Abstracts
Viszeralmedizin in Jena – Standards und aktuelle Entwicklungen
Jena
Samstag, 28. November 2015 9.00 – 16.05 Uhr
Veranstaltungsort: Volksbad Knebelstr. 10 07743 Jena
Wissenschaftliche Leitung: Prof. Dr. A. Stallmach, Jena Prof. Dr. U. Settmacher, Jena
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Programm Seite
8.55 Uhr Begrüßung Prof. Dr. A. Stallmach, Jena
Erkrankungen des Dünn- und Dickdarms Vorsitz: Prof. Dr. B. Siegmund, Berlin PD Dr. M. Hocke, Meiningen
9.00 Uhr Clostridium difficile – aktuelle Herausforderungen (ohne Abstract) Prof. Dr. T. Weinke, Potsdam
9.25 Uhr Operation vs. medikamentöse Therapie beim Patienten mit neu diagnostiziertem Morbus Crohn des terminalen Ileums (ohne Abstract) Prof. Dr. B. Siegmund, Berlin Prof. Dr. J.P. Ritz, Schwerin
10.00 Uhr Live-Übertragung Endoskopie-Dysplasiedetektion Dr. J. Felber, Jena Kaffeepause während der Live-Übertragung und Möglichkeit zum kollegialen Gespräch
10.20 Uhr Intestinale Malignome (ohne Abstract) Prof. Dr. L. Leifeld, Hildesheim
10.50 Uhr Extraintestinale Malignome und Immun-suppression – Risiko und Möglichkeiten bei CED-Patienten (ohne Abstract) Prof. Dr. D. Baumgart, Berlin
11.20 Uhr Obstipation Dr. V. Andresen, Hamburg
4 – 6
12.00 – 12.45 Uhr Mittagspause mit Imbiss
12.45 Uhr State-of-the-Art Lecture Mikrobiom Prof. Dr. C. Högenauer, Graz
7 – 9
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Chronische Lebererkrankungen Vorsitz: Prof. Dr. U. Settmacher, Jena Prof. Dr. M. Repp, Altenburg
13.15 Uhr Falldemonstration: TIPS-Implantation bei Leberzirrhose (ohne Abstract) Prof. Dr. U. Teichgräber, Jena
13.35 Uhr Komplikationen der portalen Hypertension Dr. T. Bruns, Jena
10 – 11
13.50 Uhr Live-Übertragung Kaffeepause während der Live-Übertragung und Möglichkeit zum kollegialen Gespräch
14.00 Uhr Infektionen bei Lebererkrankungen – rationale Prävention PD Dr. B. Appenrodt, Prof. Dr. F. Lammert, Homburg/Saar
12 – 14
14.25 Uhr Steatohepatitis – Diagnostik und Therapie Prof. Dr. E. Roeb, Gießen
15 – 17
Pankreaserkrankungen Vorsitz: Prof. Dr. A. Stallmach, Jena Prof. Dr. T. Manger, Gera
14.50 Uhr Endoskopie-Fall (ohne Abstract) PD Dr. C. Schmidt, Jena PD Dr. M. Hocke, Meiningen
15.00 Uhr Zystische Pankreasläsionen – wann operieren? (ohne Abstract) Prof. Dr. U. Settmacher, Jena
15.25 Uhr Endoskopie-Fall (ohne Abstract) PD Dr. C. Schmidt, Jena PD Dr. M. Hocke, Meiningen
15.40 Uhr Pankreatitis – akut, chronische, hereditäre, autoimmunologische... Prof. Dr. M.M. Lerch, Greifswald
18 – 20
16.05 Uhr Schlussworte Prof. Dr. U. Settmacher, Jena
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Anschriften der Referenten und Vorsitzenden siehe Seiten 21 – 22
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Obstipation
V. Andresen
Innere Medizin, Israelitisches Krankenhaus, Hamburg
Die chronische Obstipation ist eine weit verbreitete gastrointestinale Erkrankung. Im
Mittelpunkt der Beschwerdesymptomatik steht dabei eine mühsame und zeitaufwen-
dige Entleerung des oft sehr harten Stuhls. Die Stuhlgänge können dabei oft tagelang
ausbleiben und die Entleerung gelingt häufig nur mit starkem Pressen und ist oft
gefolgt von dem Gefühl der unvollständigen Entleerung. Viele Patienten leiden zudem
unter einem „geblähten Bauch“ und Völlegefühl. Bei schwer betroffenen Patienten
kann diese Erkrankung zu einer wesentlichen Beeinträchtigung der Lebensqualität
führen. Entgegen der oft verbreiteten Vorstellung ist die chronische Obstipation also
keine Befindlichkeitsstörung, an der die Patienten am Ende aufgrund einer „falschen
Lebensweise auch noch selbst schuld seien“. Vielmehr handelt es sich um eine zum
Teil sehr beeinträchtigende Erkrankung ausgelöst durch unterschiedliche primäre oder
sekundäre Störungen des Darms und/oder des Beckenbodenbereiches.
Um die Hintergründe und Empfehlungen zu diagnostischen und therapeutischen
Herangehensweisen dieser häufigen und oftmals unterschätzten Erkrankung bekan-
nter zu machen, wurde unter der Schirmherrschaft der Deutschen Gesellschaft für
Neurogastroenterologie und Motilität (DGNM; www.neurogastro.de) und der
Deutschen Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS,
www.dgvs.de) zu dem Themenkomplex „Epidemiologie, Pathophysiologie, Diagnostik
und Therapie der chronischen Obstipation“ eine interdisziplinäre S2k-Leitlinie erstellt,
die im Sommer 2013 veröffentlicht wurde [1]. Diese Leitlinie umfasst u. a. folgende
wichtige Inhalte:
Diagnostik
Vor Behandlung der chronischen Obstipation ist eine diagnostische Klärung der
Genese anzustreben als Voraussetzung einer möglichst kausalen und wirksamen
Therapie. So sollten vor allem funktionelle oder strukturelle Stuhlentleerungsstörungen
abgeklärt werden, da diese durch spezifische Behandlungsansätze wie Biofeedback
(bei funktionellen Formen) oder operative Eingriffe (bei bestimmten strukturellen
Störungen) effektiv und kausal behandelt werden können. Die demgegenüber häufiger
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vorkommenden Darm-motorisch bedingten Obstipationsformen treten zwar meist
primär auf, können aber wiederum auch Folge einer Grundkrankheit (z. B. unerkannte
Hypothyreose) oder Dauermedikation (typisch: Opiate) sein, was ebenfalls abgeklärt
und, falls möglich, gezielt therapiert werden sollte.
