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Aus der Neurochirurgischen Abteilung (Leiter: Privatdozent Dr. H. W. P/a) der Chirurgischen Universit~itsklinikGiel3en (Direktor: Prof. Dr. Vo~schuIte)

Knoehenneubildung im Bereieh der hinteren Seh[idel- grube naeh suboceipitaler Craniotomie

Von

W. Lang und G. Sehultheifl

Mit 6 Textabbildungen

Einleitung

Es ist bekannt, daB Knoehendefekte der Seh~idelkalotte im Kindesalter eine gute Heilungstendenz zeigen und kn6chern verschlossen werden k6n- nen, besonders dann, wenn sie - - wie im Temporalbereich - - durch er- niihrenden Muskel gedeckt sind (Bushe, Pia). Auf Grund unserer bisherigen Erfahrungen wird dagegen der bei einer suboccipitalen Trepanation ge- setzte Defekt als bleibend angesehen. Abweichend davon wurden im Rah- men unserer Nachuntersuchungen bei 85 F/~llen von Torkildsen - - Opera- tionen aus einem Material yon 70 Kranken (Lang) - - 4 F~ille beobachtet, bei denen es zu einer verschieden stark ausgebildeten knSchernen ~ber- brfickung des Defektes gekommen war. Ein derartiger Fall ist auBerdem kfirzlich yon Bushe mitgeteilt worden. Da unseres Wissens aul3er dieser Mitteilung derartige Beobaehtungen nicht beschrieben worden sind, ander- seits abet die Vermutung nahe liegt, dab eine Reihe von Fallen unbeachtet bleibt, soil dariiber berichtet werden.

Eigenes Krankengut Es handelt sich einmal um einen 15j~ihrigen Patienten, der 1952 unter

den Zeichen akuter Hirndrucksteigerung erkrankte. Lokalsymptome lieBen sich nicht nachweisen, dagegen bot das Ventrikulogramm das Bild eines Tumors der Vierhfigelgegend (Abb. 1). Bemerkenswert war dabei eine Pi- nealisverlagerung nach hinten und unten. Da die RSntgenfibersiehtsaufnah- men des Sch~idels Merkmale einer chronischen Hirndrucksteigerung boten, war ein langsam wachsender Tumor anzunehmen. Nach typischer einseitiger Ventrikulo-Cisternostomie unter Verwendung eines Gummischlauchs be- stand fiber 1/ingere Zeit ein ausgedehntes Liquorpolster im Trepanations- bereich mit starker VorwSlbung der Nackenweichteile. Eine RSntgenbestrah- lung yon insgesamt 12.000 R (!) wurde angeschlossen. Alle Erscheinungen bildeten sich mit Ausnahme einer konstanten linksbetonten Augenheber-

Abb. I. Tumor der Vierhligelgegend mit Verlagerung der Pinealis und Verschlu•hydrocephalus.

Abb. 2a ,

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l~ihmung zur6ek. Der Patient ist in seinem Beruf als Lagerarbeiter voll ein- satzf~ihig.

Bei einer Nachuntersuchung im Februar 1956 wurde erstmals eine schalenf?Srmige kn6cherne ldberbrfJckung des Operationsdefektes festge- stellt, die sich halbkugelig vorw61bte und auch von aul3en zu tasten war

Abb. 2 b.

Abb. 2. Zustand nach Torkildsen-Drainage 7 Jahre naeh der Operation. Halbkugelig ausge- bildete Knochenschale im Bereich des oeeipitalen Knochendefektes. a Seitenbild. b Fialb-

axiale Aufnahme.

(Abb. 2 a und b). Dieser Befund besteht seitdem unverSndert. R/~ntgenauf- nahmen ergaben entspreehend der damaligen Ausdehnung des Liquorpol- sters eine vollst~indige Knoehenneubildung, die naeh Tangentialaufnahmen am seitliehen Rand des Trepanationsdefektes ansetzt, sich auf der reehten Seite etwa 1 cm lateralw~irts ausdehnt und im unteren Bereieh bis dieht an die Grenze der alten Umrandung des Hinterhauptsloehes reieht. Tomo- gramme best~itigten den nahezu vollst~indigen kniSchernen Abschlul3. Pal- patorisch waren Liicken nieht nachzuweisen.

Eine lumbale Eneephalagraphie naeh 7 Jahren ergab volle Durehg~ingig- keit der Drainage, die Beseitigung des Hydrocephalus und tiberrasehender-

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weise aueh bei wieder normaler Lokalisation der Pinealis nur eine ange- deutete Eindellung im hinteren Anteil des 8, Ventrikels in Pinealisn~ihe. Der yon der neugebildeten Knoehensehale umgebene ltaum der hinteren Seh~idel- grube war vollst~indig von Luft erf/illt, sehien also nur Liquor zu enthalten. Entlang des Sehlauehes im Oeeipitallappen war offensiehtlieh dureh Druek- atrophie eine breite Kommunikation zwisehen Seitenventrikel, Subaraehno- idealraum und Liquorpolster entstanden (Abb. 8).

