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v. Graefes Arehiv ftir Ophthalmologie 16I, 239--247 (1959)

Aus der Abteilung ffir Stoffweehselerkrankungen des Krankenhauses der Stadt Wien (Primararzt: Doz. Dr. JOSEF BnSCt~)

R etinitis diabetica 1)roli%rans Bericht fiber 100 F~ille

Von

F ~ ' z F~sen~a

1. Einff ihrung

Unter den 19 F/~llen, die THEODORLE1~ER (1875) zur Bildung des Begriffes: _Retiniti8 diabetica verwendet, finder sich eine eigene Beobachtung: rezidivierende Glask/Srperblutung bzw. Retinitis proliferans bei gMehzeitiger Nephritis. Jahr- zehntelang erf~hrt das seltene Bild keine reehte Wfirdigung. 1934 wird es yon WaGENER, DRY, W~LD~n als das Endstadium diabetiseher Retinitis bezeiehnet. H.J . WaIT~ und W.P. BE~THA~ (1935) verftigen als erste fiber ein gr6Beres 5Iaterial, 35 F~lle - - Grundstoek des heutigen grogen Gutes an Retinitis proliferans der Joslinsehen Klinik; sie sehen in renaler vaseulgrer Erkrankung nnd l%etina- venenerkrankung die hervorstechendsten Befunde. REINgAR9 BRAUN (1937) denkt an Selbst~indigkeit und sehl~gt die Bezeichnung ,,Hyalo-Retinitis" vor. ST. Ha~v~ (1937) versueht die Abgrenzung yon der Periphlebitis retinae. In der Folge wird auf erh6hte Capillarfragilitfit hingewiesen (Ha~u~ 1938, S.R. GIFFORD 1943), die Fokalinfektion in Erw~gung gezogen (STEWART DUKE-ELDER 1945), der allgemeine Diabeteszug zur Gef/~ltneubildung hervorgehoben (v. BaHR 1947).

Im Jahre 1947 beriehtet H.F. ROOT fiber nieht weniger als llOFiille der Joslinsehen Klinik. Der Verf. weist auf das Anwaehsen hin, er behandelt zum ersten Male versehiedene Grundfragen, in Diabetesbeginn, Diabetesdauer, Hyper- tension, Nephropathie. Den Anstieg der Retinitis proliferans ffihrt H. VOGELIVS (1949) in besonders eindringlieher Form vor. WILson-, ROOT, MARBLE (1951) maehen auf hohe Nephropathie-Frequenz aufmerksam. Naeh B. BEC~ER (1952) erreiehen nut 25 % der Retinopathiefiille das Endstadium in der l%etinitis proliferans. Das Material yon H.F. ROOT umfagt 1952 bereits 326 F~lle; doeh schon am Ende des gleiehen Jahres sind es 458 F~lle! Root erweitert seine friiheren Angaben, lenkt die Aufmerks~mkeit hin auf die bedrohliehe Zunahme der Erblindungsfiille und betont die Notwendigkeit exakter Diabeteskontrolle; der VerL ffihrt an, dal3 bei Diabetesbeginn naeh dem 50. Lebensjahr die Retinitis proliferans praktiseh nieht vorkomme. SAVER und KocK (1953) sehen in auftretender Retinitis pro- liferans die Ankfindigung des Weitersehreitens der Nephropathie. H. E~LERS (1953) setzt sieh far das selbst/~ndige Krankheitsbild ein. ~u selbst heben in einer Studie (1955) die diabetisehe Heredofamiliarit~t hervor; in der getinitis proliferans sehen wir eine weiterentwiekelte Retinopathieform. i955 bringen wir F~lle mit Diabetes- beginn naeh dem 50. Lebensjahr zur Nitteilung. 1957 beriehten H. Ja~ERT, G. ~Og~IKE und P. G~soReI fiber 100 F~lle (die uns noeh besehMtigen werden). Dann sind wiederum wit es, die sieh mit dem Sehieksal dieser Diabetiker befassen. H. JASC~RT (1957) sieht in Durchleuehtbarkeit der Iris, eigenartigen NetzhauV reflexen und in den bekannten ,,Wattefloekenexsudaten '~ wichtige Frfihsymptome, sog. Prodiagnostiea. 1958 geben G.t~. CoscsTa~, dann J. BABEL und R. RILLI~'r wertvolle Darstellungen der Retinopathia diabetiea. T. Ko~rnRv~ (1958) bringt 117 F~lle und ein Vergleiehsmaterial (aueh auf diese Arbeit haben wir sp~ter