Therapie der Darm-motorisch bedingten Obstipationsformen
Abgesehen von den spezifischen Maßnahmen bei Stuhlentleerungsstörungen (s. o.),
die noch durch Defäkations-stimulierende Suppositorien und Klysmen unterstützt wer-
den können, beruht die Therapie der sonstigen chronischen Obstipation auf einem
Stufenkonzept, das in Abhängigkeit von der Ausprägung der Symptomatik, dem jewei-
ligen Ansprechen und auch nicht zuletzt der Verträglichkeit und der resultierenden
Lebensqualität umgesetzt wird.
Allgemeinmaßnahmen sind bei milderen Formen oft gut und auch hinlänglich effektiv.
Sie umfassen die Umstellung der Ernährungsgewohnheiten, insbesondere die gestei-
gerte Zufuhr von Ballaststoffen sowie regelmäßige körperliche Aktivität.
Konventionelle medikamentöse Therapien (Laxanzien) sind bei unzureichender
Wirkung dieser Basismaßnahmen ergänzend und bedarfsadaptiert einzusetzen,
insbesondere osmotisch wirksame Substanzen (Polyethylenglykol [PEG]-haltige
Trinklösungen), bei Verträglichkeit aber auch Lactulose, Sorbitol sowie Bisacodyl bzw.
Natrium-Picosulfat. Generell können Patienten diese Therapien ohne weiteres länger-
fristig einsetzen, wenn sie diese gut vertragen und maßvoll anwenden. Vorsicht ist
hingegen geboten bei Anzeichen eines übermäßigen Laxanziengebrauchs
unabhängig von Obstipationsbeschwerden (Laxanzienabusus), wie er z. B. bei Ess-
Störungen bzw. Versuchen der Gewichtsreduktion zu finden ist.
Moderne medikamentöse Therapien umfassen u. a. Prokinetika vom Typ der 5-HT4-
Agonisten. Hier stellt der verfügbare Wirkstoff Prucaloprid eine gute Therapieoption
bei den Patienten dar, bei denen Laxanzien nicht oder nur unzureichend effektiv sind
oder schlecht vertragen werden. Sie unterstützen direkt eine gestörte Darmmotilität. In
der Mehrzahl der Fälle wird eine erhebliche Verbesserung von Stuhlfrequenz und
Symptomen der Obstipation erreicht. Für Patienten mit Obstipation auf dem Boden
eines Reizdarmsyndroms wurde vor einiger Zeit der sekretorisch und antinozizeptiv
wirksame Guanylatcyclase-C-Agonist Linaclotid zugelassen mit guter Wirksamkeit auf
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das gesamte Spektrum der Obstipationssymptome. Diese Substanz wird allerdings in
Deutschland aktuell nicht vermarktet. Für die spezielle Form der Opioid-induzierten
Obstipation wurde als kausales Wirkprinzip die Wirkstoffgruppe der peripheren Opioid-
Rezeptor-Antagonisten (PAMORA) entwickelt, von denen in Deutschland das subku-
tan zu applizierende Methylnaltrexon und das kürzlich zugelassene orale Naloxegol
zur Verfügung stehen.
Weitere Maßnahmen: Hierzu zählen u. a. regelmäßige Einläufe oder Lavagen.
Interventionelle Therapien (Sakralnervenstimulation; chirurgische Verfahren wie
Entfernung von Dickdarmanteilen) sind nur bei schwersten und therapierefraktären
Manifestationen und vor allem umfassend funktionsdiagnostisch untersuchten
Patienten zu erwägen und sollten grundsätzlich nur in einem Zentrum mit entspre-
chender Erfahrung und im interdisziplinären Konsens zwischen Gastroenterologen
und Viszeralchirurgen erfolgen.
Literatur: 1. Andresen V, Enck P, Frieling T, Herold A, Ilgenstein P, Jesse N, et al. [S2k
guideline for chronic constipation: definition, pathophysiology, diagnosis and therapy]. Z Gastroenterol. 2013;51(7):651–72.
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State-of-the-Art Lecture
Mikrobiom
C. Högenauer
Abteilung für Innere Medizin, Gastroenterologie und Hepatologie, Medizinische
Universität Graz, Graz, Österreich
Als Mikrobiom wird die Gesamtheit der den Menschen besiedelnden Mikroorganismen
bezeichnet. Diese sind vor allem sowohl im Magen-Darm-Trakt als auch auf anderen
Schleimhäuten und der Haut vorhanden. Da viele dieser Mikroorganismen nicht mit
konventionellen mikrobiologischen Methoden züchtbar sind, konnten erst moderne
Analysemethoden, die sich der Hochleistungssequenzierung (Next Generation
Sequenzing) bedienen, eine Untersuchung dieses eigenen Ökosystems ermöglichen.
In den letzten Jahren ist dadurch eine komplett neue Forschungsrichtung entstanden.
Die Anzahl an Mikroben, die einen Menschen besiedeln, übersteigt die Zahl der Zellen
im menschlichen Körper um ein mindestens 10-Faches, die Gesamtzahl der bakteri-
ellen Gene die menschlichen Gene um ein 100-Faches. Die Bakterien des Mikrobioms
interagieren intensiv mit dem Immunsystem des Körpers, haben wichtige metabolische
Funktionen und produzieren eine breite Palette an zum Großteil unbekannten
Substanzen. Das Mikrobiom besteht neben Bakterien aber auch aus Pilzen, Viren,
Phagen und Archaen. Aus diesen Gründen bezeichnen auch viele Autoren das
menschliche Mikrobiom als eigenes Superorgan. Im Speziellen gilt ein großes
Interesse dem gastrointestinalen Mikrobiom, früher auch als Darmflora bezeichnet.
