssätze:

1. Art. 17 Abs. 1 MontrÜbk ist auch im Rah-men der innerdeutschen Luftbeförderunganwendbar.

2. Art. 17 Abs. 1 MontrÜbk erfasst nur die-jenigen Ereignisse, die auf die betriebsty-pischen Risiken des Luftverkehrs zurück-zuführen sind, nicht dagegen solche, diein ähnlicher Weise in anderen Lebensbe-reichen vorkommen und lediglich gelegent-lich auch im Rahmen der Luftbeförderungpassieren (hier: Ausrutschen auf einer nas-sen Stelle einer Fluggastbrücke). Ist Art. 17Abs.  1 MontrÜbk für das Schadensereignisnicht einschlägig, so findet ein Ausschlussder Haftung nach nationalem Recht gemäßArt. 29 MontrÜbk nicht statt.

3. Die Anwendbarkeit von § 45 Abs. 1 LufVGwird durch die Anwendbarkeit der EGV

2027/97 in der Fassung der EGV 889/2002ausgeschlossen.

4. Auch wenn der Luftfrachtführer zwargrundsätzlich für den Ein- und Aussteigevor-gang verantwortlich ist, wird hiervon nichtdie Verantwortung für den ordnungsgemä-ßen Zustand des Flughafengeländes erfasst.Die Verantwortung hierfür trägt vielmehrder Flughafenbetreiber.

Anmerkung zu OLG Düsseldorf, Urteil vom 25.02.2015, I-18 U 124/14von Prof. Dr. Wolf Müller-Rostin, RA

A. Problemstellung

Auch bei einer innerstaatlichen Luftbeförderungkönnen die Haftungsvorschriften des Montrea-ler Übereinkommens von 1999 (nachfolgendMÜ) zur Anwendung gelangen. Zudem haftetder Luftfrachtführer nicht für Personenschäden,wenn diese durch eine Verletzung der Ver-kehrssicherungspflichten des Flughafenbetrei-bers verursacht werden.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Der Kläger war Flugreisender auf einer inner-deutschen Beförderung. Er war auf der ins Flug-zeug führenden Fluggastbrücke zu Schaden ge-kommen, da er gestürzt war. Für den Sturzsei eine angebliche Feuchtigkeit auf der Flug-gastbrücke verantwortlich gewesen. Der Klägermachte Schadensersatzansprüche wegen Kör-perverletzung nach Art 17 MÜ und hilfsweisenach § 45 LuftVG geltend. Das OLG Düsseldorfhat die Ansprüche zurückgewiesen.

Zur Begründung hat es ausgeführt, dass, ob-gleich es sich um eine innerdeutsche Beförde-rung gehandelt habe, die Haftungsvorschriftendes MÜ, hier Art.  17 MÜ, gleichwohl zur An-wendung gelangten. Denn die VO (EG) 2027/97i.d.F. der VO (EG) 889/2002 lasse das Haftungs-recht für Personenschäden des MÜ (Körperschä-den und Gepäckschäden) auch für nicht demMÜ unterliegende Beförderungen zur Anwen-dung kommen, vorausgesetzt, die Beförderung

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wird, wie vorliegend, durch ein Luftfahrtunter-nehmen der Gemeinschaft ausgeführt.

Allerdings ging das Gericht mit der herrschen-den Meinung in Rechtsprechung und Literaturdavon aus, dass Art.  17 MÜ nur solche Scha-densereignisse erfasse, deren Ursache in einersog. luftfahrttypischen Gefahr begründet lie-gen. Mit dem Ausrutschen auf einer – angeblich– feuchten Stelle auf der Flugzeugbrücke habesich indes keine luftfahrttypische Gefahr reali-siert, da die Feuchtigkeit auf dem Boden in kei-nem Zusammenhang mit den speziellen Gefah-ren der Luftfahrt stehe.

Auch auf die hilfsweise vom Kläger geltend ge-machte Anspruchsgrundlage des §  45 LuftVGkönne dieser sich nicht stützen, da sie durch dieVO (EG) 2027/97 i.d.F. der VO (EG) 889/2002verdrängt werde, die wiederum das Haftungsre-gime des MÜ zur Anwendung bringe. Zwar ließdas Gericht die Frage offen, ob auch § 45 Luft-VG eine luftfahrttypische Gefahr verlange, deu-tete aber an, dass es diesbezüglich keinen Un-terschied zu Art. 17 MÜ sehe, da andernfalls dieangestrebte Vereinheitlichung der Haftung desLuftfrachtführers im Bereich der EuropäischenUnion und im Geltungsbereich des MontrealerÜbereinkommens unterlaufen werde.

Ansprüche nach nationalem Recht (§§  280Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB) schieden ebenfalls aus,da dem beklagten Luftfahrtunternehmen kei-ne Pflichtverletzung vorgeworfen werden konn-te. Sollte die Fluggastbrücke tatsächlich feuchteStellen aufgewiesen haben, so unterfielen die-se nicht der Verkehrssicherungspflicht des Luft-frachtführers, sondern des Flughafenbetreibers.Dieser habe den Flughafen insgesamt in einemverkehrssicheren Zustand zu erhalten. Auchwenn der Luftfrachtführer gemäß Art.  17 MÜund § 45 LuftVG grundsätzlich für den Ein- undAussteigevorgang verantwortlich sei, da dessenHaftungszeitraum durch das Ein- und Ausstei-gen begrenzt sei, so könne er dieser Verant-wortlichkeit lediglich im Rahmen seines Pflich-tenkreises nachkommen, welcher grundsätzlichnicht die Verantwortlichkeit für den ordnungs-gemäßen Zustand des Flughafengeländes um-fasse.

Eine Haftung nach §  831 BGB scheide eben-falls aus, da der Luftfrachtführer gegenüber

dem Flughafenbetreiber und seinen Mitarbei-tern nicht weisungsbefugt gewesen sei.

C. Kontext der Entscheidung

Bei der Entscheidung des OLG Düsseldorf ver-dienen zwei Gesichtspunkte die besondere Her-vorhebung: die Anwendung der Haftungsregelndes MÜ auch für innerstaatliche Beförderungenund die fehlende Pflichtverletzung des beklag-ten Luftfrachtführers hinsichtlich des Zustandesder Fluggastbrücke.

Grundsätzlich gilt das MÜ nur für internationale,d.h. grenzüberschreitende Beförderungen zwi-schen zwei Ratifikationsstaaten. Das MÜ weisteine im Vergleich zur Vorgängerregelung desWarschauer Abkommens sehr großzügige Haf-tungsregelung für Personenschäden auf. DerLuftfrachtführer haftet nämlich unabhängig voneinem Verschulden, wenngleich beschränkt aufeinen Betrag von 113.100 Sonderziehungsrech-ten, oder unbeschränkt, sofern er nicht denNachweis führen kann, dass der Schaden nichtauf sein Verschulden oder das Verschulden sei-ner Leute zurückzuführen gewesen sei. Der Ver-ordnungsgeber in Brüssel hat durch die VO (EG)2027/97 i.d.F. der VO (EG) 889/2002 diese Haf-tungsregelung des MÜ auch für sämtliche Beför-derungen für anwendbar erklärt, die nicht demMÜ unterliegen, sofern sie von sog. Luftfahrtun-ternehmen der Gemeinschaft (zum Begriff vgl.Art. 2 VO (EG) 1008/2008) ausgeführt werden.Art. 6 VO (EG) 2027/97 ordnet an, dass die Haf-tungsregelungen der Verordnung von den Luft-fahrtunternehmen in ihre Beförderungsbedin-gungen aufzunehmen seien, wodurch sie kon-stitutiv ihre Verbindlichkeit erhielten. Damit giltfür die Luftfahrtunternehmen der Gemeinschafteine einheitliche Haftungsregelung; Schadens-ersatzleistungen hängen nicht mehr von denZufälligkeiten des Abgangs- oder Bestimmungs-ortes einer Luftbeförderung und dem dadurchbestimmten Haftungsregime ab. Die Verord-nung beseitigt im Ergebnis die Haftungsbegren-zungen diverser Haftungsregime, so z.B. §  46LuftVG oder Art.  22 WA. In meines Erachtensvölkerrechtlich nicht unbedenklicher Weise än-dert die Verordnung für die Mitgliedstaaten derEU, die, anders als die EU, sämtlich Ratifikati-onsstaaten des WA sind, einseitig Verpflichtun-gen aus dem WA ab.

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Durch die VO ist auch die Anwendung nationa-ler Haftungsvorschriften weitgehend durch dasGemeinschaftsrecht ausgeschaltet worden. Sokommen die §§ 44  ff. LuftVG nur noch in Aus-nahmefällen zur Anwendung, so z.B. wenn eineinnerstaatliche Beförderung von einem Nicht-Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft ausge-führt wird. Dies könnte dann der – seltene – Fallsein, wenn ein Luftfrachtführer nicht gewerb-lich oder nicht als Haupttätigkeit innerstaatlicheLuftbeförderungen ausführt (zu diesem selte-nen Fall vgl. EuGH, Urt. v. 09.09.2015 - C-240/14- ZLW 2015, 708 = RRa 2015, 293). Da die Be-förderung von Düsseldorf nach Hamburg voneinem Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaftausgeführt worden war, hat das OLG Düssel-dorf zu Recht festgestellt, dass für die Anwen-dung von § 45 LuftVG kein Raum besteht. Viel-mehr gelangt über die VO (EG) 2027/97 i.d.F.der VO (EG) 889/2002 das Haftungsregime desMontrealer Übereinkommens zur Anwendung.

