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Page 1: Über die „ätzende“ Wirkung von Wasserstoffperoxyd

Naunyn-Schmiedeberg's Arch. exp. Path. u. Pharmak., Bd. 235, S. 51--62 (1958)

Aus dem Pharmakologisehen Institut (Direktor: Prof. Dr. F. HAVSCmLD) und dem Pathologischen Institut (Direktor: Prof. Dr. H. :BREDT)

der Karl-Marx-Universität Leipzig

Über die ,,ätzende" Wirkung von Wasserstoffperoxyd

Von 1 ~. HAUSCHILD» R. LUDE~VlG und H. MÜHLBERG

Mit 4 Textabbildungen

(Eingegangen am 15. September 1958)

SCHÜLEr, der in de r zahnä rz t l i chen P rax i s an umfangre ichem P a t i e n t e n g u t hochprozent ige Wasse rs to f fpe roxyd iösungen über mehl- als 30 J a h r e erfolgreich anwende t , weis t neuer l ich nachdrück l i ch d a r a u f hin, daß se lbs t 30--350/0iges Wasse r s to f fpe roxyd n ich t ä t zend wi rk t 35.

Angereg t durch diese Mi t te i lung k o n n t e n wir feststel len, daß in de r uns zugängigen L i t e r a t u r b i sher über diese E igenschaf t des Wassers toff - p e r o x y d s (WPO) sehr un te rsch ied l iche A n g a b e n gemach t werden.

Die offenbar allgemein noch vorherrschende Ansicht, daß WPO ätzend wirke (EICHHOLTZ 1955, KOB~RT 1902, LEWI~ 1893, MOLLER 1953, SOLLMA~N 1950 u.a., siehe l,a,6,:,ll,14,15,1s,2«,27,20-a~,a«,ag,4t, 42) mag auf Grund folgender Tatsachcn zu- nächst glaubhaft erscheinen:

Nach Aufbringen hochprozentiger WPO-Lösungen auf menschliche Haut oder Schleimhaut entsteht in Abhängigkeit von lokaler und individueller Rcaktions- bereitschaft, ähnlich der Verätzung mit Salzsäure oder Phenol, eine weißliche Verf~rbung des betreffenden Bezirkes, sowie ein eigentümliches Kribbeln und Jucken, das sieh mitunter zu stechendem Schmerz steigern kann (v. BERDE 1926, G~-BRYLOWICZ 1890, JESSE~ 1904, sowie andere Autoren, siehe 14,~~,26,~s,20,33,~,a0). Zudem werden verschiedentlich lokale Schädigungen nach WPO-Applikation auf unverletzte Oberflächen besehrieben (v. B~RDE 1926, ttEROLD 1908, HvSS 1902, LORT~ 1930). Eine wesentlich kleinere Anzahl von Autoren dagegen weist in offenbar wenig beachteten Arbeiten (v. BRiiexE u. GOL»BAe~ 1943, SC~üLE~ 1955, STön~ 1868, P~ET]~~ 1927 u. a., siehe a,9,12,2a,84,a3) darauf hin, daß die Weißfärbung rückbfldungsfähig ist oder dem WPO keine echte Ätzwirkung zukomme.

Die im fo lgenden beschr iebenen Un te r suchungen h a t t e n dahe r den Zweck, die F r a g e zu k lären , worau f die rückbi ]dungsfäh ige W e i ß f ä r b u n g des b e h a n d e l t e n Gewebes be ruh t u n d au f welche Weise even tue l l e ine lokale Schäd igung du rch A n w e n d u n g konzen t r i e r t e r e r W P O - L ö s u n g e n zus tande k o m m e n kann .

Methodik Wir behandelten Haut, Schleimhaut und seröse Hüute verschiedener Regionen

von Hunden, Katzen und Kaninchen, Meerschweinchen, Ratten und Mäusen mit WPO-Lösungen in Konzentrationen von 1--30°/0, ausgehend vom ,Perhydrol" der Fa. Merck.

4*

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52 F. H~USCltILD, R. LUDEWIG und H. Mti~L~E~G:

Die Dauer der einmaligen Einwirkung des WPO wurde von wenigen Sekunden bis zu 4 Std, die Zeitspanne von Einwirkungsende bis Gewebsentnahme und Fixierung von einigen Sekunden bis zu 72 Std abgestuft.

