Erfahrungsbericht
Mein Auslandssemester in Santiago de Chile
Student: Kathrin Rapp
E-Mail: [email protected]
Heimathochschule: Pädagogische Hochschule Heidelberg
Studiengang: Lehramt an Sonderschulen (Staatsexamen)
Semester: 9. Hochschul / 8. Fachsemester
Gasthochschule: Lehrerbildungsinstitut Wilhelm von Humboldt (LBI) Santiago de Chile
Aufenthaltsdauer: März – September 2011
Fußball in Südamerika (in Santiago)
Santiago by night
In den Anden Perus Wir 7 Austauschstudentinnen in Patagonien
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1. Entscheidung für ein Semester in Chile
Meine Entscheidung, ein Auslandssemester in Chile zu machen, hing von verschiedenen Aspekten ab. Zum
einen wollte ich schon länger gerne Spanisch lernen und habe daher sogar schon vor meiner Bewerbung für
das Baden-Württemberg-Stipendium am Sprachlabor der Uni Heidelberg zwei Spanisch-Kurse belegt. Zum
anderen hat es mich schon seit langem gereizt, außerhalb Europas weit weg von hier zu leben und etwas ganz
anderes zu sehen. Da ich viele reiselustige Freunde habe, die mir von ihren Erfahrungen aus Asien, Südamerika
und Australien erzählt haben, verspürte ich schon seit längerem Fernweh.
Über ein paar andere Studenten der PH erfuhr ich schließlich im 5. Semester, dass man über das Baden-Württemberg-Stipendium für ein Semester nach Chile gehen kann. Ich informierte mich anschließend im
Akademischen Auslandsamt und beschloss, dass dies eine einmalige Chance für mich ist, mein Fernweh zu
stillen, und dies sogar mit einem Studiensemester in Verbindung zu bringen. Natürlich sind auch die
finanziellen Aspekte nicht zu unterschätzen, da mir ein solcher Aufenthalt ohne das Stipendium nicht möglich
gewesen wäre. Die einzigen Bezüge, die ich zum Land Chile hatte, waren eine chilenische Arbeitskollegin von
mir und ein entfernter Bekannter, der in Santiago de Chile lebt. Ich wusste aber dennoch im Prinzip nichts über
dieses Land, außer dass es endlos lang und schmal ist und wohl eines der sichersten und eher wohlhabenderen
Länder in Südamerika ist. Dies bewegte mich auch letztlich dazu, von den in meiner Hochschule angebotenen
Auslandsprogrammen nach Südamerika Chile vor anderen Ländern zu bevorzugen.
2. Vorbereitung auf meinen Auslandsaufenthalt
Zwischen meiner Bewerbung und dem Beginn des Auslandssemesters verging über ein Jahr und so kam es,
dass ich mich zum Zeitpunkt der eigentlichen Reisevorbereitungen große Zweifel an meiner Entscheidung ins Ausland zu gehen hatte, obwohl ich das eigentlich ja wie oben geschildert schon seit langer Zeit wollte. Ich
hatte große Angst davor, mein soziales Umfeld in Heidelberg, meine Freunde, Familie, Arbeitskollegen,
Hobbies usw. zurückzulassen. Was mir sehr geholfen hat bei meiner Entscheidung war ein Treffen mit zwei
Studentinnen meiner Hochschule, die letztes Jahr am gleichen Austauschprogramm teilgenommen hatten. Ihre
positiven Berichte über ihre Zeit dort bestärkten mich, dem Ganzen eine Chance zu geben, trotz meiner
Vorbehalte, Zweifel und der aufgekommenen Traurigkeit und Angst davor wegzugehen. Letztlich traf ich mich
auch mit den anderen Heidelberger Baden-Württembergstipendiaten, die mit mir zusammen nach Chile
gingen, um sich etwas kennenzulernen und letzte Vorbereitungsinfos auszutauschen.
Nach den formalen Vorbereitungen wie Reisepass, Urlaubssemester beantragen, Handyvertrag still legen usw.,
fing die emotionale Vorbereitung an. Abschiedsessen hier, letztes Mal auf der Arbeit dort, und zum Schluss von der Familie und den besten Freunden verabschieden. Durch verschiedenste Einkäufe (Wanderschuhe,
Reisemedikamente, Wörterbuch, Reiseführer usw.) stellte ich mich emotional auf Chile und die mich
erwartenden Erlebnisse ein. Dennoch hatte ich plötzlich, als die Abreise immer näher rückte, große Angst vor
meinem Aufenthalt. Da ich vorher noch nie so lange Zeit im Ausland gewesen war, fühlte ich mich, als würde
ich unendlich weit weg für eine unvorstellbar lange Zeit fahren. Ich hatte Angst davor, mich dort einsam zu
fühlen, befürchtete unangenehme Situationen wegen der Sprachbarriere oder dass ich Heimweh bekommen
würde und wegen der Entfernung nicht so einfach wieder zurück nach Deutschland kommen könnte. Alles
völlig falsche Annahmen, wie sich im Nachhinein herausstellte… Die Zeit geht rasend schnell um, man ist viel
zu beschäftigt mit den neuen Eindrücken, als dass man sein zuhause vermissen würde und man sollte sich von
dieser „Vor-Abreise-Traurigkeit“ nicht unterkriegen lassen. Es ist alles halb so schlimm, wie man vorher denkt…
3. Studium am LBI
Da das LBI eine sehr kleine Hochschule ist (ca. 35 Studenten), fand ich
mich dort schnell zurecht und fühlte mich nicht mehr fremd, wenn ich dort
hinkam. Anfangs fühlte es sich zwar ungewohnt an, in so kleinen Kursen zu sitzen (ca. 10-12 Studenten), wo man bei Ankunft im Klassenraum jeden
Kommilitonen einzeln mit Küsschen begrüßte und nach einer Woche vom
Pförtner persönlich mit den Worten „Buenos días señorita Kathrin, cómo
estás?“ begrüßt wird. Doch daran gewöhnte ich mich schnell und
spätestens nach ein paar Wochen wusste ich diese persönlichen
Fleißige Studenten am LBI
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Begrüßungen, die typisch für die herzlichen Südamerikaner sind, sehr zu schätzen.
