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Z. anorg. allg. Chem. 479, 7-16 (1981) J. A. Barth, Leipzig

Kinetische Untersuchungen zum Ligandenaustausch an Chloro-Bromo-Osmaten( IV)

Von W. PREETZ und H.-D. ZERBE

K ie 1, Institut fur Anorganische Chemie der Christian-Albrechts-Universitat

Inha l t su bersicht. Durch radiometrische Messungen werden 18 Ligandenaustauschreaktionen im System der Chloro-Bromo-Osmate(IV), [OsClnBr,-n]'-, n = 0-6, in Abhangigkeit von der Tem- peratur und den Substituentenkonzentrationen untersucht. Die kinetische Stabilitit nimmt mit steigender Anzahl der elektronegativeren C1-Liganden im Komplex zu. Die Reaktionen verlaufen teilweise uber Aquokomplexe als Zwischenprodukte. Die Geschwindigkeitskonstanten fur ismere Komplexe zeigen, daB der trans-Effekt von Br nur wenig groder als von C1 ist, wodurch der Liganden- austausch nicht stereospezifisch verlluft. Die Aktivierungsenergien liegen entsprechend der groderen kinetischen Stabilitit der Chloro-Bromo-Osmate(1V) hoher als fur die Chloro-Iodo-Osmate(1V).

Kinetie Studies on Ligand Exehange of Chloro-Bromo-Osmates(IV) Abstract. The 18 ligand exchange reactions in the system [OsClnBr,-,~-, n = 0-6, are in-

vestigated by radiometric measurements with regard to the dependence of temperature and concen- trations of substituents. The kinetic stability increases with the number of more electronegative C1 ligands. The reactions proceed partly via aquo complexes as intermediates. The rate constants of isomers indicate that the trans-effect of Br is only slightly higher compared to that of CI. Therefore ligand exchange does not run stereospecifically. Corresponding to the higher kinetic stability of the chloro-bromo-osmates(1V) activation energies are higher than those of chloro-iodo-osmates(1V).

1. Einleitung Reine Hexahalogenokomplexe der Platinmetalle sind seit langem bekannt

und vor allem spektroskopisch untersucht worden. Fur kinetische Messungen waren bisher nur der Isotopenaustausch und Hydrolysereaktionen zugiinglich [l- 81. Erst in den letzten Jahren sind gemischte Hexahalogenokomplexe des Typs mXnY+nI2-; M = Re, OS, Ir, P t ; X + Y = F, C1, Br, I; n = 1-5, in priiparativem MaBstab dargestellt worden [9- 171. Zur Trennung der Reaktions- gemische wurde die Hochspannungsionophorese und seit neuester Zeit die Cellu- lose-Ionenaustauschchromatographie verwendet [lS]. Da die fur n = 2, 3, 4 exi- stierenden Stereoisomeren ionophoretisch nicht trennbar sind, wurden diese ge- zielt durch sukzessiven Ligandenaustausch unter Ausnutzung des dirigierenden Einflusses des trans-Effekts dargestellt.

Wie die reinen Hexahalogeno- sind auch die Gemischtligandkomplexe kine- tisch stabil und bezuglich ihres chemischen und physikalischen Verhaltens ein- gehend studiert worden. Die einzelnen Spezies lassen sich uber die charakteristi-

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schen Absorptionsspektren eindeutig nachweisen und bestimmen. Es liegen also Systeine von Komplexen vor, die sich fur systematische Untersuchungen der kine- tisclien Eigenschafteii besonders gut eignen.

Entsprechende Messungen wurden bereits an Chloro-Iodo-Osmaten(1V) durch- gefiihrt [ 191. Die erhalteiieii Daten ergaben ein mathematisches Modell, das die Bildung der Gemischtligandkomplexe quantitativ beschreibt [20]. Es zeigte sich, da13 die Ligandenaustauschreaktionen von dem trans-Effekt des I beherrscht werden ~ so daB alle Substi tut ionsreaktionen stereospezif isch verlauf en.

