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202 E. Miiller.

Elektrometrische Verfolgung der Reaktion zwischen Thiosulfat und Silbernitrat.')

Von ERICH MULLEB.

Mit 2 Figuren in1 Text.

Wenn man eine NatriumthiosulfatlGsung mit Silbernitratliisung nach und nach versetzt und das Potential einer Silberindikator- elektrode gleichzeitig verfolgt, so bekommt man eine Titrations- potentialkurve von der Gestalt I (ausgezogen) der Fig. 1, bei der in

Fig. 1. 10 ccm Thiosulfat mit Silbernitrat.

der iiblichen Weise die Kubikzentimeter AgNO, als Abszissen und die Potentiale in Millivolt gegen die Normalcalomelektrode als Ordi- naten benutzt sind. Diem zeigt im Verein mit dem zugeharigen Zahlenmaterial (Tab. 1) zwei Sprunge - abgesehen von anderen Unstetigkeiten - die bei 9,22 und etwa 20,5 ccm AgNO, gelegen sind. Aus dem genau festgestellten Gehalt der Thiosulfat- und Silber- nitratliisung wurde ein VerhBltnis Ag: S,O, von 1 = 9,19 ccm und

l) Nach Versuchen von H. MEDIaER und F. GANDIL.

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Elektrometr. Verfolgung d. Realcbion xwisehen Thiosulfat u. Silbemitrat. 203

ein solches von 2 = 18,38 ccm erfordern, und man sieht daher, daB der erste Sprung dem Ende der Reaktion

(1) bzw. dem Beginn von

(2) entspricht. Genau an dieser Stelle beginnt dann auch, dem Auge sichtbar, die erste Ausscheidung eines weiBen Niederschlages. Der zweite Sprung liegt nicht genau bei einem Verhtiiltnis Ag : S,O, = 2, also nach Beendigung von (2) und Auftreten freier Ago-ionen, son- dern etwas spater. Der Grund ist der, daB sich das Silberthiosulfat zersetzt nach

ein Vorgang, den man auch leicht mit dem Auge wahrnimmt. Wiihrenil bei der Titration bis zum ersten Sprung die L6sung un- gefarbt bleibt, vorausgesetzt, daB gut geriihrt wird, beginnt sie sich spater mehr und mehr zu braunen. Dieser Sulfidbildung sind auch

Tabelle 1. Tabelle 2.

Ag' + SaO," = Ag(S,O,)'

Ag(S,O,)' + Ag' = Ag,S,O,

AgaS,O, + Ha0 = + Haso, 7 (3)

10 ccrn etwa m/lO-Thiosulfat I- 50 corn H,O mit m/lO-AgNO, titriert

Temp. 18O C.

10 ccm m/lO-Na.$4 os + 50 ccm HpO mit m/lO-AghO,, titriert

Temp. lo C. -__ ccrn AgNO,

a

0 4 8 9

9,20 9,25 9,30

9,40

9,lO

9,35

10,o 14 15 16 18 19 'LO 21 22

;amp. Ohm' b

- 100 - 25 -I- 35

-

:; > 60 > 64 ' 65 < 66 66,5 > 60 92 54 53 40 40

170 100 ; 180 >

-- ___I __-

A b ccrn AgNO, Aa Q -

~ ______ 0 4 8 9 9,lO 9,20 9,25 9,40

30 30 80 M 20 20 10 12

13 15 18 18,20 18.30 18;35 18,40 18,50 19 'LO

60 70 M 10

komp. Ohm b

- 136 - 40 f 23

50

56,O ' 60 0' 61:3 > 90

110 115 119 119,5 119 8

170,0, 171 175 178

54,3

120:o;

A b A a -

17 80 M 9

4 1000

10 M

1. Maximum bei 9,23 ccm I. Maximum bei 9,22 eem Theorie 9,19 ccrn Theorie 9,19 ccm

11. Maximum bei 20,5 ccm 11. Maximum bei 18,37 ccrn Theorie 18,38 ccm Theorie 18,38 ccm

1) Die Millivolt ergeben sich durcli Multiplikation mit 2.

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204 E. Muller.

die Unstetigkeiten im Kurvenverlauf zwischen dem ersten und zweitea Sprunge zuzuschreiben. An sich kavn die stochiometrische Beziehung der (31 (2) zwischen Ag und S,O, durch den Vorgang (3) nicht ge- start werden, da dieser ja kein Silber verbrauchender ist. Der fur den zweiten Sprung gefundene Mehrverbrauch an Silber gegen das Verhaltnis Ag : S,O, = 2 kann deshalb nur durch Adsorption bedingt sein und zwar war vorauszusehen, daB als wesentlich adsorbierender Stoff das Sulfid und weniger das Thiosulfat des Silbers in Betracht komme, da die schwer liislichen Sulfide sich ganz allgemein durch groi3e Adsorptionsfahigkeit auszeichnen. Wenn die Sulfidbildung unterbunden werden kiinnte, dann sollte auch der Silberverbrauch der G1. (2) entsprechen. Es gelang in der Tat durch Einhaltung einer Temperatur von 0 bis 1" wilhrend der Titration jede Gelb- mrbung nach Uberschreitung des ersten Knickpunktes auszuschalten nnd fur diesen Fall wurde der zweite Sprung bei 18,37 ccm AgNO, gefunden, statt 18,38, wie es fur das Verhiiltnis Ag : S,O, = 2, also fiir das Ende der Reaktion (2) verlangt wird. Der Verlauf der Titrationspotentialkurve bei 0 O wird durch die punktierte Kurve I1 (Fig. 1) dargestellt. Die zugehbrigen Zahlen enthalt Tab. 2. Eine Zersetzung nach (3) trat hier erst n a c h dern zweiten Sprung, also erst bei UberschuS von Ag' auf.

