Hintergrund: Brasilien Nr. 29 / Mai 2015 | 1
100 Tage Dilma 2 Brasilien in einer wirtschaftli-
chen, politischen und moralischen Krise Beate Forbriger
Die Popularitt der brasilianischen Staatsprsidentin Dilma Rousseff und der Arbeiterpartei PT befindet
sich mit 13% auf einem historischen Tiefpunkt. Steigende Inflation, wachsende Arbeitslosigkeit und
schwache Wirtschaftszahlen haben die Investoren verunsichert. Auch politisch verliert Rousseff bedroh-
lich an Einfluss. Auf Druck der Koalitionsparteien musste sie bereits sechs der insgesamt 39 Minister
austauschen. Ferner erschttert seit Monaten ein gigantischer Korruptionsskandal im staatlichen l-
Konzern Petrobras das Land. Hunderttausend Brasilianer gingen im Mrz und April landesweit auf die
Straen, um gegen Korruption und fr ein Impeachment der Staatsprsidentin zu demonstrieren. Auch
wenn eine Amtsenthebung Rousseffs eher wenig wahrscheinlich ist, hat sie bereits nach 100 Tagen ihre
wirtschaftliche und politische Macht sowie ihr Ansehen und das ihrer Partei bei der Bevlkerung gr-
tenteils verspielt.
Die zweite Amtszeit der Staatsprsidentin Rousseff politische Bestandsaufnahme
Am 1. Januar 2015 begann die zweite Amtszeit der brasilianischen Staatsprsidentin Dilma Rousseff
von der Arbeiterpartei PT, die im November 2014 die Stichwahl gegen den Kandidaten der wichtigsten
Oppositionspartei PSDB, Acio Neves mit 51,64% zu 48,36% der Whlerstimmen - einem knappen
Vorsprung von nur 3,4 Mio. Stimmen fr sich entscheiden konnte. Die Bilanz der ersten 100 Tage
ihrer zweiten Amtszeit ist denkbar schlecht. Gleich zu Beginn musste sie die erste politische Niederla-
ge hinnehmen. Trotz umfangreicher Absprachen mit anderen Parteien und dem Verzicht auf weitere
mter in wichtigen Funktionen in der Abgeordnetenkammer und dem Senat, bekam die PT ihre beiden
Kandidaten fr den Vorsitz der Abgeordnetenkammer und des Senats nicht durch. Sieger beider Wah-
len waren die Kandidaten des Bndnispartners PMDB, Renan Calheiros fr die Prsidentschaft im Se-
nat und Eduardo Cunha fr die Prsidentschaft in der Abgeordnetenkammer. Beide Positionen sind
sehr einflussreich. Sie bestimmen fr die nchsten zwei Jahre die Agenda des Kongresses, knnen Ge-
setzesentwrfe vorantreiben, blockieren oder auf Eis gelegte Gesetzesvorlagen wieder aus der Schub-
lade ziehen. Allerdings besteht zwischen den beiden Husern nicht immer Konsens, was den Erfolg der
Gesetzgebungsverfahren erschwert. Auch verfgt Staatsprsidentin Rousseff ber ein Vetorecht.
Hintergrund:
Brasilien
Nr. 29 /18. Mai 2015
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Die PMDB ist als heterogene Partei ohne klare
ideologische Ausrichtung, aber mit ausgeprg-
tem Machtinstinkt bekannt. Bislang hat sie als
Knigsmacher in fast allen demokratisch ge-
whlten Regierungen Brasiliens der letzten
Jahre mitregiert. Seit etwas mehr als vier Jah-
ren stellt sie mit Michel Temer den Vizeprsi-
denten der Regierung Rousseff. Die PMDB ist
mit 65 Abgeordneten zweitstrkste Partei im
Abgeordnetenhaus, hinter der Regierungspartei
PT mit 69 (von insgesamt 513) Abgeordneten.
Die Oppositionspartei PSDB befindet sich mit 54
Abgeordneten an dritter Stelle. Insgesamt sind
in der aktuellen Legislaturperiode 28 der 32 in
Brasilien registrierten Parteien im Abgeordne-
tenhaus vertreten. 17 von ihnen gehren dem Regierungsbndnis an - eine wahre Herausforderung fr
jeden Staatsprsidenten des brasilianischen Prsidialsystems.
