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Beitrage zur Chemie des Schwefels. SXVII’)

Die Molekulverteilung bei der Kondensationsreaktion zwischen Sulfanen und Halogensulfanen

Von F. F E i r B R und w. LAUE

Inhaltsuhersicht Es werden die Verteilungsfunktionen der bei der Kondensationsreaktion zwischeri

Sulfanen und Halogensulfanen auftretenden Molekclsrten abgelritet.

In fruheren Blitteilungen 2, wurde berichtet, daB die Sulfane init den Halogensulfanen eine Kondensatiorisreaktion eingehen, bei der liohere Homologe der im therschul3 eingesetzteii Koniponente tntstehen. Drr Vorgang verlauft unter quaiititativer Halogenwasserstoff-Abspal- tung, was gleichbedentend darnit ist, dal3 als Endprodukte keine Ver- biridungen vorn Typus HS,X, sondern entweder nur Sulfanc oder nur Halogensulfane und eventuell etmas in Sebenreaktionen gebildetei elcrnentarer Schwefel auftreten. Der Bruttoumsatz laBt sich durch folgende zwci Gleichu rigen beschreiben :

(1)

bS,X, -1 aH,S, = (b-a) S,X, + 2 aHX (bei HalogensulfannbersehuB). (11)

Die Formeln H,S, bzw. S,X2 gebeii die Bruttozusainmensetzung dcr erhaltenen Substanzen an, deren mittlere Kettenlange x man aus den eingesetzten Mengen a und b der Ausgangstoffe mit Hilfe der stochio- nictrischen Beziehung

aHzSn + bS,X, = (a-b) H,S, f 2 bHX (bei SulfanuberschuS)

berechnen kann. Sie reprasentieren also keiiie einheitlichen Verbin- dungen, sondern ein Cemisch der entstandenen Molckelarten mit eineni

l) XXVI. Mittlg.: F. FEHBR u. K. NAUSED, Z. anorg. allg. Chent. 283, 79 (1956). *) F. F E H ~ R , W. LAUE, J. KRAEMER, Z. Naturforschg. 7b, 574 (1952); F. FEHER

11. J. KRAEMER, Z. Naturforschg. 8b, 687 (1953); F. F E H ~ R , Vortrag anf den1 Kolloquiunl der Internationalen Union fur Reine u.Angewandte Chemie in Munster, 2 . 4 . Septdmber 1954; F. F E H ~ R , W. LAUE u. J. KRAEMER, 2. anorg. allg. Chem. 281,151 (1955); F. F E H ~ Angew. Chem. 67, 337 (1955); F. FEHBR u. G. REMPE, Z. Katurforschg. Sb, 688 (1953); Z. anorg. allg. Chem. 2S1, 161 (1955).

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nicht umgesetzten Anteil des iiberschussigen Reaktionspartners. Die Uneinheitlichkeit der Produkte wird dadurch verursacht, dafl auch das zuerst gebildete hohere Homologe genauso wie die Ausgangssubstanz mit der zugesetzten Komponente unter Halogenwasserstoff-Abspaltung kondensiert und dadurch schliefllich eine polymerhomologe Reihe von Molekeln verschiedener GroBe entsteht. Dieser Mechanismus erinnert formell an die in der Literatur mit ,,Polykondensation" bezeichneten Umsetzungen a), beispielsweise von Glykolen oder Diaminen mit Di- carbonsauren.

Wahrend in den bisher erschienenen Mitteilungen ,) die praparative Durchfuhrung der halogenwasserstoffabspaltenden Kondensations- reaktion und die dabei erzielten Ergebnisse - insbesondere der Exi- stenzbeweis der hoheren Schwefelverbindungen - beschrieben sind, ist der Gegeiistand von im Gang befindlichen Untersuchungen die Iso- lierung und Charakterisierung von einzelnen bis jetzt nicht bekaniiten hoheren Gliedern der homologen Reihen der Sulfane und Hslogen- sulfane. Von wesentlicher Bedeutung fur alle diese Arbeiten ist die Kenntnis der Konzentration der einzelnen Individuen in den anfallenden polymerhomologen Mischungen. Diese Molekelverteilung wird im fol- genden theoretisch abgeleitet.

