Repetitorium Besonderes Verwaltungsrecht
Vereins- und Versammlungsrecht
Sommersemester 2014
Institut fĂŒr Staats- und Verwaltungsrechtao.Univ.-Prof. Mag. Dr. Christian M. PISKA
âą Vereinsrecht Vereinsbegriff GrĂŒndung und Beendigung eines Vereins Behörden und ZustĂ€ndigkeiten
âą Versammlungsrecht Versammlungsbegriff Anzeige und Untersagung der Versammlung DurchfĂŒhrung und Auflösung Behörden und ZustĂ€ndigkeiten
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ĂbersichtStruktur dieses Vortrags
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âą Bundesgesetz ĂŒber Vereine (Vereinsgesetz 2002 â VerG)
BGBl I 2002/66 idF BGBl I 2013/161
âą Vereinsgesetz-DurchfĂŒhrungsverordnung (VerGV)BGBl II 2005/60 idF BGBl II 2008/218
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VereinsrechtRechtsgrundlagen
3
âą VereinsG 2002
ersetzte bisheriges VereinsG 1951
Ăffentlich-rechtlicher Teil: Legaldefinition Verein, GrĂŒndung, Eckpunkte der Organisation, AufsichtsmaĂnahmen durch Vereinsbehörden, Untersagung und Auflösung von Vereinen
Privatrechtliche Vorschriften: regeln zivilrechtliche RechtsverhĂ€ltnisse des Vereins nach innen (VerhĂ€ltnis Verein â Mitglieder bzw. Mitglieder untereinander) und im Rechtsverkehr nach auĂen (sog. Vereinsprivatrecht) â Kontrolle durch ordentliche Gerichte 4
VereinsrechtKurzcharakteristik
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âą âöffentliches VereinsRâ â Art 10 (1) Z 7 B-VG
Kompetenztatbestand âVereins- und Versammlungsrechtâ
Bildung und Organisation von Vereinen + AufsichtsmaĂnahmen
âą âVereinsprivatRâ â Art 10 (1) Z 6 B-VG
Kompetenztatbestand âZivilrechtswesenâ
Regelung der privaten RechtsverhĂ€ltnisse des Vereins nach innen und nach auĂen
â beides in Gesetzgebung und Vollziehung Bundessache5
VereinsrechtKompetenzgrundlagen
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âą Art 12 StGG
Ăsterr StaatsbĂŒrger haben Recht sich zu versammeln und Vereine zu bilden
âą Beschluss der Prov. Nationalversammlung (StGBl 1918/3), Z 3
âVereins- und Versammlungsfreiheit ohne Unterschied des Geschlechtsâ
âą Art 11 (1) EMRK
alle Menschen haben Recht sich friedlich zu versammeln und sich mit anderen zusammenzuschlieĂen.
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VereinsrechtGrundrechtliche BezĂŒge
6
âą Art 12 StGG: AusĂŒbung wird durch besondere Gesetze geregelt â (Rsp VfGH) AusĂŒbungsvorbehalt â Grundrecht nur nach MaĂgabe der einfachgesetzlichen Ausgestaltung (im VereinsG) durch Gesetzgeber gewĂ€hrt
âą Unterschiedliche Bewertung bei Verletzung des VereinsG
stRsp VfGH: jede Verletzung des VereinsG als Verletzung des Grundrechts nach Art 12 StGG (FeinprĂŒfungsgrundrecht)
Art 11 (2) EMRK: Eingriffe nur nach MaĂgabe des materiellen Eingriffsvorbehalts (öff. Interesse + verhĂ€ltnismĂ€Ăig) zulĂ€ssig Art 53 EMRK: GĂŒnstigkeitsprinzip â Anforderungen auch fĂŒr VereinsG
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VereinsrechtGrundrechtliche BezĂŒge II
7
âą VfGH und Lehre: âVereinâ iSd Art 12 StGG:
âjede freiwillige, fĂŒr die Dauer bestimmte organisierte Verbindung mehrerer Personen zur Erreichung eines bestimmten gemeinschaftlichen Zweckes durch fortgesetzte gemeinschaftliche TĂ€tigkeitâ â nun auch Legaldefinition in § 1 VereinsG 2002
âą GrundrechtstrĂ€ger: physische und jur Personen â auch Verein selbst kann sich auf Vereinsfreiheit berufen!