Aber auch nach dem MÜ sprach das Gerichtdem Kläger keinen Anspruch zu. Art.  17 MÜverlangt, dass ein Unfall, der zweifelsohne vor-gelegen hat, ursächlich für die Körperverlet-zung oder Tötung des Fluggastes ist. Ob da-neben ein weiteres – ungeschriebenes – Tatbe-standsmerkmal, nämlich die Realisierung einerluftfahrttypischen Gefahr, vorliegen muss, umals Korrektiv zur Eingrenzung der gesetzlichenGefährdungshaftung (Stichwort „Schutzzweckder Norm“) zu wirken, wird in Rechtsprechungund Literatur unterschiedlich beurteilt, überwie-gend aber bejaht (Realisierung einer luftfahrtty-pischen Gefahr gefordert: OLG München, Urt. v.11.02.2009 - 20 U 3687/08 - TranspR 2013,126; OLG Frankfurt, Urt.  v. 23.10.1996 - 9 U16/96 - NZV 1997, 354 = NJW-RR 1997, 930;BGH, Urt.  v. 17.03.2015 - X ZR 35/14 - ZLW2015, 729, 732, obiter dictum; Giemulla in Gie-mulla/Schmid, LuftVG, § 45 Rn. 28; demgegen-über Realisierung einer luftfahrttypischen Ge-fahr nicht gefordert: KG Berlin, ZLW 1962, 78;Schönwerth, TranspR 1992, 11). Das OLG Düs-seldorf hat sich vorliegend der ersten, herr-schenden Auffassung angeschlossen und siehtin Art. 17 MÜ nur solche Ereignisse erfasst, dieihre Ursache in betriebstypischen Risiken desLuftverkehrs haben, nicht hingegen solche, dienur gelegentlich einer Luftbeförderung entste-hen. Das Ausrutschen auf dem Weg ins Flug-

zeug sah das Gericht nicht als typisches Risikodes Luftverkehrs an.

Da Ansprüche nach dem MÜ bzw. nach der VO(EG) 2027/97 i.d.F. der VO (EG) 889/2002 we-gen fehlender Realisierung einer luftfahrttypi-schen Gefahr ausschieden, konnten dem Klägerallenfalls nach nationalem Recht Schadenser-satzansprüche zustehen. Zwar stellt Art. 29 MÜdie ausschließliche Anwendung der Haftungsre-geln der Art. 17 ff. MÜ sicher, aber diese Aus-schließlichkeit soll nach herrschender Meinungnur dann gelten, wenn die Voraussetzungen füreine Anwendung der Haftungsregeln des MÜvorliegen. Soweit eine Haftung des Luftfracht-führers sich aus dem MÜ ergibt, ist eine Haftungnach anderen Vorschriften, insbesondere sol-che nationalen Rechts, ausgeschlossen (BGH,Urt.  v. 24.06.1969 - VI ZR 52/67 - NJW 1969,2008 zur vergleichbaren Vorschrift des Art. 24WA). Diese Ausschließlichkeitswirkung kommtdemzufolge für außerhalb des Regelungsberei-ches des MÜ liegende Schäden nicht zum Tra-gen, da andernfalls die Folgen derartiger Schä-den ungeahndet blieben.

Möglichen Ansprüchen nach nationalem Recht,auch nach Deliktsrecht, stand jedoch das Fehleneiner Pflichtverletzung seitens des Luftfracht-führers entgegen. Denn der Zustand der Flug-gastbrücke unterlag nach Auffassung des Ge-richts nicht der Verkehrssicherungspflicht desLuftfrachtführers, sondern derjenigen des Be-treibers des Flughafens. Da der Flughafenbe-treiber nämlich mit der Verkehrseröffnung ei-ne Gefahrenquelle schafft, obliegt ihm die Ver-kehrssicherungspflicht für die Flughafenanla-gen als eigene Verpflichtung. Er hat dafür Sor-ge zu tragen, dass sich der Flughafen insgesamtin einem verkehrssicheren Zustand befindet.Durch die Wahrnehmung dieser Aufgaben wirdder Flughafenbetreiber nicht zu einem der „Leu-te“ des Luftfrachtführers, die in Ausführung ei-ner vom Luftfrachtführer übertragenen Verrich-tung handeln und für deren Handeln oder Un-terlassen der Luftfrachtführer einzustehen hät-te (OGH, Urt.  v. 16.11.2012 - 6 Ob 131/12a -TranspR 2013, 128). Denn der Luftfrachtführerhat keinen Einfluss darauf, wie der Flughafenbe-treiber seinen Verkehrssicherungspflichten, dieihm durch § 45 LuftVZO auferlegt werden, nach-kommt, zudem wäre er auch gar nicht in der La-ge, das Flughafengelände gefahrenfrei zu hal-ten. Zwar ist der Luftfrachtführer grundsätzlichfür den Ein- und Aussteigevorgang der Fluggäs-

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te gemäß Art. 17 MÜ, § 45 LuftVG verantwort-lich, jedoch stets beschränkt auf seinen eigenenPflichtenkreis (OLG Köln, Urt. v. 09.01.1997 - 7U 106/96 - VersR 1997, 1022).

D. Auswirkungen für die Praxis

Die Entscheidung macht deutlich, dass dort,wo der Flughafenbetreiber Pflichten übernimmt,die er nicht einer einzigen Luftverkehrsgesell-schaft gegenüber schuldet, sondern allen denbetreffenden Flughafen anfliegenden Gesell-schaften (z.B. Schneeräumung), er nicht zu den„Leuten“ des Luftfrachtführers zu zählen ist. An-deres gilt hingegen beispielsweise, wenn derFlughafenbetreiber Gepäck der Fluggäste desLuftfrachtführers einzuchecken hat oder wennder Fluggast im von einem Angestellten desFlughafenbetreibers gesteuerten Vorfeldbus zuSchaden kommt. Durch die Zuerkennung einerHaftung des Flughafenbetreibers in Fällen, indenen dieser seinen Verkehrssicherungspflich-ten nicht nachkommt, wird der Luftfrachtfüh-rer entlastet, der Fluggast indes belastet. DerFluggast verliert nämlich den Haftungsschutz,den ihm der Beförderungsvertrag mit dem Luft-frachtführer gewährt, recht bald, nachdem eraus dem Luftfahrzeug ausgestiegen ist. Dies istumso gravierender, als nach herrschender Mei-nung vertragliche Beziehungen zwar zwischendem Flughafenbetreiber und dem Luftfrachtfüh-rer, nicht aber zwischen dem Flughafenbetrei-ber und dem Fluggast bestehen (OGH, Urt.  v.16.11.2012 - 6 Ob 131/12a - TranspR 2013, 128;Sigl, TranspR 2012, 349). Der Fluggast wird sichvornehmlich dann Rechtsnachteilen ausgesetztsehen, wenn er im Transit zwischen zwei Flü-gen zu Schaden gekommen ist, denn nun müss-te er gegen den Flughafenbetreiber seinen An-spruch in einer ihm fremden Rechtsordnung gel-tend machen. Gleiches gilt für einen Schaden,der ihm am Zielort seiner Reise (im Ausland)widerfahren ist. Für den Fluggast erschwerendkommt zudem hinzu, dass die Haftung nachnationalem Recht zumeist verschuldensabhän-gig ist. Andererseits wird die Haftung des Flug-hafenbetreibers dem Fluggast gegenüber nichtdurch die Vorschriften des MÜ beschränkt, da,wie gesagt, jedenfalls in diesem Fall der Flug-hafenbetreiber nicht zu den „Leuten“ des Luft-frachtführers zu zählen ist.

4

Vermeidbarkeit einer großenFlugverspätung durch das Ergreifenzumutbarer Maßnahmen

Orientierungssatz zur Anmerkung:

Zur Vermeidbarkeit einer großen Verspä-tung durch das Ergreifen zumutbarer Maß-nahmen und zur Verpflichtung von Luftfahrt-unternehmen, Vorkehrungen für den Falldes Eintritts einer Störung zu treffen.

Anmerkung zu AG Hannover, Urteil vom 13.11.2015, 506 C 6346/15von Ulrich Steppler, RA, Arnecke Sibeth Siebold,Frankfurt am Main / Eva Tiemann, RA'in

A. Problemstellung

Ein Luftfahrtunternehmen hat nach ständigerRechtsprechung des BGH im Fall einer großenFlugverspätung grundsätzlich eine Ausgleichs-zahlung zu leisten, kann sich hiervon jedochentlasten, wenn außergewöhnliche Umständegemäß Art. 5 Abs. 3 VO (EG) Nr. 261/2004 (nach-folgend FluggastrechteVO) vorliegen und dasLuftfahrtunternehmen die Verspätung auch beiErgreifen aller zumutbaren Maßnahmen nichthätte vermeiden können.

