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Page 1: Ãber die Ausbildung von Chemielehrern

damit für die Bedürfnisse des Lehr-

amtsstudiums ausreichend Gestal-

tungsräume zur Verfügung stehen.

Nicht betrachtet wurden allerdings

die fachlichen Inhalte. Gegenstand

der Untersuchung war allein die Frage

nach der prinzipiellen Möglichkeit, das

Studium so zu gestalten, dass es Lehr-

amtskandidaten gerecht wird.

Ergebnis: Bei etwa einem Viertel

der Universitäten sind weniger als 30 %

der vorgeschriebenen Semesterwo-

chenstunden lehramtsspezifisch. Die-

ser Befund korreliert häufig – aber

nicht immer – mit einer polyvalenten

� Um die Struktur der Lehramtsaus-

bildung im Fach Chemie zu erfassen,

haben wir im Mai und Juni 2007 Da-

ten von all jenen Universitäten erho-

ben, die ein Lehramtsstudium Che-

mie für das Gymnasium anbieten.3)

Quellen waren die offiziellen Studi-

eninformationen der Universitäten.

In den meisten Fällen reichten diese

Informationsquellen allein nicht aus.

In allen Fällen, in denen Unklarheiten

auftraten, fragten wir telefonisch bei

den für diesen Studiengang verant-

wortlichen Studienberatern oder/

und der Fachschaft Chemie nach.

Die Befragung richtete sich ins-

besondere auf die Felder, die eine Ex-

pertenkommission der Kultusminis-

terkonferenz (KMK) als wesentliche,

strukturelle Kennzeichen guter Lehrer-

bildung identifiziert hatte (s. Kasten).

Die Fragen bezogen sich auf den Um-

fang der Fachausbildung, Curricula für

Erziehungswissenschaften und Fach-

didaktik, die Einrichtung von Lehrerbil-

dungszentren sowie die Verzahnung

von Studium und Referendariat.

Umfang der Fachausbildung

� Frage 1: Ist eine auf die Bedürfnis-

se des Lehramtsstudiums zuge-

schnittene Fachausbildung in Che-

mie in relevantem Umfang gegeben?

Relevant bedeutete hier, dass mehr

als 30 % der Semesterwochenstunden

lehramtsspezifisch sind. Diese Marke

dürfte die untere Grenze darstellen,

Die Diskussion um den naturwissenschaftlichen Unterricht lenkt den Blick auf die Lehrer-

ausbildung. Zurzeit werden die Lehramtsstudiengänge auf Bachelor- und Master-Abschlüsse

umgestellt. Dies bietet die Chance, die Strukturen an den Anforderungen zu messen und

die Ausbildungsgänge neu zu justieren. Nutzen die Universitäten diese Chance?

von Chemielehrern

Über die Ausbildung

�Karriere�

Anlage des Bachelor-Studiums. Ein po-

lyvalenter Studiengang soll die Studie-

renden in die Lage versetzen, nach dem

Abschluss in einen Masterstudien-

gang Chemie zu wechseln. Die aus Ka-

pazitätsgründen häufig gewählte po-

lyvalente Anlage des Studiums bietet

für das Lehramt offenbar keine opti-

malen Bedingungen.

Didaktik

� Frage 2: Ist ein verbindliches Kern-

curriculum für die Erziehungswissen-

schaften formuliert?

� Was tun gegen Defizite in der Lehrerausbildung

Die Kultusministerkonferenz

(KMK) hat sich bereits vor Jahren

bemüht, Defizite in der Lehrerbil-

dung zu identifizieren. Sie hat da-

her eine Expertenkommission da-

mit beauftragt,1) die Situation zu

analysieren und den Handlungs-

bedarf zu beschreiben.

Ebenfalls aussagekräftig sind die

Analysen und Handlungsempfeh-

lungen einer Expertenkommission

im Auftrag der Landesregierung

Nordrhein-Westfalen für die Ge-

staltung der 1. Phase der Lehrer-

ausbildung.2)

Die Experten sehen dringlichsten

Handlungsbedarf in den folgen-

den Punkten:

• Erarbeitung eines Kerncurricu-

lums Erziehungswissenschaf-

ten und der Fächer/Fachdidak-

tiken im Lehramtsstudium; En-

de der Beliebigkeit für Lehrende

und Lernende.