Abb. 8. Kontroll-Encephalogramm 7 Jahre nach Operation. t/iiekbildung des Hydrocephalus internus zusammen mit Versehwinden der Tumorkontur, Porusbildung im Bereieh der Drai-

nage unter Kommunikation yon Ventrikel und Liquorpolster.

)~hnliche, wenn auch wesentlich schw~icher ausgepr~igte Ver~inderungen fanden wir bei einer Patientin, die im M/irz 1954 im Alter yon 18 Jahren wegen einer entztindlichen Aqu~duktstenose in gleicher Weise operativ be- handelt worden war. Ffir die Diagnose spraehen chronisehe Hirndruekstei- gerung, schwere sekund~ire Druckzeiehen am Seh~idel und vor allem das Luftbild mit fehlender Darstellung des Aqu~iduktes und hoehgradigem Ver- schlul3hydroeephalus (Abb. 4). Da bei einer Freilegung im M~irz 1954 Li- quorausfluB aus dem 4. Ventrikel beobaehtet wurde, begntigte man sieh mit der Entlastung, jedoeh muBte wegen zunehmender Hirndrueksteigerung 2 Monate sp~iter eine linksseitige Umgehungsdrainage angesehlossen wer- den. Hiernach bestand, wie im ersten Falle, eine vortibergehende VorwN- bung im Operationsgebiet und danach ftir kurze Zeit eine Liquorfistel

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ohne Meningitis. Die jetzt 18jiihrige Patientin ist symptom- und beschwerde- frei und als Fabrikarbeiterin t/itig.

Bei der letzten ambulanten Naehuntersuehung am 17. IX. 1958 wurden r6ntgenologiseh innerhalb des Knoehendefektes spangenftirmige Verkal- kungszonen festgestellt, die sieh gleiehfalls leieht naeh augen vorw61bten und fl~iehenhaft pallisadenartig angeordnet vorwiegend fiber den reehten An-

Abb. 4. Hochgradiger Verschlul3hydrocephalus bei, fehlender Darstellung des Aqu~idukts. Aus- gepr~igte; Druekzeichen am $eh/idelknochen.

teil des Defektes der Hinterhauptsschuppe sich erstreckten. Am Knochen- rand zeigten sie dabei eine-radi~ire Formation um einen kleinen Aufhel- lungsherd. Die frfiheren Hirndruekzeichen waren beseitigt (Abb. 5 a und b).

Bei einer dritten Patientin, die :gleichfalls im jugendlichen Alter yon 16 Jahren wegen einer Arachnitis derhinteren Seh/idelgrube einer subocci- pitalen Craniotomie unterzogen ycorden war, fand sich bereits 4 Jahre nach der Operation eine zarte kn6cherne Briieke imBereieh des Operationsdefek- tes. Bei der letzten NaehuntersUchung, wiederum 4 J ahre sp~iter, lieB sieh eine deutliehe Zunahme und Verstiirkung: dieser Briickenbildung naehwei- sen (Abb. 6). Im Gegensatz zu den vorhergehenden Patienten war hier je- doeh der Heilverlauf nieht dureh eine Liquorfistel oder dureh ein Liquor- polster kompliziert. Die Patientin ist jetzt his auf gelegentliehe Kopfsehmer-

Abb. 5 a und b. Spangenf6rmige Knochenneubildung im Trepanationsdefekt. Beseitigung der knSchernen Druckzeichen. a Seitlich. b Halbaxial.

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zen beschwerdeffei, die anf~inglichen Hirndruckzeichen sind vSllig ver- schwunden.

In einem vierten Falle waren lediglich angedeutete Randverkalkungen aufgetreten.

Abb. 6. Zarte kn5cherne Uberbr/.ickung des Trepanationsdefektes 4 Jahre naeh der Operation.

Besprechung Als bemerkenswerten Befund zeigen die 4 F~ille mehrere Jahre naeh

einer suboccipitalen Craniotomie Knochenneubildungen im Bereich des Entlastungsdefektes der hinteren Sch~idelgrube. Einmal ist es dabei zu einer nahezu vollst~indigen knSchernen Oberbrfickung der Trepanationslticke ge- kommen, w~ihrend sich in den /ibrigen F~illen nur einzelne unzusammen- h~ingende Knochenspangen gebildet haben. Alien Kranken ist das jugend- liche Alter gemeinsam. Im ersten Falle bildete sich postoperativ ein aus- gedehntes Liquorpolster mit starker VorwSlbung der Weichteile aus, das nach der encephalographischen Untersuchung bis heute besteht. Auch im zweiten Falle bestand neben einer vor/.ibergehenden Liquorfistel ohne Meningitis eine geringe VorwSlbung. Dagegen hat sieh in den beiden an- deren F~illen auch ohne Liquorpolster eine Knochenneubildung entwickelt, die jedoch im Verh~iltnis zu den ersten beiden F~illen wesentlich geringer ausgepr~igt ist.

