Einleitung
Bei neurodegenerativen Krankheitsprozessen ge−
hen funktionsfähige Neurone zugrunde und wer−
den durch funktionell minderwertiges Gewebe,
z.B. gliales Narbengewebe, ersetzt. Die Einteilung
und Klassifikation neurodegenerativer Erkrankun−
gen kann nach klinischen, genetischen oder pa−
thologisch−histologischen Kriterien erfolgen. Die
eigentlichen Ursachen der Erkrankungen sind da−
bei häufig nicht bekannt. Für den klinisch tätigen
Kollegen, meist den Neurologen, stellt die radiolo−
gische Bildgebung einen wichtigen Baustein in der
Diagnostik und bei der Verlaufskontrolle neurode−
generativer Erkrankungen dar. Der Nachweis typi−
scher Hirnveränderungen kann wegweisend sein
für die weitere Behandlung, auch wenn noch viele
dieser Erkrankungen nur symptomatisch thera−
piert werden können.
Dieser Artikel gliedert sich in zwei Abschnitte:
´ Zuerst werden unterschiedliche Erkrankungen
zusammengefasst, die jeweils mit degenerativen
Veränderungen an Teilen des zentral−motori−
schen Systems einhergehen. Dazu gehört die
Waller−Degeneration als ¹Urform“ eines degene−
rativen Prozesses, bei dem ein eindeutiger Zu−
sammenhang zwischen Ursache und Wirkung
besteht. Bei der dann folgenden hypertrophen
Olivendegeneration ist dieser Zusammenhang
schon komplexer, aber mit Hilfe der Kenntnis
neuroanatomischer Regelkreise noch verständ−
lich. Die eigentliche Ursache vieler weiterer, da−
nach diskutierter Erkrankungen ist unklar.
´ Der zweite Abschnitt umfasst den Morbus Par−
kinson mit seinen Differenzialdiagnosen.
Die einzelnen Erkrankungen werden definiert bzw.
mit Blick auf Epidemiologie, wichtigste klinische
Symptome, Therapie und Pathologie kurz darge−
stellt. Anschließend werden die typischen MRT−
Befunde beschrieben und Differenzialdiagnosen
aufgezählt. Nuklearmedizinische Verfahren wie
Positronenemissionstomographie (PET) und Sing−
le−Photon−Emissions−Computer−Tomographie
(SPECT) leisten einen wichtigen Beitrag zur diffe−
renzialdiagnostischen Abklärung bestimmter neu−
rodegenerativer Erkrankungen, sollen hier aber nur
kurz erwähnt werden.
Neurodegenerative Erkrankungen deszentral−motorischen Systems in der MRTNeurodegenerative Diseases of the Central Motor System in MRI
K. Alfke
Sektion Neuroradiologie,
Klinik für Neurochirurgie,
Universität Kiel
Neurodegenerative Erkrankungen des zentral−motorischen Systems in der MRT
ZusammenfassungNeurodegenerative Erkrankungen des zentral−motorischen Systems führen oft nur zu geringen (aber funktionell be−
deutsamen) Veränderungen an unterschiedlichen Teilen des Hirnparenchyms. Die MRT ist die sensitivste Methode
zur Darstellung solcher Veränderungen. In diesem Beitrag werden verschiedene neurodegenerative Erkrankungen
mit ihren wichtigsten klinischen Merkmalen und MRT−Befunden vorgestellt. Differenzialdiagnostisch nützliche Kri−
terien werden angegeben.
AbstractNeurodegenerative diseases of the central motor system often lead to discrete but functionally important
parenchymal abnormalities in various parts of the brain. MRI is the most sensitive imaging method to detect
these abnormalities. Various neurodegenerative diseases are presented with their clinical symptoms and MRI
findings. Criteria for differential diagnosis are provided as well.
Key wordsNeurodegeneration; Motor system; MR imaging; Parkinson disease; Atypical
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MRT bei neurodegenerativenErkrankungen
Bedeutung. Die MRT ist das sensitivste bildgeben−
de Verfahren zum Nachweis der häufig nur gerin−
gen, durch die Bildgebung fassbaren neurodegene−
rativen Veränderungen des Hirns. Die CT kann mit
dem Nachweis von Verkalkungen zusätzliche In−
formationen liefern.
Morphologie. Die Degeneration führt meist zu
Narbenbildung und Atrophie, was sich durchweg
in nur flauen Signalveränderungen und einer
Hirnvolumenminderung zeigt. Der Nachweis einer
pathologischen Kontrastmittelanreicherung als
Zeichen einer gestörten Blut−Hirn−Schranke ist bei
keiner der unten aufgeführten Erkrankungen zu
erwarten. Eine Kontrastmittelgabe ist also nur zum
Ausschluss anderer Krankheiten sinnvoll. Das
empfohlene MRT−Protokoll bei neurodegenerati−
ven Erkrankungen ist in Tab.1 dargestellt.
Waller−Degeneration
Definition. Werden Axon und Markscheide durch
eine Läsion vom ernährenden Perikaryon getrennt,
degeneriert ihr anterograder Anteil distal der Läsi−
on (Waller−Degeneration). Verletzte periphere
Nerven können sich entlang ihrer erhaltenen Peri−
neuralscheide regenerieren. Im ZNS bleibt dagegen
eine Glianarbe zurück. Eine typische Waller−Dege−
neration im ZNS entsteht z.B. durch einen ischä−
mischen Infarkt mit Beteiligung der Pyramiden−
bahn.
MRT−Befunde. Aufgrund der engen Nachbarschaft
der parallel ausgerichteten Axone ist die Degene−
ration deutlich erkennbar, besonders auf korona−
ren und sagittalen Aufnahmen. Distal einer in der
Regel deutlichen Parenchymläsion tritt im Verlauf
von Faserbahnen, z.B. der Pyramidenbahn, eine
Hyperintensität in T2w Aufnahmen auf (Abb.1).