Das AG Hannover setzt sich zunächst mit derProblematik auseinander, inwieweit Luftfahrt-unternehmen im Rahmen der FluggastrechteVOverpflichtet sind, präventiv Mittel aufzuwenden,um im Fall einer Störung des Flugplans Maßnah-men ergreifen zu können.

Zudem befasst sich das Gericht mit der Frage,ob zumutbare Maßnahmen auch dann noch ge-prüft und gegebenenfalls ergriffen werden müs-sen, wenn bereits eine große Verspätung ein-getreten ist, die nicht hatte vermieden werdenkönnen.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Die Fluggäste begehrten Ausgleichszahlungenin Höhe von 400 Euro pro Person nebst Zin-sen wegen einer Flugverspätung. Sie hatten ei-

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nen Flug von Hannover nach Antalya gebucht.Die hierfür eingesetzte Maschine war vor demstreitgegenständlichen Flug für einen Flug vonHamburg nach Menorca sowie einen Flug vonMenorca nach Hannover eingesetzt worden.

Tatsächlich startete der Flug nach Antalya miteiner Verspätung von neun Stunden sechs Mi-nuten in Hannover.

Die Beklagte gab an, dass die Maschine auf ei-nem vorangegangenen Flug am Vortag einenVogelschlag erlitten habe, so dass eine Repa-ratur notwendig gewesen sei. Nach deren Ab-schluss sei der Betrieb fortgesetzt worden. DieBeklagte behauptete weiter, sich unmittelbarnach dem Vogelschlag um ein Ersatzflugzeugbemüht zu haben. Sämtliche Flugzeuge der Flot-te seien jedoch im Umlauf gewesen. Sie habeauch bei sämtlichen europäischen Airlines nachSubcharter-Flugzeugen gefragt. Der Einkauf ei-nes Subcharters sei jedoch nur für den Mittags-umlauf möglich gewesen. Nach einer ersten An-frage bei den Anbietern hatte die Beklagte kei-ne weiteren Anfragen gestellt.

Das Amtsgericht Hannover erachtete die zuläs-sige Klage als begründet und sprach den Klä-gern je 400 Euro nebst Zinsen zu.

Hierzu hat es darauf abgestellt, dass die Be-klagte nicht ausreichend vorgetragen habe, al-le zumutbaren Maßnahmen zur Vermeidung derVerspätung ergriffen zu haben. Bereits die An-gabe, bei sämtlichen europäischen Fluggesell-schaften nach einem Subcharter gefragt zu ha-ben, sei zu pauschal. Vielmehr hätte die Beklag-te im Einzelnen vortragen müssen, bei welchenAnbietern sie nachgefragt hatte.

Entscheidend sei jedoch, dass die Beklagtenicht dargelegt habe, dass sie während der Re-paraturarbeiten alle Mittel eingesetzt habe, umdie Verspätung zu vermeiden. Das AG Hanno-ver vertrat die Auffassung, dass ein Luftfahrtun-ternehmen grundsätzlich verpflichtet sei, eineVerspätung so gering wie möglich zu halten undauch nach dem Eintritt einer dreistündigen Ver-spätung die Verfügbarkeit zumutbarer Maßnah-men zu prüfen und diese gegebenenfalls zu er-greifen. Sobald die Verspätung durch eine ent-sprechende Maßnahme beendet werden könne,greife Art. 5 Abs. 3 FluggastrechteVO nicht mehrein. Die Beklagte sei folglich nicht gemäß Art. 5Abs. 3 FluggastrechteVO von der Zahlungsver-

pflichtung befreit, da sie nach einer ersten An-frage nicht weiter geprüft habe, ob die Störungbeseitigt werden könne.

Das Gericht führte weiter aus, dass die in die-sem Zusammenhang angenommene Verpflich-tung, zusätzliche Mitarbeiter für die Organisa-tion des Ersatzes ausgefallener Maschinen ein-zustellen, auch keine außergewöhnliche Belas-tung darstelle.

Die Beklagte meint hingegen, eine ständige Prü-fung, ob die eingetretene Verspätung durch ei-ne andere Maßnahme als die Reparatur beendetwerden könne, sei nicht ihre Aufgabe. Dies seiauch unüblich, unpraktikabel und zudem wegenpersoneller Kapazitäten wirtschaftlich nicht dar-stellbar.

C. Kontext der Entscheidung

Welche Maßnahmen einem Luftfahrtunterneh-men zuzumuten sind, um zu vermeiden, dassaußergewöhnliche Umstände zu einer erhebli-chen Verspätung eines Fluges führen, ist stetseinzelfallabhängig. Die Maßnahmen müssen fürdas Luftfahrtunternehmen jedoch in persönli-cher, technischer und wirtschaftlicher Hinsichttragbar sein (EuGH, Urt.  v. 12.05.2011 - C-294/10 Rn.  40, 42 „Wallentin-Hermann/Alita-lia“).

Zu Art und Umfang der in Betracht kommendenzumutbaren Maßnahmen hat der BGH in zweiEntscheidungen vom 12.06.2014 (X ZR 121/13 -MDR 2014, 1130 und X ZR 104/13) Stellung be-zogen und dabei im Wesentlichen drei Grund-sätze festgehalten:

Zunächst muss ein Luftfahrtunternehmen Vor-kehrungen treffen, damit nicht bereits gering-fügige Beeinträchtigungen dazu führen, dasses seinen vertraglichen Verpflichtungen nichtmehr nachkommen und der Flugplan nicht ein-gehalten werden kann.

Zusätzlich muss das Luftfahrtunternehmen,wenn eine Störung tatsächlich auftritt oder er-kennbar aufzutreten droht, alle ihm in dieserSituation zu Verfügung stehenden Maßnahmenergreifen, um nach Möglichkeit zu verhindern,dass diese zu einer Annullierung oder großenVerspätung führt.

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Luftfahrtunternehmen sind jedoch nicht ver-pflichtet, ohne konkreten Anlass Vorkehrungen,wie etwa das Vorhalten von Ersatzflugzeugen,zu treffen, um mit den Folgen außergewöhnli-cher Umstände umgehen zu können.

D. Auswirkungen für die Praxis

Die Entscheidung des AG Hannover dürfte mitdem bisherigen, höchstrichterlich festgeschrie-benen Umfang der Verpflichtungen von Luft-fahrtunternehmen im Zusammenhang mit zu-mutbaren Maßnahmen nicht in Einklang zu brin-gen sein. Das Urteil bürdet Luftfahrtunterneh-men nicht hinnehmbare Lasten hinsichtlich desUmfangs der Prüfung zumutbarer Maßnahmenauf und entbehrt insofern jeder Grundlage. So-weit das AG Hannover die Auffassung vertritt,dass ein Luftfahrtunternehmen auch bei einerbereits entstandenen, nicht vermeidbaren gro-ßen Verspätung ständig weitere Maßnahmenprüfen müsse und der dreistündige Zeitraum,der für die Begründung von Ausgleichsansprü-chen nötig ist, auch wieder zu laufen beginne,wenn bereits eine Verspätung von drei Stundenentstanden ist, kann dem nicht gefolgt werden.

Ist die große Verspätung von drei bzw. vier Stun-den im Sinne der FluggastrechteVO erst einmaleingetreten, ist dies irreversibel. Selbst wenndas Luftfahrtunternehmen anschließend zumut-bare Maßnahmen ergreift, wird die große Ver-spätung hierdurch nicht mehr vermieden. Inso-fern kann die Verspätung auch nicht, wie vomAG Hannover ausgeführt, „beendet“ werden.Die Maßnahmen bleiben jedenfalls im Hinblickauf die Vermeidung der Verspätung erfolglos.

Die Entscheidungen des BGH sind insoweit je-doch eindeutig: Die Zahlungspflicht bestehtnicht, wenn die Annullierung bzw. Verspätungsich „auch dann nicht hätte vermeiden las-sen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergrif-fen worden wären“. Im Umkehrschluss bedeutetdies, dass ein Luftfahrtunternehmen die zumut-baren Maßnahmen nur dann ergreifen muss,wenn dies zu einer Vermeidung der Verspätungführt. Von einer Verringerung der Verspätung isthingegen nicht die Rede.

Dessen ungeachtet bleibt die Rechtsprechungdes BGH insgesamt allerdings problematisch.Nach dem Wortlaut des Art. 5 Abs. 3 Fluggast-

rechteVO geht es einzig und allein um die Fra-ge der Vermeidbarkeit des außergewöhnlichenUmstands, die Vermeidbarkeit einer Annullie-rung oder gar Verspätung regelt die Verordnungexplizit nicht. Vielmehr handelt es sich hier umdurch die Rechtsprechung entwickelte Tatbe-standsmerkmale.

Die vom AG Hannover getroffene Unterschei-dung war auch nicht das Ziel des Verordnungs-gebers: Die Verspätungsrechtsprechung diffe-renziert gerade nicht zwischen 5-stündiger und14-stündiger Verspätung. Sobald die Schwellevon drei bzw. vier Stunden überschritten ist,wird angenommen, dass dies mit Unannehm-lichkeiten verbunden ist, für die ein pauscha-ler Ausgleich erfolgen soll. Das weitere Aus-maß der Verspätung ist unbeachtlich. Die Be-trachtungsweise des AG Hannover würde zu ei-ner verfehlten Verschiebung des Verordnungs-zwecks führen: Im Vordergrund stünde nicht dieVermeidung von Unannehmlichkeiten für denFluggast, sondern die Sanktionierung von Hand-lungen bzw. Unterlassungen der Luftfahrtunter-nehmen.