Im Gegeiisatz dazu liiBt sich durch spektroskopische Messungen an den Chloro-Bromo-Osmaten(1V) zeigeii, daB stets Isomerengemische gebildet werden. Zur Aufklarung des komplizierten Reaktionsablaufs werden die einzelnen Sub- stitutionsschritte kiiietiscli untersncht.

2. Darstellung der Gcmischtligandkomplexe Als Ausgangssubstanz fur ulle radioaktiv markierten Komplexe dient OsO, .

2 H,O. Es bietet gegeniiber den Hexahalogeiiokomplexen bei der Bestrahlung mit Neutronen den Vorteil, dal3 die gleichzeitig erfolgende, aber nicht erwunschte Aktivierung der Lignnden vermieden wird. Durcli halbstundiges Kochen des be- stralilten Dioxids mit halblionz. HC1 und anschliefiende Fallung mit KC1 entsteht reines K2["'0sCl,] ( " 0 s = Isotopeiigemisch mit den y-Strahlern lS5Os und lglOs). Dieses dieiit zur Darstellung \-on K2[*OsBr,] und K,[*OsI,], die zu den Gemischt- ligandkomplexen umgesetzt werden.

Die fur die kinetischeii Untersuchungen benotigten reinen Stereoisomeren werden durch oxidativen Ligandenaustausch aus den entsprechenden Chloro- lodo-Osmaten(1V) hergestellt. Die trans-Komplexe bildeii sich in Ausbeuten von G5- SO% bei der Unisetzung voii [OSC~,I]~- mit HI bzw. trans-[OsC1,14]2- mit HCl [20]. Sie werden durch Oxydation der festen Komplexsalze mit Brom quan- titativ in die trans-Chloro-Bromo-Osmate(1V) uberfuhrt [21]. Reine cis-Kom- plexe sind durch Oxydation voii [OsBr,12- mit Chlor in HC1 zuganglich. Die Tren- nung der Reaktionsgmische erfolgt auf Cellulose-Ionenaustauschersaulen [IS]. Die Ausbeuten sind rnit denen des substitutiveii Ligandenaustausches ver- gleic h bar.

3. Iiinetische Untersuchiingen Fruhere Untersuchungen zum Ligandenaust ausch an Chloro-Bromo-Osma-

ten(1V) haben ergeben, daB photometrische Messungen zur Ermittlung der Reak- tionsgeschwindigkeitskonstanten aus mehreren Griinden nicht geeignet sind. So treteii z. B. bei den erforderliclien Temperaturen von 80- 100 "C Blasenbildungen in den Kuvetteii auf, die Extinktionsschwankungen verursachen. Hinzu kommt, dd3 die Reaktioiisgeschwiiidigkeit bei deli chlorreiclien Komplexen zu klein ist, uni eine kontiiiuierliche Verfolgung der Extinktionsanderung zu erlauben, Da aufierdem Folgereaktionen auftreten, ist die Auswertung der Spektren der Mehr- kornponentengemische sehr kompliziert, zumal die Extinktionskoeffizienten der

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Kinetische Untewuchungen zum Ligandensustausch 9

an der Reaktion beteiligten Spezies fur die Reaktionstemperatur nicht genau be- stiinmt werden konnen. Aufgrund dieser Schwierigkeiten werden die Geschwin- digkeitskonstanten durch radiometrische Messung der Konzentrationen der bei der Umsetzung auftretenden Komplexe bestimmt. Dieses Verfahren hat sich bereits bei der kinetischen Untersuchung der Substitutionsreaktionen der Chloro- Iodo-Osmate(1V) bewahrt [ 191.

dls Reaktionsmedium dienen 5n HCl bzw. 5n HBr. Diese hohen Konzentra- tionen sind erforderlich, da sonst rnit einem erheblichen Anteil an Aquokomplexen im Reaktionsgemisch gerechnet werden muI3. Wegen des groI3en Substituenten- uberschusses sind alle beobachteten Reaktionen pseudo-erster Ordnung. Weiterhin besteht die Moglichkeit des Vergleichs mit den Daten fur das System der Chloro- Iodo-Osmate(IV), das unter den gleichen Konzentrationsbedingungen gemessen wirde [19].