Diese Hyperintensität zeigt sich nach 5± 12 Wo−
chen, und nach 8 ±12 Monaten kommt eine Atro−
phie hinzu.
Differenzialdiagnose. Tumoren mit ausgedehn−
tem perifokalem Ödem bzw. einer mikroskopi−
schen Infiltration des umgebenden Hirnparen−
chyms wie bei höhergradigen Gliomen können sich
von supratentoriell entlang der Pyramidenbahn in
Hirnschenkel und Hirnstamm ausdehnen, was
ebenfalls als Hyperintensität in T2w Bildern er−
scheint.
Diese Tumoren können von der Waller−Degenerati−on durch die ödematöse Volumenzunahme der Py−ramidenbahn und den raumfordernden Tumor imsupratentoriellen Verlauf der Pyramidenbahn imGegensatz zur chronischen, raumgebenden Läsionbei der Degeneration unterschieden werden.
Nach einer Tumoroperation mit größeren an die
Corona radiata oder Pyramidenbahn angrenzen−
den Substanzdefekten kann die Unterscheidung
zwischen einer Waller−Degeneration und einer
progredienten, mikroskopischen Tumorinfiltration
allerdings schwierig sein.
Hypertrophe Olivendegeneration
Definition. Nach einer Läsion im Guillain−Molla−
ret−Dreieck (Abb. 2) kommt es mit einer Latenz von
ungefähr 3 Monaten (mehrere Wochen bis mehre−
re Monate) zu einer sekundären Degeneration des
Nucleus inferior der Olive. Häufige Ursachen sind
ein ischämischer Infarkt oder eine Blutung mit Be−
teiligung des pontinen Tegmentums; hierbei wird
die zentrale Haubenbahn geschädigt. Auch ein
chirurgischer Resektionsdefekt, z.B. nach Entfer−
nung eines Hirnstammkavernoms oder eines kind−
lichen Kleinhirntumors, kann die Ursache sein.
Klinik. Kontralateral zur Olivendegeneration ent−
steht ein Gaumensegeltremor mit rhythmischen
Zuckungen des weichen Gaumens einer Frequenz
von 2 ±3 Hz. Der Tremor persistiert typischerweise
über Jahre.
Neurodegenerative Erkrankungen des zentral−motorischen Systems in der MRT
Tab. 1 MRT−Protokoll bei neurodegenerativen Erkrankungen
MRT−Protokoll ´ Doppelecho mit T2− und protonendichtegewichteten Aufnahmen axial´ FLAIR−Aufnahmen, z. B. sagittal´ T1w Aufnahmen (ggf. vor und nach Kontrastmittelgabe), z. B. koronar
Beachte ´ Bei Turbospin−Echo−Sequenzen Verwendung eines geringen Turbofaktorszur Optimierung der Echozeit (TE) zum Nachweis auch geringer Signal−veränderungen im Parenchym.
´ Variation der Schichtführung je nach Fragestellung (z. B. sagittale Aufnahmenzum Nachweis einer Pons−Atrophie).
Optional in Abhängigkeit von der Fragestellung´ T2*w Aufnahmen (Verkalkungen?)´ T2w Aufnahmen feinschichtig (2 ± 3 mm Schichtdicke, 512er−Matrix), z. B. für
Hirnstamm oder Basalganglien´ DWI (mit Berechnung des ADC)´ Magnetresonanzspektroskopie
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Neurodegenerative Erkrankungen des zentral−motorischen Systems in der MRT
Abb. 1 Waller−Degeneration nach Linsenkerninfarkt. a EineT2w transversale (axiale) Schicht auf Höhe der Stammgan−glien mit einem frischen Linsenkerninfarkt rechts. Dieserstellt sich aufgrund des Ödems hyperintens und leichtraumfordernd dar. Der hintere Schenkel der rechten Capsulainterna und damit die Pyramidenbahn ist mit betroffen. Eineweitere Schicht auf Höhe der Hirnschenkel zeigt die Pyrami−denbahn beidseits normointens. b Serie T2w transversaler(axialer) Aufnahmen ein Jahr nach dem Linsenkerninfarktmit Entwicklung einer Waller−Degeneration im Verlauf derrechten Pyramidenbahn, die als T2−hyperintense Signalver−änderung von der Höhe der Infarktnarbe bis hinunter in diePyramidenbahnkreuzung nachweisbar ist.
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Pathologie. Die Hypertrophie entsteht zunächst
durch eine Schwellung von Neuronen der Olive
und durch Ausbildung von Vakuolen. Im Verlauf
von Jahren erfolgt eine Demyelinisierung von Axo−
nen, eine Atrophie mit Verlust von Neuronen und
eine gliöse Narbenbildung.
MRT−Befunde. Im Frühstadium zeigt sich zunächst
eine T2−Hyperintensität ventral in der Medulla
oblongata auf Höhe der betroffenen Olive. Im Ver−
lauf von Wochen ist dann in diesem Areal eine Vo−
lumenzunahme durch Schwellung des unteren
Olivenkerns nachweisbar [1]. Die ursächliche Läsi−
on innerhalb des Guillain−Mollaret−Dreiecks, z. B.
ein tegmentaler Infarkt oder eine kleine Hirn−
stammblutung, wird sich aufgrund der langen La−
tenz bis zum Auftreten der olivären Degeneration
als Narbe darstellen (Abb. 3). Die Hypertrophie der
Olive kann nach Jahren wieder zurückgehen. Die
hyperintensen Signalveränderungen in den T2w
Aufnahmen bleiben aber entsprechend der Ausbil−
dung einer Narbe lebenslang erhalten.