Nach zahlreichen Vorversuehen verwendeten wir vorwiegend Zunge, Herz und Hinterlaufpfotcn weißer Ratten. Soweit erforderlich, wurden die Tiere mit Urethan narkotisiert und bei den Versuchen an Zunge und Herz nach vorheriger Traeheo- tomie künstlich beatmet. In situ WPO-behandelte Menschenhaut konnten wir frischen Operationspräparaten entnehmen. Außerdem wurden mit der Rasier- klinge Hornlamellen im Bereich der Hohlhand über den ~etacarpalköpfchen ab- getragen und nativ oder fixiert und gefärbt in Flach- und Querschnitten mikro- skopisch beurteilt.

Die Fixierung der lebensfrisch entnommenen tierischen Gewebe erfolgte in Susa-Lösung, die der ~[enschenhaut in Formalin, die Einbettung in Paraffin. Wegen der technischen Schwierigkeiten bei der Mikrotomschnittführung mußten Häute und Pfoten über Methylbenzoat-Celloidin gebracht werden. Zusätzlich wurden Gefriersehnitte der isolierten Pfotenhaut hergestellt, die in Verbindung mit den nach Entkalkung der Pfoten gewonnenen Querschnitten eine zuverlässige Beurteilung ermöglichten.

Als Färbemethoden wählten wir Hämatoxylin-Eosin, Elastica-van Gieson- und die Trichrom-Färbung, modifiziert nach GOLDNER. Von jedem Präparat fertigten wir mehrere Stufensehnitte, gegebenenfalls auch Seriensehnitte an.

Diese Untersuchungen wurden an über 200 Tieren, 20 Operationspräparaten, insgesamt etwa 2000 histologisehen Schnitten und in zahlreichen Selbstversuchen durehgefiihrt.

Versuchsergebnisse

Wir k o n n t e n an al len mi t W P O behande l ten Geweben (Kaut , Schleimhaut , seröse Häute) grundsätzl ich die gleichen Beobachtungen machen. Unterschiedl ich waren nur die erforderlichen WPO-Konzen- t ra t ionen , Ausmaß, zeitlicher Ablauf und Erkennbarke i t der i~eaktionen in Abhängigke i t von den Eigenschaf ten der verschiedenen Gewebe:

Die weißliche Gewebsver/ärbung ist oft bereits mi t bloßem Auge und durch Pa lpa t ion eindeut ig als Emphysem zu erkennen. Das Auf t re ten von Gasblasen in den Gef/~ßen k a n n bereits nach Aufbr ingen von 1 °/0iger WPO-Lösung auf die Serosa beobachte t werden; das Lume n der k le ins ten Gefäße ist d a n n zumeist ganz mi t Gas ausgefüllt , in den able i tenden Venen wandern Gasblasen verschiedener Größe mi t dem Bluts t rom.

Zunge. Besonders gut war an der Zunge von Ka tzen und t I u n d e n nach kurzer W P O - E i n w i r k u n g eine rasche Gasausbre i tung zu verfolgen, die sich zunächs t an den Gefäßverlauf hielt u n d die Zunge mehr oder weniger gleichmäßig polstefförmig auftrieb. Mittelgroße Emphysem- polster b i lde ten sich b innen einiger S tunden wieder zurück, gasgeblähte Gcf/~ße fül l ten sich al lmählich mi t B lu t u n d nach vorübergehender Hyper/ /mie n a h m die Zunge ihr ursprüngliches Aussehen wieder an. Wurde die WPO-Einwi rkung vor Rückbi ldung dieser Erscheinungen öfters wiederholt, oder schon beim ers tenmal so lange fortgesetzt, bis die Zunge zu e inem schwammigen Gebilde aufgebläht erschien (Abb. ic), en twickel ten sich ausgedehnte Nekrosen.

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An unmittelbar nach kurzfristiger WPO-Einwirkung entnommenen Rattenzungen fielen histologisch am Übersichtsquerschnitt größere, zumeist rundliche Gewebsaussparungen auf, die muskulär, bindegewebig oder vereinzelt auch endothelial begrenzt waren (Abb. 1 b) und die als Folge der Gasansammlung in Geweben und Gefäßen angesehen werden müssen. Bei starker Vergrößerung erkannte man herdförmig oder perlschnurartig angeordnete kleinere Hohlr•ume, die unmittelbar unter dem Epithel, teilweise ins Stratum germinativum hineinragend, gelegen waren (Abb. 1 d).

