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DIE WELT DONNERSTAG, 28. JULI 2016 PANORAMA 23

TV-PROGRAMM

D er Doktor ist jetzt auch imInternet erreichbar. Aberden Doktortitel kann maneigentlich auch weglassen.Stefan Waller, 42, legt kei-

nen Wert darauf, dass man ihn mit sei-nem Titel anredet. Er entspricht auchsonst nicht dem Bild, das viele Patientenmit einem Arzt verbinden.

VON ANTJE HILDEBRANDT

Waller ist Kardiologe und Internist.Das Erste, was an ihm auffällt, sind seinebraunen Augen und sein gewinnendesLächeln. Man begegnet ihm in Drei-Mi-nuten-Filmen auf seiner Homepage. Ersteht im weißen Kittel vor der Kameraund macht etwas, von dem er sagt, es ge-höre zu seinem Job. Es komme aber imAlltag in Kliniken und Arztpraxen zukurz. Er beantwortet Fragen, die sichviele Menschen stellen, die plötzlichHerzpatienten geworden sind. Zum Bei-spiel die, wie ein Herzinfarkt entstehtund wie er das Leben verändert.

Waller redet vor der Kamera so, wie erim Alltag redet, nur viel langsamer. Dasmacht den Charme seiner Clips aus. Kei-ne Fremdwörter, kein erhobener Zeige-finger. Es sind eher Tutorials als Vorträ-ge, adressiert an ein Publikum, das es ge-wohnt ist, sich im Internet Rat zu holen.Ebenso gut könnte er erklären, wie mandas neue Betriebssystem eines Mac-Rechners installiert.

Dr. Heart, so nennt sich der Berlinerim Internet. Das klingt eher nach Herz-schmerz denn nach Herzinfarkt. „Einbisschen cheesy“, sagt er und grinst.Aber Doktor Herz, das hätte auch ir-gendwie komisch geklungen, zu tech-nisch, und von diesem Image will er jaweg. Deshalb sitzt Stefan Waller jetzt indiesem vietnamesischen Restaurant imPrenzlauer Berg, und redet über seinenZweitjob als Internet-Doc. Er ist eindurchtrainierter Typ, dem man ansieht,dass er viel Sport macht und sich gesund

ernährt. Zum Termin kam er mit demFahrrad, Auto hat er keines. Auch das ge-hört für ihn zum gesunden Lebenswan-del. Er sagt: „Ich kriege Plaque, wenn ichsehe, wie Leute mit der Rolltreppe insFitnessstudio fahren.“

Waller war Stationsarzt in der Berli-ner Charité, „wo Ärzte alle am Burnout“kratzen, und wechselte dann in eineFacharztpraxis, weil er es extrem frustie-rend fand, Patienten entlassen zu müs-sen, ohne sie ausreichend aufgeklärt zuhaben. In der Arztpraxis merkte er bald,dass dort auch nicht viel mehr Zeit war,nämlich nur 15 Minuten pro Patient. Erhat eine Mission. Das Internet hilft ihm,sie zu verwirklichen. Herzinfarkt ist dieTodesursache Nr. 1 in Deutschland, jedesJahr fordert er 50.000 Todesopfer. VielePatienten könnten aber länger leben,wenn sie die Ratschläge der Medizinernach dem ersten Herzinfarkt ernst ge-nommen hätten, sagt Waller.

Doch genau hier klaffe eine Lücke.Das staatliche Gesundheitssystem lasseÄrzten kaum Luft, um Patienten darüberzu informieren, wie sie ihr Leben um-krempeln müssten. So kam er auf dieIdee mit dem Internet. „95 Prozent derFragen sind ja immer die gleichen“, sagter. In seinen Videos beantwortet er sie.Wie sollte man sich jetzt ernähren? Wel-che Sportarten eignen sich? Muss manwirklich alle Tabletten nehmen?

Dr. Heart liegt damit im Trend. Nochwerden seine Videos erst einige HundertMal pro Tag angeklickt, doch schon hateine Krankenkasse das Potenzial erkanntund eigene Filme bei ihm bestellt. DasInternet als Allheilmittel für Menschen,die sich von der Schulmedizin im Stichgelassen fühlen? Vielen niedergelasse-nen Ärzten läuft es bei dieser Vorstel-lung kalt den Rücken herunter. „MorbusGoogle“, so nennen sie das Schreckge-spenst des Hypochonders, der bei denkleinsten Zipperlein Alarm schlägt.