Fiir die elektrometrische Titration des Thiosulfates mit Silber- nitrat geniigt es natiirlich, den ersten Sprung zu bestimmen, der allerdings nicht sehr pragnant ist.

Wenn man umgekehrt Silbernitrat mit Thiosulfat titriert, so wird man die Aufeinanderfolge der Reaktionen

und AgaS,O, + S,Oi' = 2Ag(S,O,)' erwarten. Aus der Tab. 3 und Fig. 2, Kurve I ersieht man, daS nur e in sehr starker Sprung auftritt, un g e fah r bei dem stichiometrischen Verhaltnis der (31. (4) Ag : S,O, = 2, denn d i e m Verhaltnis verlangt einen Verbrauch von 10,87 ccm Thiosulfat, wiihrend 11,05 gefunden werden. Bei der Titration in dieser Richtung scheidet sich nun von Anbeginn nicht nur gemkg (4) Silberthiosulfat aus, sondern auch Silbersulfid, da Reaktion (3) sich zu gleicher Zeit abspielt. Urn diese auszuschalten, wurde auch hier bei 0 bis l o C titriert, aber ohne Erfolg. Der Qrund ist in folgendem zu suchen. Das Thiosulfation setzt sich mit Wasser ins Gleichgewicht

2 Ag' + S,O," = Ag,S,O, (4)

(5)

8,0," + H,O + S + 2 H + SO;, (6)

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Eleklrometr. Verfolyuny d. Reaktim zwischen Thiosulfat 2c. Silbernitrat. 205

- mv

-m

0

+zDo

f M 0

-

3 ;$ -

1 1 I I 1

Tabelle 3. 20 ccm etwa m/lO-AgNO,

+ 50 ccm H,O mit m/lO-Nas$O, titriert

Temp. 18O C.

ccm Na,S,O, n

.- _.____-- 0 4 8 10 10,80 10,90 11 ,oo 11,lO 1450 12 15 20 25 30

komp. Ohm b

- ~ _ _ f 220

2 15 190 149 112 110

1-109’ - 50’ -- 58’

60 75

110 115 120

A b da

10 1590 M 20

Maximum bei 11,05 ccm NqS,O, Theorie 10,87 ccm Na+3,O,

schwerer loslich ist als Ag,S,O,.

Tabelle 4. 20 ccm etwa m lo-AgNO, + 20 ccm n/10- id atriumacetat

i- 30ccm H,O mit m/10-Nq$O, titriert Temp. 18O C.

ccm Na&O, a

0 5

10 10,BO 10,80 10,85 10,90 1 l,oo 15 20 25

b m p . Ohm b

+ 215 206 110 105 70

i- 66’ - B > - 10>

116 150 135

~ ._

d b A a -

_____ -

100 1400 M 50

Maximum bei 18,75 ccm Na,S,O, Theorie 18,75 ccm N+S,O,

Dadurch, daB durch Ag. dss 9” ltus dem Gleichgewioht herausgenommen wid, wird die -Resiction yon links nach rechts in Gang gesetzt.

Wenn nun bei der Titration mit Thiosulfat in Silbernitrat durch Kiihlung die Reaktion (3) nioht unterbunden werden kannn, wohl

X. mory. U. allg. Cheru. Bd. 134. 14

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a b e r bei der umgekehrten Titration von AgNO, in Thiosulfat, so beruht das darauf, da6 eben iin ersten Falle bie zur Beendigung von (4) Ag’ im Uberschu6 vorhanden ist, im zweiten bis zur Been- digung von (2) nicht J e hoher aber die Ag’-Konzentration, um so kleiner die S”-Konzentration und urn so grij6er die Chancen f i r (6) von links nach rechts.

TaWachlich kann such bei der Titration von AgNO, in Na$,O, die Ag&Bildung nach Uberschreiten des zweiten Sprunges Fig. 1, von wo ab Ag’-Ion im Uberschuf3 auftritt, nicht mehr unterbunden werden.

