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MEDIZINELEKTRONIK // KOMMUNIKATION

ELEKTRONIKPRAXIS Nr. 14 21.7.2016

Björn Andersen... forscht am Institut für MedizinischeInformatik der Universität zu Lübeck.

Offene Standardsim vernetzten Operationssaal

Die vernetzte Welt macht auch vor dem OP-Saal nicht halt, denn bietetdoch eine vernetzte Infrastruktur Vorteile für die Anwender. Das Projekt

OR.NET zeigt, wo der Weg hingehen kann.

MARTIN KASPARICK UND BJÖRN ANDERSEN*

* Martin Kasparick... forscht am Institut für AngewandteMikroelektronik und Datentechnik derUniversität Rostock.

Dank des medizinischen und techni-schen Fortschritts sind immer kom-pliziertere operative Eingriffe mög-

lich. Dahinter stehen Medizingeräte undmedizinische Systeme, die über eine entspre-chendeLeistung verfügenmüssen.Damit derArzt während eines Eingriffs die komplexenSysteme beherrschen und steuern kann,

müssen die Daten zwischen den einzelnenGeräten ausgetauscht werden. Doch hierliegt ein Problem: Der Informationsaus-tausch zwischen den Geräten, und das vorallemherstellerübergreifend, ist fast unmög-lich. Lediglich große Hersteller bieten soge-nannte integrierte OP-Säle an, um dieMedi-zingeräte untereinander zu vernetzen. EinweitererNachteil ist, dass dieVernetzungderGeräte nur proprietär auf Hard- und Soft-wareebene erfolgt. Damit Geräte in ein sol-ches System integriert werden können, sindhohe Investitionen notwendig.Zudem führt die mangelnde Vernetzung

zu einem erheblichenMehraufwand für dasPersonal in einer Klinik. So müssen etwaPatientenstammdaten auf diversen Geräteneingegebenwerden.Das ist nicht nur zeitauf-wendig, sondern auch anfällig gegenüber

Fehlern. Für die Mitarbeiter der Klinik ist eswünschenswert, wenn die Identifikation ei-nes Patienten bereits vor Beginn der OP er-folgt und alle relevanten Daten direkt ausdem Klinikinformationssystem (KIS) auto-matisch auf dieGeräte geladenwerden.Dazuist es notwendig, die IT des KrankenhausesunddieGeräte imOPmiteinander zu vernet-zen.Auch während einer Operation führt die

fehlendeVernetzungderOP-Systeme zuPro-blemen. Beispielsweisewerdenmedizinischrelevante Messdaten nur von dem Gerät an-gezeigt, das sie aufgenommen hat. Hier be-steht das Problem, dass dieMessdatennichtallen Akteuren zur Verfügung gestellt wer-den, die sie auch benötigen. Hinzu kommt,dass die Anwender eines Gerätes aus Grün-den der Sterilität oder eingeschränkter Be-

Offene Standards im OP: Der OR.NET-Demonstrator am ICCAS in Leipzig zeigt, welche Möglichkeiten ein vernetzter OP für die Anwender bietet.

Bild:ICCAS

UniversitätLeipzg

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wegungsfreiheit oftmals nicht in der Lagesind, entsprechende Parameter selbststän-dig einzustellen. Dann muss weiteres OP-Personal hinzugerufen werden, welche dieParameter einstellen. Das ist nicht nur zeit-aufwendig, sondern auch fehleranfällig.Eineweitere bekannte Fehlerquelle ist die

Flut von oftmals irrelevanten Alarmen, wel-che die verschiedenen Geräte im OP produ-zieren. Das führt zum Phänomen der soge-nanntenAlarmmüdigkeit. EswerdenAlarm-meldungen ignoriert oder deaktiviert, sodass wirklich relevante Alarme zu spät odergar nicht erkannt werden. Das stellt ein er-hebliches Gefährdungspotenzial für die Pa-tienten dar. Medizinische Geräte sollten da-her in der Lage sein, die Relevanz ihrerAlarmmeldungen im Vorfeld zu validieren.Allerdings ist das nur möglich, wenn Mess-daten und Parameter anderer Geräte im OPsowie weitere Informationen, wie Laborbe-funde und Voruntersuchungen, herangezo-gen werden können. Ohne eine Vernetzungist dies nicht möglich.Ebensowünschenswertwäre einPlug-and-

play-Verhalten medizinischer Geräte. DabeiwerdendieGeräte beispielsweise dynamischim Laufe der OP in das medizinische Gerä-teensemble eingegliedert. Das ist erforder-lich,wennderOP-Workflowaußerplanmäßigverläuft und entsprechend reagiert werdenmuss. So könnte ein Gerät im Fall eines De-fekts zügig durch ein Ersatzgerät ausge-tauscht werden, wobei dieses auch von ei-nem anderen Hersteller kommen kann.Nach demEnde derOperation beginnt für

die beteiligten Anwender der zeitraubendeProzess der Dokumentation. Mit erfasstenGerätedatenund entsprechendenAssistenz-funktionen kann hier viel Zeit eingespartwerden, waswiederumden Patienten zugu-tekommt. Bereits andiesenwenigenBeispie-len ist abzulesen, welches Potential in einerherstellerübergreifendenMedizingerätever-netzung steckt, um die Sicherheit der Pati-enten zu erhöhen sowie das OP-Personal zuentlasten.

Offene Standards helfen beider VernetzungEine herstellerunabhängige Vernetzung

von Medizingeräten, sowohl untereinanderals auch zu den klinischen IT-Systemen,kann nur auf der Basis offener Standardserfolgen. Daher werden aktuell die im ZugedesBMBF-LeuchtturmprojektesOR.NET ent-wickeltenLösungenvomVDEkoordiniert imDKEAK 1000.8.3 sowie der IEEE 11073Point-of-Care Devices Working Group standardi-siert. Die daraus resultierenden Ergebnissewerden unverändert und zügig in das Euro-

päische sowie das Deutsche Normenwerkübernommen.Um die beschriebenen Probleme in aktu-

ellenOP-Sälen zu lösen,muss eine interope-rable Vernetzung marktfähig werden. Inter-operabilität bedeutet, dass die patientennah-en Medizingeräte in der Lage sind, sich ge-genseitig zu verstehen. Die untereinanderausgetauschten Daten und Befehle müssenkorrekt und damit sicher interpretiert wer-den.Die grundlegende Interoperabilität für den

Datenaustausch auf Transportebene wirddurch das „Medical Devices Profile for WebServices“ (MDPWS) hergestellt. MDPWS be-ruht auf dem Standard „Devices Profile forWeb Services“ (DPWS), der das Paradigmader Service-orientierten Architektur (SOA)speziell für eingebettete Systeme umsetzt.Um die Anforderungen an die Kommunika-tion zwischen Medizingeräten zu erfüllen,wurden bestimmte Erweiterungen vorge-nommen.Dazugehört dieMöglichkeit,Mess-daten über zwei Kanäle zu übertragen. Alserster von drei Teilstandards wird das MD-PWS unter der Bezeichnung IEEE P11073-20702 veröffentlicht werden.

Von der Gerätebeschreibungund dem GerätezustandDie strukturelle Interoperabilitätwird vom

zweiten Standard beschrieben, der dennichtnormativen Titel „Basic Integrated Cli-nical Environment Protocol Specification“(BICEPS) trägt. Dieser Standardvorschlag(IEEE P11073-10207) definiert ein Domänen-Informations- undService-Modell (DIM), umvernetzte medizinische Geräte maschinen-lesbar zubeschreiben.Das geschieht in zweiTeilen: der Gerätebeschreibung und demGerätezustand. Die Gerätebeschreibung er-folgt in einer Baumstruktur, sodass komple-xe Geräte nach Teilfunktionalitäten geglie-dert werden können und logische und phy-siologischeGruppierungenvonMesswerten,Parametern oder Einstellungen vorgenom-men werden können. Diese atomaren Be-standteile der Gerätebeschreibung werdenals Metrik bezeichnet.Weitere Aspekte der Gerätebeschreibung

sind unterschiedliche Alarme, die über ihreBedingungunddas erzeugte Signal beschrie-ben werden, und Kontexte. Mit den Kontex-ten lässt sich beispielsweise beschreiben,welchem Patient ein Gerät zugeordnet ist,welcher Eingriff durchgeführt wird oder anwelchemOrt sichdasGerät befindet. Außer-dem beschreibt ein Gerät, welche Möglich-keiten der Fernsteuerung bestehen. So kön-nen etwa bestimmte Parameter oder Funkti-onen derart deklariert werden, dass sie von

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Praxistauglich und für die Evaluation ausgelegtIm Zuge des OR.NET-Projekts wurdenmehrere Demonstratoren mit der Kom-plexität heutiger OP-Säle aufgebaut. Dieeindrucksvollsten sind an der RWTH Aa-chen und am Innovation Center Compu-ter Assisted Surgery (ICCAS) der Univer-sität Leipzig in Betrieb. Die entwickeltenKonzepte zeigen, wie sich Medizingerätedynamisch vernetzen lassen. Darin ein-geschlossen ist die IT des Krankenhau-ses. Damit hat das Projekt seine Mach-barkeit und Praxistauglichkeit unter

Beweis gestellt. Mit den vorgestelltenDemonstratoren können Anwender undTechniker das Konzept OR.NET auchweiter entwickeln. Es dient zudem dertechnischen und klinischen Evaluati-on. So wird der Demonstrator am ICCASüber das Projektende von OR.NET hinausbestehen und kann nach vorheriger Ab-sprache von interessierten Fachleutenwie Anwendern, Leistungserbringern,Kostenträgern, Herstellern und Wissen-schaftlern besichtigt werden.

anderen Geräten verändert bzw. ausgelöstwerden können.Im Gerätezustand werden die aktuellen

Messwerte, Einstellungen der Parameteroder Präsenz von Alarmen beschrieben. Je-des Element der Gerätebeschreibung wirddurch einen Typ semantisch beschrieben.Eine solcher Typ, der aus einem Term Codesowie einer Referenz auf das Coding-Systembesteht, stellt sicher, dass ein Gerät in derLage ist, die Gerätebeschreibung auch einesanderen Herstellers korrekt zu interpretie-ren.MetrikenwerdennachdemselbenPrinzip

durch weitere Parameter beschrieben, umdie semantische Interoperabilität sicherzu-stellen. Beispielsweise ist die (Maß-)Einheitein wichtiger Bestandteil: So kann die Pati-entensicherheit nur gewährleistet werden,wennklar ist, obdie Flussrate einesMedika-

ments inMilliliter proMinute oder pro Stun-de angegeben ist. Das Service-Modell defi-niert die Möglichkeiten der Interaktion zwi-schen den Medizingeräten. So existierenServices die es einemKlienten ermöglichen,sowohl dieGerätebeschreibungals auchdenGerätezustandauszulesen. Ebenso kanneinGerät Event-Benachrichtigungen bereitstel-len. Klienten, die diese abonniert haben,werden dann je nach Verfügbarkeit und An-wendungsfall periodisch oder bei Änderun-genüber denGerätezustand informiert. Auchfür die Fernsteuerung können Services an-gebotenwerden,welchedie in derGerätebe-schreibung definierten Einstell- und Auslö-seoperationen zugänglich machen.Der dritte vorgeschlageneStandardmit der

Bezeichnung IEEE P11073-20701 beschreibtdas Zusammenspiel der beiden vorher ge-nannten. Die SOA wird darin zur „Service-

Oriented Medical Device Architecture“(SOMDA) spezialisiert. Dabeiwird aufweite-reAspektewie ZeitsynchronisationundQua-lity of Service (QoS) des genutztenNetzwerkseingegangen. Alle drei Standardvorschlägewerden unter der Bezeichnung IEEE 11073„SystemandDevice Connectivity“ (SDC) zu-sammengefasst. Das Bild illustriert die dreiStandardvorschläge und bettet diese sche-matisch in einMedizingerät ein. Das so defi-nierte Kommunikationsprotokoll wird imOR.NET-Projekt als „Open Surgical Commu-nicationProtocol“ (OSCP) bezeichnet, eignetsich aber auch für patientennahe Medizin-geräte außerhalb des OPs.

Interessant für kleine undmittelständische UnternehmenDie Integration von Medizingeräten wird

sichmit standardisierten Schnittstellen ver-einfachen, da keine Implementierungenvonverschiedenen proprietären Protokollenmehr vorgenommen werden müssen. DasKonzept ist vor allem für kleine und mittel-ständische Unternehmen (KMU) geschäfts-modellfördernd.DennKMUsprägendasBildder deutschen Medizintechnik-Branche.Standardisiert-vernetzte OP-Geräte eröffnetvor allem diesen Unternehmen den Zugangzum Markt integrierter OPs. Ergänzend istein standardisiertes Konformitätsbewer-tungsverfahren, dasKosten reduziert und einTreiber für neue Innovationen ist,was direktden Patienten zugutekommt.Aktuelle monolithischen Systeme integ-

rierter OPs sind auf einige wenige Herstellerbeschränkt. Hat sich ein Klinikbetreiber fürein System entschieden, ist er für eine langeZeit gebunden. Eine standardisierte Vernet-zung dagegen ermöglicht die herstellerun-abhängige Vernetzung. Somit können dieGeräte gekauft werden, die für den gegebe-nen Anwendungsfall das beste Preis-Leis-tungs-Verhältnis aufweisen. Diese Ressour-ceneinsparungen können zur Verbesserungder Behandlungsqualität genutzt werden.Die imOR.NET-Projekt (www.ornet.org) ent-wickelten Konzepte erlauben ein Plug-and-play von Medizingeräten. Geräte könnenzwischen mehreren integrierten OP-Sälenbewegt werden, ohne das die sie aufwendigkonfiguriert werden müssten. Doppelte An-schaffungen sowie zusätzliche Service- undWartungsaufwände sind vermeidbar, weildie Vernetzung auf Standardnetzwerktech-niken basiert. Zusätzliche Spezialhardwaremussweder angeschafft nochbetriebenwer-den.AuchdrahtloseNetzwerke für bestimm-te Anwendungsfälle sind möglich. // HEH

Universitäten Rostock und zu Lübeck

Vernetzte Geräte in der Medizin: Schematische Darstellung der eingereichten Standards zur Interoperabili-tät von Medizingeräten in OP-Saal und Klinik.

Bild:A

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