Redaktion
C. Krettek, Hannover
Unfallchirurg 2007 · 110:490–504
DOI 10.1007/s00113-007-1267-x
Online publiziert: 2. Juni 2007
© Springer Medizin Verlag 2007
G. Holle · K. Riedel · H. von Gregory · E. Gazyakan · N. Raab · G. Germann
Klinik für Hand-, Plastische und Rekonstruktive Chirurgie, Schwerbrandverletztenzentrum,
Klinik für Plastische und Handchirurgie an der Universität Heidelberg, Ludwigshafen
VakuumtherapieAktueller Stand der Grundlagenforschung
Leitthema
Die Behandlung mit subatmosphä-
rischem Druck ist ein bewährtes chir-
urgisches Konzept. Ursprünglich wur-
de sie als Redon- oder Bülau-Draina-
ge unter rein mechanistischer Sicht-
weise angewandt. Der Abtransport
von Sekret und die schnellere Re-
adaptation des Gewebes waren Ziel
der Behandlung [99, 110, 114].
Fleischmann et al. [35] berichteten Anfang
der 1990er Jahre über eine Technik, bei
der erstmals flächige Wunden unter Ver-
wendung eines von Sogdrainagen durch-
zogenen Schwammes mit Vakuum behan-
delt wurden. Es entstand der Begriff der
Vakuumversiegelung.
Argenta u. Morykwas [4] publizierten
Mitte der 1990er Jahre tierexperimentel-
le und klinische Studien, in denen sie die
physiologischen Grundlagen der Vaku-
umbehandlung untersuchten [84]. Mit der
Fa. KCI (Kinetic Concepts Inc., San Anto-
nio, TX, USA) wurde das VAC®-Wund-
versorgungssystem entwickelt und unter
Patentschutz gestellt. Ein neuer Begriff,
die VAC®-Therapie (VT), entstand. Dieser
beschreibt (im Unterschied zu der „Ver-
siegelung“) eine dynamische und steuer-
bare Therapie mit variablen Behandlungs-
parametern.
Der temporäre Verschluss von Weich-
teildefekten durch eine simple Technik
war für viele Fachgebiete attraktiv und
führte zur schnellen Verbreitung. Da-
durch entstand eine breite Schere zwi-
schen unkritischer klinischer Anwen-
dung und tatsächlichen Erkenntnissen
über die physiologischen Wirkungsme-
chanismen.
Anhand einer Metaanalyse von „Peer-
reviewed-Publikationen“ beschreibt die
vorliegende Arbeit den derzeitigen Stand
der Grundlagenforschung über die Wir-
kungsweise der VT an Zellen und Gewe-
ben. Die Ergebnisse von Studien werden
thematisch geordnet, systematisiert und
kritisch in Relation zu alternativen mo-
dernen Möglichkeiten der Wundbehand-
lung analysiert. Die Arbeit ermöglicht so-
wohl dem Kliniker als auch dem wissen-
schaftlich tätigen Chirurgen einen schnel-
len, profunden Einstieg in die Thematik.
Dabei liefert sie eine ausführliche Litera-
tursammlung zur Thematik der mecha-
nischen Zellstimulation. So soll künftig
die Indikationsstellung für den verantwor-
tungsvollen Einsatz der VT erleichtert und
auf die Notwendigkeit weiterer Grundla-
genforschung hingewiesen werden.
Methode
Literaturanalyse
Die Arbeit basiert auf der Metaanalyse
von „Peer-reviewed-Publikationen“ unter
Verwendung der Suchmaschinen „Pub-
med-Med.line“, „Cochrane library“ und
der Online-Bibliothek der Universität Hei-
delberg. Die Begriffe „randomised clinical
trials (RCT‚s), topical negative pressure,
sub-atmospheric pressure therapy, sub-at-
mospheric pressure dressing, vacuum sea-
ling, vacuum-assisted wound closure, va-
cuum-assisted closure, VAC, V.A.C., nega-
tive pressure dressing, foam suction dres-
sing, vacuum compression, vacuum pack
und sealed surface wound suction“ wur-
den zur Suche verwendet.
Technische Grundlagen
Das VAC®- („Vacuum-assisted-closure“)
System wird von der Fa. KCI als kom-
plette Therapieeinheit kommerziell an-
geboten. Es besteht aus einem Schwamm
mit Drainageschlauch, einem Flüssig-
keitsbehälter, Verbindungsschläuchen,
der Vakuumpumpe und Klebefolien aus
Polyurethan. Grundprinzip ist der Auf-
bau eines Soges durch die computerge-
steuerte Pumpe. Dieser wird über den
Schlauch mit integriertem Sammelbehäl-
ter auf den Schwamm übertragen. Durch
seine Balken- und Porenstruktur über-
trägt der Schwamm den Sog gleichmä-
ßig über seine gesamte Oberfläche. In-
stalliert wird das System durch Auflegen
des Schwammes auf die Wundfläche, an-
schließend wird die Folie darüber und
über die angrenzende Haut geklebt. Da-
durch entsteht eine abgeschlossene Kam-
mer. Wird nun über den Schlauch die
Luft entzogen, saugt sich der Schwamm
gleichmäßig an der Wundfläche fest. Der
Schwamm kann nicht nur auf Wundflä-
chen (chronische Wunde), sondern auch
zwischen Wundrändern (Dehiszenz) oder
in einer Wundhöhle fixiert werden.
Therapieoptionen
Das VAC®-System ermöglicht die Vari-
ation bestimmter Parameter, um thera-
peutische Standards für spezielle Anfor-
derungen zu gewährleisten. Übliche Be-
handlungsoptionen sind in . Tab. 1 dar-
gestellt. Die Pumpe übernimmt sowohl
die Applikation als auch die Messung des
Soges und alarmiert bei Störungen.
490 | Der Unfallchirurg 6 · 2007
Physiologie und Pathophysiologie
Historische Entwicklung
Das Wissen über biochemische und mo-
lekulargenetische Prozesse der Wundhei-
lung ist in den letzten Jahrzehnten erheb-
lich gewachsen. Die Wundheilung wird
heute als eine komplexe lokale und über-
regionale Interaktion von Chemotaxis,
Zellmigration, Genexpression, Protein-
synthese, Wachstumsfaktoren, Angioge-
nese, Gewebeproliferation, Proteinase-
wirkung und Apoptose betrachtet [18, 73,
74, 96, 137]. Anfang des letzten Jahrhun-
derts war bereits bekannt, dass mecha-
nische Belastung zur Induktion von An-
giogenese und Gewebeproliferation führt
[21, 121]. Neuere Studien zeigten, dass me-
chanischer Stress im Gewebe eine erhöhte
Mitoserate [92], Angiogenese [105] und
Proliferation mit Reparaturvorgängen
[122] auslöst. Auch die Strukturen des Ge-
webes sind in ihrer morphologischen An-
ordnung von mechanischen Kräften ab-
hängig [76, 141]. Erfahrungen mit Gewe-
beexpansion [3, 92, 98], Distraktion von
Knochen [62], Gefäßen [45, 89, 117] und
Nerven [52] bestätigten dies. Nicht nur
Gewebeverbände sondern auch einzelne
Zellen unterliegen in Wachstum und Dif-
ferenzierung mechanischen Einflüssen.
So ließen sich in vitro an isolierten Zel-
len durch mechanischen Stress Prolifera-
tionen auslösen [90, 118, 119].
Der genaue Mechanismus der Signalü-
bertragung mechanischer Kräfte auf Zel-
len ist noch nicht endgültig erforscht. Es
wird vermutet, dass die Deformierung der
extrazellulären Matrix über sog. Integri-
ne (transmembranöse Brückenmoleküle)
auf das Zytoskelett übertragen wird. Dort
führt es zur Freisetzung von „second mes-
sengern“ (Prostaglandine, Inositol, Phos-
phate, Proteinkinase C und Kalzium, [63,
64]). So gesteuert tritt die Zelle in eine ak-
tive Phase des Zellzyklus ein (G0>G1),
und es kommt zur Expression von Wachs-
tumsgenen mit konsekutiver Gewebepro-
liferation [10, 29, 59, 107, 108, 109, 124, 139,
145]. Es gibt Hinweise, dass nicht nur die
einwirkende Kraft sondern auch die dar-
aus resultierende Zellform über das Reak-
tionsmuster der Zelle entscheiden. In-vit-
ro-Versuche zeigten, dass Zelldehnungen
zu Proliferationen führten, während ku-
Zusammenfassung · Abstract
Unfallchirurg 2007 · 110:490–504 DOI 10.1007/s00113-007-1267-x
© Springer Medizin Verlag 2007
G. Holle · K. Riedel · H. von Gregory · E. Gazyakan · N. Raab · G. Germann
Vakuumtherapie. Aktueller Stand der Grundlagenforschung
Zusammenfassung
Die Schere zwischen breiter klinischer An-
wendung der VAC-Therapie® (VT) und Kennt-
nis der physiologischen Wirkungsmechanis-
men ist groß. Der sinnvolle Einsatz der Tech-
nik und deren Weiterentwicklung setzt die Er-
forschung der Wirkungsweise voraus. Durch
eine Metaanalyse von Peer-reviewed-Publi-
kationen beschreibt die vorliegende Arbeit
umfassend die Ergebnisse der Grundlagen-
forschung über die Effekte der VT. Diese wer-
den in Relation zu anderen therapeutischen
Ansätzen der Grundlagenforschung im Rah-
men der Wundbehandlung (Wachstumsfak-
toren etc.) gesetzt.
Die Arbeit beinhaltet eine übersichtliche
Darstellung des wissenschaftlichen Hinter-
grundes der mechanischen Stimulation von
Zellen anhand von Grundsatzarbeiten zur Ge-
webeexpansion, Knochen-, Gefäß- und Ner-
vendistraktion und In-vitro-Zellstimulation.
Die Prüfung der wissenschaftlichen Daten-
lage aller bekannten Effekte der VT erfolgt
nach folgender Systematik: Ergebnisse tier-
experimenteller Studien, klinisch randomi-
sierter Studien, klinische Anwendungsbeob-
achtungen/Fallbeschreibungen. Die Bewer-
tung der Studien erfolgt hinsichtlich Design
und Aussagekraft und die Einschätzung an-
hand eigener klinischer Erfahrungen. Es wer-
den zelluläre Effekte (Proliferation, Synthe-
se, Wundheilung), systemische Effekte (Me-
diatoren, SID), extrazelluläre Effekte (Perfusi-
on, Ödem, Wundmilieu, Stabilisation, Barrie-
re) und komplexe Effekte der VAC-Therapie®
(Entzündung, Matrixfunktion, Durchblutung)
auf ihre Datenlage hin überprüft.
Die systematische Aufarbeitung der Da-
ten ermöglicht dem wissenschaftlich täti-
gen Chirurgen einen schnellen Einstieg in die
Thematik, einen bisher in dieser Ausführlich-
keit nicht existierenden Überblick in den ak-
tuellen Wissenstand und liefert eine umfas-
sende Literatursammlung zu allen Bereichen
der Thematik der mechanischen Zellstimula-
tion. Die Autoren benennen Schwerpunkte
zukünftiger Forschung und regen zu multi-
zentrischen Studien an.
Schlüsselwörter
VAC-Therapie · Wundbehandlung ·
Mechanische Stimulation von Zellen ·
Weichteildefekte · Zelluläre Wirkung
Vacuum-assisted closure therapy. Current status and basic research
Abstract
The gap between the broad clinical use of
vacuum-assisted closure therapy (VT) and
knowledge of the physiological mechanisms
leading to its effectiveness is great. The val-
ue of the technique and its future develop-
ment are dependent on research into these
mechanisms.
A meta-analysis evaluating the results of
basic research on the effectiveness of VT was
carried out based on peer reviewed publi-
cations. This is considered in relation to oth-
er therapeutic approaches of basic research
to wound healing (growth factors etc.). Our
study includes a concise description of the
scientific background to the mechanisms of
cell stimulation using basic work on tissue
expansion, bone, vessel and nerve distrac-
tion as well as in vitro cell stimulation. Eval-
uation of the scientific data on all known ef-
fects of VT was made based on the results
from experimental animal studies, the results
of randomized clinical studies, observations
on clinical applications and case reports. As-
sessment of the studies was based on de-
sign and significance as well as the apprais-
al of our own clinical experience. Data involv-
ing cellular effects (proliferation, synthesis,
wound healing), systemic effects (mediators,
systemic inflammatory disease), extracellular
effects (perfusion, edema, local wound envi-
ronment, stabilization, barriers) and complex
effects of VT (inflammation, matrix function,
blood supply) were examined.
Systematic analysis of the data allows sci-
entifically interested surgeons rapid access to
the theme, the first, to this extent, extensive
overview of the current scientific situation as
well as a comprehensive bibliography for all
areas involving the theme of mechanical cell
stimulation. The authors list major areas for
future research and encourage the develop-
ment of multicenter studies.