Differenzialdiagnose. Neben der beschriebenen
symptomatischen Olivendegeneration, die in Ab−
hängigkeit vom Läsionsort ein− oder beidseitig
entsteht, gibt es auch eine idiopathische Form, die
keine ursächliche Läsion erkennen lässt, sowie
eine Assoziation mit anderen neurodegenerativen
Erkrankungen wie der Multisystematrophie (MSA)
und der progressiven supranukleären Parese (PSP)
[2] (s. u.).
Amyotrophe Lateralsklerose (ALS)
Epidemiologie. Die Prävalenz beträgt 6± 10 auf
100.000 Einwohner, wobei Männer häufiger be−
troffen sind als Frauen (Verhältnis 3 :1). Über 90%
der Erkrankungen treten sporadisch auf, autoso−
mal dominante und rezessive Formen sind selten.
Die ALS tritt auch als Paraneoplasie auf, am häu−
figsten bei Bronchial−, Prostata− oder Mammakar−
zinomen sowie bei lymphoproliferativen Erkran−
kungen.
Klinik/Therapie. Der Erkrankungsbeginn liegt
zwischen dem 40. und 60. Lebensjahr. Frühzeichen
sind Faszikulationen einzelner Muskeln, häufig
auch der Zunge. Gemischt schlaffe und spastische
Paresen und Muskelatrophien kommen hinzu. Zei−
chen einer bulbären Störung sind Schluck− und
Sprachstörung. Zwangslachen und Zwangsweinen
können ebenfalls auftreten. 80 % der Patienten ver−
sterben innerhalb von 3 Jahren, häufig an einer In−
suffizienz der Atemmuskulatur. Riluzol soll die
Neurodegenerative Erkrankungen des zentral−motorischen Systems in der MRT
Abb. 2 Die Grafik sym−bolisiert das Guillain−Mollaret−Dreieck: DieBahnen ziehen vom Nu−cleus dentatus über denoberen Kleinhirnstiel imTractus dentatorubraliszum kontralateralenNucleus ruber, von hierüber den Tractus teg−mentalis centralis (zen−trale Haubenbahn) zuripsilateralen Olive undüber den Tractus olivo−cerebellaris über denunteren Kleinhirnstielund die kontralateraleKleinhirnrinde wiederzurück zum Ausgangs−punkt, dem Nucleusdentatus.
Abb. 3 Sekundäre hypertrophe Olivendegeneration nach Hirnstammblutung. a Eine transversale (axiale) T2w und eine koronare T2*w Schichtzeigen Reste einer 5 Monate zuvor aufgetretenen Hirnstammblutung. Die Blutabbauprodukte stellen sich in beiden Bildern als Suszeptibilitätsarte−fakte in der rechten Hälfte des pontinen Tegmentums dar. Der Patient hatte im Verlauf einen Gaumensegeltremor links entwickelt. b Im T2w trans−versalen (axialen) Schichtbild der Medulla oblongata erkennt man die im Verlauf entstandene sekundäre hypertrophe Olivendegeneration rechts alshyperintense Schwellung. Sie ist Folge der Schädigung der zentralen Haubenbahn rechts auf Höhe der Blutung.
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Überlebenszeit verlängern. Die Therapie ist rein
symptomatisch, sie kann in der Spätphase auch in
einer Langzeitbeatmung bestehen.
Pathologie. Es besteht eine Degeneration des 1.
und 2. Motoneurons im Motorkortex, im Verlauf
der Pyramidenbahn, im Hirnstamm und auch spi−
nal.
MRT−Befunde. Entsprechend der Motoneuronde−
generation mit Gliosen und Demyelinisierung fin−
det sich in T2w Aufnahmen ein hyperintenses Sig−
nal im Verlauf der Pyramidenbahn in der Corona
radiata, der Capsula interna und in Hirnschenkeln
und Hirnstamm (Abb. 4) [3]. Eine Atrophie mit Vo−
lumenminderung kann nachweisbar sein, auch am
Myelon. Nebenbefundlich können asymmetrische
Muskelatrophien der Zunge zu beschreiben sein.
Differenzialdiagnose. Klinisch bestehen in der
Frühphase Ähnlichkeiten mit der spinalen
Muskelatrophie, der zervikalen Myelopathie und
anderen Erkrankungen des motorischen Systems.
Chorea Huntington
Epidemiologie. Die Prävalenz dieser Erkrankung
liegt bei 4±7 auf 100.000 Einwohner. Der Erbgang
ist autosomal dominant mit vollständiger Pene−
tranz. Das Gen liegt auf dem kurzen Arm des Chro−
mosoms 4 und kann bei Merkmalsträgern erkannt
werden.
Klinik/Therapie. Die Erkrankung manifestiert sich
jenseits des 40. Lebensjahres und hat häufig einen
letalen Ausgang nach 10±20 Jahren. Zum Vollbild
gehört eine Trias aus
´ choreatiformer Bewegungsstörung mit plötzlich
einschießenden Bewegungen von Armen und
Beinen, Grimassieren, bizarren Körperhaltungen,
´ Verhaltensauffälligkeiten mit Enthemmung und
impulsiven Handlungen und
´ kognitiver Verschlechterung bis zur Demenz.
Eine Heilung ist nicht möglich, es gibt aber Versu−
che mit neuroprotektiven Medikamenten.
Pathologie. Eine Atrophie mit Verlust von Neuro−
nen wird teilweise begleitet von einer Astrozytose.
Die Atrophie ist am ausgeprägtesten im Nucleus
caudatus, Putamen und Pallidum, sie ist aber auch
nachweisbar an den Frontallappen, dem Hypotha−
lamus, dem Hippocampus und an der Pars reticu−
laris der Substantia nigra.