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Leider war es nieht mSglich, dureh wiederholte RSntgenuntersuehungen das zeitliehe Fortsehreiten der VerknScherung im einzelnen zu verfolgen. Es ist aber wahrseheinlieh, dab die aktuellen Befunde bei allen Fiillen ver- schiedene Stadien des tlestitutionsvorganges darstellen. Die bei unserer zweiten Patientin beobaehtete radiiire VerknSeherung um einen Aufhel- tungsherd liiBt daran denken, dab bier Umbauvorg~inge mit Ausbildung eines Knoehenbildungszentrums vorliegen. Damit wird die wiehtige Frage beriihrt, ob es sieh bei der Neubildung lediglieh um die Verkalkung eines narbigen Bindegewebes oder um eine echte Knoehenregeneration handelt. Der Ausgang der Oberbrfiekung scheint uns ffir eine echte Knoehenneubil- dung zu spreehen, da dort Dura mit osteoplastischen Potenzen erhalten ge- blieben ist. Entseheidend dfirfte dabei neben dem t/eiz infolge des Liquor- druekes das jugendliehe Alter der Patientin sein. Eine gewisse ~hnliehkeit bei den Verhiiltnissen der waehsenden Sch~idelfraktur des Kindesalters (P/a und T6nnis) ist augenfiillig. Hier entspricht die RandverknScherung der Ausdehnung der Meningoeele spuria und wird dutch das abgehobene Periost ausgelSst. Es ist weiterhin bekannt, dab nur im Kindesaher ausge- dehnte Knoehendefekte dureh Knochenneubildung v o n d e r Dura aus fiber- brfiekt werden kSnnen.

Zwei weitere bemerkenswerte Befunde ergeben sich aus dem ersten Fall. Kliniseh und ventrikulographiseh wurde eine wesentliehe Rfiekbildung eines Vierhfigeltumors wohl infolge der tlSntgenbestrahlung beobaehtet. Darfiber hinaus gibt dieser Fall einen Hinweis auf die Gewebsseh/iden, die dureh die Drainage unmittelbar herbeigeffihrt werden. In der Umgebung des Drains vom Eintritt in den Oecipitallappen bis zum Hinterhorn hat sich hier ein weiter, mit dem Ventrikel kommunizierender Kanal entwiekelt (,,Porencephalie"). Derartige Verfinderungen sind in ausgedehnter Form be- reits frfiher bei Verwendung von Gummischliiuehen besehrieben worden (Pia).

Zusammenfassung

Es wird fiber 4 Fiille Jugendlieher mit Versehlughydroeephalus berieh- tet, bei denen sieh naeh einer Umgehungsdrainage bzw. ,,Hinterer Ent- lastung" Knoehenneubildungen bis zur vNligen Oberbrfiekung des Defektes ausgebildet haben. Darfiber hinaus konnte im ersten Falle mit einem Vier- hiigeltumor die Ausheilung der Gesehwulst eneephalographiseh wahrsehein- lieh gemaeht werden.

Summary

Four cases of infantile obstructive hydrocephalus are described in which after an operation designed to restore drainage - - for example a posterior decompres- sion - - new bone formation has proceeded almost to the point of complete clo- sure of the operative defect. Furthermore in the first ease, with a midbrain tu- mour, there was eneephalographie evidence that the tumour had been cured.

R6sum6 Quatre eas d'hydroc6phalie infantile obstructive sont d6erits dans lesquels apr6s

une op6ration faite par drainage - - par exemple une d6compression post6rieure - - de l'os nouveau s'est form6 au point de produire presque une compl6te fermeture

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de la brbche osseuse. Par ailleurs dans un premier cas concernant une tumeur du m6senc6phale il y avait 6vidence enc6phalographique que ]a tumeur avait 6t6 gu6rie.

Riassunto

Vengono eomunicati 4 vasi di giovani con idrocefalo bloccato nei quali dopo decompressiva posteriore si 6 verifieata una nuova formazione di osso fino a com- pleta copertura del difetto cranico.

Oltre a ci6, nel primo caso ehe presentava un processo espansivo della lamina quadrigemina si pot6 dimostrare encefalograficamente la scomparsa del tumore.

Resumen

Se informa sobre cuatro easos de adolescentes con hidroc6falo oclusivo en los que despues de un drenage derivativo o de liberaciSn de la rosa posterior se pro- dujo una completa neoformaei6n osea hasta dejar completamente recubierto el defecto. En el primer easo que tenia ademas un tumor de tubereulos cuadrige- minos se pudo demostrar la curaci6n del tumor pot eneefalografia.

Li te ra tur

BushG K.-A., Spontane Regeneration traumatischer oder operativer Defekte des Schlidels. (Vortrag auf dem gemeinsamen Kongre6 der Nededandse Vereniging van Neurochirurgen und der Deutschen Gesellschaft fiir Neurochirurgie. Rotter- dam, 1960.) - - Lang, W., Die Behandlung des VerschluBhydrocephalus durch Ventrikulocisternostomie. Diss. Marburg, 1959. - - PiG H.W., Zur Frage der Um- gehungsdrainage naeh Torkildsen. Zbl. Neuroehir. 18 (1958), 102--107. - - Pia, H.W., und W. Ti~nnis, Die wachsende Fraktur des Kindesalters. Zbl. Neurochir. 13 (1958), 1--28.


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