Den Ausführungen des AG Hannover ist auchinsoweit nicht zu folgen, als das Gericht aus-führt, es sei keine außergewöhnliche Belastung,wenn Mitarbeiter eingestellt würden, die orga-nisieren, dass ausgefallene Maschinen ersetztwerden. Dies würde bedeuten, dass ein Luft-fahrtunternehmen präventiv die Voraussetzun-gen dafür schaffen müsste, im Fall einer Stö-rung zumutbare Maßnahmen ergreifen zu kön-nen. Dies würde das Maß des Zumutbaren über-steigen. Eine solche Verpflichtung lässt sich zu-dem weder aus dem Wortlaut der Fluggastrech-teVO ableiten, noch ist dies mit der Rechtspre-chung des BGH zu den zumutbaren Maßnahmenvereinbar.

Dafür spricht auch die Wortwahl des Senats(BGH, Urt. v. 12.06.2014 - X ZR 121/13 - MDR2014, 1130). Dort ist die Rede von „allen indieser Situation zu Gebote stehenden Maßnah-men“. Maßgeblich ist danach, welche Ressour-cen einem Luftfahrtunternehmen in dem Au-genblick zur Verfügung stehen, da die Störungeintritt oder der drohende Eintritt erkennbarwird. Darauf, welche Mittel dem Luftfahrtunter-nehmen zur Verfügung hätten stehen können,kommt es hingegen nicht an.

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Aus den beiden maßgeblichen Entscheidungendes BGH geht gerade hervor, dass ein Luftfahrt-unternehmen nicht verpflichtet ist, ohne kon-kreten Anlass Vorkehrungen zu treffen, um denFolgen außergewöhnlicher Umstände begegnenzu können. Damit hat der Senat eine grund-sätzliche Entscheidung dahingehend getroffen,dass die Pflicht von Luftfahrtunternehmen, ent-sprechende Maßnahmen zu ergreifen, erst ein-setzt, wenn eine Beeinträchtigung bei der Um-setzung des Flugplans erkennbar wird oder auf-tritt. Der BGH hat explizit ausgeführt, dass einpräventives Vorhalten zusätzlichen Personalsnicht erforderlich ist, da dies einen unwirtschaft-lichen Aufwand erfordere, der letztlich über Be-förderungspreise von den Verbrauchern zu tra-gen wäre und zudem Art.  5 Abs.  3 Fluggast-rechteVO seines Anwendungsbereichs berau-ben würde (BGH, Urt.  v. 12.06.2014 - X ZR121/13 Rn. 20).

Auch die Argumentation des Gerichts, sei-ne Auslegung folge systematischen Erwägun-gen, da die FluggastrechteVO gerade einenmöglichst hohen Schutz der Fluggastrechtegewähre, ist verfehlt. Das angestrebte hoheSchutzniveau soll laut BGH eben nicht durcherhöhte Anforderungen an die Organisationdes Flugbetriebs erreicht werden, sondern da-durch, dass den Fluggästen ggf. Unterstüt-zungsleistungen und Ausgleichszahlungen zu-stehen (BGH, Urt. v. 12.06.2014 - X ZR 121/13Rn. 25).

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Neuerungen in Zollverwaltung &Zollrecht in 2016: Gründung derGeneralzolldirektion (GZD) und Geltungdes Unionszollkodex (UZK)

von Dr. Carsten Weerth, BSc LL.M. M.A., Haupt-zollamt Bremen, Lehrbeauftragter an der FOMHochschule für Oekonomie und Management, Bre-men

A. Überblick

Das Jahr 2016 startet mit vielen Veränderungenim Europäischen Zollrecht und der deutschen Zoll-verwaltung. Dieser kurze Beitrag gibt eine Über-

sicht über organisatorische und rechtliche Ände-rungen.

B. Generalzolldirektion (GZD)

Mit Wirkung vom 01.01.2016 wurde die General-zolldirektion (GZD) als Bundesoberbehörde undoberste Zollbehörde mit Sitz in Bonn gegründet. Inneun Direktionen werden die fachlichen Vorgabender Zollverwaltung gestaltet. Die bisherigen Mit-telbehörden – die Bundesfinanzdirektionen (BFD),das Bildungs- und Wissenschaftszentrum der Bun-desfinanzverwaltung (BWZ) und das Zollkriminal-amt (ZKA) – werden als Fachdirektionen einge-gliedert. Die GZD hat einen Personalbestand vonmehr als 7.000 Beschäftigten. Das operative Be-willigungs- und Abfertigungsgeschehen wird wei-terhin von der Ortsebene mit den 43 Hauptzolläm-tern und den knapp 200 Zollämtern durchgeführt.

C. Unionszollkodex (UZK)

Der neue Unionszollkodex (VO (EU) Nr. 952/2013 -ABl EU 2013 Nr. L 269/1 (UZK)) und seine Ende De-zember 2015 veröffentlichten Durchführungsver-ordnungen UZK-DA (VO (EU) 2015/2446 - ABl EU2015 Nr. L 343/1) und UZK-IA (VO (EU) 2015/2447- ABl EU 2015 Nr.  L 343/558) sowie der bislangnur als Entwurf vorliegende Übergangsrechtsakt(Transitional Delegated Act, TDA) bilden das neueEU-Zollrecht.

Das Inkrafttreten der neuen Vorschriften für denUnionszollkodex ist in Artikel 288 UZK geregelt.Zu unterscheiden ist dabei zwischen Inkrafttretenund Geltung. Der UZK ist am 30.10.2013 in Kraftgetreten (Art. 287 UZK). Jedoch galten erst wenigeVorschriften ab diesem Zeitpunkt. Es galten nurdie Vorschriften, die für die Schaffung der UZK-DVOen erforderlich waren. Art. 288 Abs. 2 UZK be-stimmt die vollständige Geltung des UZK ab dem01.05.2016.

Neben den UZK treten für das Unionszollrecht diebeiden den UZK ergänzenden UZK-DVOen und derUZK-TDA. Die beiden UZK-DVOen – es handeltsich um den UZK-DA (VO (EU) 2015/2446) undden UZK-IA (VO (EU) 2015/2447) – gelten ab dem01.05.2016. Der neben den drei Zollrechts-Ver-ordnungen der EU tretende Übergangsrechtsakt(TDA) wurde Ende Dezember 2015 erstmals alsEntwurf veröffentlicht und wird voraussichtlich imMärz oder April 2016 endgültig veröffentlicht.

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jurisPR-TranspR 1/2016

Mit dem TDA werden bereits erste Änderungendes UZK-IA vorgenommen, noch bevor dieser voll-ständig Geltung erlangt hat. Gleichzeitig werdenÜbergangsregelungen geschaffen, mit denen zoll-rechtliche Vorschriften des aufgehobenen Zollko-dex (VO (EWG) Nr. 2913/92) und der ZK-DVO (VO(EG) Nr.  2454/93) weiter gelten, um bestimmteZollverfahren mit wirtschaftlicher Bedeutung ord-nungsgemäß abzuschließen, Bewilligungen einengeordneten Übergang zu ermöglichen und IT-Ver-fahren, die technisch noch nicht verfügbar sind,mit alten Verfahren abzubilden.

Das EU-Zollrecht wird komplexer, unübersichtli-cher und bleibt zahlreichen Änderungen unterwor-fen. Gleichzeitig gelten aufgrund des komplexenUmstellungsprozesses von Bewilligungen und dernoch nicht vorliegenden IT-Verfahren umfangrei-che Übergangsregelungen bis April 2019 (für Be-willigungen) und Ende 2020 (IT-Verfahren).

D. Praktische Bedeutung

Das Zollrecht und die Praxis der Zollabwicklungsind im Jahr 2016 umfassenden Änderungen un-terworfen. Durch die Gründung der GZD werdenviele Ansprechpartner auf GZD-Ebene geändert.Das BMF schichtet Aufgaben der Steuerung derZollverwaltung ab. Die praktische Abwicklung derZollverfahren durch die operativen Ortsbehörden– die 43 Hauptzollämter mit den Zollämtern –bleibt davon unberührt. Doch auch das EU-Zoll-recht ändert sich umfassend. Der UZK hat am01.05.2016 vollständige Geltung erlangt. Das EU-Zollrecht ist den größten Änderungen seit derSchaffung des Zollkodex 1992 unterworfen.

Anm. der Redaktion:

Der Beitrag stellt die persönliche Auffassung desAutors dar.

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Zitiervorschlag: Darge, jurisPR-TranspR 2/2016 Anm. 1ISSN 2197-537X

juris GmbH, Gutenbergstraße 23, D-66117 Saarbrücken, Tel.: 0681/5866-0, Internet: www.juris.de, E-Mail: [email protected] juris PraxisReport sowie die darin veröffentlichten Anmerkungen sind urheberrechtlich geschützt. Kein Teil darf (auch nichtauszugsweise) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form reproduziert werden.© juris GmbH 2016

Herausgeber: Deutsche Gesellschaft für Transportrecht e.V.