Mit der neuen Besetzung der 39 Ministerien lie sich Rousseff auffllig viel Zeit. Dies nicht nur, weil
sie ihre Allianzpartner bedienen musste, sondern auch, um sptere Ministerwechsel und einen weite-
ren Ansehensverlust ihrer Regierung zu vermeiden. Daher wartete sie zunchst ab, welche Politiker in
das Ermittlungsverfahren der Fderalpolizei zu den Korruptionsfllen im staatlich kontrollierten l-
konzern Petrobras (genannt Operation Lava jato) verwickelt waren und vom Obersten Fderalgericht
fr eine Anklage als hinreichend tatverdchtig befunden wurden. Rousseff selbst musste auch bangen,
ebenfalls auf der Liste der dringend Tatverdchtigen im PetrobrasKorruptionsskandal zu stehen.
Eduardo Cunha, gewhlter Senatsprsident von der PMDB (l.) gratu-
liert seinem Parteikollegen Renan Calheiros, zur Wahl als Prsident
der Abgeordnetenkammer (r.) Quelle: Flickr.com, Senado Federal,
Foto: Edilson Rodrigues / Agncia Senado
Staatsprsidentin Dilma Rousseff stellt die 39 Minister ihrer zweiten Amtszeit vor, am 1.1.2015 / Quelle: Flickr.com by Senado Federal,
Foto: Geraldo Magela/Agncia Senado
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Denn schlielich war sie von 2003 bis 2010 Aufsichtsratsvorsitzende des lkonzerns und hatte in der
Zeit diverse berfakturierte Dienstleistungs- und Kaufvertrge der Petrobras mit lkonzernen, Bauun-
ternehmen, Ingenieurbros, etc. unterzeichnet. Einige der in Untersuchungshaft befindlichen Ange-
klagten, darunter ehemalige Direktoren und Prsidenten renommierter Bauunternehmen und des lgi-
ganten Petrobras, beschuldigten Rousseff sogar namentlich, von den Schmiergeldzahlungen der Un-
ternehmen an die Firma Petrobras gewusst zu haben. Diese sollen vornehmlich in die Kassen der PT,
PMDB und PP geflossen sein, u.a. auch, um Wahlkampagnen zu finanzieren.
Von den 39 Ministerien wies die PT 17 sich selbst zu. Nur sieben gingen an den Koalitionspartner
PMDB, was prompt starken politischen Widerstand auslste. Dem Druck musste Rousseff schlielich
nachgeben. Bis heute musste sie bereits sechs Minister austauschen, darunter auch das wichtige
Ministerium fr Institutionelle Angelegenheiten, das die Aufgabe hat, politische Verhandlungen zwi-
schen den Parteien im Kongress zu fhren. Das Amt musste der PT-Minister an den Vizeprsidenten
Michel Temer von der Koalitionspartei PMDB abtreten. Ein herber politischer Machtverlust der PT, die
damit den wichtigsten Posten fr die politischen Verhandlungen innerhalb der Koalition an die PMDB
abtreten musste.
Dilma 1 versus Dilma 2 - Die Ausgangssituationen der Regierungen Rousseffs im Vergleich
Vergleicht man die Ausgangssituation der ersten Amtszeit Rousseffs vor vier Jahren mit der der jetzi-
gen zweiten Amtszeit, so lassen sich gravierende Unterschiede feststellen. Anfang 2011 konnte Rouss-
eff noch auf die volle Untersttzung des ehemaligen Staatsprsidenten und Parteikollegen Luiz Incio
Lula da Silva bauen, die Arbeiterpartei PT stand wenn auch nur billigend - hinter ihr und der wich-
tigste Koalitionspartner PMDB untersttzte ihre Regierung geschlossen. Nach den ersten 100 Tagen
ihrer ersten Amtszeit erhielt sie mit ber 70% der Zustimmung in der Bevlkerung, eine hhere Zu-
stimmung als ihr politischen Ziehvater und Amtsvorgnger, der ehemalige Staatsprsident Luiz Incio
Lula da Silva nach den ersten 100 Tagen seiner ersten wie auch seiner zweiten Amtszeit. Die Zeit-
schrift Economist krte Rousseff zur drittstrksten Frau der Welt - hinter Angela Merkel und Hillary
Clinton - , die Wirtschaftsdaten Brasiliens waren 2011 sehr gut, es bestand eine hohe Weltmarkt-
nachfrage nach Brasiliens Rohstoffen zu hohen Preisen, die Binnenmarktnachfrage war ebenfalls
hoch, Brasiliens Haushalt ausgeglichen, die Inflation unter Kontrolle und die Arbeitslosenquote gering.