MRT−Befunde. Die relativ symmetrische Atrophie
des Striatums zeigt sich am besten bei koronarer
Schichtführung. Der Nucleus caudatus flacht sich
zunehmend ab, die Seitenventrikel weiten sich
entsprechend auf (Abb. 5 u. 6). In FLAIR− und
T2−gewichteten Aufnahmen kann das Striatum
hyperintens sein. Bei Verlaufskontrollen sind die
Befunde über Jahre progredient. Die Magnetreso−
nanzspektroskopie zeigt in den Stammganglien
schon früh eine Reduktion von N−Acetylaspartat
(NAA) und einen leichten Anstieg von Cholin (Cho).
Zusätzlich kann Creatin (Cr) reduziert und Lactat
erhöht sein.
Differenzialdiagnose. Choreatiforme Bewegungs−
störungen können auch durch entzündliche, in−
fektiöse, vaskuläre, hypoxische und toxische Läsio−
nen vom Nucleus caudatus und dem gesamten
Striatum entstehen, z.B. durch lakunäre Infarkte.
In Abhängigkeit von der Läsion ist auch eine ein−
seitige Symptomatik (Hemichorea) möglich
(Abb. 7 u. 8) [4,5]. Die Chorea minor Sydenham
befällt typischerweise Mädchen im Schulalter als
parainfektiöse Erkrankung mit guter Prognose.
Weitere Erkrankungen sind unter anderem die
Chorea gravidarum, die Choreoakanthozytose. Eine
relativ symmetrische Striatumatrophie kann nach
hypoxischen oder entzündlichen Läsionen nach−
weisbar sein, schreitet aber nicht fort.
Die Differenzialdiagnose gelingt über die abwei−chende Klinik, die genetische Untersuchung undbei symptomatischen Formen in der Bildgebungüber den Nachweis einer ursächlichen Läsion.
Morbus Fahr
Epidemiologie. Es gibt idiopathische sporadische
und familiäre (autosomal rezessive oder dominan−
te) Formen sowie symptomatische Formen bei Hy−
po− und Pseudohypoparathyreoidismus.
Klinik/Therapie. Ungefähr in 40% Zufallsbefund
der Verkalkungen im ZNS ohne Symptome. Sonst
sind demenzieller Abbau und extrapyramidale
Bewegungsstörungen möglich. Letztere können
begleitet werden von Parkinsonismus, Chorea,
Dystonie, Athetose oder zerebellärer Ataxie.
Neurodegenerative Erkrankungen des zentral−motorischen Systems in der MRT
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Therapeutisch helfen Parkinson−Medikamente,
allerdings mit eingeschränkter Wirksamkeit.
Pathologie und MRT−Befunde. Charakteristisch
sind mitunter sehr ausgedehnte Verkalkungen so−
wie eine Degeneration in Basalganglien, Nucleus
dentatus und manchmal auch im paraventrikulä−
ren Marklager. Die Verkalkungen sind in der CT
deutlich sichtbar (Abb. 9). In der MRT sind sie we−
niger deutlich, es können aber T2−hyperintense
und möglicherweise auch T1−hyperintense Läsio−
nen sichtbar sein.
Neurodegenerative Erkrankungen des zentral−motorischen Systems in der MRT
Abb. 4 AmyotropheLateralsklerose (ALS).a ± d Transversale T2wBilder eines Patientenim Frühstadium einerALS zeigen eine flaueseitensymmetrischeHyperintensität derPyramidenbahn in Co−rona radiata, Capsulainterna und Hirnschen−kel. e Auch in der sagit−talen FLAIR−Aufnahmestellt sich die Pyrami−denbahn in der Coronaradiata flau hyperintensdar. Nebenbefundlichbesteht eine Mikroan−giopathie mit paraven−trikulären Marklager−gliosen.
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Neurodegenerative Erkrankungen des zentral−motorischen Systems in der MRT
Abb. 5 Chorea Huntington in koronaren T1w Aufnahmen. a Frontale Atrophie, die im Nucleus caudatus deutlich betont ist. Die koronare Schicht−führung verdeutlicht die Aufweitung der Vorderhörner der Seitenventrikel. b Gleichaltrige gesunde Kontrollperson.
Abb. 6 Chorea Huntington in T2w transversalen Schichtaufnahmen. a Frontale,im Nucleus caudatus betonte Atrophie. b Gleichaltrige gesunde Kontrollperson.
Abb. 7 Symptomatische Form einer Hemichorea beieinem 66−jährigen Patienten, der infolge einer nichtke−totischen Hyperglykämie linksseitige choreatiformeBewegungsstörungen entwickelte (s. a. Abb. 8). DieBilder zeigen eine rechtsseitige Stammganglienläsionmit Volumenminderung und Hyperintensität in T2wBildern.
Radiologie up2date 2 | 2005 | DOI 10.1055/s−2005−861187 147
Neurodegenerative Erkrankungen des zentral−motorischen Systems in der MRT
Abb. 8 Hemichorea, gleicher Patient wie in Abb. 7. In den T2− und PD−gewichteten transversalen Bildern (a, b) sind Caput nuclei caudati und Pu−tamen rechts volumengemindert und hyperintens. c In den koronaren Aufnahmen zeigt sich in diesen Strukturen die für die nichtketotische Hyper−glykämie typische T1−Hyperintensität. Als Ursache werden petechiale Einblutungen vermutet. Symptomatik und Läsionen bilden sich meist inner−halb von Monaten zurück.