An intensiv behandelten Zungen war die Ausdehnung des Emphysems so stark, daß die nähere Differenzierung der Gewebsstruktur größtenteils unmöglich wurde. Lediglich an der durch Dehnung verschmälerten Epithelschicht waren größere intraepitheliale Hohlräume und blasige Abhebungen der Hornschicht erkennbar (Abb. 1 c). An den kurzfristig mit WPO behandelten und nach 24 und 48 Std entnommenen Ratten- zungen beobachteten wir eine teilweise Auflockerung der Gewebs- strukturen, vereinzelte Hohlraumbildungen, gelegentlich kleine Gruppen- nekrosen im Stratum germinativum mit Merkmalen örtlich begrenzter Entzündung und blasige Umwandlung darüber gelegener Zellverbände. Diese Veränderungen konnten wir an den Schnitten der 72 Std nach der Behandlung entnommenen Zungen nicht mehr finden.

Die an weißeren Schleimhautbereichen durchgeführten Versuche brachten -- teilweise in Übereinstimmung mit anderen Untersuchern (v. BRÜCKE U. GOLD- ]3ACH 1943, ttO~SF~LL 1900) -- im wesentlichen gleiehartige Ergebnisse. Aus folgen- den Gründen erschien uns aber die Zunge als das geeignetste Untersuchungsfeld für die Schleimhaut: Die Zunge kommt im Gegensatz zu aboraleren Teilen des Verdauungstraktes auch in praxi -- bei Behandlungen innerhalb der Mundhöhle (ANDRESEN 1907, JESSEN 1904, ~)ETER 1927, SCHÜLER 1955, 1956) -- mit höher- prozentigen ~VPO-Lösungen in Berührung. Komplikationen der Verhältnisse wie durch zusätzliche Beeinflussung infolge Drucksteigerung in Hohlräumen, Salz- säurewirkung, Erschwerung der Sichtkontrolle entfielen.

Herz. Die WP0-Einwirkung auf das Epißard bot den Vorteil, daß die Gefäl3- beobachtung nicht durch Aufblähung lockeren Bindegewebes gestört wurde und die 0rganfunktion in situ besonders gut zu beobachten war.

Während einige Tropfen 5--10°/0iger Salzsäure, auf das Epikard geträufelt, zu einer bräunlichen Verfärbung des Iterzmuskels führten, die Koronargefäße schwarzb]au gefüllt erschienen und nach wenigen unkoordlnießen Kontraktionen das erschlaffte Herz still stand, wurde nach Aufbringen von WPO eine rasch zunehmende, der Ausbreitung des Emphysems entsprechende Weißfärbung beobachtet. Die Herzkranz- gefäße waren ebenso wie die Vorhöfe, deren Kontraktionen kräftig angeregt wurden, mit hellrotem Blut und zahlreichen Gasblasen ange- füllt. Die weißliche Verfärbung bildete sich über eine graurote Tönung alhnählich zurück, so daß das Herz innerhalb kürzester Zeit in Aussehen und Funktion wieder völlig normal erschien.

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Zu intensive WPO-Einwirkung konnte zum Stillstand der mi/chtig schaumgeblähtenVentrikel bei puhnonaler Gasembolie führen. Die Ven- trikelaußenw/~n4e waren in Abhängigkeit von der Behandlungsintensit~t

Abb. l a u . b

Abb. l a - - d , l~attenzunge (II. E., mikroskopische Vergrößerung: a - -c 12 fach, d 63i~,ch). a nor- mal, b und d nach 1 min Einwirkungsdauer von 30°/o tirOl; c nach 5 minEinwirkungsdauer von

30°/o H202

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und Wandstärke mit vorwiegend subei0ikardial gelegenen Blasen durchsetzt, das Septum erschien im Schnitt unverändert. Herzen, die 2 Std nach der WPO-Einwirkung entnommen worden waren, zeigten

A b b . 1 c u. d

histologisch vereinzelt serös gefüllte Hohlräume, gelegentlich kleinere Blutungen im )lyokard und als Zeichen der Stase Randständigkeit der

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Leukocyten in einigen Venen. Das Epikard war zu diesem Zeitpunkt nur dann zerrissen, wenn die Enlphyseme besonders stark ausgeprägt waren (Abb. 2).