âą Art 12 StGG: nur âIdealvereineâ â nicht auf Gewinn ausgelegt
âą Art 11 EMRK: weiterer Vereinsbegriff â auch wirtschaftliche Ziele8
VereinsrechtGrundrechtliche BezĂŒge III
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âą Art 9 StV Wien: EinschrĂ€nkung verpflichtet Ăsterreich zur Auflösung der NSDAP/aller Organisationen faschistischen Charakters; Verbot der BetĂ€tigung solcher Organisationenâą Art 4 Z 2 StV Wien verbietet jede Organisation die politische/wirtschaftliche Vereinigung mit Deutschland anstrebt VfGH: Art 9 und 4 StV Wien nicht unmittelbar anwendbar, aber als Auslegungsmaximen zu beachten â zB bei Untersagung von Vereinen als staatsgefĂ€hrlich und gesetzwidrig â in nRsp: schon wegen VerstoĂ gegen § 3 VerbotsG 1947 Untersagung von Verein gebotenâą Art 7 Z 5 StV Wien: Schutz fĂŒr kroatische oder slowenische Bevölkerung â Verbot von Vereinen, die deren Rechte als Minderheit nehmen wollen
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VereinsrechtVölkerrechtliche BezĂŒge
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âą Grundrechte als allgemeine GrundsĂ€tze Art 6 (3) EUV (idF des Vertrages von Lissabon): Grundrechte aus EMRK, sowie Grundrechte, die sich aus gemeinsamen VerfassungsĂŒberlieferungen der Mitgliedstaaten ergeben â als âallgemeine GrundsĂ€tzeâ Teil des Unionsrechtsâ Vereinigungs- und Koalitionsfreiheit von EuGH als Grundrecht anerkanntBeschrĂ€nkungen der Vereinsfreiheit (betreffend Vereinen, die wirtschaftlich tĂ€tig sind + grenzĂŒberschreitender Sachverhalt) durch Grundfreiheiten 10
VereinsrechtEuroparechtliche BezĂŒge
10
âą neu: Art 12 Grundrechtecharta â seit Lissabon rechtsverbindlich Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit
(1)Jede Person hat das Recht, sich insbesondere im politischen, gewerkschaftlichen und zivilgesellschaftlichen Bereich auf allen Ebenen frei und friedlich mit anderen zu versammeln und frei mit anderen zusammenzuschlieĂen, was das Recht jeder Person umfasst, zum Schutz ihrer Interessen Gewerkschaften zu grĂŒnden und Gewerkschaften beizutreten.(2)Politische Parteien auf der Ebene der Union tragen dazu bei, den politischen Willen der UnionsbĂŒrgerinnen und UnionsbĂŒrger zum Ausdruck zu bringen.
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VereinsrechtEuroparechtliche BezĂŒge II
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âą Art 12 GrundrechtechartanRsp VfGH dazu: setzt Grundrechte aus GRC den verfassungsgesetzlich gewĂ€hrleisteten Grundrechten gleich â im Verfahren gem Art 144 und Art 144a B-VG geltend machen GRC nun in ihrem Anwendungsbereich auch PrĂŒfungsmaĂstab der generellen Normenkontrolle (insb Art 139 und Art 140 B-VG)Stets aber Einzelfallbezogene Entscheidung, welche Rechte der GRC PrĂŒfungsmaĂstab sind (siehe dazu: Kucsko-Stadlmayer und Eisenberger, JAP 2013/2014/4)
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VereinsrechtEuroparechtliche BezĂŒge III
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âą Legaldefinition in § 1 VereinsGâEin Verein im Sinne dieses Bundesgesetzes ist ein freiwilliger, auf Dauer angelegter, auf Grund von Statuten organisierter Zusammenschluss mindestens zweier Personen zur Verfolgung eines bestimmten, gemeinsamen, ideellen Zwecks. Der Verein genieĂt Rechtspersönlichkeit (§ 2 Abs. 1)â
Letzter Satz: Rechtspersönlichkeit als jur Person des PrivatR
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VereinsrechtVereinsgesetz: Begriffsmerkmale
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⹠Freiwilligkeitfreiwilliger Beitritt oder Austritt möglich
âą auf Dauer angelegtUnterscheidung zu Versammlungen
âą aufgrund von Statuten organisierter Zusammenschluss Abschluss eines zivilrechtlichen Vertrages erforderlichâą Zusammenschluss mindestens zweier Personen
auch durch jur Personen (zB andere Vereine)âą Verfolgung eines bestimmten, gemeinsamen ideellen Zwecks
darf ânicht auf Gewinn berechnetâ sein, nur Idealvereine, ideelle Zweck darf nicht gesetzwidrig sein
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VereinsrechtVereinsgesetz: Begriffsmerkmale II
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âą ad Verfolgung von wirtschaftlichen Vorteilen
ânicht auf Gewinn berechnetâ, wenn Mitgliedschaft beim Verein als Nebeneffekt Mitgliedern wirtschaftliche Vorteile bringt Gewinn fĂŒr ideellen Zweck verwendet wird und wirtschaftliche TĂ€tigkeit Vereinszweck untergeordnet
Soweit Verein aber gewerbliche TĂ€tigkeit verfolgt: GewO unterworfen!