Keywords
VAC therapy · Wound treatment ·
Mechanical cell stimulation ·
Soft tissue defects · Cellular effect
491Der Unfallchirurg 6 · 2007 |
gelförmig komprimierte Zellen im Zell-
zyklus pausierten oder apoptotisch wur-
den [16, 60].
Spezielle Wirkung der Vakuumbehandlung
Die genauen physiologischen Abläufe bei
der VT sind nicht bekannt. Zahlreiche
Mechanismen stehen zur Diskussion. Die
Publikationen werden im Folgenden hin-
sichtlich ihrer experimentellen und kli-
nischen Datenlage systematisch unter-
sucht. Die Systematik wurde auf den An-
griffspunkt (zellulär, extrazellulär, syste-
misch), an dem die VT ihre Wirkung ent-
faltet, bezogen. Es kommt bei manchen
Effekten zu Überschneidungen. Zum Teil
waren diese sehr komplex, sodass die Sys-
tematik erweitert wurde (kombinierte
Wirkung, . Abb. 1)
Zelluläre Wirkung der VAC-Therapie®Vor dem Hintergrund der oben genann-
ten historischen Experimente wurde an-
genommen, dass die mechanische Kraft-
übertragung des Vakuums auf Zellen und
Gewebe ausschließlich durch Dehnungs-
reize erfolgt.
Grundlagen: Saxena et al. [111] un-
tersuchten als Erste den Mechanismus
der Transduktion des Vakuums vom
Schwamm auf die Zellen. Sie etablierten
das Modell eines mikroskopisch kleinen
Bausteins aus Schwamm und Wundfläche.
Für diese Teilkomponente des VAC-Sys-
tems waren sie in der Lage, Verformungen
und Dehnungskräfte am Schwamm und
den Zellen der Wundfläche zu berechnen
(„Finite-Elemente-Analyse“) und mit his-
tologischen Befunden zu vergleichen. Es
zeigte sich, dass das Anlegen eines Dau-
ersoges zu ondulierenden Verzahnungen
zwischen Schwamm und Wundfläche
(Zellen) führte. Dieses Verzahnungsmus-
ter ließ sich mit Hilfe biomechanischer
Normalwerte berechnen [43] und in den
berechneten Maßen nach 4 Tagen VT
histologisch visualisieren [111]. Weiterhin
wurde dabei ein reichhaltiges Gefäßnetz
sichtbar.
Eine Erhöhung des therapeu-
tischen Soges und der Porengröße des
Schwammes, sowie eine Verringerung
der Dicke der Schwammbalken führten
im Experiment zu einer Steigerung der
Zelldehnung. In der Computersimulation
zeigten sich direkt unter den Schwamm-
balken starke Zellkompressionen (Orte
der Verzahnung) und unmittelbar neben
den Balken (Porenbereich) die stärksten
Zelldehnungen, während im Zentrum der
Schwammporen niedrige Zelldehnungs-
kräfte registriert wurden. Eine sinken-
de Elastizität des Wundgrundes führte in
der Simulation zu sinkenden Dehnungs-
kräften auf die Zelle.
Diskussion: Die Autoren [111] verwen-
deten ein Modell („Finite-Elemente-Ana-
lyse“) und sind deshalb in ihrer Aussage
eingeschränkt. Sie haben jedoch erstmals
histologisch und in der Computersimu-
lation die mechanische Interaktion zwi-
schen VAC-Schwamm und Wundfläche
in einer mikroskopischen Einheit sicht-
bar gemacht. Es wurden starke Ähnlich-
keiten zwischen morphologischen Struk-
turen (Verzahnungen) und in der Simu-
lation berechneten, arkadenartigen Kraft-
verteilungen und Zelldehnungen gefun-
den. Weiterhin konnte die Arbeit zeigen,
dass durch Variation der Eigenschaften
des Schwammes (Porengröße und Bal-
kenstärke) und des einwirkenden nega-
tiven Druckes das Ausmaß der Zelldeh-
nung beeinflusst werden kann, und dass
es von der Elastizität des Wundgrundes
abhängt. Ihre Ergebnisse stehen mit der
Theorie, dass zelluläre Proliferations- und
Syntheseleistungen im Rahmen der VT
durch mechanische Dehnungen von Zel-
len entstehen im Einklang. Sie registrier-
ten aber auch Zellkompressionen und po-
sitive Druckwerte unter dem Schwamm.
In welchem Ausmaß diese die Wirkung
beeinflussen bleibt unklar. Für die bisher
rein klinische Beobachtung, durch Varia-
tion verschiedener Behandlungsparame-
ter (s. oben) könne die Therapie modifi-
ziert werden, liefert die Arbeit konkrete
Hinweise. Die Tatsache, dass die Elastizi-
tät des Wundgrundes die Therapieinten-
sität beeinflusst, wirft neue Fragen nach
der geeigneten Dauer und dem verwende-
ten Sog für die VT bei unterschiedlichem
Wundgrund auf. Die Studie von Saxena et
al. [111] ist bisher die einzige, die sich mit
der Transduktion von Signalen unter Va-
kuumbedingungen befasst. Im Folgenden
geht es um die zelluläre Wirkung nach er-
folgter Transduktion. Die Studien aus un-
serer Recherche werden inhaltlich detail-
liert dargestellt und diskutiert.
Zelluläre Proliferation. Grundlagen: Mo-
rykwas et al. [84] untersuchten die quan-
titative Bildung von Granulationsgewebe
durch die VT im Tierexperiment (Schwein
n=10, . Abb. 2). Es handelt sich um ei-
ne prospektive, nicht randomisierte und
nicht verblindete Studie. Dabei erfolgte
die VT (−125 mmHg) von 10 Wunden zur
Hälfte kontinuierlich und intermittierend
(5:2-Modus). Kontrollgruppe war eine 2.
Wunde am gleichen Tier, die mit Koch-
salzkompressen behandelt wurde. Anga-
ben zur Behandlungszeit wurden nicht
gemacht. Die Menge an Granulationsge-
webe zeigte sich bei den Formen der VT
gegenüber der Kontrollgruppe signifikant
gesteigert, wobei Wechselsog zur stärks-
ten Granulation führte.
Morykwas u. Argenta [85] bestimm-
ten im Tierexperiment (Schwein n=4)
den Einfluss unterschiedlicher Sogstär-
ken und eines 2-mm-Lecks im System
auf die Granulation. Es wurden jeweils 4
Wunden an einem Tier kreiert, die nach
unterschiedlichem Regime mit Drücken
von −25, −125, −125 mmHg und System-
leck sowie −500 mmHg 8 Tage behandelt
wurden. Die statistische Auswertung er-
gab eine hochsignifikant schnellere Gra-
Tab. 1 Behandlungsoptionen der VAC-Therapie
Parameter Behandlungsoption Zielparameter
Schaumstoff Polyurethan Porengröße 600 μm
Polyvinylalkohol Porengröße 400 μm +
Folienbeschichtung (Abdominal®) +
Spülschlauch: VAC-Spüleinheit
Reinigung, Granulation
Perfusion, Hauttransplantation
Prävention Serosaarosion
Bakterienelimination
Sogintensität Starker Sog −150 bis −200 mmHg
Niedriger Sog −50 bis −125 mmHg
Reinigung, Stabilisierung
Durchblutung, Granulation
Sogmuster Dauersog kontinuierlich
Wechselsog intermittierend z. B. 5:2**
Spülsog, z. B. Antibiotikaspülung
Stabilisierung
Durchblutung
Bakterienelimination
492 | Der Unfallchirurg 6 · 2007
Leitthema
nulation und Wundheilung bei −125 mm-
Hg und intaktem System. Ein undichtes
System führte zur Krustenbildung und
Vergrößerung des Defekts, Drücke von
−500 mmHg zu Kontraktionen, vermin-
derter Granulation und Wundvertiefung.
Niedriger Sog (−25 mmHg) hatte feuch-
te Wunden mit geringer Granulation zur
Folge.
Fabian et al. [28] publizierten eine tier-
experimentelle Studie, in der sie das Aus-
maß der Granulation bei VT am ischä-
mischen Wundmodell untersuchten. Bei
41 Hasen wurde an beiden Ohren das
Standardischämiemodell nach Ahn u.
Mustoe [2] geschaffen und dann ein Ohr
mit VT (−125 mmHg Wechselsog 5:2), die
Gegenseite mit einem Schwammverband
(ohne Sog) behandelt. Nach 10 Tagen
zeigte sich in der VT-Gruppe signifikant
mehr Granulationsgewebe und ein Trend
zur gesteigerten Epithelbildung.
Walgenbach et al. [133] entnahmen im
Rahmen einer klinischen Studie (8 Pa-
tienten bzw. Wunden) Gewebebiopsien
vom Wundgrund und -rand vor und 5 Ta-
ge nach VT (150 mmHg, kontinuierlich).
Immunhistochemisch wurden Endothel-
zellen (Anti-CD 31) und proliferierende
Endothelzellen (Anti-CD 105) identifi-
ziert und durch Färbungen quantifiziert.
Das Verhältnis wurde als Endothelprolife-
rationsindex (EPI) erfasst. Der EPI betrug
am Wundgrund 0,76 vs. 0,42 am Wund-
rand (p<0,05). Dies entsprach einer Zu-
nahme von Endothelien/Kapillaren um
200% bei der VT. Die Autoren leiteten
5 Tage nach Beginn der VT eine erhöhte
Proliferation von Endothelzellen des Gra-
nulationsgewebes ab [133].
Miller et al. [83] untersuchten im Tier-
experiment (Schwein, n=9) die Bildung
von Granulationsgewebe und dessen
Struktur am akuten Wundmodell. Die pro-
spektiv randomisierte Studie verglich da-
bei an jeweils 2 Wunden die Behandlung
mit VT (125 mmHg, Gruppe A), Koch-
salzkompressen (Gruppe B) und Folien-
verbänden (Gruppe C). Die 3 Gruppen
wurden hinsichtlich des Zeitpunktes der
Nachuntersuchung (Tag 4, Tag 7, Tag 9)
randomisiert. Das Gewebe wurde histo-
logisch mit PCNA- (proliferating cell nuc-
lear antigen) Färbung beurteilt. Am 9. Be-
handlungstag fand sich gleichermaßen bei
VT und Therapie mit Kochsalzkompres-
sen signifikant mehr unfertiges Granula-
tionsgewebe mit erhöhtem Anteil an un-
reifem Kollagen im Vergleich zu Folien-
verbänden. Im Vergleich der Gruppen A
und B gab es keine Unterschiede in der
Wundheilung, Granulation und im Kol-
lagengehalt. Die Therapie mit Kochsalz-
kompressen zeigte signifikant weniger
eitrig nekrotischen Wundschorf als die
Gruppen A und C.
Isago et al. [65] analysierten im Tier-
experiment (Wister-Ratten, n=50) die
Wundheilungsgeschwindigkeit bei VT
unterschiedlicher Sogstärke (0, 20, 50, 75,
125 mmHg, kontinuierlich). Verglichen
mit der Situation ohne Sog zeigte sich
nach einer Woche in allen VT-Grup-
pen eine signifikant kleinere Wundfläche
und nach 2 Wochen in den VT-Gruppen
(50–125 mmHg) eine signifikant kleinere
Wundfläche gegenüber VT mit 25 mm-
Hg. Die Autoren schlussfolgerten, dass
auch niedrigere Sogstärken effektiv sind.
Die Verkleinerung der Wundfläche führ-
ten sie auf mechanische Kontraktion der
Wundränder zurück.
Genecov u. Argenta [44] untersuchten
die Geschwindigkeit der Reepithelisie-
rung sowohl im Tierexperiment (Schwein,
n=4) als auch klinisch. Bei 4 Tieren wurde
mit dem Dermatom an 12 standardisier-
ten Arealen Spalthaut entnommen (0,25;
0,30; 0,35 mm) und diese anschließend
mit VT (−125 mmHg, kontinuierlich)
oder Opsite®-Folien (Kontrollgruppe) be-
handelt. Am Tag 2, 4, 7, 9 und 11 wurde die
Wundoberfläche durch Biopsien histolo-
gisch beurteilt. Am 2. Tag zeigte sich in
der VT-Gruppe eine durchgehende Epi-
thelschicht bei allen unterschiedlich tie-
fen Entnahmestellen, in der Kontrollgrup-
pe kein Epithel. Am 4. Tag begann dort
die Epithelisierung, während in der VT-
Gruppe bereits ein reifes Epithel sichtbar
war. Der klinische Teil der Studie [44] ver-
glich die Behandlung VT vs. Opsite®-Folie
bei 15 Patienten mit jeweils 2 Spalthautent-
nahmen. Die statistische Auswertung er-
folgte bei 10 Patienten. Wie im Tierexpe-
riment zeigte sich auch hier in Biopsien
eine signifikant gesteigerte Reepithelisie-
rung in der VT-Gruppe. In der Opsite®-
Gruppe heilten die Wunden langsamer
und bei stärkeren Schmerzen. Die Art des
zur VT verwendeten Schwammes wurde
nicht genannt.