Epidermis. Zur makroskopischen Beurteilung der WPO-Einwirkungs- folgen auf die intakte Epidermis eignere sich anl besten die menschliche

Haut, die je nach indi- vidueller Empfindlich- keit und regionärbe- dingter Struktur 3Ai~en der ,,Weißf~rbung" un- terscheiden ließ :

1. Bei epicutaner Ein- wirkung von 20 b!s 30°/0iger WPO-Lösung war besonders deutlich an der volaren Seite der Hand eine sehneeweiße, oberflächliche Haut- verfärbmlg erkennbar (Abb. 3a), die zumeist von den Cristae aus-

Abb. 2. Rattenherz-Ventrikcl, Querschnitt (K. E., mikrosko- ging und innerhMb VOll pische Vergrößerung 8faeh). Unmittelbar nach 30sec Ein-

wirkungsdauer von 10°/0 II20ù, auf das EpJkard 1 - - 2 S t d verschwand. Wie die histologisehen

Schnitte zeigten, beruhte diese Erscheinung auf der Einlagerung kleinster Gasblasen in den obersten Lagen des Stratum eorneum (Abb.3b--d).

2. Gleichzeitig trat -- deutlicher an der Haut des Bauches und der volaren Unterarmseite zu sehen -- eine von arterieller t typerämie gefolgte Abblassung auf, die nur wenige Minuten bestand und offenbar als Gasembolie innerhalb der periphersten Gefäße aufgefaßt werden kann.

3. Nach längerer Einwirkung von Perhydrol entstanden deutlich sicht- und tastbare, tiefer gelegene Gaspolster. Im histologisehen Schnitt zeigte die mit WPO epicutan behandelte menschliche Bauehhaut (Abb. 4 e) dementsprechend im Corium verstreute mittelgroße rundliche, vorwiegend um die Schweißdrüsen und ihre Ausführungsgänge ange- ordnete Hohlräume. Stellenweise fand sich unter blasigen Abhebungen der Epidërmis eine örtlich begrenzte Quellung des kollagenen Binde- gewebes.

Bei längerer epicutaner Einwirkung von Perhydrol waren an der rasierten Rücken- und Bauehhaut erwachsener Ratten rasch rückbildungsfähige Emphysem- polster zu erzielen, die bis zu PflaumengrÖße annehmen konnten. In der Naeh- beobaehtungszeit konnten makroskopiseh keine Nekrosen mM keine Störungen im I-Iaarwaehstum festgestellt werden.

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Es schien uns wichtig, mit WPO behandelte Gewebe in situ zu beurteilen, da aus ihrem Zusammenhang gelöste und ihrer normalen Durchblutung und Katalaseaktivität beraubte Gewebe mitunter zu falschen Vorstellungen über die Reversibilität der Erscheinungen führen können (SoT,]~RIG 1949, WOLPm~S 1948). Außerdem war zu berücksichtigen, daß bis zur Ausbildung histologisch fal3barer Veränderungen nach Verätzungeu (z. B. durch Sublimat oder Formalin) lungere Zeit verstreichen kann.

Abb. 3 a - - d

Abb. 3 a---d. Menschliche H a u t (Finger , l :Iohlhand), (mikroskopische Vergrößerung b - - d 63fach) . a Zeigefinger nach 5 min. E inwi rkungsdaue r von 3 0 % H~O.,; b F laehschn i t t : t to rnhaut lamel le , un- behandel t ; c wie b, jedoch uacll vo rangehender H20~-Einwirkung in s i tu (30 m i n 3 0 % H~O2);

d Querschni t t zu c

Für die histologischen Untersuchungen verwendeten wir vorwiegend die Hinterlaufpfoten von Ratten, da deren Haut der menschlichen verhältnismäßig ähnlich ist und sich eine Depilation erübrigt, so daß ihre Integrität nicht gefährdet war. Die durch Eintauchen der Pfoten in WPO-Lösungen erzeugten Emphyseme bildeten sich allmählich zurück, ohne nennenswerte Veränderungen zu hinterlassen. Waren die Pfoten nach der Behandlung so emphysematös, daß sie sich insgesamt luftkissen- artig anfühlten, erfolgte die Rückbildung zumeist über ein Ödemstadium.

Histologisch gewannen wir an den unmittelbar nach der Behandlung entnommenen Pfoten den Eindruck, daß die großen Gasblasen vor- wiegend in den tiefen Schichten oberhalb der Phalangen lokalisiert waren (Abb.4b).