Auch Frau Sterzik, unsere betreuende Hochschullehrerin vom LBI, trug dazu bei, dass wir uns schnell am LBI
wohl fühlten. Sie stand uns immer mit Rat und Tat zur Seite, half uns bei der Vermittlung von Praktikumsplätzen an Deutschen Schulen, organisierte einen Reitausflug in den Anden für uns
Austauschstudenten und lud uns zum Abschied zu einer Feedbackrunde auf ein chilenisches Abendessen zu
sich nach Hause ein. Außerdem organsierte sie den Besuch einer Wohltätigkeits-Einrichtung in einem armen
Stadtteil Santiagos, wo wir das erste Mal wirklich konkret mit Armut konfrontiert wurden, die sonst auf den
Straßen in den Viertelen, wo wir uns bewegten, nicht so offensichtlich und fassbar war. Lieben Dank an dieser
Stelle an Fr. Sterzik!
Zu Beginn des Semesters konnten wir die ersten 2 Wochen an allen Kurse, die uns interessierten, teilnehmen,
um uns danach für 4-6 Veranstaltungen zu entscheiden. Was anfangs noch sehr gewöhnungsbedürftig für mich
war, ist die Tatsache, dass ich mich am anderen Ende der Welt befand und doch alle Leute um mich herum im
LBI Deutsch sprachen, wo ein Großteil der Veranstaltungen auf Deutsch gehalten wurde, die Dozenten vorwiegend aus Deutschland kamen und sogar viele der Studenten irgendwie Bezüge zu Deutschland hatten.
Ich kam mir vor wie auf einer kleinen deutschen Insel mitten in der chilenischen Großstadt Santiago. Der
Nachteil davon liegt auf der Hand: Meine Spanischkenntnisse wurden an der Hochschule leider nicht
gefördert.
Wir Austauschstudenten besuchten daher vor allem die beiden Deutsch als Fremdsprache-Kurse bei Frau
Meurer (jeweils 4-stündig pro Woche), die durch die Erzählungen aus der Praxis in den Deutschen Schulen in
Chile, die die Dozentin miteinfließen ließ, sehr interessant waren. Hier konnte man auch wirklich davon
profitieren, dass man mit DaF-Lernern in einem Raum saß und deren Lernerfahrungen mit in die Diskussionen
einbezogen werden konnten. Außerdem machten fast alle von uns Austauschstudenten den Gitarrenkurs für
Anfänger mit (der wenigstens auf Spanisch war) und von einer temperamentvollen Chilenin geleitet wurde. Durch die Latinorhythmen und chilenischen Lieder und vor allem auch durch ihre chaotische Art uns Gitarre
beizubringen, kam hier richtiges Lateinamerika-Feeling auf. Es scheint wohl auch eher typisch deutsch zu sein,
dass man im Gitarrenanfängerkurs zunächst 2 Monate die richtige Haltung der Gitarre, die Anschlagtechniken
und die Noten lernt, bevor man überhaupt sein erstes Lied spielt und geschweige denn dazu singt. Lola zeigte
uns, dass es auch anders geht: Nach 2 Wochen spielten und sangen wir in schepperndem Einklang „Tengo una
petaquita“ und „Las mañanitas“ in einem Gemisch aus chilenisch und deutsch akzentuiertem Spanisch.
Während es zu Beginn noch recht schwer war, die Anweisungen auf Spanisch zu verstehen, konnte ich gegen
Ende des Semesters feststellen wie sehr sich mein Hörverständnis in der Zeit weiterentwickelt hatte.
Außerdem interessant war der Theaterkurs, in dem wir verschiedene theaterpädagogische Übungen selbst ausprobierten wie Entspannungs- und Auflockerungstechniken sowie improvisierte Sequenzen vorspielten.
Ein Highlight des Semesters war schließlich ein einwöchiger Trip nach Patagonien, wo wir die südlichste
Deutsche Schule des Kontinents in Punta Arenas besuchten und einen Schock über die dortigen Lehrmethoden
und Unterrichtsabläufe bekamen. Aber man kann ja vielleicht auch aus Negativbeispielen lernen… Dort hatten
wir außerdem Gelegenheit dazu, eine 4-tägige Trekkingtour durch den Nationalpark Torres del Paine zu
machen. Eine Erfahrung, die uns als Gruppe sehr zusammengeschweißt hat!
Eine bereichernde Erfahrung war es außerdem, die Unterschiede im
chilenischen Lehrbetrieb im Vergleich zu Deutschland zu spüren und zu
verstehen. Gleich zu Anfang fiel mir auf, dass das Niveau der Kurse absolut
nicht vergleichbar zu dem war, was ich aus Deutschland gewohnt war. Während ich zu Anfang jedoch nicht so sehr darüber nachdachte, wurde mir
mit der Zeit durch endlos viele Diskussionen mit den anderen deutschen
Austauschstudenten und auch mit den Dozenten des LBI immer klarer,
woher diese Unterschiede rühren. Das chilenische Schulsystem ist einfach
nicht vergleichbar mit dem Deutschen. Dass wir Deutschen immer alles sehr
kritisch hinterfragen, von klein an lernen, unsere eigene Meinung zu
bestimmten Sachverhalten zu bilden, und bei jeder Gelegenheit in der Schule zum Selbstdenken animiert
werden, wurde mir erst in Chile durch die Erfahrung von etwas anderem bewusst. Man merkte in Diskussionen
in den Kursen am LBI, dass die Chilenen in den Schulen hauptsächlich auf eine Abiturähnliche Prüfung, die aus
der Widergabe auswendig gelernter Fakten beruht, vorbereitet werden, und daher extreme Probleme bei der differenzierten Meinungsäußerung und der kritischen Auseinandersetzung mit einem Sachverhalt (z.B. einem
DaF-Lehrwerk) haben. Ganz extrem spürte ich diese Unterschiede auch bei der 2-tägigen Fahrt in ein
Tagungshaus im „Valle del Maipu“, wo wir mit den Studenten des LBI und einer Gruppe Auszubildender in
interaktiven Übungen verschiedene Präsentationstechniken kennenlernten, ausprobierten und bewerten
Im Valle del Maipu
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sollten. Dort wurde mir recht eindrücklich vor Augen geführt, wie sich die Bildung, die man in der Schule
erfährt, auf das Denken der Menschen auswirken kann. Solche Zusammenhänge und kulturelle Unterschiede
zu verstehen, war die interessanteste Erfahrung, die ich am LBI gemacht habe.