148 Radiologie up2date 2 | 2005 | DOI 10.1055/s−2005−861187
Morbus Friedreich
Epidemiologie. Der Morbus Friedreich lässt sich
klinisch einordnen in eine Gruppe von ca. 50 Syn−
dromen, die mit einer Ataxie als Leitsymptom ein−
hergehen. Zu dieser Gruppe zählen die Heredoata−
xien und idiopathische Formen.
Differenzialdiagnostisch sind die symptomati−
schen Ataxieformen abzugrenzen, die z.B. bei einer
Kleinhirnatrophie als Folge eines Alkoholabusus
entstehen.
Der Morbus Friedreich ist die häufigste Form der
Heredoataxien und hat eine Prävalenz von unter 5
auf 100.000 Einwohner und wird autosomal rezes−
siv vererbt.
Klinik/Therapie. Typischerweise beginnt die Er−
krankung um das 12. Lebensjahr, in ca. 35% bereits
vor dem 10. Lebensjahr. Frühe Symptome sind eine
zunehmende Ataxie, fehlende Muskeleigenreflexe
an den Beinen und eine Störung der über die Hin−
terstränge vermittelten Sensibilität. Weitere mög−
liche Folgen bzw. Symptome sind eine Dysarthrie,
ein Hohlfuß oder eine Kyphoskoliose, eine Mus−
kelatrophie oder ein hirnorganisches Psychosyn−
drom. Häufig entwickelt sich eine hypertrophe
Kardiomyopathie. Die klinische Verdachtsdiagnose
lässt sich über den gentechnischen Nachweis der
zugrunde liegenden Mutation bestätigen. Die The−
rapie ist lediglich symptomatisch.
Pathologie. Es degenerieren spinozerebelläre Bah−
nen, die Hinterstränge und möglicherweise auch
die Pyramidenbahn. Im Nucleus dentatus sind
Zelluntergänge nachweisbar.
MRT−Befunde. Die vielen verschiedenen Formen
der degenerativen Ataxien können mit einer kor−
tikalen zerebellären Atrophie, einer olivopontoze−
rebellären Atrophie oder auch mit einer spinoze−
rebellären Atrophie einhergehen (Abb.10). Der
Morbus Friedreich zeigt typischerweise eine Atro−
phie des Kleinhirnwurms und des Myelons [6,7].
Andere Anteile des Kleinhirns oder des Hirn−
stamms sind selten betroffen.
Differenzialdiagnose. Es gibt zahlreiche weitere
Erkrankungen, die klinisch mit einer Ataxie und in
der Bildgebung mit einer spinozerebellären Atro−
phie einhergehen können, z.B. die verschiedenen
Formen der autosomal dominanten zerebellären
Ataxie (SCA 1 ±17) oder die idiopathischen zere−
bellären Ataxien.
Diagnostisch hinweisend auf den Morbus Friedreichsind die beschriebene Klinik mit frühem Beginn imKindes− oder Jugendalter und natürlich der Nach−weis der entsprechenden Genmutation.
Neurodegenerative Erkrankungen des zentral−motorischen Systems in der MRT
Abb. 9 Typisches Verkalkungsmuster eines Morbus Fahr im CT−Bild mit relativ seitensymmetrischem Kalk in den Stammganglien, hier besonders inPallidum und Caudatus, im paraventrikulären frontalen Marklager, im Nucleus dentatus und im umgebenden Marklager des Kleinhirns.
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Morbus Parkinson undatypische Parkinsonsyndrome
Morbus Parkinson
Epidemiologie. Die Prävalenz des Morbus Parkin−
son steigt mit zunehmendem Patientenalter und
beträgt in der Altersgruppe > 60 Jahre über 1%.
Klinik/Therapie. Typischerweise beginnt die Er−
krankung halbseitig und armbetont in der 6. De−
kade. Rigor, Tremor und Hypokinese bis Akinese
stellen die ¹klassische“ Trias dar. Allmählich erfas−
sen die Symptome auch die Gegenseite. Häufige
Spätsymptome sind psychische Störungen, wie
Depression; eine Demenzentwicklung ist möglich
[8]. Die medikamentöse Therapie erfolgt mit L−Do−
pa, Dopaminagonisten und Anticholinergika. Ein
noch junges Verfahren, durchgeführt an bestimm−
ten Zentren, ist im fortgeschrittenen Stadium des
Morbus Parkinson die Tiefenhirnstimulation des
Nucleus subthalamicus mit bilateraler Implanta−
tion von Stimulationselektroden.
Pathologie. Dopaminerge Neurone in der Pars
compacta der Substantia nigra gehen unter. Häufig
sind Lewy−Einschlusskörperchen nachweisbar, eo−
sinophile 10± 15 �m große Einschlüsse ähnlich
Neurofilamenten im Zytoplasma von Zellen von
Substantia nigra, Thalamus, Locus coeruleus, Ra−
phe−Kernen, Nucleus basalis Meynert, Kortex so−
wie im autonomen Nervensystem.
MRT−Befunde. Mit den Standardsequenzen sind
keine spezifischen Abnormitäten nachweisbar.
Veränderungen des Eisengehalts der Substantia
nigra sind uneinheitlich und gelten daher inzwi−
schen als diagnostisch nicht relevant. Nur auf−
wendige experimentelle Methoden haben mit
Hilfe von diffusionsgewichteten Sequenzen [9]
oder Kombination verschiedener Inversion−Reco−
very−Sequenzen [10,11] eine Volumenminderung
der Pars compacta der Substantia nigra nachge−
wiesen.
