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Notiz iiber das wahrscheinliche Atomgewicht des Tellurs und iiber Atomgewichtsrechnungen iiberhaupt.

Von

KARL SEURERT.

Unter obigem Titel brachte diese Zeitschrift unlaiigst eine Mit- teilung des Herrn PALL KOTHNER, in welcher er die Ansicht vcr- tritt, dds der wahrscheinlichste Wert fur das Atomgewicht des T e l l ~ i r ~ zur Zeit niiher an 127.7 (0 = l G ) , bezw. 126.7 (H = 1) liegt, als an 127.6 und 126.6, wie icli in Ubereinstimmung mit der inter- nationnlen Atomgewiclitstabelle fur 1903 v u r kurzem in einem kleinen Aufsatze angegeben hatte.2 An und fur sich wiire daruber wenig mehr zu sagen, als dak hier Meinung gegen Meinung stebt, dals die erste Dezimale schon unsicher ist und dafs man uber cine Ab- rundung auf 127.6 odcr eine Aufrundung auf 127.7 wie ubcr alles Zweifelhafte streiten kann. Herr K~THKER kniipft in seinen Aus- fiihrungen jedoch an nieine oben erwahnte kleiiie Mitteilung mehr- fach in einer Weise an, die Milsverstiindiiisse bei dem ferner- stehenden Leser nicht ausschliefst, und zieht Folgerungcii allgenieinerer Art, die mir sachlich nicht begrundet erscheinen, so dak eine Klar- stellung wohl berechtigt ist.

Zuniichst ist zu bemerken, dafs mein kleiner Aufsatz als eigent- liches Therna ,,die Stellung des Tellurs im natiirlichen System der Elemente" behandelte und es somit in erster Linie darauf ankam, dem Leser zu zeigen, dafs die weitaus uberwiegende Zahl der Be- stimmungen dieses Atomgewichtes Werte ergaben, die so vie1 iiber dem des Jodes liegen, daB eine Umstellung der beideri Elemente gemafs der Forderung des periodischen Systems zur Zeit nicht ZU-

Hand 34 (1903), 403. Z. anotg. Cheni. 38 (1903), 246.

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lassig erscheint. Es war fur diesen Zweck vollig ausreichend, die betreBenden Werte mit einer zum Teil schon recht unsicheren De- zimale aufzufuhren und auf die Mitteilung einer zweiten zu ver- zichten. Diese Zahlen bezeichnet nun Herr K~THNER als ,,ent- schieden zum Teil schon durch zu weit gehende Kurzung entstellt" und stellt ihnen die ,,genauen" oder ,,richtigen" Werte gegenuber, wobei es sich wohl empfohlen hatte, zu bemerken, dab sich diese Bezeichnungen nur mit der Einschrankung verstehen, dak die betr. Werte nach se inem Dafu rha l t en genau und richtig sind.

Ich gebe nachstehend die KoTHNERSChe Zusammenstellung wieder, vermehrt um die dem ERDMANNschen Lehrbuch entnommenen Werte der letzten Spalte:

~- -

~~ -~

BERZELIUS

v. HAUER WILLS

BRAUHER STAUDEHMAIER

METZHER CHIXASHIQ~

STEINER PELLINI

K ~ T H N E R GUTBIER

SCOTT

19

Mittel aus allen Be-

stimmungen Mittel seit BRAUNER

(exkl. STEINER)

SEUBERTS Tabelle 0 = 16 __ ___ .. ~-

128.8 128.3 127.8 127.7 127.7 127.5 127.9 127.6 126.4 127.6 127.6 127.5 127.7

127.70

127.64

Richtige Zahleu O = 16

128.8 128.3 127.8 127.7 127.683 127.62 127.96 127.59 126.46 127.64 127.64 127.51 127.683

127.722

127.665

SEUBERTS Zahlen

H = l

127.84 127.34 126.84 126.74 126.74 1'26.54 126.94 126.64 125.45 126.64 126.64 126.54 126.74

~

126.741

126.678

Geuaue Werte H = l

127.84 127.34 126.84 126.74 126.72s 126.66 127.00 126.63 125.51 126.68 126.68 126.55 126.725

126.763

126.706

EBDYANNS Werte H = I

127.9 127.3 126.9 126.8 126.5 126.3 126.9 126.6 125.4 126.7 126.7 126.6 -

[ 12C.731

Wie ein Hick auf diese Zahlenreihen zeigt, sind die Unter- schiede zwischen meinen Zahlen und denen R~THNEBS und ERDMANNS fast ausnahmslos recht geringfugig ; in den wenigen (durch fetten Druck hervorgehobenen) Fallen, in denen sie etwas erheblicher sind,

3. Auflage, S. 722.

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weichen die Werte des Herrn Kollegen ERDMANN, dessen Kompetenz Herr KOTHNER vielleicht anerkennt, durchweg weiter von den KOTHNER- schen ab als die meinigen. Welches sind nun da die ,,genauen" und ,,richtigen" Werte? Sinkt nicht angesichts solcher Tatsachen die Auffuhrung zweiter oder gar dritter Dezimalen im Endergebnis zur Zahlenspielerei herab ?

Wenn ich angegeben habe, dafs ,,als wahrscheinlichster Wert das Mittel aus den neueren zuverlassigsten Bestimmungen, Te = 127.6 oder, bezogen auf H = 1, Te = 126.6" erscheint, so habe ich mich wohl auf Kosten der Deutlichkeit zu knapp gefafst. Ich hatte im einzelnen angeben mussen, welche Bestimmungen und mit welchem Bewichte sie bei der Wahl des wahrscheinlichsten Wertes beriick- sichtigt worden sind. Dann ware Herrn KOTHNER der Irrtum erspart geblieben, als ob ich fur die Werte von WILLS und von STEINER die Gleichberechtigung mit denen von SCOTT oder mit BRAUNEES Tellurbromidreihe verlangte. Ein naheres Eingehen hierauf war aber weder dort geboten, noch ist es hier notwendig; hervorgehoben mufs nur werden, dafs die Ermittelung des wahrscheinlichsten Wertes eines Atomgewichtes aus einer Reihe von Bestimmungen bekannt- lich nicht einfach im Ziehen des arithmetischen Mittels aus den vorliegenden Zahlen, unter Erteilung ,,gleichen Stimmrechts" an alle besteht; die rechnerische Begabung zur Losung dieser Aufgabe wird mir Herr KOTHNER doch wohl noch zutrauen. Es handelt sich viel- mehr hierbei um kritische Erwagungen, die sich in starre Normen nicht einzwiingen lassen, und die beim redlichsten Streben nach Sach- lichkeit doch immer noch subjektive Fiirbung behalten. So kommt es, dak selbst bei unseren besser bestimmten Atomgewichten sich nicht selten erheblichere Differenzen in den Zahlen der Tabellen von verschiedenen Autoren finden, wie z. B. die yon CLARKE' ge- gebene Zusammenstellung seiner eigenen Tabelle mit der von RICHARDS und jener der Atomgewichtskommission der Deutschen Chemischen Gesellschaft fur 1901 zeigt, Das ist auch der Grund, dal's wir zur Erzielung einheitlicher Atomgewichtswerte fur Wissenschaft und Praxis auf gegenseitige Verstandigung durch Vermittelung von Kom- missionen angewiesen sind; rage die Sache so klar und rechnerisch

Ninth Annual Report on Atomic Weights. Determinations Published in 1901 (nicht 1902, wie dort angegeben; lies auch Te 126.7 statt 126.1). Jown. Am. Chem. SOC. 24 (1902), 213-215.

- 208 - bestimmt, wie dies Herr KOTHNER anzunehmen scheint, so ware dieser Umweg entbehrlich.

Nach Auffassung KOTHNERS ist meine Zahl 126.6 fur Tellur ,,leider auch in die auf die Wasserstoffeinheit begriindete Atom- gewichtstabelle ubergegangen". Dies Bedauern ist auch insofern nicht angebracht, als nicht meine Zahl in jene Tabelle, soudern die Werte der Tabelle in meine Ausfuhrungen iibergegangen sind, da ich keinen hinreichenden Grund zur Abanderung jener Werte sah. Noch in die Tabelle vou 1901 hatte die Atomgewichtskommission der Deutschen Chemischen Gesellschaft Te = 127 (0 = 16) und 126 (H = 1) aufgenommen, welche Werte, nach den KOTHNEsschen Normen beurteilt, freilich stark ,,unrichtig" waren; als dann wahrend der Drucklegung der Tabelle fur 1902 die Arbeiten von KOTHNER, sowie von PELLINI erschienen, anderte die Kommission den friiheren Wert 127 in 127.6 ab , unter ausdriicklicher Bezugnahme auf die beiden Arbeiten , deren Bedeutung somit gewurdigt wurde ) wenn auch die zweite Dezimale als zu unsicher keine Aufnahme fand. Diese Zuriickhaltung erwies sich bald darauf als zweckmalsig , als GUTBIER 127.5 und spiiter SCOTT (nach einer vorliufigen Mitteilung) 127.7 fand. Der Wert 127.6, sowie der ihm am niichsten kominende 126.6 (fur die Tabelle H = 1) wurde dann in den Bericht der engeren internationalen Kommission aufgenommen ; die zweite Dezimale wurde auch im letzteren Fnlle vermieden, um nicht dem betr. Werte den Anschein einer grijfseren Zuverlassigkeit zu geben, als ihm nacli dem Urteil der Kommission zukommt. Das ist der ,,methodische Fehler", der nach Ansicht des Herrn KOTHNER ,,bier vorliegt und als lehrreich fur Atomgewichtsrechnungen uberhaupt naher entwickelt zu werden verdient", was hiermit geschehen sein soll. Derartige ,,FehleriL wird Herr KOTHNER bei einer Revision der Atomgewichts- werte unserer Tabelle noch mehr iinden; er wird aber auch, wenn er sich erst mit Atomgewichtsbestimmungen literarisch und experi- mentell soviel beschaftigt haben wird, wie ich, in seinem Vertrauen auf die Zuverlassigkeit zweiter oder gar dritter Dezimalstellen viel- fach wankend werden und zur Erkenntnis kommen, dals es sich dabei oft nur um eine Pseudo-Genauigkeit handeln kann, und dak man Gefahr Iauft (um mit BERZELIUS zu reden), ,,Mucken abzuseihen und Kamele zu verschlucken<'.

Von Interesse ist die Entdeckung der Arbeit von KUNO HEBER- LEIN durch Herrn KOTHNER, und es wire sehr dankenswert, wenn er sich die Muhe nehmen wurde, die Atomgewichtsbestimmung mit

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dem anscheinend j a reinen HEBERLEINtlChen Material zu wieder- holen; die Bestatigung der niederen HEBEaLEIwschen Zahl 127.0, bezw. 126.0 wiirde natiirlich die Entscheidung fur einen bestimmten Wert von Te wieder wesentlich erschweren. Jedenfalls darf man von der Untersuchung bei dem Geschick des Experimentators einc weitere Forderung der vielumstrittenen Frage nach dem wahren Atomgewicht des Tellurs erwarten.

Hannover, Laboratwiiirn f. anorg. Chemie der Kgl. Tech. Hochschub.

Bei der Redaktion eiugegsngen am 20. April 1903.

Z. nnorg. Cham. Bd. 36. 14


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