Äußere Einflüsse wie Medikamente (insbesondere Antibiotika), Krankheiten,
Ernährung oder Fernreisen können zu deutlichen Veränderungen in der Zusammen-
setzung des intestinalen Mikrobioms führen und auch die mangelnde Reversibilität
dieser Veränderungen spielt eine wichtige Rolle in der Entstehung von Krankheit.
Durch diese externen Faktoren kann es zu deutlichen Veränderungen in der
Zusammensetzung und Variabilität der kommensalen Mikroorganismen kommen, was
auch als „Dysbiose“ bezeichnet wird. Das Konzept der Dysbiose in der Krankheits-
entstehung ist vor allem für die Clostridium-difficile-Infektion gut belegt. Durch
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Veränderungen im Mikrobiom kommt es zu einer Abnahme der Kolonisierungs-
resistenz gegenüber pathogenen Erregern. Dies ermöglich eine Besiedelung des
Kolons mit C. difficile, das über seine Toxine zur Entwicklung der Kolitis führt.
Besonders bei rekurrierenden C. difficile-Infektionen wurde eine ausgeprägte Dys-
biose beobachtet, diese Verlaufsform kann erfolgreich mittels fäkaler Mikrobiota Trans-
plantation (FMT, Stuhltransplantation) behandelt werden.
Für viele immunologisch-bedingte Erkrankungen, (z. B. Diabetes mellitus Typ 1,
atopische Dermatitis, Asthma, Multiple Sklerose, chronisch entzündliche Darmerkran-
kungen), wird ein Zusammenhang zwischen Zusammensetzung des intestinalen
Mikrobioms („Dysbiose“) sowie Störungen der Darmpermeabilität postuliert. In Tierver-
suchen wurde belegt, dass eine gestörte Auseinandersetzung mit kommensalen
Bakterien und eine erhöhte mukosale Durchlässigkeit von apathogenen Keimen zu
immunmodulierten Entzündungsreaktionen führen könnten. Auch ein Zusammenhang
zwischen Dysbiose, chronischer Inflammation und der Entstehung des kolorektalen
Karzinoms konnte gezeigt werden. Insbesondere bei chronisch entzündliche Darmer-
krankungen (CED) wie Morbus Crohn und Colitis ulcerosa scheinen Mikrobiom-
veränderungen in der Kranheitspathogenese sehr wahrscheinlich eine wichtige Rolle
zu spielen. Es wurde sowohl eine Abnahme der Diversität sowie eine Veränderung in
der Proportionalität zwischen verschiedenen Bakteriengruppen beschrieben. Für
einzelne Bakterienspezies (Enterococcus faecalis, Klebsiella spp., adhärente E. coli,
Bacteroides fragilis) werden proinflammatorische Effekte auf die Mukosa und das
assoziierte Immunsystem gefunden. Diese Spezies können bei Patienten mit CED
vermehrt beobachtet werden und zu einer überschießenden Aktivierung des Immun-
systems und daraus resultierender Entzündungsreaktion führen.
Unser zunehmendes Verständnis der Interaktionen zwischen Mikrobiom und
menschlichem Organismus wird in den kommenden Jahren vielleicht dazu führen,
durch direkte Interventionen (Stuhltransplantation, Probiotikaeinsatz, Ernährung) die
Entstehung und den Erhalt eines „gesunden“ Mikrobioms zu fördern. Eine zentrale
Rolle spielt dabei das bessere Verständnis zwischen Ursache und Wirkung der Mikro-
biomveränderungen und bessere Erkenntnisse zur Funktion des humanen gastroin-
testinalen Mikrobioms.
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Abb. 1
Abb. 2
Abb. 3
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Komplikationen der portalen Hypertension
T. Bruns
Klinik für Innere Medizin IV, Klinikum der Friedrich-Schiller-Universität Jena, Jena
Die portale Hypertension ist eine wichtige Komplikation im natürlichen Verlauf der
Entwicklung einer Leberzirrhose. Eine zunehmende Fibrosierung des Organs und die
Entwicklung von Regeneratknoten führen über die mechanische Obstruktion zur porta-
len Widerstandserhöhung, die durch eine Imbalance von vasokonstriktorischen und
vasodilatatorischen Madiatoren und durch eine Kontraktion von sinusoidalen und peri-
sinuidalen Zellen noch verstärkt wird. Das Ausmaß der portalen Hypertension beim
Patienten mit kompensierter Lebererkrankung ist ein wichtiger Prädiktor für das
Auftreten einer Dekompensation durch die Entwicklung von Ösophagusvarizen-
blutungen, Aszites und hepatischer Enzephalopathie und somit für leberspezifische
Mortalität. Der Goldstandard zur Messung des Pfortaderdrucks, insbesondere bei
sinusoidaler und postsinusoidaler Widerstandserhöhung, ist nach wie vor die invasive
Bestimmung des Lebervenendruckgradienten (HVPG) anhand der Differenz zwischen
geblocktem und freiem Lebervenendruck. Die Bestimmung des HVPG ist jedoch
aufwendig, nicht ubiquitär verfügbar und aufgrund der Invasivität der Untersuchung
nicht beliebig wiederholbar. Nicht-invasive Verfahren gewinnen daher zunehmend
Bedeutung für die Diagnose von klinisch-signifikanter portaler Hypertension (CSPH;
HVPG ≥ 10 mmHg) und schwerer portaler Hypertension (HVPG ≥ 12 mmHg). Hierbei
konkurrieren verschiedene Verfahren zur Bestimmung der Leber- und/oder Milz-
steifigkeit mit Kombinationen aus direkten und indirekten Serumbiomarker der
Leberfibrose und bildgebenden Hinweisen der Ultraschalluntersuchung. Es zeichnet
sich ab, dass hier insbesondere die Lebersteifigkeitsmessung mittels Transienter
Elastografie (TE, Fibroscan) oder mittels Acoustic Radiation Force Impulse (ARFI)
diagnostische Treffsicherheiten von > 85% in der Diagnose von CSPH aufweisen.
Diese Treffsicherheit lässt sich durch Kombination mit Thrombozytenkonzentration
und Milzgröße auf über 90% steigern, was die Risikostratifizierung von asymptoma-
tischen Patienten mit kompensierter Lebererkrankung erleichtert und unnötige endos-
kopische Untersuchungen bezüglich der Entwicklung von Ösophagusvarizen in der
Praxis reduzieren könnte.