Differenzialdiagnose. Die MR−Diagnostik bei ei−
nem Patienten mit Parkinson−Symptomatik dient
vor allem dem Ausschluss eines Normaldruckhy−
drozephalus und anderer Erkrankungen mit Basal−
ganglienläsionen. Sie dient auch der Suche nach
Neurodegenerative Erkrankungen des zentral−motorischen Systems in der MRT
Abb. 10 Ausgeprägtevermale und hemisphä−rale Kleinhirnatrophiein T2− und T1−gewichte−ten Aufnahmen eines36−jährigen Patientenmit seit dem 23. Le−bensjahr bestehenderzerebellärer Ataxie. EineFriedreich−Ataxie undverschiedene Formender SCA wurden durchgenetische Tests ausge−schlossen. Die deskripti−ve Diagnose lautetEarly−onset−cerebellar−ataxia.
150 Radiologie up2date 2 | 2005 | DOI 10.1055/s−2005−861187
Zeichen der im Folgenden beschriebenen atypi−
schen Parkinson−Syndrome (Tab. 2).
Multisystematrophie (MSA)
Epidemiologie. Das mittlere Erkrankungsalter der
Patienten beträgt 53 Jahre. MSA ist Ursache von bis
zu 5% der Parkinson−Syndrome.
Klinik/Therapie. Multisystematrophie ist ein
Oberbegriff für 3 Erkrankungen mit unterschiedli−
cher Lokalisation der Degeneration und entspre−
chend unterschiedlicher Klinik. Die Formen wer−
den nach ihrer typischen Klinik benannt und
entsprechen den in Klammern genannten früheren
Krankheitsbezeichnungen:
´ MSA−P (striato−nigrale Degeneration) mit Par−
kinson−Syndrom (Akinese, Rigor, Tremor),
´ MSA−C (olivopontozerebelläre Atrophie, OPCA)
mit zerebellären Symptomen (Ataxie),
´ MSA−A (Shy−Drager−Syndrom) mit autonomen
Dysfunktionen (orthostatische Dysregulation,
Inkontinenz).
Es gibt Überschneidungen bzw. Mischformen die−
ser Erkrankungen. So sind für die klinische Ab−
grenzung der MSA−P vom Morbus Parkinson frühe
Zeichen einer autonomen Dysfunktion mit ortho−
statischer Dysregulation, Miktionsstörung oder
Impotenz ein wichtiges Kriterium. Die Parkinson−
Symptomatik der MSA−P zeigt als weiteren diag−
nostischen Hinweis ein schlechtes Ansprechen auf
L−Dopa.
Pathologie. Speziell bei der MSA−P tritt eine Gliose
im Striatum auf, die dorsolateral beginnt. Alle For−
men können Atrophien und Gliosen in Basalgan−
glien, Pons, Kleinhirn und Olive zeigen.
MRT−Befunde. Auch in der Bildgebung gibt es
Mischformen mit Kombination der typischen Ver−
änderungen. Die MSA−P geht einher mit Zeichen
der Degeneration des Putamens, dorsolateral be−
ginnend:
´ Volumenminderung,
´ T2−Hyper− und Hypointensität (Abb.11) [12],
´ Hyperintense Rim (Abb.12),
´ DWI: ADC−Zunahme (Abb.13) [13,14],
Neurodegenerative Erkrankungen des zentral−motorischen Systems in der MRT
Abb. 11 Multisystem−atrophie vom TypMSA−P in T2w transver−salen Aufnahmen durchdie Stammganglien.a ± b Die Aufnahmenzeigen relativ seiten−symmetrisch ein inho−mogenes, teils hyper−,teils hypointenses Sig−nal am lateralen Randdes Putamens beidseitsals Ausdruck degenera−tiver Veränderungen.
Tab. 2 Typische MRT−Befunde bei atypischen Parkinson−Syndromen
Atypisches Parkinson−Syndrom Typischer MRT−Befund
Multisystematrophie (MSA) ´ Putamen: T2−Hyper− und Hypointensität, Atrophie,Hyperintense Rim, ADC−Erhöhung, NAA−Reduktion
´ olivopontozerebelläre Atrophie´ Läsionen im mittleren Kleinhirnstiel´ Hot−Cross−Bun−Zeichen
Progressive supranukleäre Parese (PSP) ´ mesenzephale Atrophie´ Mickey−Mouse−Zeichen
Kortikobasale Degeneration (CBD) ´ asymmetrische frontoparietale Atrophie´ T2−Hyperintensität im angrenzenden Marklager
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´ Magnetresonanzspektroskopie: NAA−Reduktion
[15,16],
´ SPECT/PET: Verlust von Dopaminrezeptoren, Hy−
pometabolismus [17,18].
Die MSA−C zeigt entsprechend ihres deskriptiven
Namens OPCA eine Atrophie von Olive, Pons und
Kleinhirn (Abb.14). Eine hypertrophe, T2−hyperin−
tense Olivendegeneration, wie oben beschrieben
ist möglich.
Das Hot−Cross−Bun−Zeichen oder Semmelzeichen
(Abb.15) entsteht bei einer Degeneration transver−
saler Bahnen im Brückenfuß. Es ist nicht spezifisch
für die MSA, sondern findet sich z.B. auch bei PSP,
CBD und spinozerebellärer Ataxie Typ 3.
Ein weiteres Zeichen ohne bildhaften Eigennamen
(Abb.16) ist eine umschriebene fleckförmige Ab−
normität im mittleren Kleinhirnstiel mit T2−Hy−
perintensität und Zeichen einer Diffusionsstörung
in den diffusionsgewichteten Aufnahmen (DWI).
Kortikobasale Degeneration (CBD)
Epidemiologie. Das Alter der Patienten beträgt
50±80 Jahre. Eine familiäre Häufung oder geneti−
sche Faktoren sind nicht bekannt.