Diskussion: Morykwas Arbeit [84] aus
dem Jahr 1997 war die erste, die den kli-
nisch bereits bekannten Effekt der ge-
steigerten Granulation quantitativ unter-
suchte. Sie fand viel Aufmerksamkeit, da
die bis dato unter konservativer oder The-
rapie mit Wachstumsfaktoren erzielten
Granulationsraten übertroffen wurden
[102, 103]. Dies führte dazu, dass die Hy-
pothesen der Autoren später in zahl-
reichen Publikationen im Sinne bewie-
sener Fakten zitiert wurden. Inzwischen
liegen 2 weitere tierexperimentelle und 1
klinische Studie zur Thematik vor [28, 85,
133]. Alle haben die quantitative Erfassung
zellulärer Proliferationen des Granulati-
onsgewebes [28, 83, 84, 85, 133] oder von
Epithelzellen zum Ziel [28, 44]. Morykwas
et al. [84, 85], Fabian et al. [28] und Isago
et al. [65] haben nach der VT von Wun-
den definierter Tiefe gemessen, wie viel
Gewebe sich „aufgefüllt“ hatte. Unver-
blindet angewandt ist diese Messmetho-
de subjektiv. Dass ein Versuchstier gleich-
zeitig auch Kontrollgruppe war (2. Wun-
de am selben Tier), könnte zu systemati-
schen Fehlern geführt haben, z. B. durch
systemische Effekte der VT [13, 71, 86].
Tierexperimentelle- und klinische Studien über die Wirkungsmechanismen der Vakuumtherapie
Zellulär
• Proliferation • Synthese • Wundheilung
Extrazellulär
• Perfusion • Ödem • Wundmilieu • Stabilisation • Barriere
Kombiniert
• Inflammation• Matrix • Angiosom
Systemisch
• Mediatoren • SID
Abb. 1 8 Tierexperimentelle und klinische Studien über die Wirkungsmechanismen der Vakuum-therapie
493Der Unfallchirurg 6 · 2007 |
Die Messwerte der Kontrollgruppen fin-
den sich z. T. nicht publiziert [84].
Walgenbach u. Starck [133] und Mil-
ler et al. [83] wählten durch die immun-
histochemische Zellfärbung ein objek-
tives Messverfahren zur Erfassung pro-
liferierender Zellen, jedoch mit kontro-
versen Ergebnissen und bei Walgenbach
et al. [133] ohne Kontrollgruppe. So ist es
nicht möglich, beobachtete Zellprolifera-
tionen als spezifischen Effekt der VT zu
interpretieren, zumal Miller et al. [83] im
Vergleich zur Therapie mit Kochsalzkom-
pressen keine Unterschiede fanden. Mit
Ausnahme von Fabian et al. [28] und Isa-
go et al. [65] ist in allen Arbeiten der Um-
fang der Stichprobe zu klein, um eine sta-
tistisch relevante Aussage treffen zu kön-
nen. So ist keine der Studien für sich be-
trachtet in der Lage, Zellproliferationen
quantitativ und im zeitlichen Verlauf der
VT ausreichend zu beurteilen. Fasst man
jedoch die Ergebnisse aller Studien zu-
sammen, zeigt sich, dass die Proliferation
von Granulationsgewebe bei der VT [28,
84, 85, 133] von verschiedenen Variablen
abhängig ist.
Die Sogstärke wird mit −125 mmHg als
besonders förderlich angenommen, nied-
riger Sog (−25 mmHg) und sehr hohe
Werte (−500 mmHg) scheinen die Gra-
nulation zu beeinträchtigen [85]. Bei Wer-
ten von −50 und −75 mmHg beobachteten
Isago et al. [65] verglichen mit −125 mm-
Hg keine Unterschiede. Sogstärken von
−200 bis −900 mmHg (Redon-Flaschen)
sind bisher nicht systematisch experimen-
tell untersucht worden, zeigten aber im
klinischen Alltag hohe Granulationsraten
[35]. Bei In-vitro-Experimenten wurden
trotz Anlegen eines Vakuums auch po-
sitive Druckwerte unter dem Schwamm
gemessen, steigerte man das Vakuum auf
Werte >300 mmHg, wurden diese nicht
vom Schwamm auf die Unterlage über-
tragen [78, 79]. Es scheinen Grenzwerte
für die Kraftübertragung zu existieren,
die möglicherweise klinische Erfolge der
VT mit hoher Sogstärke erklären [78, 79].
Insgesamt wird klar, dass der Einfluss
der Sogstärke komplexen Mechanismen
unterliegt, von denen derzeit nur weni-
ge bekannt sind. Die Entscheidung über
die verwendete Sogstärke am Patienten
und für das Design von Studien unterlie-
gen häufig den kommerziellen Aspekten
(teure Pumpsysteme/billige Redon-Fla-
sche) als den differenzierten Kenntnissen
über deren Wirksamkeit.
Das Sogmuster scheint hinsichtlich der
Granulation nur geringen Einfluss zu ha-
ben. Nur Morykwas Arbeit [85] verglich
verschiedene Sogmuster und beobachte-
te eine Tendenz zur beschleunigten Pro-
liferation bei intermittierendem Sog (5:2),
jedoch ohne Signifikanz. Andere Studi-
en arbeiteten nur mit Wechselsog, sodass
umgekehrt kein negativer Effekt anzuneh-
men ist [28].
Die Zeit als Variable der Gewebeproli-
feration bei der VT ist innerhalb der tier-
experimentellen Studien sehr kontrovers
abgebildet – teilweise wird sie nicht erfasst
[84]. Andere Arbeiten beschrieben z. B.
nach 5 Tagen 200% „Granulation Wund-
grund/weniger Granulation Wundrand“
[133], nach 8 Tagen vollständige Heilung/
Epithelisierung [85], nach 10 Tagen gestei-
gerte Granulation mit beginnender Epi-
thelbildung [28] und nach 14 Tagen VT
signifikante Verkleinerung der Wunde
[65]. Prospektiv randomisierte klinische
Studien registrierten nach 6 Wochen VT
gesteigerte Werte für die Granulation, je-
doch keine Wundheilung [38, 66]. Ge-
naue Fakten, wann die Proliferation des
Granulationsgewebes einsetzt, wann sie
ihren „Peak“ erreicht und ab wann sie
ggf. die Wundheilung behindert (Hyper-
granulation), wären wünschenswert. Bis-
her kann die Frage nach einer geeigneten
Therapiedauer hinsichtlich der Prolifera-
tion von Granulationsgewebe nicht beant-
wortet werden.
Der Einfluss der VT auf die Prolifera-
tion von Epithelzellen ist vor dem Hin-
tergrund der Datenlage unklar. Eine be-
schleunigte Epithelbildung wurde bisher
nur bei der VT kleinerer, punktförmiger
Wunden (Spalthautentnahme, Kanin-
chenohr) beobachtet [28, 44]. Während
Genecov et al. [44] bei kleiner Stichpro-
be (n=4) statistisch signifikant gesteiger-
te Epithelproliferationen fanden, konnte
dies in einer umfangreicheren Stichpro-
be (n=41) nur als Trend beschrieben wer-
den [28]. Genecov u. Argenta [44] konn-
ten mit der VT die Zeit bis zur Heilung
von Spalthautentnahmestellen um bis zu
40% reduzieren. Versuche mit Wachs-
tumsfaktoren [14, 29, 54] und kultivierten
Keratinozyten [12, 40, 94, 120] sowie mit
Verbandstoffen wie Kaltostat [125], Xero-
form [49], Hydrokolloiden und Alginaten
[97] konnten diese Zeitspanne nur um 5–
15% senken. Die beschleunigte Epithelbil-
dung konnte jedoch bei größeren Akut-
wunden nicht beobachtet werden [65, 83,
84, 85, 133]. Sie ist offensichtlich auf die
spezielle Situation oberflächlich dermaler
Wunden begrenzt, die multiple Epithelin-
seln im Bereich der Haarwurzeln besit-
zen. Möglicherweise gibt es einen Grenz-
wert für die Wundgröße, bis zu dem die
VT-Epithelproliferationen induziert. Al-
lerdings bleibt die Frage, warum die Gra-
nulation in diesem Fall unter der konti-
nuierlichen VT stoppt, Epithel einwächst
und keine Hypergranulationen entstehen.
Es wäre möglich, dass auch der Fokus in-
nerhalb der Wunde eine Rolle für die
Zellproliferation spielt. Walgenbach et al.
[133] registrierten eine stärkere Granula-
tion im Zentrum der Wunden. Vielleicht
sind die klinisch oft sehr langen Zeiten
bis zur Wundheilung bei der VT und die
mangelnde Epithelisierung ausgedehnter
Wunden darauf zurück zu führen.
Forschungsansätze: Zelluläre Proliferation bei Vakuumtherapie
Tierexperimentelle- und klinische Studien an Zelllinien
Autoren
Volumen
Messung
Granulation
Morykwas (84)
Morykwas (85)
Fabian (28)
Zeit
Messung
Epithelbildung
Fabian (28)
Genecov (44)
Geometrie
Messung
Wundfläche
Isago (65)
Histologie/
Immun-
histochemie
Endothel, Kollagen
Walgenbach (133)
Miller (83)
Abb. 2 8 Zelluläre Proliferation bei Vakuumtherapie
494 | Der Unfallchirurg 6 · 2007
Leitthema
Zelluläre Syntheseleistung. Grundlagen:
Kopp et al. [69] bestimmten die Konzent-
ration von Wachstumsfaktoren (Zeitpunkt
0, 2, 4, 6, 8 Tage) beim diabetischen Ulkus
(30 Patienten) in einer kontrollierten, ran-
domisierten Studie (VT vs. Hydrokolloid-
verband, . Abb. 3). Einen Konzentrati-
onsanstieg gab es im Wundsekret beider
Gruppen. Unter der VT nahm vergleichs-
weise jedoch die Menge an PDGF 2,5fach,
die von VEGF und TGF-β 3- bis 4fach zu.
Aus Sicht der Autoren induziert die VT
höhere Konzentrationen an Wachstums-
faktoren im Wundsekret.
Kremers et al. [70] untersuchten In-
vitro-Fibroblasten, die aus zuvor über 24,
48 oder 72 h im 5:2-Muster gedehnten und
entlasteten Arteriensegmenten (Schwein)
isoliert wurden. Der biaxiale „Stretching-
Reiz“ (5%, n=4; 10%, n=2) wurde mecha-
nisch und nicht durch VT vermittelt. Fi-
broblasten der Kontrollgruppe wurden
nicht gedehnt. Gemessen wurde die Kon-
zentration der intrazellulär phosphory-
lierten p38-Mitogen-aktivierten Protein-
kinase und ihres Transkriptionsfaktors c-
JUN 73 (western blot). Nach 24 h bestan-
den keine Unterschiede zur Kontrollgrup-
pe, nach 48 h und 5% Dehnung war p38
und nach 72 h c-JUN 73 signifikant er-
höht. Bei 10% Dehnung konnte der glei-
che Effekt bereits nach 24/48 h registriert
werden.
Shi et al. [113] bestimmten mittels RT-
PCR-Technik im Verlauf der VT (Tag 0,1,
4, 7) die Menge an Matrixmetalloprotei-
nasen (MMP-1, MMP-2, MMP-13) kli-
nisch im Sekret chronischer Wunden
(n=5). Für die mRNA von MMP-1 und
MMP-13 ergab sich ein ausgeprägter, für
MMP-2 ein geringer Abfall der Werte im
Therapieverlauf. Die Autoren sahen die
VT als Ursache der verminderten Expres-
sion der MMP-mRNA und damit verbes-
serten Wundheilung (weniger Gewebede-
gradation).
Diskussion: Alle oben genannten Stu-
dien untersuchten bei der VT die Kon-
zentration der zellulären Synthesepro-
dukte, deren Einfluss auf die Wundhei-
lung und Gewebeproliferation, die in der
Literatur zur Diskussion stehen. Kopp et
al. [69] gingen dabei der Frage nach, ob
die Wirkung der VT über Zytokine ver-
mittelt wird – der beobachtete Konzent-
rationsanstieg von PDGF, VEGF, TGF-β
scheint darauf hinzudeuten. Problema-
tisch ist jedoch die Interpretation der ge-
messenen Werte.
Für PDGF wurde in früheren Arbeiten
eine Steigerung der mitotischen Aktivität
von Fibroblasten und glatten Muskelzel-
len nachgewiesen, TGF-β gilt als Stimula-
tor der Produktion von Kollagen, Elastin
und der Gefäßneubildung und inhibiert
Gewebemetallproteinasen [81]. VEGF
fördert die Angiogenese im Rahmen der
Wundheilung aber auch bei der Tumor-
entstehung [129].