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Ist bereits eine portale Hypertension durch das Auftreten von mittleren bis großen
Ösophagusvarizen evident, werden seit den 1980er Jahren nicht-selektive Beta-
blocker (NSBB) zur Primärprophylaxe von Ösophagusvarizenblutungen und Verbes-
serung des Überlebens eingesetzt. Während das traditionell verordnete Propranolol
(oder Nadolol) durch eine β1- und β2-Rezeptorblockade zur splanchnischen Vasokon-
striktion und Verminderung des Herzzeitvolumens beiträgt, besitzt Carvedilol eine
zusätzliche intrinsische milde anti-α1-adrenerge Wirkung, die zu einer zusätzlichen
Reduktion des hepatischen Widerstands beiträgt. Dementsprechend besitzt Carvedilol
eine größere therapeutische Potenz in Bezug auf die Senkung des erhöhten Pfortader-
drucks bei portaler Hypertension. Obwohl beide Substanzen nicht im direkten
Vergleich untersucht wurden, konnte gezeigt werden, dass 56% der Patienten, die
hämodynamisch nicht auf eine Propranololtherapie ansprechen, durch eine Carvedilol-
therapie eine Senkung des HVPG erfahren. Da in dieser Studie ein hämodynamisches
Ansprechen auch mit einer reduzierten Mortalität assoziiert war, unterstützen diese
Daten die zunehmende Praxis, eher Carvedilol als Propranolol zur primären Blutungs-
prophylaxe einzusetzen.
Seit 2010 mehren sich jedoch Hinweise, dass insbesondere Patienten mit einer fortge-
schrittenen Leberzirrhose, die therapierefraktären Aszites oder eine Alkoholhepatitis
aufweisen oder eine spontan-bakterielle Peritonitis (SBP) entwickeln, nicht von einer
NSBB-Therapie profitieren und sogar eine Übersterblichkeit aufweisen. Diese wird vor
allem über eine Erschöpfung der kardialen Reserve in späten Zirrhosestadien erklärt,
die bei Gabe von NSBB zu einer kritischen Verschlechterung der Hämodynamik mit
reduzierter Organperfusion und der Entwicklung einer Parazentese-induzierten
zirkulatorischen Dysfunktion beiträgt. Ab welchem konkreten Zeitpunkt sich das
therapeutische Fenster für NSBB schließt, ist derzeit nicht ausreichend evaluiert und
wird kontrovers diskutiert. Ein Pausieren im Rahmen instabiler Hämodynamik
(systolischer RR < 90 mmHg) und kompromittierter Nierenfunktion (akutes Nieren-
versagen, Hyponatriämie < 130 mM), z. B. im Rahmen bakterieller Infektionen,
erscheint pathophysiologisch plausibel – ein generelles Absetzen von NSBB bei
Patienten mit therapierefraktärem Aszites oder nach SBP sollte jedoch nicht voreilig
erfolgen. Zwei 2015 publizierte Studien weisen einen Überlebensvorteil durch NSBB
selbst bei therapierefraktärem Aszites oder bei Auftreten eines akut-auf-chronischen
Leberversagens (ACLF), sodass der Stellenwert der Betablocker in der Therapie der
portalen Hypertension auch in den nächsten Jahren weiter diskutiert werden wird.
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Infektionen bei Lebererkrankungen – rationale Prävention
B. Appenrodt, F. Lammert
Klinik für Innere Medizin II, Universitätsklinikum des Saarlandes
Bakterielle Infektionen bei Leberzirrhose sind häufig und Prognose-relevant [1]. Die
häufigsten Infektionen sind die spontan bakterielle Peritonitis (SBP), der Harnwegs-
infekt und die Pneumonie. Dabei haben oder entwickeln ungefähr ein Drittel aller
Patienten eine bakterielle Infektion während eines stationären Aufenthalts. Patienten
mit bakterieller Infektion und Leberzirrhose haben ein 2-fach erhöhtes Risiko in diesem
Rahmen, eine Sepsis zu entwickeln [1].
Neben einer effektiven Akuttherapie sind daher Strategien in der Primär- und
Sekundärprophylaxe notwendig. In die Entscheidung müssen individuelle Risiko-
faktoren einbezogen werden. Eine antibiotische Prophylaxe darf heutzutage bei
zunehmender Resistenzlage nicht generell eingesetzt werden [2].
Pathophysiologisch liegt dem erhöhten Risiko bakterieller Infektionen bei Leber-
zirrhose maßgeblich eine pathologische bakterielle Translokation zugrunde. Es kommt
dabei zu einer Durchwanderung von Bakterien durch die Darmwand in die mesente-
rialen Lymphknoten. Von hier kann es dann zu einer systemischen Infektion kommen.
Dies ist der Erklärungsansatz für die Pathogenese der SBP und gleichzeitig Ansatz für
die antibiotische Prophylaxe nach stattgehabter SBP. Hier wird die Gabe eines Chino-
lons (Norfloxacin) zur selektiven Darmdekontamination empfohlen. Bei zunehmender
Chinolonresistenz wird seit Kurzem der prophylaktische Effekt des nicht-adsorbier-
baren Antibiotikums Rifaximin in der Prophylaxe untersucht [3].
Eine antibiotische Primärprophylaxe, um eine SBP zu verhindern, sollte Patienten mit
einem hohen Infektionsrisiko vorbehalten sein. Risikofaktoren sind eine fortgeschrit-
tene Leberzirrhose (Child-Pugh-Score ≥ 9), niedriger Eiweißgehalt des Aszites
(< 1,5 g/dl), Serum-Bilirubin > 3 mg/dl und eine Nierenfunktionseinschränkung [2,4].
Eine gastrointestinale Blutung ist ebenfalls ein relevanter Risikofaktor. Hier verringert
eine antibiotische Prophylaxe die Rezidivblutung und die Rate bakterieller Infektionen
[5]. Aktuelle retrospektive Daten weisen darauf hin, dass eine Prophylaxe bei Patienten
mit einer kompensierten Leberzirrhose (Child-Pugh-Stadium A) zu keiner signifikanten
Verbesserung führt, sondern vielmehr das Problem der Resistenzbildung fördert [6].