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einzugehen). Im Februar 1959 legt H.F. Roo% diesmM zusammen mit ST. MIRSKY und J. DITZEL, Reehensehaft ab fiber sein inzwisehen auf 847 F~lle ! angewachsenes Material (ebenfalls yon besonderem Interesse fiir uns). Von uns selbst ersehienen kiirzlieh zwei Arbeiten, in denen ein neuer Weg versueht wird.

Dieser historisehe Streifzug smite vornehmlieh ein Bild der grogen Bewegungen geben. Die diabetisehe Angiopathie - - l~etinopathie und Nephropathie sind ihr st&rkster Ausdruck - - ist in den letzten 10 Jahren zu einem erstrangigen Problem geworden. Von dieser Seite her fallen nun die Entseheidungen fiber das Schieksal des Diabetikers. Dies in seiner ganzen GrSge zu erkennen, bedeutet Mlein sehon Fort- sehritt. Begreiflieh abet bei soleher Entwieklung, dug nicht wenige wichtige Fragen offenstehen.

Wenn wit nachfolgend fiber 100 F~tlle yon t~etinitis proliferans beriehten, so ffihrt uns dabei der Gedanke, die Ergebnisse mSglichst gegenst~ndlieh und M1- gemeingfiltig zu gestalten. Am besten dienen uns dazu die Arbeiten der fiihrenden Autoren: H.F. ROOT (USA), H. JA~E~T (Deutschland), T. KOR~ERUr (Sehweden). Die gerade Zahl yon 100 soil ein einfaehes Zahlenbild ermSgliehen. Wir glauben noeh anfilhren zu mtissen: Alle Patienten standen an unserer Abteilung in statio- narer Behandlung, viele zu wiederholten MMen, nicht gerade wenige vom Diabetes- beginn bis zum Ende. Ein weiterer Vorzug mag darin liegen, dab die meisten F~lle internistiseh miterlebt sind, unter steter Fiihrung durch den Primararzt, Doz. Dr. JOSEF BLSem

2. Erhebungen, Analyse und Bewertung

Die Grundf ragen berf ihren Erscheinungen, die tel ls als Bedingungen , tel ls als ]~egle i t symptome imponie ren ; sie sollen absehni t t sweise darge- s te l l t werden.

Gesehlecht und Alter (bei Fests te l Iung der Ret. prol i ferans) . I n unserer P a t i e n t e n s c h a f t s ind es 65 F r a u e n und 35 M~nner. Dieses s ta rke ] )ber- wiegen der t~rauen k o m m t ers t naeh dem 50. Lebens jah r zus tande ; d a r i n spiegeln sich BevS lke rungss t ruk tu r und D i a b e t i k e r a u f b a u h ie ror t s (s. J . BLSCtt). J2~I~EI~T (1957) h a t bei seinen 100 F~l len fas t die gleiche E r h e b u n g : 63 F r a u e n zu 37 M~nnern. Bei ROOT (1959) i iberwiegen zwar aueh die F rauen , doch i s t das Verh~l tnis e twas verschoben (55:45%), jedenfal ls aueh den a l lgemeinen Bedingungen ~ngepaBt. N u r K o ~ E ~ u ~ (1958) weist gleiehviel weibliehe und mgnnl iehe P a t i e n t e n aus : 58 zu 59.

