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Page 1: Plädoyer für OER | Hochschuldidaktiktag (Universität Siegen)

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Everybody’sopenPlädoyerfürOERaus(medien-)pädagogischerSicht

SandraHofhues,UniversitätzuKöln

Woanfangen,woaufhören?...wennmanzueinemPlädoyerfürOpenEducationalResources(kurz:OER)eingeladenist?Diese Frage hatmich seit einiger Zeit beschäftigt, macht es doch einen beträchtlichen Unter-schied,auswelchemBlickwinkelichdasThemabetrachte.IchkannunterscheidennachPerso-nen,z.B.nachForschendenundLehrenden,dieentwederüberOERforschenodermitOERleh-ren.Genausogut könnte ichmich aufdiebildungspolitischeDimensiondesThemasbeziehen.DenndieDebatteumOERistschonälter,vielälter,eskommtabererstjüngstzurumfassende-renBeschäftigungmitOERinDeutschland.HierdürftenentsprechendeFördermitteldesBundesaufgeweckthaben.1Natürlichkönnteichauchdarüberphilosophieren,wiesichformaleBildungverändernwürde,wärenOpenAccess,OpenEducationundebenOER„normal“.Undnichtzu-letzt ließesichdieStudierendenperspektiveeinnehmen, fürdiedieRecherchevonMaterialienim Internet–ganzgleich,ob frei lizenziertodernicht–ohnehinAlltag ist.EineAbfrageunterStudierendenhatdiesgesternpraktischnochmalsgezeigt.Haltenwiralsofest:EinPlädoyergegenkommtnichtinFrage;dasThemascheintaktuellzure-levantzusein;auchistoffenbardieZeitgekommen,sichmitobigenThemenintensiverzubefas-sen (siehe auchdieseTagunghier2). Stattdessen geht es darum, die vielfältigenDebatten undDiskurse für Universität undHochschule fruchtbar zumachen. Die anderen Beitragenden desheutigenTageswirkendaranmaßgeblichmit.KernderOER-DebatteundeinBildAnstelleeines,jatypischendisziplinärenEinstiegshabeichmichdaherfüreinBildentschieden,dasIhnenundmirhelfenkönnte,deneigentlichenKernderOER-Debattezugreifen.EshandeltsichdabeiumeinBild,das ichmitStudierenden immerwiederstrapaziere,wennwir inLehr-veranstaltungen,etwainmeinemSeminar„GestaltungundProduktiondigitalenLernmaterials“imvergangenenSommersemester,überOERzudiskutieren.UndzwarthematisiereichdortmitdenStudierenden–nachdemetwa2-3TermineimSeminarvergangensind–dieoffeneTüredesSeminarraums.Neudeutschkönntemanvon(m)einerO-pen Door-Policy sprechen. Denn physische Türen zu meinen Lehrveranstaltungen sind typi-scherweiseoffen.Siesindoffendadurch,dassStudierendejederzeitdenRaumverlassenkönnen,diesaber inderRegelnicht tun.Auchsindsieoffendadurch,dassGäste jederzeit insSeminarkommenkönnen.Wahrscheinlich sollte ichbesser sagen:könnten,denngängigePraxis istdasnicht.OffeneTüreninPräsenz-LehrveranstaltungenSiefragensichzuRecht,warumdasBildderoffenenTürineinerPräsenz-LehrveranstaltungfürdasVerständnisdessen,wasdieOER-Debattem.E.ausmacht,hilfreichseinkönnte...WeildieDebatteumOERfürmichaneineranderenStellebeginnt,alsbeimtatsächlichenUnter-richtsmaterial,dasanvielenOrtengespeichert,eingesetzt,geändert,miteinandervermischtundselbstorganisiertverteiltwird.3

1https://www.bmbf.de/foerderungen/bekanntmachung-1132.html(14.10.16)2PlädoyerimRahmendesHochschuldidaktik-TagsderUniversitätSiegenam13.10.2016,siehehttp://www.uni-siegen.de/uni/hochschuldidaktik/hdtag2016.html?lang=de(14.10.2016)3entlehntbeihttp://www.opencontent.org/definition/(14.10.2016)

