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E D I TO R I A L

In anderen Fächern ist es völlig normal, dass nach dem Stu-dium der Schritt in die Selbstständigkeit folgt. Mediziner

oder Juristen beispielsweise eröffnen oft eigene Praxen oderkaufen sich in vorhandene ein. Die meisten Chemiker stre-ben jedoch letztlich eine Stelle in einer abhängigen Be-schäftigung an; wer sich selbständig macht, ist eher ein Exot.Im Jahrgang, der 2012 die Hochschulen mit einer Promo -tion verlassen hat, waren es 6 von 1323 Personen, entspre-chend 0,5 Prozent [1]. Zum Vergleich: 602 der Absolventenhaben gleich nach der Promotion eine Stelle in der Wirt-schaft angenommen, das entspricht 45 %. Am Ende wird der Anteil noch höher sein, da viele Absolventen nach einem Postdoktandenaufenthalt ebenfalls in die Wirtschaftwechseln.

Im Jahr 1999 gehörten Oli-ver Seidelmann und zwei

seiner Kommilitonen zuden Exoten. Sie gründetendirekt nach der Promotionein eigenes Unternehmen –und sind erfolgreich. Dassder Weg dahin auch überUmwege und Holperstre-cken führte, wird aus dem Aufsatz auf den Seiten 286–294deutlich. Für die ChiuZ berichtet Oliver Seidelmann überden Werdegang des Unternehmens ChiroBlock: von den ers-ten Ideen, den Reaktionen der Studienkollegen, den He-rausforderungen bei der Finanzierung, den Schwierigkei-ten, im Markt Fuß zu fassen, den unternehmerischen Grund-satzentscheidungen und den vielen anderen Dingen, auf diedas Studium nicht vorbereitet. Es ist ein Plädoyer für eineselbstständige Tätigkeit, das klar macht, dass der Schritt indie Selbstständigkeit eine zentrale Lebensentscheidung,oder drastischer ausgedrückt eine Lebenseinstellung ist.

Dieser Aufsatz geht auf den Besuch eines Innovations-forums über funktionelle Farbstoffe zurück, das im

Frühsommer 2012 im Rahmen einer „RegionalförderungMitteldeutschland“ des Bundesministeriums für Bildung undForschung in Wolfen stattfand. Am traditionellen Chemie-standort Bitterfeld-Wolfen produzieren und entwickeln einige mittelständische Firmen funktionelle Farbstoffe – dieAnwendung dieser Farbstoffe beispielsweise in der medizi-

nischen Diagnostik oder in organischen Halbleitersensorenberuht jedoch nicht auf ihrer Farbigkeit, sondern auf ande-ren Eigenschaften. Im abwechslungsreichen Programm waren auch Themen für die ChiuZ dabei, so dürfen Sie sichfreuen auf einen Aufsatz über lithografische Druckplattensowie einen Abriss der Geschichte der Agfa-Werke, der größ-ten europäischen Filmfabrik.

Doch ChiroBlock produziert keine Farbstoffe, sondernchirale Bausteine und tauchte daher im Programm gar

nicht auf, war aber als ortsansässiges Unternehmen beimAbendempfang vertreten. Diesen wollte ich nach einem lan-gen Tag voller Vorträge und Postersession ursprünglich zu-gunsten eines Spaziergangs durch die Ortschaft ausfallen

lassen, aber heftiger Regenund ein bescheidenes gas-tronomisches Angebot inWolfen bewirkten bald ei-nen Sinneswandel. Als ichbeim Empfang ankam, wa-ren alle Grußworte gespro-chen und alle Sitzplätze ver-geben, nur an einigen Steh-tischchen gab es noch letz-

te Lücken. An dem freien Platz, den ich mir aussuchte, fielmir das kreative Werbematerial eines Unternehmens na-mens ChiroBlock ins Auge; so kamen wir ins Gespräch: BeimAbendessen berichtete Herr Seidelmann mit ansteckenderBegeisterung über seine Firma; zudem imponierte mir derMut, direkt von der Hochschule eine Unternehmensgrün-dung zu wagen, die mit doch erheblichen finanziellen Ver-bindlichkeiten einhergeht.

Wie gründe ich ein Unternehmen? Dieses Thema soll-te alle jungen Leser interessieren. Bis zur Manu-

skriptzusage war es noch ein hartes Stück Überzeugungs-arbeit (hoffentlich nicht Überredung…), da eher die Erfah-rungen als Unternehmer und weniger die Chemie gefragtwaren. Aber auch das ist Chemie in unserer Zeit.

DORIS FISCHER-HENNINGSEN

[1] GDCh-Statistik der Chemiestudiengänge 2012, www.gdch.de/statistik

Ungewöhnliche Wege

Chem. Unserer Zeit, 2013, 47, 275 www.chiuz.de © 2013 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim 275

Dr. Doris Fischer-Henningsenist Chefredakteurin von „Chemie in unserer Zeit“.

Wie kommt die ChiuZ eigentlich zu Ihren Themen? Diese Fragewird mir oft gestellt. Eine einfache Antwort darauf gibt esnicht, denn die Möglichkeiten sind vielschichtig. Exemplarischmöchte ich daher an dieser Stelle in loser Reihe die Entstehungeiniger Aufsätze vorstellen – und um wissenswerte Hinter-grundinformationen ergänzen.

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