Klinik für Kinder und Jugendpsychiatrie und Hochschule MerseburgKlinik für Kinder und Jugendpsychiatrie und Hochschule Merseburg
„ (Akut)traumatisierte Kinder und Jugendliche in „ (Akut)traumatisierte Kinder und Jugendliche in Pädagogik und JugendhilfePädagogik und Jugendhilfe““
Fachtagung am 17./18.02.2006
Beitrag
Dipl.-Psych. Gabriele Kluwe-SchlebergerDipl.-Psych. Gabriele Kluwe-SchlebergerPsychotherapeutische Praxis
Gründerin des Thüringer Traumanetzwerk-Zentrums (ThüTZ) Rohr-Erfurt
„ „ Opfer bleiben ist nicht schwer“Opfer bleiben ist nicht schwer“Von den Schwierigkeiten und Lösungsansätzen im institutionellen Umgang mit traumatisierten
Kindern und Jugendlichen
© THÜTZ G. Kluwe-Schleberger 2006
Trauma (Psychotrauma)Trauma (Psychotrauma)Ein traumatisierendes Ereignis greift die Psyche an und bedroht bzw. verletzt ihre Integrität. Ein Trauma kann die Biographie des Betroffenen nachhaltig beeinflussen. Wenn nicht schnell und effektiv interveniert wird, kann es zu einer Persönlichkeitsveränderung oder einer somatischen Krankheit kommen.
Die American Psychiatric Association definiert Psychotrauma als Ergebnis „eines psychischen Stress auslösenden Ereignisses außerhalb der üblichen menschlichen Erfahrung“.
Derartige Ereignisse übersteigen in der Regel die Möglichkeiten bewährter Bewältigungsstrategien. Ein traumatisierendes Ereignis ruft große Angst, Hilflosigkeit und Entsetzen hervor.
© THÜTZ G. Kluwe-Schleberger 2005© THÜTZ G. Kluwe-Schleberger 2005
Verlauf eines Traumas
TraumatischeSituation
Lebensgeschichte
SCHOCK / AUFSCHREI
TraumatischeReaktion
(Einwirkung)
Erholung TraumatischerProzess
-Chronifizierung-
Z e i t
Tagesverfassung,obj. Situations-faktoren,subjektiveBewältigungs-möglichkeiten
ZusätzlicheschützendeFaktoren
ZusätzlicheBelastungen
© THÜTZ G. Kluwe-Schleberger 2005
Ereignisse, die eine Person direkt als existenziell bedrohlich erlebt, oder davon Zeuge wird:
„T“-TRAUMATA
Kriegshandlungen
Kriminelle Handlungenz. B. „sexueller Missbrauch“ und Vergewaltigung, Misshandlungen,
Folter,Kidnapping, andere Gewaltverbrechen wie Raubüberfälle, Mord
Natur- und Verkehrskatastrophenz. B. Erdbeben, Tornados, Feuer, Überschwemmung, Zug-, Flugzeug- und Schiffsunglücke
schwere Unfälle, Krankheiten
invasive medizinischeEingriffe (Intensivstation)
plötzliche Verluste vertrauter Menschen u. sozialer Sicherheit
Diese Ereignisse sind durch eine Überstimulierung aller Sinne so stress-beladen, dass sie unsere gewöhnlichen Bewältigungsstrategien überfordern.
Sie lösen aus
intensive Angst, extreme Gefühle v. Hilflosigkeit, Kontrollverlust
>Emotionaler Schock<,der Verwirrung u. massive Erschütterung der kognitiven Funktionen,
Affektsteuerung u. Körperregulation hervorruft und damit häufig dauerhafte substanzielle, psychische Schäden verursacht
diese Phänomene können auch bei
„t“-TRAUMATA auftreten: Ereignisse mitErschrecken, Demütigungen, großer Peinlichkeit, Scham u. Hilflosigkeit
(nach: L.-U. Besser)© THÜTZ G. Kluwe-Schleberger
Trauma und KinderTrauma und Kinder
© THÜTZ G. Kluwe-Schleberger 2005
Monotraumafolgen bei Kindern
1. Schockzustand:
emotionale Gefühllosigkeit, Verwirrtheit, unter Umständen Zittern, Frieren, Übelkeit
© THÜTZ G. Kluwe-Schleberger 2005
Monotraumafolgen bei Kindern
2. Langzeitfolgen:
Angst, Verletzbarkeit, Depression, Pessimismus, Reizbarkeit und Wut, Schlafstörungen extreme Müdigkeit, Konzentrationsstörungen wiederholtes und unkontrolliertes Wiedererleben (intrusive Flashbacks); depressive Kinder sind häufig aktiv und ruhelos.