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FürmichbeginntdieDiskussionumOERfrüher,gewissermaßenbeideroffenenTüre:AuchhierhandeltessichumeinedidaktischeEntscheidung,warumichmiteineroffenen(an-stelleeinergeschlossenen)Türearbeite.HiersollendieStudierendendurchdieoffeneTürezuBeginnjederLehrveranstaltunginpositiverWeiseirritiertwerdenundsichanöffentlicheZuhö-rerschaftengewöhnen.MeinesErachtens fälltes ihnendann imVerlaufmeinerLehrveranstal-tung leichter, die seminarbezogenenMedienangebotewieden Seminarblog4oderTwitter (z.B.#digilern16)öffentlichzunutzenunddieseoderandereAngebotemitzugestalten.Übertragen auf die OER-Debatte heißt das: Ich fragemich als Lehrende (oder Forschendegleichermaßen)nichtnur,obdasinderLehrveranstaltunggenutzteodergestalteteMaterialof-fenzurVerfügungsteht.Ichfragemichvielmehr,warumdieoffeneZugänglichkeitfürLernendeoderpotenzielle Lernendewichtig sein könnte.DieGründe fürOERunddamit gegen anderesUnterrichtsmaterialsinddamitnormativerNatur.Materialiensollenfreiverfügbarsein.MirgehtesdemnachumsPrinzip (Sichtbarkeit,Transparenz, ...), insbesondereaberumeineEinladungzurMitgestaltungvonLehreundLernendurchOER.WieichdieseEinladungaussprechenmöchte,bleibtmirüberlassen.Ichüberlegemiralso,wel-cheFähigkeiten inderRezeptionund inderProduktionvonMedienvonnötenseinkönnten–auchodergeradeheute.Everything’sopen–Everybody’sopen?AuchwenndasBildderoffenenTürenichtüberstrapaziertwerdensollte,verdeutlichtesdocheins:ImKontextderOER-DebattesolltenwirunsmehrdennjedieFragestellen,waseigentlichOffenheitheißt,wereigentlichoffenistundwiemanOffenheitinderLehrpraxisgestaltet.AlsMediendidaktikerin/-pädagoginkannichIhnensagen,dassmanaufdasWasunddasWieinForschungundLehreseitlangerZeitAntwortenkennt.HierverhältessichmitOERnichtandersals mit traditionellen Lehr-Lernmedien. Dafür gelten bestimmte Kriterien oder Bedingungen,denenzufolgedasUnterrichtsmaterialentwedergutoderschlecht,hoch-oderminderwertig,al-tersangemessenoderkomplexist.DieaktuellheftigdiskutiertenrechtlichenRahmenbedingun-genfürOERwürdensichindieseKriterieneinreihen.Eswürdez.B.selbstverständlich,sichbeiderMaterialproduktion gleich umLizenzen, bspw. Creative-Commons-Lizenzen5, oder umdasCopy Left (anstelle vonCopyRight)Gedanken zumachen.DieDurchdringung vonOERbleibtaberschwierig,weilnichtjede/reinInteressedaranhat,Lernmaterialienoder,abstraktgespro-chen,seinWissenzuteilen.DieseArgumentationkommtIhnenwahrscheinlichbekanntvor,versuchtmanbereitsseitdenWissensmanagement-Projektender1990er-/2000erJahreoderfrüherdasspezifischeProblemderWissenskommunikationundWissensteilungzulösen.InderHochphasedesWissensmana-gements sind bspw. sehr viele Plattformen entstanden, die wie gelbe Seiten funktionierten.Überhauptglaubteman,dassdiebloßeBereitstellungvonWissenhilfreichsei,umeszuspei-chern, zu teilenoderweiterzuentwickeln.Nicht seltenwar indiesemZusammenhangvonderlernendenOrganisationdieRede.UmfassendgelöstwurdendieHerausforderungenderWissensteilungtrotzMedieneinsatznicht,weilsichdieHaltungenzurWissensteilungüberdieJahrenichtgrundlegendveränderten.DabeiverliertWissenundInformationalsRessourcenichtperseanWert,nurweilesüberdasInter-netverfügbarist–ganzimGegensatzzuanderenRessourcen.6AberWissenwirdnachwievoralsMachtverstanden.UnddamitkommenwirzurückzurFrage,wereigentlichoffenist. 4http://blog.hf.uni-koeln.de/oer/(14.10.2016)5http://creativecommons.org/(14.10.2016)6„ImUnterschiedzuAcker-oderWeidelandverlierenInformationendurchintensivereNutzungnichtanWert.“https://de.wikipedia.org/wiki/Wissensallmende(14.10.2016)