Heute, Anfang 2015, ist die Situation Rousseffs
eine vllig andere. Die politische Untersttzung
Lulas, der PT und auch der PMDB sind gering. Die
Opposition hat deutlich an Strke gewonnen. Der
Korruptionsskandal Petrobras, in den vor allem die
PT und ihre Bndnispartner PMDB und PP verwi-
ckelt sind, ist gigantisch. Bislang beluft sich die
Hhe der nachweislich durch Schmiergeldzahlung
veruntreuten Gelder bei Petrobras auf ca. zwei
Mrd. Euro. Die brasilianische Wirtschaft wuchs
2014, trotz anhaltender Steueranreize nur schwach
(0,1% des BIP).
Umfragewerte zur Evaluierung der Regierung Dilma Rousseffs.
Seit dem 15.3.2015 stimmen ihrem Regierungsstil nur noch
13% der Bevlkerung zu (mit sehr gut/gut) / Quelle: G1.com.br
12-04 datafolha (avaliacaogovernodilma12-04datafolha.jpg)
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Die Inlandsnachfrage ist, insbesondere aufgrund der mittlerweile hoch verschuldeten Haushalte stark
rcklufig, das Nominaldefizit des Landes mit 6,7% des BIP doppelt so hoch wie im Vorjahr (2014),
die Inflation hat mit ca. 8% die Zielmarke von 4,5% (+/-2%) weit berschritten und die Arbeitslosen-
zahl steigt kontinuierlich. Da verwundert es nicht, dass laut Umfragen im Mrz 2015 nur noch 13%
der Bevlkerung mit der Regierung Rousseff zufrieden waren.
Auch die externen Faktoren entwickelten sich
ungnstig - sind aber bei Weitem nicht allein fr
die Wirtschaftsmisere verantwortlich, wie von
der PT gerne behauptet wird. Die Landeswhrung
Real hat deutlich an Wert verloren (ber 30%
seit Anfang 2014) und die internationale Nach-
frage nach Rohstoffen wie auch die Weltmarkt-
preise fr Rohstoffe sind stark gefallen. Darber
hinaus befindet sich Brasilien am Rande einer
Wasser- und Energiekrise. Aufgrund fehlender
Niederschlge musste die Wasserversorgung,
insbesondere in den wirtschaftlich starken Ein-
zelstaaten So Paulo, Rio de Janeiro und Minas
Gerais schon mehrfach rationiert werden. Das
Wasservolumen reicht den Wasserkraftwerken
oftmals nicht mehr zur Stromproduktion aus, wodurch Brasilien auf andere Stromerzeuger zurckgrei-
fen muss, was die Strompreise deutlich verteuert. Die Wasserenergie macht den Groteil der Strom-
matrix Brasiliens aus. ber 80% des Stroms gewinnt das Land aus seinen Wasserkraftwerken.
Der von Dilma Rousseff ernannte neue Wirtschafts- und Finanzminister, Joaquim Levy, ein Wirt-
schaftsexperte der Universitt Chicago, soll das verlorene Vertrauen der Investoren in Brasilien durch
fiskalpolitische Anpassungen nun zurckgewinnen. Da es allein durch Manahmen wie Steuererh-
hungen fr die Brger oder die Abschaffung von Subventionen fr bestimmte Industriezweige nicht zu
schaffen sein wird, die Haushaltslcher zu stopfen, drngt Levy auf Reformen zur Erhhung der Kon-
kurrenzfhigkeit des Landes und Reduzierung der Staatsausgaben. Eine seiner Forderungen ist es u.a.
die Zahl der Ministerien von 39 auf 20 zu reduzieren, was der Regierung missfllt. Zwar knnte dies
zu finanziellen Einsparungen fhren, aber auch zu erheblichen politischen Schwierigkeiten, da die
Regierung ihre Mehrheit im Wesentlichen ber die Vergabe von politischen Posten sichert.