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Erscheinungsdatum:14.04.2016 Erscheinungsweise:zweimonatlich Bezugspreis:10,- € monatlichzzgl. MwSt.

Inhaltsübersicht:

Anm. 1 Entgeltsicherung von griechischen Seeleuten bei Arbeitgeberinsolvenz("Stroumpoulis")Anmerkung zu EuGH, Urteil vom  25.02.2016, C-292/14von Christian Darge, RA und Notar, FA für Arbeitsrecht und FA für Insolvenzrecht, Ahlers &Vogel, Bremen

Anm. 2 Fehlende Information des Frachtführers über zwischen Absender undEmpfänger vereinbarte SicherheitsbestimmungenAnmerkung zu OLG München, Urteil vom  30.12.2015, 7 U 2492/15von Carsten Vyvers, RA und FA für Transport- und Speditionsrecht

Anm. 3 Nächtlicher Diebstahl von EDV-Geräten aus auf Autohof abgestelltem LKWAnmerkung zu OLG München, Urteil vom  28.10.2015, 7 U 4228/14von Carsten Vyvers, RA und FA für Transport- und Speditionsrecht

Anm. 4 Fluggastrechteverordnung: Kein isolierter Auskunftsanspruch desFluggastes auf Informationen über außergewöhnliche UmständeAnmerkung zu AG Berlin-Charlottenburg, Urteil vom  17.12.2015, 218 C 234/15von Ulrich Steppler, RA, Arnecke Sibeth Siebold, Frankfurt am Main / Kamila Stroka, RA'in

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Entgeltsicherung von griechischenSeeleuten bei Arbeitgeberinsolvenz("Stroumpoulis")

Orientierungssatz zur Anmerkung:

Die Richtlinie 80/987/EWG des Rates vom20.10.1980 zur Angleichung der Rechts-vorschriften der Mitgliedstaaten über denSchutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfä-higkeit des Arbeitgebers ist dahin auszule-gen, dass - vorbehaltlich einer etwaigen An-wendung von Art.  1 Abs.  2 dieser Richtli-nie - Seeleute, die in einem Mitgliedstaatwohnen und dort von einer Gesellschaft,die ihren satzungsmäßigen Sitz in einemDrittstaat, ihren tatsächlichen Sitz aber indiesem Mitgliedstaat hat, angeheuert wur-den, um als Arbeitnehmer auf der Grund-lage eines Arbeitsvertrages, der als anzu-wendendes Recht das Recht des Drittstaatsbestimmt, an Bord eines Kreuzfahrtschiffszu arbeiten, das im Eigentum dieser Gesell-schaft steht und die Flagge des Drittstaatsführt, in der Lage sein müssen, den Schutzzu genießen, den die Richtlinie hinsichtlichihrer nicht erfüllten Arbeitsentgeltansprü-che vorsieht, die diese gegenüber dieser voneinem Gericht des betreffenden Mitglied-staats nach dessen Recht für zahlungsunfä-hig erklärten Gesellschaft haben.

Anmerkung zu EuGH, Urteil vom  25.02.2016, C-292/14von Christian Darge, RA und Notar, FA für Ar-beitsrecht und FA für Insolvenzrecht, Ahlers & Vo-gel, Bremen

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Der Ausgangspunkt des Sachverhalts liegt imJahre 1994 (!). Mithin hat es über 20 Jahre ge-braucht, um den Klägern zu ihrem Recht zu ver-helfen.

Herr Stroumpoulis sowie sechs weitere grie-chische Seeleute, die in Griechenland wohnen,wurden im Juli 1994 in Griechenland von derGesellschaft Panagia Malta mit satzungsmäßi-gem Sitz in Malta, welches seinerzeit noch nicht

zur Europäischen Union gehörte, angeheuert,um an Bord eines Kreuzfahrtschiffs zu arbeiten,das der Panagia Malta gehörte und die malte-sische Flagge führte. Die Seeleute sollten dasSchiff im Hinblick auf seine Vercharterung imSommer 1994 ausrüsten. Die Arbeitsverträgesahen als anzuwendendes Recht das maltesi-sche Recht vor. Die Vercharterung des Schif-fes wurde schließlich annulliert, und die Seeleu-te wurden nicht entlohnt, so dass sie im De-zember 1994 die Auflösung ihrer Heuerverträ-ge verlangten. Ein Gericht in Piräus verurteiltedie Panagia Malta zur Zahlung des geschuldetenArbeitsentgelts. Die Panagia Malta wurde aller-dings in 1995 von einem anderen Gericht in Pi-räus für zahlungsunfähig erklärt. Die tituliertenForderungen der Seeleute konnten im anschlie-ßenden Konkursverfahren mangels Masse nichtbefriedigt werden.

Die Seeleute wandten sich daher an die grie-chische Agentur für die Beschäftigung von Ar-beitskräften, um den Schutz der Arbeitnehmervor der Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers inAnspruch zu nehmen. Dieser Schutz wurde ih-nen verweigert, weil sie vom Geltungsbereichder Richtlinie 80/987 ausgenommen seien. Siestrebten 1999 zunächst vor dem Verwaltungs-gericht Athen, nach Klageabweisung vor demVerwaltungsberufungsgericht Athen ein Verfah-ren an, in dem sie die Haftung des griechischenStaates geltend machten, weil dieser den sichaus der Richtlinie ergebenden Schutz nicht si-chergestellt habe. Das Verwaltungsberufungs-gericht stellte in 2005 fest, dass die PanagiaMalta ihren tatsächlichen Sitz in Griechenlandgehabt habe, das Schiff unter einer Gefällig-keitsflagge gefahren sei und die Richtlinie daheranwendbar gewesen sei. Seiner Ansicht nachhatte es der griechische Staat schuldhaft unter-lassen, Besatzungen von Hochseeschiffen denin der Richtlinie vorgesehenen Schutz zu ga-rantieren. Es verurteilte daher den griechischenStaat, den Seeleuten einen den nicht erfülltenArbeitsentgeltansprüchen entsprechenden Be-trag zu zahlen. Die griechische Regierung leg-te ein Rechtsmittel beim griechischen Staatsratein.

Der griechische Staatsrat fragte den EuGH, obdie Richtlinie dahin auszulegen sei, dass See-leuten, die in einem Mitgliedstaat wohnen unddort von einer Gesellschaft mit satzungsmäßi-gem Sitz in einem Drittstaat angeheuert wer-den, um an Bord eines die Flagge dieses Dritt-

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staats führenden Schiffes zu arbeiten, der mitder Richtlinie eingeführte Schutz für die nichterfüllten Arbeitsentgeltansprüche gewährt wer-den kann, die sie gegenüber dieser Gesellschafthaben.

Art.  1 Abs.  1 der Richtlinie 80/987 sah vor,dass sie für Ansprüche von Arbeitnehmern ausArbeitsverträgen oder Arbeitsverhältnissen ge-gen Arbeitgeber gilt, die zahlungsunfähig i.S.d.Art. 2 Abs. 1 sind. Nach Art. 2 Abs. 1 der Richt-linie gilt ein Arbeitgeber als zahlungsunfähig,wenn die Eröffnung eines nach den Vorschriftendes betreffenden Mitgliedstaats vorgesehenenVerfahrens über das Vermögen des Arbeitge-bers zur gemeinschaftlichen Befriedigung sei-ner Gläubiger beantragt worden ist, das die Be-rücksichtigung der in Art. 1 Abs. 1 genanntenAnsprüche gestattet, und wenn die zuständi-ge Behörde entweder die Eröffnung des Ver-fahrens beschlossen oder mangels Masse abge-lehnt hat. Art. 3 Abs. 1 dieser Richtlinie sah vor,dass die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maß-nahmen zu treffen haben, damit Garantieein-richtungen die Befriedigung der nicht erfülltenAnsprüche der Arbeitnehmer aus Arbeitsverträ-gen oder Arbeitsverhältnissen sicherstellen, diedas Arbeitsentgelt für den vor einem bestimm-ten Zeitpunkt liegenden Zeitraum betreffen. InDeutschland hat dies beispielsweise in dem imSGB III geregelten Insolvenzgeld seinen Nieder-schlag gefunden.

Die Europäische Kommission hat in dem Verfah-ren argumentiert, dass diese Garantien den Klä-gern nur dann zugutekommen könnten, wennsie ihre Tätigkeit auf griechischem Hoheitsge-biet ausgeübt hätten. Die Seeleute sollten ih-re Tätigkeit jedoch auf dem Kreuzfahrtschiffauch außerhalb des Hoheitsgebiets ausüben.Die griechische Regierung brachte vor, die Flag-genführung eines Drittstaats sowie der sat-zungsmäßige Sitz des Arbeitgebers in diesemDrittstaat hätten zur Folge, dass die vorliegendeSachlage nicht in den räumlichen Geltungsbe-reich des Unionsrechts falle, da dieser sich nichtauf Drittstaaten erstrecke.