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Patienten mit stattgehabter SBP haben unabhängig von diesen Faktoren ein hohes
Rezidivrisiko von 70% im ersten Jahr. Eine Prophylaxe mit Norfloxacin konnte in einer
prospektiven Studie das Risiko signifikant von 68% auf 20% senken [7]. Somit wird
eine antibiotische Sekundärprophylaxe bis zur Lebertransplantation oder bis zur Kom-
pensation mit völligem Rückgang von Aszites nach stattgehabter SBP empfohlen. Die
Empfehlung schließt als initiale Gruppe die Chinolone oder Trimethoprim/
Sulfamethoxazol ein.
Neben der antibiotischen Sekundärprophylaxe beeinflusst die Gabe nicht-selektiver
Betablocker das Rezidivrisiko. Diese senken das Risiko einer Varizenblutung, haben
jedoch bei Patienten im dekompensierten Stadium mit therapierefraktärem Aszites
einen negativen Einfluss auf die Prognose. Kürzlich wurde berichtet, dass sie auch bei
Patienten mit einer SBP zu einer Nierenfunktionsverschlechterung und erhöhter Morta-
lität führen können [8]. Somit sollte "rationale Prävention" neben der Entscheidung
über eine antibiotische Prophylaxe auch die Evaluation der Betablocker-Therapie um-
fassen. Die Therapie hat im Stadium der kompensierten Zirrhose einen Benefit und
kann das Risiko der bakteriellen Translokation reduzieren, muss jedoch bei Patienten
in fortgeschrittenen Stadien, insbesondere nach Auftreten von bakteriellen Infektionen,
kritisch bewertet werden.
Eine weitere häufige Infektion bei Patienten mit Zirrhose während des stationären
Aufenthalts, insbesondere auf der Intensivstation, ist die Clostridium difficile-Kolitis.
Potenzielle Risikofaktoren sind eine vorherige antibiotische Therapie und eine Medika-
tion mit Protonenpumpeninhibitoren [9]. Deren Indikation sollte daher bei jedem
Patienten mit Leberzirrhose streng gestellt werden.
Neben diesen klinischen Daten gibt es experimentelle Strategien zur präziseren
Prävention bakterieller Infektionen bei Patienten mit Leberzirrhose. Hierzu zählt der
Einsatz der Antbiotikaprophylaxe bei Patientengruppen, deren Risiko durch gene-
tische Varianten (z. B. NOD2-Mutationen) oder andere Biomarker erfasst werden kann
[10]. Einen viel versprechenden Ansatzpunkt stellt die nicht-antibiotische Prophylaxe
mit Gallensäuren-Derivaten dar, die intestinale Barrierefunktionen verstärken. Erste
experimentelle Daten zeigen, dass die Gabe von 6α-Ethyl-Chenodeoxycholsäure
(Obeticholsäure), die an den nukleären Gallensäuren-Sensor FXR der Enterozyten
bindet, zu einer Reduktion der bakteriellen Besiedlung der mesenterialen Lymphkno
ten führt [11].
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Zusammenfassend erfordert "rationale Prävention" bei Patienten mit Leberzirrhose
eine am individuellen Risikoprofil ausgerichtete antibiotische Prophylaxe sowie die
richtige Indikationsstellung für Betablocker und Protonenpumpeninhibitoren. Zukünftig
werden nicht-antibiotische Präventionsmaßnahmen an Bedeutung gewinnen.
Literatur: 1. Arvaniti V, D'Amico G, Fede G, Manousou P, Tsochatzis E, Pleguezuelo M, et al.
Infections in patients with cirrhosis increase mortality four-fold and should be used in determining prognosis. Gastroenterology. 2010;139:1246–56.
2. Gerbes AL, Gülberg V, Sauerbruch T, Wiest R, Appenrodt B, Bahr MJ, et al. S3-Leitlinie "Aszites, spontan bakterielle Peritonitis, hepatorenales Syndrom". Z Gastroenterol. 2011;49:749–79. (http://www.dgvs.de)
3. Hanouneh MA, Hanouneh IA, Hashash JG, Law R, Esfeh JM, Lopez R, et al. The role of rifaximin in the primary prophylaxis of spontaneous bacterial peritonitis in patients with liver cirrhosis. J Clin Gastroenterol. 2012;46:709–15.
4. Fernández J, Navasa M, Planas R, Montoliu S, Monfort D, Soriano G, et al. Primary prophylaxis of spontaneous bacterial peritonitis delays hepatorenal syndrome and improves survival in cirrhosis. Gastroenterology. 2007;133:818–24.
5. Hou MC, Lin HC, Liu TT, Kuo BI, Lee FY, Chang FY, et al. Antibiotic prophylaxis after endoscopic therapy prevents rebleeding in acute variceal hemorrhage: a randomized trial. Hepatology. 2004;39:746–53.
6. Tandon P, Abraldes JG, Keough A, Bastiampillai R, Jayakumar S, Carbonneau M, et al. Risk of bacterial infection in patients with cirrhosis and acute variceal hemorrhage, based on Child-Pugh class, and effects of antibiotics. Clin Gastroenterol Hepatol. 2015;13:1189–96.
7. Ginés P, Rimola A, Planas R, Vargas V, Marco F, Almela M, et al. Norfloxacin prevents spontaneous bacterial peritonitis recurrence in cirrhosis:results of a double-blind, placebo-controlled trial. Hepatology. 1990;12:716–24.
8. Mandorfer M, Bota S, Schwabl P, Bucsics T, Pfisterer N, Kruzik M, et al. Nonselective β blockers increase risk for hepatorenal syndrome and death in patients with cirrhosis and spontaneous bacterial peritonitis. Gastroenterology. 2014;146:1680–90.
9. Bajaj JS, Ananthakrishnan AN, Hafeezullah M, Zadvornova Y, Dye A, McGinley EL, et al. Clostridium difficile is associated with poor outcomes in patients with cirrhosis: A national and tertiary center perspective. Am J Gastroenterol. 2010;105:106–13.