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An Häuten, die 30--60 min mit 20--30°/oigcn WPO-Lösungen be- handelt worden waren, fanden sich 24, 48 und 72 Std nach der Ein- wirkung histologisch keine sicheren Anhaltspunkte für die Ausbildung von Verätzungsfolgen. Lediglich in einzelnen Präparatcn beobachteten

Abb. 4au . b

Abb. 4a- -c . l taut- Querschnitte (H.E., mikroskopische Vergrößerung a und b 25t~~ch, c 63fach). anor- male, unbehandelte Rattenhinterlauf-Pfo~e; b Rattcnhintcrlauf-Pfote unmittelbar nach 30min Einwirkungsdauer von 30% H~O2; c menschliche Bauchllaut (Oper~tionspr~parat), unmittelbar

nach 30 min Einwirkung in situ von 30% H~O2

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~ber die ,,ätzende" Wirkung von Wasserstoffperoxyd 59

wir celluläre Reaktionen mit geringer Leukoeytenbcteiligung, die auch als Folge subcutaner Sauerstoffinsufflationen bekannt sind (L~co~TE u. DEMARQUAI) und vorwiegend subepithelial und vereinzelt herdförmig auch intraepithelial gelegen waren. In einem Teil der Fälle, in denen durch extreme WPO-Einwirkung besonders ausgedehnte Emphyseme ent- standen waren, zeigten sich im histo]ogischen Schnitt stellenweise

Abb. 4 c

abgehobene und dadurch nekrotische Epithelbezirke, unter denen sich serös-leukocytäres Exsudat befand. Zudem beobachteten wir eine seröse Durchtrgnkung des Gewebes und Fibringerinnsel in den Venen.

Besprechung der ¥ersuchsergebnisse Während eine isolierte Betrachtung einzelner Befunde nach Wasser-

stoffperoxyd-Einwirkung den Anschein erwecken könnte, WPO wirke ätzend, führe also zur Korrosion oder Verschorfung, kommt man bei einer Zusammenfassung der vorliegenden Ergebnisse zu folgenden Vorstellungen :

Wie wir histologisch veranschaulichen konnten, t re ten unter Ein- wirkung hochprozentiger WPO-Lösungen auf intakte tierische Hau t oder Schleimhaut unterschiedlich große Gasblasen im behandelten Gewebs- bereich und seinen Gefäßen auf. Hierdurch und durch Verdrängung des Blutes aus den Capillaren entsteht eine Weißfärbung, die sich mit zunehmender Resorption bzw. mit dem Verschwinden des Gases allmäh- lich zurückbildet. Das in den obersten Schichten befindliche Gas kann,

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je nach Dicke und Festigkeit der bedeckenden Lage, zur Absprengung von Epithelzellverbänden führen, die beispielsweise an der menschlichen Epidermis nach chronischer WPO-Einwirkung als leichte Aufrauhung der Hau t imponieren kann. Die in den verschiedenen Schichten auf- tretendert Gasblasen werden im allgemeinen resorbiert, ohne makrosko- pisch oder histologisch nachweisbare Schädigungen zu verursachen.

I s t die Gasentwicklung im Gewebe zu intensiv, so kann es zu mecha- niseh bedingten Zerreißungen mit kleinen Blutungen kommen, besonders dann, wenn es sich um sehr zarte Gewebsstrukturen und zu hohe WPO- Konzentrat ionen handelt oder die Behandlungsintervalle zu klein sind. In solchen Fällen können unter Umständen die gasnmgebenen, an Katalaseakt iv i tä t geminderten Gewebselemente nicht mehr ausreichend ernährt, vor der eiweißkoagulierenden Wirkung des WPO geschützt und daher nekrotisch werden, womit eine gesteigerte Empfindlichkeit gegen WPO und andere Einfiüsse Hand in Hand geht. Gleichzeitig einsetzende Zirkulationsstörungen erklären die Fibringerinnsel in den Venen, die seröse Durchtränkung des Gewebes und auch die eingangs erwähnten Mitteilungen über lokale Schädigungen nach WPO-Anwendung, sofern nicht Beimischungen, z.B. Säurezusätze aus Stabilisierungsgründen anzuschuldigen sind (v. BERDE 1926; LORTI~ 1930; STög~ 1868).

Das zumeist empfundene Kribbeln ist annehmbar auf Ausbreitung der Gasblasen zurückzuführen (v. B~~CKE U. GO~DBAC~ 1943) und wird auch zuweilen nach Insufflation molekularen Sauerstoffs beobachtet.