Diese Argumente beschied der EuGH jedoch ab-schlägig. Er stellte fest, dass die klagenden See-leute nicht vom Geltungsbereich der Richtlinieausgenommen seien und dass die Garantien ih-rer Arbeitsentgeltansprüche unabhängig davongelten, in welchen Meeresgewässern das Schiffschließlich fahren solle. Nach Auffassung des

EuGH hat der griechische Staat es zu Unrechtunterlassen, den Arbeitnehmern den durch dasUnionsrecht gewährten Schutz zu garantieren.Die Richtlinie sei in einem Fall, in dem Seeleu-te, die in einem Mitgliedstaat wohnen und dortvon einer Gesellschaft, die ihren tatsächlichenSitz in diesem Mitgliedstaat habe, angeheuertwerden, anzuwenden und gewähre diesen See-leuten Schutz, wenn die Gesellschaft von ei-nem Gericht dieses Mitgliedstaats nach des-sen Recht für zahlungsunfähig erklärt wordensei, und zwar trotz des Umstands, dass die Ge-sellschaft ihren satzungsmäßigen Sitz in einemDrittstaat habe und die Seeleute auf der Grund-lage eines dem Recht dieses Drittstaats unter-liegenden Vertrags an Bord eines Kreuzfahrt-schiffes arbeiten sollen, das der Gesellschaft ge-höre und die Flagge des Drittstaats führe.

C. Kontext der Entscheidung

Mit dieser Entscheidung führt der EuGH sei-ne Rechtsprechung fort, der zufolge die Richtli-nie 80/987 eine soziale Zweckbestimmung hat,die darin besteht, allen Arbeitnehmern durchdie Befriedigung nicht erfüllter Ansprüche ausArbeitsverträgen oder Arbeitsverhältnissen, diesich auf Arbeitsentgelt für einen bestimmtenZeitraum beziehen, auf der Ebene der Unioneinen Mindestschutz bei Zahlungsunfähigkeitdes Arbeitgebers zu garantieren (vgl. EuGH,Urt.  v. 10.07.1997 - C-373/95 „Maso“; EuGH,Urt. v. 11.09.2003 - C-201/01 „Walcher“; EuGH,Urt. v. 05.11.2014 - C-311/13 „Tümer“). In die-sem Zusammenhang hat der EuGH wiederholtdarauf hingewiesen, dass die Arbeitsentgeltan-sprüche für die Betroffenen naturgemäß vonsehr großer Bedeutung sind (vgl. EuGH, Urt. v.16.07.2009 - C-69/08 „Visciano“, m.w.N.). Nachder Rechtsprechung des EuGH fällt eine Per-son in den Anwendungsbereich der Richtlinie80/987, wenn sie zum einen nach nationalemRecht die Arbeitnehmereigenschaft besitzt undzum anderen der Arbeitgeber zahlungsunfähigi.S.v. Art. 2 der Richtlinie ist (vgl. in diesem Sin-ne EuGH, Urt.  v. 19.11.1991 - C-6/90 und C-9/90 „Francovich u.a.“). Ferner zieht der EuGHmit dieser Entscheidung eine Linie in Abgren-zung zu seiner Rechtsprechung aus den Urtei-len „Mosbæk“ (EuGH, Urt.  v. 17.09.1997 - C-117/96), „Everson und Barrass“ (EuGH, Urt. v.16.12.1999 - C-198/98) sowie „Poulsen und Di-va Navigation“ (EuGH, Urt.  v. 24.11.1992 - C-286/90) unter Verweis auf die Entscheidungen

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„Visciano“ (EuGH, Urt. v. 16.07.2009 - C-69/08)und „Bakker“ (EuGH, Urt.  v. 07.06.2012 - C-106/11), wonach es in einem Fall wie dem vor-liegenden nicht darauf ankommt, wo das Schiffregistriert war, welches Recht auf die Tätig-keit der Besatzung anzuwenden ist und in wel-chem Hoheitsgewässern das Schiff unterwegssein sollte. Kurz gesagt, kommt es nach derRechtsprechung des EuGH für die Beachtungder Garantien aus der besagte Richtlinie nurdarauf an, dass nach dem nationalen Rechtdes Mitgliedstaates ein Konkurs- oder Insolvenz-verfahren über das Vermögen des betreffen-den Arbeitgebers beantragt und eröffnet odermangels Masse abgelehnt worden ist, und derbetreffende Arbeitnehmer in diesem Verfahrenseine Ansprüche insbesondere auf Arbeitsent-gelt geltend machen konnte. Alles andere ist indiesem Kontext unbeachtlich.

D. Auswirkungen für die Praxis

Auch wenn die Richtlinie 80/987/EWG zwischen-zeitlich durch die in wesentlichen Teilen identi-sche Richtlinie 2008/94/EG ersetzt wurde, zeigtdie Entscheidung des EuGH, dass es in Bezugauf die Durchsetzung der Arbeitnehmerschutz-rechte weniger darauf ankommt, wie sich dieformalen rechtlichen Anknüpfungspunkte dar-stellen, sondern vielmehr darauf, unter wel-chen tatsächlichen Gegebenheiten das Arbeits-verhältnis zustande gekommen ist und letzt-lich gelebt wurde. Diese Entscheidung lässt sichnicht auf den Schifffahrtsbereich beschränken,sondern ist auch für das Landtransportgewer-be von Bedeutung. Immer dann, wenn Arbeit-nehmer und Arbeitgeber jedenfalls faktisch ih-ren Sitz in einem Mitgliedstaat haben, könnendie Mechanismen der Arbeitnehmerschutzricht-linien greifen. Allerdings ist die Effektivität die-ser Richtlinien, bei einer derart langen Prozess-dauer, wie vorliegend, zu bezweifeln.

2

Fehlende Information des Frachtführersüber zwischen Absender und Empfängervereinbarte Sicherheitsbestimmungen

Orientierungssätze zur Anmerkung:

1. Ist die Ware (hier: Knabbergebäck) in luft-dichten Beuteln verpackt und darüber hin-

aus auf folienverpackten Paletten gestaut,ist das Anbringen einer Plombe am Aufliegernicht zwingend erforderlich.

2. Solch eine Pflicht zur Verplombung beimTransport von Lebensmitteln ergibt sichnicht aus den einschlägigen nationalen odereuropäischen lebensmittelrechtlichen Vor-schriften.

3. Das bloße Fehlen einer vom Absender oh-ne Absprache mit dem Frachtführer ange-brachten Plombe berechtigt den Empfängerdaher nicht dazu, die Annahme der Sendungzulasten des Frachtführers zu verweigern.

4. Ein Anspruch auf Schadensersatz gegenden Frachtführer wegen des Entfernens derPlombe und der hieraus resultierenden An-nahmeverweigerung der Sendung durch denEmpfänger steht dem Absender nicht zu.

5. Behauptet der Anspruchsteller, das Feh-len der Plombe habe zu einer Wertlosig-keit der Sendung geführt, kann er im Falleder verzögerten Rückführung der Sendungwegen fehlender Kausalität keinen Scha-densersatzanspruch gegen den Frachtführermehr geltend machen.

Anmerkung zu OLG München, Urteil vom 30.12.2015, 7 U 2492/15von Carsten Vyvers, RA und FA für Transport-und Speditionsrecht

A. Problemstellung

Der Transport von Lebensmitteln unterliegt oft-mals sehr strengen Transport- und Hygienevor-schriften. Über die Absprachen, die zwischenVerkäufer (Absender) und Käufer (Empfänger)der Ware getroffen wurden, bleibt jedoch häu-fig der Frachtführer mangels Einblicks in diekaufvertraglichen Vereinbarungen im Ungewis-sen. Welche Folgen es hat, wenn der Absendermit dem Empfänger vereinbarte Sicherheits-bestimmungen nicht an den Frachtführer wei-tergibt, war Gegenstand der vorliegenden Ent-scheidung.

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B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Der beklagte Frachtführer war damit beauf-tragt, Knabbergebäck vom deutschen Produ-zenten zum italienischen Händler zu befördern.Ein von Absender und Frachtführer unterschrie-bener Frachtbrief lag nicht vor; der Aufliegerwurde ohne Rücksprache mit dem Frachtfüh-rer verplombt. Die Verplombung geschah offen-sichtlich aufgrund einer Sicherheitsabrede zwi-schen Absender und Empfänger. Bei Ankunftdes Transportes wurden zwar keine Schädenan der Sendung festgestellt, jedoch bemängel-te der Empfänger das Fehlen der Plombe undverweigerte daher die Annahme der Sendung.Aus Sicht des Absenders war die Sendung damitnicht mehr verkaufsfähig und daher wertlos ge-worden. Er beauftragte den Frachtführer mit derRückführung der Sendung nach Deutschland,um diese dort zu vernichten. Der Frachtführerverweigerte die Rückführung zunächst wegennoch offener Frachtforderungen aus diesem undanderen Transporten und lieferte die Ware da-her erst mit ca. einer Woche Verspätung wiederan. Die Ware wurde vernichtet.