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VereinsrechtVereinsgesetz: Begriffsmerkmale III
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⹠§ 1 (3) VerGâDieses Bundesgesetz gilt nicht fĂŒr solche ZusammenschlĂŒsse, die nach anderen gesetzlichen Vorschriften in anderer Rechtsform gebildet werden mĂŒssen oder auf Grund freier Rechtsformwahl nach anderen gesetzlichen Vorschriften gebildet werden.â
zB auf Gewinn berechneten Vereine: VersicherunsaufsichtsG fĂŒr Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit, BankwesenG, SparkassenG nach ParteienG gegrĂŒndeten politischen Parteien
16
VereinsrechtVereinsgesetz: Ausnahmen zum Vereinsbegriff
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âą Hauptverein â ZweigvereinZweigverein ist Hauptverein untergeordnet und trĂ€gt Ziele des ĂŒbergeordneten Vereins mit; zwei selbstĂ€ndige jur Personen; unterscheide vom Zweigverein rechtlich unselbstĂ€ndige Teileinheiten eines Vereins
âą VerbandidR ein Verein in dem sich Vereine zur Verfolgung
gemeinsamer Interessen zusammenschlieĂenDachverband: Zusammenschluss von VerbĂ€nden
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VereinsrechtVereinsgesetz: Sonderformen
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1. Schritt
2. Schritt Rechtspersönlichkeit
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VereinsrechtVereinsgesetz: GrĂŒndung
Errichtung
Entstehung
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âą Vereinbarung von Statuten GrĂŒndungsvereinbarung (§ 2 (1) VerG) = zivilrechtlicher, mehrseitiger (multilateraler) Vertrag zwischen GrĂŒndern ĂŒber Vereinsorganisation
Abschluss der Vereinbarung fĂŒhrt zur Errichtung des Vereins
Mindestinhalte der Statuten: Vereinsname, Vereinssitz, Vereinszweck, TĂ€tigkeit und Aufbringung der finanziellen Mittel, Regelungen ĂŒber Mitgliedschaft, Rechte und Pflichten der Mitglieder, Organe und ihre Aufgaben, Bestellung der Organe, Erfordernisse ĂŒber gĂŒltige Beschlussfassung, Bestimmungen ĂŒber freiwillige Auflösung etc.
19
VereinsrechtVereinsgesetz: Errichtung
19
âą Anzeige der Vereinserrichtung Errichtung ist Vereinsbehörde von GrĂŒndern oder bereits bestellten organ. Vertretern unter Angabe verschiedener Daten, der fĂŒr Zustellung maĂgeblichen Anschrift und der Statuten anzuzeigen.
âą Vereinsbehörde hat Möglichkeit Errichtung auf GesetzmĂ€Ăigkeit zu prĂŒfen; mögliche Reaktionen: untersagt GrĂŒndung lĂ€sst Frist ungenĂŒtzt verstreichen schon vor Ablauf der Frist: ausdrĂŒckliche Zustimmung (âEinladung zur Aufnahme der VereinstĂ€tigkeitâ) 20
VereinsrechtVereinsgesetz: Entstehung
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âą Untersagung der VereinsgrĂŒndung (§ 12 VerG), wenn Zweck (zB Verbreitung von NS-Gedankengut) Name (zB Verwechslungsgefahr) Organisation (zB Vereinsaustritt nur erschwert möglich)gesetzwidrig wĂ€re + Eingriff in Vereinigungsfreiheit (Art 11 (2) EMRK) gerechtfertigt.
Untersagungsbescheid binnen 4 Wochen (FristverlÀngerung auf 6 Wochen gem § 12 (3) VerG).
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VereinsrechtVereinsgesetz: Entstehung II
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⹠Einladung zur Aufnahme der VereinstÀtigkeit
ergeht kein Untersagungsbescheid binnen 4 Wochen-Frist: Schweigen gilt als Einladung zur Aufnahme der VereinstĂ€tigkeit Oder vor Fristablauf ausdrĂŒckliche Einladung mit Bescheid
§ 2 (1) letzter Satz VerG: âEr entsteht als Rechtsperson mit Ablauf der Frist gemÀà § 13 Abs. 1 oder mit frĂŒherer Erlassung eines Bescheids gemÀà § 13 Abs. 2.â 22
VereinsrechtVereinsgesetz: Entstehung III
Verein entsteht als Rechtsperson
22
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VereinsrechtVereinsgesetz: Beendigung
Achtung!
Auflösung muss zusĂ€tzlich zur Förderung eines der aufgezĂ€hlten GrĂŒnde zur Förderung eines in Art 11 (2) EMRK genannten öffentlichen Interesses notwendig (dh verhĂ€ltnismĂ€Ăig) sein.
23
âą Beendigung des Vereins
Rechtspersönlichkeit endet erst mit Eintragung seiner Auflösung in Vereinsregister (wirkt konstitutiv!)