Die externe Applikation der genann-
ten Wachstumsfaktoren und deren en-
dogene Produktion wurde bereits un-
tersucht [57, 81, 103]. Die Bedeutung der
endogenen Synthese ist dabei ungeklärt.
So konnte in chronischen Wunden kein
Mangel, z. T. sogar erhöhte Konzentrati-
onen an endogenen Wachstumsfaktoren,
gefunden werden [142]. Man geht davon
aus, dass die Wirksamkeit der Zytokine
durch Proteasen und andere Bestandtei-
le des Sekrets chronischer Wunden, Ver-
teilungsstörungen und transkapillare Ver-
luste herabgesetzt werden kann [129]. Die
simultane Applikation von Proteaseinhi-
bitoren scheint die Wirksamkeit zu ver-
bessern [91]. Im Tierexperiment zeigte
sich auch, dass sehr hohe Konzentrati-
onen an Wachstumsfaktoren nicht linear
mit gesteigerter Mitogenität korrelieren –
nur innerhalb einer geringen therapeu-
tischen Breite war die Gewebeneubildung
gesteigert [26]. Es wäre möglich, dass die
VT nicht nur die Synthese sondern auch
die Wirksamkeit der Wachstumsfaktoren
steigert. Der mechanische Abtransport
von Inhibitoren könnte dabei eine Rol-
le spielen. Die durch Kopp et al. [69] re-
gistrierte selektive Erhöhung von TGF-β
unter VT (inhibiert Metallproteinasen)
ist dabei ein interessanter Aspekt. Zu klä-
ren, ob die Synthese von Zytokinen oder
die Hemmung von Proteasen bei der VT
überwiegt, wird Aufgabe künftiger Studi-
en sein. Auch die Sicherheit der VT soll-
te aufgrund der Rolle von Wachstumsfak-
toren im Rahmen der Tumorentstehung
[81] und des Tumorwachstums (128) in-
tensiv geprüft werden.
Der von Kremers et al. [70] beobach-
tete Konzentrationsanstieg von phos-
phorylierter p38-Proteinkinase und
c-JUN 73 (gelten als Proliferationsmar-
ker) wurde von den Autoren als Effekt
der VT betrachtet. Das verwendete Mo-
dell weicht jedoch erheblich von den
realen Bedingungen bei der VT ab. Diese
erzeugt nicht nur „Stretching-Reize“ son-
dern positive Druckwerte [78, 79], sie ist
auch im kontinuierlichen Modus effek-
tiv [84] und wirkt typischerweise an den
Kapillaren und nicht an großen Gefäßen,
sodass die Arbeit letztlich keine direkten
Schlussfolgerungen bezüglich der VT zu-
lässt.
Shi et al. [113] beobachteten im Ver-
lauf der VT einen ausgeprägten Abfall
der MMP-1- und MMP-13-mRNA und
moderaten Abfall der MMP-2-mRNA.
Da es keine Kontrollgruppe gibt, ist der
Effekt nicht sicher auf die VT zurück zu
führen. Sie hielten jedoch eine vermin-
derte Degradation von Kollagen und ver-
besserte Wundheilung durch die VT für
möglich. Diese Einschätzung erfolgte
vor dem Hintergrund theoretischer Stu-
dien zur Rolle der MMP [123, 143]. An-
dere Autoren sehen jedoch die Gewe-
beneubildung durch erhöhte Konzent-
rationen an MMP gefördert [20]. Eben-
so wird eine hohe MMP-13-Konzentra-
Forschungsansätze: Zelluläre Syntheseleistung bei Vakuumtherapie
Tierexperimentelle- und klinische Studien
Wachstumsfaktoren
• PDGF
• VEGF
• TGFß
Kopp et al. (69)
Proliferationsmarker
• P 38
Proteinkinase
• C – JUN 73
Kremers et al. (70)
Metalloproteinasen
• MMP 1
• MMP 2
• MMP 13
Shi et al. (113)
Abb. 3 8 Zelluläre Syntheseleistung bei Vakuumtherapie
495Der Unfallchirurg 6 · 2007 |
tion für den Prozess des Remodelings
von Kollagen als förderlich angenom-
men [6]. Ein Konzentrationsanstieg von
MMP kann derzeit nicht als spezifischer
Effekt der VT angenommen werden, sei-
ne Bedeutung ist in diesem Zusammen-
hang spekulativ.
Wundheilung. In vielen der vorgestell-
ten Publikationen wurde geschlussfolgert,
dass die VT zu einer verbesserten Wund-
heilung führt. Die Tatsache, dass sowohl
in Tierexperimenten [28, 65, 83, 84, 85] als
auch in kontrollierten klinischen Studi-
en [25, 38, 66, 80, 116, 134] nur nach lan-
ger Behandlungszeit (Wochen, Monate)
eine Wundverkleinerung und nur sel-
ten ein Wundverschluss erreicht wurde,
blieb dabei weitgehend unbeachtet. Die
beschleunigte Epithelisierung von Spalt-
hautspenderstellen ist dabei eine Ausnah-
me und wurde bereits diskutiert [44]. In
keiner der Studien über Granulation, Epi-
thelbildung und zelluläre Synthese wurde
die vollständige Wundheilung abgewartet
oder als Zielkriterium erfasst.
Ist der Abschluss der Wundheilung das
Therapieziel, sind alle 3 Phasen der Wund-
heilung zu beurteilen [17, 19]. Die Über-
sicht in . Infobox 1 zeigt, dass bisher
nur Daten über die VT akuter Wunden
vorliegen, die die inflammatorische und
Teile der proliferative Phase betreffen.
Bei chronischen Wunden ist der Zeit-
plan häufig durch Infektion, Malnutriti-
on, Hypoperfusion und Sauerstoffman-
gel erheblich gestört, die Bewertung von
Studien also noch schwieriger. Viele Ef-
fekte der VT sind Teil einer natürlich ab-
laufenden Kaskade der Wundheilung. Die
VT greift vermutlich regulierend in zellu-
läre Syntheseleistungen und deren Mi-
togenität ein. Bisher konnte nur die be-
schleunigte Proliferationen von Endothe-
lien gezeigt werden [84, 85]. Vermutungen
über die Proliferation von Epithelien [28,
44] oder Fibroblasten [83] betreffen klei-
ne, spezielle Fallserien mit kontroversen
Ergebnissen der Experimente. Es kommt
offensichtlich nicht zur Proliferation des
Gewebetyps in dem sich der Defekt be-
findet, sondern stereotyp zur Bildung von
Granulationsgewebe. Die VT scheint also
ausgesprochen angiotrop zu sein und ent-
faltet ihre Wirkung über den Mechanis-
mus der Wundheilung per sekundam am
Bindegewebe. Sie ist somit auf vitales Bin-
degewebe angewiesen.
Es ist nicht bekannt, ob über eine
Verstärkung physiologischer Abläufe
hinaus spezifische Mechanismen indu-
ziert werden. Vor allem die Schnittstel-
len zwischen den Phasen der Wundhei-
lung sind nicht klar erforscht. Von groß-
em Interesse ist dabei die Frage, ob die
Bildung von Granulationsgewebe un-
ter der VT auch wieder gestoppt werden
kann und Epithelisierung und „Remode-
ling“ von der Therapie profitieren, oder
ob lediglich mechanische Kontraktions-
kräfte, wie von Isago et al. [65] vermutet,
wirken. Granulationsgewebe ist nicht,
wie oft zitiert, „gesundes Gewebe“, son-
dern entsteht auf dem Boden einer chro-
nischen Entzündung [56]. Erst wenn die
Entzündung abklingt, kann Heilung ein-
treten [56].
Betrachten wir die VT als reinen „Trig-
ger“ der natürlichen Bindegewebereakti-
on, so übernimmt sie die Rolle des ent-
zündlichen Reizes. Die Konsequenz wä-
re, dass die Wundheilung erst nach Be-
endigung der VT eintritt. Abhängig vom
Entzündungsreiz und der Dauer kann die
Heilung eine „Restitutio ad integrum“
oder Defekt/Narbenheilung sein [56].
Entsteht dabei ein Keloid oder eine Nar-
benplatte mit Verwachsungen, kann dies
später zum Funktionsverlust oder zum
Narbenkarzinom mit fatalen Folgen füh-
ren. So sind bei der VT langfristige Stu-
dien unter Erarbeitung sinnvoller Thera-
pieziele und Behandlungszeitpläne zu for-
dern. Diese müssen die Frage beantwor-
ten, wann eine Heilung per secundam
durch die VT anzustreben und wann ein
plastisch chirurgischer Gewebeersatz zu
fordern ist.
Systemische Wirkung der VAC-TherapieGrundlagen: Morykwas et al. [86] ver-
glichen im Tierexperiment (Kaninchen,
n=8) bei 2 Gruppen (Gruppe A: VT,
Gruppe B: Schwamm ohne Sog) die sys-
temische Einschwemmung von Myoglo-
bin 2, 4 und 6 h nach Crush-Syndrom
(Hinterlauf). Der Schwamm hatte über
multiple Inzisionen breitflächig Kontakt
zu der zerstörten Muskulatur. Das Aus-
maß des Muskelschadens war standardi-
siert. In der VT-Gruppe wurden zu allen
3 Zeitpunkten signifikant geringere Myo-
globinwerte gemessen.
Kremers et al. [70] bestimmten im
Tierexperiment (Schwein, n=6) die sys-
temisch inflammatorische Reaktion nach
15% Verbrennung (Gruppe A: VT der Ver-
brennungswunde, Gruppe B: ohne Sog).
In der Zeitspanne von 30–180 min nach
der Verbrennung wurden die Flussrate
der A. mesenterica superior und Prosta-
cyclin PGI2 sowie Thromboxan TbXA2
in der Nierenarterie, Milz- und Jugular-
vene gemessen. In Gruppe B sank im Ver-
gleich zur VT die Flussrate im Mesenteri-
um um 35%. Die VT-Gruppe zeigte nach
30–90 min einen signifikanten Abfall von
TbXA2 in der A. renalis, PGI2 stieg nach
60–120 min signifikant in der Milzvene
und systemisch an.
Bower et al. [13] untersuchten im Tier-
experiment (Schwein, n=12) den syste-
mischen Effekt 4 h nach einer Vollhautex-
zision anhand der ELISA-Bestimmung
der Marker IL-6, -8 und -10 sowie TGF-β.
In der VT-Gruppe (Therapiemodus nicht
genannt) zeigte sich nach 1 h ein signifi-
kant höherer Wert für IL-10 gegenüber
der Kontrollgruppe (ohne Sog). Die Au-
toren sahen aufgrund der entzündungs-
hemmenden Wirkung von IL-10 eine ak-
tive systemische, antiinflammatorische
Wirkung der VT.
Diskussion: In allen Arbeiten wur-
de im Rahmen kontrollierter Tierexpe-
rimente geprüft, ob die VT systemische
Kaskaden unterschiedlicher Traumata
beeinflusst. Dabei scheint die VT mehr
einen präventiven, das Trauma begrenz-
enden Effekt zu haben und nicht aktiv in
die systemische Reaktionskaskade einzu-
greifen. So wurde beim Crush-Syndrom
weniger Myoglobin aus der Traumazone
eingeschwämmt [86] und bei Verbren-
Infobox 1 Wundheilung
1. Inflammatorische Phase 24–48 h
F Thrombozyten setzen Zytokine frei,
locken Neutrophile und Makrophagen an
F Freisetzung von TGF-β aus Makrophagen
2. Proliferative Phase Tag 3 bis Tag 14–20
F Fibroblasten produzieren Kollagen, Kapil-
laren proliferieren unter TGF-β-Wirkung
3. Remodeling ab 2. Woche bis 1 Jahr
F Neuordnung der kollagenen Fasern/
Strukturen
496 | Der Unfallchirurg 6 · 2007
Leitthema
nungen weniger vasokonstriktorisches
TbXA2 und mehr dilatierendes PGI2 im
viszeralen System registriert [70]. Die-
se Effekte sind aus der lokalen Begren-
zung des Traumas durch die VT zu er-
klären. Wie es im Falle des Vollhautde-
fekts zum Anstieg des IL-10 durch die
VT kam [13], verbleibt letztlich unklar.
Die Experimente geben Hinweise dar-
auf, dass durch eine frühzeitige VT die
systemische inflammatorische Reaktion
(SID) gebremst und dadurch möglicher-
weise die Prognose des Patienten durch
Prävention eines Multiorganversagens
verbessert werden kann.
Aus den Arbeiten wird nicht deut-
lich, wie groß die Kontaktfläche zwischen
Schwamm und traumatisierter Zone sein
muss, damit eine systemische Wirkung
der VT eintritt. Die Ergebnisse haben
Konsequenzen hinsichtlich der Beurtei-
lung früherer kontrollierter Studien [84].
