Teil IV
Wechselstromtechnik
1
Kapitel 1
Periodische Funktionen
1.1 Darstellung von Winkelfunktionen
Eine Funktion f : R → R nennt man periodisch, wenn es ein T > 0 gibt, so dassder Funktionswert fur beliebige Punkte mit Abstand T gleich ist:
f(t) = f(t+ T ) fur alle t ∈ R.
Die Funktionswerte wiederholen sich also periodisch. Die Zahl T wird Perioden-dauer genannt.
Eine bekannte periodische Funktion ist z.B. die Sinusfunktion. Bei der Sinus-funktion f(t) = sin(t) ist die Periodendauer T = 2π. Die Funktionswerte variie-ren zwischen -1 und 1. Es ist f(0) = 0.
Sei f(t) = sin(ωt) mit Kreisfrequenz ω > 0. Hier ist 2π = ωT . Die Periodenlangeist also T = 2π
ω . Der Wert ω gibt also an, wieviele Perioden in einem Intervallder Lange 2π durchlaufen werden.
Fur 0 < ω < 1 wird die Periodenlange vergroßert,fur 1 < ω wird die Periodenlange verkleinert.
Aufgabe 1.1.1. Skizzieren Sie die Funktionen f1(t) = sin(2t) und f2(t) =sin(12 t).
Sei f(t) = sin(ωt+φ). Dann bezeichnet man φ als Phasenkonstante. Fur φ = π/2erhalt man die Cosinus-Funktion, d.h.
sin(ωt+ π/2) = cos(ωt).
Fur ω > 0 gilt:Ist φ < 0, so wird sin(ωt) um |φ|/ω nach rechts verschoben ,ist φ > 0, so wird sin(ωt) um |φ|/ω nach links verschoben.
Aufgabe 1.1.2. Skizzieren Sie f1(t) = sin(2t−π/2) und f2(t) = sin(12 t+π/2).
Bei der Funktion f(t) = a·sin(ωt+φ) bezeichnet man die Zahl |a| als Amplitude.Alle Funktionswerte von f(t) = sin(ωt+ φ) werden mit a multipliziert.
3
4 KAPITEL 1. PERIODISCHE FUNKTIONEN
Aufgabe 1.1.3. Zeichnen Sie die folgenden Funktionen jeweils in ein Koordi-natensystem ein. Verwenden sie dabei unterschiedliche Farben.
1. y = cos(t), y = 3 · cos(t), y = −1 + 3 · cos(t)
2. y = sin(t), y = sin(2t), y = 12 sin(2t)
3. y = sin(t), y = sin(12 t), y = 2 · sin(12 t)
4. y = cos(t), y = cos(1.5t), y = cos(1.5t− π/2)
5. y = cos(t), y = cos(t+ π/6), y = − cos(t+ π/6)
6. y = sin(2t), y = sin(−2t), y = sin(−2t+ π)
In der Elektrotechnik werden Funktionen haufig nicht bezuglich der Zeit t,sondern als Funktionen von ωt skizziert. Bei der Achsenskalierung ist hierbeiωT = 2π zu beachten. Es werden somit meist Vielfache von π zur Achseneintei-lung verwendet.
Aufgabe 1.1.4. Skizzieren Sie die folgenden Funktionen
a) f(t) = 2−sin(ωt), b) f(t) = 1/2+cos(2ωt), c) f(t) = 2+sin(ωt+π/4).
1.2 Additionstheoreme
Wir wollen nun die Funktion f(t) = 3 sin(t) + 4 cos(t) skizzieren. Die ersteMoglichkeit besteht darin, die Funktionen f1(t) = 3 sin(t) und f2(t) = 4 cos(t)in ein gemeinsames Koordinatensystem zu zeichnen, und die Funktionswerte anmoglichst vielen Stellen aufzuaddieren.
Die elegantere und exaktere Methode verwendet die Additionstheoreme:
sin(α+ β) = sin(α) cos(β) + cos(α) sin(β),
cos(α+ β) = cos(α) cos(β) − sin(α) sin(β).
Somit ist a · sin(ωt+φ) = a · sin(ωt) cos(φ)+ a · cos(ωt) sin(φ). Dies hat dieselbeStruktur wie f(t). Dabei ist ω = 1 und
3 = a · cos(φ) und 4 = a · sin(φ).
Unter Verwendung der Formel sin2(φ) + cos2(φ) = 1 erhalten wir
a2 cos2(φ) + a2 sin2(φ) = a2 = 32 + 42 = 25 =⇒ a = 5,
tan(φ) =a sin(φ)
a cos(φ)=
4
3=⇒ φ = 0.30π .
Also ist f(t) = 3 sin(t) + 4 cos(t) = 5 sin(t + 0.30π). Diese Funktion lasst sichleicht skizzieren.
1.3. INTEGRALRECHNUNG MIT ADDITIONSTHEOREMEN 5
Aufgabe 1.2.1. Berechnen Sie analog zum Beispiel die folgenden Funktionenund skizzieren Sie diese:
a) f(t) = sin(2t) + cos(2t) b) f(t) = 2 sin(t)− cos(t)
Aufgabe 1.2.2. Schreiben Sie folgende Funktionen
a) f(t) = sin(3t− π/3), b) f(t) = cos(t+ π/4)
in der Form f(t) = K1 sin(ωt) + K2 cos(ωt). Verwenden Sie die Additions-theoreme!
1.3 Integralrechnung mit Additionstheoremen
Bekanntlich sind die Ableitungen fur die Winkelfunktionen:
d
dtsin(t) = cos(t),
d
dtcos(t) = − sin(t) .
Mit der Kettenregel erhalt man somit
d
dtsin(ωt+ φ) = cos(ωt+ φ) · ω, d
dtcos(ωt+ φ) = − sin(ωt+ φ) · ω .
Fur die Integrale gilt umgekehrt:
ˆ
sin(t)dt = − cos(t) + C,
ˆ
cos(t)dt = sin(t) + C
bzw.
ˆ
sin(ωt+φ)dt = − cos(ωt+φ)· 1ω+C,
ˆ
cos(ωt+φ)dt = sin(ωt+φ)· 1ω+C.
Aufgabe 1.3.1. Berechnen Sie´
2 sin(2t)dt und ddt [t− cos(4t+ 1)].
Es sind z.B. zur Mittelwertbestimmung die Integrale von Winkelfunktionen zuberechnen. Dabei ist es haufig nutzlich, die Funktionen mit den Additionstheo-remen umzuformen.
sin(α+ β) = sin(α) cos(β) + cos(α) sin(β),
cos(α+ β) = cos(α) cos(β)− sin(α) sin(β).
Weiter gilt sin2(t) + cos2(t) = 1, sowie sin(−t) = − sin(t) und cos(−t) = cos(t).
6 KAPITEL 1. PERIODISCHE FUNKTIONEN
Aufgabe 1.3.2. Leiten Sie die Formeln
sin(2t) = 2 sin(t) cos(t)
cos(2t) = 1− 2 sin2(t) = 2 cos2(t)− 1
aus den Additionstheoremen her.
Die Umformungen sind nutzlich, um z.B. folgendes Integral zu berechnen:ˆ
sin2(t)dt =
ˆ
1
2(1−cos(2t))dt =
1
2
ˆ
dt− 1
2
ˆ
cos(2t)dt =1
2t− 1
4sin(2t)+C
Aufgabe 1.3.3. Berechnen Sie´
cos2(t)dt.
Wir wollen nun sin(3α) und cos(3α) berechnen. Es gilt:
sin(3α) = sin(α+ 2α) = sin(α) cos(2α) + cos(α) sin(2α)
= sin(α)[cos2 α− sin2(α)] + cos(α)[2 sin(α) cos(α)]
= 3 sin(α) cos2(α) − sin3(α) = 3 sin(α)(1 − cos2(α)) − sin3(α)
= 3 sin(α)− 4 sin3(α),
cos(3α) = cos(α+ 2α) = cos(α) cos(2α)− sin(α) sin(2α)
= cos(α)[cos2(α) − sin2(α)]− sin(α)[2 sin(α) cos(α)]
= cos3(α) − 3 sin2(α) cos(α) = cos3(α) − 3[1− cos2(α)] cos(α)
= 4 cos3(α) − 3 cos(α).
Wir erhalten hiermitˆ
sin3(x)dx =3
4
ˆ
sin(x)dx − 1
4
ˆ
sin(3x)dx = −3
4cos(x) +
1
12cos(3x) + C,
ˆ
cos3(x)dx =3
4
ˆ
cos(x)dx +1
4
ˆ
cos(3x)dx =3
4sin(x) +
1
12sin(3x) + C.
Desweiteren gilt:
sin(α) sin(β) =1
2(cos(α− β)− cos(α+ β)) ,
sin(α) cos(β) =1
2(sin(α− β) + sin(α+ β)) ,
cos(α) cos(β) =1
2(cos(α− β) + cos(α+ β)) .