PublizitĂ€tsakt â dient Rechtssicherheit
wenn âAbwicklungâ des Vereinsvermögens notwendig: Rechtspersönlichkeit endet erst mit Eintragung der Beendigung der Abwicklung
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VereinsrechtVereinsgesetz: Beendigung II
24
⹠§ 31 VerG â Strafbestimmungen soweit nicht von Strafgerichten zu verfolgen ist (subsidĂ€r) VerwaltungsĂŒbertretung von Bezirksverwaltungsbehörde (bzw. in Gemeinde in der LPD zugleich Sicherheitsbehörde â1. Instanzâ ist eben diese) mit Geldstrafe bis zu EUR 218.- (im Wiederholungsfall bis zu EUR 726.-) zu bestrafenzB Z 1: wer âdie Errichtung eines Vereins vor Aufnahme einer ĂŒber die Vereinbarung von Statuten und die allfĂ€llige Bestellung der ersten organschaftlichen Vertreter hinausgehenden VereinstĂ€tigkeit nicht gemÀà § 11 Abs. 1 anzeigtâ
25
VereinsrechtVereinsgesetz: VerwaltungsĂŒbertretungen
25
⹠Vereinsbehörden§ 2 (1) + (2) SPG: Vereins- und Versammlungsangelegenheiten als Teil der Sicherheitsverwaltung; von Sicherheitsbehörden vollzogen.
Vereinsbehörden sind die Sicherheitsbehörden
Bezirksverwaltungsbehörden bzw. LPD (im Gebiet einer Gemeinde, fĂŒr das die Landespolizeidirektion zugleich Sicherheitsbehörde âerster Instanzâ ist )
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VereinsrechtVereinsgesetz: Behörden und ZustÀndigkeiten
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âą ZustĂ€ndigkeiten: neu Verwaltungsgerichtsbarkeitsnovelle 2012§ 9 (2) VerG: âĂber Beschwerden gegen Bescheide nach diesem Bundesgesetz entscheidet das Landesverwaltungsgericht.â
Ărtliche ZustĂ€ndigkeit: richtet sich nach Sitz des Vereins (§ 9 (3) VerG).
âą Verfahren vor Sicherheitsbehörden nach AVG, VStG, VVG Abweichungen vom AVG: insb von allgemeiner Entscheidungsfrist ĂŒber AntrĂ€ge von Parteien (6 Monate) â fĂŒr Untersagungsbescheid: 4 bzw. 6 Wochen âą auch Rechtsschutzvorschriften fĂŒr Sicherheitsverwaltung aus SPG anzuwenden
VereinsrechtVereinsgesetz: Behörden und ZustÀndigkeiten II
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âą Besonderheit: Vereinsversammlungen
Versammlung, die auf Vereinsmitglieder beschrĂ€nkt (âgeladene GĂ€steâ iSd § 2 (1) VersammlungsG)
â mĂŒssen bei Versammlungsbehörde nicht angezeigt werden (§ 10 VerG: ânicht anzeigepflichtigeâ oder âfreieâ Versammlungen)
wenn aber allgemein zugÀngliche öffentliche Versammlung von Verein veranstaltet: anzeigepflichtig iSd § 2 VersammlungsG.
VereinsrechtVereinsgesetz: Behörden und ZustÀndigkeiten III
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Vereinsrecht
Vereinsbegriff GrĂŒndung und Beendigung eines Vereins Behörden und ZustĂ€ndigkeiten
Versammlungsrecht Versammlungsbegriff Anzeige und Untersagung der Versammlung DurchfĂŒhrung und Auflösung Behörden und ZustĂ€ndigkeiten
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ĂbersichtStruktur dieses Vortrags
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âąVersammlungsgesetz 1953 (VersG)BGBl 1953/98 idF BGBl I 2013/161
VersammlungsrechtRechtsgrundlage
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âą Versammlungsrecht regelt AusĂŒbung des Grundrechts Versammlungsfreiheit (Art 12 StGG, Art 11 EMRK) â dieses garantiert kollektive Meinungskundgabe
âąVersammlungsgesetz regelt Ausgleich zwischen Versammlungsfreiheit und entgegenstehenden berechtigten privaten und öffentlichen Interessen Versammlungsbehörden: Ăberwachungsfunktion
Anzeige an BehördeUntersagung und Auflösung durch Behörde
VersammlungsrechtKurzcharakteristik
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âą Versammlungsrecht â Art 10 (1) Z 7 B-VG
Kompetenztatbestand âVereins- und Versammlungsrechtâ
Bildung und DurchfĂŒhrung von Versammlungen, AufsichtsmaĂnahmen
â in Gesetzgebung und Vollziehung Bundessacheâą Abgrenzung: Versammlung, die keine im verfassungsrechtlichen Sinn ist â oftmals Gegenstand des Veranstaltungswesens (Generalklausel Art 15 (1) B-VG - Landessache in Gesetzgebung und Vollziehung)
zB Angelegenheiten des âTheater- und Kinowesensâ (Art 15 (3) B-VG)
auf dieser Grundlage: Veranstaltungsgesetze der LĂ€nder
VersammlungsrechtKompetenzgrundlagen
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âą Art 12 StGG
Ăsterr StaatsbĂŒrger haben Recht sich zu versammeln und Vereine zu bilden
âą Beschluss der Prov. Nationalversammlung (StGBl 1918/3), Z 3
âVereins- und Versammlungsfreiheit ohne Unterschied des Geschlechtsâ
âą Art 11 (1) EMRK
alle Menschen haben Recht sich friedlich zu versammeln und sich mit anderen zusammenzuschlieĂen.