10. Casper M, Mengel M, Fuhrmann C, Herrmann E, Appenrodt B, Schiedermaier P, et al. The INCA trial (Impact of NOD2 genotype-guided antibiotic prevention on survival in patients with liver Cirrhosis and Ascites): study protocol for a randomized controlled trial. Trials 2015;16:83. (http://www.trialsjournal.com/content/16/1/83)
11. Verbeke L, Farre R, Verbinnen B, Covens K, Vanuytsel T, Verhaegen J, et al. The FXR agonist obeticholic acid prevents gut barrier dysfunction and bacterial translocation in cholestatic rats. Am J Pathol. 2015;185:409–19.
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Steatohepatitis – Diagnostik und Therapie
E. Roeb
Schwerpunkt Gastroenterologie, Zentrum für Innere Medizin, Justus-Liebig-
Universitätsklinikum, Gießen
Die erste deutsche S2k-Leitlinie „Nicht-alkoholische Fettlebererkrankungen“ (NAFLD)
gilt seit Anfang 2015 und fasst den aktuellen Kenntnisstand zu klinischem Bild,
Diagnostik, Therapie und Pathologie auf Basis der wissenschaftlichen Evidenz
zusammen. Sie wurde von der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdau-
ungs- und Stoffwechselerkrankungen (DGVS) gemeinsam mit 14 weiteren deutschen
Fachgesellschaften und Patientenvertretern herausgegeben.
Definition, Epidemiologie und Risikofaktoren
NAFLD (von nonalcoholic fatty liver disease) umfasst ein Spektrum von
Lebererkrankungen, welche von der „blanden“ Steatosis hepatis (nonalcoholic fatty
liver, NAFL), über die nicht-alkoholische Fettleberhepatitis (nonalcoholic steato-
hepatitis, NASH), bis zur Zirrhose und zum hepatozellulären Karzinom (HCC) reichen.
NAFLD wird als hepatische Manifestation des metabolischen Syndroms angesehen,
kann aber auch unabhängig davon auftreten. Die Prävalenz der NAFLD in der
Allgemeinbevölkerung liegt weltweit bei ca. 20–30% und ist mit einer erhöhten
Mortalität verbunden, bedingt durch kardiovaskuläre Erkrankungen, Tumorerkran-
kungen und die Lebererkrankung an sich.
Fortgeschrittenes Alter, hoher BMI (insbesondere mit viszeraler Adipositas), erhöhte
Kalorienzufuhr und Insulinresistenz bzw. Typ-2-Diabetes sind mit dem Vorliegen einer
NAFLD assoziiert. Chronischer Bewegungsmangel stellt einen von nutritiven Faktoren
unabhängigen Risikofaktor dar. Die NAFLD weist eine relevante genetische Prädis-
position auf.
Diagnose
Ein NAFLD-Screening kann zurzeit für die Allgemeinbevölkerung nicht empfohlen
werden. Der transabdominelle Ultraschall wird als primäre Bildgebung bei Patienten
mit Verdacht auf NAFLD empfohlen. Der Ultraschall erlaubt aber weder den Aus-
schluss einer Steatosis hepatis noch eine Unterscheidung zwischen NAFL und NASH.
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Die nicht-invasive Steatosebestimmung kann mittels Fatty Liver Index (FLI), Leber-
sonografie oder Magnetresonanztomografie erfolgen. Ultraschall-basierte Scher-
wellen-Elastografie-Verfahren können zum Ausschluss einer fortgeschrittenen Leber-
fibrose/-zirrhose herangezogen werden. Sie erlauben jedoch keine Unterscheidung
zwischen Steatohepatitis und Fibrose. Der NAFLD-Fibrosis-Score (NFS) kann als
einfacher Test zum Ausschluss einer fortgeschrittenen Leberfibrose durchgeführt wer-
den. NFS und Elastografie tragen dazu bei, über eine Leberbiopsie und Früherken-
nungsmaßnahmen, z. B. für das HCC, zu entscheiden. NAFLD-Patienten sollen
hinsichtlich ihres kardiovaskulären Risikos entsprechend der Leitlinien der kardiolo-
gischen Fachgesellschaften evaluiert werden. Bei allen Patienten mit NAFLD sollen
klinische, laborchemische sowie bildgebende Verlaufskontrollen durchgeführt werden,
deren Umfang und Intervalle (alle 3 bis 12 Monate) sich nach Anzahl und Ausprägung
von Komorbiditäten sowie dem Schweregrad der Lebererkrankung richten.
Therapie
Ziel ist die Reduktion der Insulinresistenz mit verminderten kardiovaskulären End-
organschäden und verlängertem Überleben. Durch Lebensstiländerungen, die auf
moderater Gewichtsreduktion und Steigerung der körperlichen Aktivität beruhen, kann
die Progression einer Insulinresistenz verhindert oder verzögert werden. Es gibt keine
für die Indikation NAFLD zugelassenen Medikamente. Eine bariatrische Chirurgie kann
bei Patienten mit Adipositas Grad II (BMI > 35) oder mehr durchgeführt werden. Der
Konsum von Kaffee kann aufgrund hepato- und kardioprotektiver Effekte empfohlen
werden, NAFLD-Patienten sollten nicht rauchen und auf Alkohol verzichten.
Die NAFLD sollte bei der Abschätzung des Risikos hepatotoxischer Nebenwirkungen
in der Auswahl von Medikamenten zur Behandlung von Komorbiditäten bedacht
werden.
Fazit
NAFLD ist mittlerweile die häufigste Lebererkrankung in Deutschland. Die Prävention
von Übergewicht und Bewegungsmangel zielt auf die wichtigsten Risikofaktoren.
Körperliche Aktivität führt nachweislich auch ohne Reduktion des Körpergewichts zu
einer Besserung der Fettleber.
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Abb. 1: Vorgehen bei Steatohepatitis entsprechend der Leitlinie der DGVS 2015
Abb. 2: Mortalität bei NASH an Lebererkrankungen und Herz Kreislauf Erkrankungen
entsprechend der Daten der World Gastroenterology Organisation 2012
Literatur: 1. Roeb E, Steffen HM, Bantel H, Baumann U, Canbay A, Demir M, et al. [S2k
Guideline non-alcoholic fatty liver disease]. Z Gastroenterol. 2015;53(7):668–723.