Wir nutzen diese Formeln, um die Stammfunktionen der Funktionen
f(x) = sin(2x) sin(x) und g(x) = sin(5x) cos(4x)
1.4. ANWENDUNG: BERECHNUNG VON MITTELWERTEN 7
zu bestimmen (integrieren). Es istˆ
sin(2x) sin(x)dx =1
2
ˆ
cos(x)dx−
1
2
ˆ
cos(3x)dx =1
2sin(x)−
1
6sin(3x) + C,
ˆ
sin(5x) cos(4x)dx =1
2
ˆ
sin(x)dx+1
2
ˆ
sin(9x)dx = −
1
2cos(x)−
1
18cos(9x) +C.
Aufgabe 1.3.4. Berechnen Sie die Stammfunktionen fur
f(t) = sin(ωt) cos(2ωt), g(x) = cos(3x) cos(2x) .
1.4 Anwendung: Berechnung von Mittelwerten
Messgerate bestimmen bei Wechselspannungen u(t) mit Periodendauer T ent-weder den arithmetischen Mittelwert oder den sogenannten Effektivwert. Meistist ein Bruckengleichrichter eingebaut. Dann wird der Mittelwert als Gleich-richtwert bezeichnet.
arithmetischer Mittelwert (Gleichwert) u =1
T
ˆ T
0
u(t) dt
Gleichrichtwert |u| = 1
T
ˆ T
0
|u(t)| dt
Effektivwert U =
√
1
T
ˆ T
0
(u(t))2 dt
Fur die Sinusfunktion u(t) = sin(ωt) ist u = 0, |u| = 2π und U = 1/
√2 (siehe
Vorlesung GET 2).
Beispiel 1.4.1. Wir berechnen den arithmetischen Mittelwert, Gleichrichtwertund Effektivwert der Funktion u(t) = |u sin(12ωt)|.Es ist u(t) = u sin(12ωt) ≥ 0 mit der 1. Periode 0 ≤ ωt ≤ 2π. Fur die Peri-odenlange ist somit ωT = 2π.
u = |u| =1
T
ˆ T
0
u sin(1
2ωt) dt =
2u
ωT(− cos(
1
2ωt))
∣∣∣∣
T
0
=2u
ωT(− cos(
1
2ωT ) + cos(0)) =
2u
ωT(− cos(π) + cos(0)) =
4u
2π=
2u
π.
Man sieht hier, dass die Funktionen u(t) und |u sin(ωt)| qualitativ gleich sind.Entsprechendes gilt fur den Effektivwert, d.h. U = u/
√2.
Aufgabe 1.4.1. Berechnen Sie den arithmetischen Mittelwert, Gleichrichtwertund Effektivwert der beiden Funktionen (es ist jeweils eine Periode angegeben):
1. u(t) = 2t− 1 fur 0 ≤ t ≤ 2,
2. i(t) =
sin(ωt) fur 0 ≤ ωt < π,cos(ωt) fur π ≤ ωt < 2π .
8 KAPITEL 1. PERIODISCHE FUNKTIONEN
Aufgabe 1.4.2. Berechnen Sie den arithmetischen Mittelwert, Gleichrichtwertund Effektivwert der Funktion
u(t) =
u(2 · sin(12ωt)− 1
)fur 0 ≤ ωt < π,
u(2 · cos(12ωt) + 1
)fur π ≤ ωt < 2π .
Beispiel 1.4.2. Es seien die Funktionen
u1(t) = u1 cos(ωt+ φ1) und u2(t) = u2 cos(ωt+ φ2)
gegeben. Wir wollen den Effektivwert von u(t) = u1(t) + u2(t) berechnen.
Losung: Wir setzen in die Formel vom Effektivwert ein:
U2 =1
T
ˆ T
0
(u1(t) + u2(t))2 dt
=1
T
ˆ T
0
(u1(t))2 dt+
2
T
ˆ T
0
u1(t)u2(t) dt+1
T
ˆ T
0
(u2(t))2 dt
= U21 +
2
T
ˆ T
0
u1(t)u2(t) dt+ U22 .
Nun wenden wir die Additionstheoreme
cos(x + y) = cos(x) cos(y)− sin(x) sin(y) und
cos(x − y) = cos(x) cos(y) + sin(x) sin(y)
an, um die Formel
cos(x) cos(y) =1
2(cos(x + y) + cos(x− y))
zu erhalten. Mit dieser Formel folgt:
ˆ T
0
(u1(t)u2(t))dt = u1u2
ˆ T
0
cos(ωt+ φ1) cos(ωt+ φ2) dt
=u1u2
2
ˆ T
0
cos(2ωt+ φ1 + φ2) dt+u1u2
2
ˆ T
0
cos(φ1 − φ2) dt
= 0 +u1u2
2cos(φ1 − φ2) · T = U1U2 cos(φ1 − φ2) · T.
Also ist U2 = U21 + U2
2 + 2U1U2 cos(φ1 − φ2).
Aufgabe 1.4.3. Berechnen Sie den Effektivwert von u(t) = 3V cos(ωt) +4V sin(ωt+ π/6).
Kapitel 2
Komplexe Zahlen
2.1 Darstellung komplexer Zahlen
Komplexe Zahlen sind eine Erweiterung der reellen Zahlen. Sie werden z.B. zurBerechnung von Wechselstromschaltungen verwendet.
Die imaginare Einheit j ist definiert als eine formale Losung x1,2 =√−1 der
Gleichung x2 = −1. Also ist j2 = −1.
Als imaginare Zahl bezeichnet man das formale Produkt b·j mit b ∈ R. Fur dieseZahlen gilt (bj)2 = b2j2 = −b2, d.h. bj ist eine formale Losung der Gleichungx2 + b2 = 0.
Unter einer komplexen Zahl versteht man die formale Summe aus einer reellenund einer imaginaren Zahl z = a+ bj mit a, b ∈ R. a und b werden als Real-und Imaginarteil von z bezeichnet:
a = Re(z), b = Im(z).
C sei die Menge aller komplexen Zahlen.
Man kann den Realteil und den Imaginarteil einer komplexen Zahl z = x+yj alsPunkte (x, y) oder Pfeile
(xy
)in einer Ebene (Gaußsche Zahlenebene) darstellen.
Die reellen Zahlen (y=0) entsprechen dann den Punkten auf der x-Achse. Dieimaginaren Zahlen entsprechen den Punkten auf der y-Achse.
Aufgabe 2.1.1. Stellen Sie die folgenden komplexen Zahlen als Punkte/Zeigerin der Gaußschen Zahlenebene dar:
z1 = 7+2j, z2 = 2j, z3 = −3, z4 = 7−2j, z5 = −7+2j, z6 = −1−j .
Da man Punkte (x, y) in der Ebene durch ihre Polarkoordinaten r und φ cha-rakterisieren kann, ist dies auch fur komplexe Zahlen moglich. Es ist
x = r · cos(φ) und y = r · sin(φ).
9
10 KAPITEL 2. KOMPLEXE ZAHLEN
Ist x = r · cos(φ) und y = r · sin(φ), dann heißt |z| := r Betrag und arg z := φ
Argument der komplexen Zahl z = x+ jy. Dabei gilt r =√
x2 + y2 und
φ = 2 · arctan(
y
x+ r
)
falls x+ r 6= 0 ist.
Der Fall x+ r = 0 tritt fur x < 0 und y = 0 auf. Dann ist φ = 180 = π.
Aufgabe 2.1.2. Bestimmen Sie Betrag und Argument fur die komplexen Zahlen
z1 = −2− 4j, z2 = 1− j, z3 = −3 + 5j, z4 = 3j .
Mit der Euler-Formel ejφ = cos(φ) + j · sin(φ) kann man nun schreiben:
z = x+ jy = r cos(φ) + j · r sin(φ) = r(cos(φ) + j · sin(φ)) = rejφ.
Darstellungsformen von komplexen Zahlen sind somit:
1. Algebraische/kartesische Form: z = x+ jy
2. Trigonometrische Form: z = r cos(φ) + j · r sin(φ)
3. Exponentialform: z = r · ejφ
Aufgabe 2.1.3. Rechnen Sie in kartesische Form bzw. in Exponentialform um:
z1 = 3 · ej·45 , z2 = 2 · ej·π/6, z3 = 4 · e−j·120
z4 = −2− 2j, z5 = −√6 +
√3j, z6 = 5j .
Die komplexe Zahl z∗ = x − jy heißt die zu z = x + jy konjugiert komplexeZahl. In Exponentialdarstellung gilt:
z = r · ejφ =⇒ z∗ = r · e−jφ.
2.2 Grundrechenarten
Seien z1 = x1 + jy1 und z2 = x2 + jy2 zwei komplexe Zahlen. Dann ist
z1 + z2 := (x1 + x2) + j(y1 + y2),
z1 − z2 := (x1 − x2) + j(y1 − y2).
Liegen z1 und z2 in Exponentialform vor, so mussen sie in kartesische Formumgerechnet werden bevor man sie addieren/subtrahieren kann. Stellt man dieSummanden als Pfeile in der Gaußschen Ebene dar, dann entspricht die Addi-tion/Subtraktion der Addition von Vektoren.
Aufgabe 2.2.1. Zeigen Sie z + z∗ = 2Re(z) und z − z∗ = 2jIm(z).