Zum Alter folgendes: J i inger als 20 J a h r e i s t ke in Pa t i en t . A m s t~rks ten bese tz t haben wi t das 50.---59. Lebens jah r (30%) und das 60 . - -69 . Lebens j ah r (36% der F~lle), am sehw/~ehsten das 20 . - -29 u n d das 70. - -79. Lebens j ah r (je 5%). Bei JANE~T is t das 51 . - -60 . Lebens- j ahr mi t 27% die st/~rkste Al terss tufe ; das 61. - -70. Lebens jah r weis t nur noeh 13% auf (bei uns e twa 36% [). K o ~ r E a u P h a t das 20 . - -29 . Lebens j ah r als s tgrks te Al t e r sg ruppe ; jedoeh bei F e s t h a l t u n g des wirk- l ichen Auf t re tens der Ret . prol i ferans (in 28 Fs erseheint das A l t e r yon 50 und mehr J a h r e n gar n ieh t so selten. ROOT (1959) weist aus : 42,3% ifir das Al te r yon 20- -39 J a h r e n (bei uns 12% !) und 16,5% fiir 60 und mehr J a h r e (bei uns 4 I % !).

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In den ganz Jungen und den ganz Alten herrscht also zwischen uns und den Autoren ziemliche ~bereinst immung, nicht aber in der Alters- verteilung dazwisehen: unsere F~tlle erseheinen auf die /~ltere Seite hin versehoben. Der ganzen Sachlage naeh kann es sich abet nicht um eine eehte Differenz h~ndeln.

Diabetisehe Heredofamiliarit~t. In 41% unserer Ffi.lle finder sich ein Diabetes mellitus in der Familie : 29real in Aszendenz oder Deszendenz, 21real in der Seitenlinie, 1Omal kombiniert. Einige F/~lle sind besonders eindrueksvolI: beide Elternteile sowie alle 4 Gesehwister; Grot~mutter, Mutter und 2 Geschwister; Vater, 2 Schwestern nnd 1 Sohn. Koxss~t,J~ finder in 44%, ROOT in 50,2% diabetische Heredofamiliarit/R. Beide Autoren betonen, dab gegeniiber den anderen Diabetikern keine Ab- weiehnng bestiinde.

Dem m6chten wir folgendes hinzuffigen: DaB der Diabetes mellitus anlagebedingt ist, ein heredofamiligres Leiden darstellt - - und zwar in jedem Fatle - - dar/iber besteht seit den bemerkenswerten Untersuchun- gen yon E. HA~qgART (Sehweiz) kein Zweifel mehr. Tatsgchlich w/~ehst auch der Prozentsatz mi t der Intensit/~t der Familienerforsehung. Das also kann nicht mehr der Sehlfissel zum Geheimnis sein ! In zwei kfirzlich ersehienenen Arbeiten konnten wir auf Grund besonderer Beobaehtungen die Frage auf eine andere Ebene verschieben : der vererbten (diabetisehe~ 0 Gef~fikonstitution.

Alter zu Diabetesbeginn (sog. Diabetesmani~estationsalter). Das 1. bis 20. Lebensjahr findet sieh in 12 % unserer Fg]le. J a ~ n T hat das gleiehe l~Ianifestationsalter in 32 % seiner F/~lle. KoR~]~nc~" weist allein f/it das 0.--14. Lebensjahr 57% aus! R o o t (1959) gibt ffir das 0.--19. Lebens- jahr 41,4% an. Demnaeh ist der Diabetesbeginn in Kindhei t und friiher Jugend bei uns welt seltener a]s bei den anderen Autoren.

Diabetesbeginn nach dem 50. Lebens]ahr ist in 22% unserer F/~lle verzeichnet. JANERT findet dafiir nut 5%. K o n ~ ] ~ v ~ hat Diabetes- beginn naeh dem 40. Lebensjahr in 15% seiner F~lle (bei uns 54% !). R o o t (1959) findet das ~anifestat ionsal ter : 40.--59. Lebensjahr in 31,1% (bei uns etwa 51%). Ein Mani]estationsalter yon mehr als 60 Jahren haben wir in 3%, JANERT in 0% und R o o t in 1,4%. Demnach seheint das Manifestatioi~salter: 51--60 Jahre bei uns viel h/iufiger auf, jedoeh im Diabetesbeginn naeh dem 60. Lebensjahr herrseht volle Ubereinstim- mung mi t den Autoren.

