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Page 1: Stasi - Mordpläne gegen R. Eppelmann - Spiegel

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Deutschland

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„Furchtbar schief gelaufen“Stasi-Offiziere wollten zwei prominente DDR-Bürgerrechtler

umbringen. Die Mordpläne sollen ungesühnt bleiben.

Verfolgte Eppelmann, Hirsch: „Was reinmische

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Der Informant war seriös. Dennochhielt Ralf Hirsch für ausgeschlos-sen, was ihm im August aus der

Berliner Polizei zugetragen wurde: Das Er-mittlungsverfahren gegen zwei Offizieredes Ministeriums für Staatssicherheit (MfS)der DDR, die in den achtziger JahrenMordpläne gegen ihn und den Ost-BerlinerPfarrer Rainer Eppelmann geschmiedethatten, stehe kurz vor der Einstellung.

Doch der Mann lag richtig: Am 3. Sep-tember legte die für die Verfolgung vonDDR-Unrecht zuständige Staatsanwalt-schaft II beim Landgericht Berlin das Ver-fahren mit dem Aktenzeichen 29 Js 114/94in aller Stille zu den Akten. „Bei der gegebenen Beweislage“, so Oberstaatsan-walt Helmut Altenbuchner-Königsdorfer in seinem Schlussvermerk, „ist ein zur An-klageerhebung nötiger Nachweis einerStraftat nicht zu erbringen.“

Damit sollen nach dem Willen der Justizdie heimtückischen Vorhaben gegen zweiprominente Bürgerrechtler der DDR un-gesühnt bleiben. Hirsch, 1986 Mitbegründerder Ost-Berliner „Initiative Frieden undMenschenrechte“, und Eppelmann, in den

-Berliner „Bluesmesse“ mit Eppelmann (r., 1

achtziger Jahren Pfarrer der evangelischenSamaritergemeinde in Friedrichshain,gehörten zu den führenden Figuren derkleinen Dissidentenszene. In Eppelmannsregimekritische „Bluesmessen“ kamentausende von Jugendlichen.

Die potenziellen Opfer der Stasi-Plänewurden über die Einstellung nicht einmalinformiert. Nicht die einzige Merkwürdig-keit: Schlamperei, mangelhafte Kommuni-kation zwischen Behörden und eine un-verständliche Lässigkeit im Umgang mit

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984): „Physische Vernichtung wurde einkalku

Stasi-Akten wäre bei den Ermittlungen of-fenbar an der Tagesordnung.

Schon die Tatsache, dass das Verfahrenerst 1994 eröffnet wurde, ist ein Armuts-zeugnis für die Ermittler, denn die Mord-pläne waren seit Dezember 1990 bekannt.Damals hatten SPIEGEL TV und der SPIE-GEL Auszüge aus einem Bericht der Zen-tralen Auswertungs- und Informations-gruppe (ZAIG) des MfS veröffentlicht. DerAnfang 1989 erstellte Report der Stasi-in-ternen Revisionstruppe befasste sich mitUnregelmäßigkeiten in der Abteilung XX/4(Kirche) der Bezirksverwaltung Berlin. Esging um Devisenvergehen, persönliche Be-reicherung und „Zersetzungsmaßnahmen“gegen Regimegegner, die selbst den in die-ser Hinsicht nicht zimperlichen Vorgesetz-ten zu weit gingen.

Um Eppelmann zu beseitigen, hattenzwei XX/4-Mitarbeiter, Major Edgar Hasseund Hauptmann Peter Kappis, laut ZAIG-Akten geplant, „einen Unfall herbeizu-

führen. Verletzungen bzw.physische Vernichtung vonEppelmann wurden einkalku-liert. Hierzu wurden mehrereVarianten geprüft (Radmut-tern lockern, in der KurveScheibe zerstören, vor derKurve Spiegel aufstellen)“.Für Ralf Hirsch war eine an-dere Todesart vorgesehen: DiePrüfer der ZAIG notierten„Gedankengänge“, dem Re-gimekritiker „in einer stren-gen Winternacht Alkohol ein-zuflößen, dass er erfriert“.

Auf die Veröffentlichungder Mordpläne reagierten weder die Staatsanwaltschaftnoch die Zentrale Ermitt-lungsstelle für Regierungs-und Vereinigungskriminalität(ZERV). Altenbuchner-Kö-nigsdorfer kann sich das nichterklären: „Die Pressestellestellt eigentlich immer alle füruns wichtigen Artikel zusam-men. Aber ich bin erst seit1995 hier, und es kann sein,dass es das 1990 noch nichtgegeben hat.“

Erst drei Jahre späterschöpfte die Justiz einen„Anfangsverdacht“. Am 24.Februar 1994 hatte ein Staats-anwalt eine Diskussionsver-anstaltung in der Gauck-Behörde besucht, auf der Rainer Eppelmann über dieAnschlagspläne berichtete.Der Mann tat seine Pflichtund erstattete Anzeige – vonAmts wegen.