Fiir den Mehrverbrauch von Thioenlfat kann die Sulfidbildung auch hier aus den oben ange- gebenen Qriinden nicht verant- wortlich gemacht werden, die Ad- sorption von Silberion an das Sulfid ebensowenig, denn diese wlirde im entgegengesetzten Sinne wirken und zudem durch das Thiosulfat beseitigt werden. Es blieb deshalb nur die Vermutung tibrig, da6 die bei der Reaktion (3) gebildete Schwefelstlure auf das Thiosulfat zerstarend einwirke. In der Tat werden die Resultate genau, wenn zum Abstumpfen der

Tabelle 5. Wie bei Tab. 4 nur Temp. 75O C.

ccm Ns,S,O, a

0 ti

10 10,50 10,60 10,70

10,85 10,80

10,90 11,oo 11,50 12 15 15 20 21 25

komp. Ohm b

3.215 207 140 100 95 90 > 82 >

f 70> - 10, 30 > 80 85

105 120 130 133 138

d a A b -

80 120

1600 M 200 100

Maximum bei 10,87 ccm N@,O, Theorie 10,87 ccm N ~ t p S ~ 0 ~

%SO, Natriumacetat hinzugefilgt wird. Tab. 4 enthillt einen Ver- such bei 1 7 O und Tab. 5 einen bei 754 Fig. 2, Kurve I1 die gra- phische Darstellung des letzteren. Drr das Arbeiten bei erhahter Temperatur die Oenauigkeit des Resultates nicht beeintrgchtigt, so ist es dem bei niederer wegen der prompteren Potentialeinatellung vorzuziehen. Der Sprung iet ein auberordentlich gro6er.

Bei der Titration von AgNO, in Na,S,O, konnte in der Reak- tionsphrrse vom ersten zum zweiten Sprung (Fig. 1) die durch Reak- tion (3) erpeugte Saure bei 18O kaum eine Holle spielen, da der Umfeng dieser Reaktion nur gering ist, wohl aber bei der umge- kehrten Titration von Ka,S,O, in AgNO,. Denn daS hier die Zer- eetzung VOR Silberthioeulfat in Silbersulfid und Schwefelsaure voll- ethnndig ist, geht daraue hervor, daS der erste Sprung nach Been-

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Elektromek. Vevfolgung d. Reaktion xwischen Thiosulfat zc. Silbernitrat. 207

digung von (4) bis auf ein Potential von etwa -200 MV ftihrt, ein Potential, welches nach dem Anfangswert in Fig. 1 dem uberschiis- sigen Thiosulfat zukommt. Wurde nach Beendigung von (4), ange- zeigt durch den ersten Sprung in Fig. 2, Silberthiosulfat nicht der Reaktion (3) anheimgefallen sein, so wiirde durch dieses weiteres Thiosulfat nach (5) in den Komplex aufgenommen werden, und man hatte von da an denselben Zustand, wie in Fig. 1 zwischen dem ersten und zweiten Sprung, aamlich Silberthiosulfat neben den Ionen Ag(S,O,)', dem ein Potential in der Gegend von + 200 MV. zu- kommt (nach Fig. 1).

Wenn man bei der Titration von Thiosulfat in Silbernitrat an die Reaktion (4) sofort die Reaktion (3) anschlieSt, so ist der der Titration zugrunde liegende Bruttovorgang :

2Ag' + S,O," + H,O = Ag,S + H,SO, . (7) Da dann Vorgang (5) gar nicht stattfinden kann, so ist auch

ein zweiter Sprung nicht zu erwarten und er tritt auch nicht auf. In der Literaturl) findet man die Angabe, da8 sich Silber-

thiosulfat im UberschuS des Natriumthiosulfates lijst ; zunachst sol1 sich das schwer lijsliche AgKaS,O, bilden, welches sich in nocli mehr Natriumthiosulfat unter Bildung des laslichen komplexen Na,Ag,(S,O,), lijst. Fu r diese Auffassung bieten die Titrations- Potentialkurven keinen Anhaltspunkt. In ihnen macht sich nur be- merkbar das Silberthiosulfat Ag,S,O, und sein komplexes Ion Ag(S,O,)'. In der Fig. 1 zeigt sich freilich bei Eurve 11 no& bei etwa 12 ccm AgNO, eine sprungartige Richtungsanderung der Kurve, also bei einem Verhaltnis S,O, : Ag = 3 : 4, welches einer Verbindung K,Ag4(S203)3 entsprechen wiirde.

Zusamenfassung. Die Reaktion zwischen Silber- und Thio- sulfation wird durch elektrometrische Verfolgung geklart.

Man kann Thiosulfat mit Silbernitrat elektrometrisch titrieren. Beim Molverhaltnis Ag : S,O, = 1 tritt ein erster schwacher Sprung auf, ein zweiter vie1 starkerer beim Verhaltnis 2. Will man diesen beniitzen, so mu8 man bei O o titrieren.

Die elektrometrische Titration von Silber mit Tbiosulfat gelingt nur unter Zusatz von Natriumacetat, dann aber sehr gut bei 754 Beim Molverhaltnis Ag: S,O, = 2 tritt dann ein sehr groBer Sprung auf.

1) TREADWELL, Lehrbnch der analytischen Chemie. I. Bd. 4. Aufl. S. 323.

Dresdea , Laboratorizcrn fiir Elektroehmnie und physikalische Chmie der techmischem Hochsohule. 30. J a n w 1924.

Bei der Redaktion eingegangen an1 1. Februar 1924. 14*


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