Wut
Angst
Selbstzweifel
Schuldgefühle
Panik
Minderwertigkeitsgefühle
GereiztheitSelbsthass
Hilflosigkeit
© THÜTZ G. Kluwe-Schleberger 2005
Verletzbarkeit
Unfähigkeit zurDetailschilderung
Kulturschock
Zerstörte Bindungen
Sprachbarrieren
Wut
Verständnis-losigkeit
Gedächtnisstörungen
Polizeibehörden
Eltern
Schule
Täter Therapeuten Psychotherap.
Rechtsanwälte (div. Spez.)
Gerichte, Staatsanwalt-schaften
Hilfsorganisationen
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Gesellschaftli-ches Umfeld
(mit Vorurteilen)
Jugendamt, Sozialamt
Parlamente, Ministerien,
Verwaltungen, Parteien
Kindergarten
Gutachter (div. Spezialitäten
Verwandte
Nachbarn
Freundinnen & Freunde
Landes-verwaltungsamt
Gesundheitsamt,(Amtsarzt)
Ärzte
Wohlfahrts-einrichtungen
Medien, Presse
Kita
KulturelleBildung
Mit welchen Gewalterfahrungen kommen Opfer in die Behörde?
Überfall, Raub, Mord
Kidnapping, Misshandlungen, Folter
schwerer Unfall
sexuelle Gewalt und Vergewaltigung
rituelle Gewalt
© THÜTZ G. Kluwe-Schleberger
Formen menschlicher GewaltFormen menschlicher Gewalt
Macht und
Kontrolle
Sexuelle Gewalt Ökonom
ische Gew
altSoziale G
ewalt
Physi
sche
Gew
alt
Emot
iona
le G
ewal
t Psychische Gewalt
Nötigung ZwangE
rniedrigung
IsolationDemütigungD
rohu
ng
Vergewaltigung,
gegen den Willen zu
sexuellen Handlungen nötigen,
sexuell angreifen,
als Sexobjekt
behandeln
Arbeitsverbot,
Zwang zu arbeiten,
um G
eld bitten lassen,
Geld zuteilen,
verweigern oder
wegnehmen
einschüchtern, beleidigen,
Drohungen aussprechen/ausführen,
Angst machen durch Blicke
Gesten, Handlungen ihr/sein Eigentum
zerstören,
einsperrenko
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gen,
Essen
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zug,
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fent
zug
Männliche Privilegien ausnutzen,
sie/ihn wie eine Bedienstete
behandeln,
alle Entscheidungen treffen,
Kinder als Druckm
ittel
benutzen, sie/ihn im
sozialen Um
feld
schlecht machen
THÜTZ / G. Kluwe-Schleberger
Gespräche, Umgang und Begleitung mit/von
traumatisierten Menschen
verlangen spezielle Kenntnisse über Trauma und Traumaverarbeitung
denn herkömmliche Methoden können bei Menschen mit Posttraumatischer Belastungsstörung flashbacks und Folgeschäden auslösen
© THÜTZ G. Kluwe-Schleberger
Umgang mit den Opfern:
Unterbinden des Täterkontaktes
„Herunterfahren“ des Stressprogrammes
Sicherheit, Schutz und Geborgenheit geben
als Zuhörer zur Verfügung stehen
keine Schuldzuweisungen
© THÜTZ G. Kluwe-Schleberger
Eine wichtige Hilfe für das Opfer: Eine wichtige Hilfe für das Opfer: als Zuhörer zur Verfügung zu stehenals Zuhörer zur Verfügung zu stehen
Werten Sie als Zuhörer das Gehörte nicht!
Akzeptieren Sie die Geschichte und die Gefühle!
Fangen Sie die Reaktionen angemessen auf!
Unterstützung für das Opfer auf der Dienststelle / Behörde
© THÜTZ G. Kluwe-Schleberger
Aufforderungen wie
„Beruhigen Sie sich doch!“
„Konzentrieren Sie sich auf die Befragung!“
„Nehmen Sie das doch nicht so tragisch!“
sind schädlich für das Opfer !
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Was tun bei … ?Was tun bei … ? Kontrollverlust: für Transparenz des Geschehens sorgen (immer kommentieren, was geschehen wird, wo man hinfahren wird, wie lange es dauern wird etc.)