Diabetesdauer (bei Feststelhmg der Ret. proli~erans). In 27 % unserer F/~Ile betrggt sie 0 - -9 Jahre, in 73% 10--31 Jahre (50% 16--31 Jahre), JA~LRT hat in 85 % seiner F/~lle eine Diabetesdauer yon 11--30 Jahren (in 56,7% 16--31 Jahre), K o ~ c P findet in 93% der Fiille eine Diabe- tesdauer yon 10--25 Jahren und darfiber (in 63 % 15 and mehr Jahre). R o o t (1959) setzt bei 325 Patienten die Diabetesdauer zum ARer bei

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Diabetesbeginn in Beziehung : bei Diabetesbeginn unter dem 40. Lebens- jahr betragt die durehsehnittliehe Diabetesdauer rand 17 Jahre, bei Diabetesbeginn zwisehen dem 40. und 59. Lebensjahr 10 Jahre, sparer nur noeh 4 Jahre. ]4hnliche Erhebungen konnten aueh wir maehen: fast alle unsere Falle mit relativ knrzer, nnter 10 Jahren liegender Diabetesdaner hatten ihren Diabetesbeginn nach dem 40. Lebensjahr. Bei einer Reihe yon Fallen, die auf langem Wege genanestens registriert sind, fanden wir sehr knrze neben sehr langer Diabetesdauer. Solche Beobachtnngen lassen an der Unbedingheit des kausalen Faktors: lange Diabetesdauer zweifeln.

Hypertonie (Hypertension). Ein arterieller Hochdruek, und zwar iiberwiegend yon labiler Art, liel3 sieh in 87 % nnserer Falle feststellen. In allen Altersstufen wurde die t typertonie angetroffen; sie zeigte sieh auffglligerweise bei den 20- nnd 30jghrigen in derselben starken Aus- prggung, wie bei den alteren Patienten. Alle jungen Patienten (unter 40 Jahren) sind tIypertoniker, d. h. : die relativ wenigen Niehthyper- toniker in unserer Patientensehaft befinden sieh samtlieh auf der ~lteren Seite. Von den insgesamt 13 Niehthypertonikern weisen 8 eine Nephro- pathie yon gemilderter Form auf, 5 sind nephropathiefrei. Nun nnsere Autoren: JAXERm hat eine s IIypertoniehgnfigkeit v ie wir. X o ~ E ~ v ~ erktart, dag der relative (gegeniiber Niehthypertonikern) Blutdruek, sowohl in seinen systolisehen wie diastolisehen Werten, in Fallen yon Ret. proliferans weir h6her sei als bei den anderen Diabetikern gleiehen Alters und gleieher Diabetesdauer. R o o t (1959) iiberraseht uns mit der Angabe, daft die tIypertonie in 60 % seiner Falle gefehlt hatte[, daher in der Entwieklung der Ret. proliferans kaum eine Rolle spielen k6nne. (Aueh wir denken nieht an Kausalitat.) Eine Erlguternng dieses ungewShnliehen Befundes erseheint nns notwendig.

Nephropathie. Siehere Nephropathie haben wir in 82% der F/~lle gefnnden, in allen Altersstnfen. Von diesen 82 Patienten sind es 33 Pa- tienten aus allen Altersstnfen, die das klinisehe Bild der Kimme|stiel- Wilson-Lgsion darboten. Alle nnsere 20- nnd 30j/~hrigen (20.--39. Le- bensjahr), haben eine Nephropathie, vornehmlieh vom obengenannten Typus. Die Nephropathie ist die ttaupttodesursaehe bei unsereren Fallen.

Nun wieder unsere Autoren: Bei JA~E~T finder sieh eine ahnliehe, vielleieht etwas niedrigere Nephroloathie-tIanfigkeit. Kom~ERvP hat Proteinurie in 73 % seiner Falle (bei einfaeher i%etinitis nut etwa 30 %); in 42% der FMle ging die Proteinurie der ge t . proliferans voran. Bei R o o t (1959) finder sieh ein ahnlieh hoher Prozentsatz yon Proteinurie, an die 70%; aueh bier war sie in rnnd 40% vorangehend. In RooTs Fallen ist die Nephropathie vorherrsehende Todesursaehe (eine Uramie bestand in mehr als 50 % der Patienten).

