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6 Vorarlberger Jagd AKTueLL

Ernst Albrich

Der Seuchenausbruch bei

Rotwild und Rindern im Tiro-

ler Lechtal mit Ausbreitung in

benachbarte Gebiete hat die

Tuberkulose plötzlich auch

zum Thema für Jäger und

Jagdwirtschaft gemacht. Eine

ausgezeichnete Zusammen-

fassung über die Situation im

Außerfern von Dr. Johannes

Fritz, Amtstierarzt in Reutte/

Tirol, wurde im Oktoberheft,

Seite 32 ff. veröffentlicht. Ver-

ständliche Emotionen durch

Existenzängste und Schuld-

zuweisungen haben zu Kon-

flikten zwischen Bauern und

Jägern geführt. Das Verständ-

nis für diese Krankheit und

damit die Versachlichung der

Diskussion wird durch die

Eigenarten der Erreger und

des Infektions- und Krank-

heitsverlaufs der Tuberkulose

erschwert.

Oft Gelesenes und Gehörtes ist nicht immer Verstandenes

Es handelt sich also um

eine Zoonose, übertragbar

zwischen vielen verschie-

denen Tierarten und dem

Menschen. Es gibt Nachwei-

se vom Vorkommen beim

Menschen vor mindestens

2.000 Jahren, lange, bevor

es Viehzucht gab. Ein Drit-

tel der Weltbevölkerung ist

infiziert (nicht gleichbedeu-

tend mit krank), 2011 gab es

rund 1,4 Millionen Todes-

fälle weltweit. In Österreich

bricht die Tuberkulose bei

etwa 600 bis 700 Patienten

jährlich aus. Doch bedeuten

diese Zahlen nun die große

Gefährlichkeit oder bewei-

sen sie die Harmlosigkeit

dieser Krankheit?

Beides richtig, beides falsch!

Statistisches Zahlenmateri-

al muss nicht nur möglichst

exakt erhoben, sondern rich-

tig interpretiert und diffe-

renziert gesehen werden. So

ist z. B. das Drittel der infi-

zierten Weltbevölkerung in

den „armen“ Ländern der

„Dritten Welt“ und nicht

gleichmäßig über den Erd-

ball verteilt. Ein Großteil

der Kranken befindet sich

dort, wo Hunger und Krieg,

schlechte hygienische Bedin-

gungen und schlechte me-

dizinische Versorgung herr-

schen.

Tuberkulosebakterien sind „langsam“

Bakterien vermehren sich

durch Teilung. Die Ge-

schwindigkeit der Verdop-

pelung der Erregerzahl ist

bei Tuberkulose mit etwa 20

Stunden (abhängig von den

Tuberkulose – zwischen Verharmlosung und panikmache

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AKTueLL März/April 2014 7

Bedingungen) niedrig. Coli-bakterien sind viel „schnel-ler“, sie brauchen nur rund 20 Minuten. Ein Teil der Eigenschaften der Tuberku-loseerreger, wie geringe An-steckungswahrscheinlichkeit, langsamer Krankheitsverlauf, Latenzphase, aber auch Re-sistenz gegen Kälte, Trocken-heit, Desinfektionsmittel und Antibiotika, lässt sich grob vereinfacht auch durch diese „Trägheit“ erklären. Zur Be-handlung eines Tuberkulo-sekranken braucht es in der Regel zu Beginn eine Kom-bination von vier Antibioti-ka bei einer Gesamtbehand-lungsdauer von mindestens sechs Monaten. Langsame Träger können eben auch zäh und hartnäckig sein. Was Mykobakterien vom Tuber-kulosekomplex nicht mögen, sind Hitze über 60 bis 65 Grad („Pasteurisieren“) und UV-Strahlung.

Was macht die Gefährlichkeit einer Krankheit für das einzelne Lebewesen aus?

Sie wird bestimmt durch Eigenschaften der Erreger (Zahl, Aggressivität, Resis-tenz), die möglichen Über-tragungswege (Atemluft bei engem Kontakt, Nah-rungsmittel, Verletzungen der Haut) und Zustand des „Empfängers“ (immunge-schwächt durch Hunger, Stress, andere Krankheiten wie Krebs, HIV). Tuberku-lose ist nicht hoch infektiös, braucht bei einem gesun-den „Empfänger“ eine hohe Keimzahl, engen und länge-ren Kontakt. Wegen der dau-ernden Nähe in Ställen und Herden besteht bei Nutztie-ren immer hohe Infektions-gefahr, ebenso bei Menschen in Gefängnissen, engen Hei-men, vor allem aber Kranken, Immungeschwächten. Die Gefahr für eine Population hängt vom Durchseuchungs-grad ab, Endemie sind seltene

Einzelfälle, Epidemie ist ge-häuftes Vorkommen.

