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Nr. 1866

Am Ende einer Hoffnung

Atlan im Tucani-Sektor - neueLebenszeichen in der Milchstraße

von Hubert Haensel

Seit der Planet Trokan, der an Stelle des Mars um die Sonne kreist, aus demZeitrafferfeld auftauchte und sich eine völlig neue Zivilisation in direkter Nachbar-schaft der Erde präsentierte, sind Ereignisse von großer Tragweite geschehen. PerryRhodan, Reginald Bull und Alaska Saedelaere verschwanden im sogenannten Pilz-dom, gelangten auf die mysteriöse Brücke in die Unendlichkeit und wurden im Arse-nal der Macht getrennt.

In der Zwischenzeit wurde die heimatliche Milchstraße Schauplatz einer merkwür-digen Invasion. Zuerst kamen die Igelschiffe, deren Besatzungen rund 300 Planetenabriegelten und sie als Brutwelten nutzten. Nachdem die Bevölkerung von 52 Weltenkomplett getötet worden war, zogen sich die Invasoren an den Rand der Galaxis zu-rück.

Weitere 52 Planeten gerieten in den Bann der Philosophen, offensichtlich»Erzeugnisse« aus den bisherigen Brutvorgängen. Die Bewohner dieser Planetenwechselten vom sogenannten Kritzelwahn zur Todessehnsucht und träumten nurnoch davon, zu sterben und damit in einer Wesenheit namens Goedda aufzugehen.

Erst ein Vorstoß der Aktivatorträger Atlan, Dao-Lin-Hay und Myles Kantor ins Inne-re von Goeddas Traumblase brachte Hilfe: Es gelang der Gruppe, den Brutkosmosmit Hilfe einer Bombe zu vernichten. Wie es scheint, ist damit auch Goedda vernich-tet.

Was aber bleibt, sind Hunderttausende von Raumschiffen der Invasoren, die amRand der Milchstraße warten vielleicht schon AM ENDE EINER HOFFNUNG …

Die Hautpersonen des Romans:Atlan - Der Arkonide startet zum Einsatz mit einem Posbi-Kommando.Myles Kantor - Der Terraner stößt auf merkwürdige Impulse.Dao-Lin-H'ay - Die Kartanin besucht eine Blues-Welt.Orsener - Ein Posbi kämptt für das Übeleben aller Galaktiker.Elser Crawland - Terranischer Flottenkommandant im Tucani-Sektor.

Prolog

Goedda spürte den gleißenden Blitz, derdas Inferno einleitete, sie fühlte, daß eineKettenreaktion aus Explosionen und sengen-den Feuerbällen ihren massigen Gebärleibzerfetzte. Das Nebelmeer des Brutkosmosbrannte; kochendes Bourree spritzte aus auf-gerissenen Rohrleitungen und verdampfte.

Es gab keine Rettung mehr, nichts, wasdie Vernichtung hätte aufhalten können. DasEnde kam so schnell, daß Goedda nicht ein-mal die Zeit für einen gequälten Aufschreifand. Sie starb, ohne zu begreifen, daß ihrEnde gekommen war, verglühte als Funken-regen im Hyperraum.

Die Mutter aller Tolkander war tot.

1.Bericht Atlan

In zehn Sekunden Rücksturz innerhalbdes Tucani-Sektors …

Die Hände zu Fäusten geballt wartete ichdarauf, daß das Abbild des Hyperraums demdüsteren Glimmen der alten Sternpopulationwich. Eine höchst selten gekannte Erregunghielt mich in ihrem Bann.

Noch fünf Sekunden …Totenstille herrschte in der Zentrale der

RICO. Ich blickte in ausdruckslose, schein-bar erstarrte Gesichter. Keiner hatte denKrieg gewollt, dennoch steckten wir mitten-drin. Es gab kein Zurück mehr, nur nochSieg oder Untergang, und das Schicksal derMilchstraße hing am seidenen Faden.

Wir schrieben den 19. Juli 1289 NGZ20:08:16, ein geschichtsträchtiges Datum.Falls es nach uns noch Menschen gebenwürde, die das interessierte …

Übergangslos wechselte die Wiedergabein den Bildschirmholos, die Zentrale der RI-CO wurde in ein düsterrotes Glimmen ge-taucht. Die syntronische Einblendung stabi-lisierte zwei Planeten der nahen roten Rie-sensonne, ausgetrocknete Ödwelten ohneBesonderheiten. Und völlig uninteressant,hätten nicht die Invasoren auf beiden ihreStützpunkte errichtet und begonnen, dieOberfläche systematisch abzutragen.

»Keine Funkortung!« Sevias Stimme vi-brierte leicht. Vor nicht einmal einer Stundehatte sie mir ihre Beklemmung gestanden -und ihre Furcht. Nein, nicht die Furcht vordem Tod; das war etwas, worüber sie nichtnachdachte; zumindest redete sie nicht dar-über. Sie fürchtete, daß der Großangriff dergalaktischen Flotten auf 47 Tucani um Wo-chen zu spät erfolgte. Sevia ertrug das Wis-sen nicht mehr, daß die Tolkander dieMilchstraße all unseren Aktionen zum Trotzin eine tote, entvölkerte Sternenwüste ver-wandeln würden.

Nach der Vernichtung Goeddas rüstetendie Invasoren zum Endkampf, und wir Ga-laktiker befanden uns in der Situation desje-nigen, der mit bloßen Fäusten Windmühlen-flügel aufzuhalten versucht. Unaufhörlicherhielten die Tolkander Verstärkung, fastdreihunderttausend Igelschiffe inzwischen…

Was wir vorhatten, kam einem Opferganggleich. Leider gab es keine Alternative: un-ser Leben gegen das der Invasoren. Längstzählten nicht mehr Schiffsbesatzungen oderPlaneten und ihre Bevölkerung. Alles odernichts dafür kämpften wir und waren bereitzu sterben.

Verkriech dich nicht hinter einer Wandaus Selbstmitleid, schimpfte der Extrasinn.Was ist aus denn Arkoniden geworden, der

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den Blick in die Zukunft richtet?Zukunft? Seit kurzem besaß das Wort

einen verdammt bitteren Beigeschmack.»Alle Kampfschiffe haben den Hyper-

raum verlassen«, wurde gemeldet. »KeineAbweichungen registriert.«

Fünfhundert Raumer folgten der RICO,unter ihnen die PAPERMOON und ein Dut-zend weitere Einheiten der800Meter-Klasse.

Auf den Schirmen wuchsen die Planeten.»Distanz dreieinhalb Lichtminuten!«Jeden Augenblick maßte sich uns die Pha-

lanx der Tolkander entgegenwerfen. Wirhatten wenig Chancen, die Schlacht für unszu entscheiden, waren den Igelschiffen nichtnur zahlenmäßig weit unterlegen, sondernebenso waffentechnisch. Einige Wochenoder Monate hätten unsere Techniker nochbenötigt, um Tangle-Scan und Stotterantriebder Invasoren weitestgehend neutralisierenzu können - doch diese Zeit stand nicht zurVerfügung.

»… drei Lichtminuten.«Nur noch verschwommen nahm ich die

Stimmen um mich her wahr. Ich fühlte michlängst zum Zuschauerin dieser Tragödie de-gradiert, das Heft des Handelns war mir ausder Hand genommen worden. Nie hätte ichgeglaubt, daß dieser Augenblick wirklich ei-nes Tages kommen würde. Du wartest vier-zehntausend Jahre auf den Tod, aber wenner dann wirklich kommt, hast du trotzdemdas Gefühl, daß es viel zu früh ist.

Konzentriere dich auf deine Aufgabe!Was war nur los mit mir? Ich maßte mir

nicht vom Extrasinn sagen lassen, was ichzutun hatte. Nicht in dieser Situation.

Ich wußte, daß du eines Tages unter derLast der Verantwortung zerbrechen würdest,Beuteterraner!

»Laß mich in Frieden!«Unwillkürlich stieß ich die Worte laut

aus. Ich registrierte es an der Veränderungder Geräuschkulisse und daran, daß dieMänner und Frauen in meiner Nähe flüchtigin ihren Tätigkeiten innehielten.

»Wir schaffen es!« stieß jemand hervor.

»Und wenn nicht wir, dann die, die nach unskommen werden.«

»Tod den verfluchten Tolkandern!« An-dere stimmten, ohne zu zögern, ein.

»Tod den Tolkandern …« Ein vielstimmi-ger Aufschrei, ein Schlachtruf wie ungezähl-te vorher, die ich irgendwann im Laufe derGeschichte gehört hatte.

»… zwei Lichtminuten.«Ich starrte die graugrüne Welt auf dem

Holoschirm an und fragte mich verzweifelt,ob dort unten außer den Tolkandern Lebenexistierte.

Du bist über dem Zeitlimit, warf mir derExtrasinn vor.

Das weiß ich, gab ich schroff zurück. Ver-dammt, es ist mir klar, aber ich …

Skrupel? Der Spott des Logiksektors fraßsich durch meine Gedanken wie glühenderStahl durch Kunststoff. Die Tolkander wer-den nicht zögern, die gesamte Milchstraßezu entvölkern, aber du armer Irrer schreckstdavor zurück, eine Waffe einzusetzen, dieschon deine Väter benutzt haben.

Laß mich in Ruhe!Ach ja, ich vergaß: Helden sterben ein-

sam.Schmerzhaft schnitten meine Fingernägel

in die Handballen. Auf Camelot, auf Terra,auf Topsid und vielen anderen Welten hattenwir Arkonbomben gebaut, und es war an derZeit, den ersten Abwurf seit vielen Jahrhun-derten, seit zwei Jahrtausenden vorzuberei-ten - zuerst hier in 47 Tucani, dann auf vie-len anderen Welten der Milchstraße. Nur sokonnten wir den galaktischen Völkern nochdie Grundlage einer künftigen Existenz si-chern.

»Mit Feuer und Schwefel werden wir sieausräuchern.« Eine Hand umklammerte mei-ne linke Schulter; als ich überrascht aufsah,blickte ich in das harte Gesicht meiner Stell-vertreterin. In Germes Augen loderte das al-les verzehrende Feuer, das schon immerHeerführer vor entscheidenden Schlachtenausgezeichnet hatte. »So sagt man doch aufTerra, oder?« fügte sie ungeduldig hinzu.

»So ungefähr«, murmelte ich.

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Viele Planeten würden in einem unlösch-baren Atombrand vorübergehend zu neuenSonnen werden: Terra, Olymp, Topsid …

Arkon nicht. Du bist glücklich darüber,daß deine Heimatwelt nicht betroffen ist, ge-steh es endlich ein.

Glücklicherweise wurde ich dem Zwangzu einer Antwort enthoben. Das aktuelle Ge-schehen war wichtiger als irgendwelchedummen Mutmaßungen meines Extrasinns.

»Die Ortungen zeigen keine Igelschiffe.Sie sind verschwunden.«

»Auch der Planet vor uns ist energetischtaub. Sämtliche Abbauarbeiten stehen still.«

»Sind die Daten gesichert?«»Die Bestätigung wird soeben vorgelegt,

Atlan. Es gibt keinen Zweifel, die Invasorenhaben sich aus diesem System zurückgezo-gen.«

»Was ist mit den anderen Positionen?«wollte ich wissen.

Sevia schüttelte den Kopf. Gleichzeitiglegte sie einen hereinkommenden Hyper-funkspruch auf die Akustikfelder um.

Wir hörten die schrille, von Störungenverzerrte Stimme eines Blues. Teilweise glitter in den Ultraschallbereich ab, doch die we-nigen verständlichen Satzfetzen genügten,um erkennen zu lassen, daß die Flotte derBlues ebenfalls ins Leere gestoßen war.

»Die Haluter melden, daß sie Tolk-8 ohneFeindberührung erreicht haben. SämtlicheFabrikationsanlagen für Bourree wurden vonden Tolkandern zerstört.«

Gerine begann zu lachen. Erst stieß sienur ein paar glucksende Laute aus, dannplatzte sie lauthals los. Aber ebenso unver-mittelt hielt sie den Atem an und wischtesich mit dem Handrücken Tränen aus denAugenwinkeln.

»Freude ist angesichts der ungezähltenOpfer wohl fehl am Platz«, stieß sie gepreßthervor. »Es tut mir leid.«

In einer Geste eigener Ohnmacht schlugsie sich die Hände vors Gesicht und ließ sielangsam nach unten gleiten, bis ihre Finger-spitzen nur noch die Lippen berührten. Siebebte innerlich, als sie sagte: »Wir hätten es

ahnen müssen: Goeddas Vernichtung hatden Tolkandern den Lebensinhalt geraubt.Wofür sollen sie jetzt noch Bourree erzeu-gen? Alles deutet darauf hin, daß sie dieMilchstraße verlassen haben.«

»Das Sterben hat ein Ende. Endlich!«Freust du dich nicht, Arkonidenhäupt-

ling?Ich kann es nicht glauben, erwiderte ich

in Gedanken. Beinahe dreihunderttausendKriegsschiffe ziehen sich nicht sang- undklanglos zurück. Nicht, ohne verbrannte Er-de zu hinterlassen.

Haben sie das nicht schon zur Genügegetan? Willst du noch mehr Verwüstungen?

»Syntron, die Gefechtsbereitschaft been-den!« kommandierte Gerine.

»Befehl annullieren!« platzte ich heraus.Alles an mir war angespannte Erwartung,mit jeder Faser meines Körpers glaubte ichzu spüren, daß wir uns irrten. Dazu bedurftees keineswegs des warnenden Impulses mei-nes Logiksektors. Wir waren drauf und dran,den Tolkandern in die Falle zu gehen.

Meine Stellvertreterin verstand nicht,weshalb ich ihr Kommando aufgehoben hat-te. Das war ihr anzusehen. Sie sehnte sichwie wir alle nach Frieden, aber sie suchtediesen Frieden mit Scheuklappen …

Im Hauptholo erschien das von Störungenverzerrte Gesicht des LFT-Kommissars Ci-stolo Khan. Flammen loderten im Hinter-grund, und aus den Akustikfeldern dröhnteExplosionsdonner. Dazwischen die Todes-schreie von Menschen. Eine schaurige Ku-lisse.

»… Uranus und Neptun wurden zerstört… Die Wachforts können den Gegner nichtaufhal …« Das Bild verwehte, stabilisiertesich Sekunden später noch einmal flackernd.»… Terra unter schwerem Beschuß … dieHeimatflotte ist in unzählige Gefechte ver-wickelt …«

»Der Funkspruch kommt aus dem Solsy-stem über Hauptrelaisstationen«, sagte je-mand mit Grabesstimme.

Eine eisige Hand griff unter meiner Brust-platte nach dem Herzen. Die Tolkander hat-

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ten sich nicht zurückgezogen. Vielmehr wa-ren sie zum alles entscheidenden Schlagübergegangen, während das Ziel der galakti-schen Flotten in maßloser Fehleinschätzungder Lage immer noch 47 Tucani hieß.

Khans Blick ging mir durch und durch.»Luna bricht unter heftigem Beschuß aus-

einander. Das … das ist das Ende.«Mir wurde schwarz vor Augen.Erst mein eigener gequälter Aufschrei

brachte mich wieder zur Besinnung. Ich zit-terte wie Espenlaub, fror und schwitztegleichzeitig, und der Schweiß brannte wieFeuer in meinen Augen. Oder waren es Trä-nen der Ohnmacht und des Entsetzens? Ichempfand keine Trauer in dem Moment, nurHaß und rasende Rachegelüste. Immer wie-der drosch ich die Fäuste gegeneinander. Zuglauben, daß Luna nicht mehr existierte, daßwomöglich in diesen Minuten auch die Erdestarb, das fiel unendlich schwer.

Propaganda! schoß es mir durch denSinn. Die Invasoren versuchen, die Moralder Flotte zu untergraben.

Aber Unsinn! Welchen Springer, Akonenoder Arkoniden interessierte denn wirklich,was aus der Erde wurde? In Zeiten wie die-sen war jedes Volk sich selbst der Nächste,die Geschichte hatte nie etwas anderes ge-lehrt.

»Rückflug nach Terra!«Nicht der unmißverständliche Befehl,

sondern nur ein heiseres Ächzen kam übermeine Lippen. Alle vermeintliche Selbstbe-herrschung und Erfahrung waren machtlosgegen den Ansturm entfesselter Gefühle. Pa-nik ergriff mich.

Warum schweigst du? schrie ich den Ex-trasinn an. Jetzt, da ich dich brauche, ziehstdu dich zurück.

Was soll ich sagen, Atlan?Daß… - Ich durfte mich nicht von Emo-

tionen lenken lassen. Seit sieben Monatenwar die Geschichte der Milchstraße die Ge-schichte permanenter Niederlagen und eini-ger Pyrrhussiege. Wir hatten zu lange gezö-gert, hatten zugelassen, daß viele Völker desGalaktikums ihr eigenes Süppchen kochten -

die Quittung für alle Versäumnisse wurdeuns nun präsentiert.

Fünfhundert Schiffe schickten via Hyper-kom Anfragen, ein beinahe babylonischesSprachengewirr. Die Funkzentrale warlängst nicht mehr Herr der Situation.

»Alles auf den Syntron umlegen!« be-stimmte ich. »Ich will die Hauptfrequenzenfrei haben. - Neuer Kurs für die gesamte An-griffsflotte: Sol! Und es ist mir völlig egal,ob ein paar Metagravs draufgehen oder nichtund die Schiffe im Hyperraum hängenblei-ben. Wir schlagen zurück. Mit allem, waswir haben.«

»Atlan!« Sevias Stimme war pure Resi-gnation. »Gatas wurde soeben vernichtet.Von nur fünftausend Igelschiffen und zehnGliederschiffen.«

»Kurs Sol ist programmiert. Wir be-schleunigen mit Höchstwerten.«

Wozu noch? Mir war klar, daß wir zu spätkommen würden. Jeder an Bord der RICOwußte das.

Wir kamen nur noch als Leichenbestatter,als Zeugen des Untergangs der menschli-chen Zivilisation. Vielleicht war es uns so-gar noch vergönnt, einige Dutzend gegneri-sche Schiffe abzuschießen.

Du flüchtest dich in Sarkasmus. Rhodanwürde das nicht gutheißen.

Perry Rhodan. Lebte er überhaupt noch?Und Bully? Alaska war mit größtmöglicherWahrscheinlichkeit im Brutkosmos derGoedda gestorben, das wußten wir seit ge-stern. Anzunehmen, daß Perry eines Tagesdoch wieder zurückkehren könnte und dannvor den Trümmern seines Lebenswerksstand … Nein, so schrecklich das auchklang, dann war es besser, er hatte irgendwoin den unbekannten Weiten des Universumsden Tod gefunden.

»Atlan!«Sevias Aufschrei verhieß weiteres Unheil.

Ich spürte, wie sich meine Nackenhaare auf-stellten.

»Arkon?« fragte ich voll böser Vorah-nung.

Sevia nickte schwer.

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»Wie schlimm steht es?«Sie schüttelte den Kopf. »Die Tolkander

haben die Sonne zur Nova werden lassen. -Sie hat die inneren Planeten schon ver-schlungen.«

Ein greller Schmerz hinter der Brustplatteraubte mir den Atem. Auch ein potentiellunsterblicher Arkonide ist nicht gegen dasSchicksal gefeit.

Für mich fiel der Vorhang. Das Drängendes Extrasinns verwehte im Nichts.

*

Das Geräusch meiner eigenen schwerenAtemzüge schreckte mich auf. Ich schnarch-te, und das ziemlich intensiv.

Zudem fühlte ich mich wie gerädert.Schweiß verklebte die Lider, ich blinzeltemühsam in die Dunkelheit, die nur zögerndgewohnte Konturen freigab.

Du treibst Raubbau mit deinen Kräften.Nicht nur Tadel schwang in den Worten desExtrasinns mit, sondern auch eine gehörigePortion Spott. Wohin das führt, siehst dunun.

Laß mich in Ruhe! widersprach ich unwil-lig. Begreifst du nicht, daß ich in meinemSchmerz allein sein will?

Der Servo aktivierte die Beleuchtung, alsich mich auf den Ellenbogen hochstemmte.Das Licht blendete und trieb mir neue Trä-nen in die Augenwinkel. Gleichzeitig be-gann der Extrasinn spöttisch zu lachen.

Nein, Lordadmiral, wisperte es unter mei-ner Schädeldecke im Verein mit dem hekti-scher werdenden Pulsieren des Blutes in denSchläfen, Gerine hat dich nicht entkleidetund zu Bett gebracht. Schade, nicht wahr?

Vergeblich versuchte ich mich zu erin-nern. Aber da war nur die Nachricht vomUntergang Terras. Und das lähmende Ge-fühl, vor den Ruinen meines Lebens zu ste-hen. Alles, wofür wir Unsterblichen je ge-kämpft hatten, war vorbei - ausgelöscht in-nerhalb weniger Stunden. Was spielte es danoch für eine Rolle, daß auch Arkon den In-vasoren zum Opfer gefallen war?

Das ewige Gesetz des Universums, dasGesetz von Entstehen und Tod, hatte unsnicht verschont. Nicht erst in Jahrmilliarden,wenn die Sonnen der Milchstraße erloschen,würden die Völker dieser Milchstraße inVergessenheit geraten, nein, schon in Jahr-hunderten würde niemand mehr von unssprechen. Und diese Endgültigkeit war es,die mir angst machte.

Alles in mir schrie nach Vergeltung, nachRache für milliardenfaches Leben, das dieTolkander ausgelöscht hatten, für zerstörtePlaneten und zu Novae gewordene Sonnen.

»Servo«, hörte ich mich sagen, währendmeine Fäuste sich unablässig öffneten undwieder schlossen, »gib mir die augenblickli-che Position der RICO!«

Das ist unnötig, Atlan.Ich achtete nicht auf den Logiksektor.

Was wußte er schon von den Gefühlen, dieeinen Menschen - einen Arkoniden - tief imInnersten aufwühlen, die sein Blut in Wal-lung bringen und jeden klaren Gedanken un-terdrücken?

Die Vernunft hat uns nicht weiterge-bracht. Wenn wir jetzt nicht die Waffen spre-chen lassen, wann dann? Ich werde kämpfenund dabei sterben, aber das bin ich mirselbst schuldig. Andernfalls müßte ich jedeAchtung vor mir verlieren. Ich nehme sovielvon dieser verfluchten Tolkanderbrut mitwie irgend möglich.

Vor mir stabilisierte sich ein Hologramm.Saturn prangte beinahe bildfüllend mitten inder Kabine; überdeutlich war Mimas mit sei-ner von Einschlagskratern übersäten Ober-fläthe zu erkennen. Die RICO stand schrägüber dem Ringsystem, außerhalb desSchlagschattens, den der Riesenplanet warf.

Ein mächtiger Kloß saß in meiner Kehle.»Wir greifen die Tolkander an!« stieß ich

hervor. »Mit allem, was wir haben.«Wann wachst du endlich auf, alter Narr?Benommen schüttelte ich den Kopf, mas-

sierte mit den Fingerspitzen die Schläfenund fuhr mir mit beiden Händen durchsHaar. Tief atmete ich ein, hielt die Luft anund versuchte, mich zu konzentrieren. In

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meinem Schädel summte es wie in einemHornissennest.

Selbst ein potentiell Unsterblicher istnicht dagegen gefeit, sich zu verausgaben,meldete sich der Logiksektor erneut, weitversöhnlicher als zuvor. Wem nutzt du, wenndu deinen desolaten Zustand auf die Spitzetreibst?

Saturn und seine Monde sahen aus wieimmer. Keine Anzeichen von schwerem Be-schuß.

»Wie viele Igelschiffe stehen im Solsy-stem?«

»Innerhalb des Ortungsbereichs keine. Essei denn, die Invasoren haben sich in denSchutz der Sonnenkorona zurückgezogen.«

Ich hatte geträumt, schlicht und einfachgeträumt. Ein verheerender Alptraum. Nochdazu derart intensiv, daß ich nach dem Er-wachen immer noch fest im Bann des Erleb-ten gestanden hatte.

»Wie spät …?«Der Servo blendete die Uhrzeit ein. Es

war kurz nach Mitternacht terranischer Stan-dardzeit, ich hatte gerade eine HandvollSchlaf erwischt. Wieder nur eine Stunde imAntigravbett. Der Extrasinn hatte recht: AufDauer trieb ich Raubbau mit mir selbst undbaute ein Defizit auf, das selbst der Aktiva-torchip nicht mehr ausgleichen konnte.

Die Vibrationsdusche rüttelte mich end-gültig wach. Danach wählte ich belebendeWasserstrahlen, abwechselnd heiß und kalt,und ich verzichtete auf die automatischeTrocknung, sondern frottierte mich mit ei-nem Handtuch ab. Die Wirkung auf meinenKörper war belebender als alles, was dieTechnik bieten konnte.

Das Wasser schwemmte die Schatten desAlptraums endgültig fort.

Hoffentlich nicht in die Wiederaufberei-tung.

Welcher Galaktiker hat in diesen Wochenkeine Alpträume? gab ich lautlos zurück. Ichbefinde mich bestimmt in guter Gesellschaft.

2.

In der Zentrale der RICO war Ruhe einge-kehrt. Das Schiff hielt einen weiten Orbitum Saturn. Außerdem war das GILGAME-SCH-Modul nicht abgekoppelt, sondern floginnerhalb des Verbunds.

Nach der Vernichtung Goeddas und derRückkehr aus dem Brutkosmos hatte MylesKantor nur noch Kallia Nedrun sehen wol-len. Er hätte sich eines Transmitters bedie-nen können, um zu Kallia auf Mimas zu ge-langen, doch da war außerdem die Notwen-digkeit gewesen, den auf tragische Weiseums Leben gekommenen Vandemar-Zwil-lingen die letzte Ehre zu erweisen. Und Nad-jas und Milas sterbliche Hüllen waren ebenan Bord der GILGAMESCH gebracht wor-den.

Einige Besatzungsmitglieder wollten Hal-tung annehmen, als Atlan die Zentrale be-trat, aber der Unsterbliche winkte nur ab.

»Besondere Vorkommnisse?«Nichts Außergewöhnliches zweifellos,

dessen war er sich klar, sonst hätte Gerineihn wecken lassen.

»Auf allen Frequenzen nur ein Thema«,antwortete seine Stellvertreterin, »als könn-ten die Galaktiker gar nicht oft genug hören,daß Goedda vernichtet wurde.«

»Demzufolge stapeln sich die Dankadres-sen?«

Gerine musterte den Arkoniden schrägvon der Seite. Ungefähr so, wie sie auch einmehrköpfiges Kalb betrachtet hätte: mit ei-ner Mischung aus Erstaunen und Unglauben.

»Jeder hat mit sich selbst zu tun«, wichsie aus. »Ohnehin müssen die meisten erstbegreifen, daß die Bedrohung endgültig vor-über ist.«

»Wie viele?« beharrte Atlan.Gerines Kopfschütteln wirkte bitter.»Also hat sich nicht eines der galakti-

schen Völker bisher gemeldet?« Atlanszuckende Mundwinkel straften die Gleich-gültigkeit, mit der er diese Feststellung traf,Lügen. Die Sturheit vieler Galaktiker tat ihmweh. Wenn es darum ging, Terraner zumBuhmann zu stempeln, waren Arkonidenund Aras, Springer, Blues und Antis sich

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schnell einig. Uralte Ressentiments wurdenda wieder aufgewärmt, Vorurteile aus einerZeit als die Neuen auf dem galaktischen Par-kett mißtrauisch als unliebsame Konkurren-ten beäugt worden waren. Wunden, dielängst verheilt geglaubt waren, brachen wie-der auf.

»Die Haluter äußern die Hoffnung, dasGalaktikum möge nach der Zeit der schwe-ren Prüfung endgültig zur Einheit zusam-menwachsen«, erklärte Gerine.

Ausgerechnet die Riesen von Halut zeig-ten Gefühle. Aber wo blieben alle anderen?Mit einem Dank von Arkon hatte Atlan oh-nehin nicht gerechnet. Eher würden Impera-tor Bostich und seine Hintermänner sich dieZunge abbeißen, als ausgerechnet ihm zu ei-nem Erfolg gratulieren.

Doch Arkon war nicht die einzige Machtin der Milchstraße. Was war mit Cheborpar-nern und Unithern und Antis? Alle hattenunter der Invasion der Tolkander gelitten,hatten Schiffe und Besatzungen, teilweiseauch bedeutende Welten verloren.

Homer G. Adams erschien als Holo-gramm in der Zentrale der RICO; die einge-blendete Kennung verriet, daß er sich vonBord seines Moduls ROSTOCK meldete.Seine blaßgrauen Augen taxierten den Ge-fährten langer Jahrhunderte.

»Warte nicht auf Wunder, Atlan«, sagte erleise und sehr bedacht. »Undank ist der WeltLohn.«

»Ich weiß. Das kenne ich noch von derErde.«

Der Schatten eines amüsierten Lächelnsumspielte Adams Mundwinkel. Aber erwirkte auch müde, ein alter Mann, dem sei-ne Erfolge nie zu Kopf gestiegen waren undder nie aufhören würde, seine Macht für an-dere einzusetzen.

»Du bist innerlich immer noch viel zuaufgewühlt, Atlan.«

»Quatsch …«»Es ist so«, beharrte Adams. »Weder

Dao-Lin noch Myles, noch du - keiner voneuch kann nach vierundzwanzig Stundenwieder zur Tagesordnung übergehen, als wä-

re nichts gewesen. Die Gefahr durch die Phi-losophen und Goedda war existentiell, psy-chisch aufarbeiten könnt ihr das nicht allein,indem jeder von euch die Einzelheiten ausseiner Sicht in die Syntroniken einspei-chert.«

»Du hättest Seelenklempner werden sol-len.«

Adams winkte ab.»Dao-Lin-H'ay läuft in ihrer Kabine auf

und ab und führt Selbstgespräche. Ich fürch-te, sie hat noch nicht genug, sie will voll-ständige Rache. Teks Schicksal macht ihrwieder zu schaffen, jetzt, nachdem die An-spannung von ihr abgefallen ist wie einezweite Haut.«

»Tek wird medizinisch bestens versorgt.«»Das weiß Dao-Lin«, seufzte Adams.

»Aber sie sehnt sich nach seiner Umarmung,nach dem Gefühl, endlich wieder mit ihm al-lein zu sein …«

Die rauhe Stimme eines Topsiders halltedurch die Zentrale. Die eintreffende Mel-dung war vom diensthabenden Funker spon-tan auf die Akustikfelder umgelegt worden.

Das ist Ansgur-Egmo, identifizierte derLogiksektor die Stimme.

Ansgur-Egmo war zur Zeit der starkeMann in der topsidischen Politik. Atlan hatteihn kennengelernt, als das unheilvolle Wir-ken der Philosophen bereits erkennbar ge-worden war.