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Andere Angiopathieformen. Bei unseren 100 Patienten land sich 49real eine Coronargef/igerkrankung (jedoch kein Infarkt) und 35mal periphere GefgBerkrankung (14real Gangr~n, in 7 Fallen Amputation) - - beide Formen in jeder Alterstufe. Dagegen wurde cerebrale Arterioskle- rose nur 8real, universelle Arteriosklerose nur 13real diagnostiziert (erstere ab den 50j~hrigen, let.ztere ab den 60j/~hrigen). In Jacr 100 Fallen bestanden 29mal Zeiehen coronarer, ~5mal solehe peripherer Durchblutungsst6rungen (8mal Gangrgn). ROOT (1959) macht nut die ~llgemeine Angabe, d~t3 Infektion der Ffil3e and Gangrgn selten gewesen wgren, eine Amputation nur bei wenigeu Patienten notwendig wurde.

Insulinbedari; Diabeteskontrolle. Der t~gliehe I n s u l i n b e d a r / - - er kann nut ein unbestimmtes Bild der StoffweehselstSrnng geben - - be- 1/~uft sich in 4% unserer Fglle auf weniger als 20 E pro die, in 4:5% auf 20--49 E mad in 22 % auf 50--79 E (in 29 FfiJlen perorale Antidiabetiea). Bei J .aN~T lauten die entspreehenden Zahlen: 5, 67 nnd 25%. Ko~- NE~UP betont, dab der Insulinbedarf nieht grSBer sei als bei den anderen Diabetikern. Die Mehrzahl der Patienten yon BOOT brauehte mehr als 50 E.

Die Diabeteskontrol le (Behandlung, ~berwaehung insgesamt) l~13t sich kurz abet eindrueksvoll abtun: nur ganz wenige F/~lle kSnnen in dieser H_insieht bestehen, die meisten sind absolut sehleeht kontrolliert. Die Erfahrungen yon B o o t und yon J.~m~T sind gleiehlautend. Erneut be- tent BOOT in seiner letzten Arbeit die Notwendigkeit einer exakten, yon allem Beginne und unausgesetzt gefibten Diabeteskontrolle, dies zur Verhinderung oder zumindest ttinausschiebung delet~rer Angiopathie.

Das Augenhintergrundsbild. In 53 % unserer F~lle entwiekelte sich die Betinitis proliferans aus einfaehen Betinitisformen (Bet. haemorrha- giea, Bet. exsudativa). Bei den fibrigen F/illen (47 % ) lieB mangelnde Vor- beobaehtung diesen Naehweis nieht fiihren. Das unmittelbare Auftreten der Bet. proliferans konnte nieht ein einziges Mal festgestellt werden, wohl aber die rasehe Entwieklung der Retinopathie zur Retinitis pro- liferans in einer l~eihe yon Fglten. Demnaeh mfissen wir an unserer fr~heren AuHassung (1955) festhalten, dab die Retinitis proliferans sin Stadium diabetiseher Betinopathie darstellt, das Endstadium. Jeden- falls spreehen unsere Ermittlungen entsehieden gegen die Annahme eines selbstgndigen Krankheitsbildes (B~AI:X 1937, IKa~uM 1939, Ett- LEXS 1953). ~hnliehe Vorstellungen dar/iber haben die Autoren JA~ERT and RooT, wenngleieh ROOT in seiner letzten Arbeit eine Einsehr~nkung maeht (nieht in allen Fallen w/~re es ein weiterentwiekeltes Stadium). Ko~xE~uP ffihrt 6 Fglle ins Treffen, die ihn ffir den ,,Sonderfall Retinitis proliferans" geneigt maehen. Diese unsere Auffassung besagt natiirlieh nieht, dab die l~etinopathie unweigerlieh zur Retinitis proliferans f/ihrt : zur ~Teiterentwieklung geh6ren versehiedene wesentliehe Bedingungen,

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wie in ungeniigender Diabeteskontrolle (RooT) oder besonderer Gefgg- konstitution (FIschEr).

Alle unsere 100 F~lle zeigen ein eindeutiges Bild der Retinitis pro- liferans. Nieht einen l~all gibt es, bei dem nicht zu irgendeinem Zeit- punkt eine Glask6rperblutung aufgetreten w~re, und sieh wiederholt h~tte; diese Erseheinung ist ebenso obligat wie die Gef/~B- and Binde- gewebsproliferation - - womit aber nichts fiber die n~heren Beziehungen ausgesagt erseheint. In den meisten F~llen ist es uns gelungen (in Zeiten der Glask6rperau~hellung), such retinMe Blutungen, , ,Blutpunkte" und Degenerationsherde festzustellen; regelmgBig fand sieh tier gesamte re- tinale Gefgl~banm sehwer vergndert.