Die Latenzphase als Besonderheit der Tuberkulose

Nur rund 5 bis 10 Prozent der Menschen erkranken auch nach Infektion mit Tuberku-losebakterien, die Hälfte da-von in den ersten zwei Jahren, die andere nach einer Latenz-phase, oft erst nach Jahrzehn-ten – oder eben nie. Während dieser Latenzphase bestehen keine Krankheitssymptome, es besteht natürlich auch keine Infektionsgefahr. Die Keime liegen abgekapselt, bewacht von Immunzellen, wie im Winterschlaf in ei-nem Herd, meistens in der Lunge und/ oder den da-zugehörigen Lymphknoten, können aber überleben und warten auf ihre Chance. Die-se sogenannte Reaktivierung kann durch dieselben Fak-toren ausgelöst werden, die auch zur Soforterkrankung bei Erstkontakt führen, also andere Krankheit, Hunger, Stress, Alter (= Schwächung des Immunsystems). Defi-nitionsgemäß ist der Mensch in dieser Latenzphase nicht krank, auch nicht chronisch krank. Bei Tierbeständen ist diese Phase jedoch eine au-ßerordentlich große Bedro-hung.

Die „Zeitbombe“ Latenzphase bei Nutz- und Wildtieren

Da der Übergang von der Latenzphase zur Krankheit schleichend erfolgt und nicht sofort äußerlich sichtbar wird, erkennen wir den Ausbruch, die mögliche Infektionsge-fahr und deren Folgen viel zu spät, vor allem bei Wild-tieren. Bei Rindern kann die Latenzphase ebenso wie die frühe, noch nicht sichtbare Krankheit durch Hauttestung erkannt werden. Tierbestände sollten also im Idealfall auch

frei von Latenzfällen sein, ein Ziel, das bei Rindern durch die früher lückenlose Unter-suchung in Österreich schon einmal beinahe erreicht wur-de. Die Definition von Krank-heit muss deshalb bei Tieren viel enger erfolgen, auch die Latenzphase ist trotz fehlen-der Symptome und Anste-ckungsgefahr dazu zu zählen. Wildtiere in freier Wildbahn können wir in ausreichender Zahl nicht auf Tbc testen. Die erlegten oder aufgefundenen offensichtlich kranken Tiere sagen uns zu wenig über die Verbreitung, das Ausmaß des Befalls in einem Bestand, des-halb brauchen wir Stichpro-benpläne.

Stichprobenpläne sind nicht nur „Prozentrechnereien“

Um eine Aussage über den Durchseuchungsgrad einer Krankheit bei Populationen von Lebewesen zu treffen, die nicht alle untersucht wer-den können (weil nicht alle erreichbar sind oder aus Kos-tengründen), brauchen wir Stichprobenpläne, die von Medizinern/Statistikern/Mathematikern erstellt wer-den. Sie sind notwendig, um rechtzeitig über den Durch-seuchungsgrad (die Präva-lenz), die räumliche Ver-breitung, aber vor allem die Tendenz informiert zu sein und Gegenmaßnahmen zu treffen. Stichprobenentnahme beruht auf dem Zufallsprin-zip. Nicht die verdächtigen Tiere werden entnommen, sondern nur unauffällige. Alles, was vor dem Schuss auffällig ist (Hegeabschuss) oder als Zufallsbefund beim Aufbrechen verdächtig wird, muss laut Jagdgesetz der Veterinärbehörde vorgelegt werden. Ebenso noch un-tersuchbares, verdächtiges Fallwild. Der Jäger bzw. die kundige Person muss keine Diagnose stellen, sondern zwischen gesund und krank-heitsverdächtig unterschei-

den können. Bei der Stichpro-benentnahme kann also auch nicht „geschwindelt“ werden.

