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Fachartikel
Oktober 2014
Teststrategien für robuste CAN-SystemeEntwicklung, Fehlersuche und Wartung von CAN-Bussen in der Luftfahrt
Der ursprünglich für den Einsatz im Automobil entwickelte CAN-Bus
(Controller Area Network) hat sich aufgrund von Eigenschaften wie
Robustheit, zeitlicher Zuverlässigkeit und gutem Kosten-Nutzen-
Verhältnis schnell in zahlreichen Branchen und Anwendungsgebie-
ten etabliert, so auch in der Luftfahrt. Die Randbedingungen und
Herausforderungen in der Luftfahrt sind vielschichtig und beste-
hen unter anderem in langen Leitungen, extremen Umgebungsbe-
dingungen mit Hitze, Kälte, Feuchtigkeit, erhöhten Blitzschutzan-
forderungen oder langer Lebensdauer. Während man bei Nutzfahr-
zeugen nach SAE J1939 zum Beispiel mit Buslängen von maximal
40 Metern rechnet, kann in großen Passagierflugzeugen wie einem
Airbus A380 eine Busleitung durchaus 200 Meter und länger sein.
Außergewöhnlich bei Flugzeugen ist auch die lange Nutzungsdauer
von mindestens 30 Jahren. In der Regel unterliegt jede elektrische
Installation einer schleichenden Verschlechterung ihrer elektrischen
Parameter, wobei Alterungseffekte vor allem an den Steckverbin-
dungen durch Korrosion und Abnutzung ihre Spuren hinterlassen,
was zu steigenden Fehlerraten führen kann.
CAN wird im Flugzeug in einer Vielzahl von Systemen und Sub-
systemen wie z.B. Klimaanlage, Türen, Bordküche, Rauchmelder,
Frisch- und Abwasser, Enteisung u.a. eingesetzt. Aufgrund der spe-
zifischen Anforderungen und insbesondere der langen Nutzungs-
dauer in der Luftfahrt sind bereits im Design und der Auslegung der
Netzwerke genügend elektrische Reserven einzuplanen, um den zu
erwartenden Alterungserscheinungen entgegen zu treten. Die Tat-
sache, dass ein neues System logische Funktionstests einwandfrei
absolviert, enthält prinzipiell keine Informationen über die Quali-
tät und Robustheit der physikalischen Kommunikation Dies lässt
sich nur durch Tests und Messungen auf der physikalischen Ebene
nachweisen.
Das serielle Bussystem CAN etabliert sich in zahlreichen Anwendungsbereichen in der Luftfahrt. Die umfangreichen Aktiv-itäten in CAN-Standardisierungsgremien wie ARINC 825 und ARINC 812 zeigen, dass Flugzeughersteller, Zulieferer und Fluggesellschaften in zukünftigen Flugzeugprogrammen noch mehr auf CAN-vernetzte Systeme und Subsysteme setzen werden. Um die hohen Anforderungen an Robustheit, Zuverlässigkeit und Langlebigkeit zu erfüllen, sind effiziente Mess- und Testmethoden gefragt, die bis hinunter auf die physikalische Übertragungsebene reichen.
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Bild 1: USB-Oszilloskop-Hardware zur bit-genauen Analyse der CAN-Kommunikation.
Physical Layer von CAN ist in hohem Maße anwendungs- abhängig
Das aktuell für die zivile Luftfahrt empfohlene CAN-Nutzungsproto-
koll ist in ‚ARINC 825‘ standardisiert. Schon in den ursprünglich
von Bosch veröffentlichten Standards CAN 2.0A/B sind nur die Auf-
gaben der Schicht 2 (Data Link Layer) des ISO/OSI-Schichtenmo-
dells verbindlich definiert. In der Praxis hängen die tatsächlich
verwendeten physikalischen Parameter stark vom jeweiligen Sys-
tementwickler und den konkreten Einsatzbedingungen ab, insbe-
sondere betrifft dies die Buslänge und die Bitrate. Diese schränken
sich gegenseitig ein, denn je länger die Busleitung, desto größer
die Signallaufzeit. ARINC 825 unterstützt Datenübertragungsraten
von 83,333 kBit/s, 125 kBit/s, 250 kBit/s, 500 kBit/s und 1000
kbit/s. High-Speed-CAN-Busse verwenden eine verdrillte 2-Draht-
Leitung und arbeiten mit einer Differenzspannung von 0,9 bis 2 V.
