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ich weiss nicht, wo ich geboren wurde. ich weiss nur, dass das schloss ungeheuer alt war, voller finsterer
flure, schatten und spinnweben; es stank fürchterlich …
nie war es hell. die sonne stieg nicht über
die hohen bäume …
ein schwarzer turm ragte bis in den himmel …
der oberste wehrgang war nur durch eine wag-halsige kletterpartie
zu erreichen.
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nach langem zögern beschloss ich, den verfallenen turm zu ersteigen. ich wollte
tageslicht sehen …
einmal habe ich versucht, aus dem wald zu fliehen,
doch je weiter ich ging, desto schwärzer wurden die schatten,
sodass ich ängstlich zurückkehrte …
in dieser finsteren einsamkeit wurde meine sehnsucht nach
licht so gross, dass ich nicht länger stillsitzen konnte …
ich fand sie normaler als die bilder von lebenden menschen,
die ich fand …
für mich hatten die skelette, die überall herumlagen, nichts
gruseliges.
mein bild von einem lebenden war jemand, der mir sehr
ähnlich war, jedoch verschrumpelt und ebenso
alt wie das schloss.
ich muss jahre in diesem schloss gelebt haben, und jemand muss für mich gesorgt haben … ich
kann mich an niemanden ausser mich selbst erinnern …
oft lag ich draussen unter den dunklen bäumen und träumte stundenlang von den dingen,
die ich in den büchern gesehen hatte.
ich sah mich selbst dann in einer heiteren menge in
der sonne tanzen …
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die fläche über mir gab nach, ich wusste, dass ich
erst einmal nicht weiter-klettern musste …
plötzlich, nach langem
klettern über dem abgrund,
stiess mein kopf gegen etwas
hartes, und mir war klar, dass ich das dach
oder zumindest eine decke erreicht hatte …
… unter lebensgefahr musste ich mich im dunkeln an kleinen vorsprüngen
hochziehen.
… im feuchten zwielicht
erklomm ich die alte ausgetretene steintreppe, bis sie plötzlich endete …
... denn es schien eine falltür zu
sein ...
und lag erschöpft auf dem steinboden.
... ich kroch durch die luke …
ich erhob mich und fing an, nach einem fenster zu suchen. ich meinte nämlich,
mich in riesiger höhe zu befinden. doch stiess
ich nur auf marmor-platten, auf denen längliche kisten
standen …
ich entdeckte auch einen steinernen türrahmen, mit
seltsamen ornamenten verziert …
mit einem heftigen ruck gelang es mir,
die tür aufzuziehen …
euphorie erfasste mich: ich sah den
leuchtenden mond, den ich allein aus meinen träumen kannte …
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zwei stunden verstrichen, bis ich zu einem von bäumen umstandenen, mit efeu bewachsenen schloss gelangte. es kam mir wahnsinnig bekannt vor … ich schaute zu den offenen,
hellerleuchteten fenstern … die geräusche eines festes drangen ins freie ...
... erst folgte ich dem sichtbaren weg, dann verliess ich ihn und stampfte querfeldein über die wiesen.
durch ein steinernes tor verliess ich das gelände mit den platten und säulen und streifte durch die
offene landschaft …
... ich öffnete das tor und betrat den weissen kiesweg. ich war fest
entschlossen, glanz zu sehen, und fröhlichkeit …
ich war entsetzt … statt eines schwindelerregenden panoramas lag gleich hinter dem zaun nichts anderes als fester boden, bedeckt mit allerlei marmorplatten und säulen, im schatten einer alten, halb verfallenen kirche,
die im mondlicht gespenstisch leuchtete …
ich meinte, den höchsten punkt des schlosses
erreicht zu haben und rannte zum
gitter. doch da eine vorbeiziehende wolke
das mondlicht verschluckte,
musste ich mich vorwärtstasten.
das gitter war nicht verschlossen. ich fürchtete schon,
in die tiefe zu stürzen … da kam der mond wieder zum vorschein …
15
ich stieg über die niedrige fensterbank in den herrlich erleuchteten saal, und meine hoffnung verwandelte sich in bitternis … als ich den
saal betrat, vollzog sich das fürchterlichste, das ich
je erlebt habe …
… manche hatten gesichts-züge, die mich an eine ferne vergangenheit erinnerten …
durch eines der fenster schaute ich hinein und sah eine merkwürdig gekleidete, fröhliche gesellschaft …
mir wurde klar, dass ich nie zuvor menschen hatte
sprechen hören …
… die gesamte gesellschaft wurde von einer plötzlichen
panik ergriffen. alle gesichter waren schreckverzerrt, und
aus den kehlen drangen die grauenhaftesten schreie …
verblüfft stand ich allein in dem hell erleuchteten raum.
der saal schien verlassen, doch ich meinte, etwas in
einer der nischen zu sehen …
eine massenflucht folgte. möbel wurden umgerannt, und
die leute stiessen gegen die wände, bevor es ihnen gelang, eine der türen zu erreichen …
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