33
VersammlungsrechtGrundrechtliche BezĂŒge
33
âą Art 12 StGG: keine Legaldefinition in Art 12 StGG, durch VfGH entwickelt und fĂŒr VersG maĂgeblich (âengerâ Versammlungsbegriff, weil enger als jener der EMRK) AusĂŒbungsvorbehalt: Grundrecht nach MaĂgabe der einfachgesetzlichen Ausgestaltung im VersG gewĂ€hrt
âą Art 11 EMRK: alle Menschen haben Recht sich friedlich zu versammlen, weiter als jener des Art 12 StGG (auch erfasst: organisierte, einmalige Vereinigung mehrerer Menschen zu einem gemeinsamen Ziel an bestimmtem Ort, zB Festakt) materieller AusĂŒbungsvorbehalt â Art 11 EMRK geht Art 12 StGG als gĂŒnstigere Bestimmung vor (Art 53 EMRK)
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VersammlungsrechtGrundrechtliche BezĂŒge II
34
âą Recht auf Versammlungsfreiheit nach Art 12 StGG gewĂ€hrleistet Freiheit sich zu versammeln und versammelt zu bleiben. auch Bestrafung wegen Ăbertretung des VersG kann Eingriff sein
Aus Art 12 StGG und Z 3 des Beschlusses der Prov. Nationalversammlung â Rsp: Verbot des Konzessionssystem Versammlung darf nicht von vorhergehender Bewilligung abhĂ€ngig sein Anzeigepflicht und Untersagung aber zulĂ€ssig Untersagung und Auflösung nur unter Voraussetzungen des VersG und mat. Gesetzesvorbehalt in Art 11 (2) EMRK
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VersammlungsrechtGrundrechtliche BezĂŒge III
35
âą Recht auf Versammlungsfreiheit nach Art 12 StGG gewĂ€hrleistet Freiheit sich zu versammeln und versammelt zu bleiben. auch Bestrafung wegen Ăbertretung des VersG kann Eingriff sein
Aus Art 12 StGG und Z 3 des Beschlusses der Prov. Nationalversammlung â Rsp: Verbot des Konzessionssystem Versammlung darf nicht von vorhergehender Bewilligung abhĂ€ngig sein Anzeigepflicht und Untersagung aber zulĂ€ssig Untersagung und Auflösung nur unter Voraussetzungen des VersG und mat. Gesetzesvorbehalt in Art 11 (2) EMRK
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Versammlungsrecht Grundrechtliche BezĂŒge III
36
âą Art 9 StV Wien: EinschrĂ€nkung verpflichtet Ăsterreich zur Auflösung der NSDAP/aller Organisationen faschistischen Charakters; Verbot der BetĂ€tigung solcher Organisationenâą Art 4 Z 2 StV Wien verbietet jede Organisation die politische/wirtschaftliche Vereinigung mit Deutschland anstrebt
VfGH: Art 9 und 4 StV Wien nicht unmittelbar anwendbar, aber als Auslegungsmaximen zu beachten â zB bei Untersagung von Versammlungen als staatsgefĂ€hrlich und gesetzwidrig â in nRsp: schon wegen VerstoĂ gegen § 3 VerbotsG 1947 Untersagung von Versammlung geboten
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VersammlungsrechtVölkerrechtliche BezĂŒge
37
siehe schon Folie zu Vereinsrecht
âą Grundrechte als allgemeine GrundsĂ€tze Art 6 (3) EUV (idF des Vertrages von Lissabon): Grundrechte aus EMRK, sowie Grundrechte, die sich aus gemeinsamen VerfassungsĂŒberlieferungen der Mitgliedstaaten ergeben â als âallgemeine GrundsĂ€tzeâ Teil des UnionsrechtsIn der Praxis: SpannungsverhĂ€ltnis Versammlungsfreiheit â Grundfreiheit des Warenverkehrs zB Demonstration auf HauptverkehrsstraĂen mit Blockadecharakter (âBrenner-Blockadeâ)â eventuell unionsrechtliche Pflicht der Mitgliedstaaten gegen Versammlungen einzuschreiten; aber: Schranken der Grundfreiheiten in Grundrechten â gegen einander abwĂ€gen !