Tuberkulosebe- kämpfung bei Tieren

Tbc bei Tieren kann nicht be-handelt werden, schon allein aus den anfangs erwähnten Problemen der Antibiotikabe-handlung. Deshalb gibt es ein gesetzliches Behandlungs-verbot für Tbc bei Nutztie-ren, die Unmöglichkeit der Behandlung von Wildtieren ist selbsterklärend. Die Vor-gangsweise bei Rindern un-terliegt klaren veterinärge-setzlichen Regelungen, jene beim Rotwild ergibt sich aus dem bisher Gesagten. Sofort-wirksame Maßnahme ist das Erkennen und Entnehmen offensichtlich kranker oder krankheitsverdächtiger Tie-re, die wahrscheinlich schon infektiös sind (Wachsamkeit! Wildkameras bei schlecht ein-sehbaren Fütterungen!). Die wichtigste Maßnahme zur langfristigen Verbesserung, zugleich die schmerzhaftes-te für die Jagdwirtschaft, ist jene, Faktoren zu ändern, welche die Ausbreitung von Tbc begünstigen, das heißt, Größe und Dichte der befal-lenen Populationen und vor allem der Bestände an den Fütterungen drastisch und rechtzeitig zu verringern – wo nötig (siehe Lechtal), vorübergehend sogar unter den für die Tragfähigkeit des Lebensraums definierten Be-stand. Auf Dauer ist dies, ab-gesehen von selbstverständ-lichen Hygienemaßnahmen bei der Fütterung etc., leider die einzige wirksame Maß-nahme, um Rotwildbestände gesund zu erhalten. Rotwild ist als Rudelwild besonders anfällig.

Untaugliche „Ausreden“

„Ausreden“ können uns Jä-gern die Verantwortung nicht abnehmen.

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8 Vorarlberger Jagd AKTueLL

Wer weiß, ob wirklich das Rot-wild schuld ist und nicht die Rinder?Eine typische „Henne-Ei-Frage“, die in der jetzigen Situation in Tirol, Vorarlberg, Allgäu nicht zur gemeinsa-men Lösung des Problems beiträgt.

Vielleicht gibt es noch andere Wildtiere als Überträger?Einzelne befallene Füchse, Rehe, Dachse etc. gibt es si-cher immer wieder, sie spie-len bei uns jedoch keine Rolle (kein Infektionsdruck durch Einzeltiere).

Aber in England ist es der Dachs, in Neuseeland das Possum, in Spanien das Wildschwein? Dort gibt es bei all diesen Tie-ren hohe Durchseuchungs-grade um die 50 % und mehr.

Dachse in England leben in Hecken neben den Weiden und gehen nachts zum Futter in die offenen Kuhställe, da-mit entsteht direkter Kontakt.

Tuberkulose hat es doch immer schon gegeben?Ja, wahrscheinlich wird die Tbc immer ein Reservoir zum Überleben finden. Ent-scheidend bei Mensch und Wildtier ist, ob es sich um Einzelfälle handelt (die gab es schon lange, auch beim Rotwild) oder um epide-misches Vorkommen. Bei Nutzvieh gilt null Toleranz wegen Menschengesundheit, Konsumentenschutz und da-mit massiver wirtschaftlicher Auswirkungen nicht nur für den einzelnen Bauern, son-dern auch die gesamte Volks-wirtschaft (Milchwirtschaft).

Im Gegensatz zu hochinfek-tiösen, akuten Krankheiten geht es bei Tuberkulose in Rotwildbeständen um die Senkung der Prävalenz, ide-alerweise langfristig unter fünf Prozent, auch an den derzeitigen „hot spots“. Da-mit wird der Infektionsdruck äußerst gering. Nachbarre-gionen zu den derzeitigen Tbc-Gebieten, die noch als tuberkulosefrei gelten, soll-ten unbedingt Stichproben-untersuchungen machen. Maßnahmen müssen so früh wie möglich gesetzt werden. Jäger und Jagdwirtschaft haben ein ureigenes Interes-se an gesunden Rotwildbe-ständen, sind aber auch für die Intaktheit der Viehwirt-schaft verantwortlich. Die Rotwildreduktion als wich-tigste Maßnahme sollte dort,

wo nötig, einerseits relativ rasch erfolgen, andererseits ohne übermäßigen Stress, Beunruhigung und Hunger durch ständige Störung beim Äsen. Ansonsten droht die Gefahr der Reaktivierung von Latenzfällen. Es ist also eine Gratwanderung, welche Offenheit, Ehrlichkeit, Trans-parenz und Kooperation von allen Betroffenen erfordert. Weder Panikmache noch Verharmlosung nützen in dieser schwierigen Situation. Jede Gruppe muss ihre Ver-antwortung wahrnehmen.