Der Absender erhob Klage auf Schadensersatz,welcher vom LG München I in voller Höhe statt-gegeben worden war. Dabei stützte sich der Ab-sender auf zwei Pflichtverletzungen des Fracht-führers, nämlich die Entfernung der Plombe so-wie die verzögerte Rückführung der Sendung.Da die Sendung – vom Fehlen der Plombe ab-gesehen – keine Mängel aufgewiesen hatte, ar-gumentierte der Anspruchsteller mit angebli-chen Verstößen gegen lebensmittelrechtlicheVorschriften. Der Senat verneinte eine Pflichtzur Verwendung von Plomben auf solch einerGrundlage. Weshalb die Plombe entfernt wur-de, ob der Fahrer hieran ggf. sogar ein berech-tigtes Interesse hatte, indem er beispielsweisevor Fahrtantritt die Ladungssicherheit kontrol-lierte oder sich während des Transportes da-von überzeugen wollte, ergibt sich aus dem Ur-teil nicht. Jedenfalls führte die Entfernung derPlombe, über deren Bedeutung der Frachtfüh-rer nicht aufgeklärt wurde und deren Anbrin-gung er nicht zugestimmt hatte, nicht dazu,dass ihm ein irgendwie geartetes Fehlverhaltenhinsichtlich der Annahmeverweigerung vorge-worfen werden konnte. Besteht keine gesetzli-che oder vertragliche Pflicht zur Verwendung ei-ner Plombe, kann man nach Auffassung des Se-

nates dem Frachtführer folglich auch deren Ent-fernung nicht zum Vorwurf machen.

Unterstellt, der Vortrag des Anspruchstellerszur durch Entfernung der Plombe entstande-nen Wertlosigkeit der Ware ist richtig, kannein späteres Fehlverhalten des Frachtführersnicht mehr als Schadensursache herangezogenwerden. Ein Anspruch auf Schadensersatz we-gen der verzögerten Rücklieferung schied damitebenfalls aus.

C. Auswirkungen für die Praxis

Lebensmittelsicherheit ist ein sensibles Themaund soll nicht verharmlost werden. Es zeigtsich jedoch an der vorliegenden Entscheidung,dass der Absender, welcher sein Gut am bes-ten kennt, die hieraus resultierenden Infor-mations- und Aufklärungspflichten gegenüberdem Frachtführer vollständig erfüllen muss,um im möglichen Schadensfall nicht auf sei-nen Ansprüchen sitzen zu bleiben. Hierzu ge-hört auch und insbesondere die Weitergabemit dem Empfänger vereinbarter Sicherheits-vorschriften, wenn diese für den Frachtführerrelevant sind.

3

Nächtlicher Diebstahl von EDV-Gerätenaus auf Autohof abgestelltem LKW

Leitsätze:

1. Zwar ist anerkannt, dass ein vorsätzli-cher Verstoß gegen vereinbarte Sicherheits-anforderungen je nach den Umständen vor-satzgleiches Verschulden i.S.d. Art. 29 CMRbegründen kann (vgl. BGH v. 30.09.2010 - IZR 39/09).

2. Handelt es sich jedoch bei den zwischenden Parteien vereinbarten Sicherheitsricht-linien, die das Abstellen an einem "unbeauf-sichtigten Ort" untersagen und das Nutzen"beaufsichtigter Plätze" gebieten, um Allge-meine Geschäftsbedingungen der Versende-rin, gehen aufgrund unklarer Formulierun-gen in der Richtlinie beruhende Auslegungs-zweifel darüber, was unter beaufsichtigtemPlatz zu verstehen ist, zu Lasten der Verwen-derin.

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3. Das schlichte nächtliche Parken auf ei-nem Autohof an einer deutschen Autobahnbegründet die Annahme eines vorsatzglei-chen Verschuldens auch dann nicht, wennzum Transport leicht absetzbare Güter wievorliegend EDV-Geräte gehören.

Orientierungssatz zur Anmerkung:

Die Nichtweitergabe von mit der Versen-derin vereinbarten Sicherheitsbestimmun-gen durch den beauftragten Spediteur anden eingesetzten Frachtführer führt nichtzu einem Wegfall der Haftungsbegrenzun-gen, wenn die Sicherheitsbestimmungen,wie oben dargelegt, unwirksam sind.

Anmerkung zu OLG München, Urteil vom 28.10.2015, 7 U 4228/14von Carsten Vyvers, RA und FA für Transport-und Speditionsrecht

A. Problemstellung

Sendungsverluste aus LKW, während der Fahrerseine gesetzlich vorgeschriebene Ruhezeit ver-bringt, haben in letzter Zeit eine Vielzahl vonGerichten beschäftigt (vgl. OLG Celle, Urt.  v.11.12.2014 - 11 U 160/14, m. Anm.  Kichhof,jurisPR-TranspR 5/2015 Anm.  2; LG Stuttgart,Urt. v. 15.12.2014 - 37 O 4/14 KfH, m. Anm. Vy-vers; OLG Hamburg, Urt.  v. 26.06.2014 - 6U 172/12, m. Anm.  Vyvers, jurisPR-TranspR3/2015 Anm. 2). Die Bewertung, ob der Fracht-führer sich in solch einem Fall auf Haftungsbe-grenzungen berufen könne oder nicht, geschahindes nicht immer einheitlich.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Verstößt der Frachtführer während der Trans-portdurchführung gegen etwaige, mit dem Ab-sender vereinbarte Sicherheitsvorkehrungen,wurde dieser Verstoß allein in der Vergangen-heit mitunter bereits als grobes Organisations-verschulden gewertet (BGH, Urt. v. 30.09.2010- I ZR 39/09). Das OLG München hat die vor-liegende Entscheidung nun zum Anlass genom-

men, Regeln für die Auslegung solcher Sicher-heitsanforderungen aufzustellen.

Zwischen der Versenderin und dem Spediteur,welcher den Transport zu organisieren hat-te, bestand eine Rahmenvereinbarung in eng-lischer Sprache, welche die Transportdurchfüh-rung näher definierte. Dabei hatten die Parteiensich ursprünglich auch mit der Frage beschäf-tigt, wie in bestimmten Fallkonstellationen dieAuflieger zu sichern seien und welche Anforde-rungen die Stellplätze erfüllen sollten. In die-sem Zusammenhang wurden auch Unterschei-dungen zwischen Werktagen auf der einen Sei-te sowie Wochenenden und gesetzlichen Feier-tagen auf der anderen Seite getroffen. Ein Ab-stellen auf „unbeaufsichtigten Orten“ sollte da-bei – von wenigen Ausnahmen abgesehen – ver-mieden werden. Was genau unter einem „unbe-aufsichtigten bzw. beaufsichtigten Ort“ zu ver-stehen sei, wurde jedoch nicht festgelegt. DieParteien beabsichtigten vielmehr, dies zu einemspäteren Zeitpunkt genauer zu definieren. Solcheine Definition unterblieb jedoch.

Im konkreten Schadensfall hatte die Klägerin inerster Instanz behauptet, ein Teil der Sendungsei entwendet worden, als sich das Fahrzeugauf einem Autohof befunden habe und der Fah-rer im Fahrzeug seine Nachtruhe verbrachte.Dieses Vorbringen hat das OLG München dannauch seiner Entscheidung zugrunde gelegt undin zweiter Instanz neu vorgebrachte Spekulatio-nen der Klägerin über andere, mögliche Scha-densorte als verspätet zurückgewiesen.

Zur Bewertung der Frage, ob die Parteien wirk-sam eine Einigung über die bei einem Trans-port zu beachtenden Sicherheitsvorkehrungenzu treffen hatten, hat das Oberlandesgerichteine Auslegung der hierfür einschlägigen Be-dingungen aus der Rahmenvereinbarung vor-genommen. Unstreitig war dabei, dass diesevon der Versenderin gestellt und von dieserzur mehrfachen Verwendung vorgesehen wa-ren. Der Senat durfte die Klausel daher anhanddes AGB-Rechts prüfen. Die Übersetzung insDeutsche zeigte dabei, dass es in der engli-schen Fassung bereits Ungereimtheiten gege-ben hat; es genügte in bestimmten Fällen nicht,dass „der Fahrer im Anhänger (!) verbleibe“,welche zulasten des Klauselerstellers gewertetwurden. Wie bereits erwähnt, hatten die Partei-en eine genaue Definition, was unter einem „be-aufsichtigten Ort“ zu verstehen sei, nicht getrof-

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fen. Unabhängig von der Frage, ob mangels Ei-nigung hierüber gar ein Dissens vorliege, stell-te das Oberlandesgericht fest, dass eine Pauseauf einem belebten Autohof jedenfalls den Be-griff des beaufsichtigten Ortes erfüllen könne.Auf die Nichtweitergabe der Sicherheitsanforde-rungen an den ausführenden Frachtführer kames damit nicht mehr an, da es offensichtlich ander Kausalität der Nichtweitergabe für den ein-getretenen Schaden fehlte bzw. nach der obenbeschriebenen Auslegung man zumindest kei-nen Verstoß gegen die Sicherheitsvorschriftenfeststellen konnte. Eine leichtfertige Schadens-verursachung wurde daher verneint.

C. Kontext der Entscheidung

Wie eingangs erwähnt, scheint sich das Thema„Entwendung während der Nachtruhe“ aktuellwieder zu einem „Dauerbrenner“ zu entwickeln.Interessant – und nach Auffassung des Autorsvollkommen richtig – sind auch noch die Aus-führungen des Senates, wonach es die gesetz-lich vorgeschriebenen Ruhezeiten konterkarie-ren würde, wenn man vom Fahrer verlangenwürde, sich in regelmäßigen Abständen zu ver-sichern, dass die Sendung noch auf dem Fahr-zeug vorhanden ist. Mit diesen Ausführungenhat der Senat sich – vermutlich unbewusst –deutlich vom oben erwähnten Urteil des OLGCelle distanziert, welche diese Frage noch ge-nau im umgekehrten Sinne beantwortet hatte.