So ist eine Kontrollgruppe am gleichen
Tier kritisch zu bewerten, da sie durch die
Modulation systemischer Effekte von der
VT beeinflusst werden kann. Es ist außer-
dem vorstellbar, dass Versuche an kleinen
Tieren wie Ratten [65] erheblich stärkere
systemische Konsequenzen für die erfass-
ten Parameter haben.
Extrazelluläre Wirkung der VAC-TherapieDie VT entfaltet ihre Wirkung auch im
interstitiellen Raum, am Blutgefäßsystem
und möglicherweise über humorale und
nervale Reaktionen. Diese können den
Abtransport von Wundsekret/Ödem, Stei-
gerung der Durchblutung und des Sauer-
stoffangebots, sowie die Elimination von
Toxinen, Debris und Kollagenasen betref-
fen [31, 32, 33, 36, 101, 140]. Die Polyure-
thanfolie funktioniert dabei als Barriere,
die eine Kontamination von Wunde und
Umgebung verhindern kann, ein feuchtes
Wundmilieu gewährleistet und das Gewe-
bemechanisch stabilisiert [7, 82].
Durchblutung. Die . Abb. 4 gibt einen
Überblick über verschiedene Methoden
zur Bestimmung der Perfusion, die in Stu-
dien zur VT angewandt wurden.
Grundlagen: Morykwas et al. [84] un-
tersuchten den Einfluss der VT auf die
Durchblutung des Wundgrundes und an-
grenzenden Gewebes im Tierexperiment.
Genauere Angaben zum Studiendesign
werden nicht gemacht [84]. Die Messung
der Durchblutung erfolgte mittels Laser-
doppler am Wundgrund und gesunden
Gewebe neben der Wunde. Eine Messrei-
he in 25-mmHg-Intervallen (schrittweise
von 0 bis −400 mmHg) wurde bei kon-
tinuierlicher Applikation des Vakuums
und im Wechselsogmodus bestimmt. Bei
einem negativen Druck von −125 mmHg
zeigte sich eine 5–7 min anhaltende ma-
ximal gesteigerte Durchblutung im the-
rapierten Gewebe, danach stellte sich
trotz Fortführung der VT der Ausgangs-
wert ein. Negative Drücke >400 mmHg
führten zu einer Verschlechterung der
Durchblutung. Im Wechselsogmodus
(5:2-Rhythmus, −125 mmHg) ließ sich
die Durchblutung repetitiv immer wieder
bis zum Maximalwert steigern. Wie lange
dieser Effekt anhält (Stunden, Tage) wur-
de nicht untersucht.
Rejzek et al. [100] studierten bei 7 Pati-
enten (Ulcus cruris) den Einfluss der VT
auf die Kapillardurchblutung mittels La-
serdoppler. Die Durchblutung zeigte bei
kontinuierlichem Sog (keine Angabe der
Sogstärke) eine mindestens 50%ige, bei
Wechselsog (2:2 min) eine rezidivierende
Steigerung. Über welchen Zeitraum dieser
Effekt an der kleinen Stichprobe reprodu-
zierbar war, wurde nicht untersucht. Die
Autoren schlussfolgerten, dass es durch
die VT zu einer Durchblutungssteigerung
und Steigerung der Gewebeoxygenierung
moderater Stärke kommt.
Banwell et al. [9] führten im Tierexpe-
riment (Schwein) eine kontrollierte rando-
misierte Studie mit Messung der Durch-
blutung (Laserdoppler) von Verbren-
nungen II. Grades (n=32) durch. Die VT
wurde mit 2 Wundauflagen (Schwamm
ohne Sog und Silbersulphadiazin) ver-
glichen. Die Messung der Durchblutung
am Wundgrund erfolgte zu den Zeitpunk-
ten 0, 24, 48, und 72 h, ebenso wurde die
Anzahl der tangentialen Nekrektomien
erfasst. Unter VT fand sich die Durchblu-
tung signifikant gesteigert und es waren
signifikant weniger Nekrektomien erfor-
derlich. Die Autoren sahen durch die VT
bei dermalen Verbrennungen die Gewe-
beoxygenierung verbessert und die Ne-
kroserate vermindert.
Wackenfors et al. [130] führten im
Tierexperiment (Schwein, n=7) Mes-
sungen der Durchblutung (Laserdoppler)
in verschiedenen Abständen vom Wund-
rand (inguinale Wunden) durch. Analy-
siert wurden intermittierende Sogmus-
ter (50–125 mmHg) variierender Länge
(„On-Phasen“ bis zu 15 min). Es wurden
verschiedene Durchblutungszonen in der
Wundumgebung beobachtet. Bei einer
VT von −50 mmHg zeigte sich wundnah
(Muskel <1,5 cm, Subkutis <3 cm) Hy-
poperfusion, umgeben von einer Zone
der Hyperperfusion (Maximalwert Mus-
kel 1,5 cm, Subkutis 3 cm), Entfernungen
>3,5 cm waren unbeeinflusst. Höhere Sog-
werte führten zu einer Ausdehnung der
Hypoperfusionszone. In der Hyperperfu-
sionszone führte das Einschalten „on“ des
Soges zu Perfusionssteigerungen von bis
zu 50%, bis zu 10 min anhaltend, danach
fiel die Durchblutung bei anhaltendem
Sog auch hier unter den Ausgangswert
ab. Abschalten des Soges („off “) führte
ebenfalls zu einer 5–10 min anhaltenden
Hyperperfusion. Die Autoren schlussfol-
gerten, dass hohe kontinuierliche Sog-
werte >50 mmHg, die wundnahe Perfusi-
on besonders im subkutanen Gewebe be-
einträchtigen und zu vermeiden sind. Die
intermittierende Therapie stellt aus ihrer
Sicht eine Möglichkeit dar, derartige Isch-
ämien zu vermeiden [130].
Diskussion: Es stehen derzeit 4 Studi-
en (davon 3 Tierexperimente) zur Dis-
kussion, welche eine Messung der Ka-
pillardurchblutung mittels Laserdoppler-
sonden am Wundgrund und/oder in der
Wundumgebung durchführten [9, 84, 100,
130]. Es handelt sich um kleine Stichpro-
ben ohne Kontrollgruppe und mit unter-
schiedlichen Wunden (Tier oberflächlich;
[9, 84]), Tier tief [130], Mensch chronisch
[100]. Nur Banwell et al. [9] untersuchten
eine größere Serie von Wunden (n=32) in
unterschiedlichen Behandlungsgruppen.
Die verwendete Sogstärke [9, 100] oder
der Sogmodus [9] zur VT werden z. T.
nicht angegeben.
Obwohl die Arbeiten aus den genann-
ten Gründen schwer zu vergleichen sind,
kommen sie doch zu ähnlichen Ergebnis-
sen. So führte das Einschalten eines Va-
kuums zu einer abrupten Steigerung der
Durchblutung um ca. 50%, diese dau-
ert 5–10 min an, danach fiel die Durch-
blutung unter den Ausgangswert ab [84,
100, 130]. Während Morykwas et al. [84]
beim Ausschalten des Soges (Wechsel-
sog) die Normalisierung der Perfusion
auf den Ausgangswert beschrieb, konn-
ten Rejzek et al. [100] und Wackenfors
et al. [130] im Moment des Ausschaltens
ebenfalls Anstiege der Durchblutung
für 5–10 min registrieren, wobei dieser
Effekt bei Wackenfors et al. [130] klarer
abgebildet ist. Die Beobachtung, dass
nicht das Vakuum, sondern nur Ände-
rungen des Vakuums zu einem mess-
baren und zeitlich begrenzten Anstieg
der Durchblutung führten, konnte bisher
von keinem Autor erklärt werden. Ein in
allen Arbeiten strapaziertes Erklärungs-
modell, dass die Reduktion des Ödems
mit konsekutiver Öffnung der Kapillaren
ursächlich sei, stammt aus Morykwas
Publikation [84]. Die zugrunde liegende
Erkenntnis, dass chronische Wunden von
einem Ödem (Stasezone) umgeben sind,
welches die Durchblutung beeinträchti-
gt [101, 140], erklärt weder, weshalb eine
akute Wunde (Schwein) bereits ein der-
art ausgeprägtes Ödem hat, noch die Be-
grenzung des Effekts auf 10 min.
Forschungsansätze: Gewebeperfusion bei Vakuumtherapie
Tierexperimentelle - und klinische Studien
Autoren
Perfusionsmessung
synchron zur VT in vivo
Laser Doppler
Morykwas et al. (84)
Rejzek et al. (100)
Banwell et al. (9)
Wackenfors et al. (130)
Perfusionsmessung
nach VT in vivo
ICG
Kamolz et al. (67)
Schrank et al. (112)
Zöch et all. (146)
Gefäßreaktion
nach VT in vitro
Testsubstanz
Wackenfors et al. (131)
Abb. 4 8 Gewebeperfusion bei Vakuumtherapie
498 | Der Unfallchirurg 6 · 2007
Leitthema
Die Interpretation wird dadurch er-
schwert, dass der Effekt bei chronischen
humanen Wunden durch Rejzek et al.
[100] nicht derart klar nachzuvollziehen
war. Bereits in den 4 untersuchten Pha-
sen (2 min „on“, 2 min „off “) zeigte sich
kein einheitliches Ansprechen der Durch-
blutung. So kam es in einigen Sogphasen
zum Anstieg, in anderen zum Absinken
der Durchblutung (der gleiche Effekt ist in
den „Off-Phasen“ sichtbar). Anhand der
Kurvenverläufe lässt sich für die Durch-
blutung kein reproduzierbarer Effekt der
VT erkennen [100].
Unseres Erachtens spielt neben der
Ödemreduktion die aktive venöse Drai-
nage durch die VT eine entscheidende
Rolle. Bei der tangentialen Nekrektomie
von Verbrennungen wird die Stasezone
und Kapillarstrombahn eröffnet und so
die Durchblutung umgehend verbes-
sert [144]. Üblicherweise geht der VT
ein Débridement voraus, bei dem eben-
falls die Kapillarstrombahn eröffnet wird.
Gewinnen nun die Kapillaren Anschluss
an das aktive Sogsystem des Vakuum-
schwammes, wäre die Voraussetzung für
das Einströmen arteriellen Blutes gege-
ben. Ähnliche Mechanismen sind bei der
Therapie venöser Stauungen von Lappen-
plastiken durch Blutegel bekannt und
führen dabei ebenfalls zur verbesserten
Perfusion des Gewebes. Wir glauben,
dass die aktive venöse Drainage durch
die VT zur Steigerung der Perfusion bei-
trägt. Dies findet sich in der Literatur bis-
her nicht reflektiert. Ebenfalls sind auch
nervale Ursachen und humorale Faktoren
in Betracht zu ziehen. So wäre es möglich,
dass nach einer kontinuierlichen VT von
7 min ein Gefäßspasmus eintritt, mit dem
das Gewebe versucht, den venösen Blut-
verlust zu begrenzen. Durch die Thera-
pieunterbrechung im Wechselsogmodus
könnte sich der Spasmus möglicherweise
in der Ruhephase lösen und dadurch er-
neut eine Hyperperfusion entstehen.
Wackenfors et al. [130] konnten durch
differenzierte Messungen zeigen, dass es
sich bei der Durchblutungssteigerung um
ein lokal sehr begrenztes Geschehen han-
delt und dass die Sogstärke einen erheb-
lichen Einfluss hat. In unmittelbarer Nä-
he zum Schwamm kam es zu einer Min-
derdurchblutung und erst in der angren-
zenden Gewebeschale war die Durchblu-
tung gesteigert [130]. Je stärker der Sog,
desto größer war die Zone der Minder-
durchblutung [130]. Wir vermuten, dass
die Perfusionssteigerung in diesem Falle
kein primärer Effekt der VT ist, sondern
eher eine Gewebereaktion (reaktive Hy-
perämie) auf die von dem Vakuum kom-
primierte und minder durchblutete Zone.
Der Durchblutungsanstieg in der „Off-
Phase“ [130] könnte dann dem Widerein-
strom des Blutes in das komprimierte Ge-
webe entsprechen.
Wie die Durchblutung des Gewebes
durch die VT genau beeinflusst wird ist vor
dem Hintergrund der Datenlage nicht ab-
schließend zu beantworten. Insbesondere
die Frage, wie sich die Durchblutung im
Therapieverlauf über Stunden und Tage (also
in einer klinisch realistischen Situation)
verhält, bleibt unklar. Beobachtungen aus
klinischen Studien, dass die Perfusion auch
bei kontinuierlicher VT gesteigert wird [67,
145], sind mit den vorliegenden Arbeiten
eher zu widerlegen, als zu erklären.