»Ist wirklich alles vorbei?« fragte derTopsider. »Nicht nur in Tracham-Geich,sondern in allen Regionen unserer Heimat-welt normalisiert sich das Leben. Seit beina-he einem Tag hat keiner mehr freiwillig denTod gesucht, ist der schreckliche Alpdruckin unseren Schädeln verschwunden. Kreisesind bedeutungslos geworden; wir stehendem, was wir getan haben, verwirrt gegen-über. Trotzdem scheint es zu Ende zu sein.Weder Topsider noch Fremde im Orion-Del-ta-System verspüren den Drang zum Krit-zeln.«

Er hob die Klaue. »Die Terraner - und wiees aussieht, auch Atlan - haben ihre Schuldbeglichen.«

Am Ende einer Hoffnung 9

»Wie gnädig«, seufzte Gerine. »Der Kerlüberschlägt sich förmlich vor Euphorie.«

»Ansgur-Egmos Feststellungen werdenüber Relais im gesamten Orion-Arm ver-breitet«, kam die Meldung aus der Funkzen-trale. »Der Tenor der Mehrzahl anderer Sen-dungen läßt ebenfalls Erleichterung erken-nen.«

»Die Zeit heilt irgendwann auch die letz-ten Wunden, Atlan«, sinnierte Adams.»Eines Tages wird sogar das Kristallimperi-um akzeptieren, daß du an Bord des Kom-mandoschiffs der Chaeroder keinen Verratbegangen hast.«

»Ich habe also meine Schuld beglichen?«Kantig traten Atlans Zangenknochenunterder sonnengebräunten Haut hervor. Mit ei-ner heftigen Kopfbewegung schüttelte er dasschulterlange weiße Haar in den Nacken zu-rück. »Ich sehe keinen Grund, irgendeineSchuld bei irgendwem zu begleichen. Mehrhabe ich dazu nicht zu sagen.«

3.Bericht Atlan

Sekundenlang hatte ich die Augen ge-schlossen und mit den Fingerspitzen die Na-senwurzel massiert. Ich dachte daran, daßDao-Lin-H'ay, Myles Kantor und ich die Er-eignisse im Brutkosmos der Goedda zwarkörperlich unversehrt überstanden hatten,aber das war auch schon alles gewesen. Wirsind eben nur Menschen und keine Maschi-nen, wir haben Gefühle und können nichtnach allem sofort wieder zur Tagesordnungübergehen und so tun, als wäre nichts ge-schehen.

Seit dem Erscheinen der ersten IgelschiffeInder Milchstraße hatte der Tod überreicheErnte gehalten. Vermutlich würde sich niegenau feststellen lassen, wie viele intelligen-te Lebewesen als Bund der Tolkander eben-so wie bei der Geburt des Absolutums ihrLeben gelassen hatten. Hunderttausende an-dere waren bei den vielfältigen Versuchengestorben, die Igelschiffe anzugreifen, odersie hatten sich nach dem ersten Flimmerphä-

nomen selbst entleibt, um die vermeintlicheErfüllung zu finden.

Als ich die Augen wieder öffnete, warHomers Hologramm erloschen.

Laß ihn, mahnte der Extrasinn, als ichflüchtig daran dachte, den Transmitter zurROSTOCK zu benutzen. Adams sucht imMoment die Einsamkeit, um mit sich selbstund der Welt ins reine zu kommen. Andern-falls wäre er persönlich erschienen undnicht nur über Holo.

Ich kannte Homer Gershwin Adams alseinen von Krankheit und Entbehrungen infrühen Lebensjahren geprägten Menschen.Leben war ihm heilig - und zusehen zu müs-sen, wie ganze Planetenbevölkerungen star-ben, und nicht helfen zu können, das hatteihm schwer zugesetzt.

Auch der Kreis der Unsterblichen hatteeinen hohen Preis bezahlt:

Mila und Nadja Vandemar - tot. Gestor-ben im Kampf gegen Goedda, ihre Körperauf unerklärbare Weise kristallisiert, die inihre linken Schultern implantierten Aktiva-torchips verschwunden. Die Schwestern hat-ten sich in den letzten Sekunden ihres Le-bens umarmt, ihre Gesichter strahlten auchim Tod noch Zufriedenheit und einen tiefenFrieden aus. Wer ihre immer noch geöffne-ten Augen sah, glaubte ihren starren Blick inunendlich weite Fernen gerichtet.

Alaska Saedelaere -mit einiger Sicherheitebenfalls tot. Er konnte Goeddas Ende in ei-ner verheerenden Kettenreaktion von Explo-sionen nicht überstanden haben. CaljonoYai, die Mahnerin der Herreach, hatte vordem endgültigen Zerfall der Brutblase einmenschliches Wesen auf einer der Inseln imHyperraum gesehen, und ihre Beschreibungwar ziemlich eindeutig gewesen.

Es blieb die Frage, wie Alaska in die Nä-he Goeddas gelangt war. Seit Monaten hattees kein Lebenszeichen mehr von ihm gege-ben. Er war im Pilzdom auf Trokan ver-schwunden, zusammen mit Perry Rhodanund Reginald Bull. Als hätte das unheimli-che Bauwerk die drei gegen Kummerog aus-getauscht.

10 Hubert Haensel

Es gibt nicht den geringsten Beweis fürdeine Befürchtungen.

Der Extrasinn baute mit seiner Feststel-lung vor. Ich hatte keine Chance, meine Be-denken vor ihm geheimzuhalten.

Vielleicht wurde Alaska von Perry undBully getrennt.

Eine vage Hoffnung. Der berühmte Stroh-halm, an den Terraner sich in größter Ver-zweiflung zu klammern pflegten. Aber eben-sogut konnte es sein, daß die beiden zusam-men mit Alaska in den Hyperraum verschla-gen worden waren und daß sie sich ebenfallsauf einer der Inseln befunden hatten.

Die Herreach hätten sie gesehen, behaup-tete der Logiksektor.

Wir mußten weiter warten, Woche fürWoche, Monat um Monat, jahrelang. Weilich mich schlichtweg weigerte zu glauben,wir würden die Freunde nie Wiedersehen.

Nie, das war für Unsterbliche ein entsetz-liches Wort.

Ich ließ mir vom Servo ein Glas Vurguzzeinschenken. Die grüne Flüssigkeit zog kräf-tige Schlieren, als ich das langstielige Glasgegen das Licht hob.

Der Vurguzz erzeugte in meiner Kehle einwohliges Brennen.

»Auf dein Wohl, alter Arkonide«, glaubteich in Gedanken Bullys Lachen zu verneh-men. »Unkraut vergeht nicht, das solltest duwissen.«

»Nachschenken!« befahl ich der Automa-tik.

»Auf einem Bein steht man nicht.« Daswar Bullys Lieblingsspruch gewesen, wennwir gemeinsam seine Bar im Bungalow amGoshun-See geplündert hatten. Nein, selbstein Reginald Bull schaffte es nicht, mich un-ter den Tisch zu trinken. Abgesehen davon,daß unsere Zellaktivatoren den Alkohol oh-nehin neutralisierten.

Das zweite Glas. Der Vurguzz schmecktenach frischen Kiwis und dem Aroma vonAnis, ein Kultgetränk in terranischen Bars.Und nicht nur da. Ich hatte Blues gesehen,deren Körperflaum nach übermäßigem Vur-guzz-Genuß nicht mehr blau gewesen war,

sondern schon einen deutlichen Grünstichaufgewiesen, hatte.

Banalitäten …Was war los mit mir? Ich hielt mich mit

Kleinigkeiten auf, anstatt von neuem die In-itiative zu ergreifen. Noch operierten an diezweihunderttausend Igelschiffe im Tucani-Sektor, und die Reaktion der Invasoren warschwer vorhersehbar. Noch herrschte Ruhe,aber wir mußten mit dem Schlimmsten rech-nen, mit einem Amoklauf der Tolkanderoder anderen Verzweiflungstaten. Wie einHeuschreckenschwarm würden Gazkar,Neezer, Alazar und Eloundar über dieMilchstraße hereinbrechen und eine weitereSpur der Verwüstung zurücklassen.

Aber ebenso war es möglich, daß Goed-das Ende die Invasoren zum Rückzug be-wegte. Das erschien mir sogar höchst wahr-scheinlich.

Du sprichst immer noch von Tolkandern,berichtigte der Logiksektor. Vergiß nicht,daß Goedda in der Galaxis Suuvar gezüchtetwurde und die ersten Generationen ihrerBrut in Suuvar aufwuchsen.

Also sollten wir sie richtigerweise Suuva-rer nennen?

Das ist korrekt.Ich denke nicht daran, erwiderte ich laut-

los. Den Toten helfen wir damit nicht, undden Lebenden wären wir Erklärungen schul-dig, die neue Ängste schüren.

Shabazza hat Goedda auf die Milchstra-ße angesetzt, er wird das auch mit dem Cha-osmacher von Norrowwon und den Mon-stern von Louipaz tun. Es ist besser, auf die-se Bedrohungen vorbereitet zu …

»Später!« herrschte ich den Extrasinn an.»Nicht jetzt, verdammt!«

Einige Köpfe ruckten herum, erstaunteAugen fixierten mich.

»Eine kleine Meinungsverschiedenheit,mehr nicht«, erklärte ich. »Das kommt inden besten Familien vor.«

»Ich kann nachvollziehen, was dich be-wegt, Atlan«, sagte Sevia. »Wenn du jeman-den zum Reden brauchst …«

»… und für mehr«, entnahm ich dem Vi-

Am Ende einer Hoffnung 11

brieren ihrer Stimme.Ich schüttelte den Kopf. Nachvollziehen,

was mich wirklich bewegte, das konnte sienicht. Ich fühlte mich wieder einmal einsam- so verdammt allein wie in den Jahrtausen-den auf Larsaf III.

»Die Bedrohung durch die Tolkanderwird bald der Vergangenheit angehören.«

Demonstrativ öffnete ich die Finger derrechten Hand; das Vurguzz-Glas fiel zu Bo-den. Bevor es allerdings zerschellen konnte,reagierte der Servo und fing das Glas mit ei-nem schwachen Zugfeld ab.

Der Extrasinn quittierte das Geschehenmit einem spöttischen Lachen.

Es ist schwer geworden, den Frust abzu-reagieren, Beuteterraner, kommentierte er.Inmitten hochtechnisierter Umgebung ist derMensch nur noch ein Relikt, das sich unter-zuordnen hat.

*

Höflich, aber dennoch bestimmt lehnteAnsgur-Egmo mein Angebot ab, über einHilfsprogramm für Topsid zu sprechen.

»Terraner sollten sich besser nicht in un-sere Belange einmischen«, fauchte er. »Daskönnte als Protektion ausgelegt werden, undich denke nicht daran, Topsid innerhalb desForums Raglund zu isolieren.«

Um über Hilfsaktionen der LFT zu ent-scheiden, wäre ich ohnehin der falscheMann gewesen; bestenfalls konnte ich einesoder zwei Schiffe von Camelot zur Verfü-gung stellen. Was die politische Lage anbe-traf: Im Solsystem war ich ebenso nur ge-duldet wie die GILGAMESCH, ein Statusquo, nicht mehr und nicht weniger. Die still-schweigende Sanktion der Führungsspitzeder LFT gestattete mir Handlungsfreiheit,doch Verträge, die die Beziehung zwischenCamelot und Terra auf eine breite Basis ge-stellt hätten, existierten nicht. Noch im ver-gangenen Jahr war Terra uns Unsterblichenmit größter Zurückhaltung begegnet.

Nein, das wohl kaum. Eher hatten wir unsnach der Rückkehr der BASIS aus Hirdo-

baan zu rar gemacht. Im Gegensatz zu Syn-troniken vergaßen Menschen sehr schnellund bauten ebenso schnell Mißtrauen auf.Wir galten wieder als ein elitärer Kreis, zudem Normalsterbliche keinen Zutritt hatten.Ich will nicht sagen, daß wir im Laufe weni-ger Jahrzehnte Fossilien geworden waren,doch solche Gedanken spukten zweifellos inmanchem Kopf.

Der Topsider verzog das Echsenmaul zueiner unwilligen Grimasse.

»Ich kann dir nichts vorwerfen, Atlan«,stieß er fauchend hervor. »Aber es gab undgibt genügend Stimmen, die behaupten duhättest dein Volk verraten. - Laß mich ausre-den!« schnaubte er, als ich zu einer Erwide-rung ansetzte. »Diese Personen sind auchder Ansicht, daß Terra an der Invasion derTolkander schuld ist; Menschen kümmernsich um Dinge, die sie nichts angehen, siewären besser für alle Zeit in ihrem Sonnen-system geblieben.«

Das war der alte Neid, geboren in einerZeit der Kleinstaaterei. Arkon schürte solcheRedensarten, zweifellos auch Springer undAntis.

»Ist das alles, was Imperator Bostich undseine Hintermänner zu sagen haben?« fragteich. »Denkt keiner daran, daß die Liga Frei-er Terraner am meisten unter der Invasiongelitten hat? Hat keiner ein Wort des Dan-kes?«

»Dank? Wofür? Goedda wurde zu früheliminiert, Atlan, hast du das noch nicht ver-standen? Es gibt Kräfte, die hätten inzwi-schen gerne noch den einen oder anderenPlaneten geopfert, wenn gleichzeitig Terraentscheidend geschwächt worden wäre. DieTodessehnsucht nach dem ersten Flimmernwar unterschiedlich stark ausgeprägt; manhat ein entvölkertes Terra herbeigesehnt.«

Die Betonung, die Ansgur-Egmo auf dasWort »man« legte, war unverkennbar. Trotz-dem war mir klar, daß ich von ihm kaummehr erfahren würde, er hatte ohnehin schonmehr gesagt, als es seinem Regierungsamtzuträglich war.

Überrascht, großer Held? spottete der

12 Hubert Haensel

Extrasinn.Nein, ich war nicht überrascht. Eher unan-

genehm berührt. Meine Hoffnung, daß dasGalaktikum sich angesichts der Bedrohungdurch die Tolkander und die Philosophenwieder enger zusammenschließen würde,hatte sich nicht erfüllt.

Du bist ein Narr. Du kennst die Mentali-tät intelligenter Wesen seit Jahrtausendenund gibst dich dennoch immer wieder trüge-rischen Hoffnungen hin.

Am Ende werde ich recht behalten, gabich in Gedanken zurück.

Mit Ansgur-Egmo konnte ich nicht mehrdarüber reden, der Topsider hatte die Ver-bindung von sich aus unterbrochen.

»… man hat ein entvölkertes Terra her-beigesehnt«, hallte es in mir nach.

Zum Glück war es nicht soweit gekom-men. Die Visionen allein waren entsetzlichgenug gewesen. Ich war glücklich und er-leichtert darüber, daß offensichtlich alle Ga-laktiker, die im Banne von Philosophen ge-standen und das erste Flimmern zu spürenbekommen hatten, sich von diesem Alp-traum erholten und den Schrecken ohne phy-sische oder psychische Schäden überwan-den. Wenige Ausnahmen bestätigten die Re-gel. Von der Erde und einigen anderen Wel-ten lagen inzwischen Meldungen vor, daßein, zelne Individuen immer noch den Todherbeisehnten, um die Erfüllung zu finden.Etwa ein Promille der Bevölkerung der be-troffenen Planeten kämpfte gegen die Nach-wirkungen an, aber Mediker arbeiteten be-reits unter Hochdruck daran, und es warwohl nur noch eine Frage der Zeit, bis auchder letzte Betroffene als geheilt gelten konn-te.

»Das ungerechte ist, daß die am lautestenschreien, die den Tod nicht einmal aus derFerne gesehen haben«, sagte eine leise Stim-me neben mir.

Ambras legte mir seine Hand auf den Un-terarm. Er lächelte zaghaft. Wer ihn nichtkannte, konnte dieses Lächeln leicht für einZeichen von Gleichgültigkeit halten, zumalAmbras stets leicht vornübergebeugt ging

und seine Albinoaugen schläfrig wirkten.Trotzdem war er ein anerkannter Fachmannauf dem Gebiet der Hyperphysik und mitseinen 110 Jahren der WissenschaftlicheLeiter an Bord der RICO. Er war Pazifistaus Überzeugung. Arkon hatte ihn einst insExil geschickt, als er sich weigerte, an derEntwicklung neuer und brisanter Waffensy-steme mitzuarbeiten.

»Unsere Messungen bestätigen die Aussa-gen Caljono Yais und der anderen Herreachin jeder Beziehung«, sagte Ambras. Er schi-en wirklich Mühe zu haben, die Augen of-fenzuhalten. »Inzwischen haben wir nichtnur die Erde, sondern weitere zwanzig dervon Philosophen okkupierten Welten mitdem Hyperraum-Resonator untersucht. DasErgebnis ist eindeutig: Abgesehen von einerverwehenden Reststrahlung, die noch in ei-nigen Fällen nachweisbar ist, gibt es an denbetreffenden Koordinaten keine hyperdi-mensionalen Verzerrungen mehr. Alle para-normalen Aktivitäten sind erloschen.«

»Dann bleibt uns noch eine Aufgabe zuerfüllen«, sagte ich schwer, »der letzteDienst, den man guten Freunden erweisenkann.«

Wie viele Gefährten und gute Freundehatte ich in mehr als zwölftausend Jahrenverloren? Frauen waren dabei gewesen, dieich geliebt hatte … In Augenblicken wiediesen wurde ich schmerzlich daran erinnert,daß ich anders war als andere Menschen,daß die relative Unsterblichkeit nicht nur einGeschenk, sondern vor allem eine schwereLast war.

Eine Chance für das Galaktikum.Ein winziger, in die Schulter implantierter

Unsterblichkeitschip machte eine HandvollMenschen zu etwas Besonderem. Michauch. Dennoch waren meine Gefühle undBedürfnisse nicht anders als die andererMenschen, manchmal vielleicht intensiver,weil im Hintergrund immer das Wissen lau-erte, daß jede Beziehung nur von beschränk-ter Dauer sein konnte. Keine Frau sehnt sichdanach, von einem Monstrum geliebt zuwerden, das nicht einen Tag altert, während

Am Ende einer Hoffnung 13

sie selbst Falten bekommt und grau wird.Auch die moderne Medizin ändert daranherzlich wenig, sie kann den Alterungspro-zeß geraume Zeit anhalten, aber nicht ver-hindern. Irgendwann wird eben jeder vonder Zeit eingeholt.

»Wir bereiten für Mila und Nadja Vande-mar ein Raumbegräbnis vor?« fragte Gerine.»Mit höchsten militärischen Ehren?«

Ich schüttelte den Kopf, woraufhin nichtnur Gerine und Ambras mich verblüfft an-schauten.

»Du planst eine Erdbestattung, Atlan?Auf Terra oder gar auf Trokan. Natürlichunter Teilnahme der LFT-Führung und derHerreach. Das wäre ein angemessener Rah-men für die Zwillingsschwestern.«

»Ich glaube nicht, daß Prunk und Anspra-chen im Sinne der Vandemars gewesen wä-ren«, wandte Ämbras ein. Der Hyperphysi-ker fuhr sich mit den Fingerspitzen über dieAugenbrauen, als wolleer auf die Weise denEindruck von Müdigkeit vertreiben. »Ichdenke, Atlan hat vor, die beiden nach Sairazufliegen, ihrer Heimatwelt.«

Saira -das war der Name des Geburtspla-neten von Mila und Nadja. Aber auch derName ihrer Mutter. Und SAIRA hatten sieihr GILGAMESCH-Modul genannt, das sieso gut wie nie genutzt hatten; jetzt stand esgewissermaßen leer. Was also lag näher, alsdie kristallisierten Körper der beiden in ihreHeimat im galaktischen Zentrumsbereichzubringen? Ich war überzeugt davon, daßMila und Nadja genau diesen Wunsch geäu-ßert hätten, wären sie dazu noch in der Lagegewesen.

»Ich empfinde eine tiefe Achtung vor Mi-la und Nadja«, hatte Homer G. Adams ge-stern erklärt, als Dao-Lin und ich mit ihmüber das Schicksal, der Vandemars gespro-chen hatten. »Natürlich werden wir sie aufSaira beisetzen, so, wie sie selbst es gewollthätten.«

*

Zwei Stunden später kehrte Myles Kantor

von seinem Krankenbesuch zurück. KalliaNedrun ging es unverändert, und gerade dasenttäuschte Myles. Auch wenn er es niemalseingestanden hätte, ich merkte ihm an, daßer eine weitere Veränderung hin zum Besse-ren erwartet hatte. Aus unerfindlichen Grün-den schien er überzeugt gewesen zu sein,daß Goeddas Untergang seiner Kallia helfenwürde. Ich fragte mich zwar, woher Myleseine solche Zuversicht nahm, aber mir warbewußt, daß er nie darüber geredet hätte. Erwar einer der Wissenschaftler, die Lösungenintuitiv erfühlten, lange bevor sie den rech-nerischen Beweis vorliegen hatten, vonpraktischen Versuchen ganz zu schweigen.

Die Verzerrungen des fünfdimensionalenRaumes hatten uns auf Camelot auf -dieVorgänge auf Trokan aufmerksam werdenlassen. Ähnliche Anomalien waren im Zu-sammenhang mit den Tolkandern nachweis-bar gewesen. Und zweifellos hatte die Zer-störung des Brutraumes der Goedda gewalti-ge Ausbrüche parapsychischer Natur freige-setzt.

Myles verknüpfte auf die ihm eigene Wei-se zwei Geschehnisse, die auf den erstenBlick herzlich wenig miteinander zu tun hat-ten.

Jahrelang hatte Kallia Nedrun auf Mimasim tiefsten Koma gelegen. Nur einmal hattesie sich für wenige Sekunden in ihrem Anti-gravtank aufgerichtet, war gleich darauf aberentkräftet wieder zurückgesunken. Das warexakt zu dem Zeitpunkt gewesen, als PerryRhodan, Reginald Bull und Alaska Saede-laere im Pilzdom auf Trokan verschwundenwaren.

Daß Verbindungen zwischen dem ehema-ligen Archivplaneten der Ayindi und denTolkandern bestehen mußten, war uns erstklar, seit wir wußten, daß Alaska Saedelaeresich im Brutkosmos der Goedda befundenhatte.

War Myles deshalb auf den Gedankenverfallen, die fünfdimensionalen Verzerrun-gen könnten Kallia beeinflussen?

Ich bekam Myles Kantor nur als Holo-gramm zu Gesicht, führte lediglich ein kurz-

14 Hubert Haensel

es Gespräch mit ihm, weil er sich in den La-bors der ENZA verschanzte und intensiv zuarbeiten begann.

»Kennst du das Gefühl, dich im Kreis zudrehen?« fragte er bitter. »So geht es mir.Selbst auf Trokan wurde ich nicht fündig.«

Er war auf Trokan gewesen, davon erfuhrich erst jetzt. Und er hatte sich mit CaljonoYai und anderen Herreach getroffen, diesich im Einsatz auf der Erde wacker ge-schlagen hatten. Für die Herreach war vielesfremd und unverständlich gewesen, sie wa-ren froh, wieder auf ihrer Heimatwelt zusein. Zudem hatten sie schmerzliche Verlu-ste erlitten. Jeder Tote war ein Toter zuviel.

Was zählte dagegen der Totalverlust derzehntausend Kampfroboter? Kein einzigerhatte den Rückweg geschafft, samt und son-ders waren sie mit Goedda explodiert. AberMaterialverluste dieser Art ließen sich miteinigem Aufwand ersetzen, das Leben intel-ligenter Wesen nicht.

Vom Hauptsyntron der RICO ließ ich alleAktivatorträger in den Sitzungssaal des GIL-GAMESCH-Zentralmoduls MERLIN bitten.Ich für meinen Teil verzichtete darauf, denTransmitter zu wählen, sondern benutzte dennormalen Weg über Laufbänder und Anti-gravschächte.

Homer G. Adams erwartete mich bereits.»Ich wußte, daß wir nicht lange im Son-

nensystem bleiben würden«, empfing ermich. »Als ich hörte, daß Myles wieder anBord ist, habe ich auf deinen Anruf gewar-tet. Wir fliegen!-nach Saira, und dann …?«

Was wollte er hören? 47 Tucani?Homer hatte in einem der vierzehn Kon-

tursessel Platz genommen, die rings um denzwanzig Meter durchmessenden rundenTisch angeordnet waren. Zurückgelehnt, dieHände vor dem Bauch verschränkt, musterteer mich auffordernd.

Vierzehn Sessel - für jeden Aktivatorträ-ger einer, für Gucky und Icho Tolot Spezial-anfertigungen. Zu jedem Sitz gehörte einTerminal mit Kontakt zur Kommandozentra-le, zu Ortung, Funk und natürlich zumHaupt-Syntronverbund Merlin. Der techni-

sche Aufwand konnte allerdings nicht dar-über hinwegtäuschen, daß wir nur noch einjämmerliches Häufchen von vier Aktivator-trägern waren.

Dao-Lin-H'ay erschien unmittelbar nachmir. Ihr Lächeln und die Geschmeidigkeitihrer Bewegungen kaschierten ihre Besorg-nis nur unvollkommen. Ronald Tekener, ihrLebenspartner, lag seit seinem Einsatz imRahmen des Unternehmens Simple Mindsim Koma. Und es sah nicht danach aus, alswürde Tek für den Rest seines Lebens mehrsein als ein Lallender Idiot.

»Wir schaffen es, Tek wieder auf die Bei-ne zu kriegen«, sagte Homer. »Verlaß dichdrauf.«

Dao-Lin-H'ay glitt geschmeidig in ihrenKontursessel. Bedächtig strich sie das graueFell an ihren Unterarmen glatt, die von dereinfachen Bordkombi, die sie trug, nicht be-deckt wurden. Ihr Blick huschte über dieverwaisten Sessel und blieb auf Ronald Te-keners Platz hängen. Ein klagender Lautdrang über ihre Lippen.

Im nächsten Moment ging ein Ruck durchden Körper der Kartanin. Das Katzenhaftean ihr wirkte faszinierend; ich verstand nurzu gut, weshalb Tek sich ausgerechnet Dao-Lin als Lebensgefährtin ausgewählt hatte.Sie paßten gut zusammen, der Smiler unddie Katze.

»Wir haben mehr Opfer bringen müssenals jemals zuvor in der Geschichte«, sagteich leise. »Aber nach dieser Zeit kommt eineandere …«

»Die Gewißheit, daß die Milchstraße undwahrscheinlich auch andere Galaxien derLokalen Gruppe vor einem schrecklichenEnde bewahrt wurden, sollte uns Trostsein«, bemerkte Homer.

»Falls Tek nicht geheilt werden kann, er-laubt mir, daß ich selbst seinen Aktiva-torchip entferne.«

Hatte ich richtig gehört? Ich versteiftemich unwillkürlich. Auch Homer ruckte her-um. In seinem Gesicht spiegelte sich einegrenzenlose Überraschung, aber auch Ab-lehnung und Zorn.

Am Ende einer Hoffnung 15

»Du weißt hoffentlich, was du eben ge-sagt hast«, stieß er ungläubig hervor. »Daskann nicht dein Ernst sein!«

Kein Muskel zuckte in Dao-Lins Katzen-gesicht. Aus weit aufgerissenen Augen starr-te sie blicklos ins Leere.

»Ich liebe Ronald Tekener«, brachte sietonlos hervor. »Aber das Leben, das ihnvielleicht erwartet, ist ganz gewiß nicht seinLeben. Jeder, der ihn gekannt hat, muß mirzustimmen. Tek, seines Verstandes nichtmehr mächtig, das wäre weitaus schlimmerfür ihn als der Tod …«

»Er kannte das Risiko«, widersprach ich.»Und er hat sich aus freien Stücken ent-schieden. Tek liebt die Gefahr.«

»… er hat sich nie gescheut, dem Tod insGesicht zu schauen - richtig.« Dao-Lins Fin-ger zuckten über die Tischplatte. »Ihm warder Tod weit mehr Freund als ein lebenslan-ges Siechtum. Willst du wirklich, daß er denTag, an dem er von seinem SERUN beinahezu Tode gedimmt wurde, noch in Jahrtau-senden verflucht und wünscht, er wäre vonTen-No-Thau nie aus dem Schutzanzug be-freit worden?«

»Ich verstehe deinen Schmerz«, erwiderteich. »Aber Tek ist ein Spieler, der jede nochso geringe Chance zu nutzen versteht. Willstausgerechnet du ihn dieser Chance berau-ben?«

Bravo! kommentierte der Extrasinn. Daswar äußerst einfühlsam. Du bist und bleibsteben ein Barbar.

Dao-Lin-H'ay wirkte, als sei sie zur Salz-säule erstarrt. Aufrecht saß sie da, mit ge-schlossenen Augen, die Arme abgespreizt.Nur das leichte Heben und Senken ihresBrustkorbs verriet, daß noch Leben in ihrwar. Ein feuchter Schimmer zog sich vonden Augenwinkeln über ihr Gesichtsfell hin.

Erst als Myles Kantor Minuten später alsletzter den Sitzungssaal betrat, schreckte dieKartanin aus ihrer Starre auf. Ich bemerkte,daß sie sich verstohlen die Nässe aus demGesicht wischte.

Vielleicht war es falsch gewesen, ausge-rechnet in dem Saal neben der Zentrale der

MERLIN zusammenzutreffen. Ein Gefühlvon Verlorenheit machte sich breit, denn je-der hatte gewohnheitsmäßig seinen Sesselbelegt, und damit saßen wir weit auseinan-der. Homer musterte mich von der anderenSeite des Tisches. Normalerweise hättenPerry und Reginald zwischen uns gesessen,und Tolots massige Gestalt hatte dem Raumimmer viel von seiner Größe genommen …

»Ich stelle an mir selbst eine wachsendeUnruhe fest«, begann ich übergangslos.

Dao-Lin-H'ay nickte zustimmend. »Ichmöchte ebenfalls ein Dutzend Dinge gleich-zeitig tun. Jede Stunde, die wir länger imSolsystem stehen, erscheint mir wie sinnlosvergeudete Zeit. Niemand braucht uns hier,denn Hunderte LFT-Raumer sind aus allenTeilen der Milchstraße zurückgekehrt; dieMannschaften brennen darauf, mit anzu-packen und die Spuren der Philosophen zutilgen.«

Trotzdem würden die Wunden der Invasi-on nur langsam heilen. Zu viele Galaktikerhatten durch die Tolkander sterben müssen,auf den Welten des Absolutums war jedesintelligente Leben ausgelöscht. Möglich, daßdie eine oder andere Welt nie ihre einstigeBedeutung zurückerlangen würde.

Der Gedanke, eine Art galaktisches Erbeaus einigen Planeten zu machen, auf denendas Absolutum stattfand, ist eine nähere Be-trachtung wert, meinte der Logiksektor.Vielleicht gibt es sogar schon in wenigenMonaten solche Mahnmale für den Friedenim Galaktikum. Die Frage ist nur …

Wer verzichtet freiwillig auf Welten seinerEinflußsphäre? gab ich in Gedanken zurück.

Sekundenlang hatte ich mich ablenkenlassen. Homer G. Adams hatte inzwischendie Rede auf die Nonggo gebracht, jenefremden Raumfahrer, die schon vor Jahrtau-senden versucht hatten, Goedda zur Streckezu bringen. Mit Waffen, gegen die sichTransformgeschütze und ein Roboterheerausnahmen wie Faustkeile gegen einenThermostrahler. Dennoch hatten sie Goeddanicht vernichten, sondern nur in Agonie ver-setzen können.

16 Hubert Haensel

Dieses Wissen war während GoeddasEvolutionssprung auf mich übergeströmt.Außerhalb des Brutkosmos war das jähe An-wachsen Goeddas mit dem ersten Flimmer-phänomen identisch gewesen.

Wie oft mochte Homer sich meinen Re-port angehört haben?

Was die Nonggo nicht geschafft hatten,war Myles, Dao-Lin und mir gemeinsam ge-lungen. Im nachhinein immer noch unbe-greiflich, aber vor allem mit Unterstützungder Herreach, und ihnen konnten wir garnicht dankbar genug sein. Ob Caljono Yaiund alle anderen sich darüber klar waren,was die große Völkerfamilie der Milchstraßeihnen verdankte?

Dennoch wollte Siegesstimmung nichtaufkommen. Die schreckliche Vorstellung,was geschehen wäre, hätten wir Goedda undihre Philosophen mitsamt dem Brutkosmosnicht zerstören können, steckte uns noch inden Knochen. Der Erfolg war denkbarknapp gewesen.

»Mittlerweile liegen von fünfundvierzigder von den Philosophen betroffenen zwei-undfünfzig Welten Meldungen vor, daß dieLage sich normalisiert hat«, sagte Adams.»Diese Welten können wieder angeflogenwerden. Von der LFT werden Raumschiffezu den eigenen betroffenen Planeten umge-leitet. Hilfeleistung steht hoch im Kurs.«

Er gab einen knappen Befehl an den Ser-vo seines Terminals, Sekundenbruchteilespäter begann die Luft über dem Konferenz-tisch zu flimmern, ein Hologramm stabili-sierte sich.

Paola Daschmagan entstand als knappeinen Meter großes energetisches Abbild.Die Erste Terranerin drehte sich langsam umsich selbst und bedachte jeden von uns miteinem durchdringenden Blick ihrer hellenblauen Augen. Ihre kraftvollresolute Persön-lichkeit war auch in der Übertragung deut-lich zu spüren.

»Ich bedauere die Entscheidung, Mila undNadja Vandemar nicht auf Terra zu beerdi-gen«, begann sie übergangslos.

»Ein Staatsbegräbnis wäre ebensowenig

im Sinne der Zwillinge wie eine Beisetzungim Raum«, erwiderte ich.

Die Erste Terranerin nickte knapp.»Atlan, ich wollte euch allen nochmals

danken, Ich brauche wohl nicht zu betonen,daß alle Ressentiments gegenüber Camelotselbstverständlich vergessen sind. DieMenschheit braucht euch Unsterb …« Sieunterbrach sich, massierte sich knapp dieNasenwurzel. »Daß ihr den Tod ebensofürchten müßt wie jeder andere, hat sich be-wiesen. Es tut mir leid um die Zwillinge undum Alaska Saedelaere. Und was Perry Rho-dan und Reginald Bull anbelangt, selbstver-ständlich haben eure Wissenschaftler jeder-zeit Zugang nach Trokan, das heißt, soferndie Herreach zustimmen. Trokan ist ihreWelt, wir haben auf den Planeten keinenAnspruch - sich daran zu gewöhnen fälltselbst mir noch etwas schwer.«

»Freunde in der Nachbarschaft zu habenist ein angenehmer Gedanke«, sagte Dao-Lin-H'ay »Jeder wird vom anderen lernen.«

»So ist es«, seufzte Paola Daschmagan.»So, wie ich in den wenigen Tagen an Bordder GILGAMESCH gelernt habe, daß Vor-urteile keine Existenzberechtigung haben.«

Sie war nicht freiwillig auf die GILGA-MESCH gekommen, Cistolo Khan, derLFT-Kommissar, ebenfalls nicht. Auch nichtGia de Moleon, die Leiterin des Liga-Dienstes, Alexander Erengast, Coer Puin-guard, Iljana Speccie und gut ein weiteresDutzend Männer und Frauen aus der Füh-rungsetage der Liga Freier Terraner. HomerG. Adams hatte dabei seine Finger im Spielgehabt, hatte den Posbis der BOX-7443 dieInformationen geben können, die sie benö-tigt hatten, um die terranische Führungsspit-ze aus dem Einflußbereich des Philosophenvom Kilimandscharo zu befreien. Daß dieskeineswegs mit Billigung der betroffenenPersonen geschehen war, lag auf der Hand.Die Posbis hatten Cistolo Khan mit einemFesselfeld abtransportiert und waren mit der-Ersten Terranerin und den übrigen Perso-nen nicht viel anders verfahren.

»Wie sieht es im Gebiet von 47 Tucani

Am Ende einer Hoffnung 17

aus?« wollte ich wissen.Die Erste Terranerin vollführte eine Ge-

ste, die ihre Unschlüssigkeit ausdrückte.»Die Igelschiffe zeigen bisher keine Ten-

denz zum Abzug. Die sechstausend Einhei-ten der LFT bleiben deshalb auf Position;die Kommandanten haben Befehl zum be-dingungslosen Waffeneinsatz, sollten dieTolkander wider Erwarten Kurs auf dieMilchstraße nehmen. Andernfalls lassen wirsie unbehelligt abziehen.«

»… was angesichts ihrer Schlagkraftdurchaus vernünftig ist«, bemerkte Adams.»Ich hoffe nur, daß alle Galaktiker so den-ken und nicht einige ihren Privatkrieg vomZaun brechen. Falsch verstandene Rachege-fühle würden nur weiteren Zigtausenden dasLeben kosten.«

»So ist es. Leider«, bestätigte die ErsteTerranerin.

Sie beendete das Gespräch mit einemHinweis auf anstehende dringende Termine.Es galt, das Leben nicht nur im Solsystemwieder in geordnete Bahnen zu lenken.

4.Bericht Atlan

Der Flug in den Yolschor-Sektor im Zen-trumsbereich der Milchstraße verlief ohneZwischenfälle. Nur Minuten nach demRücksturz der GILGAMESCH in den Ein-steinraum fingen die Hyperfunkantenneneinen Rundspruch auf, der von Olymp ausüber Relais in alle Bereiche der Milchstraßeausgestrahlt wurde.

Das Hologramm zeigte ein kleines Mäd-chen, das vergeblich versuchte, mit Hilfe ei-nes Simulationsprogramms eine hagere Ge-stalt entstehen zu lassen. Das Geschöpf er-schien auf den ersten Blick zwar mensch-lich, doch bei näherem Hinsehen entpupptensich Arme und Beine als dürre, schlaksigeGliedmaßen mit seltsam deformierten Ge-lenken. Mit einiger Phantasie war die Ge-stalt durchaus auch als insektoid zu bezeich-nen.

»Ist er das?« fragte eine Stimme aus dem

Hintergrund. Der Sprecher war nicht zu se-hen. »Ist das der Philosoph?«

»Das ist Jack«, antwortete das Mädchenleise und wischte sich fahrig eine Locke ausder Stirn. »Jack war so lieb, er war wie einBruder.«

»Erinnerst du dich genau?«Abermals veränderte sich nun die Gestalt

in der Darstellung. Arme und Beine verlorendie Gelenke, wirkten nur noch wie dünneRöhren. Die Hände erhielten vier Finger.

Aus dem menschlichen Leib wurde eineflaschenförmige Darstellung, der flacheKopf saß halslos auf.

»Du kannst dich also erinnern, wie derPhilosoph tatsächlich ausgesehen hat, IlaraClandor. Das heißt, daß sein Einfloß völligverschwunden ist.«

»Jack war nicht böse, hörst du … Das er-zählen die Leute doch nur, weil sie ihn ver-jagt haben.«

Mit einer ruckartigen Bewegung löschteIlara die Simulation.

»Ich will nicht mehr«, stieß das Mädchenärgerlich hervor und stampfte mit dem Fußauf. »Ich will heim zu Dinnie. Sofort willich heim.«

Das Bild blendete um. Ein Regierungs-sprecher lächelte nichtssagend-verbindlichin die Optik.

»Die Kleine war die erste Person, die aufOlymp Kontakt zudem Philosophen hatte«,sagte er. »Sie bezeichnete ihn bislang hart-näckig als ihren Bruder, aber inzwischenverblaßt diese falsche Erinnerung. Der besteBeweis dafür ist, daß sie sich an sein wahresAussehen erinnert. Das und die Tatsache,daß niemand auf Olymp noch Kreise zeich-net oder gar Todessehnsucht verspürt, be-weisen, daß die Philosophen wirklich getötetwurden. Wir Galaktiker müssen dankbarsein, daß diese unbegreifliche Gefahr viel-leicht im letzten Moment abgewendet wur-de. Und wir sollten nicht vergessen, wemwir das verdanken. - Völker der Milchstraße,laßt uns endlich geschlossen zu den Waffengreifen und die Tolkander zum Teufel jagen.Und begreift, daß Zwistigkeiten untereinan-

18 Hubert Haensel

der der Vergangenheit angehören müssen.Nur gemeinsam können wir uns in diesemUniversum behaupten, wir …«

Die Übertragung endete abrupt.»Keine Ahnung, was los ist!« rief Sevia

von der Funkortung. »Eines der Hauptrelaisscheint ausgefallen zu sein.«

Zerstört von Mitgliedern des Kristallim-periums? Vergeblich versuchte ich, diesenGedanken zu verdrängen, doch er zwängtesich hartnäckig in den Vordergrund meinerÜberlegungen. Hatte auch mich das Virusdes Mißtrauens erfaßt? Fluchend wandte ichmich dem Hauptschirm zu.

Saira war der einzige Planet des Systems.Auch über hundert Jahre nach seiner Ent-deckung durch die Siedler an Bord der AIO-LOS wirkte diese Welt auf den ersten Blickwenig einladend, ein Wüstenplanet. Nur ent-lang des Äquators erstreckte sich die frucht-bare Region, ein Grüngürtel, der die verwai-ste Siedlung längst überwuchert hatte.

Fünfhundert Kilometer über dem Äquatorbezog die GILGAMESCH einen geostatio-nären Orbit. Ein Landekommando, von Dao-Lin-H'ay geleitet, betrat das verlassene Dorf.

Eine lange Blütezeit war der Kolonienicht beschert gewesen. Ich erinnerte mich,daß die Ereignisse des August 1199 NGZ,als alle Sairaner aus damals unerfindlichenGründen dem Wahnsinn verfallen waren, dieTräume der Siedler von einer angenehmenZukunft zunichte gemacht hatten. Mila undNadja, als einzige unbeeinflußt geblieben,hatten Hunderte von Wahnsinnigen an Bordder AIOLOS gebracht und den Planeten mitKurs auf die Provcon-Faust verlassen. Balddarauf hatten die Sairaner sich in alle Windeverstreut:

Die holographisch übermittelten Aufnah-men des Landetrupps versetzten uns in derZentrale der RICO ebenfalls in eine Weltwuchernder Pflanzen. Getreide und andereNutzpflanzen waren ohne den bewahrendenEinfluß der Kolonisten mutiert, und die arm-dicken, mannshohen Halme hatten die befe-stigten Straßen aufgebrochen. Ein gewalti-ges. Netz von Wurzeln stand im Begriff, die

letzten Überreste des Plastbelags in eine po-röse Masse zu verwandeln. Allem Anscheinnach zogen die Pflanzen sogar aus demkünstlich hergestellten Material Nährstoffe.

Die Häuser waren längst baufällig, dieFenster aus den Rahmen gesprengt, die Dä-cher überwuchert.

»Keine Anzeichen von tierischem odergar intelligentem Leben«, meldete Dao-Lin-H'ay.

»Was ist mit den unterirdischen Anlagen,den Bunkern, die von Siedlern im allgemei-nen als erstes errichtet werden?«

Labors; sichere, geschützte Schlafstätten;Quarantänestationen - das alles wurde wievor Jahrhunderten meist unter die Planeteno-berfläche plaziert. Diese Einrichtungen blie-ben erhalten, bis die Siedler ihre neue Hei-mat erobert hatten.

Wir waren übereingekommen, Mila undNadja in den Bunkern von Saira beizuset-zen, wo niemand ihre Ruhe stören würde.

Im Laufe der nächsten Stunden spürtendie Roboter mehrere verschüttete Zugängezu den unterirdischen Anlagen auf. Hier exi-stierten sogar noch funktionsfähige Schirm-feldprojektoren, die sich selbsttätig aktivier-ten und die Quarantänestationen mit norma-lenergetischen Sperren umgaben.

Als die planetare Nacht hereinbrach, ar-beiteten die Roboter längst am Umbau einesgeräumigen Kellerbunkers zu einem würdi-gen Mausoleum. Desintegratoren erweiter-ten die Hohlräume in die Tiefe, die ihrermolekularen Bindungskräfte beraubte Mate-rie wurde von Wandlern wiederum auf dieWände aufgebracht und in eine stahlharteStützmasse umgeformt.

Im Laufe von zehn Stunden entstand einkleines Labyrinth aus Gängen und Kam-mern, in denen wir Holoprojektoren mit her-ausragenden Lebensdaten der Zwillinge pla-zierten. Natürlich spielte die Sentimentalitäteine bedeutende Rolle, aber warum hättenwir es nicht tun sollen? Irgendwie weigerteselbst ich mich immer noch, zu akzeptieren,daß die Zwillinge wirklich von uns gegan-gen waren. Es erschien mir, als könnten wir

Am Ende einer Hoffnung 19

durch diese Vorrichtungen Mila und Nadjaan uns binden. Oder wenigstens die Erinne-rung an sie wachhalten. Weil niemand wirk-lich tot ist, solange er in den Gedanken sei-ner Freunde weiterlebt.

Zwangsläufig dachte ich an die Gefährtender frühen Tage, an Betty Toufry, Iwan Iwa-nowitsch Goratschin, an die Woolver-Zwil-linge und die anderen, die im Glauben an ei-ne bessere Zukunft gestorben waren. Jedervon uns hatte eines Tages den Preis für seinLeben zu zahlen, ohne Kompromisse undohne die Möglichkeit, darüber zu verhan-deln.

Die Vandemar-Schwestern gaben ihr Le-ben, um anderen zu helfen, bemerkte der Ex-trasinn. Auf solchen Humbug wie Hologram-me für die Nachwelt würden sie keinen Wertgelegt haben.

Ich antwortete nicht darauf. Schließlichgibt es Werte und Traditionen, über die mannicht diskutierte, auch nicht mit einem zwei-ten Ich, genannt Extrasinn.

*

Noch im Tod strahlten Mila und NadjaVandemar Zufriedenheit und einen tiefenFrieden aus; eine Aura schien die Zwillings-schwestern zu umgeben, die sich mit demmenschlichen Verstand nicht erklären ließ.

Unter dem 30. Juni 1289 NGZ hatte Ho-mer G. Adams den Tod der Zwillinge in dasLogbuch eingetragen. Inzwischen schriebenwir den 21. Juli, doch an den sterblichenÜberresten war keine Veränderung mehr zuerkennen. Völlig kristallisiert (auch die Klei-dung war von diesem rätselhaften Prozeß er-faßt und verändert worden), hielten Milaund Nadja einander im Tod umschlungen.Myriaden funkelnder Kristalle verliehen ih-nen eine schier überirdische Schönheit.

Von Antigravfeldern getragen, schwebteder energetische Schrein mit den sterblichenÜberresten der Schwestern an mir vorbei.Für einen Augenblick schloß ich die Augen.

Lebt wohl, Mila und Nadja, wo immer ihrin diesem Moment sein mögt.

»Werden wir uns eines Tages wiederse-hen?« flüsterte Dao-Lin-H'ay Mit geschmei-digen Bewegungen folgte sie dem Schreinan Bord der Space-Jet, die uns auf die Ober-fläche des Planeten bringen würde.

Nur wir vier, Homer, Myles, Dao-Lin undich, sowie eine Handvoll Roboter. Keiner re-dete, als die Jet den Hangar verließ und indie Atmosphäre eintrat. Zweimal umrunde-ten wir Saira, bevor das Schiff exakt an je-ner Position landete, an der einst auch dieAIOLOS niedergegangen war. Hier hatte dieMutter der Zwillinge bei einem tragischenUnfall den Tod gefunden, hatte nie dieChance erhalten, als Lebende ihren Fuß aufdie Oberfläche des Planeten zu setzen. Ausdem offenen Schott des100-Meter-Kugelraumers war sie in demGedränge nach der Landung abgestürzt, undnichts und niemand hatte das verhindernkönnen. Saira lag in der Erde der nach ihrbenannten Welt begraben, und nun warenauch ihre Töchter an diesen Ort zurückge-kehrt.

Vier Roboter schwebten mit dem Schreinins Freie hinaus.

Eine kühle Brise wehte uns entgegen, esregnete leicht. Der Himmel über der Sied-lung war wolkenverhangen und trübe.

. Ich dachte an Guckys lange Suche nachden Zwillingen, an ihren gemeinsamen Be-such auf Wanderer. Ernst Ellert hatte Milaund Nadja ihre Aktivatoren gegeben.

Der Regen wurde heftiger, deshalb proji-zierten die Roboter ein Schirmfeld über uns,das die Nässe abhielt.

»Weg damit!« protestierte Dao-Lin-H'ay.»Soll das Andenken der Schwestern beflecktwerden?«

Sie bemerkte meinen überraschten Blickund fuhr fort: »In meiner Heimat sagt man,daß der Himmel weint.«

»Das war auch früher auf der Erde so«,murmelte Homer G. Adams. Sein schütteresHaar klebte bereits naß am Schädel, doch erschien es nicht zu registrieren. Unverwandtruhte sein Blick auf den kristallisierten Lei-chen.

20 Hubert Haensel

Vergeblich hatten unsere Wissenschaftlerversucht, die Ursache der Kristallisation her-auszufinden.

»Die Tränen des Himmels sind zugleichdie Tränen der Verstorbenen«, sagte Dao-Lin-H'ay. »ein letzter Gruß an alle Freunde.Wer sich den Tränen entzieht, entehrt dasAndenken der Toten.«

Schnurrende Laute ausstoßend, drehte sieden Kopf schräg zur Seite, daß der Regenihr Gesicht durchnäßte. Die Fellhaare began-nen zusammenzukleben.

Minuten später schwebten wir in die un-terirdischen Anlagen hinab. Was die Ar-beitsroboter innerhalb eines Tages geschaf-fen hatten, war in seiner Gesamtheit ergrei-fend - ein schlichtes, aber dennoch erhabe-nes Werk, das dem Opfergang der Spiegel-geborenen gerecht wurde.

Das eigentliche Mausoleum war eine kup-pelförmige Halle von nur zehn MeternDurchmesser und gleicher Höhe. Die Wändeschienen das Licht von Milliarden Sternenwiderzuspiegeln, ein atemberaubender Ein-blick in die Unendlichkeit. Modernste Holo-technik, eingefroren in einem Standbild,dessen Energiebedarf lächerlich gering war.Die eingegossenen Akkus würden ihre Tä-tigkeit noch in Jahrhunderttausenden verse-hen, ohne daß die Emissionen aus einer Ent-fernung von mehr als zehn Metern angemes-sen werden konnten.

Im Zentrum des Raumes fand der energe-tische Schrein mit den sterblichen Überre-sten Platz. Über den Schwestern prangte einAbbild des Solsystems.

Homer sprach ein kurzes Gebet. Er mach-te sich gar nicht erst die Mühe, das Vibrie-ren seiner Stimme zu verbergen.

»… wir glauben, euch den letztenWunsch erfüllt zu haben, Mila, Nadja«,schloß er seine ebenso kurze Ansprache.»Saira wurde auf dieser Welt begraben undnun auch ihr. Ruht in Frieden.«

»Es war eine unruhige Zeit, in die ihr hin-eingeboren wurdet, und es war von Anfangan eure Aufgabe, anderen zu helfen.« Dao-Lin-H'ay hatte die Arme vor der Brust über-

kreuzt und erwies den Verstorbenen die letz-te Ehre. »Euch war nie die Möglichkeit ge-geben, ein freies und unabhängiges Lebenzu führen, selbst die Unsterblichkeit hateuch nicht mehr gegeben als nur das Gefühl,Auserwählte zu sein. Ich wünsche euch Frie-den.«

Myles Kantor nickte nur knapp. SeinBlick fixierte die kristallenen Gesichter,dann wandte er sich wortlos um.

Was sollte ich noch sagen? Die Vande-mars hatten gekämpft bis zum Schluß, undsie hatten einen Kampf verloren, der nichtzu gewinnen gewesen war. Ich schlug mitder zur Faust geballten Rechten gegen meinelinke Brust.

»Nadja … Mila … mögt ihr für immervereint sein, so, wie eure Körper einanderumschlingen. Lebt wohl!«

Die Roboter versiegelten das Mausoleum.Zurück an Bord der Space-Jet, löschten

wir die Gedächtnisspeicher der Maschinen.Sie sollten niemandem preisgeben können,wo die Zwillingsschwestern ihre letzte Ruhegefunden hatten.

»Jeder Abschied ist ein klein wenig wieSterben«, sagte Homer, als die Jet startete.»Ich habe mich in fast drei Jahrtausendennicht daran gewöhnt, und ich werde es wohlauch nie.«

5.

Zweieinhalb Stunden hatten die Unsterbli-chen auf der Welt verbracht, auf der dieVandemars aufgewachsen waren. Sie hattenjede Störung von vornherein untersagt undnur für den äußersten Notfall einen Funkka-nal offengehalten, für den Fall, daß Igel-schiffe den Hyperraum innerhalb des Sy-stems verließen und die GILGAMESCH an-griffen.

So kam es, daß Atlan, Homer G. Adams,Myles Kantor und die Kartanin erst nach ih-rer Rückkehr an Bord mit den neuestenNachrichten konfrontiert wurden. Es warenDaten, die sich auf Anhieb schwer einord-nen und verstehen ließen, die aber zum

Am Ende einer Hoffnung 21

Glück alle Befürchtungen als überflüssigdarstellten.

»Die Tolkander denken nicht daran, dieMilchstraße mit ihren Flotten zu über-schwemmen und Rache zu nehmen«, melde-te Kalle Esprot von Bord des ZentralmodulsMERLIN. »Uns liegen nicht nur Beobach-tungen eigener Einheiten vor, sondern nahe-zu identische Aussagen von LFT-Schiffenund Patrouillenflügen anderer Völker.«

»Wir haben uns geirrt«, sagte Sevia.»Egal ob Alazar oder Gazkar, ob Neezer,Eloundar oder wie sie auch heißen, sieschwärmen nicht aus wie Ameisen in einemzerstörten Haufen, sondern reagieren ehermit lähmendem Entsetzen. Möglich, daß wirsie in ein paar Tagen endgültig los sind.«

Kalle - Esprots Konferenzholo schüttelteenergisch den Kopf. Demonstrativ fuhr derErtruser sich mit einer Hand über den grau-en Sichelkamm.

»Hüten wir uns davor, einem Trugschlußzum Opfer zu fallen«, warnte er. »Ich habehier eine aktuelle Übertragung, allerdingsvor mehr als drei Stunden abgeschickt.«

Für einen Ertruser galt Kalle Esprot alsüberaus ruhig und besonnen. Auch seinewortkarge Art wollte nicht so recht zu sei-nem Äußeren passen. Doch gerade diese Ei-genschaften, gepaart mit blitzschneller Ent-scheidungskraft, hatten ihm als einzigemNicht-Aktivatorträger das Kommando überein GILGAMESCH-Modul verschafft.

Während sein Hologramm auf die Größeeines Siganesen schrumpfte, flammten aufdem Hauptschirm mehrere Bildfelder auf.

Die Übertragungsqualität war nicht diebeste, vermutlich als Folge einer Beeinflus-sung durch Funksperre oder Tangle-Scander Tolkander. Außerdem war die Sendungals denkbar schwacher Impuls empfangenworden. Die lange Laufzeit resultierte ausder geringen Ausgangsleistung und der not-wendigen Verstärkung im Bereich einzelnerHyperfunkrelais.

»Das sind veraltete Aufnahmen«, platzteGerine heraus, »aus der Zeit vor der Ver-nichtung Goeddas. Irgendwer will uns be-

wußt mit falschen Informationen abspeisen.Von wem kommt die Sendung?«

»Die Kennung einer LFT-Korvette«,dröhnte Esprots Baß. Sein Fünfzehn-Zenti-meter-Holo schwebte jetzt auf Augenhöhemit Sevia. »Die Auswertung der Schlußse-quenz durch den Kontracomputer ergibtzweifelsfrei die Vernichtung der Korvetteim Tangle-Scan.«

Beinahe fünf Minuten optische Wiederga-be. Was die Aufnahme zeigte, unterschiedsich in nichts von den Feststellungen wäh-rend der letzten Tage und Wochen. Die Tol-kander beuteten nach wie vor Welten von 47Tucani aus.

Ein Posbi-Kommando der BOX-7443 hat-te herausgefunden, daß zumindest die Ober-fläche von Tolk-17 aus einem Gemenge vonSand, abgestorbenen einzelligen Mikrolebe-wesen und anderen organischen Stoffen be-stand. Und genau dieses Material hatten dieTolkander abgebaut, in ihren Fabrikations-anlagen alle anorganischen Bestandteile des-integriert und die übrigbleibende Massedurch Bestrahlung und die Zugabe von Flüs-sigkeit verändert. Letztlich war die breiigeMasse zu Blöcken gepreßt und auf die riesi-gen Gliederschiffe verladen worden, diewiederum die Nahrungsbarren in GoeddasBrutraum transportiert hatten.

Aber Goedda existierte nicht mehr. Unddie Brutblase im Hyperraum war ebenfallsvernichtet.

Welchen Sinn machte es also für die Tol-kander, wenn sie immer noch Nahrung pro-duzierten?

»Sie tun, als wäre nichts geschehen«,stellte Myles Kantor verblüfft fest. »Aberich kann nicht glauben, daß sie Goeddas Todnicht mitbekommen haben. Das wäre viel-leicht noch Stunden nach der Vernichtungdes Brutkosmos denkbar gewesen, abernicht nach Tagen.«

»Ihr Verhalten ist seltsam«, pflichtete Ge-rine bei.

»Sehr seltsam«, sagte Dao-Lin-H'ay.Kalle Esprot räusperte sich mit der Laut-

stärke eines Gewitters. »Ohne Goedda ist

22 Hubert Haensel

der Fortbestand aller Tolkander-Arten nichtmehr gewährleistet.«

»… aber genau das wollen die Tolkanderoffensichtlich nicht wahrhaben«, fuhr Geri-ne, die Kommandantenstellvertreterin aufder RICO, fort. »Sie sind kurzlebig undnicht in der Lage, sich aus eigener Kraftfortzupflanzen. Sie besitzen keine Zeu-gungsorgane.«

»Damit unterstellst du ihnen menschlichesVerhalten«, wandte Homer G. Adams ein.»Gerade diese Verallgemeinerung ist höchstgefährlich.«

»Ich bin anderer Meinung«, widersprachGerine. »Die Tolkander haben erkannt, daßsie keine Zukunft mehr haben, doch sie wei-gern sich, das zu akzeptieren.«

»Sie sind bislang freudig in den Tod ge-gangen, warum sollten sie nun davor zu-rückschrecken?«

»Sie sind gestorben, um das Absolutumzu sichern und damit ihre kommende Gene-ration. Die Bezeichnung Brutpflege trifftden Punkt exakt.«

Schweigend hatte Atlan der hitziger wer-denden Diskussion zugehört, doch nunmachte er dem mit einer unmißverständli-chen Handbewegung ein Ende. »Alle Mut-maßungen sind pure Spekulation.«

Gerines Wangenknochen traten deutlichunter der Haut hervor. Ohne den Blick vonden Bildsequenzen abzuwenden, fragte siewie beiläufig: »Kann es sein, daß wir uns ir-ren? Vielleicht ist die Mutter der Krieger garnicht tot.«

»Obwohl die Herreach Augenzeugen wur-den, wie der Gebärorganismus in den Explo-sionen verglühte?« Ungewöhnlich scharfstieß Dao-Lin die Frage aus. Sie wollte garnicht erst in Erwägung ziehen, daß der Op-fergang der Vandemars und der Tod vielerHerreach vergeblich gewesen sein könnten.»Goedda ist tot - daran besteht nicht der ge-ringste Zweifel.«

»Dann lebt sie auf irgendeine geheimnis-volle Weise weiter. Vielleicht vergeistigt«,beharrte Gerine.

»Nein, nein, nein!« rief Atlan unwillig

aus. »Mein Extrasinn sträubt sich gegen sol-che unlogischen Erklärungen. Und es kannauch nicht so sein, daß die Tolkander gar ei-ne neue Große Mutter züchten. Nach allem,was ich aus Goeddas Lebensgeschichte er-fahren habe, sind sie dazu nicht in der La-ge.«

»Aber was hat ihre stoische Ruhe dann zubedeuten?« wollte Homer G. Adams wissen.»Wenn ich den Syntron oder einen Koko-Interpreter frage, erhalte ich mit Sicherheitmehrere wahrscheinliche Aussagen - nur obdarunter die Wahrheit verborgen ist …?«

»Mitunter gibt es viele Wahrheiten.«»Sagt das der Extrasinn?«»Das sagt die Erfahrung eines alten Man-

nes, der glücklich darüber ist, daß eineRaumschlacht gigantischen Ausmaßes bis-her nur in seiner Phantasie stattgefunden hat,und der hofft, daß sich daran nichts ändert. -Wir haben hier unsere Aufgabe erfüllt undfliegen zum Tucani-Sektor. Einwände?«

Die gab es nicht. Nur Zustimmung.

*

Nach lediglich zwei Orientierungsaustrit-ten im Bereich sternenarmer Zonen erreichtedie GILGAMESCH am 22. Juli 1289 NGZ,nach Standardzeit in den frühen Nachmit-tagsstunden, den nur fünfzehntausend Licht-jahre von Sol entfernt in Richtung der Klei-nen Magellanschen Wolke liegenden Kugel-sternhaufen. Eine Million Sonnenmassen,darunter unglaublich viele Rote Riesenster-ne, drängten sich in einem Gebiet von 210Lichtjahren Durchmesser.

47 Tucani war für die Besiedlung nie in-teressant gewesen. Daher hatte es bis vorkurzem auch wenig relevante Daten gege-ben. Die wirtschaftliche Ausbeutung diesesSektors war ohne die Aussicht auf schnellenVerdienst nie wirklich in Erwägung gezogenworden, und das traf gleichermaßen auf dieHandelsmacht der Springer wie auch auf dieKosmische Hanse und alle anderen Völkerund Organisationen zu - ein Umstand, dendie Tolkander sich zunutze gemacht hatten.

Am Ende einer Hoffnung 23

Auf sechsundzwanzig Planeten existiertenBasen der Tolkander, vornehmlich Indu-strieplaneten zur Rohstoffgewinnung, aberauch Produktionsanlagen für Bourree. Denmehr als zweihunderttausend Ellipsoiden ih-res Aussehens wegen Igelschiffe genannt -,den 400-Meter-Vielflächnern der Physanderund den gigantischen Gliederschiffen standnur eine zahlenmäßig weit unterlegeneStreitmacht der Galaktiker gegenüber:

Sechstausend terranische Einheiten, ver-stärkt durch zehntausend Haluterschiffe undmehr als zweitausend Fragmentraumer derPosbis. Hinzu kamen weitere zweitausendSchiffe der Galaktiker, angefangen vonAkonen über Blues bis hin zu Unithern undCheborparnern, sowie die Kreuzer von Ca-melot. Da viele Schiffe einzeln oder auchpulkweise außerhalb des Kugelsternhaufenspatrouillierten, wurde ihre Effizienz nocheinmal deutlich verringert. Nüchtern be-trachtet bedeutete diese Flotte ein Alibi dergalaktischen Politik, den Versuch, der Be-völkerung auf allen Planeten der Milchstra-ße einen Schutz vorzugaukeln, der in Wirk-lichkeit nicht vorhanden war.

Gnade Gott der Milchstraße, falls die Tol-kander sich entschließen sollten, loszuschla-gen. Sie hatten nichts mehr zu verlieren, wasalso sollte sie letztlich daran hindern?

Unaufhörlich wechselten die Daten derFernortung auf den Schirmen. Sogar fünfWalzenraumer der Maahks hatten sich indiesen Sektor verirrt, doch ein Beistandsan-gebot der Methanatmer lag bislang nochnicht vor.

»Es würde wenig ändern«, murmelte At-lan, halb im Selbstgespräch, halb für dieZentralebesatzung der RICO bestimmt.

»Funkspruch von der ZYRRUS«, meldeteSevia.

»Durchstellen!«Eiser Crawland blickte Atlan vom Haupt-

schirm herab an.Eiser war ein Räumfahrer von echtem

Schrot und Korn, breitschultrig, mit kanti-gem Schädel und fingerkuppenlang ge-schnittenem eisgrauem Haar. Wind und

Wetter fremder Welten hatten seine Hautebenso gegerbt wie die kosmische Strah-lung, der er irgendwann ausgesetzt gewesenwar. Mit seinen 103 Jahren konnte er längstauf eine reiche Erfahrung zurückblicken,stand andererseits aber noch in der Blüte desLebens. Kein Wunder, daß Flame Gorbenddas Oberkommando über die terranischeFlotte bei 47 Tucani an Eiser Crawlandübertragen hatte.

»Ich wußte, daß du kommen würdest, At-lan«, begann Crawland anstelle einer Begrü-ßung. »Wir sind mit Problemen konfrontiert,die wir in den Griff bekommen müssen, an-dernfalls wird der Tucani-Sektor ein Wes-pennest bleiben.«

»Laß hören!«Crawland verzog die Mundwinkel. »Alle

Einheiten der Tolkander, die zur Beobach-tung der Philosophenwelten und derenSchutz unterwegs waren, sind inzwischenzurückgekehrt. Die Tolkander sind also in-formiert, was mit ihrer verfluchten Mutterund dem Philosophenpack geschehen ist.«

»Es gab keinen Anlaß, daran zu zwei-feln.«

»Das Verhalten der Invasoren erscheintunter logischen Gesichtspunkten nicht nach-vollziehbar. Ich rate dir, Atlan, darübernachzudenken.«

Terraner waren manchmal sehr direkt.Und plump. Trotzdem lächelte der Arkoni-de. »Ich habe das schon in Erwägung gezo-gen«, sagte er.

»Gut.« Crawland nickte knapp. »Dann er-warte ich dich und die anderen Aktivatorträ-ger auf der ZYRRUS. In zwanzig Minuten,wenn es dir recht ist. Der Transmitter wirdauf Empfang geschaltet.«

Das Bildfeld auf dem Hauptschirm mach-te wieder dem vollständigen Abbild des rotglühenden Sternenhaufens Platz.

»Die Verbindung wurde von der ZYR-RUS aus abgebrochen«, meldete Sevia.

»Das war mir klar«, bestätigte der Arko-nide. »Crawland scheint in der Tat der rich-tige Mann für die Wachflotte zu sein.«

24 Hubert Haensel

*

Die ZYRRUS, Eiser Crawlands Flagg-schiff, war ein 800-Meter-Kugelraumer vomPAPERMOON-Typ, einer von nur sechzigin Dienst gestellten Raumern. Die Schiffeder NOVA-Klasse waren längst nicht das In-teressanteste, was terranische Schiffbau-kunst zu bieten hatte, doch vollgestopft mitmodernster Technik, hätten sie es sogar mitden alten Ultraschlachtschiffen der GALA-XIS-Klasse aufnehmen können. Vor allembewiesen sie Wirtschaftlichkeit. Auf denWerften der LFT wurde wieder die Kugel-form propagiert, nicht zuletzt der Kostenwegen und aus Gründen der Materialeinspa-rung. Im Verhältnis zum Volumen erfordertedie Kugel naturgemäß die geringste Oberflä-che.

Daran dachte Atlan, als er den Transmit-ter betrat.

Ein Kampfroboter salutierte. Unwillkür-lich verglich der Arkonide die verwitterteHülle der Kampfmaschine mit der grobpori-gen Haut Eiser Crawlands. Crawland hätteauch eine der bei offiziellen Anlässen Ver-wendung findenden auf Hochglanz poliertenMaschinen schicken können. Daß er es nichtgetan hatte, bestätigte Atlans ersten Ein-druck. Crawland machte nicht viel Federle-sens, er sagte, was er dachte, und schertesich einen Dreck um Konventionen. Auf ge-wisse Weise schienen Flame Gorbend und ersich gesucht und gefunden zu haben, sie wa-ren aus demselben harten Holz geschnitzt.

Der Kampfrobot führte die Unsterblichenin einen in unmittelbarer Zentralenähe lie-genden Konferenzraum. Dabei verzichtete erdarauf, sich mit Hilfe der Antigravfelder zubewegen. Seine Schritte dröhnten martia-lisch durch den Korridor.

Adams wollte eine Bemerkung anbringen,verzichtete dann aber doch darauf. Erschürzte nur die Lippen, als er sah, daß einamüsiertes Lächeln Atlans Mundwinkel um-spielte. Eiser Crawland verstand es, sich un-terschwellig in Szene zu setzen, keineswegs

aufdringlich, dafür aber um so nachhaltiger.Nur Myles Kantor und Dao-Lin-H'ay schie-nen dem stampfenden Koloß keine Bedeu-tung beizumessen.

Crawland war in die Betrachtung einerBildwand vertieft, die Motive aus den Rand-gebieten des Sternenhaufens waren unver-kennbar. Zögernd und nachdenklich zu-gleich wandte er sich um, deutete auf die imHalbkreis gruppierten Sessel.

»Es freut mich, daß ihr meiner Einladunggefolgt seid. Um es gleich deutlich zu sagen:Ich halte unsere Situation nach wie vor fürbeschissen. Wir sollten gemeinsam nach ei-ner Lösung suchen, denn ich gehe davonaus, daß der momentarie Zustand nur dieRuhe vor dem Sturm ist.«

»Ist das alles?« fragte Dao-Lin-H'ay»Genügt es nicht?« Crawland musterte dieKartanin. »Die Tolkander produzieren aufihren Basiswelten nach wie vor Ersatzteilefür ihre Raumschiffe und andere undefinier-bare Bauteile, die nur für das Bauwerk inGoeddas Brutkosmos bestimmt sein können.Und natürlich nach wie vor die Barren ausManna.«

»Bourree«, unterbrach Myles Kantor.»Sie nennen es so.«

»Du fragst dich«, Dao-Lin-H'ay fixierteden Kommandanten der ZYRRUS aus halbzusammengekniffenen Augen, »Weshalb dieTolkander noch diesen Aufwand treiben, ob-wohl Goedda nicht mehr existiert. - Wir fra-gen uns das ebenfalls«, fügte sie im gleichenAtemzug hinzu.

»Für sich selbst brauchen die Invasorendas Material nicht«, sagte Crawland grol-lend. »Oder sind meine Informationenfalsch, daß sie in wenigen Jahren ausgestor-ben sein werden? Ohne daß wir dabei nach-helfen müssen?«

»Sie sind kurzlebig und zeugungsunfä-hig«, bestätigte Atlan.

»Wir konnten bislang nicht herausfinden,was tatsächlich hinter alldem steckt«,schimpfte Crawland. »Weder geht aus abge-hörten Funksprüchen der Grund für den un-gebrochenen Arbeitseifer hervor, noch wa-

Am Ende einer Hoffnung 25

ren durch die Fernortungen irgendwelcheHinweise zu bekommen.«

»Was hat das mit uns zu tun?« Atlan lehn-te sich im Sessel zurück und verschränktedie Arme vor der Brust. Auffordernd blickteer Eiser Crawland an.

»Ein Erkundungsunternehmen ist vorbe-reitet. Ich finde, ihr sollt darüber informiertsein, denn nur Gemeinsamkeit kann unsweiterbringen.« Crawland erteilte einemServo Anweisungen, woraufhin ein mehrereMinuten dauernder Zusammenschnitt ausunterschiedlichen Aufnahmen projiziertwurde, angefangen von Beobachtungen imnormaloptischen Bereich bis hin zu Hoch-rechnungen aufgrund von Ortungsdaten.

Ein roter Riesenstern, umlaufen von ei-nem nahezu erkalteten, weitaus kleinerenBegleiter. Der Dunkelstern verfügte immer-hin über eine ausreichend große Masse, umeinen steten Partikelstrom aus dem Riesenherauszureißen. Gigantische irrlichterndeMateriewolken erfüllten das System undgriffen auch nach den drei Planeten, die auflängst unregelmäßig gewordenen Bahnendie Sonnen umkreisten.

»Berechnungen ergeben, daß die Stabilitätdes Systems in weniger als fünftausend Jah-ren zusammenbricht«, sagte Eiser Crawland.»Die Tolkander haben Nummer zwei be-setzt, wie die anderen beiden Welten eben-falls atmosphärelos, ein Wüstenplanet.«

Die Aufnahmen, die die Unsterblichen zusehen bekamen, waren von überraschend gu-ter Qualität. Crawlands Erklärungen dazukamen knapp und präzise.

Tolk-7 nannten die Galaktiker die anson-sten namenlose Welt. Die Sonnen trugen le-diglich eine Katalogbezeichnung, die sie indie Reihe Zigtausender anderer ebenfalls un-bedeutender Sonnen einreihte.

Tolk-7 präsentierte sich als rotbraune, vonGräben und Kratern zernarbte Welt, von derGröße und der Optik dem Mars nicht unähn-lich. Jedoch wies der Planet eine weitausgrößere Dichte auf und damit auch eine hö-here Schwerkraft. Das ließ auf reichlich vor-handene schwere Rohstoffe schließen und

war wohl der Grund, weshalb die Tolkanderihren Stützpunkt errichtet hatten.

Tolk-7 war lediglich 28 Lichtjahre vonder Position der ZYRRUS entfernt.

»Die Tolkander produzieren auf dieserWelt hochwertiges Fünf-D-Gerät«, schloßCrawland. »Die Emissionen sind eindeutig -und haben sich bislang in keiner Weise ver-ändert.«

»Die Wahrscheinlichkeit, auf Tolk-7 De-tails in Erfahrung zu bringen, könnte dem-nach groß sein«, folgerte Atlan.

»Deshalb bereitet sich ein Posbi-Kommando der BOX-3187 vor, auf Tolk-7zu landen«, sagte Crawland. »Den Posbiswerden die Tangle-Schilde eingebaut, dannfliegt ein Teil unserer Schiffe Ablenkungs-manöver …«

»Die Posbis haben einen Begleiter«, sagteAtlan spontan.

»Nein, natürlich nicht«, erwiderte EiserCrawland. »Ich kann keinen Menschen demTangle-Scan aussetzen, und die Sache mitden Simple Minds …«

»Ich werde die Posbis begleiten!« unter-brach der Arkonide.

Er wehrte ab, als Dao-Lin-H'ay sich ihmzuwandte: »Ich gehe allein, Punktum! DasRisiko für mich ist weit kleiner als für jedenanderen.«

6.Bericht Atlan

Eiser Crawland hatte den Posbis meinKommen angekündigt. Ich benutzte denTransmitter der RICO, um über mehrereLichtminuten hinweg an Bord der BOX3187zu gehen. Ich trug den SERUN mit vollerKampfausrüstung und hatte lediglich daraufverzichtet, den Helm zu schließen.

Vor mir erklang ein wüstes, lautesSchimpfen. Jemand echauffierte sich fürch-terlich.

»Nein, nein und nochmals nein«, halltedie Stimme von allen Seiten wider, »duwirst das nicht tun. Ich verbiete es dir, Orse-ner. - Du wirst diesen Wahnsinn nicht über-

26 Hubert Haensel

leben. Willst du das? Willst du das wirklich?Und denkst du nicht daran, was dann ausdeinem edlen alten Freund Neepo werdensoll? Bin ich nicht mehr dein Freund, Orse-ner?«

»Das eine hat mit dem anderen wenig zutun, es ist einfach zwingende Notwendig-keit.«

»Niemals«, erklang es schriller als zuvor.»Das reden dir diese Terraner ein. Glaubeihnen nicht. Wie soll ich dich beschützen,wenn du anderen mehr vertraust als mir? Dubegibst dich in Gefahr, freiwillig und ohnezwingenden Grund. Brrr …« Das Geräuschklang wie Heulen und Zähneklappern zu-gleich. »Bleib stehen, Orsener. Erkennst dudenn nicht, wie sehr du mich brauchst? Ichmuß dich beschützen, Orsener, vor dir selbstbeschützen.«

»Was mir zeigt, daß du entweder dummbist, Neepo, oder daß du verlernt hast, lo-gisch zu denken. Und jetzt halt den Mund,Atlan wird bald hiersein.«

Ich war mitten in die Auseinandersetzungeines Posbis mit seinem Matten-Willy hin-eingeplatzt.

»Du willst mich paralysieren, ja?« krächz-te der Willy. »Ist das der Dank dafür, daßich mich um dich sorge?«

Ich ging einige Schritte nach vorne undverließ den Transmitterbereich. Etwa fünf-zehn Meter seitlich stand der Posbi. Er warvon annähernd humanoider Gestalt, gutzweieinhalb Meter groß und ziemlich mas-sig. Auf drei Beinen rollte er langsam inRichtung des Ausgangs, hielt aber unvermit-telt inne. Ich erkannte, daß er tatsächlich dasAbstrahlfeld seines Paralysators aktivierthatte.

»Nimm dich zusammen, Neepo! Was sollAtlan von dir denken?«

»Er ist verrückt«, erklang es schrill.»Nicht minder verrückt als du auch.«

Wo steckte der Matten-Willy? SeineStimme schien von überall her zu kommen.Vermutlich hatte er sich zwischen den Ag-gregaten unter der hohen Decke verborgen,denn der syntronisch-biologische Roboter

richtete seine Wahrnehmungsorgane in dieHöhe.

»So ist es recht«, kreischte der Matten-Wil-ly. »Töte mich, Orsener. Wenn es dich be-friedigt, lösche meine Existenz aus. Aberversprich mir vorher, daß du dich nicht aufdiesen Wahnsinn einläßt und nicht in dieHölle der Tolkander fliegst.«

Natürlich würde der Posbi den Matten-Wil-ly nicht verletzen. Diese formvariablen In-telligenzen, die in ihrem normalen Aussehenschwammigen Kugeln von zwei MeternGröße glichen, waren seit Jahrtausendentreue Helfer und Betreuer der Roboterzivili-sation. Aber sie waren auch Quälgeister er-sten Ranges.

Ich räusperte mich. »Ich mische mich un-gern in euren Disput ein«, begann ich, wur-de aber sofort unterbrochen.

»Halt dich da raus, Arkonide Atlan! Dubist nicht besser als Orsener und die ande-ren. Wie kann man nur so verrückt sein undfreiwillig in die Hölle gehen? - Was ist,wenn Orsener umkommt? Sag ihm, daß derKummer mich auffressen und mir das Herzbrechen wird.«

Ein Paralysatorschuß zuckte in die Höhe,und ein schrecklicher Schrei hallte durch dieHalle. Neepo übertrieb. Aber sein Schrei be-wies zugleich, daß der Posbi das Ziel ver-fehlt hatte. Zweifellos war der Schuß nur alsWarnung gedacht gewesen.

Das Wahrnehmungsvermögen meines SE-RUNS stand den Möglichkeiten eines Posbisin nichts nach. Wahrscheinlich entdecktenOrsener und ich zeitgleich den zitterndenTentakel, der sich zwischen einem Bündelschenkeldicker Rohrleitungen nach untenschob. Ein Auge am Ende des Tentakelsblinzelte hektisch.

»Ich muß dich beschützen, mein Posbi!«Eine zähflüssige Masse tropfte zwischen

der; Rohren hindurch. Noch im Fallen brei-tete sie sich aus, glich innerhalb von Sekun-denbruchteilen einem fliegenden Teppichmit wogenden Rändern und klatschte aufden Roboter herab.

»Ich rette dich, Orsener. Dafür wirst du

Am Ende einer Hoffnung 27

mir ewig und alle Zeit dank …«Ein zweiter Paralysatorschuß ließ den

Matten-Willy verstummen. Die Waffe wirk-te auf das periphere Nervensystem, das vorallem die Muskelbewegungen steuerte, undwar einem Elektroschock vergleichbar. Nee-po senkte sich zwar noch über den Posbi undhüllte ihn halb ein, doch er war nicht mehrfähig, den Roboter festzuhalten. Oder auchnur sich selbst.

Jedenfalls entledigte der Posbi sich seineslästigen Aufpassers mit zwei knappen Be-wegungen und plazierte den schlaffen Kör-per vor dem nächsten Aggregatblock.

Orsener wandte sich mir zu.»Ich bedauere, Atlan, daß du Zeuge dieses

Zwischenfalls werden mußtest. Neepo neigtzu Übertreibungen, doch damit habe ichmich abgefunden. Selbstverständlich stehtunserer Mission auf Tolk-7 nichts entgegen.- Bitte folge mir zu den Installationsräumen,ich mache dich mit den anderen bekannt.«

*

Zwanzig Posbis standen bereit. Orsener,der zum Einsatzleiter bestimmt worden war,stellte mir jeden namentlich vor.

»Deine Teilnahme ehrt uns, Atlan«, sagteOrsener. »Und sie gibt uns die Gewißheit,daß wir die richtigen Schlüsse gezogen ha-ben.«

»Das ist nicht gut«, schimpfte Wawer. Erwar der einzige Matten-Willy in dem Instal-lationsraum, und sein Posbi war kein Gerin-gerer als Fregor, der Kommandant derBOX-3187. Da Fregor nicht an dem Höllen-fahrtskommando teilnehmen würde, wieWawer sich ausdrückte, bestand für ihn auchkeinerlei Anlaß, dagegen zu protestieren.

»Das ist nicht gut«, wiederholte Wawermit der Monotonie eines defekten Tonträ-gers. Er bildete vier dünne Gliedmaßen aus,mit denen er anklagend auf mich zeigte.»Atlan ist so ein hohes Tier, daß ihr allesdaransetzen werdet, ihn zu schützen undsein Leben zu bewahren. Dabei werdet ihrumkommen.«

»Ich kann selbst auf mich aufpassen, Wa-wer«, widersprach ich.

Er hatte eine puppenhafte Gestalt ange-nommen. Sein Körper wirkte jedoch nur rohmodelliert, halbfertig. Und jetzt wurde seinHals länger, pendelte mir entgegen, und derKopf formte sich zu einem einzigen großenAuge, das erst mich akribisch musterte unddann die Posbis anglotzte.

»Das behaupten unsere Schützlinge auchimmer«, seufzte der Matten-Willy. »Aberohne uns sind sie aufgeschmissen.«

»Schluß mit dem Quatsch!« befahl Fregorschroff. »Belästige unseren Gast nicht län-ger, sondern kümmere dich um deine Ar-beit! Alles andere überlasse unserer Ent-scheidung.«

Zerknirscht zog Wawer das Stielauge ein.Ich war grenzenlos überrascht, zu sehen, daßausgerechnet er für die einzubauenden Tan-gle-Schilde verantwortlich war. Wawer be-reitete die Installation der winzigen Chipsallerdings mit einer Akribie vor, die nur un-ter dem Motto »Zeit schinden« einzuordnenwar.

Beim Tangle-Schild handelte es sich umeine Entwicklung der Haluter. Sie hattennach einer Möglichkeit gesucht, ihr Plan-und Ordinärgehirn voneinander zu trennen,waren aber damit gescheitert. Quasi als Ne-beneffekt hatte sich jedoch herausgestellt,daß eine geringfügige Adaption genügte, beiden Posbis jene Schutzwirkung zu erzeugen,die den vierarmigen Kolossen von Halutverwehrt geblieben war.

In die Kontaktstelle zwischen Syntronund Bioplasma eingepflanzt, sorgten dieTangle-Schilde für eine Neuordnung vonBiokomponente und Syntronik. In dieserÜberbrückungssituation wurde der Biozu-satz abgeschirmt, so daß er vom Tangle-Scan nicht beeinflußt werden konnte.

Das Innenleben der ersten Posbis lagbloß. Die Roboter setzten sich gegenseitigdie Chips ein, testeten jede einzelne Nerven-verbindung auf ihre Stabilität. Während dieeigentliche Implantation nur Minuten in An-spruch nahm, dauerte die Testphase länger

28 Hubert Haensel

als eine Stunde. Ein Drittel aller Verbindun-gen mußte neu justiert werden.

Wawer brammelte ununterbrochen vorsich hin, unverständliches Zeug, mit dem ersich Luft machte. Immer öfter glitt seinBlick zur Zeitanzeige.

Der Warnung meines Extrasinns hätte esnicht bedurft. Ich hätte schon blind seinmüssen, um nicht zu bemerken, daß sich et-was zusammenbraute.

Zwanzig Matten-Willys stürmten plötz-lich den Raum. »Kein Opfergang unsererPosbis!« skandierten sie.

Zwei von ihnen entrissen Wawer die letz-ten Chips. Wawer zerfloß schier vor Aufre-gung. Natürlich hatte er gewußt, was ge-schehen würde.

»Der Wahnsinn muß aufhören!«»Ruhe!« brüllte Fregor. Aber erst als er

seine Akustikfelder verstärkte, gelang esihm, den Lärm der Matten-Willys zu übertö-nen. »Hört auf mit dem Unsinn!«

Unglaublich schnell flossen einige Willysauseinander und bewegten sich als hauch-dünne Fladen auf ihre Posbis zu. Sie wurdenunsanft aufgehalten - von einem Prallfeld,das sich in dem Moment aufbaute. Tentakelklatschten gegen die energetische Wand, oh-ne sie jedoch durchdringen zu können, unddann begriffen die Matten-Willys, daß sie ineine Falle gelockt worden waren. Ihr Geheulkündete von grenzenloser Enttäuschung.Und von Furcht. Sie sorgten sich um dieExistenz ihrer Schützlinge.

Vergeblich versuchten sie, einen Weg ausdem energetischen Käfig zu finden, eineLücke, die es ihnen gestattete, ihrer selbstau-ferlegten Aufgabe doch zufriedenstellendnachzukommen. Aber es gab keine Lücke,auch unter der Decke schloß das Energiefeldnahtlos ab.

»Wir haben eine Aufgabe zu erfüllen!«protestierte die Meute lautstark.

»Wir auch«, erwiderte Orsener. »Ich be-dauere, aber uns bleibt keine andere Wahl.«

»Du wirst sterben!« erklang es völlig ver-zweifelt. Kein anderer als Neepo konnte derRufer sein.

»Vielleicht.«»Dein Schicksal bringt mich ebenfalls

um, Orsener. Mir wird das Herz brechen.«»Wenn wir sterben, dann sterben wir für

die Galaxis. Und alle Völker werden dichverehren, Neepo, weil du dazu beigetragenhast, daß wir ihnen helfen.«

Der Matten-Willy zerfloß zu einer amor-phen Masse. Nach mehreren vergeblichenVersuchen, einen halbwegs ansehnlichenKörper zu formen, blieb lediglich ein mißge-stalteter Schrumpfkopf mit einem überdi-mensionalen Facettenauge, das den Posbiunablässig anstarrte.

Die ersten Tangle-Schilde waren inzwi-schen eingebaut und funktionierten zufrie-denstellend.

Nach langen Minuten atemlosen Schwei-gens verlegten die Matten-Willys sich aufsBetteln. Was dazu führte, daß der Komman-dant befahl, die Willys samt der Prallfeld-sphäre zu entfernen.

»Geht nur! Geht ruhig! Laßt euch ausein-andernehmen, jede einzelne Schraube.«Neepo schimpfte, wie ich nie zuvor einender friedlichen Matten-Willys schimpfen ge-hört hatte.

Das Prallfeld hatte sich zu einer mehrereMeter durchmessenden Kugelsphäre ver-formt, in der die Willys haltlos durcheinan-derwuselten.

»Ich werde nicht um dich weinen, Orse-ner, niemals! Ich werde dich vergessen hörstdu? Jetzt gleich vergesse ich dich …«

Das Schott schloß sich hinter der Sphäre.»Ein bedauerlicher Zwischenfall, Atlan«,

sagte Orsener zu mir. »Unsere Bereitschaft,den Völkern der Milchstraße einen Dienst zuerweisen, wird dadurch jedoch in keinerWeise beeinträchtigt.« Als Einsatzleiterfühlte er sich verpflichtet, mir das zu sagen.»Für gewöhnlich verhalten sich unsere Wil-lys normal. Ich kann ihre düstere Einsehät-zung der Erfolgsaussichten nicht teilen.«

*

Ein Beiboot der BOX-3187 war für den

Am Ende einer Hoffnung 29

Einsatz umgerüstet worden. Es verfügte übereinen wesentlich verstärkten Ortungsschutzsowie einen 5-D-Indifferenz-Kompensatorneuester Bauweise. Eiser Crawland hatte dasGerät eigens zur Verfügung gestellt; esstammte aus den Fabriken von Camelot undwar für einen der 800-Meter-Raumer derLFT bestimmt gewesen.

»Hoffentlich hast du nicht etwa die Ab-sicht, dich auf ein Gefecht mit Igelschiffeneinzulassen«, wandte ich mich an Orsener.

»Eine reine Vorsichtsmaßnahme«, sagteer. »Wir wollen doch unsere Matten-Willysnicht enttäuschen.«

Er war ein Roboter. Mit einem Plasmazu-satz indes, der ihn in die Lage versetzte, Ge-fühle zu empfinden und Stimmungen zu un-terliegen, die ein Roboter nicht kannte. Des-halb glaubte ich seine Erwiderung nicht. Or-sener dachte nicht an die Willys, für ihnstand meine Sicherheit im Vordergrund.

»Ich nehme am Flug nach Tolk-7 aus ei-genem Willen teil«, sagte ich deshalb.»Niemand muß deshalb auf mich Rücksichtnehmen. Ist das klar?«

»Natürlich«, versetzte Orsener in exaktdemselben Tonfall, in dem er auch mit Nee-po geredet hatte.

Das spöttische Lachen des Extrasinnshielt mich von jeder weiteren Bemerkungab. Es war sinnlos, ich würde es nicht schaf-fen, den Posbi von etwas zu überzeugen,von dem er sich längst seine eigene, ganzpersönliche Meinung gebildet hatte.

Der Start des nur zweiundzwanzig Meterlangen, wie das Mutterschiff ebenfalls grobkastenförmigen Fragmentbeibootes standbevor. Die ohnehin nicht eben geräumigeZentrale glich nach dein Einbau der Zu-satzausrüstung eher einer Abstellkammer.Einzig und allein auf Funktionalität warWert gelegt worden. Ineinander verschlun-gene Leitungsstränge, Kühlschlangen, bis inihr tiefstes Inneres Einblick gewährende Or-tungsaggregate bestimmten das Bild. Ver-kleidungen waren überflüssiger Zierat.

Ich nahm in dem einzigen vorhandenenKontursessel Platz.

Eiser Crawlands Hologramm entstand, fürmich halb von einem Peripheriegerät des5-D-Indifferenz-Kompensators verdeckt.

»In exakt zwei Minuten beginnen viertau-send LFT-Einheiten mit dem Ablenkungs-manöver«, meldete Crawland. »Vorgehennach bewährtem Muster.«

»Achthundert Fragmentraumer greifenTolk-6 an«, fügte Orsener hinzu. »Übertrittin den Hyperraum erfolgt jetzt!«

Ein Schirmsegment hatte die kleine Flotteder Posbis vor dem Hintergrund des Kugel-sternhaufens abgebildet. Winzige dunklePunkte, wie ein Schwarm angriffslustiger In-sekten, so waren die Schiffe aus einiger Di-stanz zu erkennen gewesen. Nun verschwan-den sie pulkweise. Sekunden später erloschdie Bildwiedergabe.

Unser Beiboot löste sich aus dem Hangarund beschleunigte.

»Viel Glück!« wünschte Crawland.Nur eine Wiedergabe blieb. Sie zeigte den

Weltraum vor uns, das düstere Glühen desTucani-Sektors mit seinen Hunderttausen-den alten Sternen. Die verwehenden Ringne-bel ungezählter Novae bewirkten ein Schau-spiel einzigartiger Schönheit, in dem orangebis dunkelrote Farben vorherrschten. Inmanchen Sektoren erschien der Kugelstern-haufen wie ein Mahlstrom verschlungener,sich durchdringender Energie- und Materie-schleier.

Übergangslos stand nur noch das Wogendes Hyperraums auf dem Schirm - um wenigspäter einem lodernden Atomofen Platz zumachen.

*

Mit wahnwitziger Geschwindigkeit rastedas kleine Fragmentbeiboot durch die Koro-na des Zielsterns. Mächtige Protuberanzengriffen nach uns und belasteten die Schirm-felder mit erschreckend hohen Werten. DieStrahlenschauer wurden heftiger, durch-schlugen die Hülle des Beibootes.

Kurskorrektur. Und eine sekundenlangeBeschleunigungsphase. Knapp 50.000 Se-

30 Hubert Haensel

kundenkilometer schnell, entfloh das Bei-boot dem Zugriff des Sonnenriesen.

Wir registrierten heftige Energieausbrü-che nur wenige Lichtminuten entfernt. Allesandere versank im Chaos der Protuberanzen.

Die Passivortung zeigte drei Angriffswel-len der LFT-Flotte. Ihr Sperrfeuer ausschweren Transformkalibern sorgte für einenergetisches Chaos. Wahrscheinlich hättendie Tolkander uns nicht einmal geortet, wä-ren wir mitten zwischen ihren Reihen mate-rialisiert.

Auftauchen … feuern … abdrehen … dieTerraner wagten verdammt viel. Aber sieschafften es, die Abwehrformation der Tol-kander aufzubrechen.

Ich sah einen 800-Meter-Kugelraumeraufglühen und im Ansturm dünner rostfarbe-ner Energiebündel zerplatzen wie eine über-reife Frucht. In dem Moment, in dem mehrals eineinhalbtausend Männer und Frauenstarben, biß ich mir die Lippe blutig. Aberdann lösten die durch den Raum wirbelndenWrackstücke sich scheinbar in nichts auf,und ich erkannte, daß die Tolkander undauch ich von einem Virtuellbildner genarrtworden waren.

Zwei neue Sonnen entstanden, Igelschiffe,die zeitlupenhaft langsam aufplatzten undvon gewaltigen Glutwolken verschlucktwurden. Minutenlang standen die Feuerbälleim Raum über Tolk-7 und wirbelten lang-sam um einen gemeinsamen Schwerpunkt.

Es war nur ein Ausschnitt des Kampfge-schehens, den wir zu sehen bekamen, einsich kegelförmig ausweitender Bereich in-nerhalb unseres Kursvektors. Wo LFT-Schiffe in den Tangle-Scan gerieten, fielendie Besatzungen aus, doch die Syntronikenleiteten jeweils Rückzugsmanöver ein.

Noch eineinhalb Minuten bis zum geplan-ten Eintritt in das Schwerefeld von Tolk-7.Der Bremsschub unserer Impulstriebwerkeverwehte in dem Chaos ringsum. Selbstwenn die Tolkander uns zufällig orteten, wardie Chance groß, daß sie uns für ein treiben-des Wrackteil hielten. Immer vorausgesetzt,sie hatten aus dem Scheinangriff auf Tolk-

17 nicht die richtigen Schlüsse gezogen.Das fällt dir zeitig ein, Barbar, spöttelte

der Extrasinn.Ein 200-Meter-Kreuzer wurde vom Rost-

fraß erfaßt, wie wir die Waffeneinwirkungder Igelschiffe nannten. Das Schiff standknapp eine Lichtsekunde entfernt. In dersyntronischen Animation war deutlich zu er-kennen, wie der Paratronschirm unter demPunktbeschuß mehrerer Igelschiffe zusam-menbrach. Sie feuerten mit allem, was sieaufzubieten hatten, und sie feuerten noch inden sich ausdehnenden Explosionsball hin-ein.

Ich hatte nicht annehmen können, daß dasAblenkungsmanöver ohne Verluste bleibenwürde. Jeder Krieg war grausam und forder-te Blut und Tränen, doch im Kampf gegendie Tolkander waren unsere Tränen längstversiegt. Jeder, der gegen die Invasorenkämpfte, hatte auf die eine oder andere Wei-se schon mit seinem Leben abgeschlossen.

»Zwei Igelschiffe auf Kollisionskurs!«Sie waren verdammt nahe. Zu nahe jeden-

falls für einen Zufall.Die Posbis aktivierten die Zielerfassung,

Speicherenergie wurde für die Geschützebereitgestellt.

Wenn wir schon sterben müssen, nehmenwir noch ein paar von euch mit, schoß esmir durch den Sinn.

Das ist sehr heroisch, lästerte der Extra-sinn.

Ohne jede Vorwarnung überfiel mich dieÜbelkeit, schien sich mein Innerstes nachaußen zu kehren … aber nur für den Bruch-teil eines erschreckten Gedankens, dannblieben lediglich ein Gefühl der Benommen-heit und ein nur zögernd abklingender Druckauf den Schädel. Wir waren in den Bereichdes Tangle-Scans geraten.

Die Posbis zeigten keine Ausfallserschei-nungen.

»Kursabweichung!«Ein Traktorstrahl hatte uns erfaßt, zog das

Fragmentbeiboot auf einen aufgleitendenHangar zu.

Orsener würde feuern. In dem Moment, in

Am Ende einer Hoffnung 31

dem im gegnerischen Schirmfeld eine Struk-turlücke geschaltet wurde, um uns passierenzu lassen. Die Zielerfassung war eindeutigauf den Hangar gerichtet.

Roboter handeln stets effektiv.Davon abgesehen würde uns das explo-

dierende Schiff mit ins Verderben reißen.Die Chance, der Explosionswolke zu ent-

rinnen, ist größer, als gegen zwei Igelschiffeim Kampf zu bestehen.

Alles ging dann wahnsinnig schnell.Ein 800-Meter-Kugelraumer materiali-

sierte hinter den Igelschiffen. Seine Trans-formbreitseiten flammten auf, eine Kettesonnenheller Explosionen verfehlte die Igel-schiffe jedoch um etliche tausend Kilometer.

Die Besatzung des Kugelraumers mußtebereits unter den Auswirkungen des Tangle-Scans leiden. Das bedeutete, daß der Bord-syntron mit dem Kontracomputer des5-D-Indifferenz-Kompensators gekoppeltwar.

Fluchtbeschleunigung wurde eingeleitet.Gleichzeitig erwiderten beide Igelschiffe dasFeuer, ihre Strahlbahnen vereinten sich zuPunktbeschuß.

Der Traktorstrahl erlosch. Zumindest imMoment war das Fragmentbeiboot für dieTolkander unwichtig geworden.

Der Kugelraumer kreuzte nur dreißigtau-send Kilometer voraus unseren Kurs. Ledig-lich Sekundenbruchteile trennten uns vonder Kollision - aber das war etwas, das ichmit meinen Sinnen gar nicht wahrnehmenkonnte, sondern hinterher aus den Speicher-daten erfuhr.

Torpedos explodierten rings um uns. ImOrtungsbild erschien die auseinanderdriften-de Tiümmerwolke, die uns vor den Tolkan-dern schützen sollte. Winzige Sender gau-kelten Masse vor, wo keine war eine minia-turisierte Weiterentwicklung des Virtuell-bildner-Systems, jedoch überaus aufwendigund leider nur von kurzer Lebensdauer.

Unablässig feuernd, folgten die Igelschif-fe dem Kugelraumer. Es mochte Zufall sein,aber auch dem verbesserten Indifferenz-Kompensator zuzuschreiben, jedenfalls wur-

den beide Schiffe von der nächsten Trans-formsalve zerrissen.

Der Raumer der NOVA-Klasse ver-schwand Sekunden später im übergeordne-ten Kontinuum.

Nur noch fünfzigtausend Kilometer überTolle-7.

Wir rasten über die Tagseite hinweg,tauchten in den Schlagschatten der Nachtein. Wir wurden nicht mehr angegriffen,auch nicht, als wir mit mehreren Bremsschü-ben unsere Geschwindigkeit auf ein vertret-bares Maß reduzierten.

Unsere Flugbahn führte über beide Polehinweg und tangierte nur zwei Produktions-stätten der Tolkander.

Das Fragmentbeiboot landete auf derNordhalbkugel des Planeten, in tiefer Nacht.Langgestreckte Hügelketten gaben unsSchutz vor Direktortung, denn immerhin la-gen Anlagen der Tolkander in der ver-gleichsweise lächerlichen Entfernung vonnur wenig mehr als fünfzehn Kilometern.

Tolle-7 war eine uralte Welt, deren Atmo-sphäre sich wohl schon vor sehr langer Zeitverflüchtigt hatte. Die Erosion hatte Ge-birgszüge und Täler weitgehend angegli-chen, aber inzwischen sorgte ein Bombarde-ment aus dem All für erste Krater. In Jahr-millionen würde diese Welt ihr Antlitz völ-lig verändert haben, falls sie bis dahin nichtvon der Sonne verbrannt worden war.

*

Wie oft hast du mich verwünscht, meinFreund, mich als lästig und indiskret emp-funden, aber heute bist du wieder einmalfroh, daß du mich hast.

Ich achtete nicht auf die Bemerkung. Dasleichte, nur schwach wahrnehmbare Ziehenunter der Kopfhaut erschien mir wichtiger.Zweifellos stammte es vom Tangle-Scan,dem wir ausgesetzt waren, aber solange die-ses lästige Gefühl nicht stärker wurde, solange durfte ich mich sicher fühlen.

»Wir sind bereit«, meldete Orsener. »DasSchiff kann versiegelt werden und reagiert

32 Hubert Haensel

künftig auch auf deine Mentalimpulse.«»Wir gehen wie besprochen in zwei Grup-

pen vor«, sagte ich. »Eine leitest du, Orse-ner, die andere übernehme ich. Kontaktauf-nahme nur im äußersten Notfall.«

Unser Ziel war, herauszufinden, was dieTolkander zum Festhalten an ihren unter-schiedlichen Produktionen bewegte, nichtdie planetaren Anlagen zu erkunden, die inihrem Aufbau längst durch die vielfältigenBeobachtungsmöglichkeiten bekannt -waren. Außerdem hatten wir nicht vor, spek-takuläre Sabotageakte zu verüben. Es gingeinzig und allein darum, das Kommunikati-onsnetz der Tolkander anzuzapfen.

Was zu tun war, um zum Erfolg zu gelan-gen, hatte Myles Kantor mir auf den Glie-derschiffen im Brutkosmos vorgeführt. Vorallem deshalb hatte ich mich den Posbis undihrem Unternehmen Tolle-7 angeschlossen.

Ich war zuversichtlich, als ich meinen Fußin den Sand von Tolle-7 setzte.

Der nachtschwarze Himmel zeigte nochferne Explosionen, die Rückzugsgefechteder letzten Flotteneinheiten. Wie viele Ver-luste waren zu beklagen?

Ich schob die Frage weit von mir. Sie hät-te mich nur behindert. Es mag unmenschlichklingen, aber angesichts von Milliarden To-ten innerhalb kürzester Zeit bewegte sichdas Denken allmählich in Dimensionen, indenen Einzelschicksale nur noch statistischzählten. Wäre es nicht so gewesen, ichfürchte, ich hätte über kurz oder lang denVerstand verloren.

Aber die Nachwehen kamen bestimmtnoch. Es würde nicht einfach sein, wiederzur Tagesordnung überzugehen.

Zähflüssig leckte der Sand bis halb übermeine Waden, als ich stehenblieb und erneutzum Zenit aufschaute. Es gab keine winzi-gen Lichtblitze mehr, die von Transformex-plosionen stammten, nur noch die fahlenPartikelschleier des Roten Riesen, die sichbogenförmig über den Nachthimmel spann-ten.

Ich stapfte weiter, hatte bewußt daraufverzichtet, den Antigrau zu aktivieren. Auch

die Posbis quälten sich mehr oder wenigermühsam durch den Sand.

Fahler Lichtschein geisterte über den Ho-rizont. Vom Kamm der nächsten Hügelkup-pe aus sah ich wenig später die Anlage derTolkander vor uns liegen. Obwohl nur einTeil der Produktionsstätten von gleißendenScheinwerfern erhellt wurde, war die Flächegigantisch. Die Invasoren wühlten sich tiefin die Kruste des Planeten. Im Tagebau wur-den Erze und andere bedeutende Rohstoffegewonnen und gereinigt. Alles überflüssigeMaterial wanderte in die Desintegration, diezugleich einen Teil der benötigten Energienlieferte.

Förderanlagen, Bandstraßen, Fabrikati-onshallen … Der SERUN machte es mirleicht, Einzelheiten zu erkennen. Hundertevon Metern tief reichten die Wunden, die dieTolkander dem Planeten zugefügt hatten.

Noch acht Kilometer bis zu den erstenBauwerken.

7.

Zwei Raumer der LFT waren von demAblenkungsmanöver nicht zurückgekom-men. Die Auswertung der Aufzeichnungenanderer Flotteneinheiten ergab, daß sie vonIgelschiffen abgeschossen worden warenund sich innerhalb von Minutenfrist in ex-pandierende Glutbälle verwandelt hatten.Unter diesen Umständen mit Überlebendenzu rechnen war illusorisch, es gab auch kei-ne Anzeichen dafür, daß Rettungskapselnoder gar Beiboote der Vernichtung entkom-men waren.

»Hört denn dieser Wahnsinn nie auf?«Gerines Frage kam aus tiefer Seele. Sie

wußte, wovon sie redete, war sie doch selbstlange Zeit Flottenkommandantin des Kristal-limperiums gewesen. Bis sie sich im Jahre1279 NGZ strikt geweigert hatte, auf einevon den Linguiden initiierte Friedensflottezu schießen - einhundert unbewaffneteSchiffe verschiedener Milchstraßenvölker.

Wegen Feigheit vor dem Feind war siezum Tod verurteilt worden. Heute noch ent-

Am Ende einer Hoffnung 33

sann Gerine sich jeder Einzelheit, wachtemanchmal mitten in der Nacht schweißgeba-det auf und verwünschte die Borniertheitvieler Machthaber. Daß Atlans IPRASA siebefreit hatte, war eine jener Fügungen, dieletztlich den Glauben an eine übergeordneteGerechtigkeit nährten.

Als seiner Stellvertreterin auf der RICOhatte Atlan Gerine zugleich den Befehl überden Gesamtverbund der GILGAMESCHübertragen. Kompetenzschwierigkeiten mitden Kommandanten der anderen Module,auch den drei Unsterblichen an Bord, gab esnicht.

Der Anruf des Oberkommandierenden derLFT-Flotte im Tucani-Sektor, Eiser Craw-land, erreichte Gerine während einer wohl-verdienten Ruhephase. Sie nahm das Ge-spräch in ihrer Kabine entgegen.

»Ich habe leider ungute Neuigkeiten«, be-gann Crawland.

Wie lange mochte er schon nicht mehr ge-schlafen haben? Die tief in den Höhlen ver-sunkenen Augen, die blutunterlaufenen Trä-nensäcke, ja sogar das merkliche Vibrierenin seiner Stimme verrieten der Arkonidin,daß Crawland mit seinen Kräften Raubbautrieb. Wahrscheinlich stand er bereits unterAufputschmitteln, die ihm das trügerischeGefühl unbegrenzter Leistungsfähigkeit ga-ben. Gerine kannte das zu gut: Auch sie hat-te früher den Fehler gemacht, sich für uner-setzlich zu halten - und in gewisser Weisewar das sogar richtig gewesen. Jeder andereFlottenkommandant an ihrer Stelle hätte mitden Linguiden kurzen Prozeß gemacht. Einpaar Stunden mehr Schlaf, und die Besat-zungen von hundert teils altersschwachenRaumern hätten ihr Engagement für denFrieden in einem Inferno mit dem Leben be-zahlt. Dachte Eiser Crawland ähnlich?

Der grauhaarige Raumfahrer schwieg.Atlan! durchzuckte es Gerine plötzlich

siedendheiß. Das Unternehmen Tolk-7 istgescheitert.

Warum schwieg er noch immer?»Atlan ist tot?« stieß die Arkonidin mit

belegter Stimme hervor. »Ist es das, was du

mir sagen willst?«»Nein.« Crawland schüttelte den Kopf.

»Eine Nachricht von Tolk-7 werden wir ersterhalten, sobald für Atlan und die Posbiskeine Entdeckungsgefahr mehr besteht. Daskann Tage dauern.«

Natürlich hatte sie das gewußt. Aber werreagierte derzeit nicht überreizt? Gerade derTucani-Sektor war nach der VernichtungGoeddas ein Pulverfaß, das jeden Augen-blick hochgehen konnte.

»Ich bin froh, daß Schiffe vieler galakti-scher Völker in der gemischten Flotte vertre-ten sind«, sagte Crawland. »Allen Streitig-keiten zum Trotz ergibt sich daraus ein Ge-fühl der Solidarität. Und darauf sind alle bit-ter angewiesen. Aber jetzt bröckelt die ge-meinsame Front.«

Nachdem sie eben noch um Atlans Lebengebangt hatte, erlebte Gerine jäh den zwei-ten Adrenalinstoß.

»Ich nehme an, die Arkoniden tanzen ausder Reihe«, brachte sie tonlos hervor.»Imperator Bostich ist ein Schwein, dem dunicht den Rücken …«

»Es geht um die Blues«, fiel Crawland ihrins Wort. »Genaugenommen um die Apasos.Sie sind mit zweiundzwanzig großen Dis-kusschiffen in der gemischten Flotte vertre-ten.«

»Wenn sich erst ein Volk zurückzieht,werden andere dem Beispiel folgen. Dannstehen wir verdammt schnell vor einemScherbenhaufen.«

»Ich fürchte, so einfach verhält sich dieAngelegenheit nicht einmal.«

Die Arkonidin hob die Augenbrauen. Miteiner knappen Handbewegung streifte sie ihrHaar aus der Stirn. Es war noch naß, der An-ruf hatte sie aus der Hygienezelle geholt.

»Der Kommandant der Apasos stellt For-derungen«, fuhr Crawland fort. »Er verlangtvon den Galaktikern Unterstützung und Bei-stand für sein Volk.«

»Wenn ich mich nicht irre, wurde keineWelt der Apasos in Mitleidenschaft gezo-gen. Mit welcher Begründung fordert derBlue Unterstützung?«

34 Hubert Haensel

Eiser Crawland holte tief Luft -und hieltden Atem an. Langsam schüttelte er denKopf.

»Külehm Düönez« - er hatte hörbare Pro-bleme, den Namen auszusprechen, ohne sichdie Zunge zu verrenken »will mit seinenSchiffen zur Hauptwelt Apas zurückkehren.Er behauptet, von Apas überaus beunruhi-gende Nachrichten bekommen zu haben.« Ineiner Geste der Hilflosigkeit, die seine Wor-te noch dramatischer erscheinen ließ, hob erdie Schultern. »Angeblich soll auf Apas dasKritzelsyndrom ausgebrochen sein.«

Die Arkonidin schnappte nach Luft. Ausschreckgeweiteten Augen starrte sie Craw-lands Abbild an.

»Du hast richtig gehört«, sagte EiserCrawland. »Nur glaube ich nicht ein Wortvon Külehms Behauptungen. Das ist einHirngespinst, erfunden, um Hilfsmaßnah-men zu erschleichen. Das Kritzelphänomenwurden von den Philosophen ausgelöst, unddie sind mitsamt ihrer Großen Mutter tot.Genau das habe ich dem Blue auch deutlichzu verstehen gegeben.«

»Und …?« Gerine konnte sich nicht vor-stellen, daß der Flottenkommandant nur des-halb mit ihr sprechen wollte. Um ihr zu er-zählen, daß ein Blue gewaltige Lügen auf-tischte.

»Külehm Duönez hat geschworen, daß erdie Meldung aus seiner Heimat sehr ernstnimmt. - Er ist besorgt, Gerine. Entwederwurde der Blue selbst Opfer intriganter Ma-chenschaften …«

»Oder?«»… oder hinter dem angeblichen Kritzel-

syndrom steckt mehr.« Crawland begann,auf seiner Unterlippe zu kauen. »Das Un-glaubliche an der Geschichte ist, daß Apasim Pahl-System nicht einmal in der Nähe ei-nes Philosophen lag.«

»Trotzdem hast du dem Blue versprochen,die Angelegenheit zu klären«, vermutete Ge-rine.

»… sie zu untersuchen«, schränkte Craw-land ein. »Ich kann nicht zusehen, wie dieFlotte zerfällt. Außerdem dachte ich, daß

Adams und Kantor sicher der Sache auf denGrund gehen wollen.«

»Du vergißt Dao-Lin-H'ay - Ich rede mitden Aktivatorträgern«, versprach Gerine.»Wie schnell kann der Apaso an Bord derGILGAMESCH kommen?«

»Ich glaube nicht, daß Külehm das will.«»Und ich posaune die erforderliche Unter-

redung nicht in den Hyperraum hinaus. Ent-weder der Blue kommt, oder er kann sichsein angebliches Kritzelphänomen untersFell schieben.«

*

Knapp zwei Stunden später dockte einBlues-Beiboot an. Von vier Soldaten beglei-tet, betrat Külehm Duönez durch einen ener-getischen Tunnel die RICO. Er legte einesichtliche Hektik an den Tag; die Soldatenbetrachteten ein bißchen scheu die RICO.Kein Wunder, waren sie doch die erstenBlues, die ein Modul des legendären Flagg-schiffs der Camelot-Bewegung betraten.

»Ein Königreich für einen Telepathen«,murmelte Homer G. Adams, der mit Myles,Dao-Lin und Gerine zusammenstand undden Blue nicht aus den Augen ließ. Einewinzige Spionsonde zeichnete jede Bewe-gung und jedes Geräusch auf. Die Teller-köpfe redeten nicht, aber irgend etwas an ih-rer Art war anders als für gewöhnlich.

»Sie fürchten sich«, behauptete Dao-Lin-H'ay.

»Vielleicht vor uns. Weil wir ihre Lügenentlarven könnten.«

»Oder doch vor den Philosophen.«»Unsinn. Die sind nur scheu, weil sie

noch nie in einem unserer Schiffe waren.«Die in der galaktischen Eastside beheima-

teten Blues waren reaktionsschnelle, zweck-gerichtet handelnde Intelligenzen. Blues wa-ren schlanke, fast schon grazile Wesen undbis zu zwei Meter groß. Kurze Beine, lange,kräftige Arme und ein dünner, schlauchför-miger Hals, auf dem der runde, aber nurzehn Zentimeter hohe Kopf saß, waren dieHauptmerkmale dieses Volkes. Ihren Namen

Am Ende einer Hoffnung 35

verdankten sie dem von zartem blauem Pelz-flaum bedeckten Körper; lediglich Teller-kopf und Hals waren unbehaart und blaßrosagefärbt.

Külehm Duönez war größer als derDurchschnitt, 2,18 Meter zeigte die Syntron-analyse der Aufnahmen. Ansonsten: keineversteckten Waffen, nur die Strahler, die vonden Soldaten offen getragen wurden.

Die Begegnung der Aktivatorträger mitdem Blues-Kommandanten verlief überra-schend kühl. Der Apaso verzichtete auf denihm angebotenen Sitzplatz.

»Was ich zu sagen habe, ist schnell erle-digt«, stieß er schrill hervor. Die Mundöff-nung, dort gelegen, wo der Hals in denRumpf mündete, brachte Töne nahe dem Ul-traschallbereich hervor. In seiner Erregungvergaß Duönez offensichtlich, daß Men-schen nur innerhalb eines eng eingegrenztenFrequenzbereichs hören konnten. »Es wurdeschon zuviel Zeit nutzlos vergeudet. Vor al-lem bin ich nicht gewohnt, daß man michwie einen niederen Boten von einem Ortzum anderen zitiert.«

»Es gibt Dinge, die natürlich zu klärensind …«

»… die keinen Aufschub dulden, HomerG. Adams«, unterbrach der Blue ungeduldig.»Es ist beschämend für die Liga Freier Ter-raner, daß ihre Befehlshaber unfähig sind,eine dringend notwendige Entscheidungüber den Einsatz von Kampfschiffen zu tref-fen. Ich frage mich bereits, weshalb ich anBord der GILGAMESCH gekommen bin.Wahrscheinlich wird mir auch hier der Bei-stand verweigert.«

»Du bist dir hoffentlich klar darüber, daßdeine Entscheidung, die Schiffe der Apasosaus der Flotte zurückzuziehen, für Unruhesorgt«, warf Gerine ein.

Der Blue bedachte sie mit einer gering-schätzigen Geste.

»Ich verlange nur, was in ähnlicher Situa-tion jedem anderen Volk gewährt würde«,sagte er schrill. »Mein Heimatplanet befin-det sich in der Gewalt eines Philosophen.Also verlange ich militärischen Beistand.

Oder sollten die im Tucani-Sektor versam-melten Flotten nur den Zweck haben, terra-nisches Einflußgebiet vor den Invasoren zuschützen?«

»Du überschreitest die Grenzen der Höf-lichkeit«, protestierte Dao-Lin-H'ay.

»Laß ihn!« Beschwichtigend legte MylesKantor seine Hand auf den Arm der Karta-nin. »Ich will Duönez zugute halten, daß erwirklich an eine Gefahr auf seiner Heimat-welt glaubt.«

»Das Kritzelsyndrom ist nachweisbar.Wir Apasos benötigen weitere Kampfschif-fe, um den Philosophen zu stellen und Apaszu evakuieren.«

»Alle Philosophen wurden zusammen mitder Großen Mutter der Krieger vernichtet«,sagte Adams.

»Dann hat eine dieser Kreaturen überlebt.Willst du euer Versagen vertuschen, nach-dem schon ausgiebig triumphiert wurde?«

Adams zögerte. Aber im nächsten Mo-ment schaute er zu dem Blue auf.

»Du verfügst über zweiundzwanzigkampfstarke Diskusraumer, Külehm Duö-nez«, sagte er. »Wie viele Einheiten willstdu darüber hinaus abziehen? Das ist ausge-schlossen. Wir brauchen jedes einzelneSchiff, sobald die Tolkander versuchen wer-den, die Galacds in Schutt und Asche zu le-gen.«

»Terraner!« Verächtlich stieß der Bluedas Wort hervor. Auf dem Absatz wandte ersich um, befahl seinen Soldaten, die GIL-GAMESCH zu verlassen.

»Warte!« rief Adams hinter ihm her. »Ichhabe nicht gesagt, daß ich den Apasos Un-terstützung verweigere.«

»Servo, das Schott nicht öffnen!« befahlDao-Lin-H'ay.

Ein helles Zirpen, fast schon im Ultra-schallbereich. Die Blues brachten ihre Waf-fen in Anschlag.

Besänftigend hob Dao-Lin die Arme. Sieging kein Risiko ein, wußte, daß der Servoin Gedankenschnelle ein Schirmfeld inner-halb des Raumes aufbauen würde. Selbstwenn die Tellerköpfe die Nerven verloren

36 Hubert Haensel

und ihre Blaster abfeuerten, bestand keineunmittelbare Gefahr.

»Zwingt mich nicht, um Apas zu kämp-fen«, warnte der Blue. »Ich werde es tun.«

»Du hast um Beistand gebeten, du erhältstden gewünschten Beistand«, sagte Dao-Lin-H'ay, »Myles Kantor und ich werdendich begleiten. Das ist es, was Homer G.Adams dir klarmachen wollte.«

»Was soll das? Zwei Aktivatorträger anStelle einer Flotte …«

»Willst du den Philosophen mit Trans-formgeschützen bekämpfen? Apas wird aus-einanderbrechen, wenn du das tust.«

»Eine Kartanin und ein terranischer Wis-senschaftler.« Duönez legte den Tellerkopfschräg und musterte die beiden aus allenvier Augen gleichzeitig. »Glaubt ihr wirk-lich, die Völker der Blues hätten keineKämpfer und keine hervorragenden Wissen-schaftler hervorgebracht?«

»Aber keiner war dabei, als Goedda unddie Philosophen vernichtet wurden.«

Das war das einzige Argument, dem sichder Blue nicht widersetzen konnte.

*

Mehr als 80.000 Lichtjahre lagen zwi-schen 47 Tucani und der Sonne Pahl in derEastside. Als das GILGAMESCHModulENZA mit Myles Kantor und Dao-Lin-H'aymehrere Lichtminuten außerhalb der Um-laufbahn des vierten Planeten den Hyper-raum verließ, näherte sich der 23. Juli 1289NGZ seinem Ende.

Die ENZA flog im Konvoi mit den zwei-undzwanzig Diskusschiffen; zur besserenAbstimmung der Flugdaten waren die Syn-trons aller Schiffe im Verbund zusammen-geschaltet.

Die ENZA war Myles Kantors Raum-schiff, er hatte es nach seiner Mutter EnzaMansoor benannt. Vornehmlich Wissen-schaftler bildeten die Stammbesatzung,neunzig Männer und Frauen, die überwie-gend aus dem Forschungszentrum Titanstammten. Beste Voraussetzungen also, um

rasch Aufklärung über die Verhältnisse aufApas zu erlangen.

Vom ersten Augenblick nach dem Rück-sturz der Schiffe in das Einsteinkontinuumarbeitete der Hyperraum-Resonator. Aber inden fünfunddreißig Minuten bis zur Lan-dung eines Beibootes auf dem Raumhafenvon Puhit, der Hauptstadt des Planeten undzugleich Regierungssitz, registrierte AttacaMeganon nicht den Hauch einer Verände-rung des fünfdimensionalen Gefüges.

»Es gibt keine Hinweise auf das Wirkeneines Philosophen«, stellte der Wissen-schaftliche Leiter unumwunden fest. Undgenau das sagte er auch zu Külehm Duönez,der allerdings weitaus gelassener reagierteals noch wenige Stunden zuvor.

»Du wirst die Wahrheit erkennen, Terra-ner«, sagte Duönez. »Aber bete zu deinenGöttern, daß es nicht zu spät ist.«

Die Blues reagierten zunehmend aggressi-ver. Niemand durfte die 30-Meter-Space-Jetverlassen, die von starken Traktorstrahlenauf dem Landefeld festgehalten wurde. Je-doch behinderten die Blues den Funkverkehrzum Mutterschiff in keiner Weise. Mylesund Dao-Lin erfuhren, daß der Hyperraum-Resonator weiterhin keine relevanten Datenlieferte.

Dann kam Gorrü Yanzap an Bord, einMann, der den Aktivatorträgern vom erstenMoment an unsympathisch war. Das lag we-niger an Yanzaps Äußerem als an seiner Art.Er war arrogant und überheblich und ganzgewiß kein Freund des galaktischen Gedan-kens.

»Ist das alles?« herrschte er Myles Kantoran. »Zwei Menschen, nein: ein Mensch undeine Kartanin, aber niemand, der in der Lagewäre, uns wirklich zu helfen. Ich weiß, daßihr Goedda getötet habt. Und angeblich auchdie Philosophen. Aber ihr habt stümperhafteArbeit geleistet. - Ich werde es euch bewei-sen«, stieß er hastig hervor, als Myles Kan-tor zu einem Einwand ansetzte.

Külehm Duönez nannte Gorrü Yanzapden Sachbearbeiter und zugleich Chef derKriseninterventionszentrale, was immer sich

Am Ende einer Hoffnung 37

hinter dieser hochtrabenden Bezeichnungverbarg.

»Eine Flotte habe ich verlangt«, keuchteYanzap, »eine Flotte, um den Gegner mitHaut und Haar auszurotten. Aber was be-kommen wir?«

Myles Kantor wischte sich seine langeblonde Haarsträhne aus der Stirn. Dann tipp-te er den Sachbearbeiter mit zwei Fingernan.

»Hör mir zu, mein Freund.« Wiederrammte er dem Blue Zeige- und Mittelfingerseiner rechten Hand in die Magengegend.»Ich bin nicht hier, um mich beleidigen zulassen. Ihr habt ein Problem gut. Ihr könntdas Problem nicht aus eigener Kraft lösen -weniger gut.«

Zum drittenmal stieß er zu. Yanzap warso verblüfft, daß er völlig vergaß, sich gegenden kleineren Wissenschaftler zur Wehr zusetzen; er machte einen Schritt zurück, dannnoch einen.

»Und nun schreib dir genau in die Gehör-gänge, was ich jetzt sage, denn ich wieder-hole es kein zweites Mal: Von meinem Ur-teil und von dem meiner Begleiterin und vonunserer Einschätzung der Lage hängt es ab,ob die Apasos Unterstützung von den Alli-ierten bekommen oder nicht. Und nun willich einen Beweis sehen, Yanzap, oder ichmuß davon ausgehen, daß die Apasos Opferihrer eigenen übersteigerten Vorstellungs-kraft geworden sind.«

Das half. Zumindest vorübergehend. DerChef der Kriseninterventionszentrale gabsich plötzlich Mühe. Er brachte Myles Kan-tor und Dao-Lin-H'ay zu einem abseits gele-genen Raumhafengebäude. Die Sicherheits-vorkehrungen waren gewiß nicht alltäglich,auch nicht die bewaffneten Uniformiertenim Inneren des Gebäudes.

Eine Transmitterhalle- »Das Empfangsge-rät steht außerhalb der Millionenstadt Raba-ka. Der Transmitter ist Überbleibsel der er-sten Evakuierung und stellt vorerst noch dieschnellste Verbindung nach Rabaka dar. Wirwerden das Gerät vernichten, sobald derPhilosoph seinen Einfluß weiter ausdehnt.«

Was sie sahen und hörten, wurde aufge-zeichnet und an die ENZA übermittelt. Gor-rü Yanzap duldete die Aufnahmen, nachdemauch die Kartanin ihm erklärt hatte, daß My-les Kantor und sie die einzigen sein würden,die über Unterstützung für Apas entschie-den. Und obwohl es vielleicht seinem We-sen entsprochen hätte, versuchte er nicht,Zugeständnisse aus ihnen herauszupressen.Er hatte verstanden, daß er sich mit solchenMethoden nur selbst in Bedrängnis brachte.

Der Empfangstransmitter war ein trans-portables Gerät und war umringt von schwe-rer Artillerie. Auf den ersten Blick unver-kennbar, daß Militäreinheiten nicht nur indiesem Bereich Stellung bezogen hatten,sondern in regelmäßigen Abständen ringsum die Millionenstadt Rabaka, deren Aus-dehnung im fahlen Morgenlicht nicht zuüberblicken war.

Das Waffenarsenal würde ausreichen, umRabaka mehr als einmal dem Boden gleich-zumachen.

»Mit Raumschiffsgeschützen wäre dasgleiche Ziel effektiver zu erreichen«, be-merkte Dao-Lin-H'ay. Die Ironie in ihrenWorten blieb dem Blue verborgen.

»Dann würden die Abwehrstellungen in-nerhalb der Stadt ebenfalls feuern«, antwor-tete er. »Wir haben keine Möglichkeit mehr,sie zu desaktivieren.«

Die Kartanin glaubte, sich verhört zu ha-ben.

»Du willst sagen, du würdest wirklichnicht zögern, die Stadt zu beschießen unddabei Millionen deines Volkes zu töten?«fragte sie.

»Warum sollte ich zögern?« erkundigtesich der Sachbearbeiter irritiert. Für ihn wardas alles nur ein Zahlenspiel, nicht mehr.Einzelschicksale zählten wenig.

»Wir wissen, was auf Terra und den ande-ren Welten geschah, auf denen Philosophenerschienen«, sagte er schrill. »Wir haben dieAufnahmen von Kreise zeichnenden Galak-tikern gesehen, und wir haben gesehen, wieviele sich selbst töteten, um Goedda nahe zusein. Wenn sich auf Apas ein Philosoph ein-

38 Hubert Haensel

genistet hat, werden wir lieber Hunderttau-sende unseres Volkes opfern, als Milliardenwissentlich zu gefährden. Du hältst das ausdeiner Sicht für verwerflich, aber was istdaran zu beanstanden? Die Betroffenen wür-den ohnehin sterben, ob sie das einige Wo-chen eher oder später tun, spielt keine Rolle.Wir ersparen ihnen nur einen lang anhalten-den Schrecken.«

»Du sprichst von Lebewesen, von den-kenden, fühlenden Intelligenzen, nicht vonZahlen«, protestierte die Kartanin.

»Ich weiß«, sagte der Blue. »Eben deswe-gen.«

»Hört auf!« Myles Kantor drehte sich ein-mal um die eigene Achse und deutete ankla-gend auf die schweren Geschütze; überwie-gend Raketenabschußbasen. »Das alles hierist unnötig, weil die Philosophen tot sind. Esgibt -sie -nicht -mehr, Gorrü Yanzap.«

»Wer garantiert, daß nicht doch ein Philo-soph überlebt und sich ausgerechnet nachApas gerettet hat? - Du schweigst, Terraner,das bedeutet, du bist dir nicht sicher. - Esheißt, Menschen glauben nur, wovon siesich mit eigenen Augen überzeugen können.Dann will ich dir etwas zeigen. Der Kartaninauch. Danach bildet euch endlich ein Urteil.Wenn es euch ernst ist mit dem Geschwätzüber Leben und Tod, zögert nicht länger.Sonst liegt die Verantwortung bei euch. Ichgebe den Befehl, Rabaka zu beschießen.«

*

Der Geschützstand war aus Formenergie-feldern errichtet, ein bis auf die notwendigeAusrüstung kahler Raum, in dem acht Bluessich beinahe gegenseitig auf die Füße traten.Es wurde eng, als der Chef der Kriseninter-ventionszentrale und seine Begleiter eben-falls den Leitstand betraten. Yanzapscheuchte kurzerhand drei Blues nach drau-ßen.

Den Datenträger, den er in einen Projek-tor legte, hatte er aus einer Tasche seinerUniform hervorgeholt. Myles war sicher,daß der Blue den Chip schon an Bord der

Space-Jet bei sich getragen hatte. Wenn essich tatsächlich um einen unwiderlegbarenBeweis handelte blieb die Frage, weshalbYanzap die Aufzeichnungen nicht sofort ab-gespielt hatte.

Die Aufnahmen stammten von einerSpinnsonde, die nicht retuschierten Einblen-dungen über Entfernung, Größenrelationenund andere ließen nur diesen Schluß zu. Dasbedeutete zugleich, daß sie zu einem Zeit-punkt erstellt worden waren, als symptom-freie Apasos-Blues schon nicht mehr gewagthatten, die Stadt zu betreten.

Verlassene Straßen bestimmten das Bild.Der Nahverkehr war zusammengebrochen.Leer spannten sich die gläsernen Antigrav-schächte und Transportbänder zwischen denhimmelstürmenden Bauten.

Ein Vogelschwarm flatterte in die Höhe,aufgeschreckt von einem Robottaxi, das sei-ner programmierten Route folgte. KeineFahrgäste stiegen zu. Der Steuersyntron er-kannte vielleicht die Sinnlosigkeit seinesEinsatzes, aber er war nicht in der Lage, dieFahrt eigenständig zu beenden.

Aus dem Schatten sich spiralig in schwin-delnde Höhe reckender Gebäude schwebtedie Sonde ins gleißende Sonnenlicht. Pahlwar eine große rote Sonne, die rötliche Fär-bung des Himmels verlich der Szenerieeinen surrealen Anstrich, als zeichne ein Ak-tionskünstler, für dieses ausgedehnte Stille-ben verantwortlich.

Der Bildausschnitt wechselte, die Wan-dung einer Transportröhre sprang den Beob-achtern entgegen. Aber nicht die sich ver-zerrt spiegelnde Skyline war gemeint, son-dern die mit Leuchtfarbe aufgesprühtenGraffiti. Keine Schriftzeichen, auch keine inder Symbolschrift der Blues, sondern wirresZeug, Linien, geometrische Muster.

Das Datum bewies, daß die Aufnahmenzwei Tage alt waren.

»Mehr als hunderttausend Bewohner wa-ren bereits betroffen«, sagte der Sachbear-beiter.

Gestellte Aufnahmen? Vielleicht. Aberwieso?

Am Ende einer Hoffnung 39

»Ich möchte Aufnahmen sehen, die vordiesem Zeitpunkt gespeichert wurden«, for-derte Dao-Lin-H'ay »Es gibt keine«, behaup-tete der Blue. »Als auffiel, daß in dem amdichtesten besiedelten Stadtteil der Kritzel-wahn ausgebrochen war, schickten wir nurnoch die Sonden aus.«

Ein Widerspruch? Nicht zwangsläufig.Auch nicht bei einem Volk, das so dicht ge-drängt lebte wie die Blues. Wer wirklichvom Kritzelwahn befallen war, der sah undhörte nicht mehr, was um ihn herum vor-ging, der widmete sich nur noch seinen bi-zarren Zeichnungen, und das änderte sicherst in dem Moment, in dem er aus eigenerKraft den Kreis entdeckte, den Kreis, dersich in Goedda und dem Brutkosmos schloß.

Aber weder Goedda noch ihre Blase imHyperraum mit dem Abbild von Planeten-landschaften existierten mehr.

Die Spionsonde bahnte sich ihren Wegdurch einen Lüftungsschacht. Der Raum, indem sie das Leitungssystem verließ, war dasÄquivalent eines terranischen Wohnzim-mers, eine Glasfassade mit atemberauben-dem Blick über die Stadt. Siebzehn Teller-köpfe standen, saßen oder lagen herum undwidmeten sich ihren Schmierereien. DieWände waren längst zu einem psychedeli-schen Farbenmeer geworden, ebenso derhauchdünne Bildschirm des Kommunikati-onsnetzes. Auf Folien wurde gekritzelt undmit den Programmen einer veralteten Haus-haltssyntronik, deren optische Ausgabe einkugelförmiges Hologramm gestaltete.

Siebzehn Blues - das war eine relativ nor-male Familie. Immerhin betrug die Tragezeitder weiblichen Blues nur drei Monate, undbei jeder Geburt kamen mehrere Kinder zurWelt.

»Wir wurden spät aufmerksam«, gestandGorrü Yanzap zerknirscht. »Das liegt an denBeschwichtigungsversuchen der Terraner.Jeder behauptet, die Gefahr sei zu Ende …«

»Sie ist zu Ende!« sagte Dao-Lin.»Und wofür hältst du das?«Vierzehn Finger umklammerten den lin-

ken Oberarm der Kartanin und bohrten sich

schmerzhaft in ihre Muskeln. Der Blue zerr-te sie nach vorne, stieß sie fast mit dem Ge-sicht auf das Hologramm.

»Sieh es dir an!« Yanzap war am Endeseiner Beherrschung angelangt, und Dao-Linmußte sich eingestehen, daß ihr das Bild derteilweise sogar mit beiden Händen kritzeln-den Blues an die Nieren ging. Deshalb wehr-te sie sich auch nicht gegen Yanzaps hartenGriff.

»Sieh hin!« stieß er erregt hervor, und siespürte sein Zittern. Yanzap war entweder einguter Schauspieler, oder er war wirklichüberzeugt davon, daß ein Philosoph ausge-rechnet Apas heimgesucht hatte. »Das warvor zwei Tagen. Obwohl wir sofort mit derEvakuierung begannen, wurden inzwischenweitere hunderttausend Bewohner vomWahnsinn befallen. Drei Viertel der Stadtsind verwaist, trotzdem wissen wir nicht, obwir die Ausbreitung unter Kontrolle bringenkonnten.«

Die Bildwiedergabe wechselte nun rasch,nicht aber die Aussage. Die Blues kritzeltenwie kleine Kinder - Linien, geometrische Fi-guren, undefinierbares Zeug. Nichts anderestaten sie, das Kritzeln war ihr Lebensinhaltgeworden.

Fast genauso war es bei den Menschenauf der Erde gewesen.

Und auf Olymp … Auch auf Topsid …Und … und … und … Zweiundfünfzig Bei-spiele gab es, erschreckende Vorbilder. DieAufzeichnungen waren von den galaktischenNachrichtendiensten bis in den abgelegen-sten Seitenarm der Milchstraße verbreitetworden.

Doch genau deshalb konnte und wollteMyles Kantor nicht glauben, daß wirklichein Philosoph für das Kritzelphänomen aufApas verantwortlich sein sollte. Zu intrigantwar das politische Spiel verschiedenerMächte, zu leicht die Möglichkeit für Mani-pulationen.

Andererseits waren Myles und Dao-Linerschüttert. Wenn das alles wirklich wahrsein sollte …

»Es muß eine andere Erklärung geben, ei-

40 Hubert Haensel

ne, die so naheliegend ist, daß wir fast schondarüber stolpern«, kam es schwer über seineLippen. »Die Philosophen können GoeddasTod nicht überlebt haben.«

Endlich befreite Dao-Lin-H'ay sich vonden siebenfingrigen Händen, die noch im-mer ihren Arm umklammert hielten.

»Es ist zu früh für ein endgültiges Urteil«,sagte sie. »Vermutlich hast du keine Ein-wände, Gorrü Yanzap, wenn ich vor Ortnach der Ursache für den Kritzelwahn su-che. Danach werden wir sehen, welcher Artunsere Hilfe für dein Volk sein muß.«

»Du wirst ebenfalls zu kritzeln anfangen«,warnte der Sachbearbeiter. »Und erwartenicht, daß ich dich begleite.«

»Natürlich nicht«, versetzte die Kartaninspöttisch. »Das Spiel ist altbekannt. Wir sindgut genug, um die Kastanien aus dem Feuerzu holen, ansonsten werden wir wegen unse-res Erfolgs beneidet und verwünscht. - Alsovorwärts, Yanzap, ich lasse den Philosophenungern warten.«

8.Bericht Atlan

Die Anlage der Tolkander war von einemenergetischen Smog überzogen, der De-tailortungen nur -mit empfindlichen Präzisi-onsinstrumenten zuließ. Die Invasoren fühl-ten sich sicher auf ihrer Welt wen hätten sieim Schutz von Tangle-Scan und Igelschiffenauch fürchten sollen?

Während ich für meine Gruppe den gerad-linigen Weg wählte, schlugen Orsener undseine Posbis einen weiten Bogen, um aus derentgegengesetzten Richtung vorzudringen.Die Ausdehnung des Komplexes ließ unsereAufsplitterung geraten er-, scheinen.

Zwei Sterne zogen über das rötlich-schwarze Firmament. Sie wurden größer,schienen dann hoch über uns zu verharren.

Erst die Ortung zeigte mir, was da auf unszukam: Igelschiffe.

Mit meinen Posbis verständigte ich michüber Funk mit einer Reichweite von weni-gen hundert Metern. Ich forderte sie auf, ih-

re Emissionen auf ein Mindestmaß zu redu-zieren und sich lediglich aufs Beobachten zubeschränken.

Sie gruben sich im Sand ein. Innerhalbweniger Augenblicke ragten nur noch ihreoptischen Sensoren über den angehäuftenSand hinaus. Ich schaufelte mir ebenfalls ei-ne flache Mulde.

Die Igelschiffe verharrten in fünfhundertMetern Höhe - drohend wirkende, fremdarti-ge Kolosse. Die Lichtflut aus der Anlagezeigte das olivgrün schillernde Metall inblendenden Reflexen, zugleich spiegeltendie oberen Rumpfsegmente ein stärker wer-dendes rotes Flackern. Tolk-7 näherte sichauf seiner Umlaufbahn einem schwachenPartikelstrom, den der dunkle Begleiter demZentralgestirn entrissen hatte.

Die Schiffe nahmen Fracht auf. Im Be-reich eines Leitstrahls schwebten mächtigeAggregatblöcke in die Hangars.

Eine halbe Stunde dauerte der Ladevor-gang. Vergeblich hoffte ich, daß die Schiffegleich darauf wieder verschwinden würden.Sie taten es nicht. Im Gegenteil. Eines drif-tete langsam in unsere Richtung.

Der SERUN hatte keine auftreffenden Or-tungsimpulse registriert, aber die Tolkandermochten durchaus über andere effektive Me-thoden verfügen, um Eindringlinge aufzu-spüren.

Bedrohlich schwebte das Igelschiff heran.»Die Waffensysteme wurden soeben akti-

viert«, wisperte der Servo.Ich biß die Zähne zusammen, unterdrück-

te nur mühsam den Impuls, aufzuspringenund blindlings davonzuhetzen. Der Druck inmeinem Schädel wurde schier unerträglich.

Narr! kommentierte der Extrasinn.Glaubst du wirklich, du würdest weiter kom-men als nur wenige Meter?

Zwei Geschütze am Bug, zwei am Heck,je eines an jeder Flanke. Das war keine be-sonders große Bestückung, doch die abge-strahlten Energiebündel besaßen eine un-glaublich hohe Kapazität:

Vorübergehend ließ ich mich ablenken.Ein Posbi teilte mir mit, daß er den Funkver-

Am Ende einer Hoffnung 41

kehr zwischen den beiden Schiffen und derStation abgehört und ausgewertet hatte.

»… es geht um den Schutz der Anlage.Die Tolkander …«

»Abschalten!«Höchstens dreihundert Meter hoch näher-

te sich das Igelschiff unserem Standort. ImHelmdisplay konnte ich Einzelheiten erken-nen, die mich glauben ließen, ich brauchtenur die Hand auszustrecken, um das gegne-rische Schiff zu berühren.

Ein blutrotes Lodern sprang mich an, ließmich instinktiv zusammenzucken. Das warein Fluchtreflex, den selbst der Extrasinnnicht unterdrücken konnte.

Kein Beschuß. Der SERUN hat die De-fensivvorrichtungen nicht aktiviert.

Wie Nebelschwaden trieb das Lodernüber die Sandwüste, unstet, flackernd, ge-heimnisvoll. Im einen Moment als filigranerSchemen, im nächsten schon massiv, alleserstickend wie eine Feuerwolke, die sich ausdem All herabsenkte.

Die Sonnenpartikel! Auf seiner Bahn umdas Doppelgestirn passierte Tolk-7 mehrfachden feinen Materieschleier, den die beidenSonnen weit ins System hinauskatapultier-ten. Der verstärkte Strahlungsschauer wurdevom SERUN mühelos absorbiert.

Ich spürte eine Sandwoge über mich hin-wegfluten. Gleichzeitig wurde ich herumge-wirbelt; ich überschlug mich und versuchtevergeblich, den Sturz abzufangen. Der Un-tergrund war in zuckende, unkontrollierteBewegung geraten, und immer noch peitsch-ten Unmengen von Sand heran, als sollte ichlebendigen Leibes begraben werden. Einzigder Lagestabilisation verdankte ich es, daßich nicht völlig die Orientierung verlor, daßOben und Unten in dem eine Ewigkeit wäh-renden Chaos ihre Bedeutung behielten.

Zehn Sekunden, Barbar, kommentierteder Extrasinn. Das ist keine Ewigkeit.

Abermals eine Bebenwelle, schwächer je-doch als zuvor. Diesmal schaffte ich es,mich auf allen vieren abzufangen.

Trotz der Beeinträchtigung durch denSandsturm sah ich ein mächtiges Etwas aus

dem Boden emporwachsen, ein Stamm,mehrfach mannsdick und in Segmente unter-teilt, umgeben von peitschenden Trieben -oder Nesselfäden? - und immer noch größerwerdend. Egal ob Pflanze oder Tier oderwas auch immer, dieses Ding wuchs in denluftleeren Himmel über Tolk-7 …

Rostfarbene Energiestrahlen zuckten ausder Höhe herab, hüllten dieses Gebilde einund verbrannten es in einem grellen Auflo-dern. Die Geschütze der Igelschiffe zeichne-ten glühende Muster in den Sand.

Eine zweite Feuerlohe und zu meinerRechten, kaum mehr als dreihundert Meterentfernt, die nächste.

Ringsum wuchsen die seltsamen Gebildeaus dem Boden - und verglühten im Be-schuß der Tolkander.

Vor mir brach der Boden auf, Fangarmepeitschten heran und wickelten sich um mei-ne Beine. Ich wurde von einer unwidersteh-lichen Kraft in die Höhe gezerrt, aber immernoch galt mein Befehl zur Desaktivierungdes Paratronschirms, andernfalls hätte dasDing mich nicht so leicht erwischt.

Das Vibratormesser gehörte zur Standard-ausrüstung des SERUNS. Ich spürte einenunglaublich massiven Widerstand, als ichmit der doppelschneidigen Klinge zustieß,und fast wäre mir die Waffe aus der Handgeprellt worden, aber ich hackte mit derKraft der Verzweiflung drauflos.

Ein mörderischer Hieb schleuderte michzurück, ich überschlug mich, prallte auf undrollte mich instinktiv zur Seite. Was immerdieses Ding war, ich hatte es offensichtlichirritiert.

Noch während ich das weiter wachsendeGebilde anstarrte, wurde es vom Rostfraßder Tolkander zerfetzt. Die Waffenstrahlenhuschten durch den Sand, hinterließen glut-flüssige, ineinander verlaufende Lachen.

Viel zu spät für eine aussichtsreicheFlucht. Eines der rostfarbenen Energiebün-del raste auf mich zu …

… und erlosch, fünf Meter, bevor es micherreicht hätte.

Meine Kehle war wie zugeschnürt, ich

42 Hubert Haensel

rang nach Atem und hörte das Schimpfendes Extrasinns. Ich ließ mich in den Sandsinken und starrte hinauf zu dem Igelschiff,dessen Besatzung mich offensichtlich nichtbemerkt hatte. Es drehte ab, zum Glücknicht in die Richtung des Fragmentbeiboo-tes, seine Waffenstrahlen schlugen weiterdraußen in der Wüste ein.

Erst kam nur ein dumpfes, heiseres Hu-sten über meine Lippen, dann begann ich zu-lachen.

Barbar. Drehst du völlig durch?Ich lachte, bis mir Tränen in die Augen-

winkel traten. Es tat gut zu wissen, daß auchder ach so logisch denkende Extrasinn Angsthaben konnte. Anders war sein Schimpfennicht zu erklären.

Sein anschließendes Schweigen verrietmir, daß ich recht hatte.

Die Igelschiffe gerieten wieder in meinBlickfeld. Mit flammenden Triebwerkenverschwanden sie zwischen den Sternen.

Alles war wie zuvor. Tolk-7 hatte denPartikelstrom durchquert, denn der rote Ne-bel löste sich auf.

Ein Wispern erklang in meinem Helm-empfänger. Murgor war der Name des Pos-bis, der einem miniaturisierten Marschiere-Viel glich; er war nicht länger als einen Me-ter zwanzig bei sechzig Zentimeter Breite,bewegte sich auf einer Vielzahl von Beinen,und an seinem Körperende ragte ein Anten-nenbündel in die Höhe. Murgor war dafürgeschaffen worden, Funkverbindungen aus-zuspähen.

»Es besteht keine Gefahr mehr, Atlan, wirkönnen nicht belauscht werden«, ließ ermich wissen. »Die Igelschiffe haben fertigeGeräte für die Erzeugung des Tangle-Scansan Bord genommen. Aber das war nicht ihreeinzige Aufgabe. Die Pflanzen - es handeltsich um mutierte Pflanzen, die durch denPartikelstrom aus ihrer unterirdischen Starregeweckt werden - stellen eine latente Bedro-hung für die Station dar. Deshalb werden dieSchiffe wiederkommen und den Beschußwiederholen, sobald Tolk-7 erneut in einenAusläufer der Sonnenmaterie gerät. Nach

meiner Feststellung wird das in dreizehn Ta-gen und acht Stunden der Fall sein.«

»Hast du den Wert berechnet?«»Der Gazkar-Kommandant an Bord eines

Igelschiffes nannte ihn. Er sprach auch da-von, daß er zu diesem Zeitpunkt weitereTangle-Scan-Projektoren abholen würde.«

Also dachten die Invasoren nicht daran,47 Tucani zu räumen. Mich interessiertenicht die Herkunft der Sandflora, mich inter-essierten nur die Antworten auf all die bren-nenden Fragen, die mich auf diese Welt ge-führt hatten.

»Tolk-7 heißt bei den Tolkandern Bren-Nach-Un-Kat«, fuhr Murgor fort.»Kommandant ist ein Chaeroder namensUnkeer, ihm unterstehen siebzehn weitereChaeroder, die über alle Produktionsstättenverteilt sind.«

»Tamris ist tot«, mischte sich eine zweiteStimme ein. »Einer der Stämme hat ihn mitin die Höhe gerissen, dann wurde er von denWaffenstrahlen aufgelöst. Er starb für unsalle, weil er sich scheute, sein Schirmfeld zuaktivieren.«

»Sein Matten-Willy wird die Nachrichtnicht überleben. Duop war schon immer be-sonders feinfühlig.«

»Duop wird es eines Tages verstehen …«»Es geht weiter«, warf ich ein. »Wir ha-

ben eine Aufgabe zu erfüllen.«

*

Die Sonne ging auf. Wie ein feuerspeien-der Dämon hing der Rote Riese kurz daraufüber dem Horizont, sein dunkler Begleiterwar mit dem bloßen Auge gar nicht zu loka-lisieren, sondern nur mit der Spezialoptikdes SERUNS.

Im Schutz der Deflektorfelder bewegtenwir uns entlang den ausgedehnten Tagebau-gruben. Desintegratorfräsen wühlten sich indie Kruste des Planeten und legten die Erz-vorkommen millimetergenau frei. Ich ent-deckte lediglich zwei Physander, die Kon-trollen vornahmen. Diese zweieinhalb Metergroßen Wesen, die aussahen wie eine Mi-

Am Ende einer Hoffnung 43

schung aus den käferähnlichen Gazkar undirdischen Ameisen, wurden auch als dieWahren Ingenieure bezeichnet. Bei ihremAnblick fühlte ich mich an die Cantaro erin-nert, die ebenfalls eng mit einem unrühmli-chen Kapitel der Milchstraßengeschichte zu-sammenhingen; sie waren Cyborgs.

Sicherheitsvorkehrungen existierten nicht,die Invasoren fühlten sich sicher die vomPosbi Relebo auf Tolk-17 zur Detonationgebrachten Mikrobomben hatten offensicht-lich kein Umdenken bewirkt.

Es gab keine Schotten oder Schleusen, diedie Gebäude vom Vakuum des Planeten ge-trennt hätten, dies wäre auch der Produktionhinderlich gewesen. Lediglich Energiefel-der, für feste Materie mühelos zu durchdrin-gen, hinderten die Atmosphäre innerhalb derAnlage am Entweichen.

Wir betraten eine Halle, die der Reini-gung und dem Schmelzen der gefördertenErze diente. Roboter überwachten die Vor-gänge, sie verrichteten stur ihre Tätigkeitund schienen nicht einmal über Ortungsein-richtungen zu verfügen, mit deren Hilfe sieuns hätten entdecken können.

Die Frequenz, auf der sich die Roboterverständigten, war eine der gebräuchlichenFrequenzen, nichts, was dem Pikosyn mei-nes SERUNS oder den Posbis Schwierigkei-ten bereitet hätte. Aber auch die Kommuni-kation der Maschinen bewegte sich auf die-sem Niveau: schlichte Arbeitsanweisungen,Qualitätsberichte, nichts sonst.

Die Posbis zapften Datenleitungen an,doch sie waren für uns uninteressant. Esging um Fertigungsprogramme und Förder-mengen - nirgendwo ein Hinweis darauf,daß die Tolkander mit dem Gedanken spiel-ten, die Produktion einzustellen.

Schon nach den ersten Stunden schienfestzustehen, daß die Tolkander das nie inErwägung gezogen hatten.

Murgor, der Marschiere-Viel-Posbi, hatteGlück, als er sich in einem Fertigungs-Kontrollzentrum in die Kommunikation ein-klinkte. Anfangs sah es so aus, als hätte erwieder nur die üblichen Anweisungen erwi-

scht, die von Physandern an die Arbeitsma-schinen weitergegeben wurden, aber dannfiel endlich ein Name, der aufhorchen ließ:Der Chaeroder Unkeer rief seine Artgenos-sen auf Tolk-7 in einer Konferenzschaltungzusammen.

Murgor ließ mich über den Pikosyn desSERUNS mithören.

»… die Galaktiker erweisen sich als hart-näckiger als angenommen. Sie sind geradezulästig, und ihre außerhalb des Sternhaufensversammelten Schiffe folgen nur der Aufga-be, mehr über unsere Technik zu erfahren.Sie werden versuchen, uns mit unseren eige-nen Waffen zu schlagen. Ihre Angriffe aufeinzelne unserer Stützpunktwelten dientenzweifellos dem Ziel, Tangle-Scan und unse-ren Antrieb auszuspionieren. Ich habe mitden Kommandanten der anderen Welten ge-sprochen - wir sind gezwungen, unsere An-lagen besser zu schützen. Der Bund darfnicht in den Besitz der Baupläne kommen,das könnte für unser weiteres Vorgehen ne-gative Konsequenzen haben.«

»Diese niederen Wesen bezeichnen unserAntriebssystem als Stotterantrieb«, merkteein Physander an. »Ihre Rechnersysteme ha-ben größte Schwierigkeiten damit.«

»So soll es auch bleiben«, zischte Unkeer.»Wir wollen unsere Kräfte nicht in unnöti-gen Gefechten binden, solange wir sie wei-taus effektiver für die Sicherung der Nach-schubwege und der Gliederschiffe benötigen…«

Ein Trupp Arbeitsroboter unter der Füh-rung mehrerer Physander näherte sich. Gera-de noch rechtzeitig konnte Murgor sich ausder Verbindung lösen, bevor wir möglicher-weise trotz der Deflektorschirme entdecktwurden.

Die Roboter machten sich an den Kom-munikationsanlagen zu schaffen. Der Schlußlag nahe, daß unsere Manipulationen an zen-traler Stelle registriert, aber noch nicht alssolche identifiziert worden waren. Dochschon der nächste Eingriff konnte den Tol-kandern die entscheidenden Rückschlüsseliefern. Wir mußten vorsichtiger vorgehen.

44 Hubert Haensel

*

Vor uns lag eine Art Kontrollzentrale, einellipsoid geformter Raum, der inmitten aus-gedehnter Fertigungsstraßen schwebte. ZehnMeter hoch war die Konstruktion, mit einemDurchmesser von zwanzig Metern. Trotz derTransparenz weiter Bereiche erkannte ichnur einen einzigen Schatten im Inneren, dersich zaghaft bewegte.

Der Servo reagierte auf die Blickrichtungmeiner Pupillen und vergrößerte die Abbil-dung im Display.

Immer noch blieben die Umrisse ver-schwommen, doch die Größe des Wesenserrechnete der Pikosyn mit 2,56 Meter.

»Die Bildschärfe ist nicht optimal. ErbitteSimulation.«

Die Wiedergabe veränderte sich gedan-kenschnell, die Konturen der Abbildungwurden scharf, wie mit dem Lineal gezogen.Wo die Transparenz des Ellipsoids zu wün-schen übrigließ, ergänzte der Syntron diefehlenden Umrisse entsprechend der Wahr-scheinlichkeitsrechnung.

Ich hatte einen Physander vor mir eineKreuzung zwischen Käfer und Ameise. Of-fensichtlich übte er Kontrollfunktionen aus.

Versorgungsleitungen vereinten sich indem Ellipsoid. Ich zog Vergleiche mit dentechnischen Anlagen innerhalb von GoeddasBrutkosmos. Vieles erschien ähnlich, abernicht identisch, doch die gemeinsame Her-kunft war unverkennbar.

»Welches Material?« fragte ich.»Eine Analyse ist nicht möglich«, antwor-

tete der Pikosyn. »Wegen der Ortungsgefahrwird auf energiereiche Scanverfahren ver-zichtet.«

Ruckartig fuhr der Physander herum. Erstarrte nach draußen, und für Sekundenschienen unsere Blicke sich zu treffen. Mirwar dabei, als bohrte sich ein glühenderDolch in meinen Schädel, ein Gefühl, das soirrational war wie der Gedanke, der Physan-der könnte mich trotz des Deflektorfeldessehen.

Was wußte ich über die Wahren Ingenieu-re? Rund zwei Drittel ihrer Körper und ihrerGliedmaßen wurden durch metallene Gerätebedeckt, so daß sie auf den ersten Blick eherwie Roboter wirkten als wie lebende Wesen.Das linke Facettenauge steckte unter einemteleskopartigen Aufsatz, der mikroskopi-sches Sehen für mikromechanische Arbeitenermöglichte; das andere Auge, unter einemtrüben Filter liegend, war für Nachtsicht unddie Wahrnehmung in anderen Bereichen ge-eignet.

Vier Posbis hielten sich unter dem Ellip-soid auf und nahmen Messungen vor, dreiweitere hantierten an den teils mächtigenVersorgungsröhren. Murgor hatte begonnen,eine der unscheinbaren Leitungen aufzu-schlitzen, und gerade schoben sich aus sei-nem flachen Körper drei tentakelartigeGreifwerkzeuge hervor und drangen in dassilbrig flimmernde Innere der Röhre ein. Dieanderen waren hinter irgendwelchen größe-ren Aggregaten meinem Blick entzogen.

Ein Teil des transparenten Ellipsoids löstesich auf, bildete eine Art Schott, in dem derPhysander erschien. Das unterarmlange, röh-renförmige und in zwei Spitzen auslaufendeGebilde, das er mit zwei Armen auf michgerichtet hielt, schien mir wenig vertrauen-erweckend. Eine Waffe, deren Wirkung ichnicht einschätzen konnte? Möglich, daß derPhysander nur die Lichtbrechung des De-flektorschirms registrierte und nicht wußte,mit was er konfrontiert war.

Das bedeutete vielleicht, daß er seine Ent-deckung nicht weitergemeldet hatte.

Paß auf.Der Ingenieur schwebte herab. Seine Bei-

ne bis hoch zum ersten Gelenk waren hinterdem milchigen Energiefeld nur vage zu er-kennen, der Oberkörper steckte in einemmetallenen Panzer, wohingegen der Unter-leib nur von einer Vielzahl schmaler, eben-falls bronzefarben schimmernder halbrunderGlieder geschützt wurde.

Er weiß nicht, was du bist, aber er istneugierig.

Die vermeintliche Waffe war ein Meßin-

Am Ende einer Hoffnung 45

strument, den Eindruck hatte ich jetzt. Ichstand vor einer der stärksten Rohrleitungen,die, wenn ich es recht bedachte, aus der Tie-fe des Tagebaus hierherführte. WurdeGrundwasser darin abgepumpt und einer be-sonderen Verwendung zugeführt, oder wa-ren es Gase?

Der Physander vermutete ein Leck in derLeitung, das wurde mir endgültig klar, als ermit seinem Instrument das Rohr abtastete.

Du hast mehr Glück als Verstand, Beute-terraner. Dieser Käfer-Cyborg weiß, daß daetwas ist, aber er glaubt an die pflanzlicheLebensform, die von den Igelschiffen be-schossen wurde. Vielleicht gab es schon öf-ter solche Erscheinungen in den Hallen.

Ein jäh aufzuckender greller Blitz rastemir entgegen, teilte sich und schlug in dieRöhre ein. Keine direkte Gefahr für mich,denn der Pikosyn reagierte nicht.

Die Energie wurde zurückgeworfen, einrasend schnell sich aufschaukelndes Feld,das im Abstand von knapp einem Metermeine Umrisse nachzeichnete. Das Netz fraßsich gedankenschnell um mich herum in dieHöhe.

Daß der Physander nur auf mich geächtethatte, wurde ihm zum Verhängnis. Satros,ein nahezu kugelrunder Posbi, mit etlichenDutzend Tentakeln versehen, die er gleicher-maßen als Fortbewegungsorgane wie alsMeßinstrumente benutzte, näherte sich vonhinten. Sechs oder sieben seiner Arme um-schlangen den Physander und schlugen dasRöhreninstrument zur Seite, während ergleichzeitig mit zwei in spitze Kanülen aus-laufenden Armen unter die Panzerung undunter die Ansätze der Chitinplatten imSchulterbereich des Physanders fuhr.

Ich glaubte, ein leises, zischendes Ge-räusch zu hören, war mir dessen aber keines-wegs sicher. Sekunden vergingen, in denender Physander mich aus seinen manipulier-ten Augen anstarrte, dann begannen seineGlieder zu zucken. Der Posbi fing ihn aufund schwang sich mit ihm zusammen in dasnoch bestehende Transportfeld, das beide zuder Schleuse im Ellipsoid hochtrug.

Ich folgte ihm, und nach mir kamen Mur-gor und vier weitere Roboter.

Niemand außer dem Physander hatte sichinnerhalb des Ellipsoids aufgehalten, das tat-sächlich eine Steuer- und Überwachungsein-heit für die weitestgehend automatisiertenFertigungsschritte darstellte. Ich achtetenicht auf die vielfältigen holographischenDarstellungen und Symbole; mir war in demMoment auch egal, ob andere Tolkanderversuchten, mit dem Ingenieur Verbindungaufzunehmen.

Murgor, der Posbi mit dem Aussehen ei-nes Marschiere-Viels, neutralisierte bereitsdie ersten aus Formenergie bestehenden Ag-gregatverkleidungen. Topsas und Koramorhalfen ihm dabei, während Satros mir zurHand ging. Ich hatte den Helm meines SE-RUNS geöffnet und ein Stück weit zurück-geklappt, gerade so viel, daß ich die Einspie-gelungen auf der Frontseite noch erkennenkonnte.

Die faustgroße Energieeinheit am Rückenhatte den Physander nicht schützen können.Die grafische Darstellung der Energieflüsseverriet mir, daß möglicherweise ein körper-umspannendes Schirmfeld projiziert werdenkonnte.

Satros benötigte dreieinhalb Minuten, umdie Einheit aufzuschneiden und lahmzule-gen. Gut die Hälfte der vom Pikosyn ange-zeigten energetischen Verbindungen erloschdabei, unter anderem lösten sich die milchi-gen Felder an den Beinen des Ingenieursauf, ebenso die Energiefelder um seinenrechten Arm.

Ich dachte an Chlock, den Physander ausGoeddas Brutkosmos, und daran, wie Mylessein Kommunikationssystem ausgiebig gete-stet hatte. Das verschaffte mir den Vorteil,nicht erst experimentieren zu müssen, zumalunklar war, wann mein Gegenüber die Injek-tion überwinden und wieder aufwachen wür-de.

»Er schläft bestimmt noch eine Weile«,behauptete Satros. »Die Zusammensetzunghätte ausgereicht, ein Dutzend Terraner insReich der Träume zu schicken.«

46 Hubert Haensel

Ich sagte ihm, was er tun mußte, um Zu-gang zu Dateninhalten zu finden. Arme undBeine des Physanders begannen mittlerweilezu zucken.

Eine nochmalige Injektion.»Wir müssen uns trotzdem beeilen«, for-

derte ich.»Ich habe eine Leitung!« rief Murgor in

dem Moment. »Unkeer kommuniziert mitChaerodern in anderen Produktionsstättenauf Tolk-7, sie reden über fünfdimensionaleTechnik, über eine Vergrößerung des Reich-weite des Tangle-Scans und die dazu nöti-gen Umbauten.«

Der Posbi fuhr weitere Werkzeuge ausseinem Körper aus und schuf neue Verbin-dungsstellen.

»Das Ellipsoid dient offensichtlich auchder Koordination von Hyperfunkaktivitätensowie der Speicherung vieler Gespräche.«

»Du kannst den Speicher abrufen?« woll-te ich wissen.

»Ich bin mir nicht sicher. Es gibt eineSperre. Mit einer Wahrscheinlichkeit von 95Prozent löse ich bei dem Versuch, die Sperrezu umgehen, Alarm aus. Willst du, daß ichdie Sperre ausschalte?«

Mein Blick wanderte hinüber zu dem be-wußtlosen Physander. Würde sein Ver-schwinden registriert und Alarm ausgelöstwerden?

»Nein«, sagte ich deshalb. »Noch nicht.Ich brauche eine Möglichkeit, auch kom-mende Gespräche abzuhören.«

Satros hatte es inzwischen geschafft, inden persönlichen Speicher des Physanderseinzudringen und Daten zu kopieren. Für dieÜbersetzung brauchte er nur kurze Zeit. Dasbrachte uns die Erkenntnis, daß der Inge-nieur lediglich von untergeordneter Bedeu-tung war, damit befaßt, alle Systeme in In-tervallen zu prüfen. Andere Physander wa-ren für andere Kontrollen verantwortlichund bedienten sich ebenfalls der Technik desEllipsoids.

Jeweils alle vier Tage wiederholte sich einKontrollgang.

Noch etwas stellte Satros fest: In den

dicken Rohrsträngen floß tatsächlich abge-pumptes Grundwasser; Tolk-7 barg unterseiner Wüstenoberfläche die Überreste eineseinstigen Meeres. Das Wasser wurde nichtnur zur Kühlung bei einigen Fertigungs-schritten verwendet, sondern letztlich eben-falls als biologischer Nährstoff, es schienüberaus reich zu sein an gelösten organi-schen Anteilen.

Wie es den Anschein hatte, filterten dieTolkander diese gelösten Stoffe heraus,trockneten und reicherten sie auf die schonbekannte Weise an und preßten BarrenBourree daraus, die von Gliederschiffen indie Brutblase gebracht wurden …

Gebracht worden sind.Die Wüstenwelt, die auf den ersten Blick

tot und ohne jedes Leben erschien, barg den-noch eine eigene Spezies. Die röhrenförmigeFlora existierte tief im Sand verborgen inForm vom Wasser umspülter Keime. Siewaren kaum größer als dreißig bis vierzigZentimeter, doch sobald Bren-Nach-Un-Katauf seiner unregelmäßigen Bahn die solarenMaterieschwaden durchlief, begannen sie ei-ne überraschende Verwandlung und wuch-sen zu mehrere hundert Meter großen Gebil-den heran, die sich an der Planetenoberflä-che austobten.

Ihr Leben dauerte ein paar Stunden, viel-leicht einen Tag, je nachdem wie lange sieden Energieschleiern ausgesetzt waren. Da-nach verwesten sie ebenso schnell, wie sieentstanden waren, doch in der kurzen Fristihres Daseins zerstörten sie, was ihnen imWeg stand. Nach anfänglichen schwerenVerlusten hatten die Tolkander deshalb ihreRaumschiffe zur Vernichtung der wachsen-den Pflanzen eingesetzt. Seitdem waren ihreAnlagen auf dem Planeten nicht mehr be-schädigt worden.

Hin und wieder wurden die unregelmäßiggeformten Keime auch in den Wasserleitun-gen entdeckt, und sie hatten schon einigeMale Schäden angerichtet. Offensichtlichbewirkten Streustrahlungen hochenergeti-scher Fertigungsmaschinen ebenfallsWachstumseffekte, wenn auch nur in we-

Am Ende einer Hoffnung 47

sentlich geringerem Umfang als die Sonnen-materie.

Als der Physander trotz des Deflektor-felds auf mich aufmerksam geworden war,mußte er an ein Aufbrechen einer dieserKreaturen geglaubt haben.

Einen Augenblick lang spielte ich mitdem Gedanken, den Physander zu töten undihn neben die Leitungsstränge zu legen.Skrupel hätte ich nicht gehabt, ich hätte ihnsogar mit eigenen Händen ins Jenseits beför-dert, auch wenn das keinen einzigen Galak-tiker wieder lebendig machte.

Von Anfang an war ich darauf vorbereitetgewesen, mehrere Tage auf Tolk-7 zu ver-bringen, selbst wenn mit jeder Stunde dieGefahr der Entdeckung größer wurde. Nurhier konnte ich die Kommunikation der Tol-kander verfolgen. Und ich durfte nicht er-warten; daß genau das, was ich zu hören er-wartete, schon nach wenigen Stunden be-sprochen wurde. Möglich, daß ich auch nieherausfinden würde, was die Tolkander dazubewegte, alle Produktionen aufrechtzuerhal-ten.

Verschlossen sie nur ihre Augen vor derRealität? Weil Gazkar, Alazar und Neezer,weil einfach alle ohne Goedda zum Ausster-ben verurteilt waren?

»Die erforderlichen Einbauten sind abge-schlossen«, meldete Murgor. »Die Intern-kommunikation ebenso wie Hyperfunkge-spräche werden von einem winzigen Kri-stallspeicher aufgenommen und bei Errei-chen der Speicherkapazität mittels Rafferim-puls abgestrahlt. Der Impuls wird so kurzsein, daß eine Einpeilung schwer möglichsein wird, zumal die Reichweite auf wenigerals drei Kilometer begrenzt ist und die Ent-ladung des Speicherinhalts unregelmäßig er-folgt.«

Unsere Spuren zu verwischen war die An-gelegenheit weniger Minuten. Einer der grö-ßeren Posbis kümmerte sich um den Physan-der und transportierte den sperrigen Körper.Wegen der damit verbundenen Ortungsge-fahr durfte er den Antigrav nicht benutzen.

Wir sahen Gazkar und Neezer zwischen

den Fertigungsanlagen, aber für sie bliebenwir unsichtbar. Selbst der Ingenieur wurdeteilweise vom Deflektorfeld des Posbis er-faßt.

Verstecke gab es genügend in den weit-läufigen Fertigungsanlagen. Ich entschiedmich für eine Filterstation. Donnernd schoßdas Grundwasser durch Reinigungs- undAufbereitungsanlagen, mitgeschwemmterSand und Geröll landeten auf anwachsendenHalden. Zwischen haushohen Pumpstationenfanden wir hinreichend Platz und Schutz vorneugierigen Blicken. Hier konnten wir not-falls einige Tage lang aushalten.

*

Es gab keinen Hinweis darauf, daß Orse-ner und seine Posbis ebenfalls fündig gewor-den waren. Das Risiko einer weitreichendenFunkverbindung, selbst über Rafferimpuls,war uns zu groß erschienen, so daß es wirk-lich auf den Notfall beschränkt bleiben muß-te. Folglich wußte auch Orsener nichts überunseren augenblicklichen Stand.

Der Physander hatte eine neue lähmendeInjektion erhalten und war ohne Bewußtsein.Überhaupt schien unser Versteck überausgut gewählt zu sein: Wir hatten von hier ausin den vergangenen zwölf Stunden nur eineinziges Mal Käferkrieger zu Gesicht be-kommen, die aber dennoch im Abstand vonmehr als dreißig Metern vorübergegangenwaren.

Murgor hatte dem Kristallspeicher mit ei-nem kurzen Richtimpuls unseren Standortprogrammiert. Der Speicher sendete darauf-hin seine Rafferimpulse gerichtet ab.

Inzwischen lagen die ersten Speicherdatenvor.

Es war immer noch verblüffend zu hören,daß Unkeer und die Physander nach wie vorrund um die Uhr produzierten. Es schien ge-rade so, als wachse Goedda weiter in demerschreckenden Ausmaß, das wir kennenge-lernt hatten, und brauche deshalb enormenNachschub an Versorgungsgütern und eben-so Bourree. Mit keinem Wort ging auch nur

48 Hubert Haensel

einer der Invasoren auf Goeddas Tod ein.Was sie nicht wahrhaben wollen, ignorie-

ren sie, dachte ich. Das ist die einfachsteArt, alles Unangenehme fernzuhalten.

Glaubst du das wirklich, Barbar? Oderschiebst du ebenfalls nur eine unangenehmeErkenntnis vor dir her?

Goedda ist tot! Das steht unwiderruflichfest.

Die Dehnung und Übersetzung des Raffe-rimpulses war von den Posbis in den Piko-syn meines SERUNS eingespeist worden.Trotz des Suchprogramms, das ich verwand-te und das nur auf Schlüsselworte reagierte,hörte ich beinahe zwei Stunden lang Funk-gespräche aus den verschiedensten Berei-chen ab.

Unkeer kommunizierte nicht nur aufTolk-17, sondern ebenso mit Chaerodern aufden anderen Basiswelten und mit den Kom-mandanten von Gliederschiffen.

Endlich! Zwischen den Koordinatoren,wie die Chaeroder sich nannten, war Goeddasehr wohl ein Gesprächsthema.

Obwohl ich den letzten Unterhaltungennur noch immer schläfriger werdend gefolgtwar - auch ein Aktivatorträger kommt nichtohne körperliche Erholungsphasen aus -,war ich schlagartig wieder hellwach.

Die schrille, hohe Stimme, die ich hörte,identifizierte der Pikosyn als die des Chaero-ders Unkeer. Ich stellte mir vor, wie der un-glaublich dürre und vielgelenkige Körpersich in seiner filigranen Nervosität hin undher bewegte. Der Vergleich mit einer aufge-richteten Klapperschlange war nicht von derHand zu weisen.

»… wir haben Zeit verloren, die effekti-ver zu nutzen gewesen wäre. Aber das istkein Grund, Cossom, etwas anders zu ma-chen oder gar zu glauben, der Bund könnteuns überlegen sein.«

»Der Name Cossom wird als Komman-dant eines Gliederschiffes identifiziert«, ließmich der Pikosyn wissen.

In dem Moment interessierte mich dasherzlich wenig. Ich wollte wissen, was Un-keer zu sagen hatte. Intuitiv fühlte ich, daß

er die Dinge jetzt auf den Punkt brachte.»Der Bund triumphiert, Cossom, aber

Bund bleibt Bund und wird den Fortgangder Dinge niemals aufhalten können. DieBestimmung guten Bundes wird es immersein, das Absolutum zu ermöglichen und derMutter Kraft zu schenken.«

»Das war so, und das ist so, und das wirdimmer so sein«, antwortete Cossom etwasweniger schrill. »Meine Zweifel waren nuraus der Verzögerung geboren.«

»Eine ärgerliche Verzögerung und einRückschlag, zugegeben, aber kein Grund,Verzweiflung zu spüren. Der Sieg, über dender Bund heute noch triumphiert, war dochnur ein Scheinsieg - und vielleicht wird dieErkenntnis der Wahrheit die Qualität desBundes noch steigern. Dann wäre die Verzö-gerung für kommende Generationen sogarein Segen.«

»Diese Sequenz wiederholen!« verlangteich vom Servo.

Kein Zweifel, Unkeer redete, als existierteGoedda nach wie vor, als hätten wir sie le-diglich vorübergehend geschwächt. OhneGoedda waren künftige Generationen derTolkander, die alle aus der Vivoc, der vonihr erzeugten Brut, geboren wurden, un-denkbar. Aber gerade solche Reden konntennicht nur bloßer Selbstzweck sein.

Ich fand keinen logischen Zusammen-hang, begriff das alles nicht. Und ich warüberzeugt davon, daß auch Myles Kantorund Dao-Lin-H'ay dafür kein Verständnishaben würden. Gemeinsam hatten wir dieBombe gelegt, wir kannten ihre gewaltigeSprengkraft, außerdem hatten die HerreachAugenzeugenberichte abgegeben. Sie hattendie Bombe explodieren sehen, hatten be-schrieben, wie der Brutkosmos in winzigeInseln zerfetzt und im Hyperraum verwehtworden war.

Goedda konnte nicht überlebt haben! Un-ter keinen Umständen Habe ich recht?herrschte ich meinen Extrasinn an. Ist daslogisch oder nicht?

Natürlich denkst du logisch.Aber?

Am Ende einer Hoffnung 49

Es gibt kein Aber, Atlan. Goedda ist tot.Ich verstand es nicht. Ich hatte einige

Puzzleteile, aber sie wollten sich nicht zu-sammenfügen.

Irgendwann mußte etwas geschehen sein,dem ich keine Bedeutung beimaß, was aberdas ausdauernde Verhalten der Tolkandererklärte. Oder verfügte Goedda über dieMöglichkeit, ihren verbrannten, zerfetzten,gewaltigen Leib wieder zusammenzufügenund weiterzuexistieren, als hätte es nie eineExplosion gegeben?

Du Narr!Immer noch nichts Greifbares. Außer der

Andeutung, daß wir Galaktiker nur einenScheinsieg errungen hatten.

Je länger wir auf Tolk-7 ausharrten, destogrößer wurde die Gefahr einer Entdeckungdurch die Tolkander. Aber das war mir imMoment egal. Ich mußte herausfinden, wasich übersehen hatte.

9.

Die Millionenmetropole Rabaka war tat-sächlich zur Geisterstadt geworden. Verlas-sen lagen die weitgespannten Straßen undPlätze im Licht der roten Sonne; Gleiter undbodengebundene Fahrzeuge verbarrikadier-ten die Zugangswege der zentralen Trans-mitterterminals, über die überwiegend dieEvakuierung der noch nicht vom Kritzel-wahn befallenen Bevölkerung erfolgt war.

Nur Tiere waren noch in den weitläufigenStraßenschluchten zu sehen. Dao-Lin-H'ayentdeckte ein echsenähnliches Geschöpf, dasan einer Hausfassade emporkletterte. DasTier maß gut zwei Meter und wirkte auchaus der Distanz nicht eben wie ein Schoß-hündchen.

»Es handelt sich um einen der seltenenGuwans«, erklärte der Pikosyn auf Dao-Linsdiesbezügliche Frage. »Reiche Blues haltensich die Echsen für die Suche nach Muurth-Würmern. Guwans sind als anhänglich undihrem Besitzer loyal bekannt.«

Vom Gravopak ihres SERUNS in knappzwanzig Metern Höhe gehalten, näherte die

Kartanin sich dem einzigen noch bewohntenBezirk der Stadt. Die Einblendung desStadtplans zeigte ihre Position sowie Flug-richtung und Geschwindigkeit an.

Mit weit offenen Sinnen lauschte Dao-Lin-H'ay in ihr Inneres. Zur Zeit des Para-taus war sie eine gute Telepathin gewesen,und Spuren dieser Fähigkeit waren nach wievor latent vorhanden, wenngleich diese Fä-higkeiten nur in Zusammenarbeit mit Guckyoder in Ronald Tekeners Nähe wirklichdeutlich wurden.

Der Gedanke an Tek bohrte sich wie einDolch in Dao-Lins Brust. Sie brauchte denSmiler, körperlich ebenso wie in seelischerHinsicht.

Zwei Schatten näherten sich, die Ortungdes SERUNS hatte sie frühzeitig erfaßt.Dao-Lin würde erst hinter der nächsten Ein-mündung mit ihnen zusammentreffen.

»Identifikation noch nicht möglich«, wis-perte es hinter ihrem Ohr.

Die Kartanin griff nach dem Kombistrah-ler, Automatisch stufte sie als feindlich ein,was sich in den evakuierten Bereichen nochbewegte.

»Die Streustrahlung entspricht den Wer-ten medizinischer Roboter«, meldete der Pi-kosyn.

Sekunden später sah die Kartanin die bei-den Roboter. Sie kümmerten sich um einenoffensichtlich schwer verletzten Blue. Eshatte den Anschein, als wäre er trotz der Ab-sicherung durch Prallfelder über den Randeiner der Rampen hinweg abgestürzt. Viel-leicht ein Opfer des Gedränges, das währendder Evakuierung geherrscht haben mußte.Aber warum hatte sich niemand rechtzeitigum ihn gekümmert?

Die eigene Haut zu retten war den Be-wohnern dieses Stadtteils wohl wichtiger ge-wesen, als ihresgleichen beizustehen. Zwei-fellos war die Evakuierungsaktion nichtüberall ohne Zwischenfälle abgelaufen.

Dao-Lin verringerte die Flughöhe. Immernoch versuchte sie, die Nähe des Unbekann-ten zu spüren, das die Apasos in den Kritzel-wahn trieb. Sie schaffte es nicht, registrierte

50 Hubert Haensel

nicht mehr als ein leichtes Unbehagen, dasaber keineswegs mit dem vermeintlichenPhilosophen zusammenhängen mußte. Eherglaubte sie, daß dieses Unbehagen aus ihrselbst kam. Sie grübelte zuviel nach überGoedda und die Philosophen. Die GroßeMutter der Krieger war in der Explosion desBrutkosmos umgekommen und die zweiund-fünfzig Philosophen mit ihr. Daran gab eskeinen Zweifel.

Was immer auf Apas für neues Entsetzensorgte, es mußte sich um etwas anderes han-deln.

Dao-Lin-H'ay entdeckte die erstenSchmierereien an Hauswänden. Mit Farbeund überaus schwungvoll hatte sich ein un-bekannter Künstler ausgetobt.

Augenblicke später sah sie auch Apasos,die mit hingebungsvollem Eifer bizarreSchlangenlinien auf die Karosserie einesGleiters malten. Nein, sie malten nicht, sieritzten die widerstandsfähige Metall-Kunststo-Legierung mit einem harten Ge-genstand. Das Ergebnis schien sie indes inkeiner Weise zufriedenzustellen.

Dao-Lin-H'ay landete hinter den Blues,ohne daß sie von ihr Notiz genommen hät-ten. Einer begann in dem Moment, auf dieSichtscheibe des Gleiters einzuschlagen, dieseinen Kritzeleien hartnäckig widerstand.Das Material war molekular so gehärtet, daßes schon eines Schneidbrenners bedurft hät-te, es zu verändern.

»Hallo«, sagte Dao-Lin-H'ay, »keineleichte Arbeit, oder?« Eine banale Frage,doch ihr fiel nichts anderes ein.

Die Apasos reagierten nicht.»Bemüht ihr euch schon lange?«Der Tellerkopf, der seine Kunst vergeb-

lich an der Frontscheibe versucht hatte, hieltunvermittelt inne. Zögernd wandte er sichum, suchte offenbar nach einem für seineAktionen besser geeigneten Platz und er-spähte diesen in einem nur zehn Schritt ent-fernten Bodenfahrzeug, dessen tadelloserLack noch nicht mit dem neuen Kritzelwahnin Berührung gekommen war.

Unaufhörlich zuckten die Hände des Apa-

sos, malten unverständliche Muster in dieLuft. Dao-Lin-H'ay hielt ihn zurück.

»Warte!« rief sie. »Ich muß mit dir re-den.«

»Der Tag ist nahe«, wisperte der Blue.»Die Erlösung von aller Schwere wird denGeist beflügeln und Phantastisches erschaf-fen …«

»Wer sagt das?«Keine Antwort. Nur ein verständnisloses

Neigen des blaßrosafarbenen Tellerkopfes.Nacheinander wurde Dao-Lin von allen vierAugen einer eindringlichen Musterung un-terzogen.

Ruckartig befreite der Blue sich aus ihremGriff. Im nächsten Augenblick schien er ihreNähe schon wieder vergessen zu haben,schritt zielstrebig auf das anvisierte Fahr-zeug zu und zeichnete weiter wirre Musterin die Luft.

»Ich will wissen, wer das sagt«, beharrtedie Kartanin. Sie wich dem Apaso nicht vonder Seite, der bereits wieder auf einem fe-sten Untergrund zu kritzeln begann.»Warum tust du das?« wollte sie wissen.

Der Blue murmelte etwas von Problemenund einer Lösung, nach der er suche, ließsich aber danach nicht mehr unterbrechen.Minutenlang schaute Dao-Lin-H'ay ihmnoch zu, wie er zunehmend hastiger uner-gründliche Muster in die Fahrzeuglackie-rung kratzte; schließlich ging sie weiter,lauschte von neuem in sich hinein, doch siespürte nichts, was auf einen äußeren Einflußhingedeutet hätte.

Eigentlich befanden sich auch hier, imZentrum der Stadt, nur wenige Blues auf denStraßen. Aber wenn die schlimmsten Be-fürchtungen wirklich zutrafen, dann bliebenohnehin fast alle infizierten Bewohner in ih-ren Wohnungen und suchten dort verzwei-felt nach einer geometrischen Figur, die sieüber kurz oder lang finden würden, und eshalf auch nichts, wenn ihnen ein Außenste-hender zeigte, wonach sie suchten. DiesesSymbol mußten sie aus eigener Kraft finden.

»Sie suchen den Kreis«, stieß Dao-Lin-H'ay zerknirscht zwischen den Zähnen

Am Ende einer Hoffnung 51

hervor. »Wenn das wirklich wahr ist …«Ein sternförmiges Gebäude zu ihrer Lin-

ken; die gläserne, jedoch keineswegs trans-parente Fassade wirkte wie ein Spiegel, derTeile des Straßenzugs, der Tunnelröhren undder gegenüberliegenden Bauten in eigenwil-liger Verzerrung und Vergrößerung wieder-gab. Dao-Lin entdeckte auch sich selbst, inzehn Metern Höhe stakste ihr Abbild mit irr-witzigen Verrenkungen über die Hausfront.Im Brennpunkt zweier Sternzacken existier-te sie plötzlich in hundertfacher Ausferti-gung.

Sie drang in das Bauwerk ein. In den un-teren Geschossen weitläufige Gewerbeflä-chen, ein Markt, in dem bis vor kurzem allesangeboten worden war, was das BluescheImperium an Genüssen zu bieten hatte. Jetztwirkte die planetaren Besonderheiten nach-empfundene Kauflandschaft öde. Lediglichdie Robotterminals blinkten einsam ihre un-ermüdliche Aufforderung zum Kauf.

Ein holographischer Werbeträger entstandvor der Kartanin. Sie achtete nicht darauf,was ihr mit unterschwelliger Aufdringlich-keit offeriert wurde, sondern schritt durchdie heftig gestikulierende Gestalt hindurch,die im gleichen Moment in einem glitzern-den Sternenmeer zerfiel.

Hier hatten die dem Kritzelwahn verfalle-nen Apasos ebenfalls ihre Spuren hinterlas-sen. Umgestürzte Regale, Waren, scheinbarwahllos über den Boden verstreut, aber beinäherem Hinsehen doch erkennbare geome-trische Muster. Beschmierte, zerknüllte,achtlos wieder weggeworfene Schreibfolienfanden sich überall.

Ein Werbeholo, zwischen künstlicherWüstenlandschaft und einem Meer ineinan-der verschlungener Würmer, zerfloß zu im-mer neuen Verschlingungen. LeuchtendeDreiecke rotierten um verschiedene Achsen,veränderten sich zu Linien, zu Spiralen, ex-plodierten in grell aufstiebenden Funken,und jeder dieser Funken wurde selbst zurneuen Linie, die sich schlangengleich durchdie Luft wand.

Die Kartanin fand mehrere Blues, die das

Holo manipulierten. Auch sie waren durch-aus bei Verstand und ansprechbar, gabenaber kaum sinnvolle Antworten.

»Wir suchen nach der Lösung eines wich-tigen Problems.« Mehr war von ihnen nichtzu erfahren. Und während sie das sagten,kritzelten sie unentwegt weiter.

*

Myles Kantor hatte ein paar Sorgenfaltenmehr aufzuweisen. Nachdenklich blickte erdie Kartanin von der Bildfläche ihres Arm-bandkoms an.

»Die Verhaltensmuster der betroffenenBlues sind exakt so, wie wir sie aus demBannkreis der Philosophen kennen«, faßte erzusammen. »Ich wünschte, es wäre anders,aber ich kann diese Übereinstimmung nurbestätigen.«

Dao-Lin-H'ay stieß ein dumpfes, grollen-des Fauchen aus. »Wie kriegen wir ihn?Notfalls töte ich ihn mit bloßen Händen,aber wir müssen Apas von dieser Bestie be-freien.«

Myles Augenaufschlag war bezeichnend.Nur zu gut konnte er Dao-Lins Gefühlenachempfinden. Das war keine plötzlicheMordlust, die aus ihr sprach, sondern sch-licht und einfach das Gefühl einer beginnen-den Ohnmacht vor den Invasoren. In einerZeit, in der es nur die Wahl gab, du oder ich,entschied sich jedes denkende Wesenzwangsläufig fürs eigene Überleben.

»Ich schließe nicht mehr gänzlich aus,daß ein Philosoph die Explosion des Brut-kosmos überlebt haben könnte«, sagte MylesKantor tonlos. »Er hätte sich überall einni-sten können, aber der Zufall hat ihn wohlnach Apas verschlagen.«

»Er scheint noch sehr schwach zu seinund keinen sonderlich starken Einfluß aus-zuüben.«

»Das wird sich rapide ändern, schneller,als uns allen lieb sein kann. Je länger derPhilosoph die Blues von Rabaka manipu-liert, desto stärker wird er.«

- Dao-Lin hob die Schultern. Es war keine

52 Hubert Haensel

sehr zuversichtliche Geste.»Bislang habe ich keine Anzeichen ent-

deckt, daß einige Apasos sich noch seltsa-mer verhalten als andere, daß bereits ein in-nerer Kreis im Entstehen begriffen ist. Abervier Stunden sind für das Areal einfach zu-wenig.«

»Sobald die Blues erst den Kreis entdeckthaben und nichts anderes mehr malen alsKreise, wird der Philosoph eine Macht dar-stellen, die wir nicht mehr ohne weiteres be-siegen können.«

»Was sagt der Hyperraum-Resonator?«»Nichts. Das ist es eben.«»Also besteht nach wie vor die Möglich-

keit, daß wir uns irren.«»Es gibt keine Beweise für die Existenz

eines Philosophen, nichts, was greifbar wä-re. Leider sind die Anzeichen eindeutig.«

Die Erwiderung der Kartanin blieb unaus-gesprochen, denn in dem Moment meldeteder Pikosyn ihres SERUNS eine Ortung. DieHypertaster empfingen ein schwaches Si-gnal, das innerhalb der energetisch weitge-hend toten Stadt wie ein Leuchtfeuer wirkte.

»Keine Anzeige an Bord der ENZA«,stellte Myles Kantor unwillig fest. »Hast duden Ausgangspunkt des Signals?«

»Der Signale, Myles«, berichtigte dieKartanin. »Es sieht aus, als kämen sie inmehr oder weniger regelmäßigen Abstän-den.«

»Wir haben ebenfalls eine schwache An-zeige«, meldete sich Gorrü Yanzap, derChef der Kriseninterventionszentrale, desseneinzige Intervention sich mittlerweile aufsAbwarten beschränkte. Zumindest seit Dao-Lin-H'ay die Stadt betreten hatte. »Es istnichts, was wir kennen oder einordnen kön-nen.«

»Die Quelle liegt ungefähr im Zentrumdes Wohnbezirks«, bemerkte die Kartanin.»Ich sehe mir das an.«

»Brauchst du Unterstützung?«»Wenn ich damit nicht fertig werde, My-

les, dann hilft mir auch eine Hundertschaftnicht. Und Roboter sind zu unsensibel. En-de.«

»Warte!« rief der Wissenschaftler ausdem Orbit. »Ich will, daß unsere Verbindungbestehen bleibt und alle Meßdaten deinesSERUNS zeitgleich übertragen werden.«

Die aus der Distanz von wenigen Kilome-tern noch verhaltenen Hypersignale wurdendeutlicher, je mehr Dao-Lin-H'ay sich demvermeintlichen Ausgangspunkt näherte. DieQuelle konnte nur ein äußerst schwacherSender sein, denn nach den Gesetzen überAusbreitungsgeschwindigkeit und Verhaltenvon hyperfrequenten Wellen hätte der Emp-fang auch auf der im Orbit stehenden ENZAmöglich sein müssen.

Die Kartanin stieß auf hektisch kritzelndeBlues, aber noch keiner von ihnen hatte denKreis gefunden.

»Ich glaube nicht«, meldete Dao-Lin-H'ay»daß sie jemals ihr Ziel finden werden. Esist so … seltsam - nicht greifbar. Obwohl,der Kreis kann von einer Sekunde zur ande-ren dasein. So war es auch auf den anderenWelten …«

»Was ist mit der Einpeilung?« drängteKantor. »Du hast die ungefähre Position er-reicht.«

»Habe ich das? Ich weiß nicht. Nach mei-nen Anzeigen befinde ich mich immer nochgut einen Kilometer von der vermeintlichenQuelle der Impulse entfernt.«

»Dein Standort ist exakt lokalisiert, erdeckt sich mit der zuletzt übermittelten Pei-lung, die von den Blues bestätigt wurde.«

»Dann hat der Sender sich bewegt.«»Vielleicht. Kannst du besondere Feststel-

lungen treffen?«»Nichts, was dir nicht augenblicklich be-

kannt wäre«, erwiderte Dao-Lin-H'ay ge-reizt.

»Ich meine deine telepathischen Fähigkei-ten. Spürst du die Nähe von etwas Frem-dem?«

»Das hätte ich dir gesagt, Myles.«»Also nicht.«»Nein. -Ich schlage jetzt die neue Rich-

tung ein. Die Quelle könnte in dem halbku-gelförmigen Gebäude liegen …«

- »Ich hab's auf dem Schirm. - Die Signa-

Am Ende einer Hoffnung 53

le, die dein SERUN übermittelt, werdenstärker.«

»Das ist auch meine Feststellung. Fallsdie Peilung nicht wieder auswandert, nochsechshundert Meter, Myles.«

»Ich registriere ein weiteres Anwachsen.Das wird rhythmischer.«

Dao-Lin-H'ay stieß eine Verwünschung inihrer Muttersprache aus, ein deutliches An-zeichen der inneren Anspannung, unter dersie stand.

»Du wirst es nicht glauben, Myles, aberdie Quelle ist aus der Peilung verschwun-den. Sieht so aus, als kämen die Impulseplötzlich von allen Seiten.«

»Aus dem Hyperraum.«»Nein, Myles, ich hab's wieder!« Die Kar-

tanin schrie die Feststellung schier hinaus.»Eineinhalb Kilometer südsüdwest …«

Sie begann zu laufen, vergaß sogar denGravopak ihres SERUNS. Erst die lauterwerdende Stimme des Wissenschaftlers ließsie wieder zur Besinnung kommen und inne-halten.

»Ich dachte gerade …«, Dao-Lin-H'ayrang hörbar nach Atem, »ich dachte, ichschaffe es. Der Sender muß doch, zu finden…«

»Hör auf damit! Bitte. Die Signale sindnoch stärker geworden, als lade der Sendersich auf. Ich denke, daß wir sie bald auchauf der ENZA empfangen können. Sie ha-ben einen eigenen Rhythmus bekommen,das ist unverkennbar.«

Myles Kantor überspielte der Kartanin diesyntronisch verstärkten Impulse. Sekunden-lang glaubte sie vor allem ein starkes Hinter-grundrauschen zu hören, dann fiel ihr dieGleichmäßigkeit der Töne auf.

»Ich höre nur das Blut in meinen Schlä-fen«, stöhnte sie. »Tut mir leid, Myles, aberich bin zu sehr abgelenkt.«

»Fällt es dir wirklich nicht auf?«Dao-Lin-H'ay schwieg; bemühte sich, fla-

cher zu atmen. Der Aktivator in ihrer Schul-ter hatte die körperliche Anstrengung ohne-hin schon ausgeglichen.

Ein dumpfes Pochen klang der Kartanin

entgegen. Ein Pochen, das sich regelmäßigwiederholte. Immer wieder. Unaufhörlich.

»Das Schlagen eines Herzens«, sagte sie.»Ich habe keinen anderen Vergleich dafür.«Sie starrte in die Aufnahmeoptik ihres Arm-bands. »Goeddas Herz? Aber Goedda isttot.«

»Das ist sie.«»Mit was haben wir es zu tun, Myles?«»Ich weiß es nicht, noch nicht. Aber du

hast genug Material gesammelt, Dao-Lin.Komm zurück an Bord!«

»Was sagen wir Gorrü Yanzap?«»Daß wir alles unternehmen werden, um

den Apasos auf Verdacht Unterstützung zu-kommen zu lassen. Was wir gefunden ha-ben, ist kein ausreichender Beweis für dieExistenz eines Philosophen, aber wir müssenuns der Sache annehmen.«

Ein weiterer halber Standardtag verging,bis die ENZA sich aus dem Orbit löste undKurs auf den Standort der GILGAMESCHnahm.

Die Signale hatten sich weiter verstärkt,ihr Ausgangspunkt war dennoch nicht besserzu lokalisieren als zuvor.

»Ich bestehe auf Hilfe für Apas!« drängteder Sachbearbeiter der Blues. »Wenn nicht,werde ich dafür sorgen, daß die ganze East-side in Aufruhr gerät.«

Das war eine unverhohlene Drohung. Undein weiteres Feuer an der Zündschnur einesSprengsatzes namens Galaktikum.

»Gorrü Yanzap hat Angst«, folgerte My-les Kantor. »Allerdings würde er das nie-mals eingestehen. Ich hoffe nur, daß er einenkühlen Kopf behält und während unsererAbwesenheit nicht den halben Planeten inSchutt und Asche legt.«

10.Bericht Atlan

Orsener und seine Posbis waren inzwi-schen zu uns gestoßen. Im Laufe von einein-halb Tagen hatten sie sich entlang der Peri-pherie der Anlage in unsere Richtung vorge-arbeitet und waren durch einen aufgefange-

54 Hubert Haensel

nen Rafferimpuls des Speicherkristalls aufunsere Position aufmerksam geworden.

Eigentlich sollte uns das eine Warnungsein. An Stelle der Posbis hätten ebensogutdie Käfer-Krieger oder Roboter der Tolkan-der erscheinen und uns angreifen können.

Wie lange willst du das Schicksal nochherausfordern? warnte mein Extrasinn.

Bis ich weiß, was ich erfahren wollte, ant-wortete ich.

Fühl dich nicht zu sicher!Immer noch funktionierte das Abzapfen

der Kommunikation ohne Zwischenfall. DieAuswertung erbrachte mehrere Konferenz-schaltungen der Chaeroder. Mit immer neu-en Unterbrechungen, die vor allem von Be-fehlen an die Physander geprägt waren, re-deten sie über fünfdimensionale Probleme.Ich war überzeugt davon, daß Myles Kantorsich mit größtem Eifer an die Analyse derAufzeichnungen machen würde, doch mirhalf das momentan nicht einen Schritt wei-ter.

Mitten im Satz brach Unkeer plötzlich ab.»Es geschieht!« rief er gleich darauf aus.»Ich bekomme soeben die Meldung, daß wirEmpfang haben …«

Ein metallisch klirrendes Geräuschschreckte mich auf. Die Warnung des Extra-sinns fiel nahezu mit meiner Reaktion zu-sammen: Ich warf mich instinktiv zur Seite.

Wo ich eben noch gesessen hatte, prallteder eigentlich betäubte Physander auf. Viermit mechanischen Greifwerkzeugen ausge-stattete Arme dröhnten gegen den Stahl derRöhren, und zweifellos hätten sie michschwer verletzt. Mein Befehl an den SE-RUN, die Schirmfelder auf keinen Fall zuaktivieren, galt noch immer.

Schon warf die Käfer-Ameise sich herum,knickte auf den dünnen Hinterbeinen einund setzte zum neuerlichen Sprung an. Jetztwar ich nicht mehr so leicht zu überraschen.Ich konnte mir nur Gedanken darüber ma-chen, seit wann der Physander die injizierteNarkose überwunden hatte - möglicherweisehatte sein Metabolismus sich längst ange-paßt.

Auch die Posbis machten von ihren Waf-fen keinen Gebrauch, zwei meiner Roboterhandelten jedenfalls schnell genug und ver-sperrten dem Angreifer den Weg.

Der Physander prallte mit voller Wuchtgegen Torrus, einen tonnenförmigen Posbimit zwei Armkränzen und kräftigen Säulen-beinen. Ein häßliches, knirschendes Ge-räusch hallte durch unser Versteck, als dieWerkzeuge die Hülle des Posbis malträtier-ten. Aber nicht davon stammte das Knir-schen, sondern vom splitternden Chitinpan-zer des Angreifers.

Und mittlerweile war auch der zweitesyntronisch-biologische Roboter heran undschlang einen ausfahrbaren Tentakel um denKäfer.

Ein dumpfes Knacken war alles, dann lie-ßen die Posbis den plötzlich schlaffen Kör-per zu Boden sinken.

Mein erster Blick galt den Anzeigen desSERUNS. Zumindest auf den uns bekanntenFrequenzen hatte der Physander keinen Not-ruf abgesetzt. Trotzdem galt es, ab sofortnoch besser auf der Hut zu sein.

Ich machte den Posbis keine Vorwürfe,daß sie den Physander kompromißlos getötethatten. Wir hätten noch viel mehr von dieserBrut umbringen sollen. Sobald ich darandachte, welch unsägliches Leid sie über dieMilchstraße gebracht hatten, geriet meinBlut ins Kochen. Alles in mir schrie nachVergeltung, wollte mich dazu bringen, Ra-che zu nehmen. Immer öfter ertappte ichmich bei dem Gedanken an eine Armadavon Kugelraumern, die aus allen Geschützenfeuernd die Tolkanderheere und ihre Weltenmit vernichtenden Transformsalven beleg-ten. Aber das war leider nur ein Tagtraum,der sich nicht verwirklichen ließ - davon ab-gesehen, daß die Tünche der Zivilisationmich immer noch daran hinderte, ins Barba-rentum zurückzufallen.

Viele denken so. Sie töten in Gedanken,und das ist die einzige Hoffnung, die ihnenbleibt.

Wie lange noch, bis die Tolkander unsaufspürten?

Am Ende einer Hoffnung 55

»Wir müssen uns zurückziehen«, sagteOrsener.

Ich schüttelte den Kopf. »Später«, sagteich nur ausweichend. Vielleicht brauchte ichnoch ein paar Daten. Irgendwie hatte ich dasGefühl, daß ich kurz vor der Wahrheit stand.Unkeers plötzliches Schweigen in der Auf-zeichnung und sein folgender Ausruf schie-nen bedeutungsvoll gewesen zu sein.

»Mit der Wiedergabe der Aufzeichnungerneut beginnen«, forderte ich den Servoauf. »Beginn drei Sekunden vor dem Ab-bruch.«

Ein triumphierender Ton lag in UnkeersStimme. Vorhin hatte ich diese feine Nuanceüberhört, aber jetzt achtete ich darauf.

»Es geschieht. Ich bekomme eben dieMeldung, daß wir Empfang haben - die hy-perenergetische Natur der eintreffenden Im-pulse ist eindeutig.«

Sie redeten durcheinander. Ich kannte dieChaeroder nicht, die Unkeer aufforderten,sie den Ibn der Hoffnung hören zu lassen,aber sie waren irgendwo weit entfernt statio-niert, auf anderen Tolk-Welten und auf Glie-derschiffen.

Ein dumpfes, rhythmisches Pochen er-klang. Weder bedrohlich noch besonders im-posant.

»Die Signale werden stärker und bestän-diger«, verkündete Unkeer. »Es ist gut zuwissen, daß wir nicht mehr allein sind.«

»Auf diesen Lebenszeichen«, sagte einanderer Chaeroder; »ruht unsere ganze Hoff-nung auf den Fortbestand.«

»Sind sie bereits in genügender Anzahlvorhanden?«

»Ich weiß es nicht«, antwortete Unkeer.»Aber die Signale treffen von verschiedenenPositionen ein, die über die gesamte Galaxisverstreut sind. Unsere Hoffnung hat sich er-füllt, Goeddas Tod war nicht das Ende.«

Die Impulse sind wie das Schlagen einesHerzens …

… aber auch wie Sphärenklänge. Der Ein-druck, daß in diesen Hyperimpulsen daskosmische Hintergrundrauschen konserviert,verstärkt und außerdem verzerrt wurde, ließ

mich nicht mehr los. Ich ertappte mich da-bei, daß ich in Gedanken begierig auf dennächsten Herzschlag wartete.

Was war es, was ich da hörte? Der Herz-schlag einer neuen Mutter? Gab es in Tol-kandir oder in Suuvar weitere Monstren wieGoedda, die nach ihrem genetischen Kodegezüchtet worden waren?

»Wir sind entdeckt!« rief Murgor, derPosbi mit dem Aussehen eines kleinen Mar-schiere-Viels. »Die Tolkander haben denSpeicherkristall geortet.«

Im Schutz der Deflektorfelder zogen wiruns zurück. Nicht einen Moment lang zwei-felte ich daran, daß die Tolkander aus demVektor des programmierten Richtstrahlsen-ders auf unsere ungefähre Position schließenwürden. Nun galt es für uns, zum Beibootzurückzukehren und zu starten, bevor einKordon aus Igelschiffen die Flucht vereitel-te.

Wir kamen nicht weit. Unvermitteltschlug uns schweres Strahlenfeuer entgegen;die Invasoren besaßen also Möglichkeiten,unsere Deflektorfelder zu neutralisieren. Un-ter den Umständen brauchte wir uns nichtlänger zu beschränken.

»Alle Funktionen wieder verfügbar!« riefich, für den Pikosyn bestimmt. Keine Sekun-de zu früh, denn die Treffer aus mehrerenschweren Strahlwaffen, die mich von denFüßen rissen und meterweit zurückschleu-derten, hätten mich ohne die Paratronstaffelin Gedankenschnelle verglüht.

Gazkar, Alazar und Neezer hatten unsumzingelt, und sie griffen an, ohne auf dieeigenen Krieger Rücksicht zu nehmen. Ichsah Gazkar fallen, die von den Thermostrah-len nachfolgender Kämpfer in den Rückengetroffen worden waren.

»Es sind zu viele, Atlan«, meldete Orse-ner. »Meine Berechnungen ergeben, daß sieversuchen, uns in eine bestimmte Richtungzu drängen.«

»Wir müssen durchbrechen.«Es gab nur einen Weg, der mir auf Anhieb

erfolgversprechend erschien. Ich konnte Or-sener sehen, und er erkannte, daß ich in die

56 Hubert Haensel

Höhe blickte.»Wir halten die Tolkander auf und lenken

sie ab. Zieh dich zurück, Atlan - und vielGlück!«

Ich wollte protestieren, doch der Wider-spruch blieb mir im Hals stecken. Von allenSeiten kamen die Angreifer; die Gazkar klet-terten über Rohrleitungen und Fertigungsan-lagen hinweg, eine blau schillernde Flut, de-ren Drohung deutlich zu spüren war.

Erneut geriet ich unter schweren Beschuß,mein Flugaggregat versagte, weil alle ver-fügbare Energie für die Paratronstaffel benö-tigt wurde. Die Wucht des Angriffs über-raschte mich. Die Tolkander scheuten sichnicht, ihre eigene Produktionshalle in Schuttund Asche zu legen.

Warnanzeige im Helmdisplay. Der Zu-sammenbruch meines Schirmfelds standkurz bevor.

»Antigrav aus!«Ich wurde herumgewirbelt wie ein welkes

Blatt im Herbststurm, konnte selbst herzlichwenig erkennen. Nur die Einspiegelung derOrtungsdaten verriet mir, was ringsum ge-schah.

Zwei Posbis rasten neben mir in die Höhe,schirmten mich mit ihren Körpern ab.

Schirmfeldbelastung nur noch bei vierzigProzent.

Ohne zu zögern, aktivierte ich das Trieb-werk, das mich in die Höhe katapultierte.

»Steuerung übernehmen!«Bevor mich der Aufprall auf die Decken-

konstruktion verletzte, wechselte die Schub-richtung. Die Automatik des SERUNS rißmich in eine horizontale Flugrichtung undbrachte mich aus der Zone des heftigstenBeschusses. Hinter mir verglühten die bei-den Posbis in einer vernichtenden Explosi-on, die zugleich das rasche Vordringen derAngreifer ins Stocken brachte.

Neezer folgten mir, auch mehrere Gazkar.Ich verzichtete auf eine automatische Steue-rung und verließ mich diesmal in jeder Hin-sicht auf den Pikosyn, dessen Flugmanöverich niemals hätte nachvollziehen können.Nur fiel es mir kaum leichter als meinen

Verfolgern, während der abrupten Kurs-wechsel auch nur einen gezielten Schuß an-zubringen.

Die Einblendung auf dem Helmdisplaywechselte, zeigte unvermutet den Aufriß derDeckenkonstruktion in weniger als hundertMetern Distanz. Ein Symbolkreis verlangtevon mir, daß ich das Feuer auf einen be-stimmten Bereich der Konstruktion eröffne-te. Dort gab es offenbar nur eine schwacheAbdeckung.

Mehrmals hintereinander löste ich den aufImpulsmodus geschalteten Kombistrahleraus und raste Sekundenbruchteile später mit-ten hinein in das wabernde Chaos aus Glutund Trümmern, das von der ins Vakuum ex-pandierenden Atmosphäre explosionsartignach außen gewirbelt wurde. Ich war hin-durch, bevor ich es überhaupt richtig regi-strierte.

Mit Höchstwerten raste ich über die aus-gedehnte Anlage hinweg.

Ortungspunkte im Display. Elf Posbis hat-ten es geschafft, der Hölle zu entrinnen, undglitten in unterschiedliche Richtungen da-von. Nach ihnen erschienen die ersten Gaz-kar in der Einblendung.

Der Pikosyn suchte die bestmöglicheFlugbahn. Das Gebäude blieb hinter mir zu-rück, dicht über dem aufgewühlten Bodenging der halsbrecherische Flug in nördlicheRichtung.

Die Distanz zum Beiboot wurde bereitsangezeigt.

Ich gab den Impuls zum Öffnen derSchleuse. Noch funktionierte die Tarnung,aber sie würde in wenigen Augenblickenüberflüssig sein.

Stand der kompromißlose Angriff derTolkander im Zusammenhang mit dem, wasich über die hyperenergetischen Impulse er-fahren hatte? Wollten die Chaeroder verhin-dern, daß wir das Wissen über die neu ent-stehende Gefahr für die Galaxis weiterga-ben?

Hinter der letzten Hügelkette konnte ichdas Fragmentbeiboot erkennen. Es stand un-berührt an seinem Landeplatz, war aber

Am Ende einer Hoffnung 57

zweifellos für meine Verfolger inzwischenebenfalls sichtbar.

Zwei Ortungsreflexe näherten sich mitwahnsinniger Geschwindigkeit von Westen.Ich atmete auf, als ich erkannte, daß es sichum Posbis handelte. Sie gingen vor mir anBord, aktivierten die Waffen und das Trieb-werk für den Notstart.

Ein Thermoschuß verfehlte mich um we-nige Meter und riß eine große Lücke in dieReihe der Verfolger. Sekunden später warich unten und schwebte in die Schleuse.

»Wir starten!« meldete ein Posbi überFunk.

»Warte noch auf die anderen!«»Dann schaffen wir den Durchbruch nicht

mehr. Mehrere Igelschiffe befinden sich imAnflug.«

Diesmal standen uns keine LFT-Einheitenmit einem Ablenkungsmanöver zur Seite,wir waren auf uns allein angewiesen.

Hinter mir schwebte der Marschiere-Viel-Posbi in die Schleusenkammer. Unmit-telbar nach ihm noch ein vierter.

Das Beiboot hob ab. Mit wahnwitzigerBeschleunigung, die von keiner Lufthüllegebremst wurde, raste das 22Meter-Schiffden Sternen entgegen.

Ich erreichte die Zentrale, als die Igel-schiffe soeben hinter dem Rund des Planetenerschienen. Mit wenigen Handgriffen über-spielte ich die Speicherdaten meines SE-RUNS und damit alles, was wir auf Tolk-7in Erfahrung gebracht hatten, in den Pufferder Hyperfunkanlage.

Die Igelschiffe eröffneten das Feuer, wa-ren aber noch zu weit entfernt für Wirkungs-treffer. Zudem flog Orsener gewagte Aus-weichmanöver. Weitere Schiffe verließenihre bisherigen Positionen im System undschwenkten auf unseren Kursvektor ein.

Unser waghalsiges Beschleunigungsma-növer würde ausgebrannte Konverter undverglühte Triebwerke hinterlassen, dessenwar ich mir sicher. Dutzende von Kontrollensignalisierten mit ihrem Blinken das Über-schreiten der letzten Toleranzgrenze.

Immer noch waren die Schirmfelder des-

aktiviert, alle verfügbare Energie floß in denAntrieb.

Der erste Treffer erfolgte mittschiffs undriß den Rumpf bis zum Heck auf. Bis ichüberhaupt registrierte, daß wir schwer ge-troffen worden waren, befand das Beibootsich bereits etliche zehntausend Kilometerentfernt.

Der zweite Treffer durchschlug die imAufbau befindlichen Schirmfelder und zer-störte die Projektoren. Schutzlos rasten wirder Phalanx der Igelschiffe entgegen.

Das Fragmentbeiboot wechselte in denHyperraum über, als die Angreifer das Wir-kungsfeuer eröffneten.

*

Wir hatten es geschafft, hatten mit demhalbwracken Beiboot ohne Ausfall die Posi-tion der GILGAMESCH erreicht und warenvon den Traktorstrahlen in einen für Notfällereservierten Hangar gezogen worden.

Während Orsener und die drei anderenPosbis via Transmitter an Bord derBOX3187 zurückkehrten und die schwereAufgabe erfüllten, den Matten-Willys dergetöteten Posbis das Ende ihrer Schützlingeschonend beizubringen, übergab ich meineAufzeichnungen der mysteriösen Herztönean Myles Kantor, um sie von ihm und seinenWissenschaftlern untersuchen zu lassen.Vielleicht war es ihnen möglich, die Quelleder Hyperimpulse ausfindig zu machen.Dann würde ich nicht zögern, die Vernich-tung des betreffenden Objekts zu befehlen -wir würden mit allem zuschlagen müssen,was wir aufzubieten hatten.

»Signale?« fragte Myles nur. »Herztöne?«Fahrig strich er sich die Haarsträhne aus

der Stirn, die ihn hartnäckig belästigte.»Du weißt noch nicht, daß wir mit der

ENZA einen kleinen Abstecher gemacht ha-ben«, fuhr er fort. »Nur mal schnell in dieEastside, nach Apas. Und dort haben wir ge-nau dieselben Signale aufgezeichnet - nochdazu direkt an ihrem Ursprung.«

Sprach's, machte auf dem Absatz kehrt

58 Hubert Haensel

und verschwand mit meinen Daten wie miteiner Jagdtrophäe, um die Aufzeichnungeneiner eingehenden Untersuchung zu unter-ziehen.

Während er das tat, empfingen wir auf derGILGAMESCH nur mit kurzem zeitlichenAbstand Notrufe von mehreren Welten. Ein-hellig wurde behauptet, daß auf diesen Pla-neten der Kritzelwahn ausgebrochen sei.

Weder Dao-Lin-H'ay noch Homer G.Adams oder ich hatten Anlaß, daran zuzweifeln.

Hilferufe kamen von Arkon … von Gatas… aus dem Akon-System … von Nosmound anderen. Welten also, die sich nicht ineinem Spiralarm konzentrierten, sondern dieüber das gesamte Gebiet der Milchstraßeverteilt ihre Bahn zogen.

Wie lange noch? Ich dachte an denTraumtod. Der Blick in eine entsetzliche Zu-kunft, den ich getan hatte, drohte plötzlich

wieder Realität zu werden.Wir standen abermals da, wo wir vor Mo-

naten begonnen hatten. Wir standen wiederganz am Anfang.

Epilog

»Wir werden eine Kleine Mutter erschaf-fen und sie zu einer Großen machen.« Dassagten die Philosophen Dreur und Jenseits-dreur.

Und Jack und Jenseitsjack sagten es.Auch Icci-Ecc und Jenseits-Icci-Ecc sag-

ten diese Worte.Insgesamt zweiundfünfzigmal wurden sie

gesagt: »Wir werden dich erschaffen, KleineMutter. Und dich behüten und wieder großmachen, Kleine Mutter.«

E N D E

Die Bewohner der Milchstraße hatten gehofft, nach der Zerstörung der Traumblase seiauch die Gefahr durch die Tolkander und Goedda »erledigt«. Wie tragisch dieser Irrtum ist,erkennen sie nur ganz langsam - als nämlich überall in der Galaxis einzelne Welten im Bannedes Kritzelphänomens gefangen sind.

Die weiteren Geschehnisse in der Menschheitsgalaxis schildert Robert Feldhoff im PERRYRHODAN-Roman der nächsten Woche, der unter folgendem Titel auf den Markt kommt:

DER TRAUMTÄNZER

Am Ende einer Hoffnung 59


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