R e a k t i o n s s c h e m a

Unter der begrundeten Annahme, da13 der trans-Effekt von Br nur wenig grol3er als von C1 ist, kann kein stereospezifischer Verlauf der Ligandenaustausch- reaktionen erwartet werden. In beiden Richtungen (cis- uiid trans-Reihe) sind die in Abb. 1 gezeigten 24 Substitutionsschritte moglich. Davon verlaufen 1 2 ein- deutig, wahrend die ubrigen, mit a und b gekennzeichneten Parallelreaktionen zu Isomerengemischen fuhren.

Br Br Br Rk. rnit HCl GI Br A CI Br Cl

Br (cis- Rehe) Br = , ‘ B r *Br=Cl%Br

Br Br 18 Br 3 2 q * ‘3HO B r * B r T B r y L ; g cI Br

Rk. rnrt HBr Br Br& CI B r L Cl C / Br

Br*Br Cl :Cl&Cl Br 6b Cl&,/ Br (trans- Rerhel

Abb. 1 echritte

Reaktionsschema fur die Bildung der Chloro-Bromo-Osmate(1V) durch 24 Substitutions-

Die durch den trans-Effekt an unsymmetrischen Achsen Br-0s-C1 bewirkte Festigung der 0s -Br-Bindung einerseits und entsprechende Lockerung der 0s--1-Bindung andererseits ist, verglichen mit den Bindungen an symmetri- schen Achsen CI-0s-C1 bzw. Br-0s-Br, so gering, daI3 die Substitution weit- gehend statistisch an allen Liganden erfolgt. So werden bei der Reaktionvon cis-[OsC1,Br4]2- mit HC1 nicht nur die zueinander trans-standigen Br, sondern teilweise auch die durch trans-Wirkung gefestigten Br-Liganden der Br -0s-Cl- Achsen ausgetauscht. Entsprechendes gilt fur die Reaktionen im Sinne der trans- Reihe, wo z. B. in mer-[OsCl3Br3]2- nicht nur das trans-gelockerte C1 der Br- 0s-C1-Achse, sondern in geringerem Umfang auch ein normal gebundenes C1 der C1-0s--1-Achse durch Br- substituiert wird.

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Tabelle 1 Qeschwindigkeitskonstanten kbeob., Halbwertszeiten tl/,, Aktivierungsenergien Ea und Aktivierungspara- meter A H * , AS * und AG* der einzelnen Substitutioilssehritte entsprechend der Numerierung in Abb. 1 fiirverschiedene Temperaturen T in 5n HCl bzw. HBr (Komplexkonmentrationeii etwa mol/l, * = extrapolierter Wert)

E, [kcal/mol] Ek.-Nr. Substitutionsschritt T kbeob.. 10' tt/t AH * [kcal/mol]

dG * [kcal/moll L"C1 [min-'1 [minl A S * [cal/K . moll

1

2al2b

3a13b

4

5

baI6b

[OsBr.l*- + C1- + [OsClBr,l'- + Br-

[OsC1Br,12- + C1- --f

cisltr. [OsC1.Br,lP- + Br-

cia-[O~Cl~Br,]~- + C1- + fac/mer-[OsClaBr~l*- + Br-

tr.-[OsCl,Br,]*- + Cl- --z mer-[OsClaBrslz- + Br-

fac-[OsCl~Br~l~- + Cl- + ~is-[OsCl,Br.]~- = Br-

mer-[OsCl.Brrl'- + C1- --f

cis/tr.-[OeC1,Brzl'- + Br-

cis-[OsCl,Br,]*- + Cl- + [OsCl,Brls- = Br-

8 tr.-[OeCl,Br,l'- + Cl- -f

[OsClSBrla- + Br-

9 [OsClfiBrlz- + C1- + [OSCI,]~- + Br-

10 IOsCl.1'- + Br- + [OsCllBrl'- + C1-

60 65 70 75 80 85 90

65 70 75 SO 85

75 80 85 90

70 75 80 85 90

80 85 90 95

100

80' 85 90 95

100

80 85 90 95

100

80 85 90 95

100

80 85 90 95

100

80 85 90 95

100

5.6 10,9 20,9 32,6 52,J 84

159

4,4 7,6

11.6 21,2 43,2

4.2 8,5

1 2 3 24.5

3,8 794

12.6 21,7 36,6

1.9 3,6 6.6

11.3 22,7

474 8.3

13.6 25.9 45,l

0.67 1,26 2,22 4,04

2 2 3 3 7,5

12,4 21,o

0,18 0,38 0.7 1,21 2,07

0,79 1,38 3,O

7.3

7,2

5,1

125 64 Ea = 25,9 f 0,8 33 AH* = 25,2 i 0.8 21 AS* = 1,4 f 4.8 13 dG* = 25,7 i 2,O 8,s 4,4