VersammlungsrechtEuroparechtliche BezĂŒge
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siehe schon Folie zu Vereinsrecht
âą neu: Art 12 Grundrechtecharta Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit
(1)Jede Person hat das Recht, sich insbesondere im politischen, gewerkschaftlichen und zivilgesellschaftlichen Bereich auf allen Ebenen frei und friedlich mit anderen zu versammeln und frei mit anderen zusammenzuschlieĂen, was das Recht jeder Person umfasst, zum Schutz ihrer Interessen Gewerkschaften zu grĂŒnden und Gewerkschaften beizutreten.(2)Politische Parteien auf der Ebene der Union tragen dazu bei, den politischen Willen der UnionsbĂŒrgerinnen und UnionsbĂŒrger zum Ausdruck zu bringen.
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VersammlungsrechtEuroparechtliche BezĂŒge II
39
siehe schon Folie zu Vereinsrecht
âą keine Legaldefinition in VersG, aber Definition durch VfGH âZusammenkunft mehrerer Menschen [...], wenn sie in der Absicht veranstaltet wird, die Anwesenden zu einem gemeinsamen Wirken (Debatte, Diskussion, Manifestation usw.) zu bringen, sodass eine gewisse Assoziation der Zusammenkommenden entsteht. Eine Versammlung ist â maW ausgedrĂŒckt â das Zusammenkommen von Menschen (auch auf StraĂen) zum gemeinsamen Zweck der Erörterung von Meinungen oder der Kundgabe von Meinungen an andere; keine Versammlung ist das bloĂ zufĂ€llige Zusammentreffen von Menschenâ (zB VfSlg 11.866)â verfassungsrechtliche Versammlungsbegriff aus Rsp zu Art 12 StGG (auch fĂŒr VersG relevant) 40
VersammlungsrechtVersammlungsgesetz: Begriff der Versammlung
40
âą Versammlungsbegriff: Beurteilung nach Zweck und Elemente der Ă€uĂeren Erscheinungsform (ModalitĂ€ten, Dauer,
Anzahl der Teilnehmer etc)
relevant ist erkennbares geplantes Geschehen (nicht: ob als âVersammlungâ von Veranstaltern angezeigt)
= enger restriktiver Versammlungsbegriff
Kasuistische Rsp des VfGH: zB muss organisierte Zusammenkunft sein, aber auch âSpontanversammlungenâ können erfasst sein
41
VersammlungsrechtVersammlungsgesetz: Begriff der Versammlung II
41
âą Versammlungsbegriff der EMRK in Art 11 âjede organisierte einmalige Vereinigung mehrerer Menschen zu
einem gemeinsamen Ziel an einem bestimmten Ortâ= weiter Versammlungsbegriff
zB auch öffentlicher Festakt als Versammlung iSd Art 11 EMRK, nicht aber als Versammlung iSd Art 12 StGG (VfSlg 12.501)
42
VersammlungsrechtVersammlungsgesetz: Begriff der Versammlung III
42
âą âabsolutâ freie Versammlungen aus Anwendungsbereich des VersG ausgenommen
âą nicht anzeigepflichtige (âfreieâ) Versammlungen mĂŒssen nicht angezeigt werden, andere Vorschriften des VersG aber anwendbar
⹠anzeigepflichtige öffentliche Versammlungen voll von VersG erfasst
43
VersammlungsrechtVersammlungsgesetz: Einteilung der Versammlungen
43
âą âabsolutâ freie Versammlungen â aus Anwendungsbereich des VersG ausgenommen Wahlversammlungen bestimmter Art (§ 4 VersG):
