Stand und Perspektiven des Polnischunterrichts
in DeutschlandGrit Mehlhorn
Perspektiven der deutsch-slavischen Mehrsprachigkeit, 18.-19. März 2016, Universität Regensburg
Polnisch in Deutschland• ca. 2 Millionen in Deutschland
lebende Menschen mit polni-schem Migrationshintergrund (Loew 2014: 9f.)
• vergleichsweise gute Deutsch-kenntnisse und
• seltenerer Gebrauch der Herkunftssprache als in anderen Zuwanderergruppen (Strobel & Kristen 2015)
Perspektiven der deutsch-slavischen Mehrsprachigkeit, 18.-19. März 2016
Überblick1. Polnisch als Fremdsprache
Verteilung über Schulformen und Bundesländer Besonderheiten
2. Polnisch als Herkunftssprache Sprachlernsituation von HerkunftssprecherInnen Formen und Anbieter von Herkunftssprachenunterricht
3. Herkunftssprecher im Fremdsprachenunterricht4. Polnisch in der Erwachsenenbildung
Sprachkurse
Studienmöglichkeiten
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1. Fremdsprachenunterricht Polnisch
• lt. KMK (2012: 12) ca. 8.300 Polnisch-als-Fremdsprache-Lernende an deutschen Schulen
• kleine Schulfremdsprache• in grenznahen Bundesländern• an Grundschulen, weiterführenden Schulen
(z.T. bis zum Abitur) und Berufsschulen
Perspektiven der deutsch-slavischen Mehrsprachigkeit, 18.-19. März 2016
Perspektiven der deutsch-slavischen Mehrsprachigkeit, 18.-19. März 2016
„Leuchttürme“ des Polnischunterrichts
• Deutsch-Polnisches Gymnasium in Löcknitz• Karl-Liebknecht-Gymnasium in Frankfurt/Oder• Augustum-Annen-Gymnasium in Görlitz
Fremdsprachenunterricht Polnisch: Herausforderungen
• kein durchgängiges Polnischangebot
• Problem der Übergänge zwischen Schulformen
• vergleichsweise wenig Lehrmaterialien
Perspektiven der deutsch-slavischen Mehrsprachigkeit, 18.-19. März 2016
(Worbs et al. 2009)
Begegnung mit der polnischen Sprache
• Polen- und polnischbezogene Elemente im fächerverbindenden Unterricht
• Fremdsprachentage• Rezitationswettbewerbe• Schüleraustausch• Klassenfahrten nach Polen
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Werbung für PaF
• Polnisch-AGs • „Polnischer
Projekttag für NRW-Schulen“ seit 2005
• Schulprojekttage „Cześć! Ein Tag auf Polnisch“ seit 2008
Perspektiven der deutsch-slavischen Mehrsprachigkeit, 18.-19. März 2016
Schulprojekttage am Polnischen Institut Leipzig
Polnische Landeskunde Traditionen und Bräuche
Werbung für Polnisch
„PolenMobil“ seit 2015
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2. Polnisch als Herkunftssprache
2. Herkunftssprachenunterricht Polnisch
• eigener Typus von Sprachunterricht (Reich 2014)
• HSU Polnisch in allen Bundesländern• einer 2. bzw. 3. Fremdsprache
gleichgestellt nur in wenigen Bundesländern:– NRW, Hamburg, Rheinland-Pfalz,
(Sachsen) …
Perspektiven der deutsch-slavischen Mehrsprachigkeit, 18.-19. März 2016
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Herkunftssprachenunterrichto Ziele:
o Spracherhalto systematische Vermittlung von Sprachkompetenzen
„Die Unterrichtssprache wird zunehmend zu einer konzeptionell schriftlichen Sprache, in der verdichtete, kognitiv immer anspruchsvollere Informationen in kontextarmen Konstellationen angeboten werden. Der HSU fördert bildungssprachliche Kompetenzen in der Herkunftssprache, indem er explizit, systematisch und kontinuierlich Differenzen zwischen Bildungs- und Alltagssprachgebrauch thematisiert.“
(Bildungsplan Gymnasium Herkunftssprachen Hamburg 2011: 17)
o Ausrichtung auf interkulturelle Kompetenzen
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Formen des Herkunftssprachenunterrichts