2.2. GRUNDRECHENARTEN 11
Die Multiplikation/Division lasst sich am einfachsten mit der Exponentialformberechnen.
Seien z1 = r1 · ej·φ1 und z2 = r2 · ej·φ2 zwei komplexe Zahlen. Dann ist
z1 · z2 := r1r2 · ej(φ1+φ2),z1z2
:=r1r2
· ej(φ1−φ2).
Bei der Multiplikation (Division) werden also die Betrage multipliziert (divi-diert) und die Argumente addiert (subtrahiert). Fur die Multiplikation mit derkonjugiert komplexen Zahl erhalt man somit
z · z∗ = (r · ejφ) · (r · e−jφ) = r2 · ej·(φ−φ) = r2 = |z|2.
In kartesischen Koordinaten verwendet man die Beziehung j2 = −1. Es gilt
(x1 + jy1)(x2 + jy2) = x1x2 − y1y2 + j(x1y2 + x2y1).
Bei der Division in kartesischer Darstellung erweitert man den Bruch mit derkonjugiert komplexen Zahl des Nenners:
x1 + jy1x2 + jy2
=(x1 + jy1)(x2 − jy2)
(x2 + jy2)(x2 − jy2)=
x1x2 + y1y2x22 + y22
+ jx2y1 − x1y2x22 + y22
.
Aufgabe 2.2.2. Berechnen Sie mit den komplexen Zahlen z1 = −2j, z2 = 2+4jund z3 = −1 + j die folgenden Terme:
a) z1 − z2 + 3z3, b) z1z∗2, c)
z∗1z2z3
,
d) z1(2z∗2 − z∗1), e)
z1 + z2z∗3
, f)z1 + z∗3z∗2z3
.
Aufgabe 2.2.3. Berechnen Sie
a)50j
3− 4j+ 2 · e−j·30 +
√2 · ej·45 ,
b)(√3 + j)e−j·120
(1− j)2 · (2j)∗ +2ej·90
e−jπ.
Haufig muss der Betrag einer komplexen Zahl berechnet werden. Dabei konnenfolgende Regeln hilfreich sein:
1. |z| ≥ 0, |z| = 0 ⇔ z = 0
2. |z|2 = z · z∗
3. | − z| = |z| und |z∗| = |z|
4. |z1 · z2| = |z1| · |z2|
5.∣∣∣1z
∣∣∣ = 1
|z| fur z 6= 0
6. |z1 + z2| ≤ |z1|+ |z2|
12 KAPITEL 2. KOMPLEXE ZAHLEN
Aufgabe 2.2.4. Es seien z1 = −2j, z2 = 2 + 4j und z3 = −1 + j gegeben.
Berechnen Sie die Betrage der komplexen Zahlen z2 · z3,z1 · z∗2z3
undz1
z∗1 · z3.
2.3 Anwendung: Darstellung von Schwingungen
Sei u(t) = u cos(ωt + φ) eine Wechselspannung. Dann ist u(t) der Realteil derkomplexen Spannung
u(t) = uej(ωt+φ) = uejφejωt.
Die komplexe Funktion u(t) ist das Produkt der komplexen Zahl
u = uejφ ... komplexe Amplitude
mit der Zeitfunktion ejωt, d.h. der Zeiger der komplexen Amplitude wird mitder Kreisgeschwindigkeit ω in der Gaußschen Zahlenebene gedreht.
Uberlagerung gleichfrequenter Schwingungen:
Seien u1(t) = u1 cos(ωt+φ1) und u2(t) = u2 cos(ωt+φ2) zwei Wechselspannun-gen. Dann entspricht u(t) = u1(t)+u2(t) dem Realteil der komplexen Spannung
u(t) = u1(t) + u2(t) = u1ej(ωt+φ1) + u2e
j(ωt+φ2) = (u1ejφ1 + u2e
jφ2)ej(ωt)
= (u1 + u2)ej(ωt) = uej(ωt) = uejφej(ωt) = uej(ωt+φ).
Die komplexen Amplituden werden addiert. Die Zeitfunktion bleibt gleich.
Beispiel 2.3.1 (Uberlagerung gleichfrequenter Wechselspannungen). Wir ad-dieren:
u1(t) = 100V · cos(ωt),
u2(t) = 200V · cos(ωt+ 5
6π),
u3(t) = 100V · sin(ωt).
Dann sind die komplexen Spannungen:
u1(t) = 100V · ej(ωt),
u2(t) = 200V · ej(ωt+ 56π),
u3(t) = 100V · ej(ωt−π
2).
Wir haben also die folgenden komplexen Amplituden:
u1 = 100V = 100V = 100V,
u2 = 200V · ej( 56π) = 200V (cos(56π) + j sin(56π)) = 200V (−
√32 + j
2 ),
u3 = 100V · e−j(π
2) = 100V (cos(−π
2 ) + j sin(−π2 )) = 100V (−j).
Die resultierende komplexe Amplitude ist somit
u = u1 + u2 + u3 = 100V · (1−√3) ≈ −73.2V.
Wir haben also eine Amplitude u = 73.2V und die Phasenverschiebung φ = π.Es ist somit u(t) = 73.2V cos(ωt+ π).
2.4. ANWENDUNG: KOMPLEXE WIDERSTANDE 13
Beispiel 2.3.2. Wir addieren
u1(t) = 3V · cos(ωt),
u2(t) = 4V · sin(ωt+ 1
6π).
Dann sind die komplexen Spannungen:
u1(t) = 3V · ej(ωt),
u2(t) = 4V · ej(ωt+ 16π− 1
2π) = 4V · ej(ωt− 1
3π).
Wir haben also die folgenden komplexen Amplituden:
u1 = 3V = 3V = 3V,
u2 = 4V · ej(− 13π) = 4V (cos(− 1
3π) + j sin(− 13π)) = 4V (12 − j
√32 ).
Die resultierende komplexe Amplitude ist
u = u1 + u2 = 3V + 2V − j · 2√3V = 5V − j · 2
√3V.
Wir haben also eine Amplitude u =√25 + 12V ≈ 6.08V und die Phasenver-
schiebung φ = −34.7 = −0.19π. Es ist somit u(t) = 6.08V cos(ωt− 0.19π).
Aufgabe 2.3.1. Geben Sie die resultierende Amplitude und Phasenverschie-bung an fur
1. u(t) = 3V cos(ωt+ π/3) + 1V cos(ωt+ π/4),
2. u(t) = 1V sin(ωt+ π/4) + 4V cos(ωt− π/3),
3. u(t) = −√2V sin(ωt+ π/4) + 5V sin(ωt).
2.4 Anwendung: Komplexe Widerstande
Bei Wechselstromen wird fast immer mit komplexen Widerstanden gerechnet.Sei an einem Bauteil u(t) = u cos(ωt+φu) und i(t) = i cos(ωt+ φi). Dann wirddas Verhaltnis
Z =u
i=
uejφu
iejφi
=u
iej(φu−φi)
als komplexer Widerstand (Impedanz) bezeichnet. Er gibt Amplitudenanderungund Phasenverschiebung an. Meist wird mit Effektivwerten gerechnet:
U =u√2
→ U := Uejφu =u√2,
I =i√2
→ I := Iejφi =i√2,
d.h. Z = UI . Analoges gilt fur den komplexen Leitwert (Admittanz) Y = 1/Z.
Die Impedanzen fur den ohmschen Widerstand, Kondensator und Spule lautenwie folgt:
14 KAPITEL 2. KOMPLEXE ZAHLEN
R Z = R U = IR Y = 1/R I = U/R
φu = φi φi = φu
C Z = −jωC U = I
ωC Y = jωC I = UωC
φu = φi − π2 φi = φu + π
2
L Z = jωL U = IωL Y = −jωL I = U
ωL
φu = φi +π2 φi = φu − π
2
Dabei ist [ωC] = 1sF = 1
sAsV = 1
Ω , [ωL] =1sH = 1
sV sA = Ω
Mit diesen Impedanzen wird analog zu Gleichstromnetzwerken gerechnet. AlleGroßen sind jetzt jedoch komplex. Soll mit dem Betrag einer komplexen Großegerechnet werden, wird oftmals einfach der Unterstrich weggelassen.
Beispiel 2.4.1. Berechnen Sie den Gesamtwiderstand, den Gesamtstrom unddie Teilstrome:
R = 800Ω
L = 1H
C = 5µF
f = 50Hz
U = U = 1000VL
R
C
-I3
-I2
-I1
-I
Losung: Es ist
I1 = U · 1
R= 1.25A
I2 = U · jωC = j · 1.57A
I3 = U · −j
ωL= −j · 3.18A.
Also
I = I1 + I2 + I3= 1.25A− j · 1.61A= 2.04A · e−0.29π·j.
Der Effektivwert ist also 2.04A und diePhasenverschiebung −0.29π = −52.
6
-
I2
I3
I1
I
-
6
?
w
Fur den Gesamtleitwert und Gesamtwiderstand erhalten wir
Y =1
R+ jωC − j
ωL= (0.00125− j · 0.00161) 1
Ω= 0.00204
1
Ωe−0.29π·j,
Z =1
Y=
Ω
0.00204e+0.29π·j = 490.2Ωe+0.29π·j = 300.45Ω+ j · 387.33Ω.