Versammlungen der WĂ€hler zu Wahlbesprechungen, zu Besprechungen mit den gewĂ€hlten Abgeordneten, wenn zur Zeit der ausgeschriebenen Wahlen und nicht unter freiem Himmel öffentliche Belustigungen, HochzeitszĂŒge, volksgebrĂ€uchliche Feste, LeichenbegrĂ€bnisse, Prozessionen, etc
(§ 5 VersG, keine taxative AufzÀhlung)
44
VersammlungsrechtVersammlungsgesetz: Einteilung der Versammlungen II
44
âą nicht anzeigepflichtige (âfreieâ) Versammlungen â mĂŒssen nicht angezeigt werden, andere Vorschriften des VersG aber anwendbar
Versammlungen, die nicht allgemein zugÀnglich und auf geladene GÀste beschrÀnkt sind Mitgliederversammlungen von Vereinen (§ 10 VerG)
âGeschlossene Gesellschaftâ: auf geladene GĂ€ste beschrĂ€nkt â Teilnehmer mĂŒssen persönlich und individuell von Veranstalter geladen werden, Zutritt nicht allgemein möglich (zB Kontrolle durch TeilnehmerInnenliste) 45
VersammlungsrechtVersammlungsgesetz: Einteilung der Versammlungen III
45
âą anzeigepflichtige öffentliche Versammlungen â spĂ€testens 24 Stunden vor Versammlung bei
Versammlungsbehörde anzuzeigen
allgemein zugÀngliche öffentliche (Volks-)Versammlungen (§ 2 VersG)
Irrelevant, ob an öffentlichem (zB StraĂe) oder privaten Ort (zB Wohnung, Wirtshaus), ob in Bewegung âals Aufzugâ oder âstatischâ
46
VersammlungsrechtVersammlungsgesetz: Einteilung der Versammlungen IV
46
⹠Versammlungsanzeige spÀtestens 24 Stunden vor beabsichtigter Abhaltung unter Angabe von Zweck, Ort und Zeit an Versammlungsbehörde durch Veranstalter schriftlich
fĂŒr Einhaltung der Frist ist rechtzeitiges Einlangen bei Behörde relevant auf Verlangen hat Behörde BestĂ€tigung ĂŒber Anzeige auszustellen
Beachte: Anzeigepflichten nach anderen Vorschriften sind zu beachten!zB § 86 StVO UmzĂŒge: bei Benutzung der StraĂe fĂŒr andere Zwecke als jene des StraĂenverkehrs, drei Tage vorher der StraĂenpolizei anzuzeigen 47
VersammlungsrechtVersammlungsgesetz: Anzeige und Untersagung
47
⹠Untersagung der Versammlung durch Behörde mit Bescheid, wenn deren Zweck den Strafgesetzen zuwiderlÀuft oder deren Abhaltung die öffentliche Sicherheit oder das öffentliche Wohl gefÀhrdet (§ 6 VersG).
§ 6 VersG ist verfassungskonform interpretierenâ Untersagung muss auch iSd Art 11 (2) EMRK notwendig sein
VfGH: Untersagungsbescheid als Prognoseentscheidung aufgrund objektiv erfassbarerer UmstÀnde, in AbwÀgung der Interessen des Veranstalters an Abhaltung der Versammlung und den öffentlichen Interessen aus Art 11 (2) EMRK am Unterbleiben der Versammlung
48
VersammlungsrechtVersammlungsgesetz: Anzeige und Untersagung
48
âą Versammlungsleiter und Ordner mĂŒssen fĂŒr Wahrung des Gesetzes, Aufrechterhaltung der
Ordnung sorgen mĂŒssen gesetzwidrigen Handlungen/ĂuĂerungen sofort entgegentreten wird Anordnungen nicht Folge geleistet â Leiter muss Versammlung auflösen
Verletzung der Verhaltenspflichten = VerwaltungsĂŒbertretung
49
VersammlungsrechtVersammlungsgesetz: DurchfĂŒhrung der Versammlung
49
âą Vermummungsverbot (§ 9 VersG)Personen, die ihr Gesicht verhĂŒllen oder verbergen oder GegenstĂ€nde mit sich fĂŒhren, die ihrem Wesen nach bestimmt sind, die Feststellung der IdentitĂ€t zu verhindern dĂŒrfen an einer Versammlung nicht teilnehmen.