Grundlagen: Kamolz et al. [67] und
Schrank et al. [112] untersuchten die
Durchblutung von oberflächlichen Ver-
brennungswunden (Grad IIa und IIb) im
Rahmen klinischer Studien. Die Messung
erfolgte durch IC-View-Perfusographie®
([58]. Kamolz et al. [67] bestimmten bei 7
bilateralen Handverbrennungen (VT der
schwerer verbrannten Hand,−125 mmHG,
kontinuierlich vs. Silbersulphadiazin-Ver-
band der Gegenseite) die Perfusion an
den Tagen 1–3 der Behandlung. Unter VT
zeigte sich in diesem Zeitraum eine Hy-
perperfusion, während es innerhalb der
Kontrollgruppe zu einem signifikanten
Abfall der Durchblutung kam. Im Grup-
penvergleich wurde eine statistisch signi-
fikante Mehrdurchblutung bei der VT an
Tag 2 und 3 registriert. Innerhalb von 72 h
wurden bei der VT maximal 500 ml Flüs-
sigkeit abgepumpt.
Zöch et al. [146] konnten bei der VT
von Patienten mit diabetischem Fußsyn-
drom eine Steigerung der Wundperfusion
um durchschnittlich 31% und der angren-
zenden Haut um 15% nachweisen. Sie be-
stimmten die Perfusion mit der IC-View-
Messmethode [58].
Diskussion: Alle 3 klinische Studien [67,
112, 146] wählten mit der IC-View-Perfu-
sographie® [58] eine grundsätzlich ande-
re Messmethode zur Beurteilung der Per-
fusion als es der Laserdoppler ist. Dabei
ist es erforderlich, den Schwamm bei der
Messung zu entfernen. So sind die Ergeb-
nisse im Unterschied zu Morykwas et al.
[84] als Vorher-/Nachher-Werte zu inter-
pretieren. Die in allen Arbeiten registrier-
te Steigerung der Durchblutung in der
Wunde könnte hier tatsächlich auf die
Ödemreduktion zurück zu führen sein, da
es sich um einen langfristigen Effekt han-
delt. Möglich wäre auch, dass die Durch-
blutung des neu gebildeten Granulations-
gewebes gemessen wurde. Durch die Stu-
dien ist es möglich zu erklären, weshalb
auch bei kontinuierlicher VT die Durch-
blutung profitiert. Mit Sicherheit wur-
de ein anderer, als der von Morykwas be-
schriebene Effekt gemessen.
Grundlagen: Wackenfors et al. [131] ver-
glichen im Tierexperiment (Schwein, n=7)
das Reaktionsmuster großer Gefäße (A. fe-
moralis beidseits freigelegt) bei VT (12 h
−125 mmHg kontinuierlich) mit einer Kon-
trollgruppe an der Gegenseite (Schwamm
ohne Sog 12 h). Makroskopisch waren an
den Wunden keine Unterschiede erkenn-
bar. Die physiologischen Tests erfolgten
nach Entnahme der Gefäße in vitro. Durch
Endothelin-1 (Typ-A-Agonist) und dem
Typ-B-Agonisten Sarafotoxin 6c ließen
sich in der VT-Gruppe signifikant stärkere
Vasokonstriktionen auslösen. Auf Acetyl-
cholin zeigten die Gefäße nach VT eine
signifikant verstärkte Vasodilatation im
Vergleich zur Kontrollgruppe. Faktoren,
die die endothelabhängige Vasodilatation
vermitteln („endothelium-derived hy-
per-polarizing factor“, Prostaglandin und
NO) waren ebenfalls nach VT signifikant
erhöht. Die Autoren sahen durch die VT
sowohl eine Verstärkung der Vasokons-
triktion (Endothelin Typ A und Typ-B-
Rezeptor-vermittelt) als auch der endo-
thelabhängigen Vasodilatation. Die Vaso-
dilatation kann ihrer Auffassung nach die
Konstriktion kompensieren, wobei dies
nicht gemessen wurde.
Diskussion: In der klinischen Pra-
xis kommt die VT selten mit großen Ge-
fäßen in Kontakt. Möglicherweise sind die
Ergebnisse jedoch auch auf die typische
Kontaktsituation des Schwammes zu
kleineren Gefäßen übertragbar. Die Ar-
beit unterstützt unsere Theorie, dass auch
humorale und nervale Faktoren an der
Steuerung der Durchblutung durch die
499Der Unfallchirurg 6 · 2007 |
VT beteiligt sind. Es zeigt sich, dass (wie
auch bei der Proliferation von Zellen) die
Effekte der VT hinsichtlich der Durchblu-
tung sehr komplex sind. Die differenzierte
Kenntnis dieser Mechanismen wird über
den sinnvollen Einsatz der VT bei spezi-
ellen Krankheitsbildern entscheiden.
Ödem. In der Literatur finden sich zahl-
reiche Hinweise, dass durch die VT ei-
ne Ödemreduktion erreicht wird, die zur
Verbesserung der Durchblutung des Ge-
webes führt [27, 34, 84]. Es handelt sich
dabei ausschließlich um klinische Beob-
achtungen. Studien, in denen quantitative
Ödemmessungen im Zusammenhang mit
der VT durchgeführt wurden, finden sich
in den Datenbanken nicht publiziert. Ka-
molz et al. [67] erfassten das Volumen
des abgepumpten Sekrets. Dies lässt je-
doch nur indirekt auf ein tatsächliches
Ödem schlussfolgern. So ist es vorstell-
bar, dass der Schwamm Anschluss an er-
öffnete Lymph- und Blutgefäße bekommt
– die Flüssigkeitsmengen repräsentieren
dann nicht das Gewebeödem. Bekannt ist
der Effekt der Ödemreduktion mit ver-
besserter Wundheilung durch Sogdraina-
gen [30, 39]. Ob sich diese Erkenntnisse li-
near auf die VT und ihre therapeutischen
Variationsmöglichkeiten übertragen las-
sen, bleibt der Klärung künftiger Studien
vorbehalten. Ebenso kann die Frage nach
dem optimalen Therapieregime (Sogstär-
ke, Schwamm, Sogmuster) bezüglich der
Ödemreduktion aus der Literatur derzeit
nicht beantwortet werden.
Wundmilieu. Die Barrierefunktion der
Folie gewährleistet ein feuchtes Wund-
milieu [34] bei der VT. Trotz ständigen
Abpumpens von Sekret befindet sich das
VAC®-System durch den Schwamm in
großer Kontaktfläche zum Interstitium
[111]. Es kommt zum kontinuierlichen
Einstrom interstitieller Flüssigkeit, gleich-
zeitig verhindert die Polyurethanfolie das
Austrocknen der Wunde.
Eine verbesserte Wundheilung und An-
giogenese in feuchtem Milieu gilt als wis-
senschaftlich gesichert [24, 34, 126, 138].
Seit Jahren ist die Analyse von Wundse-
kret (insbesondere der Art und Konzent-
ration von Zytokinen) Gegenstand der
Forschung [48, 93]. Die Wundheilung gilt
dabei als ein Resultat aus der Balance zwi-
schen fördernden Zytokinen und Hemm-
stoffen wie Proteasen [93]. Zahlreiche Au-
toren kamen zu dem Schluss, dass im ab-
gesaugten Sekret vorwiegend Proteasen
beseitigt werden [40, 84]. Der Mechanis-
mus bleibt unklar, da gleichermaßen auch
Zytokine, die die Wundheilung fördern
[69], von der Elimination betroffen sind.
Ob die VT über das mechanische Absau-
gen hinaus die Balance der Zytokine be-
einflusst, ist noch nicht klar. Studien, die
sich mit der Analyse des Wundsekrets be-
schäftigen, werden im Kapitel „Wundin-
fektion“ (s. unten) diskutiert.
Stabilisation. Durch Vakuum wird ei-
ne mechanische Stabilisierung des
Schwammes und Gewebes erreicht. Der
Schwamm verteilt dabei den negativen
Druck gleichmäßig dreidimensional über
die gesamte Wundfläche [78]. Durch das
Vakuum komprimiert, verzahnen sich Po-
ren und Balken fest ineinander und mit
der Wundfläche [111].
Bereits bei einem Sog von −125 mm-
Hg kann eine feste mechanische Stabili-
sierung von Gewebestrukturen erreicht
werden [79]. Dies kann bei der Fixierung
von Hauttransplantaten, Lappenplastiken
und bei der Thoraxwandstabilisierung ak-
tiv genutzt werden. Exakte Messreihen mit
Druckvariationen für eine optimale Stabi-
lisierung von unterschiedlichem Gewebe
finden sich derzeit nicht publiziert.
Barrierefunktion. Die Polyurethanfo-
lie als Strukturelement des VAC®-Sys-
tems ist Barriere zwischen Behandlungs-
einheit und Umwelt. Sie ist für Wasser-
dampf durchlässig, ohne dass Luft und
Bakterien passieren können [37]. Da-
durch wird der Aufbau eines konstanten
Vakuums sowie die mikrobiologische
Trennung zwischen Wunde und Umge-
bung möglich [34]. Der Effekt ist bidirek-
tional – es kann die Keimverschleppung
in die Umgebung, aber auch (im Falle ei-
ner offenen Fraktur) die Infektion durch
Hospitalkeime bis zur Defektdeckung
mit einer Lappenplastik verhindert wer-
den [46]. Ein effektiver Schutz von aku-
ten Wunden konnte von Fleischmann et
al. [35, 37] in retrospektiven und prospek-
tiven klinischen Studien gezeigt werden.
Dass die VT chronisch infizierter Wun-
den auch die Kontamination der Umge-
bung vermindert, ist bisher anhand kont-
rollierter Studien nicht belegt. Die Kon-
troversen der VT chronisch infizierter
Wunden werden später diskutiert.
Kombinierte Wirkung der VAC-TherapieIn der klinischen Anwendung der VT
kommt es immer wieder zu komplexen
Interaktionen zellulärer und extrazellu-
lärer Effekte. Dies betrifft die Eliminati-
on von Bakterien, die Gewebezüchtung
(Matrixfunktion) und die Beeinflussung
von Angiosomen bei Lappenplastiken [55,
84, 127].
Bakterienelimination und Wundinfek-
tion. Resistente chronische Infektionen
führen zu einer verzögerten Wundhei-
lung [129]. Häufige Ursache von bakteri-
eller Besiedelung ist die Pathogenität der
Keime, schlechte Gewebedurchblutung
und lokaler Sauerstoffmangel [61]. Kli-
nische Falldarstellungen haben immer
wieder auf die Reduktion der bakteriellen
Besiedelung und der Infektion von Wun-
Forschungsansätze: Wundinfektion bei Vakuumtherapie
Tierexperimentelle - und klinische Studien
Autoren
Bakterien
Keim - Konzentration
Semiquantitativ
Quantitativ
Morykwas (84)Moues (87)Weed (135)
Wundsekret
bakterizide Wirkung
Leukozyten
Immunkompetenz
Bischoff (41)Gouttefangeas (47)
Gewebeinfiltrat
Entzündungszellen
Neutrophile
Endotoxin/Plasma
Adams (1)Banwell (8)Buttenschön (15)
Wundheilung
Indirekt
bei Heilung von
Problemwunden
Fleischmann (31)Von Fritschen (41)
Abb. 5 8 Wundinfektion bei Vakuumtherapie
500 | Der Unfallchirurg 6 · 2007
Leitthema
den durch die VT hingewiesen [22, 32, 50].
In . Abb. 5 sind die Forschungsansätze
zur Untersuchung der antiinflammato-
rischen Wirkung der VT thematisch ge-
ordnet darstellt.
Grundlagen: Morykwas et al. [84] un-
tersuchten im Tierexperiment (Schwein)
die Keimzahl akuter Wunden (n=5), die
standardisiert mit Bakterien beimpft wur-
den. Im Verlauf der VT wurde über 2 Wo-
chen regelmäßig die Bakterienkonzentra-
tion bestimmt. Die kontrollierte Studie
war nicht randomisiert und nicht ver-
blindet. Am 5. Tag der VT zeigte sich eine
signifikante Bakterienreduktion im Ver-
gleich zur Kontrollgruppe (Wunden mit
Kochsalzkompressen behandelt). Im wei-
teren Verlauf blieb die Bakterienkonzent-
ration konstant.
Moues et al. [87] bestimmten in ei-
ner randomisierten, kontrollierten und
verblindeten klinischen Studie die Bak-
terienkonzentration chronischer Wun-
den bei VT (n=29). Die Kontrollgrup-
pe (n=25) wurde mit Kochsalzkompres-
sen behandelt. In beiden Gruppen zeigte
sich die Bakterienkonzentration vor und
nach Therapie unverändert. Staphylococ-
cus aureus vermehrte sich im Verlauf der
VT gegenüber der Kontrollgruppe signi-
fikant, die Konzentration gramnegativer
Bakterien nahm ab.
Weed et al. [135] fanden in einer retros-
pektiven klinischen Studie an chronischen
Wunden dauerhaft konstante Bakterien-
konzentrationen während der VT. Weed
et al. [135] und Moues et al. [87] beobach-
teten bei konstanter und steigender Bakte-
rienzahl eine gute Wundheilung.