Die Busleitung ist in Linien-Topologie ausgeführt und erfordert an
beiden Enden die Terminierung mit einem Abschlusswiderstand;
Busteilnehmer sind über kurze Stichleitungen angeschlossen.
Bei CAN erwartet der jeweilige Sender von einem oder mehreren
Empfängern bitsynchrone Quittierungen. Daraus resultiert unter
anderem die hohe Robustheit von CAN. Auch das verzögerungsfreie
Buszugriffsverfahren basiert auf einem bitsynchronen Abgleich der
High-Low-Signalpegel. Alle Bustreiber sind mit Open-Collector-
Ausgängen ausgestattet und ein durchgeschalteter (niederohmi-
ger) Ausgang setzt sich immer durch, da er das per Pull-Up-Wider-
ständen generierte High-Signal auf Low-Pegel zieht. Low ist somit
stets dominant und High rezessiv.
Mögliche Fehlerursachen
Jedes Bit ist in mehrere Phasen unterteilbar und der Entwickler
legt einen einheitlichen Abtastzeitpunkt (Sampling Point) fest,
quasi als gemeinsamen Nenner für die Busteilnehmer. Probleme auf
dem Physical Layer des CAN-Netzwerks werden häufig verursacht
von der Oszillatortoleranz, Bit-Asymmetrien aufgrund von Trans-
ceiver-Verzögerungen oder Signallaufzeiten Abhängig von der Spe-
zifikation der Komponenten des Physical Layers kann sich das Opti-
mum für dieses Zeitfenster ein wenig nach vorne oder nach hinten
verschieben. Normalerweise ist der Flugzeughersteller dafür ver-
antwortlich, das Bit Timing als Teil der physikalischen Spezifikation
des CAN-Netzwerks festzulegen. Deshalb sollte zunächst geprüft
werden, ob die Bit Timings in den einzelnen CAN-Controllern für
jeden Busknoten korrekt konfiguriert sind.
Als weitere Fehlerursachen kommen beispielweise eine zu lange
Busleitung, zu viele oder zu lange Stichleitungen oder eine fehler-
hafte Terminierung in Frage. Bei Busleitungsdimensionen von über
200 Metern spielen Signallaufzeiten eine immer größere Rolle. Die
Lage des Bits läuft mit zunehmender Leitungslänge auseinander,
so dass ein einheitlicher Abtastzeitpunkt immer schwieriger reali-
sierbar ist. Abhilfe sollte in diesem Fall die Verwendung einer nied-
rigeren Bitrate schaffen. Ein ebenfalls gangbarer Weg ist es, das
System in zwei schnellere separate Netze aufzuteilen. Bei Stichlei-
tungen zu den einzelnen Busteilnehmern verursachen Welleneffek-
te wie z.B. Reflexionen Probleme. Sie treten an Leitungsenden und
Stoßstellen wie Abzweigungen und Steckverbindungen auf und
überlagern das CAN-Bussignal mit Störspannungen. Für Stichlei-
tungen gilt die Faustregel, dass die Summe der Stichleitungen
maximal 10 % der Gesamtleitungslänge betragen darf. Selbstver-
ständlich sind stets auch EMV-Probleme in Betracht zu ziehen,
wenn die Busleitung nahe an Störquellen wie (starken) Elektromo-
toren, Umrichtern usw. vorbeiführt.