157 91 60 33 16

I60 82 57 28

181 93 55 32 19

374 194 83 62 31

159 84 51 27 18

1038 551 313 172 96

315 185 93 56 33

3765 1805 989 574 335

873 501 234 137 95

Ea = 26,9 f 1,6 AH* = 26,2 i 1,6 A s * = 0,5 f 7,2 AG* = 26,3 2,6

Ea = 28,5 i 2,O AH* = 27,8 i 2,O

AG* = 27,l f 2 , 3 A S * = -2,0 * 7.3 Ea = 27,7 f 0,6 AH* = 27,O i 0,6

AG* = 26,7 f 1,l A S * = -0,7 i 2,9

Ea = 31,2 i 0,6 A H 4 = 30.5 & 0,6

A G * = 28,l f 1,3 A S * = -7,O & 3,2

E, = 30,4 i 1.4 AH* = 29,7 i 1,4 AS* = -6,3 i 5,l d G * = 27.5 i 1,6

Ea = 31, l & 1,2 AH* = 30,4 i 1.2 AS* = -4,6 i 4,6 AG* = 28,8 i 1,5

Ea = 29,9 f 0,6 AH+ = 29,2 i 0,6 A S * = -5,6 f 2,7 AG* = 28,O f 1,0

Ea = 31,4 4 0,B AH* = 30,7 f 0,Q A S * = -2,9 f 2,7 AG* = 29,7 i 1,7

Ea = 30,l i 1.5 AH* = 29,4 i 1,5 A S + = -2,l i 6,8 A G + = 28,7 2,s

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Kinetische Untersuohungen zum Ligandenaustausch 11

Tabclle 1 (Fortsetzung)