• Verstärkung der Fachdidaktik in

Forschung und Lehre (Professu-

ren für Fachdidaktik); Fachdidak-

tiken zu Schnittstellen von fach-

bezogener und pädagogisch-di-

daktischer Ausbildung machen.

• Einrichtung und Erprobung von

Zentren für Lehrerbildung und

Schulforschung an den Univer-

sitäten, die quer zur herkömm-

lichen Fakultätsstruktur Belange

der Lehrerbildung vertreten.

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Nachrichten aus der Chemie | 56 | Juni 2008 | www.gdch.de/nachrichten

Page 2: Ãber die Ausbildung von Chemielehrern

Ergebnis: An etwa 30 % der Univer-

sitäten gibt es kein verbindliches

Kerncurriculum für die Erziehungs-

wissenschaften. Diese Universitäten

stellen weder sicher, dass die Studen-

ten die für den Lehrerberuf erforderli-

chen pädagogischen und psychologi-

schen Grundlagen mitbekommen,

noch legen sie eine ausreichende Ba-

sis für die Abstimmung mit der zwei-

ten Phase der Lehramtsausbildung,

dem Referendariat.

Frage 3: Gibt es ein verbindliches

Kerncurriculum für die Fachdidaktiken?

Ergebnis: Nur an zwei Univer-

sitäten existiert ein solches nicht.

Damit ist die Papierlage in der Fach-

didaktik Chemie sehr viel besser als

jene in den Erziehungswissenschaf-

ten.

Frage 4: Ist eine forschungsbasier-

te fachdidaktische Ausbildung mög-

lich? Diese Frage entspricht der For-

derung der KMK-Kommission, Profes-

suren für Fachdidaktik einzurichten.

Nur dort, wo diese besetzt sind, ist die

Struktur für eine forschungsbasierte

Ausbildung vorhanden.

Ergebnis: Das positive Bild aus Fra-

ge 4 verkehrt sich ins Gegenteil, wenn

man danach fragt, ob Professoren für

Fachdidaktik die Ausbildung verant-

worten. Dies ist an 45 % der Univer-

sitäten nicht der Fall.

Kooperation Schule-Hochschule

� Frage 5: Gibt es ein Zentrum für

Lehrerbildung oder eine vergleich-

bare Einrichtung?

Ergebnis: Hier ist das Bild posi-

tiv: Zentren für Lehrerbildung sind an

90 % der Universitäten eingerichtet.

Frage 6: Besteht eine formalisierte

Kooperation zwischen der ersten und

der zweiten Phase der Lehrerausbil-

dung? Dieser Frage sollte erfassen, ob

es Strukturen für einen Austausch

zwischen Studium und Referendariat

gibt und beide Phasen aufeinander

abgestimmt werden können.

Ergebnis: Eine formalisierte Zu-

sammenarbeit fehlt nur an sechs Uni-

versitäten. Überraschenderweise

gibt es zwei Universitäten ohne der-

artige Abstimmung, obwohl an die-

sen Lehrer aus Schulen Fachdidaktik

lehren.

Zusammenfassung

� Die organisatorischen Vorausset-

zungen für ein angemessenes Lehr-

amtsstudium sind zurzeit nicht zu-

friedenstellend:

• Ein Viertel der Universitäten bie-

tet eine nicht angemessene fach-

wissenschaftliche Ausbildung an,

• bei der erziehungswissenschaftli-

chen Ausbildung liegt die Quote

sogar noch höher.

• An fast 50 % der lehrerbildenden

Universitäten fehlen Professuren

für Fachdidaktik.

Dies sind nur einige zentrale Er-

gebnisse der Untersuchung,4) die sich

auf die organisatorischen Vorausset-

zungen des Lehramtsstudiums Che-

mie für Gymnasium bezieht. Es erga-

ben sich bei der Erhebung Hinweise

darauf, dass die Papierform besser

aussieht als die Realität. Wir klären

zurzeit die Frage nach Anspruch und

Wirklichkeit an ausgewählten Uni-

versitäten.