Diskussion: In der Literatur finden sich
3 Studien, die eine systematische Messung
der Bakterienkonzentration im Verlauf
der VT vornehmen und bei unterschied-
lichem Studiendesign zu kontroversen Er-
gebnissen kommen [84, 87, 135]. Während
Morykwas et al. [84] bei akuten Wunden
eine Keimreduktion innerhalb der ersten
5 Tage und anschließend konstante Spie-
gel registrierten, konnten die beiden an-
deren Arbeitsgruppen bei chronischen
Wunden konstante, im Falle von Sta-
phylococcus aureus steigende Bakterien-
konzentrationen feststellen [87, 135]. Mo-
rykwas et al. [84] folgerten trotz kleiner
Stichprobe, dass die VT Bakterien elimi-
niert und führten dies auf eine verbesserte
Perfusion und Oxygenierung des Wund-
grundes zurück, obwohl beide Parame-
ter nicht erfasst wurden. Unverständlich
bleibt, dass die Autoren in einem anderen
Tierexperiment bei kontinuierlichem Sog
nur eine Steigerung der Durchblutung für
5–7 min registrierten [84].
Betrachtet man die Gesamtheit der in-
zwischen vorliegenden Daten, so fällt auf,
dass nur in den ersten 5 Therapietagen
Unterschiede zwischen den Studien be-
stehen [84, 135]. Danach blieb in allen Ar-
beiten die Bakterienkonzentration kons-
tant. Die Diskrepanz innerhalb der ersten
5 Tage könnte auf Unterschiede bei den
Wundtypen (bakteriell beimpfte Akut-
wunde vs. chronische Wunde Mensch),
der Materialgewinnung (Abstrich vs. Bi-
opsie) und der Analyse (semiquantitativ
vs. quantitativ) zurück zu führen sein. Es
könnte durchaus möglich sein, dass der
Sog einen Teil der am Tier aufgebrachten
Kulturen eliminiert hat und dies ein sys-
tematischer Fehler war [84]. Es wäre eine
schlüssige Erklärung dafür, dass im wei-
teren Verlauf der VT kein Effekt mehr be-
obachtet wurde.
Aus unserer Sicht deuten alle Studi-
en darauf hin, dass eine rein mechanis-
tische Vorstellung des kontinuierlichen
Absaugens und Entfernens von Bakte-
rien falsch ist, d. h. die Bakterienzahl von
der VT weitgehend unbeeinflusst bleibt.
Bemerkenswert ist, dass trotz konstanter
oder sogar steigender Bakterienzahlen ei-
ne klinische Verbesserung der Wundsitu-
ation beobachtet wurde [87, 135]. Die ne-
gative Wirkung der Keime auf die Wund-
heilung scheint durch die VT gemindert
zu werden. Die Bakterienkonzentrati-
on lässt also keine Rückschlüsse auf die
Wundheilung zu. Moues et al. [87] vermu-
ten, dass bei der VT dem Abtransport von
Toxinen und Inhibitoren, der Angiopro-
liferation [5, 23, 72] sowie der Induktion
von Wachstumsfaktoren eine größere Be-
deutung für die Wundheilung zukommt
als der Bakterienkonzentration. Offen-
sichtlich konnten sich jedoch bestimm-
te Keime wie Staphylococcus aureus un-
ter der Therapie vermehren, was für MR-
SA-Patienten Konsequenzen hätte. Oh-
ne einen Zusammenhang zu den vorge-
stellten Studien ist das Auftreten eines „to-
xic shock syndroms“ bei VT in der Litera-
tur beschrieben [51]. Derzeit lässt die Da-
tenlage nur 2 Schlüsse zu. Akute Wunden
profitieren bezüglich der Keimreduktion
v. a. von einer kurzen VT und chronisch
infizierte Wunden sollten durch ein radi-
kales Débridement in eine akute Wundsi-
tuation überführt werden.
Grundlagen: Fleischmann et al. [31]
setzten erstmals den Schwamm als Me-
dikamententräger ein. Über einen zu-
sätzlichen Spülschlauch wurden loka-
le Antibiotika oder Antiseptika verab-
reicht und nach einer Einwirkzeit über
die Therapieeinheit abgesaugt. Sie unter-
suchten die Wirksamkeit im Rahmen ei-
ner nicht randomisierten klinischen Stu-
die bei 27 Patienten. Eine Gruppenbil-
dung erfolgte bezüglich der Erkrankung
(akute Infekte, chronische Osteitis, chro-
nischer Infekt von Endoprothesen, Ulcera
cruris, diabetisches Gangrän), dann wur-
de die VT (Dauersog) mit Unterbrechung
(3-mal täglich für 30 min) zur Instillation
von Antibiotika (nach Antibiogramm)
durchgeführt. Die Sanierung aller akuten
Infekte gelang trotz Belassens des Osteo-
synthesematerials. Es trat ein Infektrezi-
div einer Endoprothese auf, welche einge-
setzt wurde, nachdem zuvor die Girdle-
stone-Situation über 2 Wochen durch VT
behandelt worden war.
Von Fritschen et al. [41] untersuchten
in einer klinischen Studie Weichteilde-
fekte mit exponierten Endoprothesen.
Durch die Kombination der VT mit medi-
kamentöser Spülung konnte in allen Fäl-
len Keimfreiheit (Wundabstrich) und ei-
ne suffiziente Defektdeckung mittels Lap-
penplastik erzielt werden.
Diskussion: Beide Arbeiten verzichteten
auf die kontinuierliche Messung der Bak-
terienkonzentration und stellten lediglich
vor dem Defektverschluss Keimfreiheit
fest [41] oder postulierten aufgrund der
erfolgreichen Defektdeckung eine Infekt-
beseitigung. Unterschiedliche Wundpro-
file machen die kleinen Stichproben inho-
mogen und erschweren die Interpretation
der Daten. Grundlage für die Entwicklung
des Spülsystems war die klinische Erfah-
rung, dass mit der VT zwar eine Keimre-
duktion, nicht aber Keimfreiheit zu errei-
chen ist. Der Schwamm als Medikamen-
tenträger ermöglicht, die VT variabler zu
gestalten und bei Problemwunden zu in-
tensivieren. Neben der zusätzlichen phar-
makologischen Wirkung könnte auch die
501Der Unfallchirurg 6 · 2007 |
repetitive Absaugung von Toxinen, Bak-
terien und ihren Zerfallsprodukten wirk-
sam werden. Inzwischen kann ein solches
System als fertige Therapieeinheit bei KCI
bezogen werden. Aufgrund der Studien-
lage ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt ei-
ne Aussage über die genaue Wirkungswei-
se der VT hinsichtlich der antibakteriel-
len Therapie nicht möglich. Die Kombi-
nation der VT mit einer Spüleinheit für
Antibiotika und Antiseptika erscheint ei-
ne Erfolg versprechende Lösung zu sein.
Wichtig sind dabei ein radikales chirur-
gisches Débridement und häufige Wech-
sel des Schwamm Systems.
Grundlagen: Bischoff et al. [11] teste-
ten in vitro die antibakterielle Wirkung
des bei der VT abgesaugten Wundse-
krets gegen Standardkeime (Staphylococ-
cus aureus, Staphylococcus epidermidis
und Escherichia coli). Gruppe A (12 Pati-
enten mit offene Frakturen) wurde antibi-
otisch, Gruppe B (12 Patienten mit Weich-
teilschäden) ohne Antibiose behandelt. In
Gruppe A zeigte das Wundsekret in 93%
der Proben, in Gruppe B bei 66% der Pro-
ben eine antibakterielle Aktivität. Die Au-
toren führten die antibakterielle Wirkung
in beiden Gruppen auf die VT zurück.
Gouttefangeas et al. [47] untersuchten
in einer klinischen Studie, nach 5 Tagen
VT chronischer Wunden, die Art und
das Ausmaß der Infiltration des VAC-
Schwammes mit weißen Blutkörper-
chen immunhistochemisch. Es fanden
sich neutrophile Granulozyten in höchs-
ter Konzentration, neben Makrophagen
(CD68) und Lymphozyten. Diese waren
überwiegend aktivierte, immunkompe-
tente T-Zellen (CD4+ und CD8+) und
unterschieden sich von der systemisch pe-
ripheren Population.
Diskussion: Beide Studien gewannen
Wundsekret an unterschiedlicher Loka-
lisation. Bischoff et al. [11] testeten nur
indirekt die Wirkung des Sekrets, oh-
ne es selbst zu untersuchen (die Entnah-
me erfolgte aus dem Kontainer des Sys-
tems), während Gouttefangeas et al. (47)
das Wundsekret analysierten, welches sich
noch im Schwamm befand. Beide Studien
lassen eine Kontrollgruppe vermissen, so-
dass keine Aussage möglich ist, ob es sich
um den Effekt der VT handelt. So über-
rascht es nicht, dass Wundsekret antibak-
terielle Aktivität zeigt und dass diese bei
Antibiotikatherapie ausgeprägter ist [11].
Gouttefangeas et al. [47] führten den hö-
heren Anteil der CD4+-T-Lymphozyten
auf eine antigene Stimulation durch die
Wunde zurück. Sie hielten den Schwamm
geeignet, durch entsprechende antigene
Beschichtungen den nachgewiesenen Ef-
fekt zu steigern. Die untersuchte Stichpro-
be zeigte sich hinsichtlich Alter, Immun-
kompetenz, Wund- und Keimart erheb-
lich inhomogen. Außerdem gab es nur ei-
nen Untersuchungszeitpunkt. Das Auftre-
ten aktivierter T-Zellen (CD4+) am 5. bis
8. Tag der Behandlung könnte bedeuten,
dass schnelle Systemwechsel eine spezi-
fische antigene Stimulation und Infiltra-
tion des Schwammes verhindern. Sobald
mehr Referenzwerte bekannt sind, wird
die Arbeit besser zu interpretieren sein.
Grundlagen: Adams et al. [1] unter-
suchten Gewebebiopsien nach 48 h Be-
handlungsdauer mit VT vs. konventi-
oneller Wundbehandlung bei Verbren-
nungswunden (n=6) und Spalthautent-
nahmestellen (n=6). Die immunhistoche-
mische Untersuchung zeigte eine signifi-
kante Reduktion der neutrophilen Granu-
lozyten nach VT.
Banwell et al. [8] verglichen in einer
prospektiven klinischen Studie die Extra-
vasation von neutrophilen Granulozyten
bei Verbrennungen II. Grades (n=34) mit
und ohne VT. Die immunhistochemische
Bestimmung erfolgte 48 h nach Therapie-
beginn. In der VT-Gruppe fanden sich si-
gnifikant weniger Neutrophile und eine
geringere Tiefenprogredienz der Verbren-
nung. Makrophagen und Lymphozyten
waren in ihrer Anzahl unverändert.
Diskussion: Beide Autoren unterzo-
gen das Granulationsgewebe vom Wund-
grund einer Analyse hinsichtlich der In-
filtration mit Entzündungszellen [1, 8].
Diese Ergebnisse stehen im Widerspruch
zu Gouttefangeas et al. [47], die Neutro-
phile in höchster Konzentration im VAC-
Schwamm (nach 5–8 Tagen) nachwie-
sen. Da neutrophile Granulozyten zu den
ersten in der inflammatorischen Phase
das Gewebe infiltrierenden Zellen gehö-
ren und in Kooperation mit Makropha-
gen und Bakterien Nekrosen bekämpfen,
sind die Ergebnisse überraschend. Be-
denkt man jedoch, dass Gouttefangeas
et al. [47] chronische, bereits inflamma-
torisch aktivierte Wunden untersuchten,
während Adams et al. [1] und Banwell et
al. [8] das Gewebe akuter Verbrennungs-
wunden analysierten, so lässt sich ein in-
teressanter Effekt der VT vermuten. Viel-
leicht ist die VT in der Lage, die inflamma-
torische Gewebereaktion zu modulieren?
Dies könnte so funktionieren, dass im Fal-
le der Kontamination die Immunreaktion
durch die VT verstärkt wird, bei sterilen
Wunden hingegen könnte die Wirkung
der VT durch Verbesserung der Durch-
blutung und Reduktion der Nekrosezone
die Immunreaktion bremsen. Durch die
Autoren wurde eine Zusammenhang zwi-
schen Verminderung der Neutrophilen
und geringerem Nachbrennen der Wun-
den nachgewiesen [1, 8]. Die niedrigere
Konzentration von Neutrophilen könnte
also sowohl ein direkter Effekt der VT am
Bindegewebe, als auch die Folge einer ste-
rilen Wundabdeckung der Verbrennung
durch die VT sein, zumal die Kontroll-
gruppe keinen derartigen Effekt zeigte.
Nach derzeitiger Datenlage sind dies je-
doch noch Vermutungen.
Grundlagen: Buttenschön et al. [15]
untersuchten in einer randomisierten kli-
nischen Studie den Einfluss der VT auf
die systemische Entzündungsreaktion.