Synchrone Analyse der physikalischen und logischen CAN-Schichten
Um diese und zahlreiche weitere Fehlerursachen aufzudecken, rei-
chen die üblichen Analysen auf der logischen Ebene nicht mehr
aus. Vielmehr benötigen die Entwickler hier bit-genaue Einblicke in
die Signalverläufe auf der physikalischen Ebene. Allerdings sind
Messungen ohne Bezug zu den logischen CAN-Ereignissen schwie-
rig zu konfigurieren, interpretieren und evaluieren. Vector hat
daher seine Test- und Analysewerkzeuge CANoe und CANalyzer um
eine leistungsfähige Oszilloskop-Funktionalität ergänzt. Die Option
„SCOPE“ nutzt eine gemeinsame Zeitbasis für Oszilloskop-Daten
und CAN-Event-Daten, was am Bildschirm oder in Reports eine
absolut synchrone Darstellung von aufgezeichneten CAN-Frames
und der zugehörigen CAN-Bussignale erlaubt. CANoe/CANalyzer.
SCOPE basiert auf der USB-Oszilloskop-Hardware (Bild 1) und
unterstützt vier- und zweikanalige Lösungen mit Bandbreiten von
200 MHz bzw. 60 MHz; die Samplerate beträgt bis jeweils 500 Ms/s.
Den exakten Zeitbezug stellt eine Sync-Leitung zwischen der Oszillo-
skop-Hardware und den verwendeten CAN-Bus-Interfaces her. Damit
sich Problemstellen zügig auffinden lassen, stehen umfangreiche
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Bild 2: Bit-Masken-Test eines CAN-Differenzsignals um die Signalqualität eines CAN-Teilnehmers (Datenfeld) im Bereich des Abtastpunktes zu beurteilen.
Bild 3: Bei der automatischen Testdurch- führung wird ein ausührlicher Report erstellt.
Trigger-Möglichkeiten zur Verfügung. Als Trigger-Bedingung kom-
men sowohl einzelne CAN-Frames, ganze ID-Bereiche oder speziel-
le Ereignisse wie Error Frames in Frage. Erweiterte Möglichkeiten
bieten ferner das programmgesteuerte Auslösen von Triggern
sowie die Kombination mehrerer Trigger. Über frei definierbare Bit-
Masken im Spannungs-Zeit-Diagramm sind Verletzungen des Bit
Timings eindeutig visualisierbar. Läuft der Spannungsverlauf durch
eine Maske hindurch, stellt das eine mögliche Verletzung der physi-
kalischen Spezifikation bzw. der Systemreserve dar. Verletzte Mas-
ken färbt CANoe.SCOPE rot ein, während unberührte Bit-Masken
grün dargestellt werden (Bild 2).
Effiziente Teststrategien für Fehlersuche und Robustheit
Diese Oszilloskop-Funktionen gestatten Entwicklern und Testinge-
nieuren eine schnelle und gezielte Analyse des Physical Layers. Als
Teststrategie empfiehlt Vector alle Steuergeräte zunächst einzeln
zu überprüfen, um mögliche Problemkandidaten herauszufiltern.
Gefundene Fehler lassen sich in den nächsten Schritten näher ein-
grenzen und durch geeignete Maßnahmen eliminieren. Bei spora-
disch auftretenden Fehlern sind Dauerlauftests auf dieselben
Frames oder Identifier sinnvoll. Arbeitet ein Netzwerk fehlerfrei,
will man wissen, ob es gerade eben funktioniert oder ob noch
genügend Systemreserven vorhanden sind. Dies lässt sich durch
schärfere Verletzungskriterien herausfinden. Man verändert die
Lage und Form der Bit-Masken schrittweise, bis wieder erste Fehler
auftreten. Diejenigen Steuergeräte, die für die nun sichtbaren Ver-
letzungen verantwortlich sind, würden im regulären Betrieb als
erste ausfallen und potenzielle Fehlerquellen darstellen. Die Test-
reports der dokumentierten Fehler oder exportierte Daten lassen
sich bequem zwischen Flugzeughersteller und Zulieferer austau-
schen (Bild 3). Idealerweise arbeitet der Zulieferer mit demselben
Analyse- und Testwerkzeug und ist so in der Lage Fehler zügig
nachzustellen und zu beseitigen.
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Eine weitere übliche Teststrategie ist das gezielte Stören des CAN-
Netzwerks mit künstlichen physikalischen und logischen Fehlern.
Auch dafür steht mit dem handlichen Hardware-Modul CANstressDR
eine geeignete Lösung zur Verfügung (Bild 4).