Damit die Entwickluiig der Verteilungsfunktion nicht fur die beiden, den GI. (I) und (11) entsprechenden Spezialfalle einzeln durch- gefuhrt zu werden braucht, sol1 von der allgemeinen Form der Brutto- gleichung ausgegangen werden :

yA,Q + zBZR = (y-2) A,&&, + 3 zAB (y > 2). (111)

Die Gleichung besagt, daIj y Mole der uberschiissigen Verbindung A,& niit z Molen des ebenfalls formelreinen Reaktionspartners B,R unter Abspaltung von 2 z Molen des gasformigen Halogenwasserstoffs AB ein Produkt ergeben, da,s aus (y-z) Molen eines Gemisches der mittleren Zusammensetzung A,Q,R, besteht. Die Symbole A und B entsprechen dabei den funktionellen Atomen H und X, wkhrend Q und R die sich verknupfenden Schwefelketten darstellen.

Es liegt nun nahe anzunehmen, daB die einzelnen Kondensations- vorgange durch eine Reaktion zweiter Ordnung zwischen den Sulfan- und Halogensulfan-Molekeln eingeleitet werden, wobei sich durch AB- Abspaltung und Verknupfung der beiden Q- und R-Gruppen Partikel bilden, welche sowohl ein A- als auch ein B-Atom enthalten. Da der-

3, Der allgemeine Fall einer solchen Polykondensationsi*eaktion, welche unter un- vollstandiger Abspaltung xu eiiieni Gleichgewicht fuhrt, wird von P. W. FLORY [J. Amer. chem. SOC. 58, 1877 (1936)] behandelt.

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artige Verbindungen - wie anfangs erwahnt - in dem ausreagierten 01 nicht mehr vorhanden sein konnen, fuhren sie zwangslaufig zu einer Folgereaktion, in der unter nochma.liger AB- Abspaltung schwefel- reichere Sulfane bzw . .Halogensulfane entstehen. Diese konnen dann ebenso wie die Ausgangsstoffe weiterreagieren. Das Reaktionsvermogen der funktionellen Gruppen A und B durfte dabei in erster Annaherung unabhangig von der MolekelgroBe sein 4) .

Bei geeigneten Versuchsbedingungen kann man - wie in den fruheren Mitteilungen 2,

schon berichtet wurde - an und fur sich mogliche Nebenreakt ionen weitgehend unterbinden. Die hochgeschwefelten Verbindungen konnten namlich unter Bildung von niederen oder hoheren Homologen bzw. elementarem Schwefel zerfallen. Ferner ware eine intramolekulare Kondensation der Wasserstoff und Halogen enthaltenden Zwischen- stoffe denkbar. Der experimentelle Beweis der Schwefelfreiheit von verschiedenen Um. setzungsprodukten schliel3t diese aus. Daruber hinaus hat CAROTHERS~) fur Reaktionen zwischen Kohlenstoffverbindungen, die nach einer analogen Kinetik ablaufen, nachge- wiesen,.daR eine Ringbildung unwahrscheinlich ist.

Der gekennzeichnete Ablauf der Kondensationsreaktion fuhrt schliefllich dahin, daB im ausreagierten 61 nur Molekeln der Zusammen- setzung A,Qk+,Rk oder - wieder in spezieller Schreibweise - nur Molekeln der Form

H2Sk(n+m)+m mit k = 0, 1, 2, 3 . . . . (bei SulfanuberschuB) bzw. Sk(n+m)+m X, mit k = 0, 1 , 2 , 3 . . . (bei Halogensulfanuberschufl)

vorhanden sind. sich durch die folgende Gleichung formal beschreiben :

Die Bildung cines solchen einzelnen Teilchens laBt

(k + 1) A2Q + k B2R = A,Qk+l R, + 2 kAB- (IV)

Unter Heranziehung der Wahrscheinlichkeitsrechnung sol1 nun die Zahl nk der Mole A,Q, die sich zu Nk-Molen der Verbindung A,Qk+lRk kondensieren, bestimmt werden. Sic ergibt sich durch Multiplikation der Gesamtzahl y der eingesetzten Mole A,& mit der Wahrscheinlich- keit W,, daB eine SQ-Gruppe Teil einer im Endprodukt vorliegenden $, Qk+,Rk-Molekel ist. Einen Ausdruck fur diese Wahrscheinlichkeit erhalt man durch folgende Oberlegung.