Sicherheitsbedürfnis: Erstsicherung am Tatort, Trost geben, immer beim Opfer oder in seiner Nähe bleiben, nach besonderem Trostspender fragen (z. B. Kuscheltier bei Kindern)
Hilflosigkeit: für Transparenz der Abläufe sorgen; Stärkung der Ressourcen, Kompetenz und Autonomie des Opfers; nicht mit Bürokratie und Formularen überfrachten
Wahrnehmungsstörungen: (diese sind im Trauma begründet) Geduld, Akzeptanz, auf weiterführende Hilfen verweisen, Beschränkung auf die –ohne Druck- erhaltenen Ergebnisse
Besonderheiten bei Vernehmungen / Zeugenaussagen von traumatisierten
Gewaltopfern
widersprüchliche Aussagen
mangelnde Homogenität der Aussagen
keine Täuschungsabsicht oder Wunschdenken, sondern traumabedingt
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Unterstützung für das Opfer auf der Dienststelle / Behörde (1)
Äußere Bedingungen:
heller, geschützter, übersichtlicher
und ruhiger Raum
keine Störungen von außen
kein Zeitdruck
Versorgung des Opfers mit Essen und Trinken
© THÜTZ G. Kluwe-Schleberger
Unterstützung für das Opfer auf der Dienststelle / Behörde (2)
Anbieten einer Vertrauens- bzw.
Begleitperson
Opfer nicht ungefragt anfassen
Opfer fragen, ob ein männlicher oder
weiblicher Befragter gewünscht wird
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Unterstützung für das Opfer auf der Dienststelle / Behörde (3)
keine Suggestivfragen stellen
keine abwertenden Bemerkungen über
Reaktionen des Opfers machen
(z.B. über Hin- und Herlaufen, eigenartige
Bewegungen u. Ä.)
© THÜTZ G. Kluwe-Schleberger
Unterstützung für das Opfer auf der Dienststelle / Behörde (4)
keine Personalwechsel, wenn das Opfer den
Befrager als Vertrauensperson angenommen hat
Informationen über Hilfsangebote geben,
spezialisierte Traumatherapeuten
kontaktieren
© THÜTZ G. Kluwe-Schleberger
„Fehltritte“ im Opferschutz
Kind nicht zum Arzt schicken, damit nichts „rauskommt“ bzw. damit das Kind nicht „belastet“ wird (Eltern)
Erzwingen des Täterkontaktes (Jugendämter)
überall Opfer sehen
fehlende oder lückenhafte Dokumentation
falsch verstandener „Täterschutz“
Veröffentlichung des vollen Namens des Opfers in der Presse
© THÜTZ G. Kluwe-Schleberger
Fakten und Zahlen
Ausschluss der Öffentlichkeit: in 2/3 der Fälle vom Gericht veranlasst, wird immer stattgegeben, wenn es das Opfer beantragt
Begleitung der Kinder bei Vernehmungen: in knapp 2/3 der Vernehmungen durch eine Vertrauensperson (zu 80% sind dies Elternteile)
nur 18,8 % der Gerichte bieten echte Beratung für Kinder an
nur 6% der Gerichte verfügen über kindgerechtes Informationsmaterial für die Vorbereitung der Kinder als Zeugen
Entfernung des Angeklagten in der Hauptverhandlung in 28,6% der Fälle
nur in 5,7% der Fälle wird eine Konfrontation des Kindes mit dem Angeklagtem grundsätzlich vermieden
Mehrfachvernehmungen: 10,3% wurden gar nicht vernommen, 52,8% nur einmal befragt, mehrfach vernommen wurden 36,9%
Quelle: Kipper, Oliver: Der Schutz kindlicher Opferzeugen im Strafverfahren und die Verwendung von Videotechnologie, Internet-Erstausgabe 26.04.2002© THÜTZ G. Kluwe-Schleberger
Fakten und Zahlen
66,6% der Verfahren wegen sexuellem Missbrauchs werden eingestellt
• bei zunehmender Nähe zwischen Täter und Opfer steigt die Zahl der Einstellungen
• in 45% aller Fälle weigerte sich das Opfer gegen Familienangehörige auszusagen
• in 15% aller Fälle weigerte sich das Opfer gegen Bekannte auszusagen (bei Fremden 0%)
• nur in 2/3 aller Fälle werden die Betroffenen von der Einstellung der Verfahren schriftlich benachrichtigt
Quelle: Kipper, Oliver: Der Schutz kindlicher Opferzeugen im Strafverfahren und die Verwendung von Videotechnologie, Internet-Erstausgabe 26.04.2002© THÜTZ G. Kluwe-Schleberger