Patienten mit OSG-Frakturen Typ B/C
wurden 6 h nach Trauma operiert und die
Wunde primär verschlossen (Gruppe 1)
oder mit VT behandelt (Gruppe 2). En-
dotoxin, IL-6, CRP, Haptoglobin, Trans-
ferrin, Orosomucoid, 6-Keto-Prostaglan-
din, α1-Antitrypsin und Komplement C3,
C4 wurden in Zeitintervallen prä- und
postoperativ bestimmt. Eine halbe Stun-
de nach Primärverschluss kam es zu ei-
ner Erhöhung des Endotoxin-Plasma-
Spiegels, welcher in der VT-Gruppe aus-
blieb. Alle anderen Parameter zeigten sich
in beiden Gruppen unverändert. Die Au-
toren schlussfolgerten einen geringen sys-
temischen Effekt der VT, führten dies je-
doch auf die kleine Wundfläche zurück.
Diskussion: Das Weichteiltrauma im
Rahmen einer OSG-Fraktur ist sehr klein,
um systemisch relevante Veränderungen
der untersuchten Parameter zu erwarten.
Nach Auswertung aller Studien scheint
die VT durch viele Mechanismen die bak-
terielle Kontamination und Entzündung
der Wunde zu beeinflussen. Diskutiert
werden dabei eine direkte Keimbeseiti-
gung („absaugen“), antibakterielle Effekte
502 | Der Unfallchirurg 6 · 2007
Leitthema
des Wundsekrets, Amplifikation der An-
tigenität durch den Schwamm und Modu-
lation der entzündlichen Infiltration des
Bindegewebes. Das Ausmaß, in dem die
VT diese Prozesse spezifisch beeinflusst,
konnte bisher nicht geklärt werden.
Matrixfunktion. In der Literatur finden
sich Hinweise, dass die VT im Rahmen der
Gewebezüchtung eingesetzt werden kann
[55, 127]. Grundlage von Zell- und Gewe-
bezüchtungen in vitro sind Matrixmateri-
alien, deren Struktur wiederum Zelladhä-
sionen, vaskuläre Proliferation und Wachs-
tumsmuster bestimmen und die zugleich
Nährboden sind [75, 127]. Beide Schwäm-
me (PVA, PU), die Bestandteil des VAC®-
Systems sind, kommen bereits in ähnlicher
Struktur als Matrixmaterialien in der Ge-
webezüchtung zum Einsatz [42, 77, 88, 106,
127, 132]. In-vitro-Gewebezüchtungen sind
in ihrer Gewebemenge von einer geringen
Penetrationstiefe durch eingeschränkte
Diffusion von Sauerstoff und Nährstoffen
limitiert [106]. So können nur dünne Zell-
lagen überleben und weiterhin ist der zeit-
liche Aufwand z. T. erheblich.
Insbesondere die gesteigerte Prolifera-
tion, durch die mit der VT in kurzer Zeit
z. T. dicke Gewebeschichten entstehen,
gibt Hoffnung, dass mit dieser Technik in
Zukunft auch in vivo „vor Ort“ und un-
ter erheblicher Zeitersparnis Gewebe ge-
züchtet werden kann. Besonders die Ge-
webenutrition wäre mit der VT, sowohl
durch Einsprossen von Kapillaren, als
auch durch das feuchte Wundmilieu (wel-
ches als physiologische Lösung agiert) ge-
genüber der In-vitro-Situation (Penetrati-
onstiefe) erheblich verbessert.
Bei dieser Anwendungsform der VT
werden die Schwämme als Matrixmateri-
alien im Mittelpunkt der Forschung stehen.
Die Entwicklung resorbierbarer Schwäm-
me durch die Industrie würde die Möglich-
keiten der Therapie exponentiell erweitern.
Angiosomale Durchblutung. Die Gewe-
bemenge beim mikrochirurgischen Ge-
webetransfer richtet sich nach Größe und
Durchblutung des assoziierten Blutgefäß-
systems (Angiosom). Das Angiosom be-
stimmt dabei die maximale Ausdehnung
und Form, in der eine Lappenplastik prä-
pariert werden kann. Der Bedarf an volu-
minösen, ausgedehnten Lappenplastiken
ist in der rekonstruktiven Chirurgie groß.
In der Vergangenheit gab es bereits Ver-
suche, Lappenplastiken über die Grenzen
ihrer Angiosome bzw. durch Einbezie-
hung benachbarter Angiosome zu kons-
truieren. Diese Technik, das sog. „Delay“,
erfordert ein schrittweises und zeitauf-
wendiges Präparieren des Lappens.
Grundlagen: Morykwas et al. [84] un-
tersuchten im Tierexperiment (Schwein,
n=5) den Einfluss der VT auf das Über-
leben von „random pattern flaps“ mit ei-
ner Breite-/Lägeratio von 1:4. An 5 Tieren
wurden 20 Lappen dieser Größe geho-
ben und in 3 Gruppen mit VT (kontinu-
ierlich, −125 mmHg) behandelt. (Gruppe 1
vor und nach, Gruppe 2 vor und Grup-
pe 3 nach Lappenpräparation), Gruppe 4
war Kontrollgruppe ohne VT. Gemessen
wurde das überlebende Gewebe. Es zeigte
sich ein signifikant gesteigertes Überleben
der Lappen in Gruppe 1 (VT vorher und
nachher) gegenüber der Kontrollgruppe.
Diskussion: Die kleine Stichprobe,
unterschiedliche Positionen der Lap-
pen am Tier und die fehlende Messung
der Durchblutung schränken die Aussa-
ge der Studie ein und lassen letztlich kei-
ne Rückschlüsse auf die Perfusion im Lap-
pen zu. Verwendet wurden „random pat-
tern flaps“ einer Größe (3×12 cm), die un-
ter normalen Bedingungen nur zu 50%
überlebt hätten [104]. Durch die unter-
schiedliche Lokalisation der Lappen am
Tier und fehlendes Monitoring kann das
zufällige Vorhandensein von zusätzlichen
Perforatoren (versorgenden Blutgefäßen)
in unterschiedlichen Lappen nicht ausge-
schlossen werden. Von den Autoren wur-
de ein kontinuierlicher negativer Druck
von −125 mmHg verwendet, obwohl sie
in anderen Versuchen registrierten, dass
dabei die Perfusion nur 5–7 min gesteigert
war [84]. So bleibt unklar, ob der Effekt
verlässlich reproduzierbar ist und auf wel-
chen Mechanismen er beruht.
Grundlagen: Holle et al. [55] berichte-
ten über eine klinische Studie, bei der 7
Lappen mit einem kritisch durchblute-
ten Random-pattern-Anteil durch VT
mit Wechselsog −100 mmHg vollständig
erhalten und anschließend erfolgreich
transferiert werden konnten. Dabei zeigte
sich sofort nach Beginn der VT eine nor-
malisierte Rekapillarisationszeit in den
kritischen Lappenbezirken.
Diskussion: Neben Versuchen, das Lap-
penüberleben durch Medikamente (Sym-
pathikolytika, Vasodilatatoren, freie Radi-
kalfänger [53, 68, 95, 104, 136]), Gewebeex-
pansion oder Lappenkonditionierung zu
erhöhen, stellt die VT offensichtlich ei-
ne neue und interessante Möglichkeit dar,
das Überleben kritisch durchbluteten Ge-
webes zu verbessern und möglicherwei-
se Lappen zuverlässig, über die Grenzen
ihrer Angiosome hinaus, heben zu kön-
nen. Voraussetzung für einen breiten kli-
nischen Einsatz ist die Klärung der phy-
siologischen Abläufe, die zur Durchblu-
tungssteigerung bei der VT führen.
Schlussfolgerung
Bei der klinischen Anwendung wurden
der VT unterschiedliche Effekte wie Zell-
proliferationen, Gewebeneubildung, ge-
steigerte zelluläre Syntheseleistungen, die
Unterstützung von Wundheilungsvorgän-
gen, Bakterienelimination und Reduktion
der Inflammation zugeschrieben und im
Rahmen von Studien weiter untersucht.
Die Auswertung der Studien hat gezeigt,
dass die Effekte der VT v. a. in der frü-
hen Phase der Wundheilung zu beobach-
ten und zeitlich begrenzt sind. Viele Ef-
fekte zielen auf die Wundheilung per se-
cundam ab bzw. unterstützen diese. Un-
ser derzeitiges Wissen lässt die Schluss-
folgerung zu, dass die VT eine exzellente
Behandlungsmethode zur Induktion von
Wundheilungsvorgängen zu sein scheint.
Das Bindegewebe mit seinen intermito-
tischen Zellen wird schnell aktiviert, die
Mitoserate steigt, Angioproliferationen
entstehen und Entzündungszellen wan-
dern ein, setzen Wachstumsfaktoren frei
und werden immunkompetent. Der ge-
naue Mechanismus dieser Effekte ist nur
teilweise erforscht und noch nicht sicher
voraussagbar. Zahlreiche Behandlungsva-
riablen wie die Sogstärke, das Sogmuster
und v. a. der Zeitpunkt der Behandlung,
beeinflussen die Therapie.
Unsere Studienanalyse deutet darauf
hin, dass die Möglichkeit der Infektsanie-
rung durch die VT initial zu euphorisch
bewertet worden ist. Es zeichnet sich ab,
dass akute Infektionen mit kurzen Behand-
lungsintervallen effektiv therapiert werden
können, chronische Infekte hingegen der
zusätzlichen Applikation lokaler Antibio-
503Der Unfallchirurg 6 · 2007 |
tika oder Antiseptika bedürfen. Ein radi-
kales chirurgisches Débridement ist in al-
len Fällen unerlässlich. Bestimmte Keime
(Staphylococcus aureus) können sich unter
der VT vermehren (Cave: MRSA). So sind
regelmäßige Wundabstriche erforderlich.
Trotz bakterieller Besiedelung kann die VT
offensichtlich die Wundheilung positiv be-
einflussen, die Toxizität der Bakterien er-
scheint dabei gemindert.
Eine Perfusionssteigerung durch die VT
scheint anhand der Studienlage gesichert.
Dabei sind die Dauer des Effekts, die Men-
ge des betroffenen Gewebes und der ge-
naue Wirkmechanismus ungeklärt. Es gibt
Hinweise, dass abrupte Steigerungen der
Durchblutung unter Vermittlung des auto-
nomen Nervensystems und durch Verstär-
kung des venösen Abflusses erfolgen, der
Effekt im Therapieverlauf hingegen auf die
Ödemreduktion, Angioproliferation und
humorale Faktoren zurück zu führen ist.
Ödemreduktion, Barrierefunktion, Wund-
milieu und die Stabilisierung von Gewebe
sind bisher nicht unter standardisierten Be-
dingungen bei der VT untersucht worden.
Klinische Beobachtungen weisen jedoch
darauf hin, dass diese Mechanismen einen
erheblichen Anteil an der komplexen Wir-
kung der VT haben.
Fazit für die Praxis
Bisher konnte in Studien nur selten ei-
ne vollständige Wundheilung zeitnah be-
obachtet werden. Aufgrund der Daten
ist es noch nicht möglich, klare Empfeh-
lungen über eine geeignete Therapie-
dauer zu geben. Mit zunehmender Grö-
ße des Weichteildefekts erfolgt bei der VT
vorwiegend die Bildung von Granulati-
onsgewebe ohne Epithel. Bei diesen De-
fekten sollte jedoch eine primäre Wund-
heilung durch Gewebeersatz und unter
Vermeidung großer Mengen an Granu-
lationsgewebe das Ziel sein. Immer häu-
figer ist leider zu beobachten, dass Pati-
enten erst nach Wochen und Monaten VT
(der bei solchen Fällen einzig adäquaten
Behandlung) durch das gesunde Gewe-
be einer Lappenplastik zugeführt werden.
Die Risiken (Fibrosierung, Proteinverlust,
Infektionen, Induktion eines Narbenkar-
zinoms) sind bei derartig langen Behand-
lungszyklen nicht abzuschätzen und ein
stabiler Wundverschluss unwahrschein-
lich. Die Entscheidung, ob die sekundäre
Wundheilung mit der VT oder der Gewe-
beersatz durch eine Lappenplastik anzu-
streben ist, sollte in Zukunft frühzeitig in
Kompetenzzentren auf der Basis klarer
Fakten getroffen werden. Durch ihre kom-
plexe Wirkung am Bindegewebe scheint
die VT auch zur Unterstützung der Gewe-
bezüchtung (tissue engineering) und zur
Konstruktion von Lappenplastiken (flap
engineering) sowie zur Verbesserung der
Sicherheit von Lappenplastiken geeignet.
KorrespondenzadresseDr. G. HolleKlinik für Hand-, Plastische und Rekonstruktive Chirurgie, Schwerbrandverletztenzentrum, Klinik für Plastische und Handchirurgie an der Universität HeidelbergLudwig-Guttmann-Straße 13, 67071 [email protected]
Interessenkonflikt. Der korrespondierende Autor
gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
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504 | Der Unfallchirurg 6 · 2007
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