o staatlich organisiert (von Schulamt / Bildungsagentur)o oft nach einem festen Curriculum
o vom Herkunftsland organisierto z.B. Polnischer Schulverein Oświata in Berlino z.B. Konsulatsschulen
o Elterninitiativen o z.B. „Krasnale“ – Deutsch-Polnische Elterninitiative zur
Förderung der Zweisprachigkeit e.V. in Frankfurt/M.o kirchliche Einrichtungen
o sog. „Sonntagsschulen“o Privatunterricht
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Bedingungen des HSUo muttersprachliche Lehrkräfteo oft Polonistinneno jahrgangsübergreifender Unterrichto vor allem im Grundschulalter nachgefragto Angebote in größeren Städteno außerhalb der regulären Unterrichtszeit:
nachmittagso meist anderthalb Stunden pro Wocheo oft längere Anfahrtswegeo nicht abschlussrelevant Motivation
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Herkunftssprachenunterricht in Leipzig im Schulhalbjahr 2015/16
Sprachen Gruppen Sprachen GruppenArabisch 5 Portugiesisch 2
Armenisch 1 Russisch 11Bulgarisch 1 Spanisch 5
Griechisch 1 Türkisch 1
Persisch / Dari 2 Vietnamesisch 5
Polnisch 3
Zertifizierung von Polnischkenntnissen
telc (The European Language Certificates)Język polski B1-B2 Szkoła
• Modellsatz im Internet • Prüferschulungen
Russische und polnische Herkunftssprache als Ressource im Schulunterricht
Verbundprojekt
der Universitäten Greifswald und Leipzig
Bernhard Brehmer & Grit Mehlhorn
Polnischsprachige Jugendliche in Berlin
• Kontakt mit Polnischsprechenden, nicht nur in der Familie
• häufige Aufenthalte in Polen, v.a. in den Ferien
19Perspektiven der deutsch-slavischen Mehrsprachigkeit, 18.-19. März 2016
20GAL-Tagung in Frankfurt/Oder, 23.-25.9.2015
Berlin
SzczecinGryfino
PoznańZielona Góra
Gorzów
Transmigration
PiekaryŚląskie
Lidzbark
Goleniów
Złotów
Września
Ostrołęka
ŁódźGostyń
Polnischsprachige Jugendliche in Berlin
• Kontakt mit Polnischsprechenden, nicht nur in der Familie
• häufige Aufenthalte in Polen, v.a. in den Ferien• Nutzung polnischsprachiger Medien, v.a.
Fernsehen• Rolle polnischer Traditionen und der Religion• landeskundliches und kulturelles Wissen über Polen• positives Polenbild • Versuch, das Polnische zu erhalten
21Perspektiven der deutsch-slavischen Mehrsprachigkeit, 18.-19. März 2016
Familiensprache Polnisch
PRO CONTRA- Intuition- Weitergabe der Sprache der
Eltern und Großeltern- schwache Deutsch-
kenntnisse der Mutter- Geburtsort des Kindes:
Polen- Erfahrung, dass Deutsch
zügig erworben wird- Zweisprachigkeit als
erstrebenswertes Ziel
- gute Deutschkenntnisse des Kindes als wichtigstes Ziel
- sprachliche Vorbereitung auf Kita und Schule
- Sorge vor emotionalen und kognitiven Problemen in der Schule
- Ratschlag der Erzieherinnen
- Berufstätigkeit der Mutter, deutscher Partner und deutschsprachiges Umfeld
Teilnahme an Polnischunterricht
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Pro ContraEltern:- Kind lernt Lesen und Schreiben, polnische Geschichte und Literatur- kein Leistungsdruck im HSU- viele zusätzliche interessante Veranstaltungen bei Oświata- soziale Kontakte (auch zwischen Eltern)
Eltern:- Befürchtung, dass sich zwei Sprachen parallel nicht gut entwickeln könnten- Polnisch auf „natürliche“ Weise weitergeben- Zeitmangel bzw. andere Prioritäten- Polnisch auch später noch ausbaubar- Zweifel am Nutzen der Polnisch-kenntnisse
Kinder:- Polnisch verbessern, v.a. im schriftlichen Bereich- Polnischunterricht macht Spaß und ist interessant- Polnisch in der Schule mit Freunden lernen- von Vorkenntnissen profitieren