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Ichhaltedaherfest:DieeigentlicheHerausforderungimUmgangmitOERliegtineineroffenenHaltungzuOER.VeränderungsprozesseinGangsetzenDenken Sie noch einmal an die offene Türe zurück: Könnten Sie sich vorstellen, in IhrernächstenLehrveranstaltungdieTüreoffenzulassen?Wennja,könntenSiesichauchvorstellen,sichdigitalüberdieSchulterschauenzulassen?WürdenSiedengeschütztenRaumIhrerLehr-veranstaltung verlassen? Würden Sie Unsicherheiten, Vagheit und unvorhergesehene Kritikdurchandereaushalten?Meines Erachtens geht es auch bei OER um einen Paradigmenwechsel hin zu Lehr-Lernkonzepten, die sich öffnen. Den vielfach geforderten „Shift from Teaching to Learning“möchteichhiernichtnochmalsstrapazieren.Ichdenkenämlich,dassSielängstverständenha-ben,worumesmir geht.Mir geht esdarum, Ihnenvor allemdieTragweitedesEinsatzesvonOERundevtl.vonDigitalisierungsprozessenaufzuzeigen.DurchihrenEinsatzstoßenSieVerän-derungsprozesseinIhrerLehre,möglicherweiseaberauchinderUniversitätzumakademischenLehrenundLernenim21.Jahrhundertan.DasZur-Verfügung-StellenvonOER stellt dahernurdenersten Schrittdar.Er zeichnet gewis-sermaßeneineneinfachenDigitalisierungsprozessnach.Darüberhinausgiltesz.B.inderLehrenachMöglichkeitenzusuchen,OERzusammenmitdenStudierendenzugestaltenoderzuver-ändern, jazuremixen.Dennvondenmeistenunbemerkthabe ichvorhineineReihungvorge-nommen,dieimOpen-Diskursalsdas5-R-PrinzipdesOpen-Contentbekanntist.AuchwennesdarinvorallemumdasRechtgeht,1. Inhaltezuspeichern(Retain),2. wiederzuverwerten(Reuse),3. zuverändern(Revise),4. miteinanderzuvermischen(Remix)und5. schließlichwiederzuverteilen–selbst,aufunterschiedlichstenPlattformen(Redistribute),wirddieTragweitederDebatteanhandderMerkmalebesondersdeutlich.BeiOERgehtesnäm-lichzentralumMitgestaltungvonLehreundLernensowieumgeteiltesWissen(sieheoben).Offenheitvermitteln?WennOERaufMitgestaltungzielt,stelltsichabschließenddieFragedanach,wiemanOERzumAnlassnehmenkönnte,Lehreanderszugestalten.UmaufdieseFrageAntwortenzufinden,habeichIhnenzweiBeispielemitgebracht,dieichimZusammenhangmitderOER-DebatteineinemBlogbeitragderWikimedia(Hofhues,2015)skizzierthabe.DasersteBeispielverbindetdieOER-DebattemitdemforschendenLernen:BeimforschendenLernengehtesdarum,Studierende inForschungsaktivitätenzu involvieren.Gabi Reinmann (2015)macht zahlreiche Spielarten zwischenRezeption forschungsbezogenenWissens oder eigenerWissensproduktion aus.Würden jetzt bspw. Ihre Forschungstexte oderdieIhrerKolleginnenundKollegenalsOERimSeminarzumEinsatzkommen,könntenStudie-rendehiermit in folgenderArtundWeisearbeitenbzw. forschen.Studierendekönntenbegin-nen,dieseForschungstextezuhinterfragen,eigeneFragendaranzusammelnoderArtefaktemitIhnen weiterzuentwickeln. Zumindest drei der 5R-Prinzipien (1. Retain, 3. Reuse, 3. Revise)würdenaufdieseWeiseproblemlosumgesetzt.ErstdieweitereVerarbeitungundVeröffentli-chungwirdIhnenwiemirschwerfallen.DenninderWissenschafthabenKopien–Mashups–bislangkeinenWert(Gehlen,2011).