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Pankreatitis – akute, chronische, hereditäre, autoimmunolo-
gische...
M.M. Lerch
Klinik und Poliklinik für Innere Medizin A, Universitätsmedizin Greifswald, Greifswald
Eine akute oder chronische Pankreatitis ist inzwischen der häufigste Grund für eine
stationäre Aufnahme in Krankhaus unter den gastroenterologischen Erkrankungen.
Wichtigste Risikofaktoren sind Tabakrauch (s. u.) und zur starker Alkoholkonsum.
Erbliche Ursachen spielen eine immer wichtigere Rolle. Bisher wurde davon ausge-
gangen, dass erbliche Prädispositionen für die Entstehung einer Pankreatitis in erster
Linie das Proteasen-Antiproteasensystem der Bauchspeicheldrüse betreffen. Exem-
plarisch seien hierfür die Trypsin-Mutationen bei hereditärer Pankreatitis genannt [1]
und die sehr viel häufigeren Mutationen im Gen des Trypsin-Inhibitors SPINK1 [2]. Die
einzige Ausnahme von diesem Proteasen-Zusammenhang stellten bisher die Muta-
tionen im Mukoviszidose-Gen (CFTR) dar, die in 15% der gesunden Bevölkerung
vorliegen [3], aber unabhängig von der eigentlichen Mukoviszidose doppelt so häufig
mit einer chronischen Pankreatitis vergesellschaftet sind. Jetzt gibt es neue Erkennt-
nisse zu Umwelt- und Erbfaktoren der Pankreatitis, die ebenfalls nicht Proteasen
betreffen. Hierzu gehören zum einen das Claudin-2-Gen [4,5], das ein Zell-Zell-
Kontakt-Protein kodiert, zum anderen das Gen für die Carboxylester-Lipase (CEL), das
bisher nur bei seltenen Formen des Erwachsenendiabetes als verändert beschrieben
wurde [6], und zuletzt die Blutgruppe B und das Enzym Fucosyltransferase 2 [7]. Die
zuletzt genannten genetischen Risikofaktoren sind entscheidend an der Glykosilierung
von Proteinen in der Pankreas und keineswegs nur von Blutzellen beteiligt.
Die Übergänge von der akuten zu chronischen Pankreatitis werden immer mehr als
fließend angesehen und die chronische Verlaufsform ist vor allem durch ihre Fibro-
sierung, also den Ersatz von Parenchym durch Bindegewebe gekennzeichnet [8].
Experimentelle Studien zeigen jetzt, dass dabei vor allem das Komplementsystem eine
wichtige Rolle spielt und entscheidend bei der Frage, ob eine rezidivierende Pankre-
atitis ausheilt oder sich zu einer chronischen Pankreatitis entwickelt. Als gemeinsamer
exogener Risikofaktor für die akute und die chronische Pankreatitis kristallisiert sich
immer mehr der Tabakrauch heraus. Bevölkerungsbasierte Metaanalysen an mehr als
3 Millionen Teilnehmern zeigen, dass Tabakkonsum für die Pankreatitis sogar einen
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statistisch bedeutsameren Risikofaktor darstellt als der Alkoholabusus [9]. Bei der
Medikamenten-induzierten Pankreatitis ist die Datenlage nur für wenige Substanzen
ausreichend um sie als gesicherten Risikofaktor zu betrachten. Dies gilt inzwischen für
Mesalazin (HR = 3,5), Azathioprin (HR = 2,5) und Simvastatin (HR = 1,8). Sehr kontro-
vers und teilweise unsachlich wurde die Diskussion um die GLP-1-basierten Therapien
geführt und ein bis zu 20-fach erhöhtes Risiko für eine Pankreatitis beim Einsatz dieser
Substanzklassen unterstellt. Eine Studie mit Saxagliptin unter Teilnahme von 16.000
Diabetikern konnte ein solches Risiko nicht bestätigen [10]. Ob die noch ausstehenden
Langzeituntersuchungen der zurzeit durchgeführten randomisierten Plazebo-kontrol-
lierten Studien ein Pankreatitisrisiko letztlich bestätigen oder endgültig ausschließen
können, bleibt abzuwarten.
Eine internationale Konsensus-Leitlinie hat die Therapieempfehlungen zur akuten
Pankreatitis auf den aktuellen Stand gebracht [11]. Die Empfehlungen im Einzelnen
hier wiederzugeben, würde den Rahmen einer Kurzfassung sprengen; deshalb sei
unbedingt die Lektüre dieser Leitlinie empfohlen. In ihr wird unter anderem eine
Empfehlung für die enterale Sondenernährung ausgesprochen, die verschiedene
Vorteile gegenüber der ausschließlich parenteralen Ernährung hat. Eine randomisierte
Studie hat jetzt untersucht, ob die sehr frühzeitige enterale Sondenernährung (inner-
halb der ersten 24 Stunden nach Aufnahme) einen Vorteil gegenüber der oralen,
bedarfsangepassten Ernährung nach erst 72 h hat. Bei ausreichender Flüssigkeits-
substitution in beiden Untersuchungsgruppen ließ sich kein Vorteil für die frühzeitige
enterale Sondenernährung belegen und nur ein knappes Drittel der Patienten mit
schwerer Pankreatitis hat die orale Kostaufnahme nach 72 h nicht ausreichend toleriert
[12].
Literatur: 1. Keim V, Bauer N, Teich N, Simon P, Lerch MM, Mössner J. Clinical
characterization of patients with hereditary pancreatitis and mutations in the cationic trypsinogen gene. Am J Med. 2001;111(8):622–6.
2. Threadgold J, Greenhalf W, Ellis I, Howes N, Lerch MM, Simon P, et al. The N34S mutation of SPINK1 (PSTI) is associated with a familial pattern of idiopathic chronic pancreatitis but does not cause the disease. Gut. 2002;50(5):675–81.
3. Weiss FU, Simon P, Bogdanova N, Mayerle J, Dworniczak B, Horst J, Lerch MM. Complete cystic fibrosis transmembrane conductance regulator gene sequencing in patients with idiopathic chronic pancreatitis and controls. Gut. 2005;54(10):1456–60.