Aufgabe 2.4.1. Gesucht sind fur folgende Schaltung die Teilspannungen, Teil-strome, der Gesamtwiderstand und der Gesamtstrom.
2.5. WEITERE ANWENDUNGEN 15
R
L
C
R = 1200Ω, C = 2µF, L = 0.8H,
ω = 500 s−1, U = 1000V
Aufgabe 2.4.2. Gesucht sind fur folgende Schaltung die Teilspannungen, Teil-strome, der Gesamtwiderstand und der Gesamtstrom.
R1
L
R2
C
R1 = R2 = 200Ω,C = 10µF, L = 0.5H,ω = 500 s−1, U = 1000V
2.5 Weitere Anwendungen
Wenn man sich die Untersuchungen zu Gleichstromnetzen ansieht, dann ist klar,dass es neben der einfachen Netzwerkanalyse noch weitere Anwendungen vonkomplexen Zahlen in der Wechselstromtechnik gibt. Einige wenige davon sollenhier kurz angegeben werden. Weitere Anwendungen werden spater vorgestellt.
Es werden die Unterstriche weggelassen, wenn die Betrage von komplexen Zah-len gemeint sind.
2.5.1 Leistungsberechnung
Seien U und I die komplexen Effektivwerte von Spannung bzw. Strom an einemBauteil mit Impedanz Z und Admittanz Y . Dann heißt:
S = U · I∗ komplexe Scheinleistung,P = Re(S) Wirkleistung,Q = Im(S) Blindleistung
am Bauteil. Es gilt S = P + jQ und S = U2Y ∗ = I2Z. Fur die Wirkleistunggilt auch P = UI cos(φ), wobei φ die Phasenverschiebung zwischen Strom undSpannung ist. Der Faktor cos(φ) = P/S heißt auch Leistungsfaktor.
Beispiel 2.5.1. Es sei ein Bauteil gegeben mit Z = 3Ω − 4jΩ und der anlie-genden Spannung U = 10V . Wir wollen die Wirk- und Blindleistung berechnen.
Es gilt Y = (3 + 4j)/25Ω. Somit ist
S = U2Y ∗ = 100V 2 · (3− 4j)/25Ω = (12− 16j)V A.
Die Wirkleistung betragt also P = 12V A = 12W . Die Blindleistung ist Q =−16V A = −16var.
Aufgabe 2.5.1. An einem Bauteil liegen die Spannung U = (10 + 20j)V undder Strom I = (2− j)A an. Berechnen Sie die Wirkleistung.
16 KAPITEL 2. KOMPLEXE ZAHLEN
2.5.2 Dreiphasensysteme
Dreiphasensysteme sind Wechselstromnetzwerke, bei denen drei gleichfrequenteSpannungsquellen in Dreiecks- oder Sternform angeordnet sind. Die generiertenSpannungen haben die spezielle Form
U q1 = U0, U q2 = U0 · ej·120
, U q3 = U0 · ej·240
.
Die Berechnung von Stromen, Spannungen usw. kann ganz normal mit Hilfe derKirchhoffschen Regeln oder mit der Umlaufanalyse erfolgen. Durch die speziel-le Form der generierten Spannungen, konnen Formeln jedoch besonders leichtumgeformt und vereinfacht werden.
Es sei a := ej·120
.
Aufgabe 2.5.2. Zeigen Sie, dass folgende Formeln gelten:
a2 := ej·240
= a∗, a3 = 1, 1 + a+ a2 = 0.
Beispiel 2.5.2. Gegeben sei folgende Schaltung
∼
∼
∼
U q1
U q2
U q3
Z12
Z23
Z13
-
-
-
I3
I2
I1
??
?
mit
Z12 = R,
Z23 = R · a2,Z13 = R · a.
Der Strom I1 ist die Summe der Strome uber Z12 und Z13. Es ist
I12 =Uq1 − Uq2
Z12
=U0(1− a)
R,
I13 =Uq1 − Uq3
Z13
=U0(1− a2)
Ra=
U0(1− a2)a2
R=
U0(a2 − a)
R.
Wir erhalten
I1 = I12 + I13 =U0(1− a)
R+
U0(a2 − a)
R=
U0(1 + a2 − 2a)
R=
−3aU0
R.
Aufgabe 2.5.3. Berechnen Sie fur das Beispiel 2.5.2 die Strome I2 und I3.
Kapitel 3
Ortskurven
3.1 Definition und einfache Beispiele
In der Elektrotechnik wird haufig das Verhalten einer Schaltung in Abhangigkeitvon einer variablen Große (z.B. Frequenz, ohmscherWiderstand, Kapazitat eineseingefugten Kondensators) untersucht. Bei variablen Frequenzen wird dies u.a.zur Abschatzung von Resonanzen verwendet.
Wenn man eine Reihenschaltung von einem ohmschen Widerstand R und einerSpule mit Induktivitat L betrachtet, dann ist die Impedanz
Z(ω) = R+ jωL
abhangig von der Kreisfrequenz ω ∈ [0,∞). Jedem ω ≥ 0 ist eine komplexe ZahlZ zugeordnet. Diese kann man jeweils in die Gaußsche Zahlenebene einzeichnen.Dabei ist der Realteil R konstant und der Imaginarteil hangt linear von ω ab.Man erhalt als Funktionsbild einen Strahl in der Gaußschen Ebene.
-
6
Re(Z)
Im(Z)
R
ω = R/L
ω = 0
6ω → ∞
R
Eine von einer reellen Zahl t ∈ [a, b] abhangige komplexe Zahl
z(t) = x(t) + jy(t), t ∈ [a, b]
entspricht einer komplexwertigen Funktion. Zeichnet man die Zahlen z(t) furalle Werte t in die Gaußsche Zahlenebene ein, so erhalt man eine Kurve. Diesenennt man Ortskurve der Funktion z(t).
17
18 KAPITEL 3. ORTSKURVEN
Beispiel 3.1.1. 1. Die Ortskurve der Funktion z(a) = a + jb mit a ∈ R
ist eine Gerade parallel zur reellen Achse. Der Schnittpunkt mit der Ima-ginarachse ist (0, b) wegen z(0) = jb.
2. Die Ortskurve der Funktion z(t) = a + jb/t mit t > 0 ist der Teil einerGeraden parallel zur imaginaren Achse, der im 1. Quadranten liegt.
3. Die Ortskurve der Funktion z(t) = at + jbt mit t ∈ R ist eine Geradedurch den Nullpunkt und den Punkt (a, b), denn z(1) = a+ bj.
Aufgabe 3.1.1. Zeichnen Sie die Ortskurven fur folgende Funktionen:
1. Z(R) = R+ jωL, (R ≥ 0)
2. Y (C) = 1R + jωC, (C ≥ 0)
3. Y (R) = 1R + jωC, (R > 0)
4. Y (ω) = 1R − j 1
ωL . (ω > 0)
Welche Schaltungen werden mit obigen Funktionen beschrieben?
3.2 Inversion von einfachen Ortskurven
In der Elektrotechnik mussen haufig Ortskurven invertiert werden, z.B. wenn dieOrtskurve der Impedanz Z einer Schaltung bekannt ist, man jedoch die Admit-tanz Y = 1/Z untersuchen mochte. Es geht also nicht um eine Umkehrfunktion,sondern um die Funktion (z(t))−1 := 1
z(t) .
Es konnen die Rechenregeln fur komplexe Zahlen angewendet werden.
Sei z = r · ejφ. Dann ist z−1 =1
z=
1
r · ejφ = r−1 · e−jφ, d.h. es erfolgt
• eine Kehrwertbildung des Betrags,
• Vorzeichenwechsel beim Winkel bzw. Spiegelung an der reellen Achse.
Beispiel 3.2.1. Es sei R = 0.5Ω und L = 0.5H bei einer Reihenschaltung vonohmschen Widerstand und Spule. Sei ω0 = 1s−1. Dann ist
-
6
Y (ω)−S
S 2SIm(Y )
Re(Y )Y (0) = 2S, (S = 1/Ω)
Y (ω0) = 1S − jS,
Y (2ω0) = 0.4S − 0.8jS,
Y (3ω0) = 0.2S − 0.6jS,
Y (4ω0) =2
17S − 8j
17S.
Man sieht durch Verbinden der Punkte, dass die Ortskurve von Y einem Halb-kreis entspricht.
3.2. INVERSION VON EINFACHEN ORTSKURVEN 19
In der Praxis sind Ortskurven oft Teil von Geraden oder Kreisen. Bei gleicherAchseneinteilung konnen dann folgende Inversionsregeln angewendet werden.
1. Gerade durch den Nullpunkt → Gerade durch den Nullpunkt
2.Gerade, die nicht durch den Null-punkt verlauft
→ Kreis durch den Nullpunkt
3. Mittelpunktskreis → Mittelpunktskreis
4. Kreis durch den Nullpunkt → Gerade, die nicht durch den Null-punkt verlauft
5.Kreis, der nicht durch den Null-punkt verlauft
→ Kreis, der nicht durch den Null-punkt verlauft
Insbesondere im 5. Fall oder wenn nur Teile von Geraden/Kreisen invertiertwerden, sind noch folgende Regeln hilfreich:
• Der Punkt mit dem kleinsten Betrag einer Ortskurve wird invertiert zumPunkt mit dem großten Betrag, und umgekehrt.