-Ober das Sehverm6gen nur folgendes: In 67 % unserer Fglle besteht praktisehe odor v611ige Erblindung. Mag sein, dag noeh der eine oder andere Fall im Laufe der Zeit zu einer gewissen Erholung and Beruhigung kommt, sieher ist aber andererseits, dab nieht wenige der heute noeh mit oinem brauehbaren (einigermM3en) Sehverm6gen geffihrten Fglle unglfieklieh ausgehen. Im fibrigen haben wit auf dem tIeidelberger OphthMmologenkongreB 1957 fiber das Sehieksal des Diabetikers mit I%etinitis proliferans ausfiihrlieh beriehtet. Gerne weisen wir darauf hin, dab wir Patienten haben mit einem rolativ guten Sehverm6gen dureh viele Jahre sehon bei stehengebliebener getinit is proliferans. Und wie- viet Ermunterung bedarf es ffir den Patienten wie ftir den behandelnden Arzt [

3. Schlulltolgerungen Ffir das Wesen dor Retinitis diabetiea proliferans ergibt sich aus

unseren und den Erhebungen maBgebender Autoren folgendes: ~l%otz gewisser Differenzen besteht keine echte Geschlechtsbevorzugung; weder das ms noeh das weibliche Gesehleeht ist yon urss Be- deutung. Ahnliehes gilt ffir das Alter. DaB Kinder und Jugendliche unter 20 Jahren sowio fiber 70 Jahre alte ~r praktiseh nicht be- %roffen sind, ertanbt hSehstens den Schlug, dag etwas vorliegt, das im orsten l%lle noeh nieht, im zweiten nieht mehr erffillbur ist (bier wgre an lange Diabetesdauer zu denken) ; das Sehwanken des ,,Beobaeh- tungsalters", so wie es sieh aus den versehiedenen Ermittlungen ergibt, kann bei den feststehenden Alterseekpfeilern nur dureh ~uBere Beein- flussung erM~rt werden.

Bedeutungsvoll erseheint die Diabetesdauer (bei beobaehteter get . proliferans). Lange Diabetesdauer, mindestens 10 Jahre bei einem Optimum yon etwa 20 Jahren, t r i t t in allen Ermittlungen stark and unanzweifelbar hervor. Jedoeh ergeben sieh bei uns and den anderen Autoren versehiedene Momente, wie dab immerhin 27% unserer F~lle eine, unter I0 Jahren liegende Diabetesdauer aufweisen, ierner bei

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Diabetesbeginn naeh dem 40. Lebensalter eine merkliehe Verkfirznng eintritt, welche die ursaehliche Bedeutung dieses Faktors einsehr/tnken.

]3edeutungsvoll ist aueh das Alter zu Diabetesbeginn, sog. Diabetes- manifestationsalter. Allseits gesiehert erseheint, dal~ bei I)iabetesbeginn naeh dem 60. Lebensjahr (was nieht wenige Patienten betrifft) die Reti- nitis proliferans h5chst selten auftritt . Dem frfihen Di~betesbeginn, in Kindheit und Jugend~ kSnnen wir im Gegensatze zu den anderen Autoren keine Entseheidung zubilligen; das /indert aber niehts daran, dab der kind|iehe nnd jugendliehe Diabetiker besonders angiopathiegef~ihrdet ist, durch sehwerere Stoffwechse]stSrung, hShere l~eaktionsf~higkeit und dureh ]eiehte Aufbringung geniigend langer Diabeteszeit.

Die Frage der arteriellen tIypertonie ist ungekl~rt. Niemand denkt an Kausalit~tt. Nach unseren Erhebungen ist diese t typertonie eine echte diabetisehe Erseheinung, Ausdruek der bestehenden Angiopathie.