Vector ist ein CAN-Pionier der ersten Stunde und kann auf eine
Erfahrung von über 25 Jahren in Bereichen wie Automotive, Nutz-
fahrzeuge, Agrartechnik, Luft- und Schifffahrt zurückblicken. Die
Hard- und Software-Lösungen werden abgerundet durch zahlreiche
Schulungen zu Themen wie Entwurf, Analyse und Testen von CAN-
Systemen und weiterer Netzwerke wie CAN FD, AFDX und Ethernet.
Mit dem kostenlosen E-Learning-Modul „Einführung in CAN (inkl.
CAN FD)“ können Interessierte sich in die CAN-Kommunikations-
technologie selbst einarbeiten.
Fazit und Ausblick
Angesichts mehrerer hundert CAN-Systeme in aktuellen und
zukünftigen Flugzeuggenerationen sind Hersteller und Zulieferer
gleichermaßen zunehmend angewiesen auf die Verfügbarkeit leis-
tungsfähiger Analyse- und Testwerkzeuge. Die bit-genaue und zeit-
synchrone Analyse von logischen und physikalischen Ereignissen
auf CAN-Bussen mit der beschriebenen Oszilloskop-Lösung
beschleunigt nicht nur die primäre Fehlersuche, sondern dient
auch zur Beurteilung von Signalqualität und Robustheit. Umfang-
reiche Trigger- und Programmiermöglichkeiten in Kombination mit
einer leistungsfähigen Testautomatisierung unterstützen den Ent-
wickler bei der Fehlersuche und Optimierung seiner CAN-Netze.
Für die verschiedenen Hersteller und Entwicklungsabteilungen
der Luftfahrt kann auch ein dediziertes Produkt auf Basis der Vec-
tor-Scope-Lösung sinnvoll sein. Eine entsprechende Entwicklung
mit Oszilloskop-Hardware und geeignetem CAN-Interface in einem
Gehäuse ist bei Vector bereits verfügbar. Ebenso ist Vector offen für
Anfragen zu kundenspezifischen Besonderheiten wie speziellen
Signalauswertungen und herstellerspezifischen Bedienober-
Bild 4: Gezielte und reproduzierbare Störung des CAN-Busses, seiner physikalischen Eigenschaften und der logischen Pegel mit CANstressDR und CANoe.
flächen, damit diese Test-Lösung möglichst effizient und breit
eingesetzt wird. So sind beispielsweise automatisierte Test-
werkzeuge realisierbar, die nach definierten Vorgaben des Herstell-
ers in der Produktion Serientests an jedem Flugzeug durchführen.
Mit einer erweiterten Oszilloskop-Lösung möchte Vector in
naher Zukunft einige innovative Mess- und Analysefunktionen rea-
lisieren um CAN-Kabel und deren Terminierungen zu prüfen. Auf
Grund der oft sehr langen und schlecht zugänglichen CAN-Leitun-
gen im Flugzeug wird eine Ortung der Bruchstelle angestrebt, um
die Kosten bei der Fehlersuche noch weiter zu reduzieren.
Übersetzung einer englischsprachigen Veröffentlichung in Aerospace Testing International, Showcase 2015.
Links:Lösungen für die Aerospace-Elektronikvernetzung: www.avionics-networking.comInternetseite Vector: www.vector.comProduktinformation CANoe: www.vector.com/vi_canoe_de.htmlProduktinformation CANoe.SCOPE:www.vector.com/vi_canoe_canalyzer_scope_de.htmlProduktinformation CANstressDR: www.vector.com/vi_canstress_de.htmlProduktinformation Datenlogger GL1020FTE: www.vector.com/gl1020fte
E-Learning-Modul „Einführung in CAN (inkl. CAN FD)“: https://elearning.vector.com/vl_can_introduction_portal_de.html
Jörn Haase (Dipl.-Ing.) ist Senior Expert Aerospace bei der Vector Informatik GmbH im Kunden-Center Hamburg.
Gavin C. Rogers (B.Eng. M.Sc.) ist bei Vector Informatik u.a. als Produkt Manager für die CANoe/CANalyzer Optionen CAN und SCOPE verantwortlich.