Die Daten erlauben jedoch bereits

heute die Schlussfolgerung, dass sich

die Bedingungen für ein qualitativ

hochwertiges Lehramtsstudium mit

dem Wechsel zur Bachelor-/Master-

Struktur nicht verbessert haben. Ein

Hauptproblem ist – neben dem viel-

fach geringen Interesse der Univer-

sitäten an den Lehramtsstudiengän-

gen selbst – die polyvalente Anlage

des Bachelor-Abschlusses. So lange

man in Deutschland – aus guten Grün-

den – an mindestens zwei Fächern für

den Lehrerberuf festhält, sind Inkom-

patibilitäten mit einem polyvalenten

Bachelor-Abschluss unausweichlich:

Die Studierenden studieren neben

Chemie ein weiteres Fach im gleichen

Umfang. Im Vergleich zu den Studie-

renden, die nur einen Bachelor in Che-

mie anstreben, fehlt den Lehramtsstu-

dierenden daher die Chemieausbil-

dung im Umfang dieses zweiten

Fachs, in der Regel 70 Credit Points.

Vor diesem Hintergrund ist es illu-

sorisch zu erwarten, dass ein Student

ohne Probleme und zusätzliche Stu-

dienleistungen von einem „Lehr-

amtsbachelor“ in zwei Fächern in den

Masterstudiengang Chemie wech-

seln kann – was ja mit dem polyvalen-

ten Bachelor möglich sein sollte.

Ausblick

� Aus unseren Daten lassen sich

zwei Handlungsoptionen benennen,

die unter den gegenwärtigen Bedin-

gungen unmittelbar realisierbar sind:

Nach den Beschlüssen der Kultus-

ministerkonferenz ist bereits im Bache-

lor-Studium eine Berufsorientierung

für das Lehramt vorzusehen. Damit ist

eine echte Polyvalenz des Bachelors in

Chemie nicht möglich. Vor diesem Hin-

tergrund ist anzuraten, nur bis zum En-

de des 1. Studienjahrs die Übergänge

zwischen allen Studiengängen in der

Chemie fließend zu gestalten. Danach,

etwa ab dem 3. Semester, sollte das

spezifische Profil für die einzelnen Stu-

diengänge vorgegeben sein. Damit lie-

ßen sich – Personalkapazitäten voraus-

gesetzt – auch höhere lehramtsspezifi-

sche Ausbildungsanteile realisieren.

Nachdrücklich und kurzfristig einzufor-

dern ist ein erziehungswissenschaftli-

ches Kerncurriculum und seine Abstim-

mung mit den fachdidaktischen Kern-

curricula und den Ausbildungsprofilen

des Referendariats.5)

Zurzeit führen wie eine entspre-

chende Erhebung zu Ausbildungs-

merkmalen beim Lehramtsstudium

für die Sekundarstufe I durch. Über

die Ergebnisse werden wir Ende des

Jahres berichten können.

Reinhard Demuth

Leibniz-Institut für die Pädagogik der

Naturwissenschaften (IPN)

Universität Kiel

[email protected]

1) E. Terhard (Hrsg.), Perspektiven der Leh-

rerbildung in Deutschland. Abschluss-

bericht der von der Kultusministerkon-

ferenz eingesetzten Kommission. Beltz,

Weinheim und Basel, 2000.

2) Die Landesregierung Nordrhein-West-

falen (Hrsg.), Ausbildung von Lehrerin-

nen und Lehrern in Nordrhein-West-

falen. Empfehlungen der Expertenkom-

mission zur Ersten Phase. Düsseldorf, Mai

2007

3) U. Rohwedder, Schriftliche Hausarbeit zur

1. Staatsprüfung für das Lehramt an Re-

alschulen, Kiel 2007

4) U. Rohwedder, R. Demuth, PdN-ChiS

2008, 57(1), 39 – 42.

5) Gesellschaft für Fachdidaktik e.V. (GfD),

Kerncurriculum Fachdidaktik – Orientie-

rungsrahmen für alle Fachdidaktiken. Be-

schluss der Mitgliederversammlung vom

12.11.2004

�Karriere� Studienreform 716

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