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4. Whitcomb DC, LaRusch J, Krasinskas AM, Klei L, Smith JP, Brand RE, et al. Common genetic variants in the CLDN2 and PRSS1-PRSS2 loci alter risk for alcohol-related and sporadic pancreatitis. Nat Genet. 2012;44(12):1349–54.
5. Derikx MH, Kovacs P, Scholz M, Masson E, Chen JM, Ruffert C, et al. Polymorphisms at PRSS1-PRSS2 and CLDN2-MORC4 loci associate with alcoholic and non-alcoholic chronic pancreatitis in a European replication study. Gut. 2014 Sep 24. pii: gutjnl-2014-307453. doi: 10.1136/gutjnl-2014-307453.
6. Fjeld K, Weiss FU, Lasher D, Rosendahl J, Chen JM, Johansson BB, et al. A recombined allele of the lipase gene CEL and its pseudogene CELP confers susceptibility to chronic pancreatitis. Nat Genet. 2015 Mar 16. doi: 10.1038/ng.3249.
7. Weiss FU, Schurmann C, Guenther A, Ernst F, Teumer A, Mayerle J, et al. Fucosyltransferase 2 (FUT2) non-secretor status and blood group B are associated with elevated serum lipase activity in asymptomatic subjects, and an increased risk for chronic pancreatitis: a genetic association study. Gut. 2015;64(4):646–56.
8. Gress TM, Müller-Pillasch F, Lerch MM, Friess H, Büchler M, Beger HG, et al. Balance of expression of genes coding for extracellular matrix proteins and extracellular matrix degrading proteases in chronic pancreatitis. Z Gastroenterol. 1994;32(4):221–5.
9. Alsamarrai A, Das SL, Windsor JA, Petrov MS. Factors that affect risk for pancreatic disease in the general population: a systematic review and meta-analysis of prospective cohort studies. Clin Gastroenterol Hepatol. 2014;12(10):1635–44.
10. Raz I, Bhatt DL, Hirshberg B, Mosenzon O, Scirica BM, Umez-Eronini A, et al. Incidence of pancreatitis and pancreatic cancer in a randomized controlled multicenter trial (SAVOR-TIMI 53) of the dipeptidyl peptidase-4 inhibitor saxagliptin. Diabetes Care. 2014;37(9):2435–41.
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12. Bakker OJ, van Brunschot S, van Santvoort HC, Besselink MG, Bollen TL, Boermeester MA, et al. Early versus on-demand nasoenteric tube feeding in acute pancreatitis. N Engl J Med. 2014;371(21):1983–93.
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Anschriften der Referenten und Vorsitzenden Dr. Viola Andresen Innere Medizin Israelitisches Krankenhaus in Hamburg Orchideenstieg 14 22297 Hamburg PD Dr. Beate Appenrodt Klinik für Innere Medizin II Universitätsklinikum des Saarlandes Kirrberger Str. 100 66421 Homburg Prof. Dr. Daniel C. Baumgart Hepatologie/Gastroenterologie Charité Universitätsmedizin Campus Virchow-Klinikum (CVK) Augustenburger Platz 1 13353 Berlin Dr. Tony Bruns Klinik für Innere Medizin IV Klinikum der Friedrich-Schiller-Universität Jena Erlanger Allee 101 07747 Jena Dr. med. Jörg Felber Klinik für Innere Medizin IV Klinikum der Friedrich-Schiller-Universität Jena Erlanger Allee 101 07747 Jena PD Dr. Michael Hocke Innere Medizin II HELIOS Klinikum Meiningen Bergstr. 3 98617 Meiningen Prof. Dr. Christoph Högenauer Abteilung für Innere Medizin Gastroenterologie und Hepatologie Medizinische Universität Graz Auenbruggerplatz 15 8036 Graz Österreich
Prof. Dr. Frank Lammert Klinik für Innere Medizin II Universitätsklinikum des Saarlandes Kirrberger Str. 100 66421 Homburg Prof. Dr. Ludger Leifeld Innere Medizin III St. Bernward-Krankenhaus Treibestr. 9 31134 Hildesheim Prof. Dr. Markus M. Lerch Klinik und Poliklinik für Innere Medizin A Universitätsmedizin Greifswald Ferdinand-Sauerbruch-Straße 17475 Greifswald Prof. Dr. Thomas Manger Allgemein-, Viszeral- und Kinderchirurgie SRH Wald-Klinikum Gera Straße des Friedens 122 07548 Gera Dr. Michael Repp Gastroenterologie Klinikum Altenburger Land Am Waldessaum 10 04600 Altenburg Prof. Dr. Jörg-Peter Ritz Allgemein- und Viszeralchirurgie Helios Kliniken Schwerin Wismarsche Str. 393–397 19049 Schwerin Prof. Dr. Elke Roeb Schwerpunkt Gastroenterologie Zentrum für Innere Medizin Justus-Liebig-Universitätsklinikum Gießen und Marburg Klinikstr. 33 35396 Gießen
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PD Dr. Carsten Schmidt Klinik für Innere Medizin IV Klinikum der Friedrich-Schiller- Universität Jena Erlanger Allee 101 07747 Jena Prof. Dr. Utz Settmacher Klinik für Allgemein-/Viszeral- und Gefäßchirurgie Klinikum der Friedrich-Schiller- Universität Jena Erlanger Allee 101 07747 Jena Prof. Dr. Britta Siegmund Gastroenterologie Charité Universitätsmedizin Campus Benjamin Franklin (CBF) Hindenburgdamm 30 12203 Berlin Prof. Dr. Andreas Stallmach Klinik für Innere Medizin IV Klinikum der Friedrich-Schiller- Universität Jena Erlanger Allee 101 07747 Jena Prof. Dr. Ulf Teichgräber Institut für Diagnostische und Interventionelle Radiologie Klinikum der Friedrich-Schiller- Universität Jena Erlanger Allee 101 07747 Jena Prof. Dr. Thomas Weinke Gastroenterologie/Infektiologie Klinikum Ernst von Bergmann Charlottenstr. 72 14467 Potsdam