Doch die Ermittler schaff-ten es in den fünf folgendenJahren nicht, ihren Verdachtzu erhärten. Nach Aktenlageliert“

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Ex-Major Hasse (1990) Beinahe das Privatleben ruiniert

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wäre es am nächsten liegend gewesen, dieAutoren des MfS-internen Untersuchungs-berichts zu vernehmen. Denn die warenzu dem Schluss gekommen, dass die Offi-ziere der Berliner Bezirksverwaltung „inschwerwiegender Form die Festlegungender Richtlinie Nr. 1/76, Ziff. 2.6. (Zerset-zungsmaßnahmen) verletzt“ hätten. Es sei-en sogar Handlungen begangen worden,„die Straftaten im Sinne des Strafgesetz-buches der DDR“ darstellten.

Grundlage dieser Einschätzung warenausführliche Verhöre von Hasse und Kap-pis, die ihre Mordpläne den Stasi-Verneh-mern nicht nur gestanden, sondern auchdetailliert schriftlich beschrieben hatten.

Doch auf die Idee, die Prüfer der ZAIGoffiziell zu vernehmen, kamen die Re-chercheure der ZERV und der Staatsan-waltschaft nicht. Lediglich mit einem derZAIG-Leute sei, so Altenbuchner-Königs-dorfer, unverbindlich „gesprochen“ wor-den. So liefen alle weiteren Bemühungenins Leere:π Die Beschuldigten nahmen die rechts-

staatliche Segnung des umfassendenAussage- und Zeugnisverweigerungs-rechts für sich in Anspruch;

π ein Stasi-Offizier aus einer anderen Ab-teilung, der ebenfalls an der Untersu-chung beteiligt war, konnte sich bei sei-ner Vernehmung angeblich an nichtsmehr erinnern;

π die Akten der Stasi-Disziplinarverfah-ren gegen Hasse und Kappis waren inder Gauck-Behörde angeblich nicht zufinden;

π andere Papiere konnten, mangels Deck-blatt, nicht richtig zugeordnet werdenoder waren, weil nicht handschriftlichunterzeichnet, juristisch nur einge-schränkt verwertbar.„Weiteres belastendes Material“, so

Oberstaatsanwalt Altenbuchner-Königs-dorfer in seiner Einstellungsverfügung,„konnte trotz intensivster Nachforschungbeim BStU (Bundesbeauftragten für dieUnterlagen des Staatssicherheitsdienstesder ehemaligen DDR –Red.) nicht beige-bracht werden“.

So ganz im Bilde kann er damals nichtgewesen sein. Im Matthias-Domaschk-Ar-chiv der Robert-Havemann-Gesellschaft,einem eingetragenen Verein, der aus derDDR-Bürgerbewegung hervorgegangen ist,lagern Kopien des handschriftlichen An-hangs der ZAIG-Akte 13748. Darin befindetsich ein Zettel, auf dem die Stichworte „be-soffen erfrieren,Auto anbohren – Leitung“und „Paket – was reinmischen in Flaschen“notiert sind. Die Unterlagen stammen ausder Gauck-Behörde. Frank Ebert, Mit-arbeiter des Domaschk-Archivs, hatte sievon dort ohne Schwierigkeiten bekommen.

Der Oberstaatsanwalt versicherte aufNachfrage des SPIEGEL, weder den Zettelnoch den Rest der handschriftlichen Noti-zen jemals gesehen zu haben. Altenbuch-ner-Königsdorfer: „Da muss irgendwas

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ganz furchtbar schief gelaufen sein.“ Nacheiner erneuten Durchsicht der Akten räum-te er ein, dass der Anhang „von ZERVwohl eingesehen und bearbeitet“ wordensei. Schriftvergleiche zur Feststellung derUrheber der Notizen seien jedoch nichtdurchgeführt worden.

Auch Ralf Hirsch wurde nie befragt. Da-bei hat er seine ganz persönlichen Ermitt-lungen bereits vor acht Jahren erfolgreichabgeschlossen. Monate nach der Veröf-fentlichung der Mordpläne hatte er sichdazu durchgerungen, die verantwortlichenStasi-Offiziere aufzusuchen und zur Redezu stellen. „Dass die mich im Knast habenwollten, konnte ich mir ja vorstellen“, soHirsch, „aber umbringen, das war schoneine andere Dimension.“

Am 17.April 1991 machte er sich auf denWeg zur Wohnung von Peter Kappis – inBegleitung eines Freundes, der vor der Türwarten sollte, „aus Sicherheitsgründen,denn die Sache saß mir ganz schön in denKnochen“. Die Vorsichtsmaßnahme erwiessich als überflüssig, Kappis war freundlichund bot ihm sogar ein Bier an.

Als Hirsch ihn auf das Mordkomplottansprach, stritt Kappis zunächst alles ab,lenkte dann aber ein und jammerte,dass Hirschs oppositionelle Aktivitätenbeinahe sein Leben und das des KollegenHasse ruiniert hätten: „Privatleben konn-ten wir uns abschminken. Immer wennwir frei hatten, sind Sie los, und wir mussten hinterher.“ Als dann noch seineFrau gedroht habe, ihn zu verlassen,hätten er und Hasse sich über „außer-gewöhnliche Maßnahmen“ Gedanken ge-macht.

Kappis: „Das müssen Sie doch verste-hen, Sie haben uns tyrannisiert.“

Gunther Latsch

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