• Punkte oberhalb der reellen Achse werden invertiert zu Punkten unterhalbder reellen Achse, und umgekehrt.
Nachweis: Ist z = x+ jy und z−1 = u+ jv, so gilt
u =x
x2 + y2, v =
−y
x2 + y2bzw. x =
u
u2 + v2, y =
−v
u2 + v2.
1.Fall (ax+ by = 0): Dann ist
au− bv = ax
x2 + y2− b
−y
x2 + y2=
ax+ by
x2 + y2= 0,
d.h. das Bild ist eine Gerade durch den Nullpunkt.
2.Fall (ax+ by = 1): Dann ist
au− bv = ax
x2 + y2− b
−y
x2 + y2=
1
x2 + y2= u2 + v2.
Dies entspricht einem Kreis durch den Nullpunkt mit Mittelpunkt bei (a/2,−b/2).
3.Fall (x2 + y2 = c2): Dann ist u2 + v2 = 1
x2+y2 = 1
c2.
4.Fall (x2− ax+ y2
− by = 0): Dann ist
au− bv = ax
x2 + y2− b
−y
x2 + y2=
ax+ by
x2 + y2= 1.
Dies ist die Abschnittsform einer Geraden, die nicht durch den Nullpunkt geht.
5. Fall (x2− ax+ y2
− by = c): Dann ist
au− bv =ax+ by
x2 + y2= 1−
c
x2 + y2= 1− cu2
− cv2.
Wir haben wieder eine Kreisgleichung. Der Kreis geht nicht durch den Nullpunkt.
20 KAPITEL 3. ORTSKURVEN
Aufgabe 3.2.1. Zeichnen Sie fur t ∈ R die Ortskurve von (z(t))−1 fur
z(t) = −tj, z(t) = 1− tj, z(t) = 2− tj.
Aufgabe 3.2.2. Invertieren Sie folgende Kreise in der Gaußschen Zahlenebene:
1. Mittelpunkt (0, 0), Radius 2,
2. Mittelpunkt (1, 1), Radius√2,
3. Mittelpunkt (0.5, 0), Radius 1.5,
4. Mittelpunkt (2, 2), Radius√2.
3.3 Spiegelung am Einheitskreis
Wenn eine Ortskurve invertiert wird, konnen einzelne Punkte z = r · ejφ meisteinfach ihrem Bild z−1 = r−1 · e−jφ zugeordnet werden, indem beachtet wird,dass der Winkel nur sein Vorzeichen wechselt.
Ist die zu invertierende Ortskurve z(t) jedoch weder Teil einer Geraden nocheines Kreises, dann muss die Inversion punktweise erfolgen. Es werden einzelneParameterwerte t ∈ T ausgewahlt, fur welche die Werte z−1(t) berechnet wer-den. Die Ortskurve der Funktion (z(t))−1 wird mit Hilfe der Punkte (z(t))−1,t ∈ T , approximiert.
Die Punkte (z(t))−1, t ∈ T , konnen auch mit einem geometrischen Verfahrenkonstruiert werden, welches als
”Spiegelung am Einheitskreis“ bezeichnet
wird.
Man unterscheidet, ob der zu invertierende Punkt z 6= 0 auf, innerhalb oderaußerhalb des Einheitskreises liegt.
1. Liegt ein Punkt z auf dem Einheitskreis, so erhalt man z−1 durch Spiegelungan der reellen Achse.
2. Sei z innerhalb des Einheitskreises. Dann werden folgende Konstruktions-schritte durchgefuhrt.
• z und der Nullpunkt werden in der Gaußschen Ebene durch eine Geradeg verbunden.
• Es wird auf g eine senkrechte Gerade durch z konstruiert. Es sei S einerder Schnittpunkte mit dem Einheitskreis.
• In S wird die Tangente t an den Einheitskreis konstruiert.
• Der Schnittpunkt der Tangente t mit g ist 1/z∗.
• Wir erhalten 1/z durch Spiegelung von 1/z∗ an der reellen Achse.
3.3. SPIEGELUNG AM EINHEITSKREIS 21
-
6
z
gS
t
1/z∗
1/z
1
1
Im
Re
3. Sei z außerhalb des Einheitskreises. Dann werden folgende Konstruktions-schritte durchgefuhrt.
• z und der Nullpunkt werden in der Gaußschen Ebene durch eine Geradeg verbunden.
• Es werden von z aus zwei Tangenten an den Einheitskreis konstruiert(Konstruktion mit Thaleskreis k). Die Beruhrungspunkte nennen wir S1
und S2.
• Die Gerade durch S1, S2 schneidet g in 1/z∗.
• Wir erhalten 1/z durch Spiegelung von 1/z∗ an der reellen Achse.
-
6
1/z∗
gS1
S2
z
1/z
1
1
Im
Re
k
Aufgabe 3.3.1. Invertieren Sie die folgenden komplexen Zahlen geometrischmittels Spiegelung am Einheitskreis:
z1 = ej·45
, z2 = 0.5, z3 = 1 + j.
Achten Sie darauf, dass bei beiden Achsen die Achseneinteilung gleich ist.
22 KAPITEL 3. ORTSKURVEN
3.4 Zur Konstruktion von Ortskurven
Viele Ortskurven in der Elektrotechnik konnen schrittweise aus einfacheren Kur-ven konstruiert werden. Dabei werden meist folgende Operationen verwendet:
1. Addition einer Konstanten: Dies entspricht einer Verschiebung in derGaußschen Ebene.
2. Multiplikation mit einer Konstanten: Dies entspricht einer zentri-schen Streckung.
3. Inversion der Ortskurve: Ist die Ortskurve Teil eines Kreises oder einerGeraden, so ist dies einfach (siehe Kapitel 3.2). Sonst muss die Konstruk-tion punktweise erfolgen.
4. Addition zweier Ortskurven: Die Punkte z1(t) + z2(t) werden fur allet geometrisch addiert.
Um die Konstruktion einfach ausfuhren zu konnen, mussen die Funktionsglei-chungen haufig umgeschrieben werden.
Beispiel 3.4.1. Wir betrachten die Impedanz Z(ω) fur folgende Parallelschal-tung:
R1
R2 L
Dann gilt
Z(ω) =R1(R2 + jωL)
R1 +R2 + jωL=
11
R1+
1
R2 + jωL
.
Die erste Darstellung der Impedanz ist fur die Konstruktion der Ortskurve un-geeignet, weil der Parameter ω sowohl im Nenner als auch Zahler des Bruchessteht.
In der zweiten Darstellung (Kettenbruch) wird der Parameter ω nur einmalverwendet. Mit ω ∈ [0,∞) konnen wir die Ortskurve mit der zweiten Darstellungschrittweise wie folgt konstruieren:
1. Z1(ω) = R2 + jωL: Dies entspricht einer zur Imaginarachse parallelenHalbgerade im 1. Quadranten.
2. Y 2(ω) = 1Z
1(ω) = 1
R2+jωL : Durch Inversion (2.Fall) erhalten wir einen
Halbkreis im 4. Quadranten durch den Nullpunkt.
3. Y 3(ω) =1R1
+ 1R2+jωL : Die Ortskurve Y 2 wird um den Wert 1/R1 nach
rechts verschoben. Das Bild der Ortskurve ist ein Halbkreis im 4. Qua-dranten, geht jedoch nicht durch den Nullpunkt.
3.4. ZUR KONSTRUKTION VON ORTSKURVEN 23
4. Z(ω) = 1Y
3(ω) : Wir erhalten einen Halbkreis im 1. Quadranten (siehe
5.Fall der Inversionsregeln).
-
6
R2
ω = 0
↑ ω →∞ Z1 -6 1
R2
ω = 0
←ω →∞
Y 2
-6 1
R1+ 1
R2
1R1
ω = 0
←ω →∞
Y 3
-
6
R1R2R1+R2
R1
ω = 0↓ω → ∞
Z
Wenn in einer Schaltung der Parameter in der Impedanz/Admittanz von nureinem Bauteil auftritt, so wird die Ortskurve ausgehend von diesem Bauteilkonstruiert. In jedem Schritt wird dann die betrachtete Schaltung erweitert.Die einzelnen Schritte werden so klein wie moglich gewahlt.
Aufgabe 3.4.1. Gegeben sei folgende Schaltung:
R1
R2
C
1. Es seien R1 = 50Ω, R2 = 100Ω und C = 1µF = 10−6As/V gegeben.
(a) Konstruieren Sie die Ortskurve der Impedanz Z(ω) mit ω ∈ [0,∞).
(b) Bestimmen Sie Z(ω1) fur ω1 = 104s−1 durch Berechnen/Ablesen ausder Ortskurve.