Ganz anders nahm der Koalitionspartner PMDB die Reformvorschlge auf. Im Eiltempo versucht er
nun, eine Reihe von Reformen durchzupeitschen, wie die Regulierung der Arbeitsrechte von Leiharbei-
tern, oder die Krzung von Ansprchen auf Arbeitslosenuntersttzung. Auch wurden Reformvorschl-
ge des Wahl-und Parteiengesetzes wieder auf die Agenda gesetzt. Bei ihrem Reformeifer geht es der
PMDB nicht nur um das Messen ihrer politischen Macht mit der PT, sondern auch darum, die Sympa-
thien der demonstrierenden Bevlkerung fr sich zu gewinnen. Denn an einer Destabilisierung der
Regierung oder gar des demokratischen Systems Brasiliens ist niemand interessiert, am allerwenigsten
die PMDB.
Niedriger Wasserstand des Trinkwasser-Reservoirs System Cantarei-
ra im Bundesstaat So Paulo / Quelle: Flickr.com Fernando
Stankuns, dam, Stausee Cantareira
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Zivilgesellschaft zeigte Rousseff und der Korruption die rote Karte
Am 15. Mrz und 12. April gingen brasilienweit Br-
ger mit Kind und Kegel auf die Straen, um in erster
Linie ihrem Unmut ber den weltweit grten Korrup-
tionsskandal im staatlich kontrollierten lkonzern
Petrobras Luft zu machen. Der Wertverlust des lgi-
ganten betrug allein im Jahr 2014 R$ 44,6 Mrd. (ca.
13,5 Mrd. Euro). Die Demonstranten kamen berwie-
gend im Nationaltrikot oder T-Shirts in den National-
farben gelb und grn, schwenkten die Nationalflagge,
sangen die Nationalhymne und hielten Schilder in die
Luft, auf denen Parolen standen, wie "Dilma raus!",
"PT raus!, Raus, ihr Korrupten!", Es reicht!, Hrt auf mit der Korruption!, Sofort eine Politikreform und "Impeachment gegen Dilma!".
Wre der Grund nicht so ernst gewesen, htten die Demonstrationen durchaus an Fan-Zge der ver-
gangenen Fuballweltmeisterschaft in Brasilien erinnert, denn sie verliefen friedlich, solidarisch und
demokratisch. Nicht zu vergleichen mit den Massenprotesten aus dem Jahr 2013 im Vorfeld der Fu-
ballweltmeisterschaft. Diese entzndeten sich damals an den Fahrpreiserhhungen des ffentlichen
Nahverkehrs. Sie nahmen immer grere Ausmae an, wurden hufig von sogenannten Schwarzen
Blocks unterlaufen und endeten berwiegend in Krawallen und gewaltsamen Zusammensten mit
der Polizei. Der Regierung Rousseff wurde schon damals von den Demonstranten Misswirtschaft, Kor-
ruption und Verschwendung vorgeworfen, woraufhin die Staatsprsidentin einen intensiveren Dialog
mit den Brgern und Verbesserungen im Bildungs-, Gesundheits- und Nahverkehrsbereich versprach
sowie die Verabschiedung eines neuen Anti-Korruptionspakets. Obwohl noch keine wesentlichen Re-
formen erfolgten, gelang Rousseff 2014, wenn auch nur knapp, die Wiederwahl.
Wer steckt hinter den demonstrierenden zivilgesellschaftlichen Bewegungen?