Kinder:- zufrieden mit eigenem Sprachstand- Lesen und Schreiben auf Polnisch nicht unbedingt nötig - lieber neue Fremdsprache lernen- keine Zeit für HSU- „Faulheit“
Polnisch im schulischen Kontext• Unterricht in der Herkunftssprache ermöglicht Systema-
tisierung der Sprachkenntnisse• für die Schüler/innen: persönliche Relevanz der Sprach-
kenntnisse und des Wissens über die Herkunftskultur• Anwendung im Alltag: im engeren familiären Kontext sowie
im Herkunftsland (der Eltern)• spätere Verwertbarkeit im Beruf eher von Eltern
thematisiert• positive Einzelbeispiele für Bezugnahmen auf Vorwissen /
Expertenwissen im schulischen Kontext• insgesamt scheint Mehrsprachigkeit der Herkunftssprecher
im schulischen Kontext jedoch geringe Rolle zu spielen24
Polnisch im schulischen Kontext• Herkunftssprecher/innen vergleichen Sprachen oft von
sich aus• vergleichsweise wenig Sprachvergleiche im HS-Unterricht
– Prinzip der Einsprachigkeit– Herkunftssprachenlehrende haben oft nur ein Fach – fehlender Einblick in Anknüpfungsmöglichkeiten an die Kenntnisse
der Herkunftssprecher– engagierte Lehrkräfte als Einzelkämpfer
• großer Einfluss des Schulklimas: – Wertschätzung aller Sprachen notwendig– Austausch mit Lehrkräften anderer Sprachen und Fächer hilfreich– Wertschätzung der „mitgebrachten“ Sprachen motiviert
Herkunftssprecher/innen zum Weiterlernen 25
Herkunftssprecher/innen im Fremdsprachenunterricht
• heterogene Lerngruppen aus Schüler/innen mit und ohne Vorkenntnisse
• notwendige Binnen-differenzierung
• Problem der Bewertung
„Für die Lehrkräfte ergibt sich hier ein wesentlich höheres Anforderungs-profil an die Unterrichtsgestaltung, dem zurzeit oft nicht entsprochen werden kann.“ (Hildebrandt 2012: 222) Lehrkraft als „człowiek orkiestra“
ÜbungsbedarfÜbungsbereich /Übungsbedarf
Fremdsprachenlernende Herkunftssprachenlernende
Wortschatz gesamte Bandbreite Bildungssprache, Fachwort-schatz
Grammatik kleinschrittig über das Konzept (anknüpfen an interne Grammatik)
Leseverstehen kurze einfache Texte, allmähliche Steigerung in Umfang und Komplexität
längere und komplexe Texte, viel lesen
Schreiben allmähliche Steigerung von Einzelsätzen zu (kürzeren) Texten
bereits früh expansive Schreib-aufgabenKonzentration auf den Inhalt und allmähliche Verbesserung von Orthographie, Grammatik und Stil
vgl. auch Kagan & Dillon Source (2001), Böhmer (2016)
4. Polnisch in der Erwachsenenbildung• Sprachkurse an Volkshochschulen• Angebote an Hochschulen
– Polnischkurse für Hörer aller Fakultäten, oft im Bereich „Schlüsselqualifikationen“
– Studienmöglichkeiten (Polonistik, West-/ Slawistik, Polnisch auf Lehramt, Europa-studien, Übersetzerausbildung)
• Fremdsprachenlernende vs. Herkunftssprecher/innen
Perspektiven der deutsch-slavischen Mehrsprachigkeit, 18.-19. März 2016
Fachverband
Federalny Związek Nauczycieli Języka Polskiego• vertritt Interessen der in Deutschland tätigen
Polnischlehrenden– berufspolitische Angelegenheiten der Mitglieder– Monitoring der Sprachpolitik in Dtl. und Polen– berufliche Förderung und Qualifizierung der Mitglieder– Unterstützung von Projekten zur Polnischförderung– Zusammenarbeit mit Institutionen, die sich der
Verbreitung des Polnischen widmen– … http://polnischunterricht.de
Fachzeitschrift „Polski w Niemczech – Polnisch in Deutschland”
http://polnischunterricht.de
Zitierte Literatur IAnstatt, T. (2013): Polnisch als Herkunftssprache: Sprachspezifische grammatische
Kategorien bei bilingualen Jugendlichen. In: S. Kempgen et al. (Hrsg.): Deutsche Beiträge zum 15. Internationalen Slavistenkongress. München, 15-25.