2. Es seien R1 = 50Ω, C = 1µF = 10−6As/V und ω = 104s−1 gegeben.
(a) Konstruieren Sie die Ortskurve der Impedanz Z(R2) mit R2 ∈ [0,∞).
(b) Bestimmen Sie die Ortskurve fur den eingeschrankten Bereich R2 ∈[100Ω, 200Ω].
Aufgabe 3.4.2. Gegeben sei folgende Schaltung:
R1
R2 C
L
R2 = R
ωL = R1
ωC= R
Konstruieren Sie die Ortskurve der Impedanz Z(R1) mit R1 ∈ [0,∞).Wie verandert sich die Ortkurve, wenn wir R2 = 2R setzen?
24 KAPITEL 3. ORTSKURVEN
Wird ein Parameter zur Beschreibung von mehreren Bauteilen einer Schaltungbenotigt, zerlegt man die Schaltung so, dass maximal jeweils ein derartiges Bau-teil in diesen Teilschaltungen enthalten ist. Fur diese bestimmt man die Orts-kurven, welche anschließend mittels punktweiser Betrachtung zur Ortskurve derGesamtschaltung zusammengefugt werden.
Beispiel 3.4.2. Wir betrachten die Schaltung
R1
R2 L2
L1
mit R1 = 2R, R2 = R, L1 = L und L2 = 2L. Anstelle des Parameters ωverwenden wir Ω = ωL ∈ [0,∞). Wir wollen die Ortskurve der AdmittanzY (Ω) bestimmen. Hierfur werden zunachst die Ortskurven von Z1(Ω) und Z2(Ω)fur die beiden parallelen Zweige bestimmt. Dabei sei Ω0 = R/2, Ω1 = R undΩ2 = 2R.
-
6
↑ ↑Z2(Ω) Z1(Ω)
R 2R
R
2R
Ω0
Ω1
Ω0
Ω1
Ω2
Im
Re
Z1(Ω) = 2R+ jΩ
Z2(Ω) = R+ j2Ω
Die Kurven Z1(Ω) und Z2(Ω) werden nun invertiert. Wir erhalten zwei Halb-kreise Y 1(Ω) und Y 2(Ω). Diese werden nun punktweise addiert (siehe Additionkomplexer Zahlen).
-6 1/(2R) 1/R 3/(2R)
Y 2Y 1 ↓↓
Ω2
Ω1
Ω0
Ω0Ω1
Ω2
Ω2
Ω1
Ω0
Y = Y 1 + Y 2↓
Die Ortskurve von Y (Ω) = Y 1(Ω) + Y 2(Ω) ist nicht Teil eines Kreises odereiner Geraden. Wenn nun noch die Impedanz Z(Ω) = 1/Y (Ω) berechnet werdensoll, muss die Invertierung punktweise erfolgen.
Kapitel 4
Kurvendiskussion
4.1 Motivation
Eine von einer reellen Zahl t ∈ [a, b] abhangige komplexe Zahl
z(t) = x(t) + jy(t) = r(t) · ejφ(t), t ∈ [a, b]
entspricht einer komplexwertigen Funktion. Zeichnet man die Zahlen z(t) furalle Werte t in die Gaußsche Zahlenebene ein, so erhalt man die Ortskurveder Funktion z(t). Wie man eine derartige Ortskurve konstruiert, haben wir inKapitel 3 diskutiert.
Aus diesen Ortskurven konnen wichtige Eigenschaften der Funktion abgelesenwerden. Insbesondere, wenn die Konstruktion der Ortskurve einfach ist, konnenmit Hilfe der Ortskurve umfangreiche Berechnungen vereinfacht oder sogar ver-mieden werden.
Wichtige Eigenschaften der Funktion z(t) = x(t) + jy(t) = r(t) · ejφ(t) konnenauch durch die Untersuchung der reellwertigen Funktionen x(t), y(t), r(t) oderφ(t) ermittelt werden.
Insbesondere sind bei Anwendungen die Nullstellen, Unstetigkeiten und Ex-tremwerte dieser Funktionen von Bedeutung. Es sind also Kurvendiskussionendurchzufuhren.
In diesem Kapitel wollen wir einige Anwendungen aus der Elektrotechnik unterdiesem Gesichtspunkt betrachten. Zunachst sollen jedoch einige Begriffe wieder-holt werden.
Es sei eine reelle Funktion f(x) gegeben mit x ∈ D.
Bei xE ∈ D ist ein lokales Maximum bzw. lokales Minimum, wenn es eineUmgebung U um xE gibt, so dass fur alle x ∈ D ∩ U
f(x) ≤ f(xE) bzw. f(x) ≥ f(xE) gilt.
Sei I ⊆ D ein Intervall, auf welchem die Ableitung f ′(x) existiert.
25
26 KAPITEL 4. KURVENDISKUSSION
Ist f ′(x) ≥ 0 fur alle x ∈ I, dann ist f auf I monoton wachsend.Ist f ′(x) ≤ 0 fur alle x ∈ I, dann ist f auf I monoton fallend.
Mit Hilfe der Monotonie konnen die lokalen Minima und Maxima (kurz: Ex-tremstellen) charakterisiert werden.
Sei xE ∈ D kein Randpunkt von D. Dann gilt:
• Ist f links von xE monoton fallend und rechts von xE monoton wach-send, dann ist bei xE ein lokales Minimum.
• Ist f links von xE monoton wachsend und rechts von xE monoton fal-lend, dann ist bei xE ein lokales Maximum.
Ist xE ∈ D ein Randpunkt, so gilt die Aussage analog, wobei nur die zu Dgehorende Seite betrachtet wird.
Alternativ konnen die Extremstellen auch mit Hilfe der zweiten Ableitung be-rechnet werden, wenn diese existiert.
Ist f ′(xE) = 0 und f ′′(xE) > 0 fur xE ∈ D, so ist bei xE ein lokales Minimum.Ist f ′(xE) = 0 und f ′′(xE) < 0 fur xE ∈ D, so ist bei xE ein lokales Maximum.
Aufgabe 4.1.1. Berechnen Sie fur folgende Funktionen alle lokalen Minimaund Maxima. Achten Sie auf die vorgegebenen Bereiche!
1. f : [−4, 4] → R mit f(x) = 2x3 − 3x2 − 36x+ 31
2. f : [0,∞) → R mit f(x) =x2
√x2 + 1
4.2 Schnittpunkte mit der reellen Achse
Wir betrachten eine komplexwertige Funktion
z(t) = x(t) + jy(t) = r(t) · ejφ(t), t ∈ [a, b].
Wir wollen untersuchen, fur welche t die Ortskurve die reelle Achse schneidet.Wir suchen also alle t ∈ [a, b] mit
y(t) = 0 bzw. φ(t) = 0 oder φ(t) = π.
Aus der Ortskurve von z(t) lassen sich die Anzahl derartiger Schnittpunkte undgute Startwerte fur numerische Berechnungsverfahren bestimmen.
Anwendungen:
• Phasenresonanz liegt in einer Schaltung vor, wenn die Impedanz bzw.Admittanz reellwertig ist, d.h. wenn Im(Z(ω)) = 0 bzw. Im(Y (ω)) = 0gilt.
• Bei Blindleistungkompensation ist ein Bauteil so zu einer Schaltunghinzuzufugen, dass die Blindleistung danach Im(S) = Q = 0 betragt.
4.2. SCHNITTPUNKTE MIT DER REELLEN ACHSE 27
Beispiel 4.2.1. Es sei die folgende Schaltung und die Ortskurve der Admittanzgegeben.
R L
C-
6
1R
Y (ω)
↑ ω
Fur welche Frequenzen liegt Phasenresonanz vor?
Man sieht bereits in der Ortskurve, dass es zwei Schnittpunkte von der rellenAchse mit der Ortskurve gibt. Der erste ist bei ω1 = 0 mit dem Wert Y = 1
R .Den zweiten wollen wir nun berechnen. Es sei also nun ω > 0.
Die Admittanz der Schaltung ist
Y (ω) = jωC +1
R+ jωL=
R
R2 + (ωL)2+ jω
(
C − L
R2 + (ωL)2
)
.
Der Imaginarteil der Admittanz wird nun Null gesetzt. Mit ω > 0 erhalten wirC − L
R2+(ωL)2 = 0. Hieraus folgt
ω2 =1
L
√
L
C−R2.
Die zugehorige Admittanz ist Y (ω2) =RCL .
Aufgabe 4.2.1. Geben Sie eine Formel fur die Kreisfrequenz ω0 an, so dass inder folgenden Schaltung Phasenresonanz vorliegt.
L
R
C
Wenn in einer Schaltung eine Blindleistungskompensation durchzufuhren ist,wird die Leistung abhangig von der Große des hinzugefugten Bauteiles unter-sucht. Wegen S = U2Y ∗ bedeutet dies, dass wieder der Imaginarteil der Admit-tanz bzw. Impedanz auf Null gesetzt wird.
Der Losungsweg ist gleich zur Berechnung der Phasenresonanz, nur die betrach-tete Variable ist R, C oder L anstelle der Frequenz ω.
Aufgabe 4.2.2. Es sei eine Reihenschaltung von zwei induktiven Widerstandengegeben.