Aufgerufen zu den friedlichen Demonstrationen im Mrz und April 2015 hatten diverse zivilgesell-
schaftliche Bewegungen in erster Linie in den sozialen Medien. Zu den Bewegungen zhlten: Movi-
mento Brasil Livre MBL (Bewegung Freies Brasilien), dessen populrstes Fhrungsmitglied der libe-
rale 19-jhrige Kim Kataguiri ist, die liberal-neoliberale Bewegung #vempararua (#komm auf die Strae) und die liberal-libertre Bewegung Movimento Liberal ACORDA BRASIL (Liberale Bewe-
gung WACH AUF BRASILIEN). Einen hauptverantwortlichen Organisator der Demonstrationen gib es genauso wenig, wie ein einheitliches Motto. Zur berraschung der Regierung gingen Hunderttausende
Brasilianer in fast allen brasilianischen Einzelstaaten auf die Strae. In der Metropole So Paulo sollen
es im Mrz 2015 ber eine Million und im April ca. 700.000 Demonstranten gewesen sein, die sich auf
der berhmten Avenida Paulista und ihren Querstraen versammelt hatten. Aber auch in vielen ande-
ren Stdten Brasiliens beteiligten sich Tausende an den Protestmrschen. Diese sollten bewusst unpar-
teiisch sein, darauf legten die zivilgesellschaftlichen Gruppen groen Wert. Dennoch mischte sich die
oppositionelle Solidaridade als einzige Partei unter die Demonstranten und sammelte Unterschriften
fr ein Impeachment gegen die Staatsprsidentin.
Demonstration gegen Korruption und Inkompetenz der PT-
Regierung am 15. Mrz 2015 auf der Avenida Paulista in So
Paulo / Quelle: Archiv FNF-Brasilien
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Die Demonstrationen zeigten Wirkung. Un-
mittelbar nach den Demonstrationen im
Mrz beriefen der Justizminister und der
Generalsekretr der Prsidentin Rousseff
eine Pressekonferenz ein. Die beiden Regie-
rungsvertreter identifizierten die Demonst-
ranten als berwiegend Oppositionswhler
aus der Mittel- und oberen Mittelschicht,
die ein Ende der Korruption sowie eine Poli-
tikreform fordern wrden. Im Namen der
Regierung bekrftigten sie ihre Bereitschaft,
dennoch einen Dialog mit allen Klassen der
brasilianischen Gesellschaft zu fhren und
eine Politik fr alle Brasilianer machen zu
wollen. Auch teilten sie verstndnisvoll den
dringenden Wunsch der Bevlkerung nach Korruptionsbekmpfung und versprachen, in Krze das
Wahlversprechen der Regierung einzulsen und ein Manahmenpaket zur Korruptionsbekmpfung zu
prsentieren, was wenig spter auch geschah. Die Forderung nach einem Amtsenthebungsverfahren
gegen Dilma Rousseff lehnten sie kategorisch ab, da ein Impeachment ihrer Meinung nach kein demo-
kratisches Instrument sei. Auch verneinten sie vehement die Existenz einer Regierungskrise.
Eine erste ffentliche Protestwelle gegen die
Staatsprsidentin Dilma Rousseff fand bereits am
8. Mrz statt, als sie anlsslich des Internationa-
len Frauentags eine Fernsehansprache hielt, in
der sie vor allem ihre Politik verteidigte. Die Brasi-
lianer reagierten in vielen Stdten emprt mit
sogenannten Terrassenrevolten. Whrend ihrer
Ansprache buhten und pfiffen sie aus den Fens-
tern, schlugen mit Kochlffeln auf Tpfe und
Pfannen, schalteten mehrfach hintereinander die
Lichter in ihren Wohnungen ein- und aus oder
riefen lauthals Dilma raus, Dilma Diebin". Die
Videos wurden in den sozialen Netzen verbreitet. Um einem erneuten ffentliche Ausbuhen und Topf-
schlagen mit Breitenwirkung zu entgehen, vermied Rousseff seither weitgehend ffentliche Auftritte.
Hinsichtlich ihrer Ansprache zum 1. Mai (dem Internationalen Tag der Arbeit) folgte Rousseff sogar
dem Rat ihrer Strategieberater, Pressesprecher und auch des ehemaligen Staatsprsidenten Lula da
Silva, diese erstmals nicht zu einer festen Uhrzeit landesweit ber die ffentlichen Radio- und Fern-
sehsender zu bertragen, sondern stattdessen eine Videobotschaft ins Internet einzustellen, die zu
beliebigen Uhrzeiten abgerufen werden konnte.