Besters-Dilger, J. et al. (2015): Linguistische und sprachdidaktische Aspekte der Herkunftssprache Polnisch. Zeitschrift für Fremdsprachenforschung 26/1, 53-84.
Bilski, M. & A. Korman (2014): Ein Jahr in Polen? Selbstverständlich! Ein Ratgeber für coole Gymnasiasten. Ergänzende Unterrichtsmaterialien zur Landeskunde Polens. Görlitz, Zgorzelec, Wrocław.
Böhmer, J. (2016): Ausprägungen von Biliteralität bei deutsch-russisch bilingualen Schülern und die daraus resultierenden Konsequenzen für den schulischen Russischunterricht. In: P. Rosenberg, Peter & C. Schroeder (Hrsg.): Mehr-sprachigkeit als Ressource in der Schriftlichkeit. Berlin, 127-151.
Hildebrandt, S. (2012): Relevanz von Mehrsprachigkeit und interkultureller Kompe-tenzentwicklung in der deutsch-polnischen Grenzregion. Argumentations-analyse für einen Fremdsprachenfrühbeginn mit der Nachbarsprache. Rostock.
Jańczak, B. (2013): Deutsch-polnische Familien: Ihre Sprachen und Familien-kulturen in Deutschland und in Polen. Frankfurt/M.
31Perspektiven der deutsch-slavischen Mehrsprachigkeit, 18.-19. März 2016
Zitierte Literatur IIKagan, O. & K. Dillon Source (2001): A new perspective on teaching Russian:
Focus on the heritage learner. The Slavic and East European Journal 45 (3), 507-518.
KMK, Hrsg. (2012): Zur Situation des Polnischunterrichts in der Bundesrepublik Deutschland. Bericht der Kultusministerkonferenz vom 22.08.1991 i.d.R. vom 04.10.2012. Köln.
KMK, Hrsg. (2013): Strategiepapier „Förderung der Herkunftssprache Polnisch“. Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 20.06.2013. Köln.
Loew, P.O. (2014): Wir Unsichtbaren. Geschichte der Polen in Deutsch-land. München.
Mehlhorn, G., Hrsg. (2010): Werbestrategien für Polnisch als Fremd-sprache an deutschen Schulen. Hildesheim u.a.
Mehlhorn, G. (2015a): Zur Situation des Polnischunterrichts in Sachsen. In: C. Prunitsch / A. Berndt / R. Buraczyński (Hrsg.): Sprache als Schlüssel zur Zusammenarbeit. Status und Prestige der Nachbarsprachen im polnisch-sächsischen Grenzgebiet. Frankfurt/M., 117-136.
32Perspektiven der deutsch-slavischen Mehrsprachigkeit, 18.-19. März 2016
Zitierte Literatur IIIMehlhorn, G. (2015b): Die Herkunftssprache Polnisch aus der Sicht von
mehrsprachigen Jugendlichen, ihren Eltern und Lehrenden. Fremdsprachen Lehren und Lernen (FLuL) 44/2, 60-72.
Mehlhorn, G. (2016): Polnisch. In: E. Burwitz-Melzer / G. Mehlhorn / C. Riemer / K.-R. Bausch / H.-J. Krumm (Hrsg.): Handbuch Fremdsprachenunterricht. Tübingen, 526-530.
Reich, Hans H. (2014): Über die Zukunft des herkunftssprachlichen Unterrichts.Überarbeitete Fassung eines Vortrags bei der GEW Rheinland-Pfalz in Mainz am 31.01.2012. www.uni-due.de/prodaz/aktuelles_archiv.php.
Strobel, B. & Kristen, C. (2015): Erhalt der Herkunftssprache? – Muster des Sprachgebrauchs in Migrantenfamilien. Zeitschrift für Erziehungs-wissenschaft18, 125-142.
Worbs, E. (Hrsg.) (2009): Witaj Polsko! Band 1: Niveaustufe A1 bis B1. Band 2: Niveaustufe B2 bis C1 (Schülerbuch, Arbeitsbuch, 2 Audio-CDs, Gramma-tisches Beiheft,). Wiesbaden.
33Perspektiven der deutsch-slavischen Mehrsprachigkeit, 18.-19. März 2016
Einladung zur Konferenz
Potenziale von Herkunftssprachen: Sprachliche und außersprachliche
Einflussfaktoren
9.-10. September 2016Universität Leipzig
Dziękuję za uwagę.