Jeder zweite Patient nutzt das Inter-net, um sich selber zu informieren; das

Angebot wächst. Es reicht vom Netdok-tor.de bis zum Portal Pflege-Wiki, vondem Onlineprogramm für Depressive(Novego) bis zur Hautkrebsdiagnostik-App. Wer einen geschwollenen Lymph-knoten hat, muss nur lange genug goo-geln. Irgendwann findet er die DiagnoseKrebs. Das kann zutreffen, muss abernicht. Im schlimmsten Fall steigert sichder Patient so sehr in die Vorstellung ei-ner Krankheit hinein, dass ihn Medizinernur noch schwer vom Gegenteil überzeu-gen können.

Kein Wunder also, dass die Mehrheitder Ärzte keine googelnden Patientenmag. Nach einer Studie der Bertelsmann-Stiftung empfinden 45 Prozent der nie-dergelassenen Ärzten solche Patientenals Belastung und weitere 30 Prozent zu-mindest als teilweise problematisch. Siesagen, der Patient werde durch die Flutan Informationen nur verwirrt. Das In-ternet könne das Vertrauen in den Arztzerstören.

Doch haben diese Ärzte dieses Ver-trauen nicht schon vorher selber ver-spielt? 54,3 Prozent der Bundesbürgerhaben Probleme, das Fachchinesisch ih-rer Ärzte zu verstehen, hat eine Studieder Uni Bielefeld im Auftrag der AOK er-geben. Hilfe holen sich viele notgedrun-gen im Internet. Zum Beispiel washa-bich.de., wo Medizinstudenten von derUniversität Dresden ärztliche Befunde inallgemein verständliche Sprache überset-zen. Woran aber erkennt der Laie, ob ei-ne Website seriös ist oder nicht? Es ist ei-ne Frage, die über Leben und Tod ent-scheiden kann. Denn auch Ärzte sindnicht unfehlbar. Beim Allgemeinen Pa-tientenverband in Marburg heißt es, dassjedes Jahr 25.000 Patienten infolge vonOperationsfehlern oder falschen Diagno-sen sterben müssen – das sind mehr alsUnfalltote im Straßenverkehr. Weitere100.000 behielten bleibende Schäden.

Der Alltag der Ärzte ändert sich. Ei-nerseits müssen sie möglichst viele Pa-tienten durchschleusen. Andererseits ha-

ben sie es immer häufiger mit selbstbe-wussten Menschen zu tun, die sich nichtmehr alles gefallen lassen. Vor allem älte-re Ärzte fühlen sich überfordert. Dr. He-art hingegen sieht in dem Wandel aucheine Chance: Lehrfilme wie er sie drehe,ersetzten ja nicht den Arztbesuch. Sieseien nur eine Ergänzung. Patientenmüssten lernen, Verantwortung für dieeigene Gesundheit zu übernehmen. Da-von profitiere am Ende auch der Arzt.

Den Vorstandsvorsitzenden der Deut-schen Herzstiftung, Prof. Thomas Mei-nertz, hat Waller dabei hinter sich. Dersagt, ein besser informierter Patient alser sei eigentlich ein Traum. „Im Idealfallerweitert der noch meinen Erfahrungs-horizont. Ich erlebe das nach 35 Jahrenimmer wieder.“ Vor seinem Medizinstu-dium wollte Waller eigentlich Journalistwerden. „Ich habe super-gerne Deutsch-Aufsätze geschrieben.“ Als Dr. Heart er-klärte er neulich fürs Sat.1-Frühstücks-fernsehen die Bypass-OP von GüntherNetzer. Solche Auftritte seien ein Balan-ceakt. „Ich muss aufpassen, dass ichnichts ins Boulevardeske abrutsche unddie Message nicht vergesse.“

Kranke Menschen sind auch einMarkt. Die Zahl der Start-up-Firmen, dieden Patienten für sich entdecken, steigt.

Der gerade von Ärzten und Rechtsan-wälten gegründete Bundesverband Inter-netmedizin (BIM) hilft den Pionieren ei-nerseits, die Grenzen des gesetzlichenFernbehandlungsverbotes neu auszulo-ten. Andererseits zertifiziert er auchneue Apps und Webseiten.

Womit wir wieder bei Stefan Wallersind. Der sucht jetzt eine Logopädin. Sei-ne Stimme ist vom vielen Sprechen hei-ser geworden. Dabei steht er erst am An-fang. Dr. Heart träumt davon, dass ausseinem Nebenjob als Internet-Doc einHauptberuf werden könnte. Und er ist si-cher, dass es der richtige Weg ist. DerRatschlag, mit dem er seine Patienten zuBeginn jedes Filmes begrüßt, gilt auchfür ihn. „Hör auf Dein Herz.“

Der Berliner Arztdreht Video-Clipsfür Herzpatienten

WWW.DR-H

EART.DE

Fragen Sie Dr. HeartStefan Waller istKardiologe undInternet-Doc. Viele seiner Kollegen fürchtenPatienten, die online Rat suchen

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