Das original dieses bei-trages ist in der Jänner-2014-Ausgabe des „Der An-blick“ erschienen und wurde freundlicherweise von der redaktion zur Verfügung gestellt.

Tbc-Untersuchungsergebnisse erfordern Schwerpunktmaßnahmen

Die landesweiten Probenent-nahmen zur Untersuchung der Tbc-Prävalenz beim Rot-wild wurden Mitte Jänner abgeschlossen. Von den im Stichprobenplan geforderten 310 Proben wurden 309 von den Jägern bei den Amtstier-ärzten zur Untersuchung ab-gegeben. Zusätzlich wurden 15 Hegeabschüsse auf Tbc-untersucht. Nachdem in der Wildregion 2.1-Silbertal im Zuge eines Sonderprogram-mes weitere 183 Proben ge-wonnen wurden, ergibt sich für das Land Vorarlberg eine Gesamtuntersuchungsmen-ge von 507 Stück Rotwild. Den Jagdnutzungsberechtig-ten, insbesondere jedoch den Jagdschutzorganen gebührt für ihren außerordentlich hohen Leistungseinsatz bei der Probengewinnung aber auch den Jagdfunktionären, allen voran LJM Dr. Ernst Albrich für ihren Einsatz bei Aufklärungs- und Informa-tionsarbeiten bezüglich Tbc innerhalb der Jägerschaft ein

besonderes Dankeschön sei-tens des Landes Vorarlberg.

Die Ergebnisse aus dem Lan-desscreening ergeben eine Prävalenzrate von 2,3% bzw. 3,4% inkl. Hegeabschüsse, was in etwa den Werten aus den Vorjahren entspricht.

Zu weiteren Maßnahmen zwingt jedoch die Situation in den Wildregionen 2.1-Sil-bertal und 2.2 Klostertal. Obwohl im Silbertal die we-sentlich größere Probenan-zahl heuer keine höhere Prä-valenz als im Vorjahr ergab, erfordert die Infektionsrate und insbesondere die auf-fallende örtliche Konzent-ration von positiven Fällen in einem bestimmten Gebiet der Region eine erhöhte Auf-merksamkeit im kommen-den Jagdjahr.

Die Experten aus Wild, Jagd und Veterinär werden für diese Situation Schwer-punktmaßnahmen erarbei-

ten. Um die Entwicklung der Tuberkulose gut im Auge zu behalten, ist das landes-weite Tbc-Screening auch im Jagdjahr 2014/15 fort-zuführen, was abermals die gewissenhafte Mitarbeit der Jägerschaft und Jagdschutz-organe benötigt.

Obwohl mit Stichtag 27.01.2014 die landesweite Abschussplanerfüllungsrate sowohl beim Rot- als auch Rehwild „nur“ um die 90% beträgt, wurde heuer mit 3.402 erlegten Stück Rotwild neuerdings ein Abschussre-kord in Vorarlberg erzielt. Die auffallend geringen Er-füllungsraten bei Kitzen und Kälbern lassen die ungünsti-gen Witterungsbedingungen im Frühjahr deutlich erken-nen. Wenngleich nur wenige Wildregionen des Landes eine vollständige Abschusser-füllung erreicht haben, gilt allen Hegeobleuten, Jagdnut-zungsberechtigten und Jagd-schutzorganen ein beson-

deres Dankeschön für ihren großen jagdlichen Einsatz.

Die bevorstehenden Ab-schussplanungen erfordern eine intensive Erhebung der Ist-Situation bezüglich Wild-bestandstrend, Wildtierge-sundheit und Wildschadens-entwicklung, um realistische und umsetzbare Abschuss-vorgaben festlegen zu kön-nen. Dies benötigt wiederum eine enge Zusammenarbeit der Revier- und Regionsver-antwortlichen aus Jagd, Forst und Grundeigentum vor Ort, denn die Abschusspläne müssen weiterhin auf Fakten und definierte Ziele gründen.

Für das bevorstehende Jagd-jahr 2014/15 wünschen wir Ihnen viele schöne Begeg-nungen und Erlebnisse auf der Jagd sowie eine wohl-wollende Zusammenarbeit im Netzwerk Lebensraum-Wildtier-Mensch.

Entgeltliche Einschaltung des Landes Vorarlberg

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