Nach den vorliegenden Untersuchungen ist das mitunter geübte Aufbringen größerer Mengen hochprozentigen Wasserstoffperoxyds (5--30°/0) auf Schleimhäute zu therapeutischen und diagnostischen Zwecken nur mit Vorbehalten vertretbar, obgleich es nicht zu einer eigentlichen Verätzung kommt. Wohl aber können rein mechanisch Gewebsdestruktionen durch das im Gewebe in großen Mengen ent- stehende Sauerstoffgas auftreten und außerdem große Gebiete für längere Zeit ohne ausreichende Blutversorgung bleiben. Das Spülen der Mundhöhle mit hochprozentigem WPO, wie es von SCKÜLE~ 35 empfohlen wird, ist aus dengleiehen Gründen nicht als gefahrlos anzusehen.

Dagegen ist es möglich, wie dies auch an anderer Stelle (LuDEWm 1958) gezeigt wurde, durch epicutane Applikation von Wasserstoffperoxyd in geeigneter Form und Konzentrat ion gefahrlos und über lange Zeit beträchtliche Mengen gasförmigen (und auch ~~tomaren?) Sauerstoffs in die Gewebe und die Blutbahn zu bringen.

Auf die den Rahmen der Arbeit überschreitende und auch noch nicht befriedigend geklärte Frage nach dem l~esorptions- und Spaltungs- mechanismus des WPO wird später an anderer Stelle eingegangen werden.

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Die , b l e i c h e n d e W i r k u n g " des W P O k a n n an der e ingangs beschr ie- benen W e i ß f ä r b u n g der H a u t n ich t ursäehl ich be te i l ig t sein, da die behande l t e Stei le - - auch bei häuf igerer Anwendung - - spä t e s t ens innerha lb einiger S t u n d e n ihre normale F a r b e wieder a n g e n o m m e n ha t . Offenbar werden die in den basa len Ep i the l s ch i ch t en und d a r u n t e r l iegenden P i g m e n t e de r no rma len H a u t von unze r se t z t em W P O n ich t in h inre ichender K o n z e n t r a t i o n erreicht . Eine echte Ble ichwi rkung k a n n nu r an k a t a l a s e a r m e n oder -freien, dem W P O le icht zugängl ichen, p i g m e n t h a l t i g e n S t r u k t u r e n - - z .B. an den H a a r e n - - zur E n t f a l t u n g kommen .

Zusammenfassung Die vie l fach noch ve r t r e t ene Ansicht , konzen t r i e r t e s Wassers toff -

p e r o x y d wirke ä tzend , k a n n einer exper imen te l l en Übe rp rü fung n ichf s t a n d h a l t e n . W e i ß e Ver fä rbungen u n d unangenehme oder schmerzhaf te E m p f i n d u n g e n nach P e r h y d r o l - B e h a n d l u n g der H a u t sowie d ie Ta t - sache, daß es m i t u n t e r zu Gewebsschäd igungen k o m m e n kann , berech- t i gen n ich t zu der Behaup tung , daß Wasse r s to f fpe roxyd ä tz t .

Es konn te in zahl re ichen Tierversuchen, an menschl ichen Opera t ions- p r ä p a r a t e n , in v ie len Se lbs tversuchen u n d an e iner g roßen Zahl von his to logischen Schn i t t en beobach t e t werden, daß die rückb i ldungsfäh ige W e i ß f ä r b u n g nach Wasse r s to f fpe roxyde inwi rkung a u f E in lage rung von Gasblasen im Gewebe und au f einer f lücht igen Blu t lee re de r Capi l la ren u n d n ich t auf i r revers ib le r Schädigung (Ätzung) beruht . Nennenswer t e Schäden wurden nur d a n n beobach te t , wenn die E inwi rkung von Wasser - s to f fpe roxyd so in tens iv war, daß es über die Ausb i ldung al lzu aus- gedehn te r E m p h y s e m e u n d lokaler Z i rku la t i onsbeh inde rung zu E rnäh - rungss tö rungen begrenz te r Gewebsbezi rke kam.

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Prof. Dr. F. HAUSCHILD, Dr. R. LUDEWIG und Dr. H. Mi)HLBERG, Pharmakologisches Inst i tut der Karl-Marx-Universit~t, Leipzig C 1, H~rtelstr. 16/18


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