Gesiehert ist das Spezifische der ~Nephropathie, wenigstens in Form der Kimmelstiel-Wilson-L~sion. Diese besondere Form - - sie t r i t t na- mentlieh bei den jungen Diabetikern in Erscheinnng - - ist es, die dem Leben frfihzeitig ein Ende setzt. Wie wir 1957 ausgeffihrt haben, ent- scheidet sieh das Schieksal des Diabetikers mit ausgebildeter Rotinitis proliferans im 1. Jahr, an Art und Verhalten der Nephropathie. Kein Zweifel kann darfiber bestehen, dal3 Retiniti8 proli/erans nnd Kimmel- stiel-Wilsonsehe Glomerulosklerose a.neinandergebundene Formen sind: st~trkster und reinster Ausdruek diabetiseher Angiopathie.

Von den anderen Angiopathieformen sind es die Coronarerkrankung und die periphere Angiopathie (Gangr~tn), welehe dnrch I~s und entschiedenes Auftreten bei den jungen Diabetikern ihren Diabetes- eharakter nnter Beweis stellen. Dagegen zeigen sieh eerebrale und universelle Arteriosklerose nur in den ~lteren Jahrgitngen, und da sporadiseh, so dal3 damit sogar gegen den allgemein angenommenen arteriosklerosef6rdernden Einfluf~ des Diabetes mellitus argumentiert werden k6nnte.

Zum Sehweregrad der Stoffwechselst6rung bestehen keine offenen Beziehungen. was natiirlich nieht daran hindert, darin eine Quelle der besonderen Gef/~hrdung des jungen Diabetikers zu sehen (If. F. I~OOT). Hinsiehtlieh der Diabeteskontrolle (]3ehandlung, Oberwaehung insge- saint) kommen wir zu demselben betriibliehen Ergebnis wie H. F. ROOT in den USA: nur wenige Patienten weisen eine wirklich gute Gesamt- ftihrung auf. Das dringliehe Anliegen Roo~s, in diesem Pnnkte Abhilfe zu sehaffen, in der berechtigten Hoffnung der delet~ren Angiopathie mSgliehst Abbruch zu tun, kann unsererseits nut yell unterstiitzt werden, wenngMch dort nicht der einzige Angriffspunkt sein kann.

Unsere, wie die Beobachtungen yon ROOT und yon J A ~ n T sioreehen entschieden dafiir, daf~ die Retinitis proliferans eine weiterentwiekelte

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R e t i n o p a t h i e f o r m i s t : das E n d s t a d i u m , welches sehr raseh erre icht wer- den kann. Nebs tbe i , d ie A n n a h m e eines , S o n d e r i a l l e s " b i rg t die grol3e Gefahr in sich, die einfaehe Re t in i t i s le iehter zu nehmen, als sie es in Wi rk l i chke i t ist . Sehon aus d iesem Grunde mug die vSllige K l a r u n g dieser F rage anges t r eb t werden.

Zum Sehlusse noch folgendes: H . F . g o o T h a t in seiner j / ings t er- sehienen Arbe i t ausdrf iekl ich erklgr t , daft der , ,heredi tgre H in t e rg rund : ' in F~l len mi t a n d ohne Re t in i t i s prol i ferans der gleiche sei. E ine ghnliehe E rk lg rung gab K o ~ E ~ u e (1958) ab. W i r selbst haben auf G r a n d spezie]ler Beobaeh tungen , die wi t in zwei kfirzl ieh verSffent l ichten Arbe i t en n iederge leg t haben, der F rage d iabe t i seher He redo fami l i a r i t g t in der K o n z e p t i o n einer besonderen (diabet isehen) ve re rb ten Gefgl~- k o n s t i t u t i o n eine neue W e n d u n g gegeben.

Zusammenfassung

I n der g e t i n i t i s d i abe t i ca pro l i fe rans s te l l t sich ein groges, wachsendes Problem. 1Jber 100 F/~lle wird ber ich te t . D i e Ergebnisse werden m i t jenen der ff ihrenden Au to ren vergl ichen und en t sp rechend ausgewer te t . Verschiedene, das Wesen der g e t i n i t i s prol i ferans berf ihrende F r a g e n k o m m e n zur ErSr te rung . E ine neue Konzep t i on - - yon heredofami l i s Art. - - wird gebrach t .

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Dozent Dr. F. FIscHEr, Wien I, Opernring 17 (0sterreieh)


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