D. Auswirkungen für die Praxis

Auch wenn es „en vogue“ sein mag, Verträ-ge zwischen zwei deutschen Unternehmen nichtmehr in deutscher Sprache zu verfassen, son-dern auch in solchen Fällen auf die englischeSprache zurückzugreifen, um ggf. den interna-tionalen Charakter des Vertragswerkes zu be-tonen, zeigt die vorliegende Entscheidung, wel-che Tücken solch ein Vertragsschluss in einerfremdem Sprache mit sich bringen kann. Abge-sehen davon, dass nur in den allerwenigstenFällen englischsprachige Dokumente vom Ge-richt ohne Vorlage einer Übersetzung anerkanntwerden (und somit die Prozesskosten nicht un-erheblich steigen können, wenn eine Überset-zung durch einen gerichtlich bestellten und ver-eidigten Übersetzer notwendig wird), steigt al-lein durch die Übersetzung das Risiko der Inter-pretationsfähigkeit solcher Klauseln; mitunter,

ohne dass dies den Verhandlungspartnern be-wusst sein mag, wenn diese jeweils für sich denVertrag am Rechner überprüfen und hiernachmit Kommentaren oder Änderungen versehenan den anderen Part zurückschicken. Ob die ur-sprünglichen Verfasser der Klausel beispielswei-se tatsächlich den Fahrer im Anhänger schla-fen lassen wollten, darf stark bezweifelt werden.Vermutlich haben sie den Widersinn dieser For-mulierung, welcher bei Verwendung der deut-schen Sprache vermutlich viel schneller aufge-fallen wäre, gar nicht gesehen. Es dürfte sich da-her empfehlen, in solchen Fällen genauere De-finitionen vorzunehmen oder auf die nicht zwin-gend notwendige Verwendung der englischenSprache zu verzichten.

4

Fluggastrechteverordnung: Keinisolierter Auskunftsanspruch desFluggastes auf Informationen überaußergewöhnliche Umstände

Orientierungssatz zur Anmerkung:

Passagieren, die die Fluggesellschaft wegeneiner Verspätung auf Ausgleichszahlungennach Art. 7 VO (EG) Nr. 261/2004 in Anspruchnehmen wollen, steht nach Treu und Glau-ben kein Auskunftsanspruch hinsichtlich derVerspätungsgründe zu.

Anmerkung zu AG Berlin-Charlottenburg, Urteilvom  17.12.2015, 218 C 234/15von Ulrich Steppler, RA, Arnecke Sibeth Siebold,Frankfurt am Main / Kamila Stroka, RA'in

A. Problemstellung

Wenn Flüge verspätet durchgeführt oder an-nulliert werden, stehen den Passagieren unterUmständen Ausgleichsleistungen nach Art.  7der VO (EG) Nr.  261/2004 zu. Solche Ansprü-che sind allerdings dann gemäß Art.  5 Abs.  3der Fluggastrechteverordnung ausgeschlossen,wenn die Verspätung oder Annullierung auf au-ßergewöhnlichen Umständen beruht, die sichauch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn

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die Fluggesellschaft alle zumutbaren Maßnah-men ergriffen hätte.

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, obFluggäste einen isolierten Auskunftsanspruchüber die Verspätungs- oder Annullierungsgrün-de gegen das Luftfahrtunternehmen besitzenoder ob es vertretbar ist, dass sie das Risiko ei-ner Zahlungsklage zu tragen haben.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Die Beklagte beförderte den Kläger auf einemFlug von Stuttgart nach Palma de Mallorcaaufgrund eines entsprechenden Vertrages. DerFlug landete mit einer Verspätung von ca. 6 1/2Stunden in Palma de Mallorca.

Der Kläger hat die Beklagte daraufhin vorpro-zessual zur Zahlung einer Ausgleichsleistungnach Art. 7 der Fluggastrechteverordnung auf-gefordert. Die Beklagte hat dies mit der Begrün-dung abgelehnt, die Verspätung sei durch ei-nen „Vogelschlag“ verursacht worden, beruhemithin auf einem außergewöhnlichen Umstand.Der Kläger behauptet, eine Flugbegleiterin habeihm während des Fluges mitgeteilt, es habe aneiner einsatzfähigen Crew gefehlt.

Der Kläger beantragte, die Beklagte zur Aus-kunft hinsichtlich der Art, des Zeitpunkts unddes Erkennens des außergewöhnlichen Um-stands auf dem streitgegenständlichen Flug zuverurteilen. Aus seiner Sicht stehe ihm dieserAuskunftsanspruch nach Treu und Glauben zu,da er sonst das Fehlen von Exkulpationsgrün-den nur ins Blaue hinein behaupten könne unddas Risiko einer unbegründeten Zahlungsklagetragen müsse.

Das AG Berlin-Charlottenburg erachtete die zu-lässige Klage als unbegründet und wies diesevollumfänglich ab.

Das Gericht führte aus, dass der Kläger zwardas erforderliche Rechtschutzbedürfnis für dasErheben der isolierten Auskunftsklage habe, dieKlage aber nicht begründet sei, weil der Klägerkeinen Anspruch auf die begehrte Auskunft ge-gen die Beklagte habe.

Nachvollziehbar begründete das AG Berlin-Charlottenburg die Entscheidung damit, dassder Kläger die begehrten Informationen vorlie-

gend nicht dazu benötige, eine schlüssige Kla-ge zu erheben. Für die reine Schlüssigkeit einerZahlungsklage müsse er nur zum Gegenstanddes Vertrages, der Beförderung, Entfernung undVerspätung vortragen. Dies sei ihm ohne weite-res möglich.

Aus Treu und Glauben lasse sich aber eben keinAnspruch dahingehend ableiten, dass der Klä-ger bereits im Vorfeld von der Beklagten detail-lierte Informationen zum Verteidigungsvorbrin-gen erhalte und damit das Prozessrisiko auf dieBeklagte abwälze.

Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus demRechtsgedanken, der eine wettbewerbsrechtli-che Antwortpflicht im Falle von Abmahnungenannimmt.

C. Kontext der Entscheidung

Der BGH hat in seiner Entscheidung vom06.02.2007 (X ZR 117/04) entschieden und inständiger Rechtsprechung seitdem konsequentweitergeführt, dass nach Treu und Glauben demAnspruchsberechtigten ein Auskunftsanspruchzuzubilligen sei, wenn die zwischen den Partei-en bestehenden Rechtsbeziehungen es mit sichbringen, dass der Anspruchsberechtigte in ent-schuldbarer Weise über das Bestehen oder denUmfang seines Rechts im Ungewissen ist, undwenn der Verpflichtete in der Lage ist, unschwerdie zur Beseitigung dieser Ungewissheit erfor-derliche Auskunft zu erteilen. Dabei begründetallerdings die Tatsache, dass eine Partei Infor-mationen besitzt, die für die andere Partei be-deutsam sind, keine Auskunftspflicht (vgl. Pa-landt, BGB, § 242 Rn. 5).

Dem AG Berlin-Charlottenburg ist zuzustimmen,dass sich mit der ständigen Rechtsprechungdes BGH vorliegend kein Auskunftsanspruch be-gründen ließe, der über die für die Schlüssigkeitder Klage notwendigen Informationen hinaus-gehe. Aus dem Leitsatz des BGH geht hervor,dass es dem Schuldner dann zumutbar ist, dieAuskunft zu erteilen, wenn sie für die Darlegungder für den Grund und die Höhe des Hauptan-spruchs wesentlichen Umstände notwendig ist.Dies ist vorliegend nicht der Fall.

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Hinzu kommt im vorliegenden Fall die Tatsache,dass die Beklagte bereits vorprozessual den au-ßergewöhnlichen Grund offengelegt hatte.

D. Auswirkungen für die Praxis

Im Ergebnis ist die Entscheidung zu begrüßen,und es bleibt zu hoffen, dass sich diese An-sicht durchsetzen kann. Das AG Rüsselsheimhatte in einer Entscheidung vom 20.01.2015(3 C 3644/14 (31) - RRa 2015, 87) zu einemvergleichbaren Fall den Auskunftsanspruch auf-grund von Treu und Glauben, §  242 BGB, be-jaht. Dort hatte die Beklagte allerdings nur pau-schal auf das Vorliegen eines außergewöhnli-chen Umstandes verwiesen, ohne diesen näherzu benennen. Der vorliegende Fall zeigt aller-dings, dass auch die konkrete vorprozessualeAuskunft über den Verspätungsgrund den Flug-gast nicht davon abhält, Klage zu erheben. Da-her würde es zu unverhältnismäßig hohen Ver-pflichtungen der Fluggesellschaft führen, wenndiese verpflichtet wäre, dem Fluggast weiterge-hende Detailauskünfte zu erteilen und ihm so-mit das Prozessrisiko abzunehmen, soweit er al-le Informationen hat, um eine Zahlungsklage zuerheben.