E, [kcal/rnoll Rk.-Nr. Substitutionsschritt T kbeob. ' 10' td, A H * [kcal/rnoll

AG * [kcal/mol] ["CI [min-'I [min] As* [calm . moll

l l a / l l b

12

13a/13b

14a/14b

15

16

17

18

[OsC1.Br12- + Br- + cis/tr.-[OsC1,Br,lz- + C1-

tr.-[O~Cl.Br,]~- + Br- mer-[OsClrBral'- + C1-

rner-[08C11Br.]z- + Br- -f

~is/tr.-[OsCl,Br.]~- + C1-

fac-[08Cl~Bral'- + Br- + cis-[OsCl~Bralz- + C1-

tr.-[OsCl,Br,]*- + Br- + [OsCIBrd- + CI-

cis-[OsCl,Br,]*- + Br- + [OsClBr.]'- + c1-

[OsClBr,1*- + Br- [OsBr,]'- + C1-

80 85 90 95

100

80 85 90 95

100

80 85 90 95

100

80 85 90 95

100

75 80 85 90 95

80 85 90 95 100

75 80 85 90

70 75 80 85 90

2 2 4 8 7,6

13,6 22,l

138 3,2 6,4

11,6 20,3

4,1 7,3

12,s

35,7

5.1 9,4

22,9

15,4 25,s 45,9

5,3 8,3

18.6 32,O 49,9

2,9 4,9 8,6

15,3 24,5

6,6 11,2 20,2 34,l

3,6 6,2 10.8 19,3 32,O

312 174 91 51 31

393 213 109 60 32

170 95 56 30 19

136 73 45 27 15

130 83 37 22 14

236 142 81 45 28

105 62 34 20

195 111

64 36 22

E, = 30,5 i 0,6 A H * = 29.8 f 0,8 A S + = -5,3 i 2,4 A G g = 25,O f 0,8

E, = 32,2 f 1,0 AH* = 31,5 i 1.0 A S * = -9.6 i 3,Q A G f = 28,l f 1,3

E, = 28,7 f 0,6 AH+ = 26,O =k 0,6 A S * = -1,4 i 3,B AGf = 27,5 i 0,8

E, = 28,3 i 0.3 AH* = 27.6 i 0,3 AS* = -0,7 i 2,4 AG* = 27.4 f 0,8

E, = 28,6 i 1.1 AH* = 27,9 f 1, l

AG* = 26,9 f 1,6 AS* = -2,7 i 4,6

E, = 28,2 f 0,6 AH* = 27,5 f 0,6 A S * = 0,9 i 2,7 AG* = 27,8 =k 0,7

E, = 27,4 f 1,l AH* = 26,7 f 1 , l

AG* = 26.8 f 1,l

E, = 27.4 f 0,6 AH* = 26,7 f 0,6 A S * = 0.5 f 2,2

AG* = 26,8 f 0,7

AS* = 0 i 3 . 7

Im Gegensatz zu den Chloro-Iodo-Osmaten, bei denen der Unterschied im trans-Effekt der Liganden gezielte Umsetzungen ermoglicht, sind hier die Aus- tauschreaktionen in beiden Richtungen (cis- und trans-Reihe) durchgangig. Nebeneinanderstehende Komplexe lassen sich zumindest teilweise reversibel ineinander umwandeln. Hinzu kommen die beiden Querverbindungen, die mer- [OsC13Br,]2- mit ~is-[OsCl,Br~]~- bzw. cis-[O~Cl,Br,]~- verbinden.

Da die Trennung stereoisomerer Chloro-Bromo-Osmate(1V) weder durch Hochspannungsionophorese noch an Cellulose-Ionenaustauschern gelingt, ist f i i r die Parallelreaktionen nur die Summe der Einzelgeschwindigkeitskonstanten

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meBbar, so daB insgesamt 18 Ligandenaustauschreaktionen der Messung zugang- lich sind, Tab. 1.

Abhangigkei t der Geschwindigkeitskonstanten voii d e r S u b s t i t u e n - t e n k o n z e n t r a t i o n

Zur Bestimmung der Abhingigkeit der Geschwindigkeitskonstanten von der Konzentration der Substituenten werden etwa 10-3 m Losungen der Komplex- salze mit verschieden konzentrierter HC1 bzw. HBr umgesetzt. Auf die Konstant- haltung der Ionenstarke und des pH-Wertes wird verzichtet, da in Gegenwart sehr groBer Salzmengen die ionophoretische Auftrennung der Proben unmoglich ist. Bei groBen Ionenstarken ist ohnehin mit unterschiedlicher Hydratation der ein- zelnen Anionen zu rechnen. AuBerdem zeigen Untersuchungen zur Kationen- abhhgigkeit der Hydrolyse, da13 gleiche Mengen verschiedener Kationen die Reaktionsgeschwindigkeit unterschiedlich stark beeinflussen [22]. Aus den Mes- sungen an Chloro-Iodo-Osmaten(1V) ist bekannt, daB mit zunehmender Ionen- starke die Reaktionen beschleunigt werden, die VergroBerung der Wasserstoff - ionenkonzentration aber eine Verlangsamung zur Folge hat, so daB beide Effekte einander entgegenwirken und sich weitgehend kompensieren.

Die Bestimmung der Geschwindigkeitskonstanten erstreckt sich uber den Konzentrationsbereich von 1 - 7 m HX. Als exemplarische Beispiele der Um- setzungen mit HC1 bzw. HBr werden die Rk. 1 bzw. 11 ausgewiihlt. Tab. 2 zeigt, da13 der Austausch der Br-Liganden unabhangig von der Substituentenkonzen- tration ist. Das weist auf einen Mechanismus hin, bei dem Aquokomplexe als Zwi- schenprodukte eine Rolle spielen. Die Auftragung der fur die Umsetzung von [OsC1,BrI2- mit HBr gemessenen Geschwindigkeitskonstanten gegen die Snb- stituentenkonzentration fuhrt dagegen zu dem zweigliedrigen Geschwindigkeit,s- gesetz :

k,,, = 4,51 - + 3,46 - 10-4 * [HBr] min-1. (1) Neben dem Austausch uber hydrolysierte Zwischeiikomplexe tritt hier konkur- rierend die bimolekulare Substitution auf.

