Hintergrund: Algerien Nr. 24 / April 2014 | 1
Algerien nach der Präsidentschaftswahl
Chance auf Erneuerung vertan
Andrea Nüsse
Ohne Überraschung ist die Präsidentschaftswahl in Algerien über die Bühne gegangen: Der invalide
Amtsinhaber Abdelaziz Bouteflika wurde wiedergewählt. Doch die Proteste häufen sich und dem Land
droht größere Instabilität.
Die Wahlergebnisse
Laut offiziellen Angaben ist der 77-jährige Bouteflika, der im Rollstuhl an die Urne gefahren werden
musste und selbst keinen einzigen Wahlkampfauftritt absolvierte, am 17. April mit 81,4 Prozent der
abgegebenen Stimmen für eine vierte Amtszeit gewählt worden. Weit abgeschlagen landete sein
stärkster Gegenspieler, der ehemalige Premierminister Ali Benflis, mit 12,2 Prozent der Stimmen auf
Platz zwei. Insgesamt waren sechs Kandidaten angetreten.
Doch ein genauerer Blick auf die Wahlergebnisse zeigt, dass trotz massiver Kampagnen, Wahl-
geschenke an Beamte und organisierter Wahllokalbesuche von Sicherheitskräften und Mitarbeitern
des öffentlichen Dienstes, der Rückhalt für das algerische Regime schwindet: Die Hälfte der Bevölke-
rung blieb der Wahl fern oder stimmte ungültig. Die Wahlbeteiligung lag mit 50,70 deutlich unter
jener von 2009, als 74 Prozent der Wahlberechtigten an die Urnen gingen. In der Berberregion Kabylei
stimmten nur etwa 25 Prozent ab, in der Hauptstadt Alger waren es 37 Prozent. Der mit 8,5 Millionen
Stimmen wieder gewählte Amtsinhaber erhielt 4,5 Millionen Stimmen weniger als 2009. Fast eine
Million Wähler haben ungültige, teilweise leere Wahlzettel abgegeben. Die Wahl war im Vorfeld be-
reits so umstritten, dass mehrere Oppositionsparteien, darunter die Rassemblement pour la Culture et
la Démocratie (RCD), die Wahl boykottierten.
Der Wahltag war von zahlreichen Zwischenfällen begleitet. In der Kabylei sind bei Protest-
demonstrationen gegen die Wahl etwa 70 Menschen verletzt worden. Sowohl der Kandidat Beflis als
Hintergrund:
Algerien
Nr. 24 / 29. April 2014
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auch viele algerische Parteien sprechen von Wahlfälschungen. Weder die EU noch das amerikanische
National Democratic Institute (NDI), das die Parlamentswahl 2012 beobachtete, organisierten eine
Wahlbeobachtung. Offiziell kam die Einladung der algerischen Behörden zu spät. Damit waren als aus-
ländische Wahlbeobachter nur Vertreter der Arabischen Liga und der Union Africaine zugegen, die von
der Opposition als unzureichend abgelehnt werden.
Quo vadis?
Damit hat Algerien die Chance auf ei-
nen Generationenwechsel und den Be-
ginn eines Transformationsprozesses
verpasst. Im Amt bleibt der Machzirkel
um den schwerkranken Bouteflika, der
2013 nach einem Schlaganfall mehrere
Monate in Paris zur Behandlung war
und seither kaum noch sprechen und
nicht gehen kann. Gespenstisch war
sein Fernsehauftritt beim Besuch des
US-Außenministers Kerry Anfang April:
Bouteflika bat bettelnd mit fast unhör-
barer Stimme, dass die Amerikaner ihre
Geheimdiensterkenntnisse stärker mit Algerien teilen. Diese Dinge werden in der Regel nicht vor Fern-
sehkameras verhandelt – und lassen daher auch Fragen zur Geistespräsenz des Präsidenten zu.
Daher ist nun noch undurchsichtiger, wer in Zukunft die Entscheidungen treffen wird. „Wir haben
einen Staatschef ohne Legitimität, der nur als Dekor dient“, klagt der Sprecher der RCD, Athmane
Mazouz. „Der Präsident ist abwesend und seine Umgebung trifft die Entscheidungen ohne Strategie
oder Vision und das führt zu einer Art Unordnung“, fürchtet der junge Vorsitzende der Oppositionspar-
tei „Jil Jadid“ (Neue Generation), Soufiane Djilali.
An der Macht bleibt also eine intransparente Machtclique aus Militärs und Geschäftsleuten, das soge-
nannte Serail, in dem der Bruder des Präsidenten eine führende Rolle spielt. Ein neuer Premier ist noch
nicht berufen, aber er führt in der Regel die Entscheidungen des Präsidenten nur aus.
Ein Teil der Bevölkerung hat Bouteflika wiedergewählt, weil sie ihm immer noch dankbar sind, dass er
das Land nach dem Bürgerkrieg der 90er Jahre befrieden konnte. Doch ein großer Teil der Jugend, der
Berber und der politischen Klasse haben sich längst von dem autoritären Regime abgewandt und hatte
auf den Beginn von dringend notwendigen politischen und wirtschaftlichen Reformen gehofft. In
ihren Augen ist Algerien mit dieser „Wahlfarce“ zum Gespött der Welt geworden. Einzig positiv sei,
dass sich das Regime damit selbst entlarvt habe: Jede Hoffnung auf Erneuerung aus dem Machtappa-
rat heraus sei nun endgültig verflogen.
Abdelaziz Bouteflikas RND- Parteizentrale in Algiers Zentrum /
Foto: FNF Maghreb
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Wenige Tage nach der Wahl, wurden die tra-
ditionellen Gedenkveranstaltungen am 20.
April anlässlich des Jahrestages des Berber-
Frühlings 1980, der von Sicherheitskräften
niedergeschlagen wurde, verboten. Dies ist ein
deutliches Zeichen, dass das Regime hart ge-
gen jeglichen Dissens vorgehen wird. Auch die
Zerschlagung der vereinzelten Protestde-
monstrationen gegen eine Kandidatur des
invaliden Bouteflika, welche die Barakat („Ge-
nug“) -Bewegung organisierte, zeugt davon.
Damit scheint eine größere Instabilität vor-
programmiert. 2013 hatte es etwa 13.000
Streiks und Demonstrationen in Algerien gegeben, lokal begrenzt und meist wirtschaftlich motiviert:
Für höhere Gehälter und bessere Infrastruktur, gegen Übergriffe der Sicherheitskräfte. Zukünftig wird
der Unmut über die politische Aussichtslosigkeit hinzukommen. Und auch terroristische Anschläge
könnten zunehmen: So haben mutmaßliche militante Islamisten vor zehn Tagen in einer Region 70
Kilometer östlich von Algier 11 Soldaten ermordet. Zwar war Bouteflikas Wahlkämpfer Abdelmalek
Sellal, der dafür von seinem Amt als Premierminister zurückgetreten war, mit dem Slogan durchs Land
getourt, dass nur die Wiederwahl Bouteflikas Stabilität garantieren könne; doch die Wagenburgmen-
talität der herrschenden Machtclique, symbolisiert in der Wiederwahl eines todkranken Präsidenten,
könnte eher zu mehr Instabilität führen.
Wirtschaft
Entscheidend wird sein, ob die Einnahmen aus Rohstoffen ausreichend sein werden, um die Be-
völkerung durch Geschenke weiter ruhig zu halten. Denn Strukturreformen oder die dringend nötige
Diversifizierung der Wirtschaft und insbesondere die Wiederbelebung der Industrie sind nicht zu er-
warten. Denn es war Bouteflika, der seit 2009 Gesetze und Regelungen erließ, welche die Privatwirt-
schaft ausbremsen und ausländische Investitionen abwürgen: So kann ein ausländischer Partner bei
Direktinvestitionen in Algerien höchstens 49 Prozent der Anteile besitzen und jede Investition über
vier Millionen Dollar muss durch ineffiziente Behörden genehmigt werden, die oft Entscheidungen
endlos verschleppen. Die etwa 1200 staatlichen Unternehmen stecken alle in Schwierigkeiten, die
Privatunternehmen sind meist sehr jung und klein und kämpfen ums Überleben. Aufgrund der bürokra-
tischen Hindernisse hätten laut Zeitungsberichten seit 2010 etwa 50.000 kleine und mittlere Unter-
nehmen aufgegeben.
Damit bleibt Algerien abhängig von seinen Einnahmen aus Erdöl und Erdgasexporten: 40 Prozent des
Bruttoinlandproduktes, 98 Prozent der Exporterlöse und etwa zwei Drittel des Haushaltes werden
durch Einnahmen aus diesem Sektor bestritten. Er schafft jedoch nur Arbeitsplätze für zwei Prozent
der Bevölkerung in einem Land, in dem die Jugendarbeitslosigkeit bei etwa 30 Prozent liegt.
Präsidentschaftswahlkampf in Algier / Foto: FNF Maghreb
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Neuer Elan in der politischen Opposition
Das Vorgehen des Machtapparates, der jede Öffnung ablehnt, scheint die Opposition eher beflügelt zu
haben: « Das vierte Mandat Bouteflikas ist eine gute Sache für die Opposition », findet Rachid Ma-
laoui, Vorsitzender der Snapap, einer kleinen autonomen Gewerkschaft. Jetzt hätten alle Parteien ver-
standen, dass es sinnlos ist, auf Veränderungen aus dem System heraus zu warten. Und dass man sich
zusammenschließen müsse, um das Regime unter Druck zu setzen. Die hohe Wahlenthaltung ermutige
zudem zum Widerstand.
Und so sind die Verhandlungen zwischen
Oppositionsparteien in vollem Gange.
Zwei Pole schälen sich heraus: Der un-
terlegene Präsidentschaftskandidat Ben-
flis hat mit 12 kleinen Partnerparteien,
die ihn im Wahlkampf unterstützen,
bereits eine Nationale Koalition für Ver-
änderung ausgerufen.
Und auch die Parteien, die zum Wahl-
boykott aufgerufen hatten, organisieren
sich: „Nationale Koordination für Frei-
heit und demokratischen Übergang“
nennt sich die Koalition, der neben der
RCD und der Jil Jedid-Partei unter ande-
rem auch eine Islamisten-Partei angehören. Sie will Mitte Mai eine erste nationale Konferenz abhal-
ten.
Entscheidend wird sein, ob diese beiden Koalitionen schlagkräftige Organisationen aufbauen können
und ob sie sich eventuell zusammenschließen. Denn noch ist der Graben zwischen jenen, die die Wahl
boykottiert hatten und jenen, die teilgenommen haben, groß. Entscheidend wird auch sein, ob die
politischen Parteien es schaffen, sich zur Zivilgesellschaft hin zu öffnen und sich Ihr als echter Partner
für politische Veränderung anbieten zu können.
Mit ihrem „Stabilitätsgaranten“ Bouteflika stünden Algerien dann eher unruhige Zeiten bevor.
Andrea Nüsse ist die für Marokko und Algerien zuständige Projektleiterin der FNF mit Sitz in Rabat.
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Bereich Internationale Politik
Referat für Querschnittsaufgaben
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Ali Benflis-Wahlkampfbüro im Viertel Hussein Dey in Algier /
Foto: FNF Maghreb