Z1 = 50Ω(1 + j) Z2 = 40Ω(2 + j)
28 KAPITEL 4. KURVENDISKUSSION
Es soll die Blindleistung mit einem Kondensator kompensiert werden. Wie großmuss C bei eine Frequenz ω = 100s−1 gewahlt werden, wenn der Kondensator
1. parallel zur Reihenschaltung,
2. parallel zu Z2 geschaltet wird?
4.3 Eigenschaften der Betragsfunktion
Wir betrachten wieder eine komplexwertige Funktion
z(t) = x(t) + jy(t) = r(t) · ejφ(t), t ∈ [a, b].
Nun wollen wir jedoch die Eigenschaften der Betragsfunktion
r(t) =√
x(t)2 + y(t)2, t ∈ [a, b],
untersuchen. Dies ist eine reellwertige Funktion. Uns interessieren insbesonde-re diejenigen Werte von t, fur welche die Betragsfunktion r(t) minimale bzw.maximale Werte annimmt.
Mitunter verwendet man Ersatzfunktionen, um die Ableitungen zur Bestim-mung der Extremstellen besser berechnen zu konnen. Es gilt z.B. (wegen derKettenregel)
[r2(t)
]′= 2 · r(t) · r′(t), [ln(r(t))]′ =
r′(t)
r(t),
[1
r(t)
]′=
−r′(t)
r2(t).
Desweiteren kann mit Ersatzvariablen s(t) gerechnet werden. Dabei ist r′(t) =r′(s) · s′(t) zu beachten. Es muss s′(t) 6= 0 fur alle t ∈ [a, b] gelten.
In der Elektrotechnik haben derartige Untersuchungen große Bedeutung:
Anwendungen:
• Betragsresonanz liegt in einer Schaltung vor, wenn der Betrag derImpedanz bzw. Admittanz maximal oder minimal ist, d.h. wir suchenExtremstellen von Z(ω) bzw. Y (ω).
• Ubertragungsfunktionen: Es sei eine Schaltung der Form
? ?f(ω)uE uAf(ω) =
uA
uE
gegeben. Es wird die Betragsfunktion r(ω) = |f(ω)| untersucht.Ist r(ω) monoton fallend, dann heißt die Schaltung Tiefpass.Ist r(ω) monoton wachsend, dann heißt die Schaltung Hochpass.Sonst spricht man von einem Bandpass.
4.3. EIGENSCHAFTEN DER BETRAGSFUNKTION 29
Weil in den angegebenen Anwendungen die Variable eine Frequenz ω ∈ [0,∞)ist, werden wir im Folgenden mit der Funktion r(ω) arbeiten.
Sowohl bei Betragsresonanzen als auch bei Ubertragungsfunktionen gibt es denBegriff der Grenzfrequenz.
Als Grenzfrequenz bezeichnet man eine Frequenz ωg, wenn
• r(ωg) = r(ω0) ·√2 gilt und r(ω) bei ω0 ein lokales Minimum hat,
• r(ωg) = r(ω0)/√2 gilt und r(ω) bei ω0 ein lokales Maximum hat.
Bei Tiefpassen wird das Maximum bei ω0 = 0 verwendet und bei Hochpassender Maximalwert limω→∞ r(ω).
Beispiel 4.3.1. Wir untersuchen die Ubertragungsfunktion fur die folgendeSchaltung.
? ?
uE(ω) uA(ω)
L
C REs sei L/C = R2 und so-
mit CR = L/R bzw. CL =(L/R)2.
Mit der Spannungsteilerregel folgt
uA
uE
=Zp
Zp + ZL
=1
1 + Y pZL
=1
1 + jωL( 1R + jωC)
=1
1− ω2CL+ jωL/R.
Mit CL = (L/R)2 folgt somit
uA
uE=
1√
(1 − ω2CL)2 + ω2(L/R)2=
1√
(1 − ω2CL)2 + ω2CL.
Die Ableitung dieser Funktion ist
d
dω
uA
uE=
ωCL(1− 2ω2(CL))
(1− ω2CL+ ω4(CL)2)3/2.
Fur ω < ω0 = 1√2CL
ist die Ableitung positiv, d.h. uA
uEist monoton wachsend.
Fur ω > ω0 = 1√2CL
ist die Ableitung negativ, d.h. uA
uEist monoton fallend.
Es liegt also ein Bandpass vor mit einem Maximum bei ω0 = 1√2CL
und dem
MaximalwertuA
uE
∣∣∣∣ω=ω0
=2√3.
Fur die Grenzfrequenzen gilt somit
1√
1− ω2CL + (ω2CL)2=
2√3· 1√
2,
1− ω2CL + (ω2CL)2 = 1.5,
ω2CL =1 +
√3
2> 0.
30 KAPITEL 4. KURVENDISKUSSION
Es existiert also nur die obere Grenzfrequenz bei
ωg =
√
1
CL· 1 +
√3
2= ω0 ·
√
1 +√3 ≈ 1.65ω0.
Aufgabe 4.3.1. Es sei die Schaltung aus Beispiel 4.3.1 gegeben. Untersuchen
Sie die Monotonie und Extremstellen der Funktion(
uE(ω)uA(ω)
)2
. Vergleichen Sie
Ihre Ergebnisse mit den Ergebnissen aus dem Beispiel.
Aufgabe 4.3.2. Wiederholen Sie die Berechnungen aus Beispiel 4.3.1 unter derVoraussetzung L/C = 4R2. Zeigen Sie, dass ein Tiefpass vorliegt und berechnenSie die Grenzfrequenz.
Kapitel 5
Fourierreihen
5.1 Das Superpositionsprinzip
Angenommen, in einer (linearen) Schaltung existieren Quellen, welche Wechsel-spannungen mit unterschiedlichen Frequenzen generieren. Dann konnen Span-nungen und Strome einzeln fur jede Quelle berechnet und abschließend zusam-menaddiert werden.
Beispiel 5.1.1. Wir untersuchen die folgende Schaltung.
∼
∼
u2(t) ↓
u1(t) ↓
C
R
Sei u1(t) = 20V · cos(ω0t),
u2(t) = 5V · cos(2ω0t).
Es sei R = 10Ω, C = 1mF und ω0 =100s−1.Gesucht ist der Strom i(t).
Losung: Wir betrachten zunachst nur die erste Spannungsquelle mit ω = ω0 =100s−1. Dann ist
Z = R− j/(ωC) = (10− 10j)Ω = 10 ·√2 · e−j 45Ω,
Y =
√2
20Ωej 45
,
i = u · Y = 20V ·√2
20Ωej 45
=√2A · ej 45 .
Die erste Quelle erzeugt also den Strom i1(t) = 1.41A · cos(ω0t+ 45).
Fur die Berechnung der zweiten Quelle wird in analoger Weise ω = 2ω0 =200s−1 verwendet. Wir erhalten i2(t) = 0.45A · cos(2ω0t+26.6). Der Gesamt-strom ist i(t) = i1(t) + i2(t).
Aufgabe 5.1.1. Berechnen Sie fur das angegebene Beispiel die SpannungenuR(t) und uC(t) uber dem ohmschen Widerstand und dem Kondensator.
31
32 KAPITEL 5. FOURIERREIHEN
5.2 Darstellung periodischer Funktionen
Wenn Quellspannungen in Form von Sinusschwingungen vorliegen, konnen wirbereits Netzwerke berechnen. Wie wird jedoch die Berechnung durchgefuhrt,wenn eine Spannungsquelle eine Rechteckspannung oder eine Sagezahnspannunggeneriert?
Eine Moglichkeit besteht in der Anwendung der Kirchhoffschen Gesetze und derfolgenden Formeln:
u(t) = R · i(t) fur ohmsche Widerstande,
i(t) = C · du(t)dt fur Kondensatoren,
u(t) = L · di(t)dt fur Spulen.
Dies ist jedoch nur fur sehr einfache Schaltungen praktikabel. Es wird einebessere Losung benotigt.
Die grundlegende Idee besteht darin, diese Spannung als Summe von Sinus-schwingungen mit unterschiedlichen Frequenzen zu schreiben. Anschließend wirddas Superpositionsprinzip zur Netzwerkberechnung verwendet.
Sei f : R → R eine periodische Funktion mit Periodenlange T und ω0 = 2πT ,
d.h.f(t+ T ) = f(t) fur alle t ∈ R.
Dann kann f(t) wie folgt als Summe von Sinus- und Kosinusfunktionen geschrie-ben werden
f(t) =a02
+∞∑
n=1
[an · cos(nω0t) + bn · sin(nω0t)] , ω0 =2π
T.
Diese Darstellung als unendliche Summe wird als Fourierreihe bezeichnet. DieKoeffizienten konnen mit folgenden Formeln berechnet werden:
a0 =2
T
ˆ
(T )
f(t) dt,
an =2
T
ˆ
(T )
f(t) · cos(nω0t) dt fur n ∈ N,
bn =2
T
ˆ
(T )
f(t) · sin(nω0t) dt fur n ∈ N.
Dabei wird jeweils uber eine Periode integriert.