Tabelle 2 Abhangigkeit der Geschwindigkeitskonstanten k,, von der Substituentenkonzentration CHX bei 80°C (Rk. 1: [OsBr6l2- + HCI, Rk. 11: [OSCI,B~]~- + HBr)

cHX kmi (Rk. 1) ~ H B , (Rk. 11) [molill [min-'1 [min-l]

1 0,0523 0,00089 2 0,0541 0,00105 3 0,0552 0,00147 4 0,0548 0,00177 5 0,0535 0,00222 6 0,0563 0,00262 7 0,0539 0,00282

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Kinetische Untersuchungen zum Ligandenaustausch 13

4. Diskussion der Ergebnisse Geschwindigkeitskonstanten

Untersuchungen an Chloro-Iodo-Osmaten(1V) haben gezeigt, daD die kine- tische Stabilitat mit wachsender Anzahl der starker elektronegativen C1-Liganden im Komplex zunimmt. Dieses Phanomen wird jetzt bei den Chloro-Bromo- Osmaten(1V) bestatigt. Die Zunahme der Halbwertszeiten erfolgt zu den chlor- reichen Komplexen hin ziemlich gleichmaBig, namlich fur die Umsetzungen mit HCl bei 80°C von 13 min bei [OsBr,12- auf etwa 2,5 Tage bei [OsCl,Br]2-, Tab. 1. Wahrend in der cis-Reihe der Chloro-Iodo-Komplexe bei fac-[OsC1,1,]2- eine deut- liche kinetische Barriere festgestellt wurde [20], findet man fur die Chloro-Bromo- Verbindungen bei fac-[OsC1,Br,12-, in dem drei 0 s -Br-Bindungen durch trans- Effekt gefestigt sein sollten, keine uberdurchschnittliche Verlangsamung der Austauschgeschwindigkeit. Demnach wird das Reaktionsgeschehen nicht so sehr durch den trans-Effekt, als vielmehr auch durch die nachbarstandigen Liganden, also durch einen cis-Effekt beeinflufit.

Die nur geringe trans-Wirkung der Br-Liganden zeigt sich auch bei den Sub- stitutionsreaktionen mit HBr. So reagiert [0~Cl,Br]~- nur unwesentlich schneller als trans-[OsC1,B1-~]~-, obwohl der erste Komplex einen trans-gelockerten C1-Li- ganden besitzt, der zweite hingegen nicht. Dementsprechend findet man bei der Auftrennung der Chloro-Bromo-Osmate der trans-Reihe die alternierende Folge groBer und kleiner Komplexkonzentrationen, die im System der Chloro-Iodo- Osmate so charakteristisch ist [ZO], vie1 weniger ausgepragt.

Zur quantitativen Abschatzung des trans-Effekts der Br-Liganden werden die Geschwindigkeitskonstanten isomerer Komplexe, z. B. von cis- und trans- [OsC1,Br2]2-, herangezogen. Fur die Umsetzung mit 5n HCI, Rk. 7 und 8, Tab. 1, ergibt sich, daB der trans-Komplex etwa dreimal so schnell wie das cis-Isomere substituiert wird. Die trans-Festigung der Os-Br-Bindung an C1-Os-Br- Achsen ist also gering, verglichen mit der symmetrischen Br - 0s -Br-Achse.

ubertragt man dieses Ergebnis auf die C1-Substitution an ~is-[OsCl,Br,]~-, das eine symmetrische und zwei unsymmetrisch besetzte Achsen aufweist, so iolgt, dab zu 25% ein Br der Br-Os-C1-Achsen, zu 75% der Br-Os-Br-Achse aus- getauscht wird. Mer- und fac-[OsC1,Br3]2- werden etwa im Verhaltnis 1 : 3 gebildet. Diese Aussage ist qualitativ zu verstehen, denn es bleibt fraglich, ob das fur cis- und trans-[OsC1,Brz]2- gefundene Verhaltnis der Geschwindigkeitskonstanten au€ andere Gemischtligandkomplexe voll ubertragbar ist. Generell mu13 aber aufgrund der kinetischen Daten beim sukzessiven Ligandenaustausch mit dem Auftreten von Isomerengemischen gerechnet werden.