Demonstration gegen die Staatsprsidentin Dilma Rousseff und die
Regierungspartei PT vor dem Wagen der Bewegung Freies Brasilien am 12. April 2015 auf der Avenida Paulista in So Paulo / Quelle: Archiv
FNF-Brasilien
Proteste der brasilianischen Bevlkerung gegen die Staatsprsiden-
tin Dilma Rousseff. Terassenrevolte mit Topfschlagen / Quelle: Flickr.com, Jesco Carneiro, panelao
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Wie wahrscheinlich ist ein Impeachment?
Ein Impeachment gegen die amtierende Staatsprsidentin
Dilma Rousseff, wre rechtlich nur dann mglich, wenn man
ihr einen konkreten Strafbestand nachweisen knnte, z.B. eine
konkrete Beteiligung an einer Schmiergeldaffre, die Verwen-
dung von Bestechungsgeldern fr ihre Wahlkampagne 2014
oder einen Versto gegen das Gesetz der Ausgabenverantwor-
tung in ihrer aktuellen Amtszeit. Der erste Fall ist eher un-
wahrscheinlich, da das Oberste Fderalgericht bereits befand,
dass die Vorwrfe gegen Rousseff im Korruptionsfall Petrobras
nicht ausreichend seien. Sollten jedoch nachgewiesenermaen
Schmiergelder in Rousseffs Prsidentschaftskampagne 2014
geflossen sein, oder sich der Verdacht besttigen, dass ihre
Wahlkampfflugbltter zum Teil kostenlos von der staatlichen
Post Correios an Millionen von Haushalten ausgetragen wur-
den, so htte dies weitreichende Konsequenzen. Denn damit
htte sie gegen das Wahlgesetz verstoen, was der Wahl
Rousseffs und der ihres Vizeprsidenten die rechtliche Grund-
lage entziehen wrde. Der lachende Dritte wre der Zweitplat-
zierte der Stichwahl, Acio Neves und sein Stellvertreter von
der Oppositionspartei PSDB. Der zuletzt genannte Fall zum
Versto der Ausgabenverantwortung, knnte nur dann zum
Tragen kommen, wenn die Prsidentin einer unzulssigen Fi-
nanzierung oder Ausgabe ffentlicher Gelder berfhrt wer-
den knnte. Insbesondere hier sieht die Opposition eine kleine
Chance. Denn noch sind die Untersuchungen nicht abgeschlossen und vor allem dank der krzlich in
Brasilien eingefhrten Kronzeugenregelung, werden fast tglich weitere Korruptionsflle bekannt.
Einer davon fhrte krzlich zur Verhaftung eines weiteren Schatzmeisters der PT, zwei weitere Korrup-
tionsflle deckten korrupte Machenschaften in der Fderalen Steuerbehrde und der Brasilianischen
Entwicklungsbank BNDES auf.
Im Fall eines Amtsenthebungsverfahrens innerhalb der ersten beiden Jahre einer vierjhrigen Amtszeit
wrden Neuwahlen stattfinden. Die Regierungsgeschfte wrde bergangsweise der Vizeprsident
bernehmen. Im Falle eines Impeachments in den letzten beiden Jahren einer Amtszeit wrde es keine
Neuwahlen mehr geben. Der Vizeprsident wrde das Prsidentenamt bis zum regulren Ende der Le-
gislaturperiode ausben.
Insgesamt erscheint bislang ein Impeachment gegen Rousseff jedoch eher unwahrscheinlich. Es fehlt
an einer starken politischen Alternative zur jetzigen PT-PMDB-Regierung. Vor 23 Jahren beim Amts-
enthebungsverfahren gegen den damaligen Staatsprsident Fernando Collor de Mello war das anders.
Damals wurden die Opposition und ihre Verbndeten von der mchtigen PMDB untersttzt. Heute
drfte die PMDB kaum an einem Regierungswechsel ernsthaft interessiert sein, da sie de facto die
Regierungsgeschfte ja schon ausbt. Sie wird vermutlich mit der Opposition in all denjenigen Anlie-
gen kooperieren, die der wirtschaftlichen Entwicklung dienen und das Land stabil halten.
Staatsprsidentin Dilma Rousseff bei einer Pres-
sekonferenz zu den landesweiten Demonstratio-
nen in Brasilien im Regierungspalast in Braslia /
Quelle: Flickr.com Senado Federal, Foto: Jonas
Pereira, Agncia Senado
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Politische Konsequenzen
Die PT hat an Glaubwrdigkeit verloren. Ihr Image einer Arbeiterpartei mit ethischen Werten, ist stark
beschdigt. Namenhafte Politiker und Mitbegrnder der PT gehen auf Distanz. Der Macht-Zyklus der
PT scheint nach den beiden grten Korruptionsfllen in der Geschichte Brasiliens - Mensalo in der Zeit der Regierungen Lulas und Petrobras in der Zeit der Regierungen Rousseffs sowie einer zwlf-
jhrigen Amtszeit erschpft. Ob der Aufruf des charismatischen, ehemaligen Staatsprsidenten Lula da
Silva nach einer erneuten Untersttzung der Prsidentin und der PT Erfolg haben wird, ist daher frag-
lich.
Die Opposition selbst kann lediglich mit ihrer Arbeit in der Parlamentarischen Untersuchungskommis-
sion zum Korruptionsfall Petrobras bei der emprten Zivilgesellschaft punkten, wo sich insbesondere
die liberalen Bundesabgeordneten Onyx Lorenzoni und Efraim Filho vehement fr die Aufklrung des
Skandals einsetzen. Die politische Macht der Opposition reicht momentan jedoch nicht fr mehr. Zwar
will ein Groteil der brasilianischen Bevlkerung eine neue, bessere Politik, aber ob diese mit den be-
stehenden Parteien und dem aktuellen Politiksystem mglich sein wird, ist hchst fraglich. 70% der
Brasilianer fhlen sich laut einer Umfrage vom Mrz 2015 von keiner der 32 brasilianischen Parteien
reprsentiert.
Auch die jngsten machen mobil und fordern auf den Demonstrationen Zusammen knnen wir verndern, Ich will ein besseres Brasi-lien, am 15.3.2015 auf der Avenida Paulista in So Paulo / Quelle: Archiv der FNF-Brasilien
Hintergrund: Brasilien Nr. 29 / Mai 2015 | 9
Ein positiver Moment fr liberale Politik
Zurzeit warten weitere Parteien auf ihre Registrierung beim Obersten Fderalen
Wahlgericht. Darunter auch Novo (Neu), eine zivilgesellschaftliche Bewegung, deren Mitglieder - zumeist aus der Mittel- und oberen Mittelschicht - bewusst nicht aus der Politik kommen. Sie wollen
sich von der alten Politik lossagen und eine neue Politik machen. Eine Politik, die die Macht der Politik
und Politiker einschrnkt. Sie stehen fr individuelle Freiheit, Marktwirtschaft, Rechtsstaat und einen
schlanken Staat und setzen sich insbesondere fr Innovation, Brgerbeteiligung und freien Zugang zur
Bildung ein. Fr Novo engagieren sich verschiedene liberale Gruppen und Organisationen, darunter
auch Mitglieder einiger Partnerorganisationen der FNF Brasilien. Sie untersttzen Novo bei der Ver-
breitung ihre liberalen Werte und werben fr eine Mitgliedschaft.
Die Politik in Brasilien bietet zurzeit sehr
viel Platz fr liberale Reformvorschlge.
Diesen Moment haben auch verschiede-
ne liberale und libertre Gruppen, Orga-
nisationen und politische Einzelpersn-
lichkeiten, die in verschiedenen brasilia-
nischen Parteien verstreut sind, erkannt
und nutzen ihn. Dabei zhlen sie auf die
Untersttzung der Zivilgesellschaft, die
sehr wachsam ist. Denn schlielich geht
es ihnen um die Zukunft Brasiliens.
Beate Forbriger ist FNF-Projektleiterin fr Brasilien.
Impressum
Friedrich-Naumann-Stiftung fr die Freiheit (FNF)
Bereich Internationale Politik
Referat fr Querschnittsaufgaben
Karl-Marx-Strae 2
D-14482 Potsdam
Demonstranten fordern Weniger Marx Mehr Mises, am 12.4.2015 auf der Avenida Paulista in So Paulo / Quelle: Archiv der FNF-Brasilien