âą Bewaffnungsverbot (§ 9a VersG) Personen, die bewaffnet sind, oder GegenstĂ€nde mit sich fĂŒhren, die geeignet sind und uU nach nur dazu dienen Gewalt gegen Menschen oder Sachen auszuĂŒben, dĂŒrfen an Versammlungen nicht teilnehmen
50
VersammlungsrechtVersammlungsgesetz: DurchfĂŒhrung der Versammlung II
50
âą VerstoĂ gegen Vermummungs- und Bewaffnungsverbot
jeweils allein (sofern die Tat nicht gerichtlich strafbar ist) = VerwaltungsĂŒbertretung
wer zugleich gegen Vermummungsverbot nach § 9 VersG und Bewaffnungsverbot nach § 9a VersG verstöĂt = ErfĂŒllung eines besonderen gerichtlichen Straftatbestandes (§ 19 VersG)
51
VersammlungsrechtVersammlungsgesetz: DurchfĂŒhrung der Versammlung III
51
⹠Auflösung einer Versammlung = behördliche Beendigung einer aktuell stattfindenden Versammlung
âą Versammlung ist von Behörde zu untersagen und ânach UmstĂ€ndenâ aufzulösen, wenn sie gegen Vorschriften des VersG veranstaltet wird aufzulösen, wenn sich in einer Versammlung
gesetzwidrige VorgÀnge ereignen sie öffentliche Ordnung bedrohenden Charakter annimmt
und in allen FÀllen Auflösung iSd Art 11 (2) EMRK gerechtfertigt ist
52
VersammlungsrechtVersammlungsgesetz: Auflösung einer Versammlung
52
⹠Anordnung der Auflösung: Rechtsform von Teilen der L als Befehlsakt gesehen
an alle VersammlungsteilnehmerInnen zu richtenmuss entsprechend wahrnehmbar erfolgen
anderer Teil der L: mĂŒndlich verkĂŒndete Verordnung
Konsequenzen fĂŒr Rechtsschutz: Befehlsakt: von jedeR TeilnehmerIn mit MaĂnahmenbeschwerde beim Landesverwaltungsgericht Verordnung: Individualantrag beim VfGH
53
VersammlungsrechtVersammlungsgesetz: Auflösung einer Versammlung II
53
⹠Aufgelöste Versammlung alle Anwesenden verpflichtet Versammlungsort sogleich zu verlassen und auseinanderzugehen
wird Befehlsakt (die âAuflösungâ) nicht befolgt, darf Zwang angewendet werden
Nichtbefolgung des Gebots, Versammlungsort sogleich zu verlassen = VerwaltungsĂŒbertretung
54
VersammlungsrechtVersammlungsgesetz: Auflösung einer Versammlung III
54
⹠§ 19 VersG âĂbertretungen dieses Gesetzes sind, insofern darauf das allgemeine Strafgesetz keine Anwendung findet, von der Bezirksverwaltungsbehörde, im Gebiet einer Gemeinde, fĂŒr das die Landespolizeidirektion zugleich Sicherheitsbehörde erster Instanz ist, aber von der Landespolizeidirektion, mit Arrest bis zu sechs Wochen oder mit Geldstrafe bis zu 720 Euro zu ahnden.â
subsidiĂ€r (âsofern nicht gerichtlich strafbarâ) Blankettstrafnorm (âĂbertretungen gegen dieses Gesetzâ) zB VerstöĂe gegen Anzeigepflicht, âNichtauseinandergehenâ
nach Versammlungsauflösung 55
VersammlungsrechtVersammlungsgesetz: VerwaltungsstraftatbestÀnde
55
⹠Versammlungsbehörden§ 2 (1) + (2) SPG: Vereins- und Versammlungsangelegenheiten als Teil der Sicherheitsverwaltung; von Sicherheitsbehörden vollzogen.
Versammlungsbehörden sind die Sicherheitsbehörden
Bezirksverwaltungsbehörden bzw. LPD (im Gebiet einer Gemeinde, fĂŒr das die Landespolizeidirektion zugleich Sicherheitsbehörde âerster Instanzâ ist )
56
VersammlungsrechtVersammlungsgesetz: Behörden und ZustÀndigkeiten
56
âą ZustĂ€ndigkeiten: neu Verwaltungsgerichtsbarkeitsnovelle 2012§ 18 VersG: âĂber Beschwerden gegen Bescheide nach diesem Bundesgesetz entscheidet das Landesverwaltungsgericht.â
Ărtliche ZustĂ€ndigkeit: jene Behörde, in deren örtlichem Wirkungsbereich die Versammlung laut Anzeige veranstaltet werden soll oder tatsĂ€chlich veranstaltet wird (§§ 2, 16 VersG iVm § 3 Z 2 AVG).
âą Verfahren vor Sicherheitsbehörden nach AVG, VStG, VVG Abweichungen vom AVG: insb von § 13 (5) AVG mit § 2 (1) VersG als speziellere Norm â Frist von 24 Stunden fĂŒr Einlangen von Versammlungsanzeige auch gewahrt, wenn auĂerhalb der Amtsstunden mittels Fax bei Behörde einlangt
VersammlungsrechtVersammlungsgesetz: Behörden und ZustÀndigkeiten II
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âą Versammlung vor Bekleidungsunternehmen:
Sachverhalt: Kundgebung gegen Pelzhandel vor Bekleidungsunternehmen, ca. 10 Personen mit Tisch, Infomaterial, Beamer, Leinwand. Der Tisch wird 5 Meter von Auslage entfernt aufgestellt. Die Behörde untersagt die Versammlung und gibt Schutz des GeschÀfts Vorrang.
Welche Argumente spreche fĂŒr, welche gegen die Untersagung?
VersammlungsrechtFallbeispiel
58
Kolonovits, Vereins- und Versammlungsrecht, in Hammer/Kolonovits/Muzak/Piska/Strejcek (Hg.), Besonderes Verwaltungsrecht (2012)
Giese, Vereins- und Versammlungsrecht, in Bachmann et al (Hg.), Besonderes Verwaltungsrecht (2012)9
Literaturempfehlungen
59