Beispiel 5.2.1 (Sagezahnspannung). Eine Spannung u(t) sei wie folgt gegeben:
-
6
T
U0 u(t) =t
T· U0, 0 ≤ t < T,
ω0 = 2π/T .
5.3. KOMPLEXE DARSTELLUNG VON FOURIERREIHEN 33
Wir wollen u(t) als Fourierreihe darstellen. Fur die Berechnung der Koeffizien-ten verwenden wir partielle Integration und ω0T = 2π:
a0 =2
T
ˆ T
0
t
T· U0 dt =
2
T· U0
T· t
2
2
∣∣∣∣
T
0
= U0,
an =2
T· U0
T
ˆ T
0
t · cos(nω0t) dt =2U0
T 2
[t sin(nω0t)
nω0− 1
nω0
ˆ
sin(nω0t) dt
]T
0
,
=2U0
T 2
[t sin(nω0t)
nω0+
cos(nω0t)
(nω0)2
]T
0
= 0
bn =2
T· U0
T
ˆ T
0
t · sin(nω0t) dt =2U0
T 2
[−t cos(nω0t)
nω0+
1
nω0
ˆ
cos(nω0t) dt
]T
0
=2U0
T 2
[−t cos(nω0t)
nω0+
sin(nω0t)
(nω0)2︸ ︷︷ ︸
=0
]T
0
=2U0
T 2(nω0)
[
− T cos(nω0T )
]
=−U0
πn.
Also ist
u(t) =U0
2− U0
π
[sin(ω0t)
1+
sin(2ω0t)
2+
sin(3ω0t)
3+ . . .
]
=U0
2− U0
π
∞∑
n=1
sin(nω0t)
n.
Aufgabe 5.2.1. Zeigen Sie, dass die Fourierreihe fur die Rechteckspannung
u(t) =
U0 fur 0 ≤ t < T/2,−U0 fur T/2 ≤ t < T,
wie folgt lautet:
u(t) =4U0
π
[sin(ω0t)
1+sin(3ω0t)
3+sin(5ω0t)
5+ . . .
]
=4U0
π
∞∑
k=0
sin((2k + 1)ω0t)
2k + 1.
Aufgabe 5.2.2. Berechnen Sie die Fourierreihe fur folgende unsymmetrischeRechteckspannung
-
6U0
T4 T
u(t) =
U0 fur 0 ≤ t < T/4,0 fur T/4 ≤ t < T.
5.3 Komplexe Darstellung von Fourierreihen
Aus der Euler-Formel ejx = cos(x) + j sin(x) erhalt man durch Umformen
cos(x) =ejx + e−jx
2und sin(x) =
ejx − e−jx
2j.
34 KAPITEL 5. FOURIERREIHEN
Wir setzen dies nun in die Fourierreihe einer periodischen Funktion ein undvereinfachen die Formel:
f(t) =a02
+∞∑
n=1
[an · cos(nω0t) + bn · sin(nω0t)]
=a02
+
∞∑
n=1
[
an ·(ejnωot + e−jnωot
2
)
+ bn ·(ejnωot − e−jnωot
2j
)]
=a02
+
∞∑
n=1
(an − jbn
2
)
ejnωot +
∞∑
n=1
(an + jbn
2
)
e−jnωot,
f(t) =∞∑
n=−∞cne
jnω0t.
Fur die komplexen Koeffizienten cn gilt dabei
c0 =a02, cn =
an − jbn2
fur alle n > 0, cn =an + jbn
2fur alle n < 0.
Sie konnen aber auch direkt mit folgender Integralformel bestimmt werden:
cn =1
T
ˆ
(T )
f(t)e−jnω0t dt , n ∈ Z.
Beispiel 5.3.1 (Sagezahnspannung). Wir betrachten erneut die Sagezahnspan-nung aus Beispiel 5.2.1. Wir wissen, dass
u(t) =U0
2− U0
π
∞∑
n=1
sin(nω0t)
n
ist, d.h. a0 = U0 und bn = −U0/(nπ). Fur die komplexen Koeffizienten giltsomit
c0 =U0
2und cn =
U0j
2nπfur alle n 6= 0.
Mittels der Integralformel und partieller Integration erhalt man dasselbe Ergeb-nis:
c0 =1
T
ˆ T
0
U0
Tt dt =
U0
2,
cn =1
T
ˆ T
0
U0
Tt · e−jnω0t dt =
U0
T 2
[te−jnω0t
−jnωo− 1
−jnω0
ˆ
e−jnω0tdt
]T
0
=U0
T 2
[−te−jnω0t
jnωo− 1
(jnω0)2e−jnω0t
]T
0
=U0j
2nπ
wegen ω0T = 2π und e−j2πn = 1. Es ist also
u(t) =U0
2+
U0j
2π
∑
n6=0
1
ne−jnω0t.
5.4. SUPERPOSITION BEI FOURIERREIHEN 35
Aufgabe 5.3.1. Es sei f(t) =∑∞
n=−∞ cnejnω0t gegeben. Wie konnen die Ko-
effizienten an und bn der Fourierreihe aus den komplexen Zahlen cn und c−nberechnet werden?
Aufgabe 5.3.2. Geben Sie die komplexe Darstellung der Fourierreihen fur dieRechteckspannung aus Aufgabe 5.2.2 an.
5.4 Superposition bei Fourierreihen
Wenn eine periodische Quellspannung als Fourierreihe vorliegt, kann das Super-positionsprinzip zur Netzwerkberechnung auf die einzelnen Summanden ange-wendet werden. Wenn also eine Funktion
f(t) =a02
+
∞∑
n=1
[an · cos(nω0t) + bn · sin(nω0t)]
gegeben ist, so betrachten wir die Summanden f0(t) = f0 = a0/2 und fn(t) =an ·cos(nω0t)+bn ·sin(nω0t) einzeln. Die entsprechenden komplexen Amplituden(siehe Kapitel 2.3) sind
fn= an − jbn (n ∈ N).
Ist f(t) in der komplexen Darstellung f(t) =∑∞
n=−∞ cne−jnω0t gegeben, so
kann mit den komplexen Zahlen cn (n = 0, 1, . . .) gerechnet werden, da diesesich von den komplexen Amplituden nur durch einen Faktor unterscheiden. Furdie Ruckrechnung ist c−n = c∗n zu beachten.
Beispiel 5.4.1. Wir betrachten den angegebenen Tiefpass.
? ?
uE(t) uA(t)R
C
Die Eingangsspannung sei eineSagezahnspannung
uE(t) =U0
2− U0
π
∞∑
n=1
sin(nω0t)
n.
Gesucht ist die Ausgangsspan-nung uA(t).
Es sei Rω0C = 1. Dann gilt fur die Ubertragungsfunktion des Tiefpasses
uA,n
uE,n
=
1jωC
R+ 1jωC
=1
jωRC + 1=
1
1 + jn=
1− jn
1 + n2,
wenn die Eingangsspannung die Frequenz ω = nω0 hat. Die komplexen Ampli-tuden der Eingangsspannung sind
uE,n =U0j
πnfur n ∈ N.
Durch Einsetzen in die Ubertragungsfunktion des Tiefpasses erhalten wir
uA,n =U0
π(1 + n2)+ j
U0
πn(1 + n2)fur n ≥ 1.
36 KAPITEL 5. FOURIERREIHEN
Fur den Gleichstromanteil gilt uE,0 = uA,0 = U0
2 . Hieraus erhalten wir dieAusgangsspannung
uA(t) =U0
2+
U0
π
∞∑
n=1
[cos(nω0t)
1 + n2− sin(nω0t)
n(1 + n2)
]
.
Aufgabe 5.4.1. Berechnen Sie die Ausgangsspannung, wenn die Rechteckspan-nung aus Aufgabe 5.2.1 an den Tiefpass aus Beispiel 5.4.1 angelegt wird.
Angenommen, an einer Impedanz liegt eine Spannung u(t) und ein Strom i(t)an. Wir wollen die Leistung an dieser Impedanz berechnen. Fur die Frequenzω = nω0 und n ∈ N erhalten wir einen Leistungsanteil
Sn = UnI∗n =
uni∗n
2=
|un|22Z∗n
=|in|2Zn
2,
wobei un, in die komplexen Amplituden und Zn die Impedanz fur die Frequenzω = nω0 sind.
Insgesamt ist dann die Scheinleistung S =∑∞
n=1 Sn. Die Wirk- und Blindleis-tung entsprechen dem Real- bzw. Imaginaranteil von S. Der Gleichspannungs-anteil besitzt nur eine Wirkleistung
P0 = u0 · i0 =u20
Z0,
wobei der Widerstand Z0 bei n = 0 bzw. ω = 0 stets reell ist. Die Wirkleistungist insgesamt also P = P0 +
∑∞n=1 Re(Sn).
Aufgabe 5.4.2. Eine Sagezahnspannung
u(t) =U0
2− U0
π
∞∑
n=1
sin(nω0t)
n
mit U0 = 10V und ω0 = 100s−1 liege an einem Bauelement mit Zn = 10Ω · 11+jn
an. Berechnen Sie die Wirkleistung.
Hinweis:∑∞
n=11n2 = π2
6