Mechanismus der Ligandensubs t i tu t ion

Aussagen uber den Mechanismus der Substitutionsreaktionen lassen sich aus dem EinfluD verschiedener eintretender Liganden auf die Geschwindigkeit's- konstanten ableiten. Am ubersichtlichsten sind die kinetischen Daten, die an den reinen Hexahalogenoosmaten(1V) gemessen wurden, Tab. 3.

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Tabelle 3 Abhingigkeit der Geschwindigkeitskonstanten kbeob. und der Halbwertszeiten tIlz bei 80°C von den Substituenten Yn fur [OsX6l2- + Y" --f [ O S X ~ Y ] ~ ~ - ~ + X-

Ausgangskomplex Yn kbeob. [min-'] t,/ 2 [mid Lit.

( c y - = 5 mol/l)

[OsC1,]2- H,O c1- Br- I-

[OsBr6]*- H2O c1- Br- I-

2 , io . 10-4 i,84 I 10-4 7,93 . lo-* 0,92

-7 . lo@) 6,42 * 10-2 01,26 10' - lo=)

3 300 3 770

874 0 3

10 13 595

0,Ol-0,Ol ~~ ~

a) diese Arbeit b) extrapoliert RUS dem Geschwindigkeitsgesetz fur den Isotopenaustausch ") Schitzwert

Da die L4ustauschreaktionen an [OsC1,]2- und [OsBr,]2- mit C1- etwa so schnell verlaufen wie die Aquotisierung dieser Komplexe, wird angenommen, dal3 die Bil- dung von Monaquokomplexen als Zwischenprodukte geechwindigkeitsbestimmend ist. Die sich anschliel3ende Anation durch C1- erfolgt schnell [23]. Diese Annahme wird dadurch bestatigt, dal3 die Geschwindigkeitskonstante fur die Reaktion von [OsBr,]2- mit HC1 nicht von der HC1-Konzentration abhangt, Tab. 2. Das Auf- treten von Aquokomplexen als Zwischenprodukte ist zu erwarten und plausibel, weil die Annaherung des relativ kleinen, negativen Chloridions an zweifach nega- tive Komplexanionen elektrostatisch stark behindert ist. Den ungeladenen H20- Molekulen ist der nukleophile Angriff vie1 leichter moglich, zumal ihre Konzen- tration in waflriger Losung sehr hoch ist. Der in der Literatur [6] angegebene Wert von etwa 30 kcal/mol fur die Aktivierungsenergie des IsotoEenaustausches an [OSC~,]~- ist, wie der Vergleich mit den Werten fur die Hydrolyse zeigt und in Relation zu den Daten des Chloro-Bromo-Systems, Tab. 1, als zu niedrig anzu- sehen.

Die Ligandenaustauschreaktionen mit Br- verlaufen schneller als die Hydro- lyse. Das fur den Isotopenaustausch an [OsBr,12- ermittelte Geschwindigkeits- gesetz [4] zeigt analog zu vielen Umsetzungen an planaren Pt(I1)-Komplexen [24], daB die bimolekulare Substitution und Hydrolyse gleichzeitig auftreten. Fur die Chloro-Bromo-Osmate(1V) ist das durch die Reaktion von [0~Cl,Br]~- mit HBr bestatigt worden, G1. (1). Eine ahnliche Beziehung ergibt sich aus den Ge- schwindigkeitskonstanten fur die Substitution mit Br- und die Aquotisierung an [0sC1,J2- [7]. Mit steigender Br--Konzentration gewinnt demnach der direkte bimolekulare Ligandenaustausch gegeniiber der Anation an Aquokomplexe an Bedeutung.