Klinik/Therapie. Ein wichtiges Merkmal der korti−
kobasalen Degeneration ist eine deutlich asymme−
trische Ausprägung der parkinsonartigen Sympto−
matik mit Hypokinese und Rigor. Myoklonien
treten ebenfalls auf. Typisch ist das ¹Alien−
Limb“−Syndrom einer Extremität, d.h. ein Fremd−
heitsgefühl für eine Extremität mit Apraxie und
unwillkürlichen Bewegungen. Bei ca. 40% der Pa−
tienten entwickelt sich eine mäßige Demenz als
Zeichen der kortikalen Beteiligung. Ein schlechtes
Ansprechen der Symptomatik auf L−Dopa ist ty−
pisch, eine kurative Therapie ist nicht bekannt.
Neurodegenerative Erkrankungen des zentral−motorischen Systems in der MRT
Abb. 13 Multisystema−trophie vom Typ MSA−Pim ADC−Bild. Gegenüberder Umgebung ist derADC−Wert im laterodor−salen Putamen als Zei−chen der Degenerationerhöht.
Abb. 12 Multisystematrophie vom Typ MSA−P in T2w transversalen (axialen) Aufnahmen. Hier ist nur ein schmaler hyperintenser Saum (Hyper−intense Rim) am lateralen Putamenrand erkennbar. Entsprechend dem Fortschreiten der Degeneration von dorsolateral nach ventral und medialliegen diese frühen Veränderungen dorsolateral.
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Neurodegenerative Erkrankungen des zentral−motorischen Systems in der MRT
Abb. 14 Olivopon−tozerebelläre Atrophie(OPCA) mit einer deut−lichen Volumenminde−rung des Kleinhirns, derKleinhirnstiele und desPons sowie einer T2−hyperintensen Degene−ration der Olive beid−seits (e und f). Der vierteVentrikel und die Klein−hirnfurchen sind kon−sekutiv aufgeweitet.a ± f Transversale(axiale) T2w Aufnah−men.
Fortsetzung siehefolgende Seite
Radiologie up2date 2 | 2005 | DOI 10.1055/s−2005−861187 153
Pathologie. Makroskopisch zeigt sich eine asym−
metrische frontoparietale Atrophie mit Neuronen−
verlust und Gliose in Kortex und Marklager der
Zentralregion, in den Basalganglien und eventuell
auch in der Substantia nigra. Die Ursache ist un−
klar.
MRT−Befunde. Entsprechend der Makropathologie
ist auch im Bild eine asymmetrische kortikale
Atrophie der Zentralregion nachweisbar (Abb.17)
[19]. Als Korrelat der Gliose kann eine T2−Hyperin−
tensität des angrenzenden frontoparietalen Mark−
lagers bestehen (Abb.18). Zusätzlich können ±
meist weniger deutlich ± eine Atrophie oder eine
Gliose von Teilen der Basalganglien nachweisbar
sein. Die Magnetresonanzspektroskopie kann fron−
tal eine NAA−Reduktion zeigen.
Progressive supranukleäre Parese (PSP)
Epidemiologie. Die PSP ist auch bekannt unter
dem Namen Steele−Richardson−Olszewski−Syn−
drom. Die Prävalenz beträgt 1±4 Erkrankte auf
100.000 Einwohner. Das Erkrankungsalter beträgt
im Mittel 60 Jahre. Die Prognose ist ungünstig, die
Lebenserwartung liegt bei 6±7 Jahren.
Neurodegenerative Erkrankungen des zentral−motorischen Systems in der MRT
Abb. 14 (Fortsetzung)g Koronare T1w Auf−nahmen.
Abb. 15 Hot−Cross−Bun−Zeichen oder Semmelzeichenim transversalen T2w Bild bei Multisystematrophie. ImBrückenfuß ist deutlich eine pathologische Kreuzfigurzu erkennen, die als Folge einer Degeneration vonKleinhirnbahnen entsteht.
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Klinik/Therapie. Typische Symptome sind:
´ symmetrisches Parkinson−Syndrom mit Akinese
und Rigor, jedoch meist ohne Tremor,
´ Pseudobulbärparalyse mit Schluckstörung,
Dysarthrie,
´ vertikale Blickparese (supranukleäre Ophthal−
moplegie),
´ Fallneigung nach hinten,
´ Demenz.
Therapeutisch helfen Parkinson−Medikamente, al−
lerdings mit der für die atypischen Parkinsonsyn−
drome bekannten eingeschränkten Wirksamkeit.
Pathologie. Makroskopisch auffällig ist eine Atro−
phie von Mesenzephalon und pontinem Tegmen−
tum mit Aufweitung des dritten Ventrikels und der
perimesenzephalen Zisternen. Eine zusätzliche
Atrophie von Frontal− und Temporallappen ist
möglich. Mikroskopisch besteht eine Degeneration
mit Neuronenverlust und Gliose in Tectum, Sub−
stantia nigra und pontinem Tegmentum.
MRT−Befunde. Entsprechend der Pathologie zeigt
sich eine Atrophie des Mesenzephalons, besonders
von Tegmentum und Tectum. Anhand einer Mes−
sung des anterior−posterioren Durchmessers des
Mittelhirns lassen sich Patienten mit PSP bereits
gut von Patienten mit Morbus Parkinson unter−
scheiden: Der mittlere Durchmesser beträgt [20]:
´ bei PSP 13,4 mm (11± 15 mm),
´ bei Morbus Parkinson 18,5 mm (17±19 mm) und
´ bei gesunden Kontrollpersonen ca. 18,2 mm
(17 ±20 mm).
Aufgrund der Form des Mittelhirns in transversaler
Schichtführung besteht der Begriff ¹Mickey−Mou−
se−Zeichen“ (Abb.19).