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DafürkönntedieBeschäftigungmitOEReinendirektenNutzenfürSieundStudierendenerzeu-gen,wenninteressanteneueForschungsfragenerzeugtwerden,FehlerindenForschungsarbei-tenaufgedecktwerdenodersichStudierendeschlichtzuCo-Forschendenentwickeln.ZweitensließesichdieOER-DebattemitdermedienpraktischenArbeitanUniversitätenverbin-den.Studierendewürden dann selbst digitales Bildungsmaterial erstellen und gewissermaßen „amMaterial“ ihreMedien- und Informationskompetenzen entwickeln. OERwürde dann „von derUnifürdieUni“oderfürihrenEinsatzinanderenBildungseinrichtungen(z.B.Schulen)produ-ziert.Nachnutzungsstrategiensindinklusive.Dennesnichtnurwünschenswert,sonderngera-dezu erwünscht, das OER alsMaterial auch zu erproben, gemeinsamweiterzuentwickeln undbeständigaufdafürgedachtenPlattformenimInternetzuveröffentlichen.VonOERzuoffenenBildungspraktikenKerstinMayrbergerundich(2013)sprechen,würdemandieLehr-Lernszenarienwieobenum-setzen, nichtmehr vonOER, sondern von offenen Bildungspraktiken, diedurch die Beschäfti-gungmit OER entstehen. Sie adressierenAspektewieWissensteilung und -kommunikation inder Lehre. Mehr noch: Sie stoßen kooperatives und kollaboratives Lernen in einer formalenLehrveranstaltunggeradezuan.AllerdingsmüsstenauchwirnocheinenSchrittweitergehen,umderDebattegerechtzuwer-den:Umsog.OEPhandeltes sichnur,wennmandieseauchöffentlich insNetzstelltoderge-meinsamimNetz(weiter-)entwickelt.HiergibtessozusagenPotenzial,daswiranderUniversi-tätzuKölnindenkommendenzweiJahrenz.B.mitOERlabsausschöpfenwollen.IneinerArtof-fenemLaborsetting können Studierende, insbesondere Lehramtsstudierende, darin ihreMedi-en- und Informationskompetenzenweiterentwickeln. Dabeiwerden sie von Kolleg*innen undmir,d.h.Lehrenden,sowieStudierenden,d.h.Peers,angeleitet.Wasbleibt?Vorunsliegtein,sohoffeich,interessanterTag,dergenaudiesebisherwenigge-nutztenPotenzialeder„neuen“Offenheiteruierenwird.IchselbstbleibegernevorOrt,ummitIhnennachdiesenPotenzialenzusuchen,helfeaberauchbeisomancherEinordnung,dieIhnenwahrscheinlichimKontextvonOERwichtigseinwird.HerzlichenDankfürIhreAufmerksamkeit.LiteraturGehlen,D.(2011).Mashup–LobderKopie.Frankfurt:Suhrkamp.Hofhues,S. (2015).OffeneBildungsressourcen (OER)anUniversitätenundHochschulen:Plädoyer füreinedidakti-

scheSicht.WikimediaBlog.Blogbeitragvom27. Juli2015.http://blog.wikimedia.de/2015/07/27/freies-wissen-und-wissenschaft-teil-02-offene-bildungsressourcen-oer-an-universitaeten-und-hochschulen-plaedoyer-fuer-eine-didaktische-sicht/(14.10.2016).

Mayrberger,K.&Hofhues,S.(2013).AkademischeLehrebrauchtmehr„OpenEducationalPractices“fürdenUmgangmit„OpenEducationalResources“–einPlädoyer.ZeitschriftfürHochschulentwicklung,8(4),56–68.

Reinmann,G.(2015).Forschungs-undBerufsorientierunginderLehreaushochschuldidaktischerSicht.InP.Tremp(Hrsg.),ForschungsorientierungundBerufsbezugimStudium(BlickpunktHochschuldidaktik)(S.41-61).Bielefeld:W.Bertelsmann.


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