Am deutlichsten zeigt sich der EinfluB des eintretenden Liganden auf die Geschwindigkeitskonstanten bei den Umsetzungen mit HI. Die Austauschreak- tionen gegen I- verlaufen lo3 bis lo4 ma1 schneller, so daB der Anteil der Aquoti-

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Kinetische Untersuchungen zum Ligandenaustausch 15

sierung nicht mehr meBbar ist. Der stereospezifische Verlauf der Substitutions- reaktionen im Chloro-Iodo-System und die Tatsache, daB sich Umlagerungen in der Koordinationssphare in keinem Fall nachweisen lassen, spricht dafur, daB alle Halogenidaustauschreaktionen nach einem assoziativen bzw. I,-Mechanismus er- folgen [24]. Die Beteiligung der Losungsmittelmolekule nimmt dabei in der Reihe von I- uber Br- nach C1- hin durch intermediare Bildung von Aquokomplexen zu.

Aktivierungsenergien

Die Aktivierungsenergien fur die Substitutionsreaktionen im System der Chloro-Bromo-Osmate(1V) sind durchweg hoher als fur die entsprechenden Chloro-Iodo-Osmate(1V). Im Gegensatz zu letzteren findet man fur die Chloro- Bromo-Komplexe einen Trend steigender Aktivierungsenergien mit zunehmender Anzahl der C1-Liganden im Komplex, Tab. 4. Dies deutet darauf hin, daB nicht nur die beiden Liganden der betreffenden Achse, an der die Substitution statt- findet, sondern auch die ubrigen, vier durch ihren cis-Effekt EinfluB besitzen.

Tabelle 4 Aktivierungsenergien E, fur die Substitution an verschiedenen Oktaederachsen

subst. Achse Subst. Komplex E, [kcal/mol]

Br - 0s- Br Cl- [OsBr612- 25,9 tr.-[OsBr4CI2]2- 27,7

Br- 0s- C1 c1- fa~-[OsBr,C1,]~- 31,2 ~is-[OsBr,Cl,]~- 31,l [OsBrCIJ- 31,4

tr.-[O~Br,Cl,]~- 29,9

Br- 0 s - 01 c1- Br- 0s- Br

CI-0s-CI

Br- 0s- CI

[OsBr5C1IZ- cis-[OsBr4C1,]2- mer-[OsBr3C1,]2-

Br- [OsCIJ- tr.-[OsBr,CI,~- tr.-[OsBr4CI2]2-

Br- fa~-[OsBr,Cl,]~- ~is-[OsBr~Cl,]~- [ OSB~~CI]~-

26,9 28,5 30,4

30,l 32,2 28,2

28,6 27,4 27,4

c1- 0s - c1 Br- [OsBrC1,]2- 30,5 Br - 0s- CI ~is-[OsBr,C1,]~- 28,7

mer-[OsBr3C1,]2- 28,3

Betrachtet man nur die eindeutig verlaufenden Reaktionen und 1aBt solche, die zu Isomerengemischen fuhren konnen, aul3er acht, so ergibt sich folgendes Bild :

Bedingt durch den trans-Effekt sind die Aktivierungsenergien fur den Aus- tausch trans-gelockerter C1-Liganden gegen Br- um etwa 2 kcal/mol niedriger als fur die Br-Substitution an C1-0s-C1-Achsen. Das gleiche gilt auch fur die C1-Substitution an Br-0s-Br-Achsen im Vergleich zum Austausch trans-

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gefestigter Br-Liganden. Die Reaktioiieii, die beide Substitutionsmoglichkeiten bieten, besitzen Aktivierungsenergien, die sich zwischen den Werten fur die ein- deutig ablaufenden Reaktionen einordnen. Da die Fehler fur die Aktivierungs- energien ebenfalls in der GroDenordnung von 2 kcal/mol liegen, durfen aber die aufgezeigten Unterschiede nicht uberbewertet werden.

Der Deutschen Forschungsgemeinschaft und dem Fonds der Chemie danken -wir fur die Unter- stutzung unserer Arbeit.

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Bei der Redaktion eingegangen am 18. September 1980.

Anschr. d. Verf.: Prof. Dr. W. PREETZ und Dr. H.-D. ZERBE, Inst. f. Anorg. Chemie d. Univ., Olshausenstr. 40- 60, D-2300 Kiel


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