Weiter nachweisbar, aber weniger spezifisch, ist
eine Atrophie von pontinem Tegmentum, Palli−
dum, Motorkortex, sowie von Frontal− und Tempo−
rallappen. Hinzu kommen kann eine hypertrophe
Neurodegenerative Erkrankungen des zentral−motorischen Systems in der MRT
Abb. 16 Multisystematrophie. a ± c Ein weiteres Zei−chen der Multisystematrophie ist diese relativ symme−trische Signalabnormität im Kleinhirnstiel beidseits,die sich in T2w Bildern und in den FLAIR−Aufnahmenhyperintens darstellt, und außerdem eine Diffusions−störung in DWI−Sequenzen zeigt.
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Olivendegeneration mit T2−hyperintensem Signal
(wie oben beschrieben).
Zusammenfassung
Neurodegenerativen Erkrankungen des zentral−
motorischen Systems ist ein Untergang funktions−
fähiger Neurone mit Ersatz durch funktionell min−
derwertiges Gewebe gemeinsam. Die daraus meist
resultierende fokale oder regionale Atrophie und
Gliose führt zu relativ geringen, wenngleich funk−
tionell bedeutungsvollen Parenchymveränderun−
gen, die am verlässlichsten mit der MRT nachge−
wiesen werden können. Das MRT−Protokoll sollte
für den Nachweis auch geringer Signalverände−
rungen optimiert sein. Die Schichtführung und die
speziellen Sequenzen bis hin zur Magnetreso−
nanzspektroskopie sollten auf die klinische Frage−
stellung abgestimmt sein.
Die anterograde Waller−Degeneration der Pyrami−
denbahn und die hypertrophe Olivendegeneration
lassen häufig eine ursächliche Läsion erkennen.
Für die ALS mit Signalabnormität im Verlauf der
Pyramidenbahn und für die Chorea Huntington mit
Atrophie des Nucleus caudatus sind im Bild keine
Auslöser nachweisbar. Der Morbus Fahr ist zu er−
kennen an kräftigen Verkalkungen, unter anderem
in den Basalganglien und im Nucleus dentatus.
Einen wichtigen Beitrag zur Differenzialdiagnostik
leistet die MRT bei der Abklärung atypischer Par−
kinsonsyndrome. Die Multisystematrophie mit ih−
ren drei Formen MSA−P, MSA−C und MSA−A geht
mit Zeichen einer striatonigralen oder olivoponto−
zerebellären Degeneration einher. Die PSP zeigt bei
mesenzephaler Atrophie das ¹Mickey−Mouse−Zei−
chen“. Charakteristisch für die CBD ist eine asym−
metrische frontoparietale Atrophie mit angren−
zenden Marklagerveränderungen.
Neurodegenerative Erkrankungen des zentral−motorischen Systems in der MRT
Abb. 17 Typisches Zei−chen einer kortikobasa−len Degeneration (CBD)ist eine asymmetrischeAtrophie frontoparieta−ler Gyri. a ± b Dies zeigtsich deutlich in trans−versalen (a) oder koro−naren (b) Bildern, dieeinen Seitenvergleichzulassen. c SagittaleFLAIR−Aufnahme, die imVergleich zu den weiterventral oder dorsal ge−legenen Gyri und Sulcieine Atrophie der Zen−tralregion nachweist.
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Neurodegenerative Erkrankungen des zentral−motorischen Systems in der MRT
Abb. 19 Progressive supranukleäre Parese (PSP) inT2w transversalen Schichtaufnahmen durch die Hirn−schenkel. Die Atrophie von Tectum und Tegmentumführt zu einem messbar reduzierten Durchmesserund zum sog. ¹Mickey−Mouse−Zeichen“.
Abb. 18 Zusätzlich zur Atrophie zeigt dieser Fall einer kortikobasalen Degenera−tion (CDB) eine subkortikale und kortikale Gliose der Zentralregion. a Die Gliose istals Hyperintensität in der saggitalen FLAIR−Aufnahme zu erkennen. b ± c T2− undPD−gewichtetes transversales Bild.
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Abkürzungen
ADC Apparent Diffusion Coefficient
Cho Cholin
Cr Creatin
NAA N−Acetylaspartat
SCA Spinozerebelläre Ataxie
Lebenslauf
Karsten Alfke
Jahrgang 1967. Dr. med. Studium der Humanmedi−
zin an der Christian−Albrechts−Universität Kiel.
1995 Promotion. 1995±1996 AiP in der Radiologi−
schen Abteilung des Städtischen Krankenhauses
Kiel und in der I. Medizinischen Abteilung des All−
gemeinen Krankenhauses St. Georg, Hamburg.
1996±1997 Wehrdienst als Arzt. 1997±1999 Ab−
teilung Neurologie des Kreiskrankenhauses Lü−
denscheid. Seit 1999 Tätigkeit im Universitätskli−
nikum Schleswig−Holstein, Campus Kiel, zunächst
in der Klinik für Radiologische Diagnostik, seit
2000 in der Sektion Neuroradiologie. Seit 2002
Facharzt für Radiologische Diagnostik, seit 2003
Anerkennung im Schwerpunkt Neuroradiologie.
Seit 2004 Oberarzt in der Sektion Neuroradiologie
des UKSH−Campus Kiel. Forschungsschwerpunkte:
Bildgebung neurodegenerative Erkrankungen, se−
lektive Techniken der Hirnperfusionsmessung im
MRT.
Neurodegenerative Erkrankungen des zentral−motorischen Systems in der MRT
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Neurodegenerative Erkrankungen des zentral−motorischen Systems in der MRT
Korrespondenzadresse
Dr. Karsten Alfke
Sektion Neuroradiologie, Klinik für NeurochirurgieUniversitätsklinikum Schleswig−Holstein, Campus KielSchittenhelmstraße 1024105 Kiel
Tel. 0431 597−4925, −4806Fax: 0431 597−4913E−mail: [email protected]−kiel.de
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