4. Mein Leben in Santiago
Santiago wirkt auf den ersten Blick nicht sehr schön und so waren meine
ersten Eindrücke auch nicht gerade die Positivsten. Zudem waren die
Umstände, unter denen ich ankam, nicht sehr förderlich dafür: Ich kam alleine in Santiago am Flughafen an und mein Reiserucksack war nicht auf
dem Gepäckband zu finden. Bereits bei der Schilderung dieses
Sachverhalts stieß ich an die Grenzen meiner Spanischkenntnisse aus
dem Sprachlabor der Uni Heidelberg, genauso wie beim Verstehen der
Antwort (die Chilenen reden nämlich verdammt schnell und dazu noch absolut undeutlich!). Dann
funktionierte mein Handy nicht und ich wusste gar nicht, wohin ich gehen sollte, da ich noch keine Unterkunft
in Santiago hatte. Schließlich als ich vor den Flughafen trat: keine Anden in Sicht wegen des Smogs, Wolken
und aufdringliche Taxifahrer! Dies alles führte schon zu meinem ersten Kulturschock und ich realisierte, dass
ich wirklich weit weg von zu Hause war und ich das hier alles alleine managen musste. Glücklicherweise
beschloss ein Taxifahrer, der etwas Englisch konnte, mir in meinem aufgewühlten Zustand zu helfen und so machte ich die erste positive Erfahrung, dass manchmal alles schlimmer aussieht als es ist und man immer
irgendwie weiter kommt.
Über den Kontakt zu einem Freund meines chilenischen Bekannten fand ich direkt am Tag meiner Ankunft ein
Zimmer in einem WG-ähnlichen Haus in Bellavista, dem Partyviertel von Santiago. Dies war ein glücklicher
Zufall, da es mir übers Internet von Deutschland aus kaum möglich war, eine WG zu finden. In Chile fand ich
dann auch heraus wieso: Die Chilenen leben sehr lange zu Hause bei ihren Eltern und es ist nicht wie bei uns so
üblich, nach der Schule für das Studium direkt auszuziehen und alleine zu wohnen. Daher war ich umso
erfreuter darüber, dass ich nicht in ein untervermietetes Zimmer bei einer Familie oder alleinstehenden
Person ziehen musste, sondern im „casa roja“ meine Freiheit hatte wie ich es von Deutschland gewohnt war.
Dort lebte ich mit Leuten ganz unterschiedlicher Herkunft und Alters zusammen: zwei Chilenen, ein Peruaner, eine haitianische Familie mit Kind und einem schwulen Pärchen aus Paraguay. Das WG-Leben gestaltete sich
dennoch anders als in Deutschland. So waren es alle gewohnt, dass die Vermieter, ein altes chilenisches
Ehepaar, für die Sauberkeit zuständig war, jeder seine eigene Klopapierrolle hatte und man sein eigenes
Zimmer abschließt, wenn man das Haus verlässt. Meine chilenische Mitbewohnerin wies mich schließlich auch
darauf hin, dass ich besser keine Kosmetika und Handtücher im Bad lassen sollte, da wir hier in Chile seien, wo
jeder alles, was nur so rumstehe, klaue.
Solche Äußerungen, die von großem Misstrauen den eigenen Landsleuten gegenüber zeugten, bekam ich des
Öfteren zu hören und so wurde mir auch bald bewusst, welch großen Sicherheitsvorkehrungen in Chile
getroffen werden, um Diebstahl entgegenzuwirken. Männer und Frauen, die Geld dafür verlangen, das Auto am Parkplatz zu bewachen oder große Wohngebäude mit einem Pförtner am Eingang, der zunächst die
Wohnung, in die man möchte, benachrichtigt, dass hier ein junges deutsches Mädchen namens Kathrin stehe
und hoch möchte, waren die ersten Dinge, die mir diesbezüglich auffielen. Auch die hohe Kriminalität ist im
Bewusstsein aller Leute. So wurde ich oft darauf hingewiesen, in einem bestimmten Viertel sehr vorsichtig zu
sein, abends nicht alleine rauszugehen, nur mit sicheren Radio-Taxis und nicht mit Normalen von der Straße zu
fahren, und auf meinen Rucksack besonders gut aufzupassen. Dies war anfangs sehr verunsichernd für mich,
wurde aber auch bald zur Gewohnheit. Kreditkarte zu Hause lassen, wenn man sie nicht unbedingt braucht,
Laptop nicht unbedingt mit sich herumtragen, Wertgegenstände nicht in der Öffentlichkeit zu zeigen und auch
die Preise im Laden immer nachzurechnen, da auch hier gerne mal mehr verlangt wird, wurden ganz normal
für mich genauso wie die Begleitung von Männern, die einen nach dem Discobesuch nach Hause bringen. Seit ich wieder in Deutschland bin, weiß ich es erst zu schätzen, wie frei man sich hier bewegen kann, ohne ständig
Angst zu haben, überfallen zu werden.
Anfangs brauchte ich eine ganze Weile, um mich zu akklimatisieren und war recht überfordert mit den ganzen
neuen Erfahrungen, die auf mich einprasselten wie Hagel vom Himmel. Alleine schon bei einfachen
Alltagserledigungen bemerkte ich, dass die Gesellschaft in Chile doch sehr anders organsiert ist als in
Deutschland. Da war es anfangs sogar ein Erlebnis der besonderen Art einkaufen zu gehen. Die chilenische
Kultur ist viel mehr davon geprägt ist, sich bedienen zu lassen. Man muss sich z.B. den Nagellack in der
Drogerie von einer Verkäuferin aus dem Regal reichen lassen, bekommt dann einen Bon, mit welchem man zu
Me & SANTIAGO
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einer anderen Stelle geht, um zu bezahlen, erhält dann einen weiteren
Bon mit Nummer und dem Vermerk „cancelado“ (Bezahlt) und muss die
Ware schließlich mit Nummer und Bon bei einer dritten Person in einer Tüte verpackt abholen. Überall hier muss also mit den Menschen
gesprochen und kommuniziert werden und da man anfangs die etwas
umständlich scheinenden Abläufe noch nicht kannte und verwirrt im
Geschäft stand, fiel man immer sofort als Ausländer auf. Diese
Dienstleitungskultur wusste ich aber auch bald zu schätzen. So nutzte ich
meinen allmorgendlichen Weg zur Bushaltestelle, um an einem
Straßenstand in meiner Straße vorbeizulaufen, mir ein paar Schokoriegel
zu kaufen und ein kurzes Schwätzchen mit dem Verkäufer zu halten.
Eine weitere prägende Erfahrung war mein erster Besuch von „la vega“, einem täglich stattfindenden Markt in
einer riesigen Markthalle in Santiago. Beim Betreten der Halle steigt einem bereits ein merkwürdiger Geruch in die Nase, es ist überall sehr dreckig, man begegnet schreienden Verkäufern, auf dem Boden liegenden
Hunden, chilenischen Flaggen und Bergen von exotischem Gemüse und Obst, sowie Fleisch in den
unvorstellbarsten Varianten jeglicher Körperteile, außerdem riesige Fische und haufenweise Muscheln. Mein
erster Besuch war geprägt von einem Gefühl der Fremdheit und Überforderung, doch schon beim zweiten Mal
fühlte ich mich sicherer: Dann kannte man nämlich das Preisniveau, ließ sich nicht mehr übers Ohr hauen,
hatte weniger Hemmungen mit den Verkäufern zu sprechen usw. Es war eine gute Erfahrung zu merken, wie
man sich an sehr ungewohnte und fremdartige Situationen gewöhnen kann.
Bald wurde es dann auch ganz normal für mich, dass die Chilenen sehr
gemütliche Gesellen sind, die einen Kunden auch mal 10 Minuten wartend
stehen lassen, während sie ihre sozialen Kontakte pflegen, oder dass meist die Hälfte der Speisen oder Getränke aus der Speisekarte im Restaurant gerade–
aus unerklärlichen Gründen - nicht zu haben ist oder dass man auch mal 15
Minuten auf den bestellten Cheeseburger im McDonalds warten muss. Nach
kurzer Zeit fing ich auch an, mich an das etwas unorganisierte Bussystem ohne
Busfahrplan zu gewöhnen und auch daran, dass man mal in den „taco“
(Berufsverkehr) gerät und auch mal eine ganze Stunde im Bus im Stau steht und
dadurch viel zu spät zur Vorlesung kommt. Währenddessen war man ja meist
gut unterhalten von Personen, die besonders originelle Zahnbürsten,
eisgekühlte Cola oder super-8 -Schokoriegel verkaufen. Im besten Fall aber wird man von Gitarre spielenden Musikanten mit lateinamerikanischen Rhythmen beschallt, die es trotz aufregenden Fahrstils der Busfahrer
immer schafften stehenzubleiben und danach Geld von den Fahrgästen einsammelten. Während mir anfangs
diese Unterschiede vor allem auch etwas Unbehagen bescherten (wegen der sprachlichen Schwierigkeiten,
aber auch einfach, weil es mir so fremd war), so waren sie zum Schluss ganz normal für mich und ich begann
sie wertzuschätzen und die positiven Seiten dieser Lebensart zu sehen.
5. Südamerika ist anders als Europa… Meine Erfahrungen vom Ende der Welt
Während des Auslandssemesters verbrachte ich viel Zeit mit zwei anderen Austauschstudentinnen und
Südamerikanern, die alle Englisch konnten und die Gelegenheit mit mir nutzen wollten, um ihre
Sprachkenntnisse zu verbessern. So war ich anfangs recht wenig dazu gezwungen Spanisch zu lernen und zu
sprechen, was mich zum Teil auch wirklich störte. Das LBI hatte zwar die gute Idee für die deutschen
Austauschstudenten Tandems mit den LBI-Studenten zu organisieren, jedoch klappte es eigentlich bei kaum
jemandem, sich regelmäßig zu treffen, da die Chilenen zum Teil nicht besonders motiviert waren. Außerdem
spiegelte sich auch hier die chilenische Mentalität wieder, dass Treffen immer sehr unverbindlich ausgemacht
werden und es meist 3 Anläufe braucht, bis das Treffen dann wirklich mal zu Stande kommt. Dies war mit der Zeit doch etwas nervenaufreibend und es gehört auch zu den Punkten, die mir an der südamerikanischen
Lebensart nicht sonderlich gut gefielen. Es wird einfach immer gerne gesagt, dass man am Wochenende in ein
Strandhaus von Freunden fährt oder sonstige Unternehmungen vorgeschlagen, die letztendlich nie umgesetzt
werden. Ansonsten hat mir die südamerikanische Mentalität aber in fast allen anderen Punkten äußerst gut
gefallen.
Die Südamerikaner sind sehr herzliche und hilfsbereite Menschen, die überall gerne mal ein Schwätzchen
halten, immer freundlich sind, viel lachen und sich selten bis nie über Dinge aufregen (wie z.B. Stau in der Rush
hour, eine halbe Stunde auf den Bus warten müssen usw.). In all diesen Punkten könnten wir Deutschen uns
Straßenstand in meiner Straße
Markt in Santiago
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eine Scheibe Gelassenheit von den Südamerikanern abschneiden! Als ich wieder zurück nach Deutschland
kam, fiel mir nämlich überhaupt erst auf, wie miesmuffig viele Menschen hier auf der Straße herumlaufen, wie
oft man sich hier über Kleinigkeiten aufregt und wie wenig man mit (fremden) Leuten im Alltag redet (beim Einkaufen, im Bus…). Die aufgeschlossenen Menschen vermisse ich hier wirklich.
Außerdem machte ich auch Erfahrungen in anderen Ländern Südamerikas
und konnte dadurch meine Erfahrungen aus Chile ganz anders reflektieren.
Neben einer Woche in Argentinien, hielt ich mich nach dem Semesterende
fast 2 Monate in Peru auf. Zunächst war ich ca. 4 Wochen zusammen mit
einer anderen Austauschstudentin mit dem Rucksack unterwegs Richtung
Norden bis ins südliche Peru. Danach reiste ich ca. 6 Wochen alleine weiter
durch ganz Peru: Von der Hauptstadt Lima, wo ich bei einer Privatperson
wohnen konnte und dadurch einen Einblick in das peruanische Leben erhielt,
über entlegene, touristisch kaum erschlossene Andenbergdörfer bis tief in den Amazonasdschungel hinein. Was mein Spanisch anbetrifft, so habe ich vermutlich das meiste beim Reisen
gelernt, wo man durch das ständige Organisieren der eigenen Reise immer auf das Spanischsprechen
angewiesen war. Ich kann daher jedem empfehlen, die Chance einmal in Chile zu sein, auch für das Reisen zu
nutzen. Es ist neben der Verbesserung der Sprachkenntnisse eine einmalige Erfahrung, in einem fremden Land
alleine klarzukommen, Dinge auf einer fremden Sprache alleine zu organisieren und interessanten Menschen
zu begegnen.
In Peru bemerkte ich dann auch erst durch den Vergleich, wie westlich Chile
eigentlich ist. Während es in Santiago ein großes gut organisiertes und
sauberes Metronetz, riesige schicke Malls, unglaublich viele Fast-Food-Ketten,
eine riesige überall in Chile vertretene Supermarkt-Kette sowie registrierte Taxis mit Taxometer gab, wirkte das Leben in Peru erheblich ursprünglicher,
unorganisierter und ärmer auf mich. Da ich zuvor in Chile in Gesprächen mit
chilenischen Freunden etwas über die Politik Pinochets erfahren hatte, konnte
ich dann durch den Vergleich zu Peru feststellen, wie sehr sich die Chilenen an
den USA und der westlichen Welt orientieren. Das erklärt auch ihre Liebe zu
Fastfood, das sie unglaublich oft essen: Von Pizza, über Hamburguesas bis zu
einer Art HotDog mit Avocado namens „completo“: Danach ist man im
wahrsten Sinne des Wortes auch komplett (satt)!
Außerdem sehr einprägsam war die unmittelbare Erfahrung der Gegensätze von arm und reich und die starke Schichtenaufteilung der Gesellschaft in
lateinamerikanischen Ländern: Diese Erfahrung konnte ich bereits in Santiago
machen, sie wurde mir in Peru aber noch eindrücklicher vor Augen geführt.
Während manche reiche Stadtteile in Santiago oder Lima wie Amerika in
Filmen aussehen und jeder Haushalt eine eigene Vollzeit-„nana“
(Hausmädchen) hat, liegen in anderen Müll und Hunde auf der Straße, die
Menschen betteln, Kinder wollen einem die Schuhe für Geld putzen und die
Autos hätten in Deutschland schon längst keine Fahrzulassung mehr. Die
ländliche Armut konnte ich in den Berg- und Dschungelregionen Perus deutlich
spüren: Zum Teil gab es noch nicht mal Autos in den Städten. Dass die Oberschicht der Südamerikaner allerdings so reich ist, hätte ich mir vorher nie
im Leben so vorgestellt: Ich begegnete in Santiago und Lima Leuten, die
reicher sind als alle meine Bekannten aus Deutschland. So hat sich auch mein
Bild, was ich von Südamerika vor meinem Aufenthalt hatte, durch meine
Erfahrungen dort sehr gewandelt.
6. „Take-away-value“: Was ich mit nach Deutschland genommen habe
Vor meinem Auslandssemester habe ich mich eigentlich nie sonderlich für Südamerika interessiert, d.h. ich
verfolgte die Politik dort nicht und wusste wenig über diesen Kontinent. Während meiner Zeit in Santiago
bekam ich dann jedoch einiges über die dortige politische und wirtschaftliche Lage mit, unter anderem durch
die zu dieser Zeit stattfindenden Bildungsproteste und der Demonstrationen gegen das riesige
Staudammprojekt „Hydroaysén“ in Patagonien. Durch meine Erfahrungen in Peru und Argentinien sowie über
intensiven Austausch während meiner Reise mit anderen Reisenden, die ich kennenlernte, bildete ich mir eine
Meine Reisebegleitung
Andendorf in Peru
Moto-Taxi im Dschungel (Peru)
Metrostation im geordneten Santiago
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Vorstellung, wie unterschiedlich die einzelnen lateinamerikanischen Länder sind. So fing ich an, mich für den
geschichtlichen Hintergrund der einzelnen Länder zu interessieren, um die Länder, so wie sie heute sind,
besser verstehen zu können. Dass in Argentinien viele italienische Einwanderer sind, erklärt ihre ausgeprägte Kaffeekultur und die Liebe zum Eis, während man in Chile meist nur Instantkaffe trinkt und Eisdielen so gut wie
gar nicht existieren. Dass in Peru viel mehr Menschen indigenen Ursprungs leben und die Inkakultur sehr hoch
gehalten wird, während in Chile die Ureinwohner wie die Mapuche nicht sehr angesehen sind und eine
extreme soziale Minderheit darstellen…
Auch war es eine interessante Erfahrung mit den Vorstellungen der Südamerikaner über Deutschland oder
Europa konfrontiert zu werden und durch eigene Berichte deren Vorurteile aus der Welt zu schaffen. Viele
denken, alle Menschen in Deutschland seien reich und fragen sich, was man denn eigentlich in Chile am Ende
der Welt wolle, wo doch in Deutschland alles besser sei als dort. Und dass Deutsche gute Häuser und Autos
bauen, riesige Würste essen, Bier aus großen Krügen trinken und alle das Oktoberfest kennen, sind hier nur
einige Beispiele zu Stereotypen über Deutschland. Oft waren die Leute auch erstaunt darüber, dass ich Deutsche bin, da sie sich die Deutschen ganz anders vorgestellt hatten (kalt, verklemmt, unfreundlich…).
Anfangs fiel es mir wirklich schwer, den Leuten zu berichten, wie es in Deutschland ist, wie die Deutschen sind,
was die Deutschen essen usw. Nach nächtelangen Diskussionen mit den anderen deutschen
Austauschstudenten bin ich schließlich zu dem Schluss gekommen, dass man hier gar keine eindeutigen
Antworten geben kann und es völlig normal war, dass mir die Formulierung einer Antwort so schwer fiel:
Deutschland ist einfach sehr facettenreich und geprägt von einer multikulturellen Vielfalt und vielgestaltigen
Lebensstilen.
Wie sehr unser Horizont von unserem Standort abhängt, wurde mir bewusst in Begegnungen mit Menschen,
die so gut wie gar nichts über Deutschland wussten, auf dem Globus erst einmal Europa suchen mussten und
wo Deutschland innerhalb Europas liegt, wussten sie schon gar nicht. Genauso wenig wie ich vorher über die Geschichte und Geographie Südamerikas Bescheid wusste, hatten Leute dort auch nur sehr wenige und
oberflächliche Kenntnisse über Deutschland. Die Menschen hier in Deutschland können ebenso wenig damit
anfangen, wenn ich ihnen erzähle, dass ich von Lima bis Santiago mit dem Bus gefahren bin. Fehlendes
geographisches Wissen ist dabei weniger relevant als dass die Leute hier keine Vorstellung davon haben, wie
das Leben am – von uns aus gesehen – anderen Ende der Welt wirklich aussieht.
Obwohl es mich anfangs gestört hat, dass ich so viel unternommen habe
mit zwei der anderen Austauschstudentinnen und mein Spanisch daher
auf der Strecke blieb, kann ich nun sagen: Es war eine wertvolle Erfahrung
für mich! Gerade was die Diskussionen und Bewusstmachung interkultureller Themen anging, war es ungemein hilfreich, dass ich mich
mit Menschen desselben kulturellen Hintergrunds auf meiner
Muttersprache unterhalten konnte und wir unsere Erlebnisse und
Erfahrungen aus Chile gemeinsam reflektieren konnten. Außerdem
machte mich die Erfahrung, dass ich zwei Menschen, die im ersten
Moment gar nicht auf meiner Wellenlänge zu sein schienen, als neue gute
Freunde gewonnen habe, nun viel toleranter und offener anderen
Menschen gegenüber. Wir drei Mädels sind nämlich alle absolut
unterschiedlich, aber die gemeinsamen Erfahrungen in Chile haben eine sehr intensive Freundschaft entstehen
lassen, die auch in Deutschland weiterexistiert und mich immer wieder an unsere einmalige Zeit in Chile erinnern wird.
Die Rückkehr nach Deutschland fiel mir wirklich schwer, da es mir sehr gut in Südamerika gefallen hat, ich viele
Aspekte der Latino-Lebensart in mir aufgenommen und Deutschland kaum vermisst habe. Inzwischen bin ich in
einem regelrechten Südamerika-Fieber verfallen, lerne auch hier in Deutschland Südamerikaner kennen,
verfolge die aktuelle politische Lage in Chile, lese Artikel über lateinamerikanische Länder, höre Salsa und
Cumbia, spare schon für meinen nächsten Flug dorthin und erzähle allen Leuten von meinen Erfahrungen, die
ich dort gemacht habe, da die meisten Menschen hier - genauso wie ich vor meinem Aufenthalt - nur eine ganz
vage und undifferenzierte z.T. sogar falsche Vorstellung davon haben, wie es in wirklich Südamerika ist.
Allerdings sehe ich nun auch Deutschland aus einem anderen Blickwinkel mit anderen Augen und mache hier
ganz andere Erfahrungen als vorher, da ich z.B. viel offener und interessierter auf Menschen aus anderen Ländern zugehe und auch ein bisschen Latino-Feeling mit hierher gebracht habe. Ich glaube auch, dass ich
mich nun besser in Menschen mit Migrationshintergrund hineinversetzen kann durch meine eigene Erfahrung
einmal fremd in einem Land gewesen zu sein. Genauso bin ich mittlerweile viel sensibilisierter, was
Fremdsprachenlernen angeht.
New friends & mein Zimmer in Santiago
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Mein Auslandssemester scheint außerdem ein regelrechtes Weltenbummler-Gen in mir aktiviert zu haben. Ich
habe nun viel mehr Lust auch andere Teile der Welt zu erkunden und weniger Angst und Hemmungen davor,
dies auch wirklich zu tun. Im Auslandsamt meiner Uni habe ich bereits die neuesten Infos eingeholt: Wer weiß, wo ich vielleicht schon nächstes Jahr sein werde….
7. Danksagung
Zum Abschluss möchte ich mich bei allen Personen herzlich bedanken, die es mir ermöglicht haben, einen
solchen Auslandsaufenthalt zu erleben. Es war eine für mich sehr prägende und erfahrungsreiche Zeit, die mir
für mich persönlich sehr viel gebracht hat und mir meine Augen geöffnet hat, dass man alles immer auch aus
einem anderen Blickwinkel sehen kann und es sich lohnt, mal über den Tellerrand zu schauen! Vielen Dank an
das Akademische Auslandsamt der PH Heidelberg, das LBI in Santiago und an die Baden-Württemberg Stiftung,
ohne deren finanzielle Unterstützung mir ein solcher Aufenthalt vermutlich nicht möglich gewesen wäre.
8. Tipps
Wer noch Fragen hat, generell Tipps zum Reisen oder für Santiago haben möchte oder ein Zimmer sucht in
Santiago, kann sich gerne bei mir melden unter: [email protected]. Ich freue mich meine Erfahrungen
weiterzugeben, so dass andere davon profitieren können.
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9. Praktische Tipps oder das hätte mir mal jemand vorher sagen sollen….
Zum Abschluss möchte ich an dieser Stelle noch einige Informationen teilen, von denen ich denke, dass sie für
zukünftige Baden-Württembergs-Stipendiaten sicher hilfreich sein können.
Tipps zu organisatorischen Dingen:
• Visum: Man sollte bei der Botschaft ein Studentenvisum für Chile (ca. 100€) beantragen.
• Geld: Man sollte sich unbedingt vorher um ein Konto mit Kreditkarte bemühen. Ich kann die DKB
wärmstens empfehlen: Konto inkl. Kreditkarte, mit der man weltweit kostenlos Bargeld an so gut wie
allen Bankautomaten abheben kann und keine Kontogebühren bezahlen muss! Traveller cheques einlösen
stellte sich in Südamerika eher als eine schwierige Angelegenheit heraus.
• PH: Man sollte den Dozenten besser vorher Bescheid geben über nicht fertiggestellte Hausarbeiten mit
der Bitte um Abgabe NACH dem Auslandsaufenthalt. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass man in der Regel im Ausland keine Zeit und Muße findet, sich an seine aufgeschobenen Uniarbeiten zu setzen.
Am besten gar nicht erst vornehmen, am Ende klappt es eh nicht und ehrlich gesagt, sollte man seine Zeit
im Ausland auch besser für Dinge nutzen, die man hier nicht machen kann.
• Gesundheit: Man sollte am besten einen Grundstock an Medikamenten mitnehmen. Das meiste bekommt
man aber auch dort, nur bei homöopathischen oder pflanzlichen Mitteln sieht es schlecht aus in Chile.
Nasenspray kostet außerdem 10€, Tampons gibt es auch kaum zu kaufen und wenn dann übermäßig
teuer (beides besser von hier mitbringen). Ansonsten ist die Versorgung in Chile wirklich gut, man braucht
keine Angst zu haben, dass es dort nur schlechte Medikamente gibt und wenn man mal zum Arzt muss, ist
das auch nicht tragisch. Ansonsten sollte man, wenn man vorhat in den Amazonas-Dschungel zu gehen, die Impfberatung im
Neuenheimer Feld beim Tropeninstitut aufsuchen und sich einer Gelbfieberimpfung unterziehen. Tollwut
ist eher überflüssig genauso wie Malariaprophylaxe (nach meiner Erfahrung). Alle anderen Impfungen
(Hepatitis, Diphterie usw.) sollte man natürlich haben (evtl. auffrischen lassen). Aber hierzu können die
Angestellten im Tropeninstitut genauere Hinweise geben.
Tipps zum Reisen und für Santiago:
• Wer nach Patagonien in den Nationalpark Torres del Paine will, sollte direkt anfangs im März/April
dahingehen (sonst wird es zu kalt). Den Flug bei LAN buchen, man muss aber vor Ort bezahlen,
Internetbuchung klappt nicht, dann hat man keinen Anspruch auf den chilenischen subventionierten
Flugpreis.
• Turbus und Pulmann sind gute und sichere Busanbieter in Chile (manchmal gibt es Studentenpreise,
nachfragen!)
• Ein Fußballspiel in Südamerika anschauen lohnt sich! Vor allem Derby in Santiago zwischen Universidad
de Chile und Colo Colo. Aber aufpassen dort wegen Taschendieben!
• Vom Goethe Institut aus gibt es eine Bücherkiste, die im LBI deponiert ist, und über die man deutsche
Bücher ausleihen kann. Wer sich also nach deutscher Literatur sehnt, sollte diesbezüglich nachfragen. Wir
haben das leider erst am Ende unseres Aufenthalts erfahren. Die neuste Neon- oder Spiegel-Ausgaben
sowie Zeitungen findet man außerdem direkt im Goethe Institut. Lohnt sich, da mal vorbeizuschauen.
• Ab Juli ist in Chile Skisaison. Es gibt einen öffentlichen Bus vom Plaza Italia aus, der einen günstig in nahegelegene Skigebiete bringt. Wer Wintersport machen möchte, sollte sich die Ausrüstung mitbringen.
Dort Mieten scheint eher umständlich und teuer zu sein.
• Im Pueblo Ingles (ein kleines Einkaufszentrum in der Nähe des LBI) kann man in einem kleinen Buchladen
dort einen sehr guten Stadtplan kaufen (es ist schwer einen guten und übersichtlichen Plan zu finden, da
Santiago so groß ist)
• Einkaufen kann man zwar im Supermarkt der Lider-Kette, aber auf der „La Vega“, ein riesiger Markt im
Barrio Patronato, ist alles wesentlich günstiger und zudem unterstützt man die Verkäufer dort und nicht die riesige Supermarktkette.
• Facebook ist dort Kontaktmedium Nummer eins, es lohnt sich einen Account dort zu haben.
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• Chile ist teurer als ich dachte: Für ein Zimmer in Santiago sollte man zwischen 200-300€ einplanen pro
Monat und auch sonst sind die Lebenshaltungskosten fast genauso hoch wie hier. Das Stipendium alleine
hat mir nicht gereicht, um meine Kosten zu decken.
Was man sonst noch mitnehmen sollte:
- Der Lonely Planet Reiseführer für Chile ist zwar auch nicht perfekt, aber hilfreicher als die meisten
anderen Reiseführer, die auf dem Markt sind.
- Wander/Trekkingausrüstung (wenn man reisen möchte): Wanderschuhe, Schlafsack, Regenjacke,
großer Reisrucksack usw.
- warme Klamotten (es ist sehr kalt im Winter in Santiago und es gibt meist keine Heizungen, sondern
nur Gasöfen, so dass man auch in der Wohnung friert, Bei mir im Haus konnte man nachts den eigenen
Atem sehen – im Haus!!!). Daher Wollsocken, Hausschuhe, Wärmflasche usw… - Souvenirs für die Leute dort aus Deutschland (habe ich leider nicht gemacht, was sehr schade war).
Schokolade, Gummibärchen, Bücher mit Bildern usw. kommen immer gut an.
- Man muss darauf achten, ein Triband-Handy zu haben (andere funktionieren dort nicht). Den
deutschen Vertrag kann man meist problemlos stilllegen lassen und dort kauft man sich am besten
eine ENTEL-Telefonkarte (kostet 3€ einmalig, danach darauf achten: je mehr man auflädt auf die Karte,
desto günstiger werden die Tarifminutenpreise).
- Keine super wertvollen Klamotten mitnehmen: Die Chilenen waschen ihre Wäsche kalt und Weißes
bleibt nicht unbedingt weiß und Flecken kann man bei weitem nicht so gut rauswaschen wie mit
unseren Hightech-Waschmitteln hier. - Nicht viele Klamotten mitnehmen, man kann in Santiago gut shoppen. Der Kleidermarkt im Barrio
Patronato lohnt sich.
Außerdem noch ein paar Hinweise, damit der Aufenthalt in Chile eine gute Erfahrung wird:
Aufgepasst! Die chilenischen Gesetze sollte man besser früher als später kennen:
In Chile darf man keinen Alkohol auf der Straße trinken und man sollte sich auch nicht dabei erwischen lassen,
denn es droht eine Nacht im chilenischen Gefängnis (wurde mir zumindest von Chilenen so mitgeteilt). Ich
habe das leider erst nach 2 Monaten erfahren und hätte fast Ärger bekommen, wenn mir mein chilenischer
Freund nicht rechtzeitig die Bierdose aus der Hand in den nächstgelegenen Mülleimer geschleudert hätte….
Außerdem sollte man keine Fotos von der Polizei in Chile machen. Nach einer ereignisreichen Begegnung mit
der chilenischen Polizei in einer Partynacht wusste ich dies dann nach 4 Monaten Aufenthalt in Santiago auch
endlich mal…
Spanisch in Chile lernen:
Man sollte sich darauf gefasst machen, dass die Chilenen „chileno“ und nicht „castellano“ sprechen (wie sie
selbst von sich behaupten). Es gibt viele chilenische Wörter, die man aus einem Sprachkurs in Deutschland
nicht kennt, und dazu reden sie sehr undeutlich und unglaublich schnell. Das macht das Spanischlernen schon
etwas zu einer Herausforderung. Dennoch sollte man nicht aufgeben. Es ist eine gute Übung für das
Hörverstehen: Wenn man chilenisches Spanisch versteht, versteht man fast alles! Zum Spanischlernen eignet
sich bspw. Peru (vor allem die Stadt Cusco) sehr gut, da die Peruaner dafür bekannt sind, sehr deutlich und
langsam zu sprechen. Dies wäre z.B. als Möglichkeit für einen Sprachkurs vor dem Aufenthalt in Betracht zu ziehen (außerdem ist ein Sprachkurs dort wesentlich billiger als in Chile). Ich selbst habe keinen Sprachkurs in
Südamerika gemacht, man lernt einfach am meisten in der Interkation mit Leuten (auch Facebook-Chat und
Sms schreiben sind eine gute Übung!). Spanisch sprechen zu können erweist sich bei allem als unglaublich
großer Vorteil, man sollte die Gelegenheit nutzen, auch mal Small Talk mit den Südamerikanern zu halten, der
sich ja wie gesagt bei jeder Gelegenheit im Alltag ergibt, und auch generell hat man überall einen kleinen
Bonus, wenn man zeigt, dass man sich für die Kultur der Südamerikaner interessiert und sich bemüht sich
deren Sprache und Wortschatz anzueignen.
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Keine Angst haben:
Trotz Warnungen bzgl. der hohen Kriminalität in Südamerika sollte man sich nicht beunruhigen lassen, Chile ist
ein sicheres Land und auch in Peru kann man ohne Probleme alleine als Frau reisen, vorausgesetzt man weiß,
wie. Mir selbst ist nichts passiert und oft machen auch die Einheimischen mehr Panik als nötig ist, da sie sehr in
Sorge um die europäischen Touristen sind. Schließlich sollen die ja in Europa erzählen, wie toll es doch in
Südamerika war.
Ansonsten kann ich nur empfehlen, sich auf die neuen Erfahrungen einzulassen, offen zu sein für Neues, auch
mal Dinge zu tun und auszuprobieren (auch was Essen angeht), die man nicht kennt, und vor allem sollte man
sich überwinden, auf Leute zuzugehen. Das wird belohnt durch reiche Erfahrungen!