Man betrachte die Reaktionswahrscheinlichkeit der funktionellen Gruppen. Sic hat fur alle B-Gruppen - wie man sofort erkennt - den Wert 1, da samtliche B,R-Molekeln und auch alle Zwischenstoffteil-

*) Diese Annahme wird gestutzt durch die Arbeiten von P. W. FLORY, [J. chem. Physics 3, 107, 432 (1935); J. Amer. chem. SOC. 61,3334 (1939); Chem. Reviews 39, 154 j1946)] sowie durch die zusammenfassende allgemeine Begrundung in L. KUCHLER, , ,Polymerisationskinetik", Springer 1951, S. 253.

5 ) W. H. CAROTHERS u. J. W. HILL, J. Amer. chem. SOC. 55, 5043 (1933); E. W. SPANAQEL u. W. H. CAROTHERS, J. Amer. chem. SOC. 57, 929 (1935).

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chen AQiRiB an der unter AB- Abspaltung verlaufenden Umsetzuiig teilgenommen haben und deshalb im Endprodukt keine B-Gruppen enthaltenden Partikel mehr vorhanden sind. Von den anfangs vor- liegenden 2 g A-Gruppen haben aber nur 2 z reagiert, so dal3 die Reak- tionswahrscheinlichkeit fur irgendeine vor der Umsetzung heraus- gegriffene A-Gruppe z/y, betragt. Andererseits ist die Wahrscheinlich- keit fur das Nchtreagieren einer A-Gruppe gleich (1 - z/y).

Nach dieser Vorbereitung sol1 zunachst eine Relation fur die Wahr- scheinlichkeit abgeleitet werden, mit welcher die Q-Gruppe eines vor der Reaktion willkiirlich herausgegriffenen A, Q-Teilchens Bestandteil .einer im Endprodukt vorhandenen A,Q,R-Molekel ist. Fur die Be- teiligung des betrachteten A, Q-Teilchens an der Bildung einer A, Q2R- Molekel gibt es nun nach dem vorausgesetzten Mechanismus zwei Mog- lichkeiDen, von denen die erste folgendem Schema entspricht :

einer bcliebigen B,R-Molekel. w, = z/y.

einem A irgendeines weiteren A,&-Teilchens. w2 = 1.

1. Reaktion der ersten A-Gruppe des herausgegriffenen A,&-Teilchens mit einem B

2. Reaktion der B-Gruppe des beim ersten Schritt gebildeten Zwischenstoffes niit

3. Nichtreaktion der zweiten A-Gruppe des herausgegriffenen A,&-Teilchens WQ = (1 - z/y).

4. Nichtreaktion der anderen noch in der Verbindung A,&,R enthaltenen A-Gruppe. w p = (1 - x/y).

Die zweite Moglichkeit erhalt man aus der ersten durch Vertauschung der heiden A-Gruppen in den Teilschritten 1 und 3.

Beide Fiille weisen die gleichen, in dem Schema schon angegebenen 'Teilwahrscheinlichkeiten wi auf und unterscheiden sich hauptsachlich in dem Platz, den die herausgegriffene Q-Gruppe in dem entstandenen AQRQA einnimmt. Allgemein ist mit der Zahl dieser Platze auch die Zahl der moglichen Reaktionswege zum Aufbau der betreffenden Molekel gegeben.

Da die einzelnen Teilschritte der beiden Moglichkeiten im Sinne der Wahrscheinlichkeitslehre ,,voneinander unabhangige", ,,gleich- zeitig" eintreffende Ereignisse sind, larjt sich die Wahrscheinlichkeit fur das Auftreten eines bestimmten der beiden miiglichen Gesamt- vorgange durch das Produkt der einzelnen Teilwahrscheinlichkeiten in der Form z/y (1 - z/y)2 darstellen. Die gesuchte Wahrscheinlichkeit, daB ein herausgegriffenes Q Teil einer im Endprodukt vorhandenen A, Q,R-Molekel ist, erhiilt man durch Addition der den beiden Moglich- .keiten entsprechenden Wahrscheinlichkeitsprodukte zu

w, = 2 5 ( 1 -;>I. Y

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Zur Bildung einer A,Qk+lR,-Molekel sind k Reaktionen sowohl von gewissen A-Gruppen als auch von gewissen B-Gruppen erforderlich. Sol1 die betrachtete Molekel Endprodukt sein, so mussen auch in diesem allgemeinen Falle noch die beiden Ereignisse des Nichtreagierens von je einer A-Gruppe berucksichtigt werden. Die Zahl der Moglichkeiten fur den Aufbau eines A,Q,+lR, aus einem heFausgegriffenen A,& ist (k + l), da dessen Q-Gruppe (k + 1) verschiedene Stellen besetzen kann. Fur die Wahrscheinlichkeit, da13 eine beliebig herausgegriffene Q-Gruppe Teil irgendeiner im ausreagierten 01 vorliegenden A, Qk+lRk- Molekel ist, la& sich dann die Beziehung

auf stellen. Mit Hilfe dieser Relation bekommt man fur die Zahl nk der Mole

A,&, die sich schliefilich zu Nk Molen der Verbindung A2QkclRk kondensieren, die Funktion

Fur die Molzahl Nk des A,Qk+lRk selbst ergibt sich daraus durch Division mit der Zahl (k + 1) der zum Aufbau einer Molekel notwendigen Q-Gruppen die Gleichung

Die gebrauchlichsten Ausdrucke zur Charakterisierung der Molekel- verteilung stellen der Molenbruch C, und der Massenanteil Pk dar, die auch ,,Hauf igkei t s v e r teilungsf u n k tion" bzw. ,,Massenver - t e i lungsfunkt ion" genannt werden. Sie berechnen sich aus den ge- wonnenen Beziehungen zu

n'k Nk Z k Ck = -;-- = ?-Z = (,) (1 - $) 2 Ni

'j) Neben den1 beschriebenen Weg konnen die Verteilungsfunktionen auch auf fol- gende Weise abgeleitet werden : Man betrachtet die Konzentrationsanderungen der auf- tretenden einzelnen Molekelarten als Funktionen der infinitesimal zutropfenden Menge des Reaktionspartners B,R und integriert die dabei gewonnenen Differentialgleichungen. Die Giiltigkeit der erhaltenen Relation fur alle entstehenden Homologen wird nach dem Verfahren der vollstandigen Induktion bewiesen. Auf die ausf uhrliche Wiedergabe dieser interessanten, jedoch etwas umfangreicheu Behandlung, welche zu demselben Ergebnis fiihrt, ist in der vorliegeuden Mitteilung aus Raummangel verzichtet worden. Verwiesen sei auf W. LAUE, Dissertation Koln, 1953.

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worin M, das Molekulargewicht des A,Q,+,R, und M, das mittlere Molekulargewicht des erhaltenen oles symbolisieren. In der speziellen , auf die Gln. (I) und (11) bezogenen Schreibweise haben die Verteilungs- funktionen ') die Gestalt

(bei SulfanuberschuB) I c k - - ( _. :>"(' -$) p k = $ ( a ) M b k ('-:)

bzw .

(bei HalogensulfaniiberschuB).

Ir - M,

7, Ein Zahlenbeispiel fur die Molekelverteilung bei einer Reaktion mit Sulfaniiber- schuB findet man in der XXII. Mittlg. [Z. anorg. allg. Chem. 281,151 (1955)j. Weitere Einzelheiten iiber die praktische Anwendung und Bedeutung der oben abgeleiteten Ver- teilungsfunktionen werden in spater erscheinenden Arbeiten noch behandelt.

Koln, Chemisches Institut der Universitat, Anorganische und Ana- Zytische Abteilung.

